Photo: Paul Stevenson from Flickr. (CC BY 2.0)

Was Planwirtschaft anrichten kann, sollte eigentlich nach dem Untergang der DDR bekannt sein. Umso verwunderlicher ist es, wenn dennoch versucht wird, mit den Mechanismen staatlicher Planung Wirtschaftsprozesse zu lenken. Die Automobilindustrie ist das beste Beispiel dafür. Seit 2009 regelt die EU den Kohlendioxid-Austoß von Autos in Europa. Dabei werden durchschnittliche Obergrenzen für die Fahrzeugflotte des jeweiligen Autoherstellers vorgegeben. Durch eine stetige Verminderung der Obergrenzen will die EU so die Innovationskraft der Hersteller fördern und das selbstgesetzte Klimaschutzziel einer Verminderung der CO₂-Emissionen bis 2020 um mindestens 20 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen. Folgendes passiert jetzt: Automobilkonzerne im Premiumsegment leisten sich im wahrsten Sinne des Wortes eine Marke im Niedrigpreissegment – egal was es kostet. So dient die Marke Smart, dem Daimler-Konzern dazu, den Flottenausstoß an CO₂ zu senken. Zwischen 2000 und 2014 ist dies um über 28 Prozent gelungen. Wahrscheinlich hat die Marke Smart bislang innerhalb des Konzerns nie Gewinne eingefahren, dennoch hält das Unternehmen daran fest, um die politischen Klimavorgaben zu erfüllen.

Ebenso sieht es bei den Elektroautos aus. Auch hier erzeugen politische Zielvorgaben einen Handlungsdruck der heimischen Automobilindustrie. Die Bundesregierung hatte bereits 2010 das Ziel vorgegeben, dass in Deutschland im Jahre 2020 eine Million Elektroautos fahren sollen. Dazu wurden steuerliche Anreize gesetzt, die jedoch bisher erste einige tausend Fahrzeuge hervorbrachte. Seit geraumer Zeit schreit der Automobilverband daher nach größeren Subventionen, als einer simplen Kfz-Steuerbefreiung. Das kann durchaus gelingen. Die Geschichte des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla zeigt dies. In Norwegen wurden Elektrofahrzeuge von der 25-prozentigen Mehrwertsteuer befreit. Die Folge war, dass Tesla sein Fahrzeug zu gleichen Preis anbieten konnte wie BMW seine Fünferreihe. 2014 wurden allein 4000 Teslas in Norwegen zugelassen. Damit war der US-Autobauer auf Platz 5 der Neuzulassungen im hohen Norden. In den USA erhält das Unternehmen des Milliardärs Elon Musk umfangreiche staatliche Subventionen. Insgesamt sollen es bislang 4,4 Milliarden Euro gewesen sein. Allein für den Bau einer Batterie-Fabrik im Bundesstaat Nevada sollen 1,3 Milliarden Euro geflossen sein. Bislang hat das Unternehmen keine Gewinne erwirtschaftet. Die Verluste des letzten Quartals lagen dagegen bei 158 Millionen Dollar.

Dabei sind Elektroautos nicht einmal umweltfreundlicher als klassische benzinbetriebene Fahrzeuge. Mehrere Studien haben das nachgewiesen. Der Strom, den Elektrofahrzeuge verbrauchen, kommt bekanntlich aus der Steckdose und dieser Strom wiederum in der Regel aus Kohle- oder Gaskraftwerken. Darüber hinaus ist die Entsorgungsfrage der Batterien nicht gerade ein ökologischer Pluspunkt für die Elektroautos. Und auch die Speicherung von Wind- und Solarkraft mittels Autobatterien birgt ihre Risiken. Sehr schnell entstehen hier Klumpenrisiken, die das Stromnetz überlasten können.

Jedoch ist der wesentliche Vorteil der heimischen Autoindustrie, dass die Elektroautos im CO₂-Flottenverbrauch als Supercredits angerechnet werden. Es wir also so getan, als wenn sie umweltfreundlicher seien, als herkömmliche Fahrzeuge. Doch auch hier ist der Effekt zweischneidig. Denn es erlaubt den Premiumherstellern durch die Produktion von Elektrofahrzeugen, an anderer Stelle Fahrzeuge zu produzieren, die einen sehr hohen Kohlendioxid-Ausstoß ermöglichen.

Die Folge dieser staatlichen Lenkungspolitik ist der drohende Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Automobilhersteller. Denn sie richten ihr Handeln, ihre Investitionen und ihre Produkte nicht an den Kunden aus, sondern an den Vorgaben der Politik. Damit werden Fehlinvestitionen produziert, die andere Automobilhersteller auf dieser Welt in dieser Form nicht haben. Das Beispiel der Elektroautos zeigt, dass die Regierung nicht wissen kann, welche Produkte sich am Markt durchsetzen, also welche Autos von den Kunden künftig erwünscht werden.

Wahrscheinlich ist das Elektroauto ein totes Pferd. Die Regierung sollte schnellstmöglich davon absteigen. Es wäre für alle Seiten gut – selbst für die Umwelt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 24.10.2015.

Photo: Global Justice Now from Flickr (CC BY 2.0)

Kritiker des Freihandelsabkommens TTIP formieren sich. Nicht erst seit der Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin. Von links bis rechts gehen Tausende auf die Straße und malen die Knechtschaft des Kapitalismus an die Wand. Sozialabbau und Umweltverschmutzung seien die Folgen, und die Großkonzerne würden sich über internationale Schiedsgerichtsverfahren am Steuerzahler schadlos halten. In dieses Horn blies am Montag auch die ARD in der Sendereihe „Die Story im Ersten“. „Konzerne klagen – wir zahlen“ war der Titel und auch der ausschließliche Inhalt der halbstündigen Sendung. Eine Differenzierung war der dem Grundversorgungsauftrag verpflichtete „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“, neudeutsch ARD, erst gar nicht eingefallen.

Stattdessen wurde „investigativ“ dargestellt, dass Anwaltskanzleien in den USA sich auf internationale Schiedsgerichtsverfahren spezialisierten und damit viel Geld verdienen. Wer hätte das gedacht? Skandal! Was sagen die Autoren denn dazu, dass sich hierzulande Anwälte auf Ehescheidungen oder Nachbarschaftsstreitereien konzentrieren und damit gutes Geld verdienen. Das kann doch nicht richtig sein, oder?

Schiedsgerichte sind richtig und notwendig. Sie sind auch nichts Ungewöhnliches. Der Kaninchenzüchterverband hat eins, der „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) hat eins und der Deutsche Gewerkschaftsbund hat auch eins. Deren private Gerichte tagen nichtöffentlich, ihre Richter müssen nicht im Hauptberuf Richter sein und eine Revision vor einem ordentlichen staatlichen Gericht ist ebenfalls nicht möglich. Kein Vereinsmeier und kein Gewerkschaftsfunktionär käme deshalb auf die Idee, diese privaten Schiedsgerichte an einen staatlichen Gerichtshof zu verlagern. Und der DGB würde mit Recht sagen: „Was interessiert das den Deutschen Arbeitgeberverband wie wir unsere internen Streitigkeiten beilegen?“

Internationale Schiedsgerichte schützen Eigentümer vor dem willkürlichen Zugriff des Staates auf sein Hab und Gut. Das passiert nicht nur in Bananenrepubliken oder bei despotischen Herrschern, sondern überall wo der Rechtspositivismus wütet. Immer dann, wenn sich politische Mehrheiten ändern und die neuen Machthaber aus ideologischen Gründen das Eigentum Einzelner aushöhlen, mit Auflagen versehen oder kalt enteignen wollen.

Die Methoden sind in unserer Hemisphäre vielleicht etwas subtiler, eleganter und gewiefter. Das Ergebnis ist jedoch das Gleiche: die Mehrheit greift dem Einzelnen in die Tasche. Dass dies Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen anderen auf dieser Welt anbieten wollen, verhindern wollen, ist doch nur gut und richtig. Was spricht dagegen, die Konsumenten dieser Produkte über die Beschaffenheit und Qualität entscheiden zu lassen und nicht die Regierung?

Als Beispiel hat die ARD die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen das Land Hamburg um das Kohlekraftwerk Moorburg angeführt. Der CDU-Senat bewilligte 2005 das Projekt. 2008 verteuerte die grüne Umweltsenatorin mit immer neuen Auflagen die Investition. Dagegen klagte Vattenfall vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadenersatz von 1,4 Milliarden Euro. Dieser Druck führte dazu, dass das Land Hamburg sich auf Vattenfall zubewegte und man sich anschließend außergerichtlich einigte.

Ohne diese Klagemöglichkeit wäre die Investition für Vattenfall unrentabel geworden. Schiedsgerichte schaffen Rechtssicherheit für ausländische Investoren. Sie müssen sich nicht auf nationale Richter verlassen, die vom dortigen Staat bestellt und bezahlt werden.

Gerade Schiedsgerichte sind daher ein großer Verdienst der Freihandelsbewegung auf dieser Welt. Sie disziplinieren Regierungen. Denn jede Rechtsänderung, die enteignungsgleiche Wirkung entfaltet, führt zu Schadensersatzansprüchen der Investoren gegen diesen Staat und seine Regierung. Sie sind ein Entmachtungsinstrument. Sie zwingen die Regierungen und Parlamente, eine zweckunabhängige Rechtsordnung zu schaffen, die für alle gleich ist. Jetzt könnten Kritiker einwerfen, dass diese internationalen Schiedsverfahren heimischen Unternehmen gegenüber der eigenen Regierung versagt bleiben und dies doch ungerecht sei.

Das stimmt, daher ist zu überlegen, ob diese positive Wirkung der Entmachtung des Staates auch auf Unternehmen, Institutionen und Bürger in unserem Land ausgeweitet werden sollte. Warum sollen Schiedsgerichte nur dem BUND, ver.di oder dem Bauernverband vorbehalten sein? Warum nur innerhalb eines Vereins oder Organisation und nicht gegenüber einer Kommune, dem Land oder dem Bund? Die Gleichheit vor dem Recht wäre ein Stückchen mehr realisiert.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: emma freeman portraits from Flickr (CC BY 2.0)

Vermutlich haben schon im Alten Ägypten die Menschen über soziale Ungerechtigkeit geklagt. Freilich haben selbst die Ärmeren vor fünfzig Jahren nicht mehr sehr viel gemeinsam mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung heute. Der Technik und der Marktwirtschaft sei Dank.

Bittere Armut kann überwunden werden

Der diesjährige Ökonomie-Nobelpreisträger Angus Deaton hat vor zwei Jahren ein Buch geschrieben unter dem Titel „The Great Escape – Health, Wealth and the Origins of Inequality“. Er schildert darin, wie es insbesondere den westlichen Gesellschaften gelang, aus Not, Armut und der Sorge um das tägliche Überleben herauszukommen. Erfreulicherweise ist diese Tendenz inzwischen auch in Schwellen- und Entwicklungsländern zu beobachten. Diese Entwicklung hängt zusammen mit dem zunehmenden Wirtschaftswachstum, aber besonders auch mit dem beständigen und geradezu exponentiellen Fortschritt von Technik und Wissenschaft. Allein schon der medizinische Fortschritt in den letzten 150 Jahren ist atemberaubend.

Echte Armut ist hart und oft genug auch eine Bedrohung der Menschenwürde der Betroffenen. Darum muss man sie bekämpfen, wo man kann. Dass uns das einigermaßen gelingt, kann man etwa daran erkennen, dass sich der Anteil an der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt (weniger als 1,25 $ pro Tag), von 43,1 % im Jahr 1990 auf 20,6 % im Jahr 2010 reduziert hat. Und das obwohl die Weltbevölkerung in der gleichen Zeit von 5,3 auf 6,9 Milliarden gestiegen ist. Diese extreme Armut finden wir in unseren Breitengraden zum Glück nicht mehr vor. Aber natürlich gibt es auch hierzulande noch viele Menschen, die gezwungen sind, ihre Ausgaben sehr genau zu kalkulieren.

Armut ist nicht nur eine Geldfrage

Und doch ist die Schere zwischen Arm und Reich inzwischen in vielerlei Hinsicht nur noch als Luxusedition vorzufinden. Natürlich definiert sich Armut nicht nur monetär. Aber gerade die Ungleichheits-Kritiker argumentieren ja oft mit entsprechenden Statistiken. Diese Zahlen sind jedoch meist wenig aussagekräftig – wie das bei bloßen Zahlen ja oft der Fall ist. Einen besseren Einblick in die Entwicklungen bekommt man, wenn man sich konkrete Beispiele ansieht. Eine Form, die ökonomischen Veränderungen präziser darzustellen, kann darin bestehen, dass man sich ansieht, wie viele Stunden ein Durchschnittsverdiener für ein bestimmtes Produkt arbeiten musste bzw. muss. Besonders spannend daran ist, dass man auch noch die Qualität der Produkte vergleichen kann. Mithin kann man mit dieser Methode also nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den technischen Fortschritt visualisieren. Und beides ist substantiell für die Bekämpfung von Armut. Gerade weil sie sich nicht nur in Geld, sondern wesentlich auch in Lebensqualität bemisst.

Hätte ein normal verdienender Handwerker im Jahr 1953 für sich und seine Frau einen Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach New York buchen wollen, dann hätte er dafür fast 7800 Stunden arbeiten müssen – dreieinhalb Jahre. Sein Enkel in ähnlicher Position arbeitet dafür gerade einmal 41 Stunden, also etwas mehr als eine Woche. Und auch wenn der Enkel an Bord unter Umständen keinen Whiskey mehr umsonst serviert bekommt, stehen dafür die Chancen gut, dass er den Flug damit zubringen kann, sich auf seinem Tablet Hollywood-Blockbuster im Stream anzusehen.

Die Lebensqualität verbessert sich rapide

Inzwischen gehören in den allermeisten Haushalten Waschmaschinen und Fernseher zur Grundausstattung. Das liegt auch daran, dass sie erheblich günstiger geworden sind. Im Jahr 1967 musste ein Normalverdiener 265 Stunden arbeiten, um sich eine Waschmaschine von Bosch zu kaufen und 455 Stunden für den ersten Farbfernseher von Blaupunkt. Heute arbeitet er 23,5 Stunden für die Bosch-Waschmaschine und etwas mehr als 19 Stunden für den LED-Fernseher von Blaupunkt. Er kann sich aber nicht nur viel rascher die Geräte kaufen (und auch mehr von ihnen). Auch die Qualität hat sich enorm verbessert. Die Waschmaschine geht pfleglicher mit der Wäsche um, verbraucht erheblich weniger Wasser und Strom und auch die Umweltbelastung ist geringer. Der Fernseher hat nicht nur eine Farb- und Tonqualität, die mit der seines Vorgängers vor 50 Jahren eigentlich nicht einmal mehr Ähnlichkeit hat. Man kann mit ihm auch ins Internet gehen, Filme streamen, aus hunderten von deutschen und abertausenden von internationalen Programmen bis zu den ausgefallensten Spartensendern auswählen. Schließlich nimmt er auch noch weniger Platz im Raum ein als sein schwergewichtiger Röhren-Ahne.

Und wenn wir nur eine kürzere Zeitspanne zurückblicken, wird der Vergleich eigentlich noch unglaublicher. Während der Durchschnittsverdiener 1992 noch mehr als 56 Stunden arbeiten musste, um sich das Siemens Koffertelefon leisten zu können (nein, das hatte keine Wählscheibe mehr …), ist der Smartphone-Klassiker Samsung Galaxy S3 Mini heute schon zum Gegenwert von nicht einmal vier Arbeitsstunden zu haben (selbst der Mindestlohnempfänger muss nur etwas mehr als zehn Stunden dafür arbeiten). Dieses Gerät kann aber gleichzeitig als Wecker und als Straßenkarte fungieren, sich mit dem Internet verbinden, Fotos und Videos machen, Musik abspielen und und und … Jede Sechstklässlerin, ja jeder Flüchtling kann sich inzwischen so ein Gerät leisten und sein Leben dadurch substantiell erleichtern.

Die Schere vergolden

Wer Ungleichheit beklagt und die Schere zwischen Arm und Reich wieder und wieder anführt, tut gut daran, die Frage einmal unter dem Aspekt des sich dank technischen Fortschritts und wirtschaftlichen Wachstums beständig erweiternden Konsumspektrums zu sehen. Vom Stand der medizinischen Versorgung bis zur Mobilität, von der Kommunikationstechnik bis zu Zeit und Arbeit ersparenden Haushaltsgeräten: Das Leben ist in den vergangenen Jahrzehnten für alle Menschen um Quantensprünge besser geworden. Wer möchte, dass immer mehr Menschen daran teilhaben können, muss sich für technischen Fortschritt und mehr Marktwirtschaft einsetzen. Damit die Schere zwischen Arm und Reich eines Tages aus Gold ist, mit Diamanten besetzt und mit einem kostenlosen Internetzugang ausgestattet!

Die in diesem Artikel verwendete Methode, Produkte und zu deren Anschaffung nötige Arbeitsstunden über die Jahrzehnte hinweg zu vergleichen, hat der Verfasser erstmals in einem Vortrag des amerikanischen Ökonomen Donald J. Boudreaux kennengelernt. Sein Vortrag findet sich hier. Den Datenvergleich zum Artikel finden Sie hier.

Photo: Matthew Britton from Flickr (CC BY 2.0)

Bundespräsident Joachim Gauck ist ein freundlicher Mann. Seine Rolle als oberster Repräsentant des Staates nimmt er würdevoll wahr. Es gelingt ihm jedoch nicht immer, am richtigen Ort den richtigen Ton zu treffen. Bei seinem Staatsbesuch in der Schweiz im April vergangenen Jahres zum Beispiel schrieb er den Eidgenossen ins Stammbuch: „Die direkte Demokratie kann Gefahren bergen, wenn die Bürger über hochkomplexe Themen abstimmen“.

Er sei ein überzeugter Unterstützer der repräsentativen Demokratie, mit der Deutschland „sehr gut fährt“. Das saß. Die Tageszeitungen unseres Nachbarlandes titelten: „Gauck warnt vor der direkten Demokratie“.

Den Bürgern eines Gastlandes beim Staatsbesuch mehr oder weniger zu sagen, sie würden wesentliche politische Zusammenhänge nicht verstehen, ist ein bemerkenswerter diplomatischer Beitrag. Immerhin kennt die Schweiz seit 1848 die direkte Demokratie auf Bundesebene. Sie ist Teil ihres Gründungsmythos.

Dagegen ist die kurze geschichtliche Episode Deutschlands in Sachen direkter Demokratie auf nationaler Ebene auf die wenigen Jahre der Weimarer Republik beschränkt. Das ist nicht gerade ein großer Erfahrungsschatz. Noch heute gilt vielen in Deutschland die direkte Demokratie auch deshalb als gefährlich, weil sie der Machtergreifung Hitlers den Weg bereitet haben soll. Dieses Argument wird auch als Grund angeführt, weshalb die Mütter und Väter des Grundgesetzes keine direktdemokratischen Elemente in die Verfassung aufgenommen haben. Beides ist nicht besonders stichhaltig.

Hitler ist durch Wahlen an die Macht gekommen. Das Ermächtigungsgesetz von 1933 wurde nicht über eine Volksabstimmung, sondern durch eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag verabschiedet. Daher ist wohl auch naheliegender, dass der parlamentarische Rat bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes aus anderen Gründen deren Aufnahme verweigerte. Es waren wohl eher außenpolitische Gründe, die hier eine Rolle spielten.

Doch der kalte Krieg ist vorbei und es ist an der Zeit, dass in Deutschland eine ernsthafte Diskussion über das Schweizer Modell der Machteilung geführt wird. Denn die Machtteilung ist der eigentliche Wert der direkten Demokratie. Sie konzentriert die Macht nicht nur bei der Regierung und dem Parlament, sondern schafft ein mächtiges Gegengewicht.

Regierung und Parlament können nicht darauf hoffen, dass Steuererhöhungen, „Eurorettungen“ oder Energiewenden über Nacht beschlossen und bis zur nächsten Wahl vergessen sind, sondern sie laufen immer Gefahr, dass ein Veto der Bürger diese Entscheidungen wieder zu Fall bringt.

Dies führt zu anderen Entscheidungsprozessen, wenn Regierung und Parlament immer damit rechnen müssen, zeitnah ihr Handeln vor dem Wahlvolk rechtfertigen zu müssen. Das ist für die Regierenden anstrengend, umständlich und aufreibend. Doch es führt die Zuschauerdemokratie hin zu einer aktiven Bürgergesellschaft.

Es setzt jedoch mehr voraus, als nur über große Themen abstimmen zu dürfen. In einer Demokratie besteht immer die Gefahr, dass die Mehrheit sich zu Lasten der Minderheit schadlos hält. Dies ist auch in der Schweiz so. In der Schweiz versucht man, dieses Problem durch die möglichst weitreichende Finanzautonomie der jeweiligen politischen Ebene und durch einen Non-Zentralismus in den Griff zu bekommen.

Es herrscht eine Kongruenz aus Einnahmen- und Ausgabenverantwortung der jeweiligen Gemeinden, Kantone und des Bundes. Möglichst viele Entscheidungen werden vor Ort oder in den Kantonen getroffen. Dort können die Bürger viel direkter die Beschlüsse im Gemeinderat oder Kantonalrat nachvollziehen als es im fernen Bern möglich wäre. Derjenige, der zum Beispiel vor Ort die Aufrechterhaltung des Freibades durch einen Bürgerentscheid erzwingen will, muss gleichzeitig auch sagen, um wieviel die Gemeindesteuer hierfür angehoben werden muss.

Die Steuerhoheit der Kommunen und Kantone führt in der Schweiz zu einem Wettbewerb der Systeme und damit zu einer Machtverteilung innerhalb der Schweiz. Übertreibt es ein Kanton oder eine Gemeinde mit den Steuern oder den Ausgaben, dann wandern die Menschen und Unternehmen ab. Schafft es die Kommune nicht dauerhaft, ihre Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen, kann sie sogar insolvent gehen.

Zwar gibt es in der Schweiz auch einen Trend zum Zentralismus und zu mehr Staat, dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zu Deutschland. In der Schweiz dauern politische Veränderungen und Prozesse länger. Das wird den Eidgenossen zuweilen vorgehalten. Doch diese Trägheit der Veränderung ist eigentlich eine Stärke. Nicht jede Modeerscheinung, nicht jede vermeintliche Katastrophe und erst recht nicht jede Regierungsidee führt zu schnellen Gesetzen, sondern die Langsamkeit ist Programm. Sie dient dazu, Veränderung mit Bedacht und Sorgfalt vorzunehmen.

Der damalige Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter verteidigte den Volksentscheid: «Die Schweiz ohne direkte Demokratie wäre wie ein Körper ohne Blut.» Dazu gehöre, zu akzeptieren, wenn die Bevölkerung gegen die Empfehlung der Behörden stimme. Die Stimmen sämtlicher Bürgerinnen und Bürger seien gleichwertig. Er mahnte zur Bescheidenheit: Die Entscheide der Behörden seien nicht automatisch richtig. Soviel Einsicht würde man sich auch in Deutschland wünschen.

Erstmals erschienen bei der Huffington Post.

Photo: Lukas Schlagenhauf from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Christian Zulliger, Präsident des Hayek-Clubs in der Schweiz.

Die Schweizerische Volkspartei mit einem Plus von 2,8%, die FDP 1,3% – ein Rechtsrutsch nach den National- und Ständeratswahlen in der Schweiz? Folgt man insbesondere den ausländischen Kommentaren zum Wahlausgang, so müsste man annehmen, die Schweiz sei von „Rechtspopulisten“ überrollt worden. War es dennoch ein guter Wahlausgang für die liberalen Kräfte in der Schweiz?

Schon im Vorfeld der Wahlen warnten die allermeisten Medien vor einem Erdrutschsieg der rechts-bürgerlichen Parteien in der Schweiz. Dass die Mitteparteien BDP, CVP und GLP Federn lassen werden, war den meisten klar. Verloren haben schlussendlich vor allem die Grünen, Fukushima liegt zu lange zurück, die Realität hat sie eingeholt. Die SVP und die FDP gingen schließlich als die Gewinner hervor, nahezu in allen Kantonen konnten sie ihre Wähleranteile stärken. Auf dem Papier hat die SVP zusammen mit der FDP, Lega und MCR eine hauchdünne Mehrheit in der Großen Kammer. Ein Rechtsrutsch? Und: Was heißt das nun für die aktuellen politischen Dossiers?

Ein Rechtsrütschli

Um es vorweg zu nehmen: Der Wahlausgang stellt in etwa den Stand von 2007 wieder her. Dass sich dennoch etwas verändert hat, wird erst auf den zweiten Blick klar. Über die gesamte Parteienlandschaft ist es historisch gesehen kein Rechtsrutsch, sondern bestenfalls ein „Rechtsrütschli“, wie der Schweizer sagen würde. Und das obschon zum ersten Mal seit 90 Jahren wieder die SVP und FDP die Mehrheit stellen. Die Flüchtlingsfragen fütterten den überaus engagierten Wahlkampf der SVP, die wirtschaftlichen Herausforderungen nach dem Fall der Anbindung des Franken an den Euro dürfte insbesondere der mit geschärften Profil aufgetretenen FDP geholfen haben. Themen, die die Bevölkerung beschäftigen. Themen, für welche beide Parteien keine liberalen Antworten bereithielten.

Der Ausgang der Wahlen ist vor dem Hintergrund der aktuellen Dossiers für die liberalen Kräfte in der Schweiz dennoch ein Erfolg. Die Liberalen sind hierzulande keinesfalls nur in der FDP zu finden, die liberale Idee von Eigenverantwortung, schlankem Staat und Föderalismus ist (zwar abhängig vom Thema) in einigen Parteien zu finden. Schaut man so auf die Ebene der gewählten Kandidaten, lässt sich Erfreuliches berichten: Insbesondere in der SVP hat mit den Wahlen der liberale Flügel deutlich zugelegt, auf Kosten der nationalkonservativen Bauernvertreter. Unternehmer statt Bauern. Ein Riss, der sich möglicherweise schon bald durch die Partei ziehen wird. Welche Rolle der mit neuem Rekordergebnis gewählte Weltwoche-Verleger Roger Köppel dabei spielen wird, bleibt abzuwarten. In der FDP hat sich mit den Wahlen personell wenig verändert, einzig nennenswerte Neubesetzung ist der Digitec-Gründer Marcel Dobler aus St. Gallen. Möglicherweise gilt aber auch hier schon bald: Unternehmertum statt Apparatschiks. Die erfolglose Ständeratskandidatur der linksfreisinnigen Claudine Esseiva, einer Lobbyistin aus Bern, ist dabei mehr als bezeichnend. Sehr interessant ist die Veränderung bei der CVP, welche in der Vergangenheit bei vielen Sachgeschäften stets das Zünglein an der Waage war und auch in der neuen Legislatur eine sehr wichtige Rolle einnehmen wird. Analysiert man hier die gewählten Kandidaten, merkt man schnell: Der linke Flügel der Christdemokraten wurde deutlich geschwächt, der Wirtschaftsflügel um Ordnungspolitiker Gerhard Pfister klar gestärkt. Es ist anzunehmen, dass jene Kräfte für bürgerliche Mehrheitsentscheide gebraucht werden, schweifen doch viele FDP-Ratsmitglieder in einigen Fragen teilweise weit nach links ab.

Die Karten werden neu verteilt

Hinsichtlich dem Verhältnis zur EU, der Energiewende und der Diskussion der Altersvorsorge werden die Karten neu gemischt werden – in einem Spiel, in welchem die aktuellen Verlierer noch die Spielregeln verankerten. Die FDP wird zeigen müssen, wie ihre Europapolitik aussehen soll. Die Bilateralen Verträge – eine heilige Kuh in der politischen Schweiz – stehen mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative auf dem Spiel. Bleibt die FDP stur bei der Verteidigung der Bilateralen und auf der Seite des von ihrem Bundesrats ausgearbeiteten Rahmenabkommens, bricht der Block mit der SVP – sehr zur Freude der restlichen Parteien. Wollen sie das Vertrauen der SVP gewinnen und gemeinsam Mehrheiten machen, werden sie nicht darum herumkommen, wenigstens die „Bilateralen“ in ihre Einzelverträge zu zerlegen und zu entscheiden, welche Verträge der Schweiz etwas bringen und welche ersatzlos gestrichen werden können. Eine Diskussion, welche den Schweizer Freisinn in zwei Flügel teilen wird.

Energiepolitisch dürfte die SVP zurückstecken müssen. Das erste Massnahmepaket der Energiestrategie wird trotz geänderter Mehrheitsverhältnisse nicht zu kippen sein. Die Subventionierung erneuerbarer Energien und der Plan der Senkung des Energieverbrauchs bleiben damit gesetzt. Die Diskussion wird sich einzig um die Lenkungsabgaben drehen, und diese könnten mit einer geschwächten GLP möglicherweise verhindert werden. Aus liberaler Sicht ebenfalls relevant sind die Auswirkungen auf die aktuelle Diskussion der Altersvorsorgesysteme. In der ersten Runde im Ständerat machte die CVP mit den Sozialdemokraten gemeinsame Sache, mit dem Ziel, höhere Renten durchzubringen. Im neuen Nationalrat wird dieses Vorhaben aber vermutlich scheitern, da die dazu nötige Umverteilung sehr umstritten sein wird und sich die Kräfte in der CVP aus liberaler Sicht zum Guten verändert haben.

Viel ändern wird sich mit der neuen Mehrheit vermutlich also nicht. Entscheidend wird sein, wie geschlossen die FDP auftritt und wie die SVP mit dem sich abzeichnenden Riss umgehen wird. Die Sozialisten in allen Parteien haben am vergangenen Wahlsonntag verloren, zugunsten von vorwiegend wirtschaftsliberalen Flügeln in den bürgerlichen Parteien. Da die Eckpfeiler in den wichtigsten Dossiers jedoch schon in der letzten Legislatur gelegt wurden, bleibt der bürgerlichen Mehrheit bestenfalls die Verteidigung des Status Quo. Ein Abbau von staatlicher Intervention, Zentralismus und die Verhinderung der institutionellen Annäherung an die EU dürfte auch im neuen Parlament nur schwer zu erreichen sein.