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In diesen Tagen der europäischen Krise werden wieder die europäischen Werte beschworen. Europa sei eine Wertegemeinschaft, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel neulich im Parlament der Europäischen Union. Merkel bezog diese floskelhafte Aussage auf die Flüchtlingskrise. Sie forderte, Europa müsse sich an Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, der Achtung von Minderheiten und Solidarität orientieren.

Kampf um Werte in Europa – banalisiert

Zweifelsohne sind dies wichtige Werte, die Europa historisch verbinden. Es waren spanische Dominikaner, die im 16. Jahrhundert beim Anblick der Unterdrückung der Bevölkerung in Mittel- und Südamerika die Menschenwürde als universelles Grundrecht gegenüber dem spanischen König einforderten. Es war im 13. Jahrhundert die Magna Charta, die die Willkür des englischen Königs beschnitt und den Weg zum Rechtsstaat bahnte. Schon im 16. Jahrhundert wurden die Werte Toleranz und Achtung von Minderheiten eindrücklich verwirklicht, als etwa das Königreich Polen-Litauen verfolgten Protestanten aus ganz Europa eine neue Heimat gab. Und es war der als Sankt Martin verehrte Bischof von Tours, der im 4. Jahrhundert seinen Mantel aus freien Stücken mit einem Bettler am Wegesrand geteilt hat.

Ob Angela Merkel wohl an diese historischen Ereignisse gedacht hat? Es spricht nicht viel dafür. Doch da ist sie nicht alleine. Heute werden die Werte Europas umgedeutet und in Sonntagsreden banalisiert. In der real existierenden Europäischen Union wird unter Menschenwürde der Beschäftigung vernichtende Mindestlohn und unter Rechtsstaatlichkeit die Vertragsbrüche von Maastricht und Dublin verstanden, unter Toleranz die Regulierung von Kerzen, Ölkännchen und Glühbirnen, unter der Achtung von Minderheiten die Förderung der Nomenklatura in Brüssel und unter Solidarität die Rettung europäischer Banken. Die europäische Wertegemeinschaft ist ein Wieselwort. Erst durch konkrete Institutionen werden abstrakte Werte real und fassbar.

Die Trennung von Kirche und Staat, Marktwirtschaft, individuelle Freiheitsrechte, Rechtsstaat und Demokratie sind Institutionen, die diese Werte Wirklichkeit werden lassen. Die Trennung von Kirche und Staat ist das Ergebnis eines über Jahrhunderte ausgetragenen Machtkampfes zwischen den Kirchen und den weltlichen Herrschern. Der Drang der Kaiser und Könige, sich in innerkirchliche Belange einzumischen, und das Ansinnen der Päpste und Bischöfe, sich die weltlichen Herrscher zu ihren Untertanen zu machen, hat eine Machtbalance hervorgebracht, deren Ergebnis die tatsächliche Trennung der beiden Bereiche war. Anders als etwa in den meisten islamischen Staaten, die keine Trennung zwischen Religion und Staat kennen. Ein entscheidender Unterschied ist, dass in unseren Breitengraden das kirchliche Recht nicht über dem staatlichen Recht steht, sondern ihm untergeordnet ist. Zwar entstammt die europäische Rechtstradition auch dem kanonischen, also kirchlichem Recht, aber auch dies entstammt letztlich griechisch-römischer Rechtstradition.

Wachsende Kluft zwischen Werten und Institutionen

Die Marktwirtschaft und der Kapitalismus haben ihre Verankerung im Privateigentum und im Individualismus. Beides verdanken wir der schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, dessen prominentester Vertreter Adam Smith war. Einige wesentliche Erkenntnisse über deren Funktionieren haben sogar bereits die scholastischen Philosophen im 13. Jahrhundert und die Gelehrten der Schule von Salamanca im 16. Jahrhundert gewonnen und formuliert.

Die individuelle Freiheit folgt der Erkenntnis, dass nicht das Streben nach gemeinsamen Zielen eine freie und offene Gesellschaft ermöglicht, sondern, dass die größtmögliche Verwirklichung individueller Freiheit am Ende auch die Freiheit einer ganzen Gesellschaft mehrt.

Der Rechtsstaat sichert in der Tradition eines Immanuel Kant die Gleichheit vor dem Gesetz. Sein kategorischer Imperativ: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde” hat nicht nur die europäische Verfassungsgeschichte seit dem 18. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst, sondern auch die amerikanische.

Das Aufbegehren gegenüber den Königen und Fürsten durch das Volk brachte letztlich auch die Demokratie hervor, deren Wurzeln wir in der Schweiz verorten können wie in Großbritannien, in den Niederlanden wie in Polen. Bald erkannte man, dass es nicht genügt, nur dem reinen Mehrheitsprinzip zu folgen, sondern, dass man Demokratie einhegen muss in einen Grundrechtskatalog, der das Individuum vor der Despotie der Mehrheit schützt. Heute wissen wir, dass Fortschritt darin besteht, dass die Wenigen die Vielen überzeugen. Neue Ideen treten zuerst bei Einzelnen auf, bevor sie zur Mehrheitsmeinung werden können.

Diese Institutionen entstammen einer europäischen Wertetradition, die längst vergessen scheint, weil Werte und Institutionen immer wieder auseinander klaffen. Sie wieder an das Tageslicht zu bringen, würde Europa helfen, seine Krise zu überwinden und der europäischen Wertegemeinschaft wieder einen Sinn zu geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

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Von Dr. Karolin Herrmann, Referentin für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht beim Deutschen Steuerzahlerinstitut

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt und als hätte man darauf gewartet, gab die Europäische Kommission unlängst eine zur Vorweihnachtszeit passende Mitteilung heraus. Darin plant sie neue Sicherheitsanforderungen für Kerzen, Kerzenhalter und Kerzenzubehör, denn diese, so die Kommission, könnten ein Risiko für die Verbrauchersicherheit darstellen. Was unter einer Kerze zu verstehen ist, liefert der Text gleich mit – nämlich ein „Produkt, das aus einem oder mehreren brennbaren Dochten besteht, die von einer bei Raumtemperatur (20 °C bis 27 °C) halbfesten Brennmasse gestützt werden.“ Um den Verbraucher zu schützen, hat sich das europäische Expertengremium besondere Sicherheitsanforderungen einfallen lassen. So sollen frei stehende Kerzen oder Kerzen, die mit einem Halter oder Behälter geliefert werden, nicht umkippen dürfen. Bei Kerzen, die ohne Halter oder Behälter geliefert werden, muss der Hersteller den Verbraucher künftig darauf hinweisen, dass die Verwendung eines geeigneten Halters erforderlich ist.

Kurzum, die meisten Passagen lesen sich wie ein Paradestück aus dem Brüsseler Kuriositätenkabinett. Warum mich solche Texte ärgern? Sie degradieren den Bürger zum Kleinkind – getreu dem Motto „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder nicht.“ Aber ist es nicht in der europäischen Verantwortung, den Bürger vor Feuerschäden zu bewahren? Ist es nicht begrüßenswert, wenn uns die EU vor Alltagsgefahren schützt? Warum soll sich die EU nicht um unsere Sicherheit sorgen? Weil eine solche Regelung gegen die Grundprämisse gelebter Subsidiarität verstößt! Liegt es doch in der Verantwortung des Einzelnen und ist es doch eine Frage des gesunden Menschenverstands, wackelige Kerzen nicht ohne geeignete Unterlage anzuzünden. Der sichere Umgang mit entflammbaren oder scharfen Gegenständen ist Teil eines individuellen Erziehungs- und Lernprozesses und erfordert keine supranationale Initiative. Die europäische Fürsorge und Zwangsbeglückung ist Kalkül und zugleich Deckmäntelchen, um supranational mehr Kompetenzen und ein höheres Budget durchsetzen zu können. Befindet sich Europa also in der Wohlfühlfalle?

Allein in diesem Jahr wurden auf europäischer Ebene mehr als 1.800 Rechtsakte auf den Weg gebracht. Tatsächlich entbehren viele Verordnungen und Richtlinien jeglicher ordnungspolitischen Grundlage. Nehmen Sie nur die Richtlinie Nummer 603/2013, nach der die Kennzeichnung von Säuglingsnahrung so zu gestalten ist, dass sie Mütter nicht vom Stillen abhält. Der Verordnungsgeber vermutet, dass Frauen durch Babyfotos auf Milchpulververpackungen manipuliert werden könnten und verbietet ab Sommer 2016 eine entsprechende Bebilderung. Auch hier muss die Frage erlaubt sein, ob sich die EU wirklich um den Schutz von Kleinkindern bemüht oder den Eltern unvermittelt Fehlverhalten unterstellt.

Spätestens hier schließt sich die grundsätzliche Frage an, wie die Kompetenzen innerhalb der Europäischen Union zu verteilen sind. Politikwissenschaftler verweisen dabei gern auf ein Demokratiedefizit in der EU. Es fehle an einer strikten Trennung der „Staatsgewalten“. Tatsächlich haben sowohl die Europäische Kommission als auch der Ministerrat Kompetenzen, die sich auf die Exekutive und auf die Legislative beziehen. Der Kommission obliegt neben dem Initiativrecht für die Gesetzgebung auch die Kompetenz, die Umsetzung des EU-Haushalts zu kontrollieren. Der Ministerrat kann Rechtsakte beschließen und internationale Verträge aushandeln, hat aber auch Kompetenzen der initiierenden und ausführenden Exekutive, denn er entscheidet aufgrund der rotierenden Ratspräsidentschaften über die Gesetzgebungsagenda.

An der Wahl der Kommission sind die Bürger weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt. Die Kommissionsmitglieder werden alle fünf Jahre von den Mitgliedstaaten gewählt, das Europäische Parlament bestätigt das gesamte Kollegium via Zustimmungsvotum. Ein Misstrauensvotum für einzelne Kommissionsmitglieder gibt es nicht.

Der Ministerrat setzt sich je nach Sachthema aus den jeweiligen Fachministern der Mitgliedstaaten zusammen. Das Demokratiedefizit besteht in der Zusammensetzung des Ministerrats. Die jeweiligen Fachminister der Mitgliedstaaten werden nur mittelbar von den Bürgern der Europäischen Union gewählt und kontrolliert. Die Bekleidung der Ministerposten erfolgt auf nationaler Ebene über Wahlen. Hier werden die Bürger ihre Entscheidung aber primär an der nationalen Politik ausrichten.

Dem Ministerrat steht der Ausschuss der ständigen Vertreter (COREPER) zur Seite. Dem Gremium sind etwa 300 Arbeitsgruppen aus 28 EU-Mitgliedstaaten untergeordnet, in denen nationale Beamte themenbezogen zusammenarbeiten. Der COREPER bereitet die Ratssitzungen vor, beschließt die Tagesordnungen und legt dem Ministerrat entscheidungsreife Entwürfe vor, die meist nur noch der förmlichen Zustimmung bedürfen. Die Sitzungen des COREPERs und des Ministerrats finden in der Regel nicht öffentlich statt. Eine demokratische Legitimierung und Kontrolle des Ministerrats ist durch das hochgradig administrativ verflochtene COREPER nicht gegeben.

Diese wenigen Spiegelstriche verdeutlichen, dass es in der EU tatsächlich ein Demokratiedefizit gibt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es im Zuge des Lissabon-Vertrags bereits Verbesserungen gegeben hat und die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gestärkt wurden. Die Frage ist auch, ob eine alleinige Verringerung des Demokratiedefizits in der EU genügt, um die europäischen Kompetenzen wirksam zu beschränken. Demokratie ist ein Willensbildungsverfahren und Ausdruck der jeweiligen Mehrheitsmeinung. Demokratie ist eine gute und die wahrscheinlich am ehesten Freiheit schaffende Methode, um widerstreitende Meinungen zu vereinen. Demokratie ist aber nur eine hinreichende und keine notwendige Bedingung, um Willkür, Ad-hoc-Gesetzgebung und politische Selbsterhaltungsinteressen wirksam zu begrenzen.

Europa braucht einen Ordnungsrahmen, der sich aus universalen Regeln zusammensetzt. Dazu gehört etwa die Verteidigung der mit dem europäischen Binnenmarkt verbundenen Grundfreiheiten oder die Schaffung eines Rechtsrahmens, um den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu regeln. Hingegen kann eine politische Vertiefung nicht mit der steigenden gesellschaftlichen Komplexität und Vielfalt harmonieren. Oder akademisch ausgedrückt: Die Präferenzverfehlungskosten einer supranational koordinierten Politik steigen mit der Heterogenität der nationalen Systeme. Wie wichtig eine Prioritätensetzung in der EU ist, zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise. Die Entgrenzung europäischer Zuständigkeiten in der Verbraucherpolitik steht im traurigen Widerspruch zum augenscheinlichen Unvermögen, auf europäischer Ebene eine Lösung der Flüchtlingskrise herbeizuführen.

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Was ist das für ein Wirtschaftssystem? Ein Wirtschaftssystem, in dem alle Akteure an den Börsen, die  sonst eigentlich als Nabel des Kapitalismus gelten, auf einen einzigen Herrn in Nadelstreifen schauen? Dieser entscheidet dann fast alleine über Wohl und Wehe zigtausender Marktteilnehmer. Eine Marktwirtschaft ist es sicher nicht, auch wenn uns der Nadelstreifen-Mann etwas anderes suggerieren will.

Denn wenn ein Bürokrat darüber entscheiden kann, ob die Marktteilnehmer an den Finanzmärkten kaufen oder verkaufen, ob viele Milliarden Euro Staatsschulden durch die Druckerpresse finanziert werden und wie lange die Manipulation des Geldwertes anhält, dann ist diese Wirtschaftsform eher eine zentral gelenkte Planwirtschaft oder besser Geld-Sozialismus.

Nein, es handelt sich nicht um Nordkorea oder Kuba, sondern um den Euro-Raum. Es handelt sich auch nicht um die Despoten Kim Jong Un oder Raúl Castro, sondern um den Italiener Mario Draghi. Wie die Machthaber in Nordkorea oder Kuba ist auch Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank niemandem rechenschaftspflichtig. Das ist schön für ihn – und schlecht für alle anderen. Auch Draghi verspricht in ferner Zukunft ein besseres Leben für all diejenigen, die aktuell von Mangel und Knappheit geplagt sind und darunter leiden. Draghi glaubt durch Gelddrucken dieses Elend beenden zu können. Er will den Wechselkurs seiner Währung gegenüber anderen Währungen verbessern und damit die Exporte anregen und die Konjunktur  beleben.

Doch wenn es so einfach wäre, wenn das Gelddrucken ein erfolgreiches Rezept zur Konjunkturbelebung und für Wohlstand wäre, dann wäre Simbabwe längst Exportweltmeister und die dortige Bevölkerung würde in Milch und Honig baden. Doch es ist bekanntlich nicht so. Und das sollten sich alle Apologeten des Geldes in den Regierungen, Bankhäusern und Schaltzentralen in Brüssel hinter die Ohren schreiben. Es nützt nichts, wenn man dem Drogenabhängigen eine immer neue Dröhnung verabreicht. Am Ende hilft nur der kalte Entzug.

Und so ist es auch in der Geldpolitik: Draghis Versuch, die Konjunktur mit Hilfe der Druckerpresse zu beeinflussen, führt zu einer Interventionsspirale aus immer schnelleren und immer größeren Eingriffen in den Markt. Viele Glücksritter reiten dann auf der Welle des Scheins, immer neue werden angezogen und verführt. Doch was heute verfrühstückt wird, muss unweigerlich morgen nachgehungert werden. Wohlstand setzt das Sparen vor dem Investieren voraus. Wer diesen Zusammenhang außer Kraft setzen will, indem er meint, ein Einzelner oder eine gesamte Gesellschaft müssten nicht mehr Sparen, also Konsumverzicht üben, um investieren zu können, der irrt. Die Folge dieses Prozesses ist lediglich eine Veränderung der Produktionsstruktur einer Wirtschaft. Investitionen werden vorgezogen, aber sie können mit dem bestehenden Kapitalstock nicht zu Ende geführt werden. Das Platzen der Immobilienblasen in den USA und in Spanien 2007/2008 sind Beispiele dafür. Aber auch wir kennen dieses Phänomen mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Unternehmen wie Intershop und EM-TV verloren fast über Nacht Milliarden an Börsenkapitalisierung.

In einer Marktwirtschaft wird der Zins von der Zeitpräferenz bestimmt. Jemand will seinen Konsum im Heute in die Zukunft verschieben und verleiht seine Ersparnisse. Dafür will er eine Vergütung, den Zins. Die Nachfrage danach bestimmt die Höhe dieses Zinses. Draghi hat den Zins abgeschafft. Doch die Marktwirtschaft und ihre Entwicklung werden nicht von einer Person bestimmt, sondern von vielen. Wer den Wohlstand erhalten will, sollte daher den Geld-Sozialisten Mario Draghi dadurch entmachten, dass er das größte Entmachtungsinstrument konsequent anwendet – die Marktwirtschaft.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 5. Dezember 2015.

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Initiativen privater Solidarität sind in den meisten Fällen erheblich wirksamer als Maßnahmen des Sozialstaates oder der Entwicklungshilfe. Über Spenden und Freiwilligenarbeit hinaus gibt es noch eine Möglichkeit privater Solidarität: Das soziale Unternehmertum.

Rendite für die Ärmsten

Am Mittwoch hat die Meldung Furore gemacht, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg rund 45 Milliarden Dollar spenden möchte. Die Stiftung, die er anlässlich der Geburt seiner Tochter einzurichten ankündigte, soll weltweit Gesundheitsversorgung, Bildung, eine nachhaltige Entwicklung und ähnliche Zwecke fördern. Damit setzt er eine Tradition der Philanthropie fort, die in den Vereinigten Staaten von Andrew Carnegie bis Bill Gates natürlicher Bestandteil des Selbstverständnisses von Unternehmern ist. Aber auch in Europa und bei uns in Deutschland stellen sehr viele Unternehmer erhebliche Geldsummen zur Verfügung, deren Rendite nicht auf ihrem Konto landet, sondern der Gesellschaft zugutekommt – oft ihren ärmsten und schwächsten Gliedern.

Die Motive für solche Großzügigkeit sind sehr vielfältig: Die einen wollen „der Gesellschaft etwas zurückgeben“, andere handeln aus bestimmten philosophischen oder religiösen Überzeugungen heraus, wieder andere werden angestachelt durch ihren Fortschrittsoptimismus, den sie mit dem unbedingten Willen verbinden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Eines haben sie freilich alle gemeinsam: Obwohl sie alle Jahr für Jahr einen erheblichen Beitrag in den Steuersäckel werfen müssen, rufen sie nicht nach dem Staat, um soziale Probleme zu lösen. Vielleicht auch, weil sie sehr genau wissen, dass Politik und Bürokratie generell keine Experten für Problemlösung sind …

Jeder nach seinen Möglichkeiten

„Zuckerberg kann problemlos so viel abgeben. Der wird ja auch danach noch zu den reichsten Menschen der Welt gehören.“ Aus der Perspektive einer Familie mit drei Kindern, die Miete zu bezahlen hat und fünf Leute mit Nahrung, Essen, Kleidung und vielleicht auch noch einem Flugticket für den Kanada-Austausch der Ältesten ausstatten muss, ist ein solcher Einwand nachvollziehbar. Der indischen Familie, die sich mit diesen Geldern endlich eine Toilette bauen kann, wird das herzlich egal sein. Ebenso den Bauern im bolivianischen Hochland, die jetzt eine Schule im eigenen Dorf haben. Und um diese Menschen soll es ja auch primär gehen!

Gleichwohl muss nicht jeder ein Zuckerberg oder Buffett sein, um etwas gegen Armut und Not, Krankheit, Elend und Tod zu tun. In den vergangenen zwölf Monaten haben das Hunderttausende unserer Mitbürger sehr eindrucksvoll bewiesen, indem sie sich eingebracht haben bei der Unterstützung von Flüchtlingen – in Kleiderkammern und Volkshochschulen, bei Behörden und in ihren eigenen Wohnungen. Auch jenseits solch aktueller Ereignisse wie den Kriegsflüchtlingen gehen junge Menschen nach dem Abitur für ein Jahr in ein Kinderheim in Ostafrika, verbringen Ärzte ihren Jahresurlaub mit Operationen in Bangladesch und organisieren Kegelvereine den Transport von Krankenhausbetten nach Moldawien. Wichtig ist nicht, wieviel man gibt. Und erst recht nicht, wie viel einem danach noch übrig bleibt. Wichtig ist, dass Menschen geholfen wird.

Wir brauchen soziale Unternehmer

Spenden und Freiwilligenarbeit sind jedoch nicht die einzigen Optionen, wie man seinen Mitmenschen helfen kann. Vor einer Woche war ich in Lviv in der Ukraine und habe dort eine weitere Option kennengelernt, die mich auf Anhieb begeistert hat. Ich durfte zu Gast sein bei Yuriy, einem Freund aus meinen Studiumstagen. Yuriys Sorge gilt obdachlosen Frauen, die auf den Straßen der westukrainischen Stadt leben. Darum hat er ein Frauenhaus ins Leben gerufen, um den Frauen Schutz und Zugang zu Nahrung und Hygiene zu geben. Aber auch, um ihnen Arbeit zu geben. Denn diese Arbeit gibt ihnen die Möglichkeit, einen neuen Sinn im Leben zu finden und Fertigkeiten einzuüben, die für die Teilhabe an der Gesellschaft wichtig sind. Das Frauenhaus lebt aber nicht primär von staatlichen Zuwendungen, Spenden oder Freiwilligenarbeit. Es ist ein unternehmerisches Projekt. Yuriy versteht sich als Unternehmer. Er will den Frauen helfen. Und darum packt er an.

Zuerst hat er das Frauenhaus mit Hilfe einer Kerzenwerkstatt finanziert. Seit einiger Zeit ist es vor allem eine Bäckerei, die den Geldfluss gewährleistet und gleichzeitig den Frauen die Möglichkeit gibt, sich mit ihren Fähigkeiten einzubringen. In der derzeit sehr lebhaften IT-Branche in Lviv sind die Kekse von Yuriys Bäckerei inzwischen ein so fester Bestandteil der Mitarbeitermotivation wie die Sitzsäcke und die Playstation. Derzeit planen Yuriy und seine Freunde, ins Nuss-Geschäft einzusteigen, um das Frauenhaus weiter ausbauen zu können.

Zuckerbergs gigantische Spende ist sehr ehrenvoll und wird auf jeden Fall für eine große Zahl an Menschen, auch weit in die Zukunft hinein, enormes bedeuten. Mindestens genauso wichtig aber ist es, dass es Menschen wie Yuriy gibt. Die ihr Anliegen, anderen in Not zu helfen, nicht dazu bringt, dass sie erst einmal nach dem nächsten Staatstopf Ausschau halten. Die das Anliegen als ihr eigenes verstehen, nicht als eines, das man outsourced oder vergemeinschaftet. Wenn man sich ein schönes Auto kaufen will, muss man hart arbeiten. Genauso muss man hart arbeiten, wenn man ein Frauenhaus gründen und unterhalten will. Einen solchen Ansatz sozialen Unternehmertums könnten wir auch hierzulande gut gebrauchen: Wenn ich eine andere Welt will, muss ich selber anpacken!

Photo: Karl Moor from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Der Weltspartag war früher ein Fest. Großeltern pilgerten mit ihren Enkelkindern in die Filialen der Sparkassen und Volksbanken, um das Sparschwein zu leeren. Die Kinder bekamen große Augen, nicht nur durch die Geschenke und Luftballons, die die Bankberater bereithielten, sondern durch die Zinsgutschrift, die auf dem Sparbuch aktualisiert und ausgewiesen wurde. Die Knirpse lernten so sehr früh, dass der Konsumverzicht heute, durch die Zinsgutschrift belohnt wird, damit man sich später etwas Größeres leisten konnte.

Die Großeltern, deren Kinder und Kindeskinder, waren Teil einer Sparkultur, die mehrere Generationen nicht nur vereinte, sondern prägte. Die Großeltern waren sensibilisiert durch die zwei großen Währungsreformen der deutschen Geschichte 1923 und 1948, die ihr Sparvermögen über Nacht vernichteten. Dieses Wissen gaben sie an ihre Kinder weiter und diese an ihre. Die Politik der Deutschen Bundesbank war das Ergebnis dieser generationsübergreifenden Erfahrungen. Die gesetzliche Normierung der Deutschen Bundesbank im Bundesbankgesetz von 1957 und ihre Unabhängigkeit von der Regierung war daher nicht die Ursache, sondern die Folge dieser traumatischen Erlebnisse. Es sollte nie wieder zur Geldvernichtung kommen. Dies war Teil eines Generationenvertrages.

Als am diesjährigen Weltspartag am 31. Oktober Oma und Opa mit ihren Enkelkindern in die Filiale der Sparkasse oder Volksbank aufbrachen, gab es zwar noch Geschenke und Luftballons, aber sonst lange Gesichter. Die Bankberater versprachen dieses Mal nur einen effektiven Zinssatz von 0,41 Prozent bei einer Einlage mit bis zu 3-monatiger Kündigungsfrist. Oma und Opa erinnern sich noch sehr gut daran, als sie 1974 mit ihren Kindern zur örtlichen Bank am Weltspartag gingen. Damals gab es noch 5,51 Prozent effektiv im Jahr. Zwar war damals die Inflationsrate wesentlich höher als heute, dennoch hatte das klassische Sparen seine Attraktivität. Es war die Chance des kleinen Mannes, den Wertverlust seiner Rücklagen zu mindern. Heute kann das Geld in der Spardose oder unter der Bettdecke bleiben oder gleich ausgegeben werden. Die Folgen sind schon heute erkennbar. Die Sparneigung der Deutschen ist seit Jahren auf einem historischen Tiefpunkt. Die Sparkultur in Deutschland stirbt scheibchenweise.

Wenn an der Garderobe Ihr Mantel verliehen wird

Hinter dem Sparen steckt eine beachtliche Leistung: Sparer verzichten auf Konsum im Jetzt, um fürs Morgen zu sparen. Dazu bringen sie ihr Geld zur Bank. Hinter diesem unscheinbaren „Geld zur Bank bringen“ steckt ein wichtiger Vorgang: Wer sein Geld zur Bank bringt, verliert sein Eigentum daran. Stattdessen erhält er eine Forderung gegen die Bank auf Rückzahlung des der Bank überlassenen Betrags. Wichtig: Die Bank zahlt nicht genau die Scheine und Münzen zurück, die sie erhalten hat – Juristen nennen dies eine Leihe. Sondern sie bezahlt die Forderung ihres Kunden mit irgendwelchen Münzen und Scheinen – die Juristen sprechen in diesem Fall von Darlehen. Die Bank kann während der Zeit der Überlassung über das Geld fast nach Belieben verfügen.

Das unterscheidet die zeitgenössische Bank von einer Garderobe im Theater. Wer an einer Garderobe seinen Mantel abgibt, der zahlt üblicherweise Geld dafür, dass seine Kleidung sicher verwahrt wird und er genau diesen Mantel nach Ende der Vorführung zurückerhält. Man stelle sich vor, der Manteleigentümer wolle das Theater vorzeitig verlassen und verlangte seinen Mantel schon nach dem zweiten von drei Akten heraus. Doch der Garderobenbetreiber verneint die Herausgabe des Mantels mit dem Hinweis, er habe diesen bis zum Ende des Stücks an einen anderen Herrn verliehen. Dieser bringe ihn aber rechtzeitig zurück, man möge sich ein wenig gedulden.

Was an der Garderobe undenkbar ist, ist Usus im modernen Banksystem. Das der Bank überlassene Geld wird von ihr für eigene Zwecke benutzt. Ein amerikanischer Jurist schrieb einmal ein bekanntes Buch über „Das Geld anderer Leute und wie die Banker es benutzen“. Er hatte zwar nicht genau den hier beschriebenen Vorgang im Sinn, doch der Titel trifft den Kern der Angelegenheit. Denn Banken nehmen die ihnen überlassenen Einlagen und geben daraus Darlehen an Dritte. Ihr überlassene Sicherheiten benutzen sie, um weiteren Kredit billig aufzunehmen und das Geld dann zu höheren Zinsen weiter zu geben. Kern des Geschäftsmodells ist die sogenannte Fristentransformation. Von der Bank kurzfristig geschuldete Gelder werden langfristig weitergegeben: Geld auf dem Girokonto ist jederzeit fällig und kann vom Kunden abgehoben werden. Doch die Bank spekuliert darauf, dass nicht jeder Kunde zur gleichen Zeit sein Bargeld vom Girokonto abhebt. Daher gibt sie einen Teil des Geldes auf Girokonten als Darlehen mit einer längeren Laufzeit weiter. Fristentransformation ist mit Profit verbunden. Für das Girokonto zahlt sie wenig Zinsen, für die Vergabe langfristiger Kredite erhält sie mehr.

Profit und Risiko

Wo Profit ist, da ist Risiko nicht weit. Wer Gelder langfristig weggibt, die er kurzfristig schuldet, kann immer in die Gefahr geraten, dass die Kurzfristgläubiger mehr Geld zurückverlangen als momentan zur Verfügung steht. Wenn die kurzfristig zur Rückzahlung fällig gestellten Forderungen nicht bezahlt werden können, wird der Schuldner zahlungsunfähig. Das wäre ein Insolvenzgrund. Natürlich kann es auch passieren, dass jemand, der sich von der Bank langfristig Geld geborgt hat, dieses nicht zurückzahlen kann. Auch dann kann eine Bank in die Bredouille geraten. Denn dann hat sie nicht genügend Geld, um ihrerseits die Einleger auszuzahlen, wenn diese ihr Geld zurückverlangen. Das ist der Fall der Überschuldung, der zweite denkbare Insolvenzgrund.

Das Risiko ist wohlbekannt. Immer wenn die Gefahr besteht, dass eine Bank pleite ist, kommt es zum sogenannten Bankrun oder Bankensturm. Das ist das Windhundrennen der Gläubiger. Jeder will der erste sein, der sein Geld abhebt und so schadlos davon kommt. Da die Banken sich auch untereinander Geld borgen, kann ein Bankensturm von der einen auf die andere Bank übergreifen. Diese Gefahr ist in einem Zentralbanksystem, in dem die Geschäftsbanken ein Vielfaches ihrer Einlagen von der Zentralbank borgen können, besonders groß. Daher gibt es kein Zentralbanksystem, das der Staat nicht durch ein gesetzliches Einlagensicherungssystem flankiert. Das bewirkt zweierlei: Die Stabilität einer Bank wird abhängig von der Stabilität des Systems. Und die Einleger verlieren einen Anreiz, sich um die Sicherheit ihrer Einlagen höchstpersönlich zu kümmern. Das ist ein klassischer Prinzipal-Agenten-Konflikt.

Soweit es sich dabei um eine Haftung für die Einlagen ohne die Zahlung einer Versicherungsprämie handelt, handelt es sich zusätzlich um eine Subvention mit schädlichen Anreizen. Die Merkelsche Garantie während der Lehman-Krise ist eine solche schädliche Garantie. Frau Merkel hat die Sicherheit der Sparguthaben versprochen, ohne dass dafür eine Versicherungsprämie zu zahlen war. Wenn Dritte – Frau Merkel hat selbst nicht genug Geld, für ihre Garantie soll der Steuerzahler haften – ein Risiko übernehmen ohne dafür entschädigt zu werden, wird der Begünstigte mehr Risiken eingehen. Genau das ist dem Bankensystem seit Lehman auch passiert. Statt die gesetzlichen Einlagensicherungssysteme immer weiter auszufeilen, auf ganz Europa auszurollen, sollten wir sie schrittweise abschaffen (vgl. Kevin Dowd, Deposit Insurance: A Sceptical View). Das bedeutet nicht, dass sich Banken und Bankengruppen, wie Sparkassen und Volksbanken, nicht gegenseitig zur Hilfe verpflichten können und dürfen. Es bedeutet lediglich, dass es keine Aufgabe des Staates ist, Einlagen zu sichern und sie durch Zwangsbeiträge aller zu finanzieren.

Das “Trennbankensystem”

Ein besseres System die Einlagen zu schützen wäre das im folgenden vorgeschlagene Trennbankensystem: Banken bieten Konten an, auf denen sie Geld tatsächlich lediglich verwahren oder es bei ihrer Notenbank hinterlegen. Das Eigentum am Geld geht nicht auf die verwahrenden Banken über. Diese trennen das verwahrte Geld von anderen Einlagen. Das verwahrte Geld wird von ihnen nicht weiterverliehen und nicht als Pfand bei der Zentralbank eingesetzt. Die Verwahrkonten können für den Zahlungsverkehr genutzt werden. Doch bei einer Insolvenz der Bank wären die Verwahrkonten nicht betroffen. Da die Bank von solchen Verwahrkonten keine Vorteile hat, werden Banken keinen Zins bezahlen, stattdessen sogar Gebühren nehmen. Der Kunde hat den Vorteil, dass er einen Bankensturm nicht zu fürchten braucht. Der spanische Ökonom Jesus Huerta de Soto hat gezeigt, dass solche Verwahrverträge kein Novum in der westeuropäischen Bankenrechtsgeschichte wären.

Alle drei Schritte zusammen, die Abwicklung eines chronisch überschuldeten Zentralbankensystems, die Abschaffung der gesetzlichen Einlagensicherung sowie das Angebot von Verwahrkonten sind Schritte hin zu einem stabilen Finanzsystem. Das bedeutet viel mehr Markt, Wettbewerb und persönliche Haftung im System. Nur so wird das System stabil.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.