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Der Bundestag hat der Regierung das Verhandlungsmandat für ein drittes Griechenland-Hilfspaket erteilt. Mit 73 Prozent stimmte die große Mehrheit des Parlaments zu. Die Öffentlich-Rechtlichen übertrugen live. Die Übertragung von Bundestagsdebatten ist in Deutschland nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, wenn Parlamentsdebatten aus Athen live im deutschen Fernsehen übertragen werden. Jeden Tag lesen, hören und sehen wir das Neueste über Hellas. Nicht mehr die Meldungen aus Bremen, Hamburg oder Dresden sind von Bedeutung, sondern ob irgendein Mitglied im Zentralkomitee (so heißt das wirklich!) der Regierungspartei Syriza etwas von sich gegeben hat. Früher wurde einmal im Jahr im Auslandsjournal eine zehnminütige Reportage über Griechenland gezeigt. Heute ist Griechenland die erste Meldung in jeder Nachrichtensendung – und das seit Monaten. Schuld daran ist letztlich der Euro. Schiede Hellas aus, dann hätte dies unweigerlich Auswirkungen nicht nur auf die Bevölkerung in Griechenland, sondern auch auf die Aktienmärkte, die Banken und die Wirtschaft in ganz Europa, vielleicht sogar weltweit. Der Streit unter Experten dreht sich lediglich um die Frage, wie stark diese Verwerfungen sind.

Die Befürworter weiterer Rettungspakete sagen, es sei erst das Verhandlungsmandat, über das Ergebnis der Verhandlungen werde dann nochmals abgestimmt. Doch hier darf man sich nichts vormachen, ein Zurück ist jetzt nur noch schwer möglich. Dabei ist die Situation paradox. Beide Seiten glauben nicht an die Umsetzung. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hält die Maßnahmen für falsch und glaubt nicht, dass sie umgesetzt werden. Und sein Gegenpart Wolfgang Schäuble äußert in jedem Interview seinen Zweifel an der Seriosität der Regierung Tsipras. Doch welche Konsequenz hat das gegenseitige Täuschen?

Erstens: Griechenland verliert immer mehr die eigene Souveränität. EU, IWF und EZB übernehmen das Zepter von Brüssel, New York und Frankfurt aus. Das wird auf Dauer nicht gutgehen, sondern die Extreme von links und rechts in Griechenland und wohl auch im Rest Europas stärken.

Zweitens: Deutschland wird zunehmend zum Buhmann in Europa. Die Maßnahmen, die die griechische Regierung und die Bevölkerung nicht durchsetzen wollen, werden Schäuble und Merkel angelastet. Der Druck, die Maßnahmen zu lockern, wird immer größer.

Drittens: Ebenso wie Tsipras’ Widerstand ihm im Inland hilft, so hilft Schäubles Widerstand ihm und seiner CDU im Inland. Schäuble hat seine Position inzwischen um 180 Grad gedreht. Noch im Frühjahr 2010 hat er einen Europäischen Währungsfonds vorgeschlagen, um den IWF außen vor zu halten. Jetzt war die weitere Beteiligung des IWF eine zwingende Voraussetzung für ein neues Abkommen. Auch ein Ausscheiden aus dem Währungsclub war damals undenkbar. Doch jetzt schlägt Schäuble einen Grexit auf Zeit vor und sogar Änderungen in den europäischen Verträgen, die einen Ausschluss von Mitgliedern ermöglichen. Was für eine Wendung!

Viertens: Die EZB wird weiter Geld drucken und die Zinsen auf einem historischen Tief einfrieren. Schon vorgestern erhöhte die EZB die Ela-Kredite, die den griechischen Banken zur Verfügung gestellt werden, erneut um 900 Millionen Euro. Letztlich wird dieses Geld aus dem Nichts gedruckt, dahinter steckt keinerlei Substanz. Es wird eine Langfristwirkung entfaltet. Immer dann, wenn es künftig unüberwindbare Finanzierungsprobleme von Staaten im Euroraum gibt, wird die Gewährung von Ela-Krediten an die nationalen Banken als Allheilmittel eingesetzt. Zur Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ist es nicht mehr weit.

Fünftens: Der Preis dafür wird die Vernichtung von Sparguthaben in Deutschland und Europa sein. Lebensversicherungen und Bausparkassen müssen sich auf schwere, auf ganz schwere Zeiten einstellen. Ihr Geschäftsmodell wird von Mario Draghi zerstört. Aber auch Volksbanken und Sparkassen, die vom Zinsüberschuss leben, wird zunehmend ihre Ertragskraft genommen. Sie werden Kosten reduzieren müssen, die im besten Fall in der Fläche zur Schließung von Filialen und zur Fusion der Institute führen werden.

Schlussfolgerung: Wir befinden uns nicht am Ende der Überschuldungskrise von Staaten und Banken, sondern an deren Anfang. Das Hinausschieben von Problemen löst die Krise nicht, sondern wird sie verschärfen. Daher gilt: Verlassen Sie sich nicht auf die Politik, sonst werden Sie bitter enttäuscht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung.

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Viele Deutsche sind gerade im Urlaub. Diese Zeit der Entspannung ist sicherlich ein guter Anlass, die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Dafür gibt es gute Gründe – nicht nur im Blick auf das eigene Leben, sondern auch im Blick auf unsere ganze Welt.

Wir brauchen keine Untergangspropheten

Alles wird immer schlimmer. Das wusste schon der gute alte Platon vor 2500 Jahren. Auch wenn er in der ein oder anderen Frage auf kurze Sicht richtig lag mit seiner Prophezeiung, so zeigen die letzten zweieinhalb Jahrtausende in der Rückschau doch, wie sehr er daneben lag. Dennoch hat leider sein Pessimismus all die Jahrhunderte im kollektiven Gedächtnis überdauert. Vielleicht haben wir Menschen einfach eine Schwäche für Horrorszenarien. Die großen Hollywood-Blockbuster sind ja häufig auch Katastrophenfilme. Platons morbide Lust an Verfallstheorien ist jedenfalls nach wie vor ein prägendes Element im öffentlichen Diskurs.

Die Debatte um das Waldsterben etwa versetzte in den 80er Jahren die Massen in Aufruhr. Bald, so konnte man den Eindruck haben, würde ganz Europa aussehen wie das Bitterfeld der DDR. Natürlich war es gut und richtig, dass in der Folge der zunehmenden Umweltschäden mehr auf den Schutz der Natur geachtet wurde. Wir können froh sein, dass die meisten Menschen hierzulande die satten Flussauen und reichen Wälder, die sanften Hügel und klaren Seen lieben und darauf schauen, dass diese Natur erhalten bleibt. Um das zu erreichen, braucht man aber keine Untergangspropheten, sondern Menschen, die sich das Anliegen zu Eigen machen.

Konstruktive Kritik ist gefragt

Man könnte natürlich argumentieren, dass die Untergangspropheten notwendig sind, um auf ein Problem überhaupt erst einmal aufmerksam zu machen. Damit tut man ihnen jedoch zu viel der Ehre an. Selbstverständlich gibt es immer mal wieder neue Probleme, auf die mit einer gewissen Schärfe und Lautstärke hingewiesen werden muss, damit sie überhaupt wahrgenommen werden und ein ernsthafter Diskurs über ihre Lösung beginnen kann. Es braucht Mahner und Warner. Aber deutliche Kritik kann durchaus auch mit einer positiven und konstruktiven Haltung geäußert werden. Man kann auf ein bestimmtes Problem hinweisen, auch ohne es als ein Vorzeichen des nahenden Weltuntergangs zu deuten.

Wer immer gleich den großen Teufel an die Wand malt, macht damit nämlich gleich mehrere Fehler: Er macht sich im öffentlichen Diskurs irgendwann lächerlich, wenn seine Zusagen nicht eintreffen. Das kann dann unter Umständen auch seinem Anliegen nachhaltig schaden. Wenn man allzu wüst auftritt, bekommt man zwar viel Applaus von einer Seite, aber die ist in den meisten Fällen die Minderheit derer, die ohnehin schon die eigenen Überzeugungen teilen. Andere Menschen zu überzeugen, ist dann aber umso schwerer. Zuviel Schwarzmalerei geht in der Regel zu Lasten des eigenen Anliegens aus.

Die Welt wird immer besser

Der größte Fehler aber ist der, dass man sich in eine Stimmung des Pessimismus hineinsteigert, die schleichend von einem Besitz ergreift und alle Initiativkräfte lähmt. Wenn die nahende Katastrophe unabwendbar erscheint, dann lässt unser Wille nach, noch etwas zu verändern. Dann geben wir auf und werden zu notorischen Jammerlappen. Der Fortschritt, den die Menschheit zweifellos seit Platons Zeiten gemacht hat, verdankt sich aber denen, die mit Zuversicht in die Zukunft sehen; die Probleme als Chance und Herausforderung verstehen.

Die amerikanische Nachrichten-Seite Vox hat vor kurzem eine Zusammenfassung von elf Statistiken und Karten veröffentlicht, die sie unter die Überschrift „Die Welt wird immer besser“ gestellt hat. Von der steigenden Lebenserwartung bis zu der abnehmenden Zahl bewaffneter Konflikte, vom Rückgang der Armut bis zur immer weiter verbreiteten Schulbildung zeigt sich überall ein erstaunlicher Fortschritt. Das Leben von Milliarden von Menschen verbessert sich kontinuierlich (insbesondere dank der Globalisierung, die ja auch gerne von den Untergangspropheten als Katastrophe dargestellt wird). Platons Schwarzmalerei ist durch die Fakten höchst eindrücklich widerlegt.

Die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet

Diese erfreuliche Bilanz entlässt uns nicht aus der Pflicht, uns für weitere Verbesserungen einzusetzen. Aber wir sollten etwas entspannter der Zukunft entgegen sehen. In diesen Wochen liegen manche von uns am Strand in Spanien, manche sitzen in einem Café in Paris oder in Krakau und manche wandern entlang einem norwegischen Fjord. Nehmen wir doch ein wenig von der Entspannung, die wir dort erfahren können, mit in den Alltag nach dem Urlaub. Sehr vieles spricht dafür, dass keines der Probleme, mit denen wir so konfrontiert werden, in den Weltuntergang führen wird. Ganz im Gegenteil: es wird die Optimisten unter uns dazu bringen, neue Ideen zu entwickeln. Ist es doch gerade die Fähigkeit zur Anpassung und Optimierung, die uns als Menschen auszeichnet.

Dem Fatalismus Platons kann, ja muss man den Geist des Sokrates entgegenstellen, den der Philosoph Karl Popper in seinem Werk „Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ beschreibt:

„Und da war Sokrates, vielleicht der größte unter ihnen, der lehrte, dass wir der menschlichen Vernunft vertrauen, uns aber zur gleichen Zeit vor dem Dogmatismus hüten müssen, dass wir uns in gleicher Weise von … dem Misstrauen gegen die Theorie und die Vernunft, und von der magischen Haltung derer fernhalten sollten, die aus der Weisheit ein Idol zu machen trachten. Mit anderen Worten, Sokrates lehrte, dass der Geist der Wissenschaft in der Kritik besteht.“

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Die Nacht der langen Messer war für Alexis Tsipras eine Demütigung. Die Belastung sah man ihm bereits am Abend an. Auf seiner Seite kann er verbuchen, dass der Euro-Club ihm weitere Milliarden in Aussicht stellt. Doch das war es dann auch schon. Als zurück nach Athen flog, kam er als begossener Pudel an. Schon am frühen Morgen haben die Nachrichtensendungen vom großen Durchbruch berichtet. Allgemeine Erleichterung war in den Meldungen zu spüren. Doch eines ist klar: Es war ein Pyrrhussieg der Staats- und Regierungschefs. Wer glaubt, dass damit das Schlimmste überstanden sei, der glaubt auch an die Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Beides trifft nicht zu. Die Eurokrise wird durch den gestrigen Abend neue Dynamik erhalten. Das Weiterwursteln setzt sich unvermindert fort.

Noch kennt man nicht die genaue Vereinbarung und das Kleingedruckte, aber so viel kann man schon jetzt sagen: all das, wofür Syriza im Januar gewählt wurde und jetzt beim Referendum mit großer Mehrheit bestätigt wurde, soll nun über Bord geworfen werden. So lächerlich unrealistisch die angepeilten Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro auch sein mögen, sie sind ein Schlag ins Gesicht der Sozialisten in Griechenland. Die Rückkehr der Troika nach Athen und die Verpflichtung zur Rücknahme der bisher beschlossenen Ausgabeprogramme durch das griechische Parlament ist ebenfalls eine bewusste Provokation gegenüber der linken Regierung in Griechenland. Und eine Umschuldung der griechischen Schulden wird erst im zweiten Schritt in Aussicht gestellt. Auch hier wurde die Kernforderung von Tsipras nicht erfüllt. Es ist ein vollkommenes Desaster für die Sozialisten in Griechenland.

Es ist daher völlig unrealistisch, dass dies vom griechischen Parlament beschlossen und anschließend umgesetzt wird. Das Ziel, ein EU-Protektorat in Südosteuropa zu installieren, wird nicht funktionieren.

Entweder Tsipras wird in Griechenland in die Wüste geschickt oder er fängt schon heute an und relativiert die Beschlüsse. So hat er es auch in den vergangenen sechs Monaten gemacht. Zusagen wurden in Brüssel gemacht, die dann in Athen relativiert wurden. Schon in den frühen Morgenstunden hieß es aus Athen, es müsse Neuwahlen geben. Das ist wohl auch das wahrscheinlichste Szenario. Denn Tsipras kann nur dann politisch überleben, wenn er Neuwahlen zu einem erneuten Referendum über seine Politik macht. Das lässt ihn Zeit gewinnen und die Gläubiger weiter zappeln. Nur wenn er weiter als David spielt, der gegen die Goliaths in Brüssel und Berlin unerschrocken kämpft, kann er zur neuen Identifikationsfigur der Linken werden. Sollen sie ihn doch aus dem Euro schmeißen. Jedoch darf nicht er den Bettel hinwerfen, sondern der Schwarze Peter muss bei Merkel und Schäuble liegen. Daran arbeitet er seit geraumer Zeit mit wachsendem Erfolg. Wenn Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi Wolfgang Schäuble öffentlich abwatscht, dann sagt das sehr viel über die aktuellen Befindlichkeiten aus. Das weiß auch Angela Merkel.

Daher ist ihr Ziel, die Regierung Tsipras durch eine Technokratenregierung zu ersetzen. Doch wie heißt es so schön: hinten sind die Enten fett – das weiß auch Alexis Tsipras. Wer das Chicken Game gewinnt, wird sich erst noch zeigen.

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Schiedsgerichte wären eine spannende und innovative Möglichkeit, eine größere Vielfalt und mehr Auswahlmöglichkeiten in unserem Rechtssystem zur Verfügung zu stellen. Dass das Europäische Parlament sie ablehnt, ist ein Fehler.

Keine Herrschaft der Hinterzimmer

Die Entscheidung der Europaparlamentarier, der Kommission das Mandat für die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu geben, ist in dem ganzen Wirbel um Griechenland ein wenig untergegangen. Die üblichen Bedenkenträger waren so sehr mit der Causa Grexit beschäftigt, dass der große Aufschrei ausblieb. Sie hatten sich aber auch in einem nicht unwichtigen Punkt durchgesetzt: Das Investitionsschiedsabkommen ISDS soll aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Dieses Abkommen sollte Investoren dies- und jenseits des Atlantiks die Möglichkeit geben, Streitfälle mit staatlichen Stellen zu lösen.

Diese Art der Problemlösung ist mitnichten neu. Wie die Befürworter des Abkommens in den letzten Monaten nicht müde wurden, herauszustellen, haben europäische Staaten in den letzten 60 Jahren über 1400 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Weltweit gibt es über 2000 von ihnen. Die meisten Schiedsverfahren werden von der Weltbank durchgeführt, also nicht in irgendwelchen Hinterzimmern von Großkonzernen. Überhaupt Großkonzerne: Die Kritik am ISDS bezieht sich gebetsmühlenartig auf die Klage von Vattenfall gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Unabhängig davon, wie man zu diesem konkreten Fall steht, muss man anerkennen: er ist nicht repräsentativ.

Schiedsgerichte schaffen in den meisten Fällen Rechtssicherheit

Wirft man einen Blick in die Berichte des „Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ der Weltbank (ICSID), das einen großen Teil der Streitfälle verhandelt, kann man Einblicke gewinnen, die in deutlichem Gegensatz stehen zu dem Standard-Bild, das hierzulande in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. 150 Länder sind Mitglieder des Abkommens, darunter fast alle EU-Staaten, die USA, China und Japan. Von allen Fällen, die je dort verhandelt wurden, sind nur 4 % der Fälle gegen Staaten Westeuropas und weitere 4 % der Fälle gegen Staaten Nordamerikas verhandelt worden. Ein großer Teil der angeklagten Staaten liegt in Regionen, in denen das staatliche Rechtssystem zumindest instabil ist: 26 % in Südamerika, 26 % in Afrika und dem Mittleren Osten, 25 % in Osteuropa und Zentralasien.

Offensichtlich ist das Instrument internationaler Schiedsgerichte also eine Möglichkeit, zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren herzustellen. Davon sind übrigens auch sehr viele Mittelständler betroffen, die in Gegenden mit ungenügendem Rechtsschutz operieren. Von Vorteil sind diese Optionen zusätzlicher Rechtssicherheit zudem nicht nur für die Investoren, sondern auch für deren Partner vor Ort, für deren Angestellten und Kunden. Wenn es gelingt, die Produktionsstätte eines deutschen Unternehmers etwa in Kenia, Uruguay oder Pakistan vor der Willkür von Politik und Bürokratie zu schützen, ist das ja auch für diejenigen von Vorteil, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen oder als Händler, Transporteure und Konsumenten von den Produkten profitieren.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Nun ist der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die EU und die USA ja doch weitgehend funktionsfähige Rechtssysteme haben. (Wobei gerade die scharfen TTIP-Kritiker das im Blick auf die USA wahrscheinlich verneinen würden, weshalb sie durchaus für das ISDS sein könnten …) Ob freilich die nun gefundene Regelung, staatlich benannte Richter für solche Streitfälle einzusetzen, die bessere Lösung ist, kann mit Fug und Recht angezweifelt werden. „Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, haben wir unabhängige Gerichte gemacht“, jubelte der Europaabgeordnete Bernhard Lange nach der Entscheidung. Diese Sicht der Dinge geht von einer Illusion aus: Nämlich von der Illusion, dass ein Richter, sobald er nicht durch eine Institution des Staates ernannt wurde, zum Rechtsmissbrauch neige, während umgekehrt staatlich eingesetzte Richter automatisch unabhängig seien.

Richter sind Menschen, unabhängig davon, ob sie eine staatliche Robe tragen oder nicht. Richter machen Fehler und können korrupt sein. Korruption ist dabei definitiv nicht nur mithilfe von Geld durchführbar. Auch die Aussicht auf Ämter oder Beförderungen kann Menschen, und eben auch Richter, dazu bringen, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit zu ignorieren. Dennoch sind Richter, ob staatlich legitimiert oder nicht, wohl tendenziell eher immun gegen Korruption. Das liegt an ihrem Berufsethos. Das liegt aber auch daran, dass natürlich alle Parteien, die für die Einsetzung eines Richters zuständig sind, ein Interesse an dessen Integrität haben. Würden sich etwa die Richter des ICSID durch besondere Nähe zu Staat oder Unternehmen auszeichnen, wäre es wohl bald vorbei mit dessen gutem Ruf.

Was wollen die Gegner der Schiedsgerichte eigentlich wirklich?

Private Schiedsgerichte laden weder signifikant mehr noch weniger als staatliche Einrichtungen zum Missbrauch oder auch nur zum Irrtum ein. Sie können aber ein wichtiges Korrektiv und eine wichtige Ergänzung zu bereits bestehenden staatlichen Gerichten sein. Nicht nur auf dem Gütermarkt ist Wettbewerb ein Instrument, um bessere Lösungen zu finden. Wenn man nicht davon ausgeht, dass es Menschen gibt, die, weil gütiger, weiser und integrer als andere, bestimmt sind, als Philosophenkönige zu herrschen, dann kann auch für staatliche Institutionen und Organisationen der Wettbewerb ein guter Weg sein, um innovativ zu sein und sich zu disziplinieren.

Man könnte ins Grübeln kommen angesichts von Bernhard Langes Freude darüber, dass sich Investoren aus den USA und der EU fortan nur noch an staatlich ernannte Richter sollen wenden können. Speist sich sein Wohlgefallen gar daraus, dass die Politik auch in Zukunft nicht darauf wird verzichten müssen, die Rechtsprechung zu kontrollieren? Wird hier gar unter dem Vorwand, dem Missbrauch der Justiz durch zahlungskräftige Unternehmen vorbeugen zu wollen, der Boden bereitet für den Missbrauch der Justiz durch die Politik? Wenn man die Stimmungsmache im Europäischen Parlament gegen große Konzerne wie Google beobachtet, könnte man fast zu diesem Schluss kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ablehnung privater Schiedsgerichte wirklich der Herrschaft des Rechts dienen wird.

Photo: blu-news.org from flickr (CC BY-SA 2.0)

Eigentlich gibt es nur noch zwei Wege aus dem Dilemma Griechenlands. Entweder die EZB springt kurzfristig ein, erhöht die Ela-Kredite entsprechend und verschafft der griechischen Regierung indirekt wieder Liquidität oder es kommt zum Graccident, also der mehr oder weniger ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club. Ein Kredit des ESM, wie ihn Tsipras jetzt formal beantragt hat, geht sehr wahrscheinlich schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Die Ausweitung der Ela-Kredite ist jedoch durchaus möglich. Immerhin betrugen sie 2012 auch schon einmal 120 Milliarden Euro. Derzeit liegen sie bei „nur“ 90 Milliarden Euro. Hier wäre unter Beugung des Rechts ohne weiteres mehr möglich. Damit käme man vielleicht sogar über den August und hätte Zeit, die Verhandlungen fortzusetzen.

Es ist aber das unwahrscheinlichere Szenario von beiden. Wahrscheinlicher erscheint nun doch ein Graccident. Gar nicht so sehr, weil die restlichen Euro-Club-Mitglieder vom hin und her der griechischen Regierung langsam aber sicher buchstäblich die Schnauze voll haben. Hier ist die Leidensfähigkeit noch nicht endgültig ausgereizt. Eigentlich würden Merkel, Schäuble, Juncker und Draghi alles dafür tun, den Euro-Raum als Ganzes zu erhalten. Zu sehr fürchten sie das Signal des Scheiterns ihres Krönungsprojektes der europäischen Einigung und den Ausfall der Griechenland-Kredite.

Nein, das Graccident wird letztlich von der griechischen Regierung durch deren Verweigerung eingeleitet. Seit deren Regierungsübernahme bluffen Tsipras und sein ehemaliger Finanzminister Varoufakis. Sie kündigten an, relativierten, widersprachen und verhandelten neu. So ging es nunmehr schon fast ein halbes Jahr. In der Zwischenzeit haben sie weder die Reichen besteuert, noch den Militäretat reduziert, geschweige denn die Günstlingswirtschaft beendet. Warum soll man Einschnitte vornehmen, wenn die Schuldenlast immer weiter steigt.

Aus Sicht des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ergibt dieses Vorgehen Sinn. Die griechische Regierung unter Tsipras kann nicht aktiv aus dem Euro ausscheiden, dazu ist die Gemeinschaftswährung in Griechenland selbst zu beliebt. Das zeigen alle Umfragen. Einem 3. Hilfspaket kann Tsipras ebenfalls nicht zustimmen, denn das würde ihn die Akzeptanz in seiner eigenen Partei, in der Bevölkerung und bei den Linken rund um den Globus kosten.

Bei Letzteren sind wir bei des Pudels Kern: Alexis Tsipras will der neue Che Guevara der Linken auf dieser Welt werden. Dazu sind die Voraussetzungen gut. Nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela und dem krankheitsbedingten Abgang von Fidel Castro in Kuba fehlt es der internationalen Linken an einer Identifikationsfigur. Wenn selbst Kuba wieder diplomatische Beziehungen zu den USA aufbaut, Vietnam in China die größere Bedrohung sieht und den alten Klassenfeind Amerika um Hilfe bittet, und wenn China weite Teile der Welt kapitalistisch überholt, dann braucht es ein Momentum, um die linke Jugend überall auf der Welt wieder zu elektrisieren. Dieses Momentum wäre das Graccident. Der ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum wäre in den Augen der Linken weltweit das Produkt des Kapitalismus und dessen Schuldknechtschaft. Dafür steht buchstäblich der IWF als Teil der Troika und besondere Reizfigur der Linken.

Diese Agenda passt zu Tsipras wie die Faust aufs Auge. Tsipras wurde schon als Schüler in der Kommunistischen Jugend Griechenlands und später in der Kommunistischen Partei politisch sozialisiert. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Fidel Castro und Che Guevara, die die Linke weltweit fasziniert haben. Das wird wohl auch bei Tsipras so gewesen sein. Es war der Kampf gegen den „amerikanischen Imperialismus“, der sich in der Politik des IWF und der Weltbank ausdrückte. Tsipras ist ein brillanter Redner, ist charismatisch und jung – so wie einst sein Vorbild Che Guevara. Es wird Tsipras daher besonders gefreut haben, dass Che Guevaras Mitkämpfer Fidel Castro ihm vom Krankenbett aus die herzlichsten Glückwünsche zum gewonnenen Referendum geschickt hat.

Wir werden in Südosteuropa daher in den nächsten Monaten und Jahren ein neues sozialistisches Experiment erleben. Griechenland wird unter Tsipras aus dem Euro-Club gedrängt, wird parallel eine eigene Währung einführen, die die linke Regierung dann selbst inflationieren kann. So wie Che Guevara das auch gemacht hat. Er war in seiner kubanischen Zeit sogar Chef der dortigen Zentralbank und hinterließ der Nachwelt den Satz: „Unsere Freiheit und unser tägliches Brot tragen die Farben des Blutes und stecken voller Opfer.“ Alles für ein höheres Ziel – eine sozialistische Welt von morgen.