Photo: „Gentoo penguin walking“ by Kathleen from flickr (CC BY 2.0)

Auch in der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends waren sich viele Intellektuelle in einer Sache sicher: Der Untergang der Zivilisation oder wahlweise auch der ganzen Menschheit steht kurz bevor. Das einzige, worauf sich die Untergangspropheten nicht einigen konnten: Wie wird das Ende aussehen?

Aus dem rechten politischen Lager kriecht der Untergang der westlichen Welt heran in Form von dekadenten arbeitsfaulen jungen Menschen, die sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, an deren Zustandekommen sie keinerlei Anteil hatten.

Für die Linken geht die Welt zu Grunde, weil der Kapitalismus seine Versprechen eines gesamtgesellschaftlichen Wohlstands nicht erfüllen kann, die Arbeiter der globalen Peripherie verarmen lässt und schließlich im Chaos untergehen dürfte.

Von Rechts über Grün bis Links – allen Untergangs-Propheten gemein ist ihr Stolz das „Große und Ganze“ erkannt zu haben. Schließlich hatte jede Richtung ihre Krisen im letzten Jahrzehnt … Die Apokalypse droht von der Zerstörung westlicher Kulturen („Flüchtlingskrise“), den systemischen Probleme des globalen Kapitalismus („Finanzkrise“) oder vom allumfassenden Umweltdesaster („Klimakrise“). Untergangs-Prophetie findet Anklang, weil sie die Illusion erweckt, dass Geschichte ohne Zwischenschritte wie ein großes Pendel von einer großen Entwicklung zur nächsten schwingt. Das führt dazu, dass man sich entweder dem Fatalismus ergibt, weil man sowieso nichts ändern kann, oder den totalen, tiefgreifenden, revolutionären Umsturz herbeisehnt, da die kleinen Schritte nichts zu ändern vermögen.

Doch verschließt dieser Blick auf das vermeintlich „Große und Ganze“ oft den Blick auf die wahrhaft großen Veränderungen durch die kleinen Schritte vieler Unternehmer, Arbeiter und Politiker auf der ganzen Welt. Die nun zu Ende gehende Dekade ist der Inbegriff dieser Veränderungen.

Drei Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen uns, wie eine Verbesserung der Welt möglich ist, in stetigem Wandel statt in ruckartigen Umstürzen.

Der wichtigste Indikator dieser beständigen positiven Veränderung während der letzten zehn Jahre ist der weltweite Rückgang der extremen Armut. Während 1990 noch 36% der Menschheit in extremer Armut lebten, waren es zu Beginn der Dekade schon nur noch 10%. Und 2018 fiel der Anteil der extrem armen Menschen nach Berechnungen der Weltbank auf 8,6%. Weil sich relative Zahlen so abstrakt anhören, kann man es auch so ausdrücken: In den letzten zehn Jahren entkamen 158.000 Menschen der extremen Armut – und das jeden Tag.

Eine zweite Entwicklung, die mit dem Entkommen aus der Armut eng zusammenhängt, aber häufig missachtet wird, ist der Anstieg der Lebenserwartung: laut dem Ökonomen Max Roser ist das der wichtigste Indikator für die Gesundheit eines Volkes. Während 2010 der durchschnittliche Erdenbürger nur 69,9 Jahre alt wurde, wurde er 2018 schon 72,4 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung während der letzten zehn Jahre steigerte sich also jeden Tag um ca. 7 Stunden.

Eine Steigerung der Lebenserwartung ist aber kaum möglich ohne eine Reduzierung der Kindersterblichkeit. Während die Welt 2010 noch den Tod von 51 von 1000 Kindern unter fünf Jahren beklagen musste, waren es 2018 nur noch 28 Kinder. Fast ein Drittel weniger Kinder unter fünf Jahren sterben im Vergleich zu vor zehn Jahren unter den Augen ihrer Eltern. Insgesamt, das zeigen die Untersuchungen des Autors Johan Norberg, wurde so der Tod von mehr als zwei Millionen Kindern in der letzten Dekade verhindert. Zudem ermöglicht die Parallelentwicklung von Kindersterblichkeit und Lebenserwartung, dass im Jahr 2020 mehr Kinder ihre Großeltern kennenlernen werden als in jedem Jahrzehnt zuvor.

Natürlich bleibt die Enttäuschung auch am Ende dieses Jahrzehnts, dass es noch extreme Armut auf der Welt gibt, dass die Lebenserwartung in Äthiopien niedriger ist als bei uns in Deutschland und die Kinder in Dhaka wahrscheinlich eher sterben als die Kinder im Prenzlauer Berg in Berlin. Der Fokus auf diese Untergangsszenarien verstellt jedoch den Blick die großen Fortschritte, die wir (insbesondere) in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Und zwar hauptsächlich in den benachteiligten Gegenden dieser Erde.

Diese Entwicklungen zeigen, dass Menschen weder dekadent noch faul geworden sind, sich nicht in den Fatalismus fliehen oder den Erfolg in der Revolution suchen. Kluge Reformen in China, Indien und Äthiopien haben dazu geführt, dass man Menschen die Freiheit gibt, Probleme vor Ort Schritt für Schritt zu lösen. Das Ergebnis ist die wohlhabendste und gerechteste Welt, in der Menschen je gelebt haben.

Wenn ich also einen Vorsatz für das kommende Jahrzehnt vorschlagen darf: Die letzten zehn Jahre Menschheitsgeschichte haben phänomenale Fortschritte gezeigt und die meisten Untergangsszenarien von Ressourcenknappheit bis Überbevölkerung ad absurdum geführt. Das heißt, wir sollten den großen Entwürfen der Untergangs-Propheten misstrauen lernen. Den Menschen hingegen sollten wir vertrauen, dass es ihnen gelingt, weitere Verbesserungen anzuschieben, indem sie ihr lokales Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen nutzen. Das bedeutet bei Weitem nicht, dass Fehler und Probleme von der Politik ignoriert werden sollten. Vielmehr sollte sich die Politik in der nächsten Dekade die Eigenschaft des Menschen zu eigen machen, Probleme zu erkennen und zu lösen. Dafür brauchen die Menschen aber die nötige Beinfreiheit, die Dinge anpacken und besser machen zu dürfen. Denn die Untergangspropheten werden auch in den 20er Jahren wieder Hochkonjunktur haben und wir brauchen freie, anpackende Menschen, die sich ihnen mit Lösungsorientierung und Kreativität entgegenstellen können.

Photo: Andy Montgomery from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Benedikt Schmal, Student von Economics am University College of Dublin.

Je stärker die abschreckende Wirkung, desto höher ist die Gefahr, dass MiFID II dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erweist, indem der höhere Aufwand für Anbieter und Kunden die Anzahl zu schützender Verbraucher reduziert. Auch für Regulierungen gilt: Viel hilft nicht immer viel.

Die aktualisierte EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, auf Englisch kurz MiFID II, soll Verbraucher besser schützen. Neben der Anpassung regulatorischer Fragen im Hintergrund geht es der EU in Bezug auf Privatkunden darum, den „Anlegerschutz durch ein Annahmeverbot für Provisionen, den Schutz unabhängiger Beratung, die Einführung neuer Vorschriften zur Produktüberwachung“ zu verbessern. Die Intention scheint plausibel. Auch unter Anlageberatern gab und gibt es schwarze Schafe. Doch nicht immer ist ‚gut gemeint‘ auch gut für den Verbraucher. Während sich Finanzdienstleister in Reaktion auf die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland seit 2018 durch eine aufwendige Dokumentation rechtlich absichern, erfahren die Kunden nicht zwingend eine bessere Beratung. Sie werden durch die umfassende Dokumentation möglicherweise gar von der Geldanlage abgeschreckt.

MiFID II – Das ist neu in der Finanzberatung

MiFID II hat das Privatkundengeschäft deutlich verändert. Einerseits müssen Berater anfallende Kosten eines Wertpapiergeschäfts im Vorfeld umfassend offenlegen, inklusive Gebühren und etwaiger Abschlussprovisionen. Das schafft Transparenz und verstärkt potentiell den gebührensenkenden Wettbewerb unter den Anbietern. Andererseits sind die Anforderungen an den eigentlichen Beratungsprozess gestiegen.

In der Geldanlage fand gewissermaßen eine Beweislastumkehr statt. Wie bisher muss der Kunde selbst seine Risikoneigung einschätzen. Allerdings muss der Berater nun prüfen, ob die Risikotoleranz seines Kunden legitim ist. Er muss sicherstellen, dass das zu erwerbende Finanzprodukt zu ihm passt. Neben Finanzerfahrung, Anlagezielen und dem Anlagehorizont muss er auch die finanzielle Gesamtsituation des potenziellen Kunden im Gespräch evaluieren und dessen spezifische Risikotragfähigkeit mit ihm detailliert errechnen. Das Ganze betrifft nicht nur die Gegenüberstellung von Gehalt und Miete. Vom PayTV-Abo bis zum Handyvertrag für die Kinder muss prinzipiell alles aufgelistet werden, was die finanzielle Gesamtsituation und damit die Tragfähigkeit potenzieller Verluste beeinflusst.
Die Beratung muss mit einem sogenannten Geeignetheitsprotokoll abgeschlossen werden. Darin muss der Berater individuell Rechenschaft ablegen, welche Produkte er empfohlen hat und wie sie auf Lebenssituation, Pläne, Erfahrungen und finanzielle Spielräume des jeweiligen Kunden passen.

Jede Kommunikation, die sich um ein Wertpapiergeschäft dreht, muss aufgezeichnet und 5-7 Jahre aufbewahrt werden. Dazu zählt Schriftverkehr ebenso wie Telefonate. Gemäß Artikel 16 (7) der Richtlinie muss die gesamte Tonspur mitgeschnitten werden. Das gilt auch, wenn der Kunde am Ende des Gesprächs keine Wertpapierorder aufgibt. Das Gespräch vor Ort muss nicht mitgeschnitten werden, allerdings muss jeder Wertpapierauftrag protokolliert und dem Kunden auf Wunsch ausgehändigt werden. Jede Empfehlung muss im genannten Geeignetheitsprotokoll erläutert werden.

Zu viele Informationen

Ausgestattet mit Geeignetheitsprotokoll, Verkaufsprospekten und Produktinformationsblättern stehen Kunden reichlich Informationen zur Verfügung. Doch bei Informationen gilt „viel hilft viel“ nicht unbedingt.

Verhaltensökonomen bezeichnen dies als „curse of knowledge“ oder „information overload“. Gerald Spindler (2011) zeigt in einer Analyse von Anlegerschutzgesetzen, dass sich Privatkunden von umfangreichen Erläuterungen eher überfordert als informiert fühlen. Anbieter einer umfangreicheren Aufklärung zu verpflichten, ist zwar gut gemeint, bringt Privatkunden aber oft nichts. Die Menge überfordert Kunden und sie können die Qualität kaum beurteilen. Die umfangreiche Dokumentation erhöht eher die emotionale Schwelle, sich mit der Geldanlage auseinandersetzen. So kann es sich auch mit MiFID II verhalten.

Zu viel Aufwand

In der Marketingforschung spielt die sogenannte „transaction inconvenience“ beim Onlineshopping eine große Rolle. Melek Erdil (2018) hat zahlreiche Studien zusammengetragen, die einen komplizierten und unbequemen Kaufprozess als Abbruchgrund für Onlinekäufe anführen. Es liegt nahe, dass es sich bei Bankgeschäften ähnlich verhält. Wird die Eröffnung eines Wertpapierdepots durch MiFID II langwieriger, dürften unter sonst gleichen Bedingungen mehr Kunden aufgeben, bevor ein Depot eröffnet ist.

Auch bei der physischen Kontoeröffnung müssen Kunden oft mehr Zeit einplanen. Die Deutsche Bank schätzt, dass sich die Gesprächsdauer für ein Wertpapierdepot von 45 Minuten auf anderthalb bis zwei Stunden verdoppelt hat. Wer beim Berater im Büro sitzt, wird kaum zwischendurch aufstehen und gehen. Doch wenn der Termin vorab vereinbart werden soll, führt ein langer Termin womöglich eher zur Absage als ein kurzer.

Zu viel Gewicht auf Risiken

Verhaltensökonomische Forschung hat gezeigt, dass Menschen Verluste ungleich höher gewichten als Gewinne in äquivalenter Höhe, kurzfristige Ereignisse in der unmittelbaren Zukunft höher gewichten als weiter in der Zukunft liegende und den Effekt langfristigen Sparens, den Zinseszins, unterschätzen.

Angesichts dieser Verhaltsweisen, ist zu erwarten, dass MiFID II Anleger eher abschreckt und somit Vorteile einer vorausschauenden Altersvorsorge vereitelt. Denn durch MiFID II nehmen die kurzfristigen Unannehmlichkeiten bei der Finanzplanung zu. Zugleich werden in der Beratung die möglichen Verluste stärker betont, während die von den Kunden bereits oft vernachlässigten und unterschätzten langfristigen Vorteile weiter in den Hintergrund treten.

Kosten und Reaktionen der Banken

Ob MiFID den Verbrauchern Vorteile bringt, ist nicht offensichtlich. Zugleich ist sicher, dass die MiFID-Umsetzung zu zusätzlichem Ressourceneinsatz auf Seiten der Banken geführt hat, die sich in höheren Gebühren für ihre Kunden niederschlagen können.

Banken haben auf MiFID II auch reagiert, indem sie ihr Produktportfolio reduziert und vor allem einfache, klassische Produkte wie Anleihen und Aktien aus dem Vertrieb genommen haben. Allein die Direktbank ING nahm als Reaktion auf MiFID II rund 80.000 (sic) Finanzprodukte aus dem Sortiment. Andere große Internetbanken handhabten es ähnlich. Das reduziert die Auswahlmöglichkeiten insbesondere für die Kunden, die sich mit einem Wechsel der Bank schwertun. Eine geringere Bandbreite an Produktion sorgt auch dafür, dass den individuellen Wünschen der Anleger schlechter entsprochen werden kann. Das war mit MiFID II sicher nicht intendiert.

Außer Spesen nichts gewesen?

Die MiFID II-Richtlinie war gewiss gut gemeint. Privatleute sind keine Anlageprofis und verhalten sich auch nicht so. Darauf soll die Richtlinie eingehen und sie bei der Geldanlage besser schützen.

Abgesehen von den Offenlegungspflichten bei Gebühren und Provisionen ist die schützende Wirkung der Richtlinie jedoch ungewiss. Zusätzliche Auskunftspflichten und mehr Informationsmaterial führen nicht zwingend zu einer besseren Beratung und können Kunden eher abschrecken als sie aufzuklären.

Je stärker die abschreckende Wirkung, desto höher ist die Gefahr, dass MiFID II dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erweist, indem der höhere Aufwand für Anbieter und Kunden die Anzahl zu schützender Verbraucher reduziert. Auch für Regulierungen gilt: Viel hilft nicht immer viel.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Allie_Caulfield from Flickr (CC BY 2.0)

Wie lösen wir als Gesellschaft Herausforderungen und erreichen Wandel? Leider mutieren viele Menschen allzu häufig zum stumpfen Homo Oeconomicus – und machen es sich damit viel zu einfach.

Weihnachtliche Politikromantik

Sie kennen das: Beim familiären (Vor-)Weihnachtstreffen kommt das Gespräch früher oder später, gewollt oder ungewollt, aufs Politische. Der ein oder andere mag sich nun in weiser Voraussicht oder gelangweilt hinter seinem Christstollen verstecken. Doch die Diskussion geht trotzdem auf, wie ein guter Panettone. Verwundert reibt man sich die Augen, wie bloß alles soweit kommen konnte. Die Themen wandeln sich über die Jahre, der Tenor bleibt gleich: Es ist doch eigentlich alles so einfach – wie kann die Politik das bloß so dermaßen vermasseln. Flüchtlingskrise, Dieselkrise, Klimakrise – man müsste die Bürger nur einfach mal dazu bringen, endlich das Richtige tun. Also einigt man sich nach langem Abwägen persönlicher Erfahrungen darauf: Der Sprit muss mindestens (!) 70 Cent pro Liter teurer werden, dann hören die Leute endlich auf, so viel mit dem Auto herumzufahren. Zufrieden über den erzielten Kompromiss und fassungslos über die Dummheit der Politik, steigen sodann alle einzeln in Ihre PKW und brausen davon. Moment…

Auf einmal mutieren wir alle zum stumpfen Homo Oeconomicus

Die Volkswirtschaftslehre musste sich in den vergangenen Jahren viel vorhalten lassen. Weder hat sie die globale Finanz- und Währungskrise der ausgehenden 2000er vorhergesehen, noch hat sie die eine gute Lösung zur globalen Internalisierung von Schadstoff-Emissionen parat. Und überhaupt: Der wirtschaftswissenschaftliche Blick auf die Welt gilt als gefühlskalt und vor allem realitätsfern. Insbesondere Letzteres hat viel mit dem dominanten Model zur Analyse menschlicher Entscheidungen der letzten 50 Jahre zu tun: der Theorie der rationalen Entscheidung, zu Englisch Rational Choice Theory (RCT). Die RCT hat viele und gute Ausprägungen, die wohl bekannteste und simpelste ist jene des Homo Oeconomicus. Kurz gesagt ist der Homo Oeconomicus in seiner Reinform ein rücksichtsloser Nutzenmaximier der Kategorie „Geiz ist geil!“. Rational wägt er Kosten und Nutzen aller zu Verfügung stehenden Entscheidungsoptionen ab und entscheidet sich für diejenige, die seinen persönlichen monetären Nutzen maximiert.

Wohl kaum einer der Beteiligten am weihnachtlichen Kaffeetisch würde sich als Homo Oeconomicus identifizieren. Doch wie selbstverständlich gehen alle davon aus, dass Verhaltensänderungen nur über den Preis zu erreichen sind – auch bei sich selbst. Sinngemäß: Wenn ich an der Tankstelle 70 Cent pro Liter mehr zahlen müsste, dann, ja dann würde ich auch Fahrrad fahren. Sicher, der Preis hat eine wichtige Lenkungswirkung. Mindestens genauso wichtig für die persönliche Entscheidungsfindung sind allerdings auch unsere eigenen Überzeugungen. Und das ist der Punkt, an dem wir eigentlich für einen Moment die Fassung verlieren sollten. Warum brauchen wir ein machtvolles aber ineffizientes Geld- und Meinungsumverteilungsinstrument, das uns durch das Setzen von Anreizen dazu bringen soll, das auch zu tun, was wir ohnehin für richtig halten?

Die Marktwirtschaft bietet uns die Möglichkeit, der Mensch zu sein, der wir sein wollen

„Dann tu es doch! Fang damit an. Sei ein Vorbild für deine Ideale!“ Das möchte man den politischen Hobbyarchitekten manchmal gerne laut und deutlich entgegenrufen. Es ist großartig, dass so viele Menschen sich nicht einfach mit der Situation zufriedengeben und etwas ändern wollen. Und wir leben in einer Welt, in der dies den meisten sogar möglich ist. Aber doch bitte nicht mit dem Staat als Vehikel der eigenen Interessendurchsetzung! Wir teilen doch bereits mit jeder Konsumentscheidung unsere Haltung zur Welt laut und deutlich mit. Insofern ist der Markt eine permanente, andauernde und hyperdemokratische Form des sozialen Zusammenlebens. Wer das Klima retten möchte, kann ins Fair-Trade-Kaffee gehen, Fahrrad und Bahn fahren und Vegetarier werden. Wer die Armut bekämpfen möchte, kann spenden oder am besten gleich eine eigene Hilfsinitiative starten. Und wer die Umwelt bewahren möchte, kann freiwillig Müll sammeln oder eben Kröten umsiedeln.

Und ja: Das kostet Geld! Bahnfahren ist häufig teurer als Autofahren. Aber wir sind (hoffentlich) eben keine abgestumpften Nutzenmaximierer, die ausschließlich aufs Geld schauen und wie Roboter erst unseren Überzeugungen folgen, wenn es sich auch direkt monetär lohnt. Natürlich kostet es Geld, eine ganze Volkswirtschaft auf Elektromobilität und Windräder umzustellen – doch wenn man das will, dann muss man nicht auf den Staat warten, der in bester Batman-Manier daherkommt und einen auf den rechten Pfad führt. Entweder, wir setzen uns für unsere Ideale ein (sei es mit Zeit oder mit Geld), oder wir sind so ehrlich, dass uns der Cocktail auf Mallorca am Ende eben doch wichtiger ist als unsere klimapolitischen Überzeugungen.

Der Liberale ist Individualist und kein stumpfer Nutzenmaximier

Am Ende sollte gerade der Liberale skeptisch sein, wenn der Homo Oeconomicus Einzug in die politische Debatte hält. So wusste bereits Ludwig von Mises:

Es ist auch den klassischen Ökonomen nicht entgangen, dass das Individuum nicht immer den Prinzipien des Unternehmers treu bleibt, dass es nicht allwissend ist, dass es irren kann und dass es unter bestimmten Bedingungen sogar seinen Komfort einer gewinnbringenden Unternehmung vorzieht.
(Ludwig von Mises, „Epistemological Problems of Economics“ 1960)

Als sozialwissenschaftliche Methode, erweist sich RCT häufig als gewinnbringend. Vor allem dann, wenn auch „weiche“ kulturelle und andere non-monetäre Präferenzen mit einbezogen werden. In der politischen Debatte jedoch ist der Rückzug darauf toxisch. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir versuchen, die Gesellschaft wie in der Augsburger Puppenkiste anhand von Preisänderungen in die oder die andere Richtig zu dirigieren. Viel nachhaltiger ist es, wenn wir für unsere Überzeugungen einstehen, mit gutem Vorbild vorangehen und in der Debatte unsere Mitmenschen von unseren Ideen zu überzeugen versuchen.

Photo: Austin Distel from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

David Graebers These von den Bullshit-Jobs findet viel Anklang, adressiert sie doch weit verbreitete Vorurteile von der vermeintlichen Nutzlosigkeit gut bezahlter Berufe im Dienstleistungssektor, etwa im Marketing, Management oder in der Beratung. Es ist indes wenig plausibel, dass sich in einer auf freiwilliger Kooperation basierenden Marktwirtschaft dauerhaft 50 % der Arbeitnehmer unproduktiven Tätigkeiten widmen.

Nachdem der Philosoph Harry Frankfurt den Begriff Bullshit durch ein kurzes Buch in den 2000er Jahren salonfähig machte, stellte der Anthropologe David Graeber in seinem 2018 veröffentlichten Bestseller die These auf, dass etwa die Hälfte der Arbeitsverhältnisse in westlichen Volkswirtschaften „Bullshit-Jobs“ sind – Tätigkeiten, die keinerlei Nutzen für die Gesellschaft haben und deren Sinn selbst den ausführenden Arbeitnehmern unklar ist. Graebers These findet viel Anklang, adressiert sie doch weit verbreitete Vorurteile von der vermeintlichen Nutzlosigkeit gut bezahlter Berufe im Dienstleistungssektor, etwa im Marketing, Management oder in der Beratung.

Es ist indes wenig plausibel, dass sich in einer auf freiwilliger Kooperation basierenden Marktwirtschaft dauerhaft 50 % der Arbeitnehmer unproduktiven Tätigkeiten widmen. Die hohen Personalkosten derart ineffizient wirtschaftender Unternehmen würden sich in hohen Preisen für ihre Produkte widerspiegeln. Konsumenten hätten einen Anreiz, zu effizienter wirtschaftenden Wettbewerbern zu wechseln, die ihre Produkte durch weniger „Bullshit-Beschäftigte“ günstiger anbieten können. Das heißt nicht, dass es gar keine „Bullshit-Jobs“ gibt. Sie sind jedoch vermutlich insgesamt deutlich seltener und vermehrt in Branchen zu erwarten, in denen Konsumenten keine Möglichkeit haben, ineffiziente Anbieter durch ihre Kaufentscheidungen aus dem Markt ausscheiden zu lassen.

Graebers Diagnose: 50 % „Bullshit-Jobs“

„Bullshit-Jobs“ definiert Graeber nicht auf Basis objektiver Kriterien, sondern anhand der Selbsteinschätzung des Nutzens einer Tätigkeit durch Arbeitnehmer. Graeber führt Umfragen an, denen zufolge in Großbritannien und den Niederlanden rund 40 % der befragten Arbeitnehmer der Auffassung sind, mit ihrer Tätigkeit „keinen sinnvollen Beitrag für die Welt zu liefern“.

Diese Auskünfte würden, so Graeber, das tatsächliche Ausmaß unproduktiver Beschäftigung allerdings unterschätzen, da einige oberflächlich nützliche Tätigkeiten lediglich der Zuarbeit sinnloser Tätigkeiten dienten, beispielsweise im Fall von Sushi-Zulieferern für Unternehmensanwälte, Wachpersonal in Verwaltungskomplexen oder Taxifahrern für Lobbyisten. Dazu käme, dass viele grundsätzlich nützliche Tätigkeiten mit unnützen Aufgaben überlagert würden – beispielsweise, wenn Ärzte 50 % ihrer Zeit mit unsinnigen Dokumentationen verbringen. Alles in allem seien rund 50 % der Arbeitsverhältnisse in den Marktwirtschaften des Westens unproduktiver, nutzloser „Bullshit“.

Marktwirtschaft: Massive Zeitverschwendung?

Graebers zynisches Fazit: John Maynard Keynes‘ 1930 geäußerte Prognose, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Zukunft nur noch rund 15 Stunden pro Woche arbeiten müsse, sei durchaus eingetroffen. Nur würden diese 15 produktiven Stunden durch 15 weitere unproduktive Stunden ergänzt. Wo Keynes hoffnungsvoll auf die Effizienz der Marktwirtschaft setzte, fürchtet Graeber die zunehmende Verbreitung unproduktiver Erwerbsarbeit. Er bietet drei Erklärungsansätze an:

Erstens herrsche auf Ebene einzelner Unternehmen ein „Manager-Feudalismus“, sodass Effizienzgewinne nicht vollständig in Profite und Investitionen übersetzt würden, sondern in den Aufbau eines „Hofstaats“ unproduktiver „Lakaien“ flössen, der Prestige und Macht symbolisiert.

Zweitens dienten „Bullshit-Jobs“ auf politischer Ebene den Machthabern zur Wahrung des sozialen Friedens. Wer in angenehmen Bürojobs beschäftigt ist, hinterfragt die Wirtschaftsordnung nicht, selbst wenn seine Tätigkeit unnütz ist.

Drittens gäbe es eine tief verwurzelte Arbeitsethik, der zufolge selbst nutzlose reguläre Arbeitsverhältnisse mehr Legitimität stiften würden als Arbeitslosigkeit.

Unproduktive Beschäftigung: Ein Wettbewerbsnachteil

Unbeantwortet bleibt die Frage, wie unproduktive Beschäftigungsverhältnisse massiven Ausmaßes in einer wettbewerblichen Wirtschaftsordnung dauerhaft Bestand haben können. Unternehmen, die wenig erfolgreich sind, entsprechend der Wünsche der Konsumenten zu niedrigen Kosten zu produzieren, scheiden mittelfristig aus dem Markt aus.

Manager einzelner Unternehmen mögen sich den Aufbau eines eigenen „Hofstaats“ zwar wünschen, doch es ist nicht zu erwarten, dass Unternehmenseigner oder Konsumenten diese Wünsche durch geringere Profite oder höherer Preise zu finanzieren bereit sind. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass Unternehmenseigner erfolgreich Kartelle zum Zwecke dauerhaft unproduktiver Produktion bilden, selbst wenn dies ihren politischen Zielen dienen mag.

Gewiss, auch in wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnungen gibt es Raum für Verschwendung und Ineffizienz, etwa aufgrund von Prinzipal-Agenten-Problemen, Informationsasymmetrie oder Statuswettbewerb. Dass dies zur Entstehung unproduktiver Beschäftigungsverhältnisse in Größenordnungen von 50 % führt, ist jedoch nicht plausibel.

Spezialisierung bedeutet nicht Sinnlosigkeit

Graebers theoretische Argumente mögen wenig überzeugend sein, doch illustriert die Tatsache, dass rund 40 % der Arbeitnehmer ihre Jobs für nutzlos halten, nicht dennoch ein tief verankertes Problem?

Eher nicht. Entgegen Graebers Vorstellungen ist es nicht plausibel, dass Außenstehende oder Arbeitnehmer den Nutzen gewisser Tätigkeiten angemessen einordnen können. In komplexen arbeitsteiligen Gesellschaften entstehen hochspezialisierte Berufsbilder, die im Rahmen der Produktion einer klar definierbaren Ware oder Dienstleistung nur einen Bruchteil beisteuern. Einem klassischen Schuster, der ausgestattet mit den notwendigen Materialien und Werkzeugen einen Schuh von A bis Z selbst herstellt, erschließt sich der Sinn seiner Tätigkeit intuitiv. Einem Marketingmitarbeiter eines großen Schuhherstellers fällt es möglicherweise schwerer, den Beitrag seiner Arbeit in der Wertschöpfungskette zu erkennen.

Das maßgebliche Kriterium für den Nutzen einer Tätigkeit ist in einer auf Kooperation ausgelegten Gesellschaft jedoch nicht die eigene Einschätzung, sondern die Zahlungsbereitschaft der Mitmenschen. Konsumenten bewerten dabei nicht die Leistung jeder einzelnen in der Wertschöpfungskette beteiligten Person, sondern wählen aus von Unternehmen angebotenen Bündeln spezifischer Leistungen aus. Insofern die Leistungen eines Marketingmitarbeiters in der Schuhproduktion aus der Perspektive der Konsumenten nutzlos sind, werden sie die Schuhe jener Unternehmen bevorzugen, die auf solchen „Bullshit“ verzichten und daher Schuhe zu einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten können.

Mittel gegen „Bullshit-Jobs“: Konsumenten-Feedback stärken

Auf Märkten in Branchen, die für neue Anbieter offen sind und den Konsumenten eine reiche Entscheidungsfreiheit bieten, spricht wenig für die Verbreitung von „Bullshit-Jobs“. Vermutlich treten sie dagegen häufiger in Bereichen auf, in denen die Konsumenten als finale Finanzierer einer Tätigkeit nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage sind, durch den Entzug ihrer Zahlungsbereitschaft Feedback an Produzenten zu senden, das diese in Form von schwindenden Gewinnen und steigenden Verlusten zu spüren bekommen.

Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Zwangsfinanzierung, starke Regulierung oder Monopole einzelne Unternehmen vom Wettbewerb abschirmen und diese in die Lage versetzen, die Kosten unproduktiven „Bullshits“ an die Konsumenten weiterzugeben. Das Antidot ist die Öffnung dieser Branchen für den Wettbewerb.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Photocapy from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Was haben Estland und Frankreich gemeinsam? Sie sind beide Spitze. Estland im positiven Sinne und Frankreich im negativen. Unter 36 OECD-Staaten nehmen diese beiden Staaten die extremen Positionen auf dem Index der internationalen Steuerwettbewerbsfähigkeit ein, der diese Woche von Tax Foundation und Prometheus – Das Freiheitsinstitut, in den Räumen der Stiftung Familienunternehmen am Brandenburger Tor in Berlin vorgestellt wurde. Zumindest in der Steuerpolitik relativieren sich daher die aktuell in Deutschland verbreitenden Meldungen, Frankreich sei der neue Motor in Europa. Das Gegenteil ist der Fall.

In Europa herrscht ein Nord-Süd-Gefälle der Wettbewerbsfähigkeit der Steuersysteme. Das kennen wir nicht nur in diesem Bereich. Auch in der Eurokrise wurde deutlich, dass sie im Wesentlichen eine Krise mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der Südstaaten in Europa war und ist. Neben dem Steuersystem war dies am Arbeitsmarkt und in der Staatstätigkeit zu sehen. Die Folge ist, dass es in einem einheitlichen Währungssystem zu schmerzhaften Anpassungsprozessen oder zur Kollektivierung der Risiken kommt. Letztes findet seit 2010 statt, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

Im Steuerwettbewerbsindex sind neben Frankreich (Platz 36), auch Italien (Platz 34), Portugal (Platz 33) und Griechenland (Platz 30) besonders schlecht positioniert. Dagegen sind sämtliche baltischen Staaten unter den Top 5, gefolgt von Schweden auf Platz 8 und den Niederlanden auf Platz 9.

Deutschland belegt im Index Platz 16. Diesen Mittelplatz verdankt Deutschland insbesondere der Tatsache, dass es bei der Besteuerung von im Ausland erzielten Gewinnen vergleichbar gut dasteht, da es als Exportnation mit 96 Ländern ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Und auch bei den Verbrauchsteuern greift der Fiskus im Vergleich zu anderen Staaten moderat zu. Dennoch ist Deutschland insgesamt einen Platz schlechter als zu Beginn der Legislaturperiode. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Deutschland im Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer inzwischen abstiegsgefährdet ist. Hier ist Deutschland näher bei Frankreich (Platz 35) als bei Estland (Platz 1 bzw. 2). Deutschland liegt hier jeweils auf Platz 26. Deutschland ist daher im Vergleich mehr Frankreich als Estland.

Schon deshalb ist der Handlungsbedarf groß. Mit einer Steuerquote, also dem Anteil der Steuern an der Wirtschaftskraft des Landes, von  23,6 Prozent hat Deutschland die höchste Quote seit mindestens 20 Jahren. Immer mehr Steuern werden Bürgern und Unternehmen aus der Tasche gezogen. Heute zahlt ein Arbeitnehmer den Spitzensteuersatz, wenn er das 1,3-fache des Durchschnittseinkommens verdient. 1965 war es noch das 15-fache. Daher ist es auch kein Wunder, dass die Steuereinnahmen in den nächsten 5 Jahren noch einmal voraussichtlich um 395 Milliarden Euro ansteigen werden.

Unternehmen werden in Deutschland mit dem fünfthöchsten Steuersatz aller OECD-Staaten besteuert. Und sie benötigen mit durchschnittlich 134 Stunden im Jahr am drittlängsten in der OECD, um die Steuer abzuführen.

Wenn Deutschland als Investitionsstandort steuerlich wieder attraktiv werden soll, dann darf man den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern muss das Steuerrecht vereinfachen und Bürger und Unternehmen entlasten.

Vielleicht sollten wir in Deutschland nach Estland schauen. Das kleine baltische Land ist für Unternehmensinvestitionen nicht nur deshalb so attraktiv, weil der Steuersatz von 20 Prozent besonders niedrig ist, sondern auch, weil dieser nur für ausgeschüttete Gewinne und auch für die persönliche Einkommensteuer gilt. Einbehaltene Gewinne sind hingegen steuerfrei und können für Investitionen genutzt werden. Ein linearer Steuersatz für alle, für Unternehmen und Bürger, vereinfacht das Steuersystem enorm. Leider hat die Komplexität jedoch hierzulande System. Friedrich August von Hayek beschrieb das einmal so: „Es ist wahrscheinlich, dass die gesamte Komplexität der Steuerstruktur, die wir errichtet haben, weitgehend das Resultat der Bemühungen ist, die Bürger dazu zu überreden, der Regierung mehr zu geben, als wozu sie bei voller Faktenkenntnis bereit wären.“