Von Norbert Häring, Journalist.

Der Beitragsservice von ARD ZDF Deutschlandradio und ich haben ein gemeinsames Interesse: wir wollen beide möglichst schnell gerichtlich klären lassen, ob ich das Recht habe, den Rundfunkbeitrag – wenn ich ihn denn bezahlen muss – mit Münzen und Scheinen zu bezahlen.  Am Dienstag ging meine mit dankenswerter Unterstützung des Prometheus-Instituts erarbeitete Klage an das Verwaltungsgericht Frankfurt.

Die Rundfunkanstalten haben Barzahlungen in ihren Satzungen ausgeschlossen. Ich meine, das ist rechtswidrig, weil es der Eigenschaft von Euro-Banknoten als „unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel“ nach § 14 Bundesbankgesetz widerspricht. Die Rundfunkanstalten wollen das schnell klären, weil sich sehr viele Bürger offenbar auch wie ich verhalten und den Rundfunkbeitrag nur noch bar zahlen wollen. Sie stecken in der Zwickmühle. Je mehr und je länger Bürger die „unbare“ Zahlung verweigern, desto mehr dürfte der ohnehin schon riesige Strom der Zahlungsverweigerer Anschwellen. Rund 900.000 Zwangsvollstreckungen hat der Beitragsservice 2014 beantragt und 21 Millionen (!) mal gemahnt.

Wenn die Rundfunkanstalten andererseits die Barzahlungsanbieter mit Bescheiden überziehen würden und diese dann auch vollstrecken wollten, riskierten sie, Verfahren vor vielen verschiedenen Gerichten gleichzeitig, und mit jedem neuen Verfahren steigt das Risiko, dass es irgendwo einen negativen Ausgang gibt und die Unsicherheit für die Anstalten noch größer wird.

Der mutmaßliche Versuch der Anstalten, mich und mein Barzahlungsangebot einfach zu vergessen war möglicherweise daran gescheitert, dass ich die Sache öffentlich machte, und Frank Schäffler und schließlich auch die Massenmedien das verbreiteten. So schaltete man um und ebnete  schnell den Weg zum Gericht. Ich bekam einen Bescheid vom Hessischen Rundfunk, dass Barzahlung nicht möglich sei, mein Widerspruch wurde ebenso schnell zurückgewiesen und gegen diese Zurückweisung konnte und musste ich dann vor dem Verwaltungsgericht klagen, um nicht meine gesetzlich und verfassungsrechtliche Rechtsposition aus formalen Gründen zu verlieren.

Dank meines im Geldrecht sehr kundigen Anwalts ist eine Klageschrift entstanden, die verschiedene Erfolgsmöglichkeiten eröffnet. So hat es den Anschein, als sei die Gebührensatzung des Hessischen Rundfunks schon nicht ordentlich genehmigt worden, was eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bietet, dass sie schon alleine deswegen ungültig ist. Dann würde dem Hessischen Rundfunk bereits ganz grundsätzlich die rechtliche Basis zur Erhebung des Rundfunkbeitrags fehlen.

Zum zweiten legt die Klageschrift dar, dass § 14 Bundesbankgesetz entgegen der Auslegung der Rundfunkanstalten tatsächlich von Anfang an den Zweck verfolgte, eine Verpflichtung zur Annahme des gesetzlichen Zahlungsmittels zu begründen. Das gleiche gilt für die noch höhere Rechtsebene des europäischen Vertragsrechts, wo ebenfalls Euro-Banknoten zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt werden und eine EU-Kommissionsempfehlung zusätzlich noch einmal klarstellt, was damit gemeint ist. Wenn sich das Gericht dieser Argumentation anschlösse, würde das bedeuten, dass der Beitragsservice beziehungsweise die Rundfunkanstalten Bargeldzahlungen nicht ablehnen dürfen.

Es könnte noch dicker kommen. Denn tatsächlich schließen ja die Beitragssatzungen der Rundfunkanstalten Barzahlung aus. Wenn sie aber aufgrund des Bundesbankgesetzes verpflichtet sind, Bargeld anzunehmen, ihre Satzung ihnen das hingegen nicht erlaubt, dann müssten sie wohl zuerst neue Satzungen beschließen und genehmigen lassen, bevor sie die in bar angebotenen Beiträge annehmen können.

Zu welchem dieser Ausgänge es kommt, wird sich zeigen. Es ist jedenfalls ein spannendes Verfahren, das üblicherweise einige Monate dauern wird. Bis dahin könnte es für Gebührenpflichtige im Allgemeinen – insbesondere für diejenigen, die Barzahlung angeboten haben – überlegenswert sein, den Beitrag nur noch unter ausdrücklichem Vorbehalt zu bezahlen bzw. zu überweisen, und zu erklären dass man die Rechtsgrundlage des Beitrags und das Recht der Rundfunkanstalt auf  Verweigerung der Barzahlung bestreitet und sich Rückforderung vorbehält, für den Fall, dass ein Gericht Rechtsverstöße durch Beitragsservice oder Rundfunkanstalt feststellt.

Die Bedeutung des Verfahrens weist bei allem auch noch über den reinen Rundfunkbeitrag hinaus. Es gibt einen unerklärten Krieg der Finanzbranchen unter Beihilfe der EU-Behörden und mancher Regierungen gegen das Bargeld. Die Bearbeitung von Wechselgeld wird durch absurde Regeln verteuert, damit die Händler Plastikgeld dem Bargeld vorziehen. Selbst Behörden weigern sich bisweilen, das gesetzliche Zahlungsmittel anzunehmen. In vielen Ländern wurde sogar bereits verboten, bar zu zahlen, wenn die Rechnung höher als zum Beispiel 1000 Euro ist. Und um ganz klar zu machen, worum es geht, hat kürzlich die größte Bank der USA, JP Morgan Chase verfügt, dass ihre Kunden kein Bargeld mehr in ihren Schließfächern verwahren dürfen. Sie sollen das Geld lieber auf ihr Konto einzahlen, heißt es zur Begründung. Dort sei es sicherer. Das sollen sie mal den Griechen erklären. Wenn diese Verdrängung des Bargelds in die Illegalität weiter geht, dann brauchen sich die Banken bei der nächsten Finanzkrise nicht mehr zu sorgen und die Regierungen brauchen nicht mehr für die Spareinlagen garantieren. Dann gibt es für die Bürger kein Entkommen mehr. Wenn die Banken nicht genug Geld haben um alle Forderungen der Einleger zu erfüllen, werden die Guthaben einfach entwertet. Dass dabei auch die informellen persönlichkeitsrechte der Bürger verletzt werden, habe ich in meiner Klage ebenfalls thematisiert.

Ein Gerichtsurteil, dass unmissverständlich feststellt, dass ein unbeschränktes gesetzliches europäisches Zahlungsmittel nicht mutwillig von Behörden oder Regierungen verboten werden oder seine Annahme verweigert werden kann, würde also nebenbei auch einen dicken Knüppel zwischen die Beine der Anti-Bargeld-Krieger werfen.

Seit dem 22. Mai läuft nunmehr unsere Kampagne „Zwangsbeitrag? Nein Danke“. Nach drei Monaten können wir ein erstes Resümee ziehen. Sowohl in den etablierten als auch in den sozialen Medien hat unsere Kampagne ein breites Echo gefunden. Doch halt, wir wollen ehrlich sein: die Öffentlich-Rechtlichen haben nicht berichtet – noch nicht. Aber auch das bekommen wir noch hin!

Es wäre doch schade, wenn die Grundversorgung an Information nicht über Fernsehgarten, Rosamunde Pilcher oder „Die beliebtesten Wanderwege in NRW“ hinausgehen würde. Vielleicht ist der Siedepunkt noch nicht erreicht, ab dem der ARD-Intendant oder sein Pendant bei den Mainzelmännern seine investigativen Journalisten von Monitor oder Frontal 21 anweist, sich die Kampagnemacher mal genauer anzuschauen. Vielleicht steckt ja doch das Großkapital aus Amerika oder die Springer-Presse dahinter – vielleicht auch die Waffenindustrie oder die Tabaklobby. Wer weiß?

Und die Tatsache, dass es diese „subversiven Elemente“ von Prometheus geschafft haben, am vergangen Freitag ihr Kampagne-Logo „Zwangsbeitrag? Nein Danke“ an die Häuserwand des ARD-Hauptstadtstudios in unmittelbarer Nähe zum Reichstag zu projizieren, war schon dreist! Dabei ist doch das für 71 Mio. € aus Beitragsgeldern errichtete Hauptstadtstudio die „Visitenkarte“ (wie es so schön auf der ARD-Homepage heißt) der ARD-Anstalten im Zentrum der Macht.

Wir helfen bei der Grundversorgung an Information gerne nach: Das ansonsten medial vielbeachtete Gutachten unseres Kurators Prof. Justus Haucap ist die inhaltliche Basis der Kampagne. Haucap schlägt darin die Abschaffung des Rundfunkbeitrages und eine Privatisierung von ARD und ZDF vor. Die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren 23 Fernsehkanälen und 63 Radioprogrammen haben im letzten Jahr 8,3 Milliarden Euro eingenommen. Deren Beteiligungsstruktur und die Mittelvergabe sind völlig intransparent. Inzwischen schafft die Digitalisierung eine Medienvielfalt, die eine öffentlich-rechtliche Grundversorgung überflüssig macht. Dieser Auftrag stammt aus einer analogen Welt der 1950er und 1960er Jahre. Die Digitalisierung bringt das Fernsehen ins Netz, macht das Fernsehen zeitlich unabhängig vom Programmablauf des jeweiligen Senders und verlagert das Fernsehen vom Fernsehgerät auf Computer, Tablets und Smartphones. Diese Revolution in der Fernsehunterhaltung und –information würde ohne staatlich gewährtes Finanzierungsmonopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten, diese eigentlich wegfegen, da die Nachfrage für deren „Angebot“ immer stärker zurückgeht. Auch das zeigt das Haucap-Gutachten: die Zuschauer der Öffentlich-Rechtlichen werden immer älter und weniger.

Wir nutzen die neuen Medien. Unser neues Youtube-Video erfreut sich nach wenigen Tagen bereits großer Beliebtheit. Unser Start-Video wurde inzwischen 10.000 Mal angeklickt. Unser Blog www.zwangsbeitrag.info informiert über alle wesentlichen Neuigkeiten rund um die Abschaffung der Rundfunkbeitrages. Hier können Sie auch eine Petition unterzeichnen und Aufkleber und Postenkarten bestellen. Wir sind bereits in der 5. Auflage und lassen laufend weitere nachdrucken.

Auch die von uns unterstützte Initiative des Journalisten Norbert Häring, die Einzugsermächtigung für den Rundfunkbeitrag zu widerrufen und die Barzahlung anzubieten, bereitet dem sogenannten Beitragsservice von ARD und ZDF zunehmend Kopfzerbrechen. Auch hier bleiben wir dran und werden Sie in Kürze über weitere Aktionen informieren.

Helfen Sie uns, diese Kampagne weiterzudrehen! Zum Beispiel mit einem Beitrag von 17,50 Euro im Monat oder 210 Euro im Jahr. Bei uns wäre dieser Beitrag allerdings freiwillig, in der Höhe natürlich nach oben offen und selbst die Barzahlung ist ohne Probleme möglich. Auf jeden Fall wären es sinnvoll eingesetzte 17,50 € – was man nicht von jedem Betrag in dieser Höhe sagen kann … Sie können es mit einem entsprechenden Nachweis sogar noch von der Steuer absetzen. Gutes tun und Steuern sparen – wo gibt es das noch heutzutage?

Photo: thierry ehrmann from Flickr (CC BY 2.0)

In Tagen vor wichtigen Abstimmungen im Bundestag geht es oft hektisch und nervös zu. Dabei wird immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben, zu deren Erlegung mehrere Seiten viel Mühe, Zeit und Arbeit aufwenden. Aktuell ist es wieder so. Viele Abgeordnete der Unions-Fraktion machten ihr gestriges Abstimmungsverhalten von der weiteren Zusicherung des Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig, dass dieser Teil der Troika und damit der Geldgeber bleibt. Bekanntlich drängt IWF-Chefin Christine Lagarde die Euro-Staaten zu einem weiteren Schuldenschnitt für Griechenland und macht die Teilnahme am 3. Hilfspaket davon abhängig. Und insbesondere die deutsche Regierung und die EZB lehnen diesen Schuldenschnitt ab.

Schuldenschnitt durch Mini-Zinsen

Angela Merkel hat beim großen Showdown in Brüssel Mitte Juli eine Schuldenerleichterung lediglich in Aussicht gestellt. Sie meinte damit jedoch keinen formalen Schuldenschnitt, sondern eine weitere Zinserleichterung und eine Streckung der Laufzeit der griechischen Kredite. Und so wird es dann auch kommen.

Das Risiko für den Internationalen Währungsfonds war eh sehr gering. Er hatte sich schon bei den vorangegangenen Krediten einen bevorrechtigten Gläubigerstatus gegenüber den andern Gläubigern ausbedungen. Rechtlich notwendig ist die Beteiligung des IWF längst nicht mehr. Anders als beim vorübergehenden Schuldenschirm EFSF ist beim dauerhaften Schuldenschirm ESM nur noch die Rede davon, dass „eine aktive Beteiligung des IWF, sowohl auf fachlicher als auch auf finanzieller Ebene“ angestrebt wird. Diese weiche Formulierung im ESM-Vertrag folgt einem alten Wunsch von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Denn der ESM ist im Ergebnis das, was Schäuble im Frühjahr 2010 mit seiner Idee eines Europäischen Währungsfonds bereits vorschlug. Schon damals wollte er „in Zukunft für die Euroländer den Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) überflüssig machen“. Konkret: Schäuble wollte immer den IWF draußen halten.

Das wissen viele der neuen und jungen Unionsabgeordneten nicht, die jetzt zögerten, ob sie dem 3. Hilfspaket zustimmen sollen. Sie tragen wie ein Mantra vor sich her, dass die besondere Expertise des IWF so wichtig für den Erfolg des Griechenlandprogramms sei. Doch ob der IWF mitmacht oder nicht, ist genauso wichtig wie eine platzende Bratwurst in China.

Bescheidene Expertise

Denn die Expertise nicht nur der EZB und der EU-Kommission war bislang äußerst überschaubar, sondern auch die des IWF. Deren Zahlen stimmten bislang nie. Nach fünf Jahren Rettungspolitik und zwei Schuldenschnitten hat Griechenland absolut und relativ mehr Schulden als vor der Krise, obwohl der IWF etwas anderes prognostiziert hatte. Die Empfehlungen des Währungsfonds sind auch selten konsistent. Zu Beginn der Amtszeit von Francois Hollande kritisierte der IWF Frankreich noch dafür, dass es den Haushaltsausgleich vornehmlich durch Steuererhöhungen finanzieren wolle. Gerade Steuererhöhungen schlägt der IWF jetzt für Griechenland vor. Die Griechenland-Krise hat dem IWF in das Zentrum der Macht gerückt und ein neues langfristiges Handlungsfeld eröffnet. Das war nicht immer so.

Die Geschichte des Internationale Währungsfonds ist eng mit der Nachkriegsgeldordnung verbunden. In dieser Geldordnung sicherten die USA allen teilnehmenden Staaten zu, Dollar-Reserven anderer Notenbanken verbindlich in Gold einzulösen. Mit dem IWF wollten die Staaten die Wechselkurse der Währungen untereinander ausgleichen. Das IWF-Budget sollte helfen, Währungen die aus der Bandbreite ausscherten, zu stabilisieren. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems am 15. August 1971, als der damalige US-Präsident Richard Nixon in einer Fernsehansprache die Einlösepflicht Amerikas gegenüber anderen Notenbanken aufkündigte, war die eigentliche Aufgabe des IWF zu Ende. Doch Institutionen suchen sich neue Aufgaben – so auch der IWF. Plötzlich ging es darum Entwicklungsländern der Dritten Welt mit Krediten „zu helfen“. Wohlverhalten sollte mit Geld belohnt und die Zahlungsunfähigkeit verhindert werden. Eigentlich das gleiche Rezept aus „Zuckerbrot und Peitsche“, das nunmehr seit 5 Jahren auch in Griechenland versucht wird.

Der IWF gewinnt an Griechenland

Doch erst mit der Euro-Krise kommt der IWF wieder zu alter Stärke und Macht zurück. Inzwischen ist das Griechenland-Programm das größte jemals aufgelegt Programm des IWF. Um dies möglich zu machen, biegt der Fonds seine eigenen Statuten bis zur Unkenntlichkeit. Ebenso macht es der Euro-Club. Es sind kollektive Rechtsbrüche, um die Insolvenz Griechenlands durch deren Verschleppung zu verhindern. Doch es ist kein gutes Zeichen, wenn Staaten, internationale Organisationen oder Notenbanken das Recht brechen. Es ist moralisch verwerflich und verachtenswert. Es zersetzt das Rechtsempfinden der Bürger. Denn diese werden sich fragen: mit welchem Recht fordert der Staat die Einhaltung des Rechts bei mir selbst ein? Warum soll man sich noch an Regeln im Straßenverkehr halten oder Steuern bezahlen? In einem Willkürstaat gerät eine Gesellschaft insgesamt auf die schiefe Bahn.

Die Alternative dazu ist das Ideal des „Rule of Law“: Die Abwesenheit von willkürlicher Regierungsmacht sowie abstrakte und allgemeine Regeln, die für alle gleich sind. Der englische Verfassungsgelehrte Albert Venn Dicey sah die „Souveränität des Rechts“ als Hauptmerkmal dieses Ideals. Er zitierte zu Beginn des letzten Jahrhunderts das alte Recht der englischen Gerichte: „Das Recht ist das höchste Gut, das der König erbt, denn er und seine Untertanen werden von ihm regiert, und ohne das Recht gäbe es weder König noch Königreich.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Sascha Kohlmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)

2,9 Billionen Euro wurden 2014 in Deutschland erwirtschaftet. Zur gleichen Zeit hat der Staat Sozialausgaben im Wert von 850 Milliarden Euro verteilt – das ist fast ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Geht es hier wirklich noch um die Armen?

Sozialleistungen für die Oberschicht

Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat in einer demnächst erscheinenden Studie die Strukturen der Sozialausgaben in Deutschland ausführlich analysiert. Fazit: Es geht eher um massive Umverteilung in der gesamten Gesellschaft als darum, Arme und Schwache zu unterstützen. Es mag Ihnen etwas schwer fallen, aber stellen Sie sich einmal vor, sie würden zwischen 7.000 und 10.000 Euro im Monat verdienen. Selbst dann würden Sie im Durchschnitt immer noch monatlich 625 Euro Sozialleistungen bekommen. Freilich, Sie würden auch jeden Monat 3.782 Euro zahlen, und damit ein Sechsfaches von dem, was Sie erhalten. Aber das ist noch einmal ein anderes Thema.

Sobald das Haushaltseinkommen netto über die 3000 Euro-Grenze gerutscht ist, wird der Haushalt vom Netto-Empfänger zum Netto-Zahler. Man kann darüber streiten, ob das fair ist – zu hoch oder zu niedrig. Unabhängig von der Frage, ab wann man legitimer Weise jemanden zur Kasse bittet, stellt sich allerdings eine weitere grundsätzliche Frage: Wie sinnvoll kann es sein, denjenigen, die das Sozialsystem durch ihre Steuern und Beiträge finanzieren, wiederum Leistungen zukommen zu lassen? Könnte man deren Belastung nicht einfach etwas reduzieren?

Von der einen in die andere Tasche

Die Sozialleistungen schon vor der Besteuerung zu verrechnen und mithin weniger zu besteuern, wird nur sehr schwer durchzusetzen sein. Warum? Weil es bei vielen Sozialleistungen nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorrangig darum geht, die unteren Einkommensschichten zu unterstützen. Betreuungs-, Eltern- und Kindergeld sind so Maßnahmen, die fröhlich in jedes Portemonnaie sprudeln – dem Gärtner werden sie ebenso gewährt wie der Top-Managerin. Denn bei diesen Leistungen geht es darum, ein bestimmtes Verhalten zu belohnen, nicht den Armen zu helfen.

Mit anderen Worten: Staatliche Behörden nehmen den Steuerzahlern das Geld aus der einen Tasche heraus, nur um es ihnen anschließend mit großzügiger Geste in die andere wieder hinein zu stecken. (Meistens mit gewissen Verlusten unterwegs …) Während die Politik mit solchen Maßnahmen der Sorge um die demographische Entwicklung entgegenwirkt, fühlt sich der Empfänger geschmeichelt, belohnt und umsorgt. Endlich mal jemand, der den Kindern etwas Gutes tut! Wirklich geholfen ist dem Netto-Zahler damit allerdings natürlich nicht. Überraschung: das geschieht mit seinem eigenen Geld!

Erratische Umverteilung

Einen großen Anteil an den Transferleistungen, die eben nicht nur von oben nach unten gehen, sondern erratisch, kreuz und quer und hoch und runter, durch die Schichten, gehen natürlich auch auf das Konto der umlagefinanzierten Gesundheits- und Rentensysteme. Auch hier kann man sich fragen, ob sich nicht intelligentere Lösungen finden ließen. Wäre es nicht wünschenswert, wenn man vermeiden könnte, dass hier über den Umweg des Finanzamts bzw. der Versicherungen und Rentenkassen Geld von der einen in die andere Tasche geschoben wird?

Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele andere Bereiche staatlichen Geldausgebens, bei denen eine Umverteilung mindestens innerhalb der Mittel- und Oberschicht stattfindet, wenn nicht gar von unten nach oben. In einer Untersuchung des „Institute for Research in Economic and Fiscal Issues“ heißt es dazu:

„Das Spektrum erstreckt sich von öffentlichen Kulturangeboten wie Theatern, Museen oder Opern über bezuschusste Stadien, Sporthallen oder Schwimmbäder bis zur Subvention von Musikschulen, Universitäten und Schulen. Würden derartige nicht-monetäre Transfers mitberücksichtigt, sähe die Bilanz der Abgaben und Bezüge der Mitglieder der Einkommensmitte noch rosiger aus und das Argument für weniger Hin- und Her von Mitteln zwischen dem Staat und der Mitte wäre noch stärker.“

Effizienter und gerechter die Armen unterstützen

Es gehört zum gesellschaftlichen Konsens, dass Ärmeren und Notleidenden geholfen werden muss. Was derzeit in unserem Staat passiert, ist allerdings etwas anderes. Die Umverteilungskanäle sind undurchschaubar, das System gleicht eher einem Wunschkonzert für jedermann als einem tatsächlichen Unterstützungssystem und dient vor allem Politikern dazu, nach gusto Wohltaten an verschiedene Wählergruppen zu verteilen. Das Nachsehen haben alle: Die Netto-Empfänger, weil sie zum Teil für Wohlhabendere mitbezahlen. Und die Netto-Zahler, weil sie in diesem System nicht nur für die Empfänger bezahlen, sondern auch für sich selbst – nachdem das Geld durch die Hände von Bürokraten und Politikern gewandert ist …

Gerade jetzt, da wir uns in einer weltweiten Debatte über Ungleichheit befinden, sollten wir sehr genau hinschauen, ob das aktuelle Umverteilungssystem wirklich dem Zweck dient, Armut und Not abzumildern. Effizienter und mithin gerechter für alle Betroffenen wäre etwa das Modell einer negativen Einkommenssteuer in Kombination mit einer flat tax. Ein solches System wäre unkomplizierter, unparteiischer und fairer. Die einzigen, die dann ein Problem hätten, wären Politiker, die viel weniger Wohltaten im Land verteilen könnten.

Photo: Ben from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Es gibt Zufälle auf dieser Welt! Am Tag vor der Abstimmung im griechischen Parlament und den Beratungen der Euro-Finanzminister über das neue Hilfsprogramm für Hellas berichtet das dortige Statistikamt ein von Experten nicht erwartetes Wachstum der griechischen Wirtschaft von 0,8 Prozent zum Vorquartal. Gleich wird man an den Satz erinnert: traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. So ist es wohl auch hier. Ein gewisses Misstrauen ist wohl angebracht. Schon legendär ist die Defizitmeldung Griechenlands nach Brüssel aus dem Jahr 2010 für 2009. Damals meldete die Regierung Papandreou ein Haushaltsdefizit von 3,7 Prozent. Nach mehreren Korrekturen stellte man später fest, dass es am Ende doch 15,4 Prozent(!) waren.

Doch die breite Zustimmung im griechischen Parlament war auch ohne diese wahrscheinliche Manipulation nicht überraschend. Schon im Vorfeld hatte die größte Oppositionspartei Nea Dimokratia ihre Zustimmung erklärt und damit die Mehrheit gesichert. Es war auch keine Überraschung, dass Regierungschef Alexis Tsipras keine eigene Mehrheit im Parlament hatte. Sowohl sein rechtsextremer Koalitionspartner als auch 43 der 149 Abgeordneten seiner eigenen Partei haben die Zustimmung verweigert. Doch was treibt den griechischen Ministerpräsidenten? Haben die Staats- und Regierungschefs ihn gebrochen oder warum setzt er jetzt all das um, was die Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF von ihm verlangt und was er vor einigen Tagen noch massiv bekämpft hat?

Es sind mehrere Aspekte die eine Rolle spielen. Erstens: Tsipras will Neuwahlen. Er will die absolute Mehrheit und zuvor die Querulanten aus seiner Partei schmeißen. Bis zu den Neuwahlen passiert in Athen nichts, das haben schon die vorangegangenen Wahlen gezeigt. Er hat bis zur Neuwahl auch gegenüber den Geldgebern eine gute Ausrede, um die vereinbarten Maßnahmen nicht in die Praxis umsetzen zu müssen.

Zweitens: Tspiras will den Euro verlassen, aber nicht dafür verantwortlich sein. Schon sein ehemaliger Finanzminister wollte als Druckmittel in den Verhandlungen eine Parallelwährung einführen, die dann wahrscheinlich zu einem Rausschmiss aus dem Währungs¬club geführt hätte. Doch der Euro ist in Griechenland sehr beliebt. Die Griechen wollen mit überwältigender Mehrheit nicht zurück zur Drachme. Deshalb ist eine Position wie sie einige Syriza-Abgeordnete öffentlich formulieren, nicht populär. Deshalb setzt Tsipras auf einen anderen Weg. Er schleift die Positionen der Geldgeber. In Verhandlungen konnte er bereits erreichen, dass die Überschüsse im Haushalt weniger stark ansteigen müssen, als bei seinen Vorgängerregierungen. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Schuldentragfähigkeit im Jahr 2022 von unter 120 Prozent zur Wirtschaftsleistung nicht mal auf dem Papier erreicht werden kann. Doch dies war die Voraussetzung für die Zustimmung zu den bisherigen Rettungspaketen. Die europäische Seite wird dieses Argument im Verlaufe der Zeit vernachlässigen, doch der IWF wird darauf bestehen. Denn er wird nicht von den europäischen Geldgebern dominiert, sondern von den USA, die schon länger auf einen Schuldenschnitt in Griechenland drängen. Und deshalb wird es ein weiteres Nachgeben der Staatengemeinschaft bei der Höhe der Zinsen und der Laufzeit der Darlehen geben. Dies ist zwar nicht ein formaler Schuldenschnitt, kommt diesem aber nahe.

Damit hätte Tsipras bereits wesentliche Ziele erreicht. Er könnte Neuwahlen erwirken und hätte die Chance auf eine absolute Mehrheit ohne Querulanten in den eigenen Reihen. Lediglich der Austritt aus der Währungsunion wäre noch offen. Doch diesen könnte er durch die Nichtumsetzung des mit der Troika vereinbarten Reformplanes erreichen. Sobald Neuwahlen und der Schuldenschnitt vollzogen sind, wird er erneut Feuer ins Öl gießen. Privatisierungen werden durch Generalstreiks der befreundeten Gewerkschaften boykottiert, der Stellenabbau in der Verwaltung wird durch Arbeitsverweigerung in den Behörden verhindert und die Steuerverwaltung funktioniert eh nicht.

Das wird sich alles hinziehen, weil die Troika keine schlechten Nachrichten befördern will. Doch schon im kommenden Jahr werden die alten Diskussionen wieder zurückkommen. Umsetzungsprobleme, korrupte Verwaltung, Privatisierungsstau, Defizit der Krankenhäuser, nicht bezahlte Rechnungen der öffentlichen Hand und so weiter und so fort.

Doch warum will Tsipras sich aus dem Euro schmeißen lassen? Ganz einfach, er will die Geldpolitik seines Landes selbst bestimmen. Er ist Sozialist. Die Sozialisten überall auf der Welt sehen das Heil in einer Inflationierung der Geldmenge. Sie glauben, so könne der Konsum angeregt und die Verschuldung abgebaut werden. Tsipras empfindet die Troika als neoliberale Weltverschwörung, die es für eine sozialistische Freiheit abzuschütteln gilt. Die Lehre daraus ist: Die Geldgeber sollten sich weiterhin warm anziehen. Die Krise Griechenlands und des Euro fängt erst an.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 15. August 2015.