Photo: Charles Hutchins from flickr (CC BY 2.0)

Die altehrwürdige „Zeit“ aus Hamburg hat gerade das Ende des Neoliberalismus ausgerufen und sich dabei auf den Internationalen Währungsfonds berufen. Dieser habe eingeräumt, dass die Entfesselung der Marktkräfte die Wirtschaft in vielen Fällen nicht wie erhofft gestärkt, sondern vielmehr geschwächt habe. Als Begründung führt der Autor Mark Schieritz in einem Kommentar an, „die Weltwirtschaft befindet sich in einem permanenten Krisenzustand, für die Fehlspekulationen einer globalen Finanzelite musste die Allgemeinheit aufkommen, und in fast allen Industrienationen ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Das muss man erst einmal schaffen.“ Wenn dies das Ergebnis des Liberalismus – mit oder ohne Präfix – wäre, ja dann wäre diese Analyse stichhaltig.

Mehrere Annahmen sind falsch. Die aller erste ist, dass der IWF etwas mit Liberalismus zu tun habe. Nichts ist abwegiger. Der IWF ist ein Produkt supranationaler Prägung der Nachkriegsordnung. Er wurde als Interventionsmechanismus geschaffen, um die Wechselkurse der Währungen, die mittelbar über den Dollar an das Gold gekoppelt waren, zu stabilisieren. Der Ausgangspunkt war daher ein planwirtschaftlicher Ansatz. Staaten, die ihre Währung nicht stabilisieren konnten, wurde ein Übervater zur Seite gestellt, der ihnen dann unter Auflagen aus der Patsche half.

Nach dem Ende der Goldbindung des Dollars 1971 durch Richard Nixon wurde der IWF anschließend nicht abgewickelt, sondern er suchte sich wie nahezu jede Behörde neue Aufgaben. Jetzt kümmerte man sich um die Entwicklungs- und Schwellenländer auf dieser Welt, wie jüngst auch um Griechenland. Mit Liberalismus hat dies alles herzlich wenig zu tun. Der Liberalismus schaut auf den Einzelnen, er setzt auf die freiwillige und friedliche Kooperation von Menschen und hat das Wohl des Ganzen im Blick. Man kann die Entwicklung und das Wirken des IWF daher nicht dem Liberalismus anheften. Der IWF ist ein Produkt der Allmachtsphantasie der Politik und ihres korporatistischen Gestaltungsanspruches.

Die zweite Annahme ist ebenfalls falsch oder zumindest unpräzise. Die Entfesselung der Marktkräfte habe nicht geholfen, sondern habe die Wirtschaft geschwächt. Die einseitige Aufgabe der Gold-Bindung des Dollars ermöglichte nach 1971 eine fast unbegrenzte Geldschöpfung der Banken und eine künstliche Ausweitung der Kredit- und Geldmengen. Dies war eine rein staatliche Entscheidung. Die Bürger Amerikas wurden nicht gefragt. Auch die Bürger in Deutschland, Großbritannien oder Japan konnten nicht individuell entscheiden, ob sie diese neue Geldordnung wollen oder nicht. Selbst durch demokratische Wahlen wurde dieser willkürliche Akt nicht legitimiert. Die neue Geldordnung sollte als Abkürzung zu einer stabilen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung führen. Stattdessen wirkte sie wie süßes Gift, dass den Eindruck vermittelte, dass Wohlstand ohne Sparen möglich ist. Kurzfristig mag dies vielleicht geholfen haben, jedoch um den Preis späterer monetärer Schocks, weil Unternehmen in ambitiöse Investitionsprojekte gelockt wurden, die sich als nicht rentabel herausstellten und daher nicht vollendet werden konnten. Die Zulassung eines Rechtsrahmens, der solche Kredit ohne einen zuvor erfolgten Sparvorgang ermöglicht, hat einigen geholfen, insbesondere den Banken und den Schuldnern. Beide wurden immer größer und mächtiger. Das Wirtschaftssystem spielt in der Folge verrückt. Unternehmen handeln plötzlich so, als wenn die Bürger ihnen viel mehr Ersparnisse zur Verfügung gestellt hätten. Tatsächlich ist es nur eine Geldillusion, die als solche von den Marktteilnehmern erkannt wird und sich korrigieren will. Die Notenbanken intervenierten anschließend mit noch niedrigeren Zinsen und noch billigerem Geld. Die Interventionsspirale des Staates dreht sich daher immer schneller.
Mit dem liberalen Grundsatz, der Gleichheit vor dem Recht, hat dies jedoch nichts zu tun. Dort würde es als Betrug entlarvt. Es hat auch nichts mit Marktwirtschaft als die liberale Wirtschaftsordnung zu tun. In ihr würde es den Austritt von Marktteilnehmern geben. Staaten und Banken würden in dieser Marktordnung pleitegehen, Gläubiger würden auf Teile der Rückzahlung verzichten müssen und anschließend sich vorsichtiger verhalten. Es wäre ein gesundes Wirtschaften, weil Fehlentscheidungen im Kleinen korrigiert würden und keine kollektive Bestrafung aller, die zum großen Teil nichts mit den Fehlentwicklungen zu tun haben, stattfindet.

Die dritte Annahme ist ebenfalls haarig: Die Kluft zwischen Arm und Reich würde zunehmen. Das ist leicht dahingesagt. Was ist der Maßstab? Ist es die Zeit eines Anton Fuggers, der seit dem Mittelalter bis heute als der reichste Mensch gilt. Oder ist es die Zeit eines Hugo Stinnes, der Anfang des 20. Jahrhunderts zu großem Vermögen kam? Wahrscheinlich war die Ungleichheit 1946 in Deutschland und anderen Ländern geringer als heute, doch weite Teile Europas und der Welt waren zerstört und vernichtet. Es ging allen schlecht. 1,4 Milliarden Chinesen sind heute Wohlhabender als zu Zeiten Maos, als dieser Millionen verhungern ließ. Trotz seines unendlichen Vermögens hatte Anton Fugger kein Telefon, kein Auto und auch keine Krankenversicherung, die ihm auch noch im hohen Alter umfassende medizinische Versorgung garantiert – vom künstlichen Hüftgelenk bis zum Herzschrittmacher.
Vielleicht meint der Zeit-Kolumnist etwas ganz Anderes. Es ist nicht der Neo-Liberalismus, der versagt hat, sondern der Kollektivismus, der in einer globalen Staatswirtschaft zum Ausdruck kommt. Sein Ende ist leider nicht in Sicht, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Photo: Ralf Schulze from Flickr (CC BY 2.0)

Es gibt inzwischen viele Vorstöße, das Bargeld einzuschränken oder ganz abzuschaffen. Der Wegfall des 500-Euro-Scheines ist so ein Vorstoß. Dieser werde eh nur von Verbrechern und Geldwäschern benutzt. Normale Bürger würden stattdessen dazu übergehen, ihre 500er in 200er und 100er zu tauschen. Inzwischen verlautbart die EZB sogar, dass bereits 18 Millionen Scheine im Wert von 9 Milliarden Euro vom Markt genommen worden seien. Das klingt gewaltig. Ist es vielleicht so, dass die Bürger freiwillig auf den 500er verzichten und ihn brav umtauschen? Ist das Bargeld gar nicht so beliebt, wie immer behauptet wird? Wer die Zahlen genau analysiert, kommt schnell zu dem Schluss, dass die 18 Millionen Scheine lediglich ein Klacks sind. Von den über 612 Millionen 500er Scheinen sind es gerade einmal drei Prozent, die jetzt zurückgenommen werden. Dies ist wahrscheinlich nichts Besonderes, sondern die ganz normale Rücknahmerate der Vergangenheit.

Viel gefährlicher für das Bargeld ist ein aktueller Vorstoß der SPD. In dieser Woche hat der Parteivorstand der Sozialdemokraten „20 Maßnahmen für die sofortige Beendigung von Steuerbetrug, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ diskutiert. Nicht nur, dass die Sozialdemokraten darin eine nationale Obergrenze für Bargeld fordern. Vielmehr werden alle Bürger mit Bargeld unter Generalverdacht gestellt. Denn im Papier heißt es: „Vermögen unklarer Herkunft sollen künftig eingezogen werden können“. Wer Bargeld im Schließfach oder zu Hause aufbewahrt, kommt dann schnell unter Generalverdacht. Woher stammt das Geld, ist es ehrlich verdient?

Von seinem Wesen her ist die Herkunft des Bargeldes nicht immer klar nachzuweisen – insbesondere nicht, wenn der Erwerb viele Jahre zurückliegt. Bislang galt im Wirtschaftsverkehr: wer Bargeld in der Hand hält, genießt erstmal das Vertrauen der Marktteilnehmer. In der Regel ist es dem Verkäufer egal, woher das Bargeld stammt, sollte er keine offensichtlichen Anzeichen einer Straftat erkennen. Das ist gut und richtig so, denn es vereinfacht das Wirtschaftsleben enorm. Und es ermöglicht den anonymen Erwerb von Waren und Dienstleistungen. Nicht alles will man offenbaren oder veröffentlicht wissen. Wenn Bargeld jederzeit von seiner Herkunft nachgewiesen werden muss, verliert es seine stärkste Funktion – den Schutz der Privatsphäre. Das war bislang gar kein Problem, galt hier doch die Unschuldsvermutung. Jetzt dreht die SPD den Spieß um, und die Bürger müssen im Zweifel nachweisen, woher das Bargeld stammt, ansonsten besteht die Gefahr, dass es ihnen weggenommen wird.

Das mag denjenigen gefallen, die den gläsernen Bürger lieben und die meinen, nichts zu verbergen zu haben. Dennoch sollten auch sie wachsam sein. Denn hier gerät jeder Einzelne unter Verdacht. Die Folge wird sein, dass das Bargeld zurückgedrängt wird und am Ende seine Existenz verliert. Die Bedienung im Restaurant oder Kneipe, die das Trinkgeld gern als steuerfreie Zugabe einsteckt, kann daran ebenso wenig Interesse haben wie der Musiker in der Fußgängerzone, der seinen Hut vor sich hinlegt, um eine kleine Spende von den Passanten zu erhalten. Es trifft am Ende den Otto-Normalverbraucher und ganz besonders die sozial Schwächsten und nimmt ihnen Verdienstmöglichkeit und Freiheit.

Wer glaubt, mit der Abschaffung des Bargelds würden die Verbrecher besser erfasst und gefasst, der glaubt auch, dass das bankrotte Venezuela nicht wegen des Sozialismus pleite ist, sondern weil er lediglich nicht konsequent genug umgesetzt wurde. Frei nach Che Guevara: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Pete Birkinshaw from Flickr (CC BY 2.0)

In dieser Woche haben die Grünen und die Linken im Bundestag Festpreise für Milchbauern gefordert. Das ist nicht neu. Wahrscheinlich gibt es historisch keinen Wirtschaftszweig, der so stark und dauerhaft von den Interventionen des Staates betroffen und abhängig ist, wie der Agrarsektor.
Die Geschichte der Europäischen Gemeinschaft und später der Europäischen Union ist letztlich eine Geschichte der Subventionierung der Landwirtschaft. Der Preis dafür ist, dass dieser Sektor besonders mit Verordnungen, Richtlinien und damit Bürokratie drangsaliert wird. Die Marktwirtschaft hatte viele Jahrzehnte keine Chance gegen die Planungsbehörden in Brüssel. Produktionsquoten und Mindestpreise führten zu Milchseen und Fleischbergen und waren Zeugnisse dieser gescheiterten Planwirtschaft. Landwirte waren nur Planerfüller einer EU-Planungsbehörde, anstatt selbstbewusste Unternehmer zu sein.

Doch einige Bereiche der Landwirtschaft waren schon in den vergangen Jahrzehnten der Marktwirtschaft und damit Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Die Schweineproduktion gehört zum Beispiel dazu. Deren Preisschwankungen sind als sogenannter Schweinezyklus bekannt. Steigt der Preis für Schweinefleisch, bauen Landwirte ihre Kapazitäten aus. Das Angebot an Schweinefleisch nimmt in der Folge zu und die Preise fallen bei gleicher Nachfrage. Dieser Prozess vollzieht sich jedoch nicht von heute auf morgen, sondern dauert über Jahre an, weil die Produktionsausweitung mit Investitionen verbunden ist. Die Preiskorrektur nach unten zwingt die Landwirte dann zur Steigerung ihrer Produktivität oder häufig sogar zur Aufgabe ihres Hofes.
Diesen Schweinezyklus verspüren aktuell auch die Milchbauern. 2014 bekam der Landwirt noch über 40 Cent je Liter, seitdem geht es steil bergab. Aktuell erhalten sie weniger als die Hälfte. Allein im vergangenen Jahr hat die Milchwirtschaft in der EU die Produktion um fast fünf Prozent erweitert. Damit steigt das Angebot, und die Preise fallen bei gleicher Nachfrage. Der Anpassungsprozess ist bereits in vollem Gange. Viele Landwirte kämpfen deshalb um ihre Existenz.

Doch es kommt dieses Mal ein Umstand hinzu, der mit der Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Es sind die Sanktionen der EU gegen Russland und umgekehrt. Sie haben die Exporte nach Russland gekappt und abgeschnitten. Damit trifft ein wachsendes Angebot nicht auf eine gleichbleibende, sondern auf eine abrupt sinkende Nachfrage. Insgesamt geht es um ein Volumen an Agrarprodukten von zwölf Milliarden Euro, die aus der EU nach Russland exportiert wurden. Diese Sanktionen verzerren den Marktmechanismus und verschärfen jetzt den Anpassungsprozess.

Eigentlich sollten die Sanktion die Russen und ihren Präsidenten für dessen Annexion der Krim treffen, jetzt werden aber die Milchbauern in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten bestraft. Sie haben nichts mit dem Konflikt in der Ukraine zu tun, können nicht ausweichen. Trotzdem sind viele von ihnen in ihrer Existenz gefährdet.

Die Einschränkung des freien Warenverkehrs durch Handelshemmnisse wie Einfuhrbeschränkungen oder durch die Subvention der eigenen Landwirtschaft schadet allen. Das ist die Botschaft der Freihandelsidee, die seit dem 19. Jahrhundert, beginnend in Großbritannien, ihren Siegeszug um die Welt gemacht hat. Ihn zu fördern, hilft auch den Milchbauern in Deutschland. Deshalb sollten die Landwirte eigentlich die größten Befürworter des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) sein. Denn Freihandel ist kein Nullsummenspiel, bei dem der Erfolg des einen zu Lasten des anderen geht. Freihandel macht den Kuchen größer und ermöglicht, dass mehr Menschen am Wohlstand teilhaben können.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 4. Juni 2016.

Photo: Kecko from Flickr (CC BY 2.0)

Es gibt vielerlei, das verboten ist, oder wo der Ruf nach einem Verbot oder Gesetz immer wieder laut wird. Ein häufiger Denkfehler in dem Zusammenhang ist, dass man „legal“ mit „empfohlen“ verwechselt. Oder anders gesagt: Man muss nicht gleich alles verbieten, was einem nicht behagt.

Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen

Es gibt viele gute Gründe, sich für die Legalisierung von Marihuana einzusetzen. Zum Beispiel die Reduzierung von Kriminalität, die mit dem Verbot einhergeht. Aus einer Legalisierung oder zumindest Entkriminalisierung folgt jedoch nicht, dass von nun an der Konsum von Marihuana empfohlen wird. Man muss nicht damit rechnen, dass Menschen wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, die sich für ein Ende des Kriegs gegen die Drogen einsetzen, bald mit der Crack-Pfeife im Mund der Weltöffentlichkeit von bewusstseinserweiternden Substanzen vorschwärmen.

Wenn die NPD nicht verboten wird, ist das keine implizite Wahlempfehlung der Verfassungsrichter. Wer gegen ein Verbot sexistischer Werbung ist, möchte nicht notwendigerweise die Innenstadt mit nackten Frauen plakatiert sehen. Das Tragen der Burka zuzulassen impliziert nicht den Wunsch, möglichst viele Frauen möchten sich für diese Mode-Variante entscheiden. Und man kann das Rauchen in Kneipen erlauben, ohne den Wirten nahezulegen, diese Möglichkeit zu nutzen. Etwas vor dem Gesetz tun zu dürfen, heißt nicht, es auch tun zu müssen oder zumindest zu sollen.

Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen?

Auch wenn das so nie von den Befürwortern von Verboten formuliert wird: es schwingen häufig genau diese unterschwelligen Botschaften mit. Wenn man es nicht verbietet, werden Leute sich aufgerufen fühlen, es zu tun. Durch das Verbot dagegen wird bei vielen Menschen das Gefühl hervorgerufen, das Problem, das dadurch adressiert wird, sei nun unter Kontrolle. Fakt ist: Unter Kontrolle ist es oft genug nicht. Die Drogenpolitik ist vielleicht das krasseste Beispiel dafür, wie ein Verbot vor allem neue Probleme verursacht ohne die alten zu lösen. Aber auch harmlosere Interventionen wie die Mietpreisbremse oder Verbote, nachts Alkohol zu verkaufen, bringen in der Regel eher neue Probleme hervor ohne die bestehenden in den Griff zu bekommen.

Alles fängt an mit einem grundlegenden Missverständnis: Was ist eigentlich der Zweck von Gesetzen? Anders als viele Politiker es kommunizieren und anders als viele Bürger es empfinden, ist ihr Sinn nicht, die Verbindlichkeit von Vorlieben festzuschreiben. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie dem unsrigen ist der Sinn von Gesetzen, die Freiheit der Bürger zu garantieren. Es widerspricht zutiefst dem Geist unseres Grundgesetzes und Gemeinwesens, persönliche Geschmacksurteile oder Meinungen mittels eines Gesetzes zum Maßstab für alle Bürger des Landes zu machen.

Dass das dennoch immer öfter passiert, führt eben auch zu dem Irrtum zu glauben, dass „legal“ gleichbedeutend mit „empfohlen“ sei. Wenn Gesetze und Verordnungen zunehmend zu einem (repressiven) Kommunikationsmittel über das gewünschte Verhalten werden, dann übermitteln sie eben nicht mehr bloß, was man nicht tun soll, sondern immer häufiger, was man tun soll. In letzter Konsequenz wird dann so viel geregelt, dass man davon ausgehen kann: Wenn etwas nicht verboten ist, sollte man es tun.

Argumente nicht durch Vorschriften ersetzen

Wenig überraschend werden sich dennoch viele Menschen nicht daran halten. Wer wirklich etwas verändern will, muss einen anderen Weg als den der Gesetze wählen. Wenn zum Beispiel auch nur ein Teil der enormen Summen, die heute in Strafverfolgung wegen kleinerer Drogendelikte gesteckt werden, in Aufklärung über die Schädlichkeit von Rauschmitteln gesteckt würden, könnte man nachhaltiger Veränderungen bewirken – und das ohne die negativen Nebenwirkungen eines Gesetzes. Das Thema Rauchen ist da ein gutes Beispiel: Die stetig sinkende Zahl der Raucher hat wohl eher mit verstärkter Aufklärung und gewachsenem gesellschaftlichen Bewusstsein zu tun als mit den erst in der Folge eines veränderten Bewusstseins aufgetretenen Nichtraucherschutzgesetzen und abstoßenden Bildern auf Zigaretten-Packungen.

Es gibt sehr gute und überzeugende Argumente dafür, vieles nicht zu tun, was heute verboten, illegal und sanktioniert ist. Diese Argumente sind ein viel wirksameres Mittel, um nachhaltig und langfristig Menschen davon abzuhalten als Verbote und Gesetze. Wer ein Gesetz einführt, hat damit noch keinen Menschen überzeugt. Die Tendenz, über Gesetze die eigenen moralischen Urteile durchzusetzen, ist nicht nur wenig effizient. Sie erodiert auch über die Zeit hinweg unseren Rechtsstaat, indem sie ihn in einen Gesetzstaat transformiert. Gerade in einer Demokratie, die sich aus der Urteilsfähigkeit der Bürger heraus begründet, darf das Argument nicht durch die Vorschrift ersetzt werden.

 Photo: Claus Rebler from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Der Europa-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff hat gerade vor der Freigabe der Griechenland-Kredite durch die EU-Finanzminister gewarnt: „In Wahrheit ist Athens Reformprogramm ein Papiertiger.“ Seit Beginn der Finanzhilfen seien 74 Prozent der mit den europäischen Partnern vereinbarten Reformen nicht durchgeführt worden, gibt sich jetzt der EU-Abgeordnete überzeugt. Er plädierte wie sein Parteivorsitzender Christian Lindner für einen Austritt Griechenlands aus dem Euro.

Darauf hinzuweisen war und ist notwendig, bekommt man doch gelegentlich den Eindruck vermittelt, die Situation für Griechenland und für den Euro-Club habe sich seit 2010 wesentlich verbessert und das Erpressungspotential der überschuldeten Staaten und Banken in Europa habe abgenommen. Deshalb ist die Kritik an Finanzminister Schäuble und damit auch an den Regierungsparteien in Berlin sehr berechtigt. Machen es sich die Finanzminister im Euro-Club doch sehr einfach. Erneut werden die Dinge auf die lange Bank geschoben, Beruhigungspillen verteilt und din Reformbereitschaft der griechischen Regierung verklärt.

Und wie 2010 versuchen diese Schönredner wieder, über wichtige zeitliche Hürden zu springen. Die eine Hürde ist das Brexit-Referendum in Großbritannien am 23. Juni. Auf der Insel steht es Spitz auf Knopf, da will man in Brüssel keine negativen Schwingungen erzeugen. Das zweite Datum ist die Bundestagswahl in Deutschland im September 2017. Ein Schuldenschnitt, wie auch immer er aussehen mag, will man als deutscher Finanzminister nicht verantworten. Deshalb verschiebt man diese Frage auf das Jahr 2018. Wichtig ist für alle Beteiligten, Griechenland aus den Schlagzeilen zu halten.

Mit einer Schuldenquote von 180 Prozent zur Wirtschaftsleistung hat Griechenland einen neuen Höchststand in seiner Euro-Geschichte erreicht. 315 Milliarden Euro an Staatsschulden tragen heute nicht mehr Banken, Versicherungen und Fonds, sondern faktisch zu 100 Prozent der Euro-Club, die EZB und der IWF. Jetzt ist die drohende Ansteckungsgefahr für die europäischen Banken zwar gemindert, aber nunmehr bürgt der Steuerzahler für diese uneinbringlichen Forderungen. Die Retter von damals halten sich zugute, dass die Zinsspreads zwischen Griechenland und den übrigen Schuldenstaaten zugenommen hätten. Bis auf Portugal haben alle Euro-Staaten inzwischen Renditen von 10-jährigen Staatsanleihen von unter 2 Prozent, viele sogar unter 1 Prozent. Lediglich Portugal liegt bei fast 4 Prozent, wogegen Griechenland bei rund 7 Prozent liegt..

Die Ansteckungsgefahr ist jedoch gegenüber 2010 nicht gemindert, vielmehr hat sie sich erhöht. Die Zinsspreads sind kein Indikator einer abnehmenden Gefahr in einer Zeit, in der die EZB jeden Monat für 80 Milliarden Euro überwiegend Staatsanleihen aufkauft. Diese Maßnahme dient einzig und alleine dem Ziel, die Zinsen und Renditen der Staatsanleihen zu drücken. Das Volumen ist dabei gar nicht entscheidend. Entscheidend ist der Wille Mario Draghis, den er in den Worten „whatever it takes“ zum Ausdruck gebracht hat. Die Anleihenmärkte sind wahrscheinlich noch nie in den vergangenen 60 Jahren in dieser Weise manipuliert worden.

Die Ansteckung aller Länder in der Eurozone findet derzeit an anderer Stelle statt. Regierungen werden nicht nur in Griechenland hinweggefegt, sondern auch in Spanien und Portugal. Etablierte Parteistrukturen gelten nicht mehr, siehe Österreich und Frankreich. Selbst in Deutschland ist es nicht mehr weit, bis die Union erstmalig in Umfragen unter die 30 Prozent-Hürde fällt. Die andere Volkspartei, die SPD, muss sich daran gewöhnen, unter 20 Prozent taxiert zu werden. Das so oft apostrophierte Verursacherprinzip gilt im Euro-Club nicht. Recht wird bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Deshalb dürfen sich die Regierungen nicht wundern, wenn ihre Politik des Zeitgewinns durch Rechtsbeugung sich ein Ventil sucht. Griechenlands Weg muss ein Weg außerhalb des Euro-Korsetts sein. Für alle Beteiligten wäre dies besser – für Griechenland und die restlichen Euro-Staaten.

Sollte Griechenland den Euro-Club verlassen, hieße das nicht, dass der Euro in Griechenland verschwindet. Es bestünde sogar die Möglichkeit, den Bürgern Griechenlands die Wahl zu lassen, welche Währung sie nutzen. Hierfür ist nicht sehr viel notwendig. Im ersten Schritt müsste die EZB den griechischen Banken den Zugang zur EZB und dessen Zentralbankgeld kappen. Anschließend würde dann die griechische Regierung eine neue Währung in Umlauf bringen und die Bankkonten darauf umstellen. Das Euro-Bargeld würde weiter seine Funktion als Zahlungsmittel behalten. In einem klassischen Parallelwährungsraum würde normalerweise dann das schlechte Geld das gute Geld verdrängen. Die neue Drachme würde in einen Abwertungssog gegenüber dem Euro geraten. Alle Menschen in Griechenland würden versuchen, die relativ schlechtere Drachme in den relativ besseren Euro umzutauschen. Der Euro würde gehortet und die neue Drachme würde möglichst schnell ausgegeben oder getauscht.

Dieser als „Greshamsche Gesetz“ bezeichnete Zusammenhang kann eigentlich nur dadurch vermieden werden, dass der griechische Staat kein gesetzliches Zahlungsmittel definiert und keinen Wechselkurs über die eigene Notenbank zu bestimmen versucht, sondern das Zahlungsmittel und deren Verwendung dem Markt überläßt. Daher ist nicht ein klassisches Parallelwährungskonzept die Antwort, sondern ein Vielwährungskonzept aus unterschiedlichen Währungen, die je nach Verwendung unterschiedliche Vor- und Nachteile haben können. Das Grundprinzip dieses Vielwährungskonzeptes lautet: Nur wenn jeder Bürger jeder Zeit die Möglichkeit hat, sein schlechtes Geld in gutes Geld umzutauschen, entsteht eine Geldordnung, die dauerhaft Vertrauen schafft. Dieses Währungskonzept würde nicht von der Willkür der Regierung oder einer Zentralbank abhängig sein, sondern vom Vertrauen jedes Einzelnen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.