Es ist ein wiederkehrendes Thema: Wenn im 20. Jahrhundert richtig was für die Freiheit gewuppt wurde, konnte man in der Regel darauf wetten, dass Menschen mit jüdischen Wurzeln beteiligt waren. Man hätte den gegenwärtigen Liberalismus einfach in die Tonne kloppen können ohne Leute wie Hannah Arendt, Ludwig von Mises, Ayn Rand, Isaiah Berlin, Karl Popper, Milton Friedman, Michael Polanyi, Murray Rothbard, Raymond Aron … Eine Institution wie das Institute of Economic Affairs wäre ohne Arthur Seldon nicht denkbar gewesen. Seit über 50 Jahren schwingt Henryk M. Broder gegen Totalitarismen verschiedensten Ursprungs seine Wortpeitsche. Und zuletzt hat sich ganz besonders Wolodymyr Selenskyj als Glücksfall für die Freiheit erwiesen.

Joe Simon (1913-2011) und Jack Kirby (1917-1994) teilen mit all diesen Persönlichkeiten die Herkunft. Ihre Eltern hatten sich als jüdische Migranten aus Europa über den Atlantik aufgemacht in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Familien. In den späten 30er Jahren begegneten sich die beiden Comic-Zeichner und entwickelten 1940 die ikonische Figur des Captain America. Der Superheld, der zu den bekanntesten und beliebtesten seiner Gattung gehört, erfüllte eine zentrale kulturelle Funktion, indem er einem damals noch sehr isolationistischen Amerika das positive Bild eines wertegeleiteten und selbstlosen Helden als typisch amerikanisch vor Augen führte. Die Ostküstenjuden ersetzten den lange Zeit vorherrschenden Archteyp des Amerikaners als eines einsam die Weiten des Westens erobernden Siedlers, Cowboys oder Rangers durch den des Retters der globalen Zivilisation. Im Kampf gegen Nationalsozialismus und Kommunismus war Captain America ein absoluter Top-Motivator. Später diente er auch dazu, rassistische Vorurteile gerade bei den jungen Lesern abzubauen. Ende der 1960er Jahren bekam er mit Falcon einen afroamerikanischen Partner bei der Bekämpfung des Bösen. Und er war der starke Fels im Kampf gegen den Big State im Inneren: ob Techno- oder Autokraten die Macht übernehmen wollten – Captain America stand immer bereit, die Verfassung zu verteidigen. Seit 85 Jahren ist er das mahnende Exempel, das Amerikaner an ihre eigentlichen Werte und Ideale erinnern sollte.

Man merkt Captain America die biblische Prägung an, die seinen Schöpfern so vertraut war wie ihrer Leserschaft: Er ist der unwahrscheinliche Held wie Jakob, Joseph oder David. Er ist der Gerechte wie Noah, Elijah, Daniel und viele andere Propheten. Zugleich umweht ihn die Luft stoischen Pflichtbewusstseins, die von den großen Gründungsgestalten der USA durch die Geschichte weht. Captain America ist zusammen mit der Freiheitsstatue wohl die wirkmächtigste Werbegestalt, die der Liberalismus je hatte.

Als der emeritierte Steinewerfer Joschka Fischer im Jahr 1999 im Jackett auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld ein Plädoyer für den NATO-Einsatz gegen Serbien hielt, trauten viele ihren Ohren und Augen nicht. Der Politikwissenschaftler Torben Lütjen hat zu solchen Konversionsgeschichten vor einigen Monaten einen spannenden Artikel in der FAZ veröffentlicht. Zu den überraschenden Konversionen der Bundesrepublik zählt auch der Publizist Roland Tichy, den heute niemand als glühenden Verfechter offener Grenzen im Sinn hätte.

Das war mal anders.

1990 publizierte der damals 35 Jahre junge oberbayerische Publizist ein Buch mit dem Titel „Ausländer rein! Deutsche und Ausländer – verschiedene Herkunft, gemeinsame Zukunft“. Schon der zweite Absatz der Einleitung hat es in sich:

„Nicht die Ausländer sind das Problem – das Problem ist der Rechtsruck in Deutschland, ist die Haßsprache der Politiker, wenn es um Ausländer (die eigentlich Inländer sind) geht, das Problem ist eine Regierung, die aus parteipolitischen Gründen den Artikel 16 des Grundgesetzes emotionalisiert und verschweigt, wo die wirklichen Probleme liegen: In einer seit mittlerweile Jahrzehnten verkehrten Politik und Gesetzgebung, im Festhalten an Grundprinzipien des Ausländerrechts aus dem vorigen Jahrhundert und aus der Zeit des Rassismus.“

Von der ersten bis zur letzten Seite ist das antiquarisch noch günstig erhältliche Buch eine lohnenswerte und überraschend aktuelle Lektüre. Es wäre schön, wenn diese akkuraten Beobachtungen und klugen Gedanken Tichys auch heute noch viele Leser fänden.

 

Photo: Paix et Liberté from Wikimedia Commons (CC O)

Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung findet man die Feststellung (und womöglich auch Forderung): „Das Konsensprinzip im Europäischen Rat darf nicht zur Entscheidungsbremse werden. Dies gilt grundsätzlich auch für die verbliebenen Entscheidungen mit Einstimmigkeit im Rat der EU.“ Wenn Merz sich jetzt besonders auch als außenpolitisch engagierter Kanzler versteht, wäre das eine Baustelle, die dringend beackert werden muss. In den sanften 2000er Jahren verstanden sich ja fast alle EU-Regierungen so gut, dass sie auch miteinander in Urlaub gefahren wären. (Berlusconi hat auch sicher oft Einladungen ausgesprochen.) Aber die Realität von inzwischen 27 EU-Staaten sowie öffentlich oder verdeckt hochaggressiven Weltspielern wie Russland und China erfordert ein anderes Prozedere als Champagnerempfänge, Kaffeekränzchen und Ringelpiez.

Wir sind in einer Realität angekommen, wo Regierungen wie in der Slowakei oder Ungarn einfach mal in den Taschen des Kremls verschwinden. Chinesische Staatskonzerne investieren sich in entscheidende Wirtschaftsbereiche hinein. Sonderinteressen wie der französischen Bauern, deren Anteil am BIP ihres Landes unter 2 Prozent ist, blockieren über Jahrzehnte hinweg Handelsabkommen, die der EU erhebliche Wachstumsschübe ermöglicht hätten.

Wenn die EU in Zukunft mehr auf sich allein gestellt sein wird, weil die familiären transatlantischen Gefühle versiegen, muss sie deutlich handlungsfähiger, flexibler und wehrhafter werden. Das bedeutet nicht zwingend mehr Geld zum Umverteilen oder gar eigene Steuern. Das bedeutet vor allem, dass strategische Fragen im Fokus der EU-Zusammenarbeit stehen müssen. Einzelne Staaten sollten keine Veto-Möglichkeiten mehr eingeräumt bekommen, egal ob es sich um Ungarn, Frankreich oder Deutschland handelt. Und im Zweifel ist es wahrscheinlich nachhaltig besser, wenn man die Tür der EU in beide Richtungen etwas ölt, so dass man leichter hinein kommt, aber auch leichter wieder gehen kann. Einige Partner könnten wir jetzt gut gebrauchen, die womöglich noch ein Jahrzehnt oder länger warten müssen, während andere Länder ein gigantisches Erpressungs- und Lähmungspotential haben. Denen sollte man irgendwann auch höflich und bestimmt die Tür weisen können.

 

Photo: gage skidmore from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Wer sich mit liberalen Tugenden beschäftigt, kommt an einer außergewöhnlichen Denkerin nicht vorbei: Die 1942 geborene Deirdre McCloskey ist Ökonomin, Literaturwissenschaftlerin, Philosophin und eine der produktivsten Stimmen des Liberalismus unserer Zeit. Mit 25 Büchern und mehreren hundert Artikeln hat sie wie kaum eine andere in den letzten Jahrzehnten intellektuell gewirkt. Sie hat herausgearbeitet, wie liberale Ideen und Tugenden den Lauf der Weltgeschichte geprägt und den Alltag der Menschheit aus der Armut gehoben haben. Nach ihrer Promotion in Harvard arbeitete sie zunächst einige Jahre sehr erfolgreich quantitativ als Ökonomin an der University of Chicago und forschte zu Ökonometrie. Nach und nach jedoch hinterfragte sie den ökonomischen Mainstream und widmete sich dem Einfluss von Rhetorik in den Wirtschaftswissenschaften, der Wirkung von Ideen und den Grundlagen des Liberalismus. Im Zentrum ihres Werkes steht die Trilogie Bourgeois Virtues, Bourgeois Dignity und Bourgeois Equality. Darin sucht sie die Frage zu beantworten, was Gesellschaften gedeihen lässt. Ihre Antwort: Neben ökonomischen Entwicklungen vor allem Ideen, Innovation und moralische Tugenden. Entgegen der üblichen Meinung sieht sie den Markt nicht als kalte Effizienzmaschine, sondern als Ort des moralisch wertvollen Austauschs. McCloskey identifiziert sieben Tugenden der westlichen Tradition, die aus ihrer Sicht die erfolgreichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte ermöglicht haben. Den Liberalismus als moralisch wertvolles und wirtschaftlich erfolgreiches Projekt verteidigt sie auch in vielen neueren Büchern – etwa Why Liberalism Works. Damit weicht sie in vielerlei Hinsicht vom Mainstream ab und tut dies auf sehr lesenswerte Weise. Den Mut zur Abweichung vom Mainstream beweist sie auch in ihrem privaten Leben. In einer anderen Zeit und wissenschaftlich erfolgreich in einer konservativen Disziplin, lebte sie bis zu ihrem 53. Lebensjahr als Mann. 1995 entschied sie sich, als Frau zu leben. Über die Umstände und Auswirkungen dieser Entscheidung hat sie in ihrem Buch Crossing: A Transgender Memoir berichtet. McCloskey verbindet intellektuelle Tiefe mit liberaler Neugier. Ihr Werk ist ein eindrucksvoller Beitrag zur Verteidigung des Liberalismus – als ökonomisches System, als kulturelle Haltung und als ethisches Versprechen.

Team-Highlight der Woche waren drei Tage Team-Retreat in Ostwestfalen. Wir sind ein wenig aus dem Alltag herausgetreten, um die Strategie für die kommenden Jahre zu besprechen. Das motiviert und macht bei diesem wunderbaren Team glücklich! Mit neuer Energie geht es jetzt daran, die neu beschlossene Strategie umzusetzen.