Photo: *saipal from Flickr (CC BY 2.0)

Viele Deutsche sind gerade im Urlaub. Diese Zeit der Entspannung ist sicherlich ein guter Anlass, die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Dafür gibt es gute Gründe – nicht nur im Blick auf das eigene Leben, sondern auch im Blick auf unsere ganze Welt.

Wir brauchen keine Untergangspropheten

Alles wird immer schlimmer. Das wusste schon der gute alte Platon vor 2500 Jahren. Auch wenn er in der ein oder anderen Frage auf kurze Sicht richtig lag mit seiner Prophezeiung, so zeigen die letzten zweieinhalb Jahrtausende in der Rückschau doch, wie sehr er daneben lag. Dennoch hat leider sein Pessimismus all die Jahrhunderte im kollektiven Gedächtnis überdauert. Vielleicht haben wir Menschen einfach eine Schwäche für Horrorszenarien. Die großen Hollywood-Blockbuster sind ja häufig auch Katastrophenfilme. Platons morbide Lust an Verfallstheorien ist jedenfalls nach wie vor ein prägendes Element im öffentlichen Diskurs.

Die Debatte um das Waldsterben etwa versetzte in den 80er Jahren die Massen in Aufruhr. Bald, so konnte man den Eindruck haben, würde ganz Europa aussehen wie das Bitterfeld der DDR. Natürlich war es gut und richtig, dass in der Folge der zunehmenden Umweltschäden mehr auf den Schutz der Natur geachtet wurde. Wir können froh sein, dass die meisten Menschen hierzulande die satten Flussauen und reichen Wälder, die sanften Hügel und klaren Seen lieben und darauf schauen, dass diese Natur erhalten bleibt. Um das zu erreichen, braucht man aber keine Untergangspropheten, sondern Menschen, die sich das Anliegen zu Eigen machen.

Konstruktive Kritik ist gefragt

Man könnte natürlich argumentieren, dass die Untergangspropheten notwendig sind, um auf ein Problem überhaupt erst einmal aufmerksam zu machen. Damit tut man ihnen jedoch zu viel der Ehre an. Selbstverständlich gibt es immer mal wieder neue Probleme, auf die mit einer gewissen Schärfe und Lautstärke hingewiesen werden muss, damit sie überhaupt wahrgenommen werden und ein ernsthafter Diskurs über ihre Lösung beginnen kann. Es braucht Mahner und Warner. Aber deutliche Kritik kann durchaus auch mit einer positiven und konstruktiven Haltung geäußert werden. Man kann auf ein bestimmtes Problem hinweisen, auch ohne es als ein Vorzeichen des nahenden Weltuntergangs zu deuten.

Wer immer gleich den großen Teufel an die Wand malt, macht damit nämlich gleich mehrere Fehler: Er macht sich im öffentlichen Diskurs irgendwann lächerlich, wenn seine Zusagen nicht eintreffen. Das kann dann unter Umständen auch seinem Anliegen nachhaltig schaden. Wenn man allzu wüst auftritt, bekommt man zwar viel Applaus von einer Seite, aber die ist in den meisten Fällen die Minderheit derer, die ohnehin schon die eigenen Überzeugungen teilen. Andere Menschen zu überzeugen, ist dann aber umso schwerer. Zuviel Schwarzmalerei geht in der Regel zu Lasten des eigenen Anliegens aus.

Die Welt wird immer besser

Der größte Fehler aber ist der, dass man sich in eine Stimmung des Pessimismus hineinsteigert, die schleichend von einem Besitz ergreift und alle Initiativkräfte lähmt. Wenn die nahende Katastrophe unabwendbar erscheint, dann lässt unser Wille nach, noch etwas zu verändern. Dann geben wir auf und werden zu notorischen Jammerlappen. Der Fortschritt, den die Menschheit zweifellos seit Platons Zeiten gemacht hat, verdankt sich aber denen, die mit Zuversicht in die Zukunft sehen; die Probleme als Chance und Herausforderung verstehen.

Die amerikanische Nachrichten-Seite Vox hat vor kurzem eine Zusammenfassung von elf Statistiken und Karten veröffentlicht, die sie unter die Überschrift „Die Welt wird immer besser“ gestellt hat. Von der steigenden Lebenserwartung bis zu der abnehmenden Zahl bewaffneter Konflikte, vom Rückgang der Armut bis zur immer weiter verbreiteten Schulbildung zeigt sich überall ein erstaunlicher Fortschritt. Das Leben von Milliarden von Menschen verbessert sich kontinuierlich (insbesondere dank der Globalisierung, die ja auch gerne von den Untergangspropheten als Katastrophe dargestellt wird). Platons Schwarzmalerei ist durch die Fakten höchst eindrücklich widerlegt.

Die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet

Diese erfreuliche Bilanz entlässt uns nicht aus der Pflicht, uns für weitere Verbesserungen einzusetzen. Aber wir sollten etwas entspannter der Zukunft entgegen sehen. In diesen Wochen liegen manche von uns am Strand in Spanien, manche sitzen in einem Café in Paris oder in Krakau und manche wandern entlang einem norwegischen Fjord. Nehmen wir doch ein wenig von der Entspannung, die wir dort erfahren können, mit in den Alltag nach dem Urlaub. Sehr vieles spricht dafür, dass keines der Probleme, mit denen wir so konfrontiert werden, in den Weltuntergang führen wird. Ganz im Gegenteil: es wird die Optimisten unter uns dazu bringen, neue Ideen zu entwickeln. Ist es doch gerade die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet.

Dem Fatalismus Platons kann, ja muss man den Geist des Sokrates entgegenstellen, den der Philosoph Karl Popper in seinem Werk „Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ beschreibt:

„Und da war Sokrates, vielleicht der größte unter ihnen, der lehrte, dass wir der menschlichen Vernunft vertrauen, uns aber zur gleichen Zeit vor dem Dogmatismus hüten müssen, dass wir uns in gleicher Weise von … dem Misstrauen gegen die Theorie und die Vernunft, und von der magischen Haltung derer fernhalten sollten, die aus der Weisheit ein Idol zu machen trachten. Mit anderen Worten, Sokrates lehrte, dass der Geist der Wissenschaft in der Kritik besteht.“

Photo: Fabian from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Nacht der langen Messer war für Alexis Tsipras eine Demütigung. Die Belastung sah man ihm bereits am Abend an. Auf seiner Seite kann er verbuchen, dass der Euro-Club ihm weitere Milliarden in Aussicht stellt. Doch das war es dann auch schon. Als zurück nach Athen flog, kam er als begossener Pudel an. Schon am frühen Morgen haben die Nachrichtensendungen vom großen Durchbruch berichtet. Allgemeine Erleichterung war in den Meldungen zu spüren. Doch eines ist klar: Es war ein Pyrrhussieg der Staats- und Regierungschefs. Wer glaubt, dass damit das Schlimmste überstanden sei, der glaubt auch an die Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Beides trifft nicht zu. Die Eurokrise wird durch den gestrigen Abend neue Dynamik erhalten. Das Weiterwursteln setzt sich unvermindert fort.

Noch kennt man nicht die genaue Vereinbarung und das Kleingedruckte, aber so viel kann man schon jetzt sagen: all das, wofür Syriza im Januar gewählt wurde und jetzt beim Referendum mit großer Mehrheit bestätigt wurde, soll nun über Bord geworfen werden. So lächerlich unrealistisch die angepeilten Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro auch sein mögen, sie sind ein Schlag ins Gesicht der Sozialisten in Griechenland. Die Rückkehr der Troika nach Athen und die Verpflichtung zur Rücknahme der bisher beschlossenen Ausgabeprogramme durch das griechische Parlament ist ebenfalls eine bewusste Provokation gegenüber der linken Regierung in Griechenland. Und eine Umschuldung der griechischen Schulden wird erst im zweiten Schritt in Aussicht gestellt. Auch hier wurde die Kernforderung von Tsipras nicht erfüllt. Es ist ein vollkommenes Desaster für die Sozialisten in Griechenland.

Es ist daher völlig unrealistisch, dass dies vom griechischen Parlament beschlossen und anschließend umgesetzt wird. Das Ziel, ein EU-Protektorat in Südosteuropa zu installieren, wird nicht funktionieren.

Entweder Tsipras wird in Griechenland in die Wüste geschickt oder er fängt schon heute an und relativiert die Beschlüsse. So hat er es auch in den vergangenen sechs Monaten gemacht. Zusagen wurden in Brüssel gemacht, die dann in Athen relativiert wurden. Schon in den frühen Morgenstunden hieß es aus Athen, es müsse Neuwahlen geben. Das ist wohl auch das wahrscheinlichste Szenario. Denn Tsipras kann nur dann politisch überleben, wenn er Neuwahlen zu einem erneuten Referendum über seine Politik macht. Das lässt ihn Zeit gewinnen und die Gläubiger weiter zappeln. Nur wenn er weiter als David spielt, der gegen die Goliaths in Brüssel und Berlin unerschrocken kämpft, kann er zur neuen Identifikationsfigur der Linken werden. Sollen sie ihn doch aus dem Euro schmeißen. Jedoch darf nicht er den Bettel hinwerfen, sondern der Schwarze Peter muss bei Merkel und Schäuble liegen. Daran arbeitet er seit geraumer Zeit mit wachsendem Erfolg. Wenn Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi Wolfgang Schäuble öffentlich abwatscht, dann sagt das sehr viel über die aktuellen Befindlichkeiten aus. Das weiß auch Angela Merkel.

Daher ist ihr Ziel, die Regierung Tsipras durch eine Technokratenregierung zu ersetzen. Doch wie heißt es so schön: hinten sind die Enten fett – das weiß auch Alexis Tsipras. Wer das Chicken Game gewinnt, wird sich erst noch zeigen.

Photo: Rae Allen from Flickr (CC BY 2.0)

Schiedsgerichte wären eine spannende und innovative Möglichkeit, eine größere Vielfalt und mehr Auswahlmöglichkeiten in unserem Rechtssystem zur Verfügung zu stellen. Dass das Europäische Parlament sie ablehnt, ist ein Fehler.

Keine Herrschaft der Hinterzimmer

Die Entscheidung der Europaparlamentarier, der Kommission das Mandat für die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu geben, ist in dem ganzen Wirbel um Griechenland ein wenig untergegangen. Die üblichen Bedenkenträger waren so sehr mit der Causa Grexit beschäftigt, dass der große Aufschrei ausblieb. Sie hatten sich aber auch in einem nicht unwichtigen Punkt durchgesetzt: Das Investitionsschiedsabkommen ISDS soll aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Dieses Abkommen sollte Investoren dies- und jenseits des Atlantiks die Möglichkeit geben, Streitfälle mit staatlichen Stellen zu lösen.

Diese Art der Problemlösung ist mitnichten neu. Wie die Befürworter des Abkommens in den letzten Monaten nicht müde wurden, herauszustellen, haben europäische Staaten in den letzten 60 Jahren über 1400 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Weltweit gibt es über 2000 von ihnen. Die meisten Schiedsverfahren werden von der Weltbank durchgeführt, also nicht in irgendwelchen Hinterzimmern von Großkonzernen. Überhaupt Großkonzerne: Die Kritik am ISDS bezieht sich gebetsmühlenartig auf die Klage von Vattenfall gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Unabhängig davon, wie man zu diesem konkreten Fall steht, muss man anerkennen: er ist nicht repräsentativ.

Schiedsgerichte schaffen in den meisten Fällen Rechtssicherheit

Wirft man einen Blick in die Berichte des „Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ der Weltbank (ICSID), das einen großen Teil der Streitfälle verhandelt, kann man Einblicke gewinnen, die in deutlichem Gegensatz stehen zu dem Standard-Bild, das hierzulande in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. 150 Länder sind Mitglieder des Abkommens, darunter fast alle EU-Staaten, die USA, China und Japan. Von allen Fällen, die je dort verhandelt wurden, sind nur 4 % der Fälle gegen Staaten Westeuropas und weitere 4 % der Fälle gegen Staaten Nordamerikas verhandelt worden. Ein großer Teil der angeklagten Staaten liegt in Regionen, in denen das staatliche Rechtssystem zumindest instabil ist: 26 % in Südamerika, 26 % in Afrika und dem Mittleren Osten, 25 % in Osteuropa und Zentralasien.

Offensichtlich ist das Instrument internationaler Schiedsgerichte also eine Möglichkeit, zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren herzustellen. Davon sind übrigens auch sehr viele Mittelständler betroffen, die in Gegenden mit ungenügendem Rechtsschutz operieren. Von Vorteil sind diese Optionen zusätzlicher Rechtssicherheit zudem nicht nur für die Investoren, sondern auch für deren Partner vor Ort, für deren Angestellten und Kunden. Wenn es gelingt, die Produktionsstätte eines deutschen Unternehmers etwa in Kenia, Uruguay oder Pakistan vor der Willkür von Politik und Bürokratie zu schützen, ist das ja auch für diejenigen von Vorteil, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen oder als Händler, Transporteure und Konsumenten von den Produkten profitieren.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Nun ist der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die EU und die USA ja doch weitgehend funktionsfähige Rechtssysteme haben. (Wobei gerade die scharfen TTIP-Kritiker das im Blick auf die USA wahrscheinlich verneinen würden, weshalb sie durchaus für das ISDS sein könnten …) Ob freilich die nun gefundene Regelung, staatlich benannte Richter für solche Streitfälle einzusetzen, die bessere Lösung ist, kann mit Fug und Recht angezweifelt werden. „Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, haben wir unabhängige Gerichte gemacht“, jubelte der Europaabgeordnete Bernhard Lange nach der Entscheidung. Diese Sicht der Dinge geht von einer Illusion aus: Nämlich von der Illusion, dass ein Richter, sobald er nicht durch eine Institution des Staates ernannt wurde, zum Rechtsmissbrauch neige, während umgekehrt staatlich eingesetzte Richter automatisch unabhängig seien.

Richter sind Menschen, unabhängig davon, ob sie eine staatliche Robe tragen oder nicht. Richter machen Fehler und können korrupt sein. Korruption ist dabei definitiv nicht nur mithilfe von Geld durchführbar. Auch die Aussicht auf Ämter oder Beförderungen kann Menschen, und eben auch Richter, dazu bringen, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit zu ignorieren. Dennoch sind Richter, ob staatlich legitimiert oder nicht, wohl tendenziell eher immun gegen Korruption. Das liegt an ihrem Berufsethos. Das liegt aber auch daran, dass natürlich alle Parteien, die für die Einsetzung eines Richters zuständig sind, ein Interesse an dessen Integrität haben. Würden sich etwa die Richter des ICSID durch besondere Nähe zu Staat oder Unternehmen auszeichnen, wäre es wohl bald vorbei mit dessen gutem Ruf.

Was wollen die Gegner der Schiedsgerichte eigentlich wirklich?

Private Schiedsgerichte laden weder signifikant mehr noch weniger als staatliche Einrichtungen zum Missbrauch oder auch nur zum Irrtum ein. Sie können aber ein wichtiges Korrektiv und eine wichtige Ergänzung zu bereits bestehenden staatlichen Gerichten sein. Nicht nur auf dem Gütermarkt ist Wettbewerb ein Instrument, um bessere Lösungen zu finden. Wenn man nicht davon ausgeht, dass es Menschen gibt, die, weil gütiger, weiser und integrer als andere, bestimmt sind, als Philosophenkönige zu herrschen, dann kann auch für staatliche Institutionen und Organisationen der Wettbewerb ein guter Weg sein, um innovativ zu sein und sich zu disziplinieren.

Man könnte ins Grübeln kommen angesichts von Bernhard Langes Freude darüber, dass sich Investoren aus den USA und der EU fortan nur noch an staatlich ernannte Richter sollen wenden können. Speist sich sein Wohlgefallen gar daraus, dass die Politik auch in Zukunft nicht darauf wird verzichten müssen, die Rechtsprechung zu kontrollieren? Wird hier gar unter dem Vorwand, dem Missbrauch der Justiz durch zahlungskräftige Unternehmen vorbeugen zu wollen, der Boden bereitet für den Missbrauch der Justiz durch die Politik? Wenn man die Stimmungsmache im Europäischen Parlament gegen große Konzerne wie Google beobachtet, könnte man fast zu diesem Schluss kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ablehnung privater Schiedsgerichte wirklich der Herrschaft des Rechts dienen wird.

Photo: blu-news.org from flickr (CC BY-SA 2.0)

Eigentlich gibt es nur noch zwei Wege aus dem Dilemma Griechenlands. Entweder die EZB springt kurzfristig ein, erhöht die Ela-Kredite entsprechend und verschafft der griechischen Regierung indirekt wieder Liquidität oder es kommt zum Graccident, also der mehr oder weniger ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club. Ein Kredit des ESM, wie ihn Tsipras jetzt formal beantragt hat, geht sehr wahrscheinlich schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Die Ausweitung der Ela-Kredite ist jedoch durchaus möglich. Immerhin betrugen sie 2012 auch schon einmal 120 Milliarden Euro. Derzeit liegen sie bei „nur“ 90 Milliarden Euro. Hier wäre unter Beugung des Rechts ohne weiteres mehr möglich. Damit käme man vielleicht sogar über den August und hätte Zeit, die Verhandlungen fortzusetzen.

Es ist aber das unwahrscheinlichere Szenario von beiden. Wahrscheinlicher erscheint nun doch ein Graccident. Gar nicht so sehr, weil die restlichen Euro-Club-Mitglieder vom hin und her der griechischen Regierung langsam aber sicher buchstäblich die Schnauze voll haben. Hier ist die Leidensfähigkeit noch nicht endgültig ausgereizt. Eigentlich würden Merkel, Schäuble, Juncker und Draghi alles dafür tun, den Euro-Raum als Ganzes zu erhalten. Zu sehr fürchten sie das Signal des Scheiterns ihres Krönungsprojektes der europäischen Einigung und den Ausfall der Griechenland-Kredite.

Nein, das Graccident wird letztlich von der griechischen Regierung durch deren Verweigerung eingeleitet. Seit deren Regierungsübernahme bluffen Tsipras und sein ehemaliger Finanzminister Varoufakis. Sie kündigten an, relativierten, widersprachen und verhandelten neu. So ging es nunmehr schon fast ein halbes Jahr. In der Zwischenzeit haben sie weder die Reichen besteuert, noch den Militäretat reduziert, geschweige denn die Günstlingswirtschaft beendet. Warum soll man Einschnitte vornehmen, wenn die Schuldenlast immer weiter steigt.

Aus Sicht des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ergibt dieses Vorgehen Sinn. Die griechische Regierung unter Tsipras kann nicht aktiv aus dem Euro ausscheiden, dazu ist die Gemeinschaftswährung in Griechenland selbst zu beliebt. Das zeigen alle Umfragen. Einem 3. Hilfspaket kann Tsipras ebenfalls nicht zustimmen, denn das würde ihn die Akzeptanz in seiner eigenen Partei, in der Bevölkerung und bei den Linken rund um den Globus kosten.

Bei Letzteren sind wir bei des Pudels Kern: Alexis Tsipras will der neue Che Guevara der Linken auf dieser Welt werden. Dazu sind die Voraussetzungen gut. Nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela und dem krankheitsbedingten Abgang von Fidel Castro in Kuba fehlt es der internationalen Linken an einer Identifikationsfigur. Wenn selbst Kuba wieder diplomatische Beziehungen zu den USA aufbaut, Vietnam in China die größere Bedrohung sieht und den alten Klassenfeind Amerika um Hilfe bittet, und wenn China weite Teile der Welt kapitalistisch überholt, dann braucht es ein Momentum, um die linke Jugend überall auf der Welt wieder zu elektrisieren. Dieses Momentum wäre das Graccident. Der ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum wäre in den Augen der Linken weltweit das Produkt des Kapitalismus und dessen Schuldknechtschaft. Dafür steht buchstäblich der IWF als Teil der Troika und besondere Reizfigur der Linken.

Diese Agenda passt zu Tsipras wie die Faust aufs Auge. Tsipras wurde schon als Schüler in der Kommunistischen Jugend Griechenlands und später in der Kommunistischen Partei politisch sozialisiert. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Fidel Castro und Che Guevara, die die Linke weltweit fasziniert haben. Das wird wohl auch bei Tsipras so gewesen sein. Es war der Kampf gegen den „amerikanischen Imperialismus“, der sich in der Politik des IWF und der Weltbank ausdrückte. Tsipras ist ein brillanter Redner, ist charismatisch und jung – so wie einst sein Vorbild Che Guevara. Es wird Tsipras daher besonders gefreut haben, dass Che Guevaras Mitkämpfer Fidel Castro ihm vom Krankenbett aus die herzlichsten Glückwünsche zum gewonnenen Referendum geschickt hat.

Wir werden in Südosteuropa daher in den nächsten Monaten und Jahren ein neues sozialistisches Experiment erleben. Griechenland wird unter Tsipras aus dem Euro-Club gedrängt, wird parallel eine eigene Währung einführen, die die linke Regierung dann selbst inflationieren kann. So wie Che Guevara das auch gemacht hat. Er war in seiner kubanischen Zeit sogar Chef der dortigen Zentralbank und hinterließ der Nachwelt den Satz: „Unsere Freiheit und unser tägliches Brot tragen die Farben des Blutes und stecken voller Opfer.“ Alles für ein höheres Ziel – eine sozialistische Welt von morgen.

Photo: Navin75 from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Sie am 11. Oktober 2011 in einem von der NSA abgehörten Telefongespräch Ihre Sorge geäußert haben, dass selbst ein zusätzlicher Schuldenschnitt die Probleme in Griechenland nicht lösen könnte. Einen Tag zuvor hatte ich die notwendigen 3500 Unterschriften für einen Mitgliederentscheid in der FDP gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus und weitere Hilfen für Griechenland beim damaligen Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, abgegeben. Insofern hat uns beide zum gleichen Zeitpunkt die Sorge umgetrieben, dass die von Ihnen angestoßene Griechenland-Rettung nicht funktionieren wird.

Wie Sie wissen, habe ich am 7. Mai 2010 beim 1. Griechenland-Paket im Deutschen Bundestag erklärt, dass Griechenland nicht in der Lage sein werde, mit seiner Wirtschaft die Mittel zu erwirtschaften, die zur Schuldenreduzierung notwendig seien, solange Griechenland Mitglied der Eurozone sei. Notwendig wäre dafür ein Produktivitätsfortschritt der griechischen Wirtschaft von 30 Prozent, der in dieser kurzen Zeit nicht erreicht werden könne.

Der von Ihnen befürchtete Schuldenschnitt kam in zweifacher Ausführung im Frühjahr und Herbst 2012. Trotz des größten Schuldenerlasses in der Nachkriegsgeschichte hat Griechenland heute mehr Schulden als vor der Krise. Doch anders als zum Zeitpunkt Ihres nun bekanntgewordenen Telefonats sind die Gläubiger nicht mehr private Investoren, sondern fast ausschließlich staatliche Geldgeber. Es ist das eingetreten, was die Linken uns immer vorwerfen: Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert.

Doch das ist vergossene Milch. Was können Sie in dieser Situation jetzt und heute tun? Meine Empfehlung ist: Sorgen Sie dafür, dass das Recht in Europa wieder zur Geltung kommt. Die griechische Regierung darf innerhalb des Euros kein weiteres Hilfspaket bekommen, da die Schuldentragfähigkeit bislang nicht gegeben war und sie auch künftig nicht gegeben ist.

Bedenken Sie bitte, dass die neue griechische Regierung unter Alexis Tsipras seit dem 27. Januar 2015 im Amt ist. Seitdem hat diese Regierung faktisch nichts unternommen, um die Einnahmen zu erhöhen sowie die Ausgaben zu reduzieren. Nach wie vor werden die Reeder in Griechenland nicht besteuert, fast 70 Milliarden Steuerforderungen werden nicht eingetrieben, und nach wie vor hat Griechenland einen der größten Militäretats pro Kopf der Bevölkerung in der Welt. Ich glaube inzwischen, dass dahinter nicht die Unfähigkeit der dortigen Regierung steckt, sondern eine Strategie, die zum Ziel hat, dass die Regierung Tsipras schon längst die Zeit nach dem Euro plant. Nur sie wollen nicht selbst den Euro aufgeben müssen, sondern sie wollen Sie, Wolfgang Schäuble, Mario Draghi und Jean-Claude Juncker für die Übergangsprobleme verantwortlich machen. Diese Strategie hat im Januar schon zum Wahlsieg von Syriza geführt. Die Maßnahmen der Troika und der Staatengemeinschaft wirkten wie Doping für die radikalen Kräfte in Griechenland.

Die Staatengemeinschaft sollte der Wahrheit ins Gesicht schauen und mit Griechenland über den Ausstieg aus dem Euro verhandeln. Der Ausstieg als Gegenleistung für einen Schuldenschnitt und anschließende Aufbauhilfen. Das wäre für beide Seiten ein akzeptabler Kompromiss. Es wäre in gegenseitigem Interesse. Heute infiziert Griechenland mit der ständigen Rechtsbeugung alle anderen Krisenstaaten in Europa. Gleichzeitig zwingt die Staatengemeinschaft Griechenland einen immer stärkeren Souveränitätsverzicht auf. Das hält keine Demokratie auf Dauer aus.

Nur wenn Risiko und Verantwortung wieder eine Einheit werden, nur wenn Regierungen und Staaten auf der einen Seite und Banken und andere Investoren auf der anderen Seite für ihr Handeln haften, nur dann hat der Euro als Gemeinschaftswährung eine Chance.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Schäffler

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 4. Juli 2015.