Photo: Septikphoto from Flickr (CC BY 2.0)

Heute endet das Weltwirtschaftsforum in Davos und eine Schlagzeile titelt: weltweit verlieren die Menschen das Vertrauen in den Kapitalismus. 56% der Menschen weltweit vertrauen nicht mehr darauf, dass der „Kapitalismus wie er heutzutage existiert in der Welt mehr Gutes als Schaden anrichtet.“ Die Studie der Kommunikationsagentur Edelman, die mittlerweile zum zwanzigsten Mal erschien und weltweit auf allen Kontinenten mehr als 34.000 Menschen befragt hat, zeichnet mit diesem Befund ein düsteres Bild der Wahrnehmung des Kapitalismus.

Während sich das Statement gut in den Schlagzeilen der Medienhäuser macht, darf gezweifelt werden, was im Edelman Trust Barometer eigentlich gemessen wurde. Denn mangelndes Vertrauen der Bürger in den Kapitalismus unterstellt natürlich auch mangelndes Vertrauen in die Grundlagen der liberalen Wirtschaftsordnung: dezentrale politische Organisation, Güterproduktion und Arbeitsverhältnisse durch private Unternehmen sowie eine starke Kontrolle von Staat und privaten Akteuren durch eine lebendige Zivilgesellschaft. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Befragten dem, was sie unter Kapitalismus verstehen, zwar sehr skeptisch gegenüberstehen, den drei entscheidenden Grundpfeilern der liberalen Wirtschaftsordnung aber sehr viel Vertrauen entgegenbringen.

Eine dezentrale politische Ordnung wird aus zwei Gründen einer zentralistischen Ordnung vorgezogen: Zum einen ist Sorge gegenüber der Machtkonzentration in einem Zentralstaat angebracht. Wenn dieser seine Macht missbraucht, kann der Staat nur unter enorm hohen Kosten verlassen werden. Ein Föderalstaat bietet mehr Möglichkeiten, sich innerhalb von vielen kleinen Einheiten diejenige auszusuchen, die einem am besten gefällt. Zum anderen wissen Regierungen in Hannover und Wiesbaden eher Bescheid, was Ihre Bürger brauchen, wollen und sich leisten können, als eine Regierung in Berlin oder Brüssel. Diese Argumente bestätigen sich im Trust Barometer, wenn man die Vertrauenswerte lokaler Regierungen, mit denen der zentralen Regierung vergleicht. In 18 von 24 Ländern vertrauen Menschen ihren lokalen Regierungen mehr als der weit entfernten Zentralregierung. In Deutschland vertrauen 54% der Befragten den Landesregierungen, während nur 45% der Bundesregierung Vertrauen schenken.

Neben Regierungen als gesellschaftlichen Institutionen analysiert Edelman auch das Vertrauen der Bürger in zwei weitere gesellschaftlichen Institutionen: private Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Gesellschaftliches Vertrauen für eine Institution speist sich aus Kompetenz und Ethik. Dabei bedeutet Kompetenz, dass eine Institution gut ist, in dem was sie tut. Ethik wiederherum bedeutet, dass eine Institution idealistisch, ehrlich und fair ist. Während viele Zentralregierungen weder als kompetent noch als ethisch eingeschätzt werden, können die privaten Unternehmen mit Kompetenz punkten: Eine Mehrheit der Bürger weltweit vertraut auf Unternehmen als Motor für Innovationen und zukünftige ökonomische Entwicklung. Zudem erwarten 74% aller Bürger, dass sich CEOs von großen Unternehmen vermehrt für Wandel einsetzen werden – sowohl durch ihre Produkte als auch durch ihre Vorbildfunktion. Ganz besonders deutlich wird die überraschend positiv bewertete Rolle privater Unternehmen, wenn die Befragten nicht mehr allgemein über ihr Vertrauen zu allen Unternehmen gefragt werden, sondern zu ihrem eigenen bzw. demjenigen, bei dem sie angestellt sind. Ähnlich wie bei der Frage nach (de-)zentralen Regierungen, vertrauen Arbeitnehmer ihrem eigenen Arbeitgeber mit starken 76%.

Während die gesellschaftliche Institution des privaten Unternehmertums als kompetente Institution auftrumpft, zeigt das Trust Barometer auch, wie NGOs als die moralische Kraft im gesellschaftlichen Diskurs wahrgenommen werden. Während Regierungen und Unternehmen nicht zugetraut wird, sich für moralische Fragen einzusetzen, vertrauen Bürger darauf, dass NGOs am kompetentesten für den Schutz der Umwelt eintreten, sich für den Schutz von Menschenrechten einsetzen und sich gegen Armut, Analphabetismus und schwere Krankheiten engagieren.

Skepsis gegenüber den Versprechen einer zentralen Regierung, Vertrauen auf die Kompetenz des privaten Unternehmertums und die moralische Integrität einer vielfältigen Zivilgesellschaft und zugleich überwältigendes Misstrauen gegenüber dem Kapitalismus: Wie kann das zusammenpassen?

Das Trust Barometer zeigt eindeutig, dass der Begriff Kapitalismus mittlerweile für viele Menschen einfach nicht mehr die Grundpfeiler einer liberalen Wirtschaftsordnung beschreibt, denen sie immer noch vertrauen. Anders als während des Kalten Krieges steht der Begriff Kapitalismus nicht mehr für die positiven Errungenschaften des Westens – Machtverteilung, Privateigentum und bürgerschaftliches Engagement. Er steht für einen Staat, der mehr und mehr Macht über das Wirtschaftsgeschehen übernommen hat. Diese Macht haben „crony capitalists“ – Korporatisten – für sich entdeckt und setzen alle Hebel in Bewegung um sie zu beeinflussen.

Kapitalismus steht für VW, Banken und Pharma. Er steht nicht mehr für den Aufstieg von hunderten Millionen Menschen aus der extremen Armut in den letzten 30 Jahren, sondern für Politiker und Konzernlenker, die vor verschneiten Bergen stehen und sich zur nächsten Runde von Subventionen und Kungelei beglückwünschen.

Deshalb sollten wir keine Schnellschüsse aus der Kapitalismusskepsis ziehen. Die Daten aus der Edelman Studie geben uns Hoffnung, dass die Grundpfeiler der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weiterhin großes Vertrauen in der Gesellschaft genießen – nur wird dieses Set an Werten und Institutionen eben nicht mehr durch den Begriff Kapitalismus beschrieben.

Photo: Milo Winter from Wikimedia Commons (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Im Jahr 2018 hielten nur etwa 16 Prozent der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre Aktien, direkt oder indirekt über Fonds. Aktien eignen sich allerdings für den Aufbau von Beteiligungsvermögen gerade bei geringem Anlageumfang deutlich besser als Immobilien.

Regelmäßig wird über das niedrige Medianvermögen deutscher Haushalte berichtet: „Die meisten Deutschen besitzen weniger als andere Europäer.“ In die Vergleiche werden Ansprüche aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und andere Rentenansprüche allerdings in der Regel nicht aufgenommen. Werden diese Ansprüche mit berücksichtigt, ergibt sich ein positiveres Bild. Rentenansprüche haben aber erhebliche Nachteile. Sie sind weniger flexibel und weniger renditestark als Beteiligungsvermögen in Form von Immobilien und Aktien. Wie durch Reformen der Regelungen zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge mehr Haushalte Beteiligungsvermögen aufbauen können, das vielseitig einsetzbar ist, diskutieren wir in einem neuen IREF Policy Paper.

Beteiligungsvermögen: hohe Rendite

Beteiligungsvermögen ist vielseitig einsetzbar. Es kann veräußert, beliehen und vererbt werden. Beteiligungsvermögen zeichnet sich darüber hinaus durch unsicherere Erträge aus als Vermögen in Form von festverzinslichen Wertpapieren, hat aber auch eine höhere erwartete Rendite. Von den meisten Personen kann Beteiligungsvermögen am einfachsten mit Aktien und Immobilien aufgebaut werden. Diese beiden Anlageformen haben sich gemessen an der erzielten Rendite über die letzten 150 Jahre als die attraktivsten erwiesen.

Aktien haben dabei im Vergleich zu eigengenutzten Immobilien gewichtige Vorteile. Erstens geht der Kauf von Aktien mit sehr niedrigen Transaktionskosten einher. Zweitens lässt sich das für selbstgenutzte Immobilien bestehende Klumpenrisiko durch eine breite Streuung des Kapitals auf viele Unternehmen aus vielen Ländern und Industrien umgehen.

In der Schmuddelecke: Aktien

Im Jahr 2018 hielten nur etwa 16 Prozent der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre Aktien, direkt oder indirekt über Fonds. Mit 20 Prozent erreichte der Aktionärsanteil seinen bisherigen Höhepunkt im Jahre 2001. Anschließend ging es bergab. Vom Dotcom-Crash im Jahre 2000 und dem Schock der weltweiten Finanzkrise 2008/09 scheinen sich die Anleger mittlerweile zwar teilweise wieder erholt zu haben. Trotzdem bleibt die Aktionärsquote niedrig.

Der Anteil der Aktieneigner war in der Gruppe der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von über 4.000 Euro mit 31 Prozent am höchsten. Bei Haushalten mit einem Monatsnettoeinkommen von unter 1.000 Euro fiel der Aktienanteil mit 4 Prozent am niedrigsten aus.

Daten aus ausgewählten anderen Ländern zeigen, dass Menschen dort deutlich stärker auf Aktien setzen. Gemäß Umfragen hielten in den USA 55 Prozent der Personen 2018 direkt oder indirekt Aktien.

In Schweden hielten 2018 bereits 18 Prozent der Bevölkerung direkt Aktien. Zudem investiert etwa die Hälfte aller Personen ab 15 Jahre in Schweden über einen vom Staat aufgelegten Fonds, der auch nach Renteneintritt mindestens ein Drittel des Kapitals der Anleger in Aktien investiert.

Für die Schweiz gibt es für die Jahre 2000 bis 2010 solide Schätzungen zum Anteil der Personen, die entweder direkt Aktien oder Anteile von hundertprozentigen Aktienfonds halten. 2010, das letzte Jahr für das Daten erhoben wurden, waren es 17 Prozent. Hinzu kommen allerdings noch zum einen Personen, die Mischfonds halten. Zum anderen Personen, die über Pensionskassen Aktien halten, die ab einem Jahreslohn von 21.330 Schweizer Franken für Arbeitnehmer verbindlich sind und derzeit durchschnittlich über 30 Prozent in Aktien investieren.

Für Großbritannien liegen Analysen für die späten 1990er Jahre vor, die den Anteil der Haushalte, die direkt oder indirekt Aktien besitzen auf etwa ein Drittel schätzen. Es ist anzunehmen, dass die Rate im Hinblick auf Personen heute ähnlich hoch ist. Allein 19 Prozent der Personen in der Altersgruppe zwischen 15 und 65 Jahren sind indirekt über Default-Fonds der betrieblichen Altersvorsorge, NEST („National Employment Savings Trust“), in Aktien investiert. Hinzu kommen Personen, die über die betriebliche Altersvorsorge ebenfalls in Aktienfonds investieren, deren Arbeitgeber aber nicht NEST nutzen, und Personen die Aktien, Aktienfonds oder Mischfonds im Rahmen ihrer privaten Vorsorge nutzen.

Klumpenrisiko Immobilie

Neben Aktien lohnten sich als Anlageobjekt gemessen an der erwirtschafteten Rendite in den vergangenen 150 Jahren vor allem Immobilien. Wohneigentum ist aufgrund des Klumpenrisikos risikoreicher als eine gut diversifizierte Aktienanlage. Das gilt insbesondere, wenn die selbstbewohnte Immobilie einen Großteil des Vermögens einer Person ausmacht. Dennoch könnten Sparer in Deutschland die niedrige Aktionärsquote durch eine hohe Wohneigentümerquote kompensieren, um in den Genuss hoher erwarteter Renditen zu kommen. Ein internationaler Vergleich verdeutlicht jedoch, dass dies nicht der Fall ist.

Der Anteil der Bevölkerung, der 2018 in Deutschland in einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus wohnte, war mit 51,5 Prozent im internationalen Vergleich gering. Unter den OECD-Ländern war die Wohneigentümerquote nur in der Schweiz niedriger, wo allerdings die Quote der direkten und indirekten Aktionäre höher ist als in Deutschland.

Wie die Beispiele Schweiz und Rumänien illustrieren ist die Wohneigentumsquote eines Landes kein verlässlicher Indikator des Wohlstands eines Landes. Dennoch trägt die niedrige Wohneigentumsquote in Deutschland zu einem niedrigen mittleren Vermögen der Haushalte bei.

Eine Verringerung der Transaktionskosten beim Hauskauf durch eine Senkung der nicht zu vermeidenden Grunderwerbsteuersätze und Notarkosten wäre wünschenswert. Die hohen Transaktionskosten halten derzeit einige potenzielle Wohnungskäufer vom Eigentumserwerb ab. Für viele Anleger blieben Immobilien jedoch auch bei niedrigeren Kaufnebenkosten weiterhin ungeeignet für den Aufbau eines gut diversifizierten Portfolios von Beteiligungsvermögen.

Aktien für breite Kreise attraktiv

Aktien eignen sich für den Aufbau von Beteiligungsvermögen gerade bei geringem Anlageumfang deutlich besser als Immobilien. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass in Deutschland Beteiligungsvermögen in Form von Aktien bisher nur eine untergeordnete Rolle bei der Vermögensbildung spielt. Wie mit Hilfe der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge mehr Deutsche in den Genuss der Vorzüge von Beteiligungsvermögen kommen könnten, diskutieren wir in einem aktuellen IREF Policy Paper.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Silar from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Beinahe 4 Jahre nach der Wahl Donald Trumps warnt das Weltwirtschaftsforum vor einer zunehmenden Polarisierung der Politik. Doch tatsächlich gibt es nicht zu viel, sondern zu wenig Polarisierung.

Davos macht alles richtig – und alles falsch

In der nächsten Woche treffen sich zum 50. Mal einflussreiche Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Donald Trump und Christine Lagarde. Um den Rahmen für diese durchaus eindrucksvoll besetzte Veranstaltung zu setzen, hat das Weltwirtschaftsforum bereits in dieser Woche den „Global Risk Report“ veröffentlicht. Das Ergebnis: „Der Planet brennt – Klimanotstand und politische Grabenkämpfe wüten“. Mit drastischen Worten warnen die Autoren unter anderem vor einer zunehmenden politischen Polarisierung. Das ist ehrenwert und entspricht dem Zeitgeist. Dennoch machen die Organisatoren alles falsch – und gleichzeitig alles richtig.

4 Jahre nach Tag der Wahl Donald Trumps: Was ist die richtige Antwort?

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA ist nun beinahe vier Jahre her. Und es zeigt sich, dass der Aufstieg von Populisten in Regierungsämter eher ein langfristiges als ein kurzfristiges Problem ist. Moderate, Liberale und Etablierte schauen derweil entsetzt und mehr oder weniger hilflos zu, wie die politische Debatte immer weiter aus den Fugen gerät. Der Alltag ist mittlerweile dermaßen gefüllt mit vormals Unaussprechlichem, dass uns offensichtlich verdrehte Fakten und Hassreden zwar noch zucken lassen, aber schon lange nicht mehr schockieren. Dabei wurde schon so einiges probiert: Auf die anfängliche Fassungslosigkeit folgte Empörung, und Empörung wurde abgelöst von dem Versuch, den Populismus zu rationalisieren. Das Problem sei die politische Polarisierung, so das aktuell herrschende Narrativ, das auch dem Global Risk Report zu Grunde liegt. Und wie so viele einfache Erklärungen ist auch dieses nicht ganz richtig.

Was ist denn falsch an einer harten aber fairen Auseinandersetzung über politische Sachfragen? Warum nicht klar benennen, wo die Unterschiede zwischen SPD und CDU, Labour und Tories, Republikanern und Demokraten liegen? Ist es nicht gerade das Verschwimmen der politische Grenzen, dass den orientierungslosen Wähler in die Arme von so genannten Machern treibt, die auch mal auf den sprichwörtlichen (Stamm)-Tisch hauen? Die kürzlich über Parteigrenzen hinaus stattgefundene Debatte zur Organspende im Bundestag zeigt doch, wie produktiv und erfrischend eine ehrliche und unabhängige Auseinandersetzung zwischen Meinungen sein kann. Nicht die Zugehörigkeit zu einer ideologischen Gruppe gab den Ausschlag für die Entscheidung (wie das Abstimmungsergebnis zeigt), sondern die schlichte Überzeugung. Da stimmten Abgeordnete von Union, SPD, FDP, Grünen, Linken und AfD gemeinsam – für und gegen die eingebrachten Vorschläge.

Nicht Polarisierung ist das Problem, sondern dumpfes Stammesdenken

Im ursprünglichen Sinne bedeutet Polarisierung nichts anderes als die Verstärkung von Meinungsunterschieden. Und in diesem Sinne brauchen wir nicht weniger politische Polarisierung, sondern sogar mehr. Denn der Populismus unserer Zeit ist kein Symptom übermäßiger Polarisierung, er ist mitunter eher eine Folge der Banalisierung von Politik durch vorauseilendes Wegmoderieren politischer Differenzen. Sicher, Moderation ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil von Politik und Regieren – aber sie darf nicht Überhand nehmen und dem Souverän das Gefühl geben, seine Wahlentscheidungen seien vollends unbedeutend. Das nämlich öffnet erst die Türen für all jene Volkstribune, die die immer gleiche Geschichte der entkoppelten Eliten in Parlamenten und Regierungen erzählen.

Dies katapultieren die politische Auseinandersetzung auf eine gänzlich neue Ebene. Es geht nicht mehr um das Für und Wider von Sachentscheidungen. Es geht um das Für und Wider von ganzen Lebenskonzepten. „Wir gegen die“ wird zum Mantra der Politik. Entweder man ist mit jeder Faser gegen „Altparteien“ und „Eliten aus Washington“ oder man gehört dazu. Und leider springen jene, die es doch eigentlich besser wissen sollten, dann auch noch über jedes Stöckchen, das ihnen hingehalten wird: mit Wutreden, persönlicher Verachtung und – und das ist das Schlimmste – ebenso dumpfem Stammesdenken. Wahlentscheidungen werden fortan nicht mehr nach Abwägung der Sachangebote gefällt, sondern nach Gespür. Nicht das Elektorat kontrolliert die Gewählten, sondern die Gewählten diktieren den Wählern was zu ihrem gemeinsamen Lebenskonzept passt und was nicht – ganz wie echte Stammesführer

Wir müssen auf unsere politischen Gegner zugehen

Die Frage nach dem Ausweg bringt uns zu dem, was Davos richtig macht: Davos bringt die Menschen zusammen, unabhängig von ihrer vermeintlichen Stammeszugehörigkeit. Und ja, es ist etwas Gutes mit dem neuen Diktator aus Simbabwe zu sprechen. Und ja, Angela Merkel sollte bei dieser Gelegenheit Donald Trump persönlich offen und trotzdem kritisch in der Sache begegnen. Denn das nimmt den Stammesführern ihren größten Nimbus: ihr selbst gewähltes Außenseitertum. Und es ruft den streitenden Staatenlenkern dieser Welt vielleicht ihre Menschlichkeit in Erinnerung, jenseits aller kulturellen und politischen Dissense.

Doch es muss nicht bei Davos bleiben. Der partielle Rückfall in die Stammeswelt bedeutet wahrlich nicht, dass wir den zivilisatorischen Fortschritt der letzten fünftausend Jahre mit einem Mal vergessen haben und fortan wieder mit Holzknüppeln aufeinander losgehen müssen. Einfach nur wütend mit dem Finger auf jene zeigen, die sich durch die neuen Gegner der offenen Gesellschaft angesprochen fühlen, ist nicht nur zwecklos, sondern auch kontraproduktiv. Stattdessen sollten wir alle uns ein Herz nehmen, auf unsere politischen Gegner zugehen und sachlich hart aber höflich diskutieren. Denn in einer funktionierenden Demokratie sollte es niemals um Gut oder Böse gehen.

Photo: Animesh Bhattarai from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

In Deutschland könnte die derzeit fremdkapitaldominierte und vom Arbeitgeber kontrollierte betriebliche Altersvorsorge zu einem Instrument des Aufbaus von flexiblem Beteiligungsvermögen umgebaut werden, indem die jeweils attraktivsten Elemente aus Großbritannien und Schweden übernommen werden: Die automatische Einschreibung samt Opt-out in Kombination mit einer freien Anlageentscheidung, die flankiert wird von einem staatlichen Default-Fonds.

Die Vermögen von Haushalten in Deutschland sind im internationalen Vergleich niedrig. Zudem halten Haushalte in Deutschland wenig Vermögen in Form von Beteiligungskapital, das vielseitig einsetzbar ist. Es dominieren Ansprüche aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente. Diese Ansprüche sind im Gegensatz zu Beteiligungsvermögen unflexibel. Grundsätzlich bieten die staatlich geförderte betriebliche und private Altersvorsorge die Möglichkeit, vielseitig einsetzbares Beteiligungsvermögen aufzubauen. Schweden und Großbritannien zeigen, wie das deutsche System verbessert und stärker flexibles sowie renditestarkes Beteiligungsvermögen in der betrieblichen Altersvorsorge aufgebaut werden könnte.

Der Arbeitgeber entscheidet

Bei der betrieblichen Altersvorsorge handelt es sich in Deutschland um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber behält dabei einen Teil des Gehalts des Arbeitnehmers ein, um ihm nach dem Renteneintritt zusätzlich zur gesetzlichen Rente eine betriebliche Rente zu zahlen, sofern der Arbeitnehmer nicht für eine Einmalzahlung optiert.

Gerade die Option einer Einmalzahlung macht die betriebliche Altersvorsorge zwar deutlich flexibler als die gesetzliche Rente. Während der Ansparphase haben die Arbeitnehmer jedoch kaum Einfluss darauf, wie das Vermögen aufgebaut und angelegt wird. Der Arbeitgeber entscheidet über den Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge. Möglich sind: Direktzusage, Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds.

Fünf Durchführungswege: Überwiegend Fremdkapitalcharakter

Im Rahmen einer Direktzusage verpflichtet sich der Arbeitgeber zu Leistungen in der Zukunft. Wählt der Arbeitgeber eine Unterstützungskasse, übermittelt der Arbeitgeber die Beiträge an die Unterstützungskasse, welche die Versorgungsleistungen erbringt. In beiden Fällen erfolgt die Zusage einer bestimmten Leistung, die entweder explizit zugesagt wird (Festbetrag, Betrag pro Dienstjahr, gehaltsabhängige Zusage) oder sich implizit aus den vereinbarten Beiträgen ergibt.

Die externen Durchführungswege Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds können entweder explizit zugesagt werden (Festbetrag, Betrag pro Dienstjahr, gehaltsabhängige Zusage) oder sich implizit aus den vereinbarten Beiträgen ergeben. Ebenfalls möglich ist eine Beitragszusage mit Mindestleistung, bei der der Arbeitgeber den Erhalt der Beiträge garantiert und der Anleger zusätzlich von Erträgen profitieren kann.

Von der Wertentwicklung des Portfolios, in das die Beiträge der Anleger investiert werden, hängen die Forderungen nur im Falle einer Beitragszusage mit Mindestleistung ab. Diese Zusageform ist nur bei den externen Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds möglich. In diesen Fällen ist der Eigenkapitalcharakter der betrieblichen Altersvorsorge aus Sicht des Anlegers also stärker ausgeprägt. Er kann bei höherem Risiko von einer höheren Rendite profitieren. Dabei ist es Anlegern am ehesten möglich, einen relativ hohen Aktienanteil zu erzielen, wenn eine fondsgebundene Direktversicherung oder ein Pensionsfonds gewählt wird. Im Falle der Pensionskasse ist der Anteil von Aktien und ähnlichen Vermögenswerten per Verordnung auf 35 Prozent des Sicherungsvermögens begrenzt.

Der Stand des im Zuge der betrieblichen Altersvorsorge aufgebauten Deckungsvermögens belief sich im Jahr 2017 auf 613 Milliarden Euro. Davon entfielen fast 50 Prozent auf Direktzusagen und nur 6,1 Prozent auf die aktienlastigeren Pensionsfonds.

Obwohl grundsätzlich die Möglichkeit besteht, im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge einen Teil des Vermögens in Aktien anzulegen, dominiert der Fremdkapitalcharakter der Ansprüche und damit eine relativ niedrige erwartete Rendite. Ein Grund dafür ist, dass auch bei den externen Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds der Aktienanteil implizit durch die stets zu erfolgende Garantie mindestens des Beitragserhalts beschränkt ist. Ohne die Garantie könnten Anleger bei höherem Risiko mit stärkerem Aktienanteil auch eine höhere Rendite erwarten.

UK: Automatische Einschreibung mit Opt-out

Dass es anders geht, zeigt Großbritannien. Nach einer Übergangsphase von 2012 bis 2018 werden in Großbritannien Arbeitnehmer grundsätzlich automatisch in eine vom Arbeitgeber ausgewählte Betriebsrente eingeschrieben.

Einmal eingeschriebene Arbeitnehmer haben aber die Möglichkeit, aus der Betriebsrente herauszuoptieren. Nutzen sie die Möglichkeit des Opt-outs, muss ihr Arbeitgeber sie nach üblicherweise drei Jahren wieder einschreiben. Eine Wiedereinschreibung erfolgt auch beim Wechsel des Arbeitgebers. Auch nach einer Wiedereinschreibung besteht stets die Möglichkeit des Opt-outs. In den letzten Jahren haben deutlich weniger als 10 Prozent der abhängig Beschäftigten ihre Opt-out-Option in Reaktion auf die automatische Einschreibung genutzt.

Entscheiden sich Arbeitnehmer nicht aktiv gegen die Betriebsrente, überweist der Arbeitgeber derzeit standardmäßig 8 Prozent des Arbeitgeberbruttos im Einkommensbereich von 6.136 bis 50.000 Pfund an die Betriebsrente.

Im Zuge der Betriebsrentenreform des Jahres 2008 wurde mit NEST („National Employment Savings Trust“) ein staatlicher Rentenfonds geschaffen, auf den alle Arbeitgeber zurückgreifen können. Dadurch sollte es vor allem kleineren Unternehmen erleichtert werden, eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten.

In Abhängigkeit vom gewählten Betriebsrentenplan können Anleger ab einem Alter von 55 Jahren auf ihr Kapital zugreifen. Im Falle von NEST können die Anleger sich das Kapital voll oder teilweise auszahlen lassen und frei darüber verfügen. Sie können aber auch weiter über NEST anlegen.

Ebenfalls in Abhängigkeit vom gewählten Betriebsrentenplan hat das Vermögen einen mehr oder weniger starken Eigenkapitalcharakter. In NEST fließen die Mittel der Anleger per Default in einen Fonds, der auf das Renteneintrittsjahr abgestimmt ist und über die Zeit einen unterschiedlich hohen Anteil an Aktien aufweist. Die Anleger können aber auch einen Fonds wählen, der immer über 70 Prozent der Mittel in Aktien investiert.

Das britische Model sorgt zum einen dafür, dass Arbeitnehmer, die sich bezüglich ihrer Altersvorsorge eher passiv verhalten, attraktives Beteiligungskapital aufbauen, das eine hohe Rendite verspricht und im Alter flexibel eingesetzt werden kann. Zum anderen können Arbeitgeber, vor allem kleinere, unkompliziert auf den staatlichen Fonds zurückgreifen.

Schweden: Arbeitgeberunabhängige Fondsauswahl

Zwar stehen in Deutschland verschiedene Durchführungswege für die betriebliche Altersvorsorge zur Verfügung. Die Entscheidung für einen Betriebsrentenanbieter trifft aber immer der Arbeitgeber. Mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben die Anleger in Schweden.

In Schweden wurde der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente mit der Prämienrente eine kapitalgedeckte Rente zur Seite gestellt, die sich keiner der drei Säulen der Altersvorsorge klar zuordnen lässt. Sie ist zwar für jeden Erwerbstätigen verpflichtend, aber den Anlegern ist die Wahl des zu speisenden Fonds überlassen.

Bis zu einer Einkommensgrenze von umgerechnet etwa 52.400 Euro sind Rentenbeiträge in Höhe von 18,5 Prozent des Arbeitgeberbruttos abzuführen. 16 Prozentpunkte fließen in das umlagefinanzierte Teilsystem. 2,5 Prozentpunkte fließen im Rahmen der Prämienrente auf ein Anlagekonto im Namen des Erwerbstätigen, das von der schwedischen Rentenagentur unterhalten wird. Dabei können die Anleger ihre Mittel auf bis zu fünf Fonds verteilen, die sie aus mehreren hundert Fonds auswählen können.

Treffen die Anleger keine Auswahl, wird ihr Kapital automatisch in einem vom Staat aufgelegten Standardfonds angelegt, der sowohl in Aktien als auch in Anleihen investiert. Bis zum 55. Lebensjahr ist das Kapital in dem Default-Fonds dabei ausschließlich in Aktien angelegt. Anschließend wird der Aktienanteil bis zum 75. Lebensjahr stetig auf 33 Prozent reduziert. Im Alter muss das angesparte Kapital für eine Leibrente verwandt werden.

Obwohl die Flexibilität des Vermögenseinsatzes durch die Verpflichtung zur Leibrente im Alter stark eingeschränkt ist, fördert die Prämienrente den Aufbau von renditestarkem Vermögen. Schweden gesteht den Sparern innerhalb der Prämienrente eine große Wahlfreiheit zu und gibt dadurch die Möglichkeit zum Zugang zu Vermögen mit Eigenkapitalcharakter. Der hohe Aktienanteil des staatlichen Defaultfonds sorgt begleitend dafür, dass auch passiv Altersvorsorge Betreibende von einer hohen Rendite auf ihr Kapital profitieren.

Modell für Deutschland

In Deutschland könnte die derzeit fremdkapitaldominierte und vom Arbeitgeber kontrollierte betriebliche Altersvorsorge zu einem Instrument des Aufbaus von flexiblem Beteiligungsvermögen umgebaut werden, indem die jeweils attraktivsten Elemente aus Großbritannien und Schweden übernommen werden: Die automatische Einschreibung samt Opt-out in Kombination mit einer freien Anlageentscheidung, die flankiert wird von einem staatlichen Default-Fonds.

Eine automatische Einschreibung in eine betriebliche Altersvorsorge wie in Großbritannien ist wünschenswert. Sie würde dazu beitragen, dass auch in Deutschland Personen, die sich bei ihrer langfristigen Finanzplanung eher passiv verhalten, vermehrt Vermögen für die Finanzierung des Lebensabends aufbauen. Die Höhe der Beiträge könnte sich an der Höhe der derzeit von der Einkommensteuer und den Sozialabgaben befreiten Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge orientieren. Im Jahr 2019 liegt dieser Wert bei 6.423 Euro.

Eine automatische Einschreibung in die betriebliche Altersvorsorge sollte mit der Etablierung einer staatlichen Fondsgesellschaft nach dem Vorbild von NEST in Großbritannien kombiniert werden. Ein staalicher Default-Fonds würde es zum einen kleinen und mittleren Unternehmen erlauben, ihre Angestellten mit wenig Aufwand einzuschreiben. Zum anderen könnte ein hoher Aktienanteil des Default-Fonds dazu beigetragen, dass Personen, die ihre Investments nicht aktiv gestalten, mehr Beteiligungsvermögen mit hoher erwarteter Rendite in Form von Aktien aufbauen.

Um den Arbeitnehmern möglichst viel Gestaltungsspielraum zu bieten, sollten ihre Investitionsentscheidungen anders als in Großbritannien unabhängig vom Arbeitgeber sein. Dabei sollte es ihnen freigestellt sein, ihr Geld in Aktienfonds, ETFs, Immobilienfonds, einzelne Aktien, Anleihen, andere Vermögenswerte oder den staatlichen Standardfonds zu stecken.

Schließlich sollte eine hohe Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmer auch bei einer automatischen Einschreibung garantiert sein. Deshalb sollten sie zum einen stets zur staatlichen Fondsgesellschaft oder einem alternativen privaten Anbieter wechseln können. Zum anderen sollten sie von ihrer Opt-out-Option Gebrauch machen und sich vollständig gegen Beiträge in eine betriebliche Altersvorsorge entscheiden können.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Hans Sandreuter from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Die beiden Alpenländer Schweiz und Österreich haben ganz ähnliche geographische Voraussetzungen. Sie sind auch im wesentlichen von denselben Stämmen (Alemannen und Kelten) besiedelt worden. Selbst die Bevölkerungszahl ist fast die gleiche (Österreich 8,7 Mill., Schweiz 8,3 Mill.). Politisch sind sie jedoch sehr verschiedene Wege gegangen. Die Schweiz wurde zum Hort der Freiheit, Österreich zu einem Hauptgegner der Liberalisierung in Europa. Weshalb?

Obwohl der von mir behauptete Unterschied wahrscheinlich keiner Belege bedarf, will ich ihn zunächst anhand historischer Beispiele verdeutlichen und erst danach versuchen, ihn zu erklären.

Dass die Freiheit in Österreich nicht den gleichen Rang einnimmt wie in der Schweiz, erwies sich in zweierlei Hinsicht: bei der Religionsfreiheit und bei der politischen Freiheit.

Es ist bekannt, dass die Habsburger – ausgenommen Maximilian II. (1562-76) – die Reformation bekämpften, während es in der Schweiz mit Zwingli in Zürich und Calvin in Genf zwei führende Reformatoren gab. Zwar verweigerten nicht nur die Habsburger, sondern auch die meisten schweizerischen Kantone bis ins späte 18. Jahrhundert die Freiheit der Religion. Aber zur Eidgenossenschaft gehörten protestantische wie katholische Kantone, zwischen denen man wandern konnte – in einigen Gebieten entschied sogar die Gemeinde über die gemeinsame Religionszugehörigkeit. Es ist überliefert, dass die Berner zeitweise Katholiken vertrieben und die Schwyzer Protestanten, aber systematisch verfolgt wurde von Katholiken wie von Protestanten nur die Sekte der (Wieder-)Täufer – in Zürich bis ins 18. Jahrhundert. Besonders intolerant war man gegenüber Sektierern in Genf, das allerdings erst 1815 in die Eidgenossenschaft aufgenommen wurde. Dort verbrannte man 1553 auf Calvins Geheiß Michael Servetius, weil er die Dreifaltigkeit ablehnte. Es wird berichtet, dass um 1530 in Zürich ein Täufer ertränkt wurde, aber zur selben Zeit tötete man in Österreich etwa 600 Täufer. In Wien verbrannte man 1528 Balthasar Huber, in Innsbruck 1536 Jakob Hutter – beide führende Täufer.

Unter Rudolf II., dem in Spanien erzogenen Sohn Maximilians II., wurden 1577 in Wien alle protestantischen Gottesdienste verboten, die Prediger vertrieben und die protestantischen Schulen geschlossen. Ferdinand II. (1619-37), dessen religiöser Intoleranz der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zuzuschreiben ist, stellte die protestantischen Adligen vor die Wahl, entweder katholisch zu werden oder Österreich zu verlassen. In Böhmen ließ er zunächst die protestantischen Pfarrer vertreiben (1623), dann den evangelischen Gottesdienst verbieten (1624) und schließlich alle Protestanten ausweisen (1627).

Von dem eingeschränkten Schutz, den der Westfälische Frieden religiösen Minderheiten im Reich gewährte, hatten sich die Habsburger ausdrücklich ausgenommen. Noch in den Jahren 1752-55 organisierte Kaiserin Maria Theresia in Österreich eine groß angelegte Protestantenverfolgung. “Religionskommissare” verhörten Verdächtige, Denunzianten wurden reich belohnt. Die, die sich weigerten abzuschwören, kamen an den Pranger und ins “Konversionshaus” (Zuchthaus), ihre Kinder ins Waisenhaus. 3.000 halsstarrige Protestanten wurden aus Österreich nach Siebenbürgen und Ungarn deportiert.

Vorausgegangen war 1744 die Ausweisung von mehr als 10.000 Juden aus Prag, dann aus Böhmen. In der Schweiz wurden nach dem Mittelalter keine Juden mehr verfolgt. Sie waren fast alle 1348, als die Pest in Europa wütete, des Landes verwiesen worden. In Preussen förderte Friedrich der Große, Maria Theresias großer Gegenspieler, ab 1750 die “Hofjuden”.

Was die politische Freiheit angeht, schälte sich der Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz besonders im 18. und 19. Jahrhundert heraus. In fast allen Landesteilen der Schweiz – im 18. Jahrhundert mit Ausnahme von Genf[i] — wurden Liberale geduldet. Es galt Meinungs- Presse- und Versammlungsfreiheit, und der Staat respektierte das Briefgeheimnis. Österreich dagegen entwickelte sich unter Joseph II. (1765-90), Leopold II. (1790-1804) und Franz II. (1804-35) allmählich zum Polizeistaat. Ab 1815 ging Fürst Metternich im Auftrag des Kaisers mit äußerster Schärfe gegen “liberale Umtriebe” und Unabhängigkeitsbestrebungen vor. Wer verdächtig erschien, wurde von der Geheimpolizei bespitzelt (selbst im Ausland); Briefe wurden abgefangen und erbrochen; willkürliche Verhaftungen waren an der Tagesordnung; liberale Professoren wurden vom Dienst suspendiert. Alle Druckwerke bis 300 Bögen (Seiten), insbesondere alle Presseerzeugnisse, unterlagen der Vorzensur, längere der Nachzensur. Die Encyclopedia Britannica schreibt über Franz II.: “He was denounced by liberals throughout Europe as a tyrant. … The fortress prison of the Spielberg … made so many martyrs to freedom”.

Die liberale Verfassung von 1848 wurde 1851 wieder einkassiert, und Kaiser Franz Joseph setzte die scharfe Verfolgung der Liberalen bis 1866 fort: “Acts of repression and severity amounting to cruelty were perpetrated in his name, and the responsibility for them must lie with him, since he claimed the right to autocracy”.[ii]

Dass die Freiheit in der Schweiz mehr zählt als in Österreich, ist noch heute leicht zu erkennen. Im Economic Freedom Index der Heritage Foundation (Washington) belegt die Schweiz den vierten Platz, Österreich Platz 31. Die Staatsquote beträgt in der Schweiz 34 Prozent, in Österreich über 49 Prozent. Der Stimmenanteil, den linke Parteien im Durchschnitt seit 1970 bei den Wahlen zur ersten Kammer des Bundesparlaments erzielt haben, beläuft sich in der Schweiz auf knapp 30 Prozent, in Österreich auf über 45 Prozent. In vierzig der fünfzig Jahre stellte die SPÖ den Bundeskanzler.

Doch nun zur Erklärung: weshalb haben sich Österreich und die Schweiz so unterschiedlich entwickelt? Von David Hume (1742) und Charles Montesquieu (1748) stammt die These, dass die Entstehung von Freiheit letztlich eine Frage der Geographie ist: Freiheit gedeiht nur dort, wo die geographischen Bedingungen die Zentralisierung der Politik erheblich erschweren. Aber in welcher Hinsicht war die Geographie der beiden Alpenländer denn so verschieden?

In beiden Ländern verhinderten die Berge die Entstehung eines Zentralstaats nach französischem Muster, wie sehr sich auch einige Habsburger (vor allem Maximilian I., Ferdinand I., Maria Theresia und Franz Joseph) darum bemühten. In Österreich sind die Alpen – insbesondere die Gebirgspässe – niedriger als in der Schweiz. Österreich war dadurch Italien stärker zugewandt als die Schweiz. Die guten Verkehrswege nach Italien erleichterten den Schulterschluss mit dem Papst und die Aufrechterhaltung norditalienischer Besitzungen.

Aber entscheidend war ein anderer geographischer Unterschied: während die Schweiz im Westen der Alpen eingezwängt war, konnte Österreich nach Osten expandieren. Die Schweiz war eingezwängt, weil sie im Westen einen stets mächtigen Nachbarn hatte: Frankreich. Das französische Sprachgebiet war – aufgrund seiner natürlichen Grenzen im Norden, Westen und Süden – bereits im 15. Jahrhundert dauerhaft unter einer Herrschaft vereinigt worden. Frankreich ließ keine große Expansion der Schweiz zu. Es war im Gegenteil zu Zeiten eine Quelle der Bedrohung. Nur von Frankreich wurde die Schweiz vorübergehend besetzt und kontrolliert (1798-1814). Frankreich verhinderte auch, dass die Eigenossenschaft über das Tessin hinaus nach Italien expandieren konnte. Die schwere Niederlage des schweizerischen Heeres gegen ein französisches 1515 bei Marigniano (Lombardei) gilt weithin als Schlüsselerlebnis für die schweizerische Neutralitätspolitik, die allerdings erst 1815 festgeschrieben wurde.

Die Eidgenossenschaft konnte nur in den Bergen wachsen, und da war nicht viel Platz. Die Habsburger dagegen hatten die Möglichkeit, ihren eigenen Herrschaftsbereich außerhalb des Hochgebirges weit nach Osten auszudehnen. Dabei kam ihnen die Geographie auch in Gestalt der schiffbaren Donau zur Hilfe.  Schon 1526 fielen Ungarn (mit der Slowakei und dem größten Teil Kroatiens) und Böhmen (mit Mähren, Schlesien und der Lausitz) als Personalunionen an die Habsburger.[iii] Die Ressourcen der habsburgischen Ostgebiete versetzten Österreich in die Lage, seine Rivalen bei deutschen Kaiserwahlen und bei lukrativen Heiratsanträgen auszustechen und ihre Machtbasis immer weiter zu vergrößern. Als Kaiser waren die Habsburger an der Einheit der Religion und der autoritäreren Variante des Christentums interessiert. In Wien, der reich dekorierten Hauptstadt des Großstaats, entstand eine höfische Hochkultur – zu Lasten des restlichen Imperiums.

Zeitweise – von 1529 bis 1686 – hatte auch die Donaumonarchie einen mächtigen und bedrohlichen Nachbarn: die Türken. Um seine Ostkolonien und Wien gegen die Türken zu verteidigen und den habsburgischen Vielvölkerstaat zusammenzuhalten, benötigte Österreich ein großes stehendes Heer. In der Schweiz reichte ein Milizheer, das ganz auf Defensive eingestellt war. Die Habsburger wollten herrschen, die Schweizer ihre Unabhängigkeit und Freiheit – beide Teil des Selbstbestimmungsrechts – verteidigen, auch und schon früh gegen die Habsburger.

Das habsburgische Österreich entstand nicht – wie die Schweiz – durch Sezession, sondern durch einen Staatsstreich. Rudolf I., der erste Habsburger auf deutschem Thron, usurpierte 1276 den Großteil des heutigen Österreichs (ohne Tirol, das erst 1490 dazu kam) und erklärte ihn 1282 zu habsburgischen Erblanden. Ohne Staatsstreich wäre Österreich schwer zu bekommen gewesen, denn das Hochgebirge schützte Österreich und die Schweiz vor Eroberungsversuchen. Im Gegensatz zu Österreich war die schweizerische Eidgenossenschaft ein freiwilliger Zusammenschluss lokaler Gemeinwesen. Das Habsburgerreich wurde von oben geschmiedet, die schweizerische Konföderation von unten. Das prägt die Menschen.

Da die Kantone freiwillig beitraten, konnten sie sich – trotz des von den Protestanten gewonnenen Bürgerkriegs von 1847 – ein hohes Maß an politischer Selbständigkeit bewahren. Die Vielfalt der Institutionen bot den Menschen Vergleichs- und Wahlmöglichkeiten. Der Wettbewerb der Kantone um Investoren und Steuerzahler hielt die Politiker tendenziell davon ab, den Bürgern Vorschriften zu machen und die Steuern zu erhöhen. Schon David Hume (1742) hat die These vertreten, dass die Nachbarschaft mehrerer unabhängiger, aber miteinander verbundener Gemeinwesen die Macht der Obrigkeit beschränkt.

Viele, aber bei weitem nicht alle Kantone praktizierten von Anfang an eine Form der direkten Demokratie. Auch das hat mit der Geographie zu tun. In einem zerklüfteten Land bietet es sich an, politische Entscheidungen vor Ort zu treffen. Auf lokaler Ebene funktionieren Volksabstimmungen am besten, denn dort wissen die Bürger in der Regel, worum es geht. Auch die direkte Demokratie schützt die Bürger vor den Regierenden, aber sie schützt nur die Mehrheit, nicht Minderheiten und den Einzelnen. Ohne die Wahlmöglichkeiten, die der Wettbewerb der Kantone dem Einzelnen bietet, könnte die direkte Demokratie die Freiheit gefährden. Auf der Ebene der gesamten Eidgenossenschaft gibt es Volksabstimmungen erst seit 1848 (über die Bundesverfassung); über einfache Gesetze können die Schweizer seit 1874 abstimmen. Die freiheitliche Entwicklung, die schon lange zuvor in der gesamten Schweiz einsetzte, kann man damit nicht erklären.

Wo Freiheit ist, strömen Freiheitsliebende hinzu – besonders solche, die in ihrem Heimatland verfolgt werden. Die neutrale Schweiz wurde im Lauf der Geschichte zur Fluchtburg der Verfolgten aus aller Herren Länder – vor allem aus den Nachbarländern. Dadurch hat der schweizerische Liberalismus zusätzliche Impulse erhalten.

[i] Das Genfer Patriziat verfolgte Liberale. Micheli du Crest (1734), Jean Lui de Lolme (1770) und Etienne Pierre Dumont (1783) mussten fliehen. Pierre Fatio wurde 1707 hingerichtet. Im 19. Jahrhundert wurden die Liberalen in Genf jedoch zur stärksten Partei.

[ii] Ebenfalls aus der Encyclopedia Britannica.

[iii] Die Ehe, die dies möglich machte, wurde 1515 geschlossen und im Vorgriff auf den Gebietsgewinn – z. B. die slowakischen Silberminen – von den Fuggern finanziert. Ein Kredit der Fugger war dann auch 1519 dafür verantwortlich, dass Karl V. zum Kaiser gewählt wurde.

Erstmals erschienen bei Wirtschaftliche Freiheit – Das ordnungspolitische Journal.