Photo: Polybert49 from Flickr (CC BY-SA 2.0)

0,42 Prozent des Bruttonationaleinkommens gab die deutsche Regierung im vergangenen Jahr für Entwicklungshilfe aus. Das ist weniger als die 0,7 Prozent, die die Vereinten Nationen bereits 1970 als Zielgröße empfohlen haben. Aber dennoch sind die 12,5 Milliarden Euro der drittgrößte Wert weltweit. Die Regierung wird daher zufrieden sein.

Doch ob diese rein quantitative Betrachtung der Entwicklungshilfe hilfreich ist, läßt sich sicherlich bezweifeln. Findet doch Entwicklungshilfe oft als reine Budgethilfe für afrikanische Staaten statt. Nach dem Zuckerbrot-und-Peitschen-Prinzip wird die jeweilige Regierung mit Budgethilfen belohnt, wenn sie sich rechtsstaatlich, demokratisch, ökologisch oder weniger diskriminierend gegenüber Minderheiten verhält. Dieser Erziehungsansatz mag bei Kleinkindern funktionieren, ob es souveränen Staaten und deren Machthabern unsere Form des demokratischen Rechtsstaates näherbringt, darf sicherlich bezweifelt werden. Ohne innere Einsicht wird das nicht klappen.

Um so erfreulicher ist es, wenn jetzt eine wichtige Organisation in der Entwicklungshilfe, die Weltbank, zumindest personell einen neuen Weg zu gehen scheint. Der Vorstand der Weltbank hat den New Yorker Ökonomen Paul Romer zum neuen Chefökonomen ernannt. Damit könnte auch ein Wandel in der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit eingeläutet werden. Zu wünschen wäre es. Romer ist in mehrerer Hinsicht ein interessanterFall: Er gilt als einer der prägenden Köpfe einer endogenen Konjunkturtheorie, die den Fortschritt und das Wachstum ganzer Volkswirtschaften mit der Innovationskraft einzelner Unternehmen begründet. Für ihn ist der Konsumverzicht, also das Sparen, die Voraussetzung für Investitionen, die wiederum Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Im letzten Jahr erzeugte er eine heftige Debatte unter seinen Professorenkollegen, weil er ihnen eine Missbrauch der Mathematik vorwarf. Er nannte dies „Mathiness“ und meinte damit, dass unter dem Deckmantel der Mathematik, ideologische Dogmen vertreten und vermeintlich bewiesen werden.

Wahrscheinlich ist seine Konjunkturtheorie auch der Ansatz für seine entwicklungspolitische Idee, die er „Charter City“ nennt. Im Februar habe ich dieses Konzept bereits in meiner Kolumne im Blog von Roland Tichy vorgestellt. Er versteht darunter eine Art Sonderwirtschaftszone in Entwicklungsländern, in denen das Rechtssystem eines anderen Landes gilt. Seine Vorbilder sind Hongkong und Singapur, die unter einem anderen Rechtssystem eine wesentlich bessere Entwicklung genommen haben als ihr Umland. Erst diese Entwicklung hat China veranlaßt, mit Sonderwirtschaftszonen im eigenen Land diesen Regionen nachzueifern.

Romers Verdienst ist es, dass er Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsschutz als wesentliche Triebfeder für den Wohlstand ansieht. Nur wenn Eigentum rechtssicher erworben und übertragen werden kann, investieren Unternehmer. Nur wenn die Regierung Korruption glaubhaft bekämpft, kommt Investitionskapital in das Land. Und nur wenn die Gleichheit vor dem Recht existiert, kann die Regierung nicht mehr willkürlich entscheiden.

Auf die aktuelle Entwicklung in der Türkei bezogen, bedeutet dies: So schädlich bereits der Putschversuch für ein Land ist, so ökonomisch verheerend ist das anschließende willkürliche Vorgehen der Regierung unter Staatspräsident Erdogan gegen vermeintliche Kritiker. Wahrscheinlich erlebt die Türkei in den nächsten Monaten einen Exodus seiner Eliten.

Auch hier wären „Charter Cities“ eine Alternative. Dort würde nicht türkisches Recht, sondern vielleicht englisches gelten. Die Richter wären unabhängig vom Zugriff der Regierung und stünden vielleicht sogar unter internationalem Schutz. Die Freiheit der Wissenschaft würde an den dortigen Hochschulen gelebt, weil sie sich selbst über Studienbeiträgen finanzieren. Kein Machthaber und kein Präsident hätte das Recht und die Möglichkeit, Wissenschaftlern die Ausreise zu verbieten oder sie zu entlassen. Es würde Investitionssicherheit herrschen, weil ein Grundbuch vorhanden ist und eine schlanke und effiziente Verwaltung existiert.

Romers Idee ist deshalb so bestechend, weil sie im Kleinen Dinge von einigen innovativen Kräften ausprobieren läßt, die andere aus Behäbigkeit, Verkrustung oder einem drohenden Machtverlust nie zulassen würden. Vielleicht ist die Berufung von Paul Romer zum Chefökonom der Weltbank eine Initialzündung für bald tausend Hongkongs auf dieser Welt. Der Bekämpfung von Hunger und Elend würde dies am besten dienen. Zu wünschen wäre es.

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Erneut sind es die Banken, die die Finanzkrise in Europa auf die Tagesordnung setzen. Dieses Mal sind es die italienischen Institute. Sie schieben faule Kredite in Höhe von 367 Milliarden Euro vor sich her, die nicht mehr oder nicht regelmäßig von den Kreditnehmern bedient werden. Das ist kein Pappenstil, sondern bedrohlich für Italien und die gesamte Eurozone. Denn dies entspricht rund 22 Prozent aller Kredite, die italienische Banken an ihre Kunden ausgereicht haben. Deutsche Banken rechnen in ihrer Kalkulation mit Ausfällen von maximal 3 Prozent. Daran sieht man, wie groß die Probleme des Bankensektors in Italien sind. Doch nicht nur in Italien. Französische Banken haben ihrerseits italienischen Banken Kredite von über 200 Milliarden Euro gewährt. Kommen die italienischen Banken in Schieflage, trifft es im gleichen Moment die französischen. Diesen Dominoeffekt fürchten die Regierungschefs und die Zentralbanker mit gutem Grund.

Bislang rechtfertigte ein solches Szenario immer staatliche Intervention. Das war bei Lehman 2008 so, und auch bei der Griechenland-Krise 2010. Immer wurde mit dem Überspringen der Krise auf andere Länder und auf das gesamte Finanzsystem argumentiert, und die Hilfe durch die Steuerzahler und die Notenbanken so gerechtfertigt. Deshalb wird es auch dieses Mal wieder so sein. Man sollte daher nicht den Beruhigungspillen glauben, die die EU-Kommission und die EZB verteilen. Sie behaupten, dass mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und dem Bankenabwicklungsregime die Stabilität eingezogen sei. Beide Systeme funktionieren im Erstfall nicht. Der ESM reicht in seinem Volumen nicht aus, und die Gläubiger und Eigentümer der Banken werden im Erstfall nicht substantiell herangezogen.

Beide Instrumente dienten nur der Marktberuhigung. Selbst dies war nur von geringem Erfolg, denn faktisch hat die Intervention der EZB nur zur vorübergehenden Beruhigung geführt. Ihre Intervention in den Schuldenmarkt ist nur ein Spiel auf Zeit. Sie kauft seit geraumer Zeit Schulden in Form von Staats- und Unternehmensanleihen auf. Das Geld, das sie dafür verwendet, hat niemand erarbeitet, sondern Mario Draghi, der EZB-Chef, geht bildlich gesprochen in den Keller und schmeißt die Druckerpresse an. Er manipuliert den Geldwert und hofft, dass es keiner merkt. Die Folge dieser Manipulation ist die Vernichtung des Zinses auf Schulden jeglicher Art, die aber gleichzeitig zur Austrocknung dieses Marktes führt. Es gibt nur noch wenige Nachfrager nach Staats- und Unternehmensanleihen, der mit Abstand größte ist die EZB. Das geht eine gewisse Zeit gut, aber funktioniert nicht auf Dauer. Der Zins ist ein zentraler Indikator in einer Marktwirtschaft. Er macht Risiken sichtbar und gibt dem Investitions- und Konsumverzicht einen Preis. Wer heute sein Geld nicht investiert oder konsumiert, sondern diesen Prozess in die Zukunft verlegt, will für diesen Verzicht einen Preis, den Zins, erwirtschaften. Gibt es diesen Zins nicht mehr, dann konsumiert jeder nur noch oder investiert in Projekte, in die er sonst nie investiert hätte. Die Marktwirtschaft wird so pervertiert. Sie wird aus ihren Grundfesten gehoben.

Wahrscheinlich wird die EZB Teile der faulen Kredite der Banken aufkaufen. Das würde zwar gegen die Europäischen Verträge und gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen, doch es gibt keinen Widerstand mehr gegen diesen fortgesetzten Rechtsbruch. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB sämtliche Segel gestrichen. Jetzt ist der Brexit vielleicht der äußere Anlass für die EZB, bei den italienischen Banken und vielleicht auch noch bei anderen einzugreifen. Die EZB handelt nur noch nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Vielfach wir in der Politik über Nachhaltigkeit diskutiert und diese eingefordert – bei der Rente, bei den Schulden und bei der Umwelt. Bei der eigenen Währung glaubt man nur an das Jetzt und Heute. Doch nur wenige Währungen können sich rühmen, wirklich nachhaltig zu sein. Die meisten Währungen sind Geschichte.

Erstmals veröffentlicht in der Fuldaer Zeitung am 16. Juli 2016.

Photo: Justin Ennis from Flickr (CC BY 2.0)

Von Franco Debenedetti, Unternehmer, ehemaliges Mitglied des italienischen Senats und Präsident unseres Partnerinstituts „Istituto Bruno Leoni„.

Die italienische Bankenkrise bedarf gerade eines deutlichen Zwischenrufs: Das Ausmaß der Artikel und Interviews, in Zeitungen und Blogs, die sich darüber auslassen, was zu tun und was zu lassen sei, ist zu einem Punkt gekommen, an dem es nötig ist, eine Einordnung vorzunehmen.

Die widersprüchlichen Argumente

Sie reduzieren sich letztlich darauf, dass man sich einerseits die „ever closer union“ ersehnt, die Fiskalunion und die Vereinigten Staaten von Europa, während man sich andererseits dafür ausspricht, die Maastricht-Kriterien aufzuweichen und die Vorschriften der Bankenunion nicht zu befolgen. Die EU hat keine Verfassung, sie hat keine eigene politische Geschichte – sie hat nur ihre Verträge. Auf der Website der EU liest man: „Die Europäische Union basiert auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet, dass jede Tätigkeit der EU auf Verträgen beruht“. Ohne Verträge gibt es keine EU. Es ist ein Widerspruch, wenn man mehr Europa will, aber gleichzeitig das Europa von 1992 untergräbt, den ersten großen Schritt nach vorn, und auch die zwanzig Jahre später als lang ersehnten zweiten Schritt begrüßte Bankenunion.

Die kontraproduktiven Argumente

Eine Lawine … Manche argumentieren, es gebe natürlich die Banca Monte dei Paschi di Siena – aber es gebe ja auch die Deutsche Bank. Es gebe unsere Staatshilfen, aber auch die der anderen. Es wird erklärt, dass unser Problem nur Ausdruck eines viel größeren Problems sei. Und dann endet man mit dem Vorwurf an die Obrigkeiten, die unsere Forderungen beurteilen werden, unaufmerksam oder parteiisch zu sein. Faule Kredite seien etwas Anderes als Derivate; frühere Kritikpunkte hätten mit der jetzigen Situation nichts zu tun. Wenn man immer auf die Fehler der anderen hinweist, kann es sein, dass man irgendwann dazu ermahnt wird, einmal wieder auf die eigenen zu Blicken: vernichtetes Kapital, subventioniertes Wachstum, verschlechterte Kredite – es gibt genug Schwachpunkte.

Es ist kontraproduktiv, dem Brexit die Schuld zu geben: Ein Ereignis, das beweist, wie wichtig es ist, dass die Banken ausreichend Kapitalausstattung haben, um Schocks zu überstehen, kann nicht angeführt werden, um ein Auge zuzudrücken gegenüber denjenigen, die nicht ausreichend Kapital haben. Das gleiche gilt für die Umstellung von nachrangigen Anleihen in den Händen institutioneller Inverstoren in Aktien: Manch einer sagt, das könne man nicht machen, weil es den europäischen Markt für nachrangige Anleihen in Panik versetzen würde. Doch wenn das so wäre, dann würde das bedeuten, dass die Investoren nicht daran glauben, dass die Direktive je angewandt würde. Eine Einladung an die Obrigkeit, im Fall der Bank aus Siena unnachgiebig zu sein, um ganz Europa zu beweisen: wir meinen es ernst.

Die peinlichen Argumente

Manche erwarten ein Moratorium bei der Anwendung der Bail-in-Klauseln. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie die Probleme, die damit verbunden sein können, erst erkannt haben als sie nicht mehr theoretisch, sondern real waren. Dasselbe gilt auch für die Rettungen mit öffentlichem Kapital aus Deutschland (jemand sagt auch aus Großbritannien, als ob es Teil der Bankenunion wäre). Ist es ein Zeichen von Vorausschau oder auch nur Klugheit, immer stolz behauptet zu haben, man brauche das nicht?

Die fehlenden Argumente

Allenthalben hört man Beschwerden, dass den Italienern die ökonomische Bildung fehle, aber keiner spricht aus, wer in seiner Pflicht scheitert, diese zu ermöglichen. Das fängt bei der ersten Lektion an: Was für den einen eine Unterstützung ist, ist für den anderen eine Ausgabe, die von jemandem finanziert werden muss – entweder heute mit Steuern oder morgen mit den Zinszahlungen auf neue Schulden. Es scheint, dass die vier Banken (von Marche, Ferrara, Etruria, Chieti), die Ende 2015 pleite gingen, für 500 Millionen verkauft werden können? Ihre Rettung hat 1500 Millionen gekostet. Die Differenz wird den Interbanken-Fonds mit Garantien bezahlen, mithin also die Einleger in Form von geringerer Güte der Garantien. Falls es dem Fond Atlante nicht gelingen sollte, die großzügig bewerteten Bankenkredite zurückzugewinnen, dann wäre das ein Geschenk an die Bankaktionäre. Bezahlt würde das von dem Geld, das aus den Banken und Rentenkassen genommen wurde. Und die letzte Lektion lautet: Im Nachhinein führen diese Rettungen notwendigerweise in eine Situation des „moral hazard“. Sie laden Banken und Banker ein, weiterzumachen wie bisher. Schließlich bezahlt die Rechnung am Ende doch ein anderer.

„La mala educaciòn“ – Die schlechte Erziehung

Wenn der Interessenkonflikt der Regierungen nicht ans Licht gebracht wird. Sie haben in zweifacher Hinsicht ein Interesse daran, zu intervenieren und die Banken zu retten. Einerseits stoßen sie auf Zuspruch, weil sie „ein Problem gelöst“ haben und sie legen sich die Instrumente bereit, um das in Zukunft wieder zu tun. Indem sie als Kapitalgeber der Banken fungieren, gewinnen sie andererseits Gewicht im Prozess der Kreditvergabe, wenn es um Gelegenheiten der „Problemlösung“ geht, die öffentliches Interesse auf sich ziehen: sei es bei der Rettung des Stahlherstellers Ilva, beim Breitbandausbau oder beim Fonds „Atlante“. Dass die ökonomischen Interessen der „Geretteten“ gegebenenfalls nicht mit ihrem politischen Votum über ihren „Retter“ Renzi übereinstimmen, ist auch ein Widerspruch. Von allen, die wir hier gesehen haben, aber vielleicht der harmloseste.

Erstmals erschienen in der Zeitung „Il Foglio quotidiano“ und veröffentlicht auf dem Blog von Franco Debenedetti, eigene Übersetzung.

Photo: Sofi from flickr (CC BY-NC 2.0)

Die Finanzkrise ist zurück. Doch eigentlich war sie nie weg. Sie verbreitete sich nur nicht im Tageslicht, sondern unter dichtem Bodennebel. Heute sind die Probleme größer als noch vor einigen Jahren. Das werden die Heerscharen der „Retter“ vehement bestreiten. War die allgemein verortete Ursache der Krise 2007/2008 doch der „Neo-Liberalismus“ der Jahre zuvor. Diese Zeit der Deregulierung der Finanzmärkte habe den Geist aus der Flasche des Turbokapitalismus gelassen und die Übertreibungen an den Finanzmärkten entstehen lassen.

Seit 2008 kann dieser Vorwurf nicht mehr erhoben werden. Seitdem wird die Finanzwelt mit einer bis dahin nie gekannten Regulierungsfülle überzogen. Basel III, die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB, die Schaffung von Bankenstreßtests bei der EBA, der Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM, die Schaffung eines einheitlichen Bankenabwicklungsregimes und bald auch die einheitliche Einlagensicherung im Euroraum sind nur die bekanntesten Regulierungsversuche allein in unserem Währungsraum. All das sollte das Vertrauen in das Banken- und Finanzsystem erhöhen, systemische Risiken frühzeitig offenbaren und künftige Krisen verhindern. Bald eine Dekade später ist nichts davon eingetreten. Gar nichts!

Jetzt kommt die Finanzkrise mit voller Wucht zurück. Die Banken Italiens schieben 367 Milliarden Euro fauler Kredite vor sich her, was rund 20 Prozent aller Kredite ausmacht, die italienische Banken ausgereicht haben. Normal wären 2 bis 3 Prozent. Schmerzhafte Wertberichtigungen in den Bilanzen drohen, die das Eigenkapital auffressen und Banken insolvent werden lassen. Seit Jahren ist das Problem bekannt, dennoch unternahm die Regierung nichts oder zu wenig und ließ das Problem weiter ansteigen. Jetzt setzt Matteo Renzi auf die Aussetzung gerade beschlossener europäischer Regelungen, die die Gläubiger und Eigentümer erstmal zur Kasse bitten, bevor der Staat eingreift. Das erinnert sehr schnell an 2010, als beim erst besten Fall in Griechenland, die Nichtbeistandsklausel der EU-Verträge außer Kraft gesetzt wurde. Seitdem ist der Rechtsbruch nur noch ein Kavaliersdelikt. Dies alles verwundert nicht, da die Situation Italiens dramatisch ist. Die Situation der Banken in Italien ist das Spiegelbild der Entwicklung der dortigen Wirtschaft. Sie darbt auf dem Niveau der 1980er Jahre und die Industrieproduktion liegt fast 30 Prozent unter der Vorkrisenzeit des Jahres 2008.

Die mangelnde Regulierung taugt daher nicht als Krisenursache, sondern verschleppt und verstärkt das Problem. Der Blick und die Kritik müssen sich daher auf die EZB richten. Sie hat, durch ihre Zinspolitik und ihre Programme zum Aufkauf von Schulden der Staaten und Unternehmen, den Zins und damit den Seismograph zur Messung von Erdbeben beseitigt. Die EZB versprüht fortwährend süßes Gift, das, so wie einst die Sirenen vorbeifahrende Seefahrer betörten, heute alle Finanzminister, Kämmerer, Banker und Finanzvorstände geistig vernebelt. Für das Schuldenmachen von Staaten, Banken und Unternehmen gibt es faktisch keine Grenzen. Es gibt kein Morgen mehr. Alle leben im Jetzt.

Doch das dicke Ende kommt noch. Die Banken werden jetzt von zwei Seiten existentiell in die Zange genommen. Die Regulierungsdichte führt auf der einen Seite zur Oligopolisierung der Branche. Nur noch die Großen können sich die Bürokratie und Datenkrake „leisten“. Die Kleinen werden zur Fusion oder Aufgabe gezwungen. Auf der anderen Seite nimmt die Politik der EZB den Banken ihre Ertragskraft und schafft dadurch ein schwelendes systemisches Risiko. Deshalb hat der Kuratoriumsvorsitzende des think tanks Prometheus, Thomas Mayer, recht, wenn er davon spricht, dass die Probleme der italienischen Banken von heute, die Probleme der deutschen Banken von morgen sind.

Der EZB-Präsident Mario Draghi deckt die Probleme zu und schafft dadurch viel größere. Von Anbeginn an war die Finanzkrise eine Bankenkrise. Banken haben Kredite vergeben, die notleidend waren, aber nicht wertberichtigt wurden. So begann jede Krise. Sei es die Lehman-Krise in Amerika, die IKB-, Landesbanken- und HRE-Krise in Deutschland, die Bankia-Krise in Spanien und jetzt auch die Krise der italienischen Banken. Sie konnten nur durch billiges Geld der Notenbanken entstehen. Eine expansive Ausweitung der Geld- und Kreditmenge schuf eine Vermögensillusion, die nicht unendlich fortgesetzt werden konnte. Irgendwann schwindet das Vertrauen, weil Investoren nicht mehr an die Mondpreise von Immobilien- oder Unternehmenswerten glauben und sich zurückziehen. Dann bricht das Kartenhaus zusammen.

Seit 2008 versucht die EZB die Vermögensillusion durch immer größere Eingriffe in den Preismechanismus der Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten. So wird es wohl auch dieses Mal ablaufen. Wir stehen wahrscheinlich am Vorabend einer neuen Interventionsrunde der EZB, um den italienischen Banken und dem Flehen der dortigen Regierung nachzukommen. Der Brexit bietet dafür den dankbaren Vorwand.

Das alles ist nicht neu. Schon einmal hatte Mario Draghi seinem Mutterland Hilfe durch die EZB angeboten. 2011 sicherte er in einem geheimen Brief dem damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu, italienische Staatsanleihen zu kaufen, wenn Berlusconi Reformen im Land einleiten würde. Heute sind wir 5 Jahre weiter und die Probleme Italiens sind gewachsen. Die Staatsverschuldung hat mit 2.200 Milliarden Euro historische Höchststände erreicht und liegt rund 500 Milliarden Euro über dem damaligen Niveau. Auch die Target2-Salden, als Ausdruck des ökonomischen Ungleichgewichts innerhalb des Euro-Clubs, sind auf Seiten Italiens auf nunmehr fast 300 Milliarden Euro gestiegen. Gleichzeitig steigt der Bargeldumlauf in Italien und erreicht ebenfalls historische Höchststände. Auch dies ist nicht gerade Ausdruck des überschwänglichen Vertrauens in das dortige Bankensystem.

Mario Draghi beseitigt durch sein bisheriges und wohl auch künftiges Vorgehen nicht nur die Insolvenzfähigkeit von Staaten, Banken und Unternehmen, er schafft ein viel größeres Problem. Er zerrüttet den Glauben an die Herrschaft des Rechts. Mario Draghi wird daher zum Totengräber des Euro und der Europäischen Union. Er befördert durch seine Geld- und Wirtschaftspolitik unmoralisches Handeln nach dem Motto: „trocken abstimmen, aber feucht trinken“. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Erstmal veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Verletzte Polizisten, brennende Autos und bundesweite Aufmerksamkeit. Was die Hausbesetzer in der Rigaer Straße in Berlin und ihre Mitkämpfer veranstalten, kann es eigentlich nur in einem marktwirtschaftlichen System geben. Überall sonst würde gnadenlos niedergeknüppelt.

Perfide Selbstinszenierung als „Widerstand“

Im Internet feiern sich die Hausbesetzer der Rigaer Straße 94 als „Teil des radikalen Widerstandes gegen Verdrängung und Vertreibung“. Sie sprechen von „Belagerung“ und „polizeilicher Besetzung“ (privat scheint das in Ordnung zu gehen) und drohen, „Berlin ins Chaos zu stürzen“. Jeder, der halbwegs bei Sinnen ist, findet dieses groteske Schauspiel abstoßend. Die hass- und wuterfüllte Rhetorik und die sich daraus ergebende Gewalt unterscheidet sich nur in den Parolen und Feindbildern vom gewaltbereiten Rechtsradikalismus – phänotypisch sind sie sich zum Verwechseln ähnlich.

Widerstand – das ist ein schwerwiegendes Wort, gerade in dieser Stadt. Wenn der Berliner sich eine Vorstellung davon machen möchte, was Widerstand bedeutet, kann er in die Gedenkstätte Plötzensee fahren, wo die Nationalsozialisten im Akkord Widerstandskämpfer an Fleischerhaken gehängt haben (unter anderem auch einen früheren Bewohner des besetzten Hauses: Ernst Pahnke). Oder man kann nach Hohenschönhausen fahren, wo einem ehemalige Insassen des Stasi-Gefängnisses aus erster Hand die Zelle zeigen können, in der sie Jahrelang eingesperrt waren, weil sie einen Witz über Walter Ulbricht weitererzählt hatten. Widerstand – davon können die Menschen in Russland berichten oder in den sozialistischen Vorzeigestaaten Kuba und Venezuela.

In Venezuela wäre das Haus längst geräumt

Mit Widerstand hat das Treiben der Linksextremen rund um die Rigaer Straße nichts zu tun. Widerstand kann gegen ein Unrechtsregime nötig, vielleicht sogar geboten sein. Die Zeiten, in denen die Rigaer Straße auf dem Gebiet einer Diktatur liegt, sind allerdings seit 26 Jahren zum Glück vorüber. Das sollte auch den Hausbesetzern klar sein: Gerade erst haben sie vom Landgericht Berlin Recht bekommen mit ihrer Beschwerde gegen den letzten Versuch einer Zwangsräumung. Ein solcher Vorgang wäre vollkommen undenkbar in einem Unrechtsstaat. Seit Ende der 90er Jahre widersetzen sich Bewohner des Hauses einer Räumung. Welche venezolanische Polizei, welche Stasi-Einheit oder gar welcher kubanische oder nordkoreanische Funktionär hätte wohl einem solchen Treiben über anderthalb Jahrzehnte so geduldig zugesehen?

Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ist die mit Abstand langmütigste und toleranteste Staatsform, die man sich denken kann. In keinem der von vielen dieser Linksradikalen so hochgejubelten sozialistischen Staat der Welt wäre ein solcher „Widerstand“ so lange geduldet worden – heute nicht und früher erst recht nicht. Dass die Besetzer und ihre Mitstreiter weder brutal niedergeknüppelt noch wochenlang ohne Prozess eingesperrt werden, liegt daran, dass wir in unserer Gesellschaft eine Kultur friedlicher Konfliktlösungen etabliert haben – mit Demokratie, Rechtsstaat und Offener Gesellschaft. Ein ganz wichtiges Fundament dieser Kultur ist jene Marktwirtschaft, die der Hauptfeind der Hausbesetzer ist.

Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaat bedingen sich

Die Marktwirtschaft als System hat sich erst im Laufe der letzten vier- bis fünfhundert Jahre etabliert. Die Vorstellung, dass man in größerer Dimension Handel treiben könne, ohne von politischen Autoritäten dabei gesteuert oder zumindest kontrolliert zu werden, hatte es natürlich schwer, sich gegenüber diesen Autoritäten durchzusetzen. Durchgesetzt hat sie sich aber ganz offensichtlich und zum Glück dann doch. Fast immer mit Kompromissen und Zugeständnissen – doch selbst die Autokraten Chinas haben inzwischen eingesehen, dass dieses System freiwilliger Kooperation einer Planwirtschaft offenbar überlegen ist. Mit der Einführung der Marktwirtschaft geht aber mehr einher als nur ökonomische Effizienz.

Grundsätzlich sind gewalttätige Konflikte für das Funktionieren des Marktes immer schädlich – Friedfertigkeit und gewaltfreie Konfliktlösung erhöhen signifikant die Profitmöglichkeiten aller Marktteilnehmer. Schon aus praktischen Gründen ist ein demokratisches System mit der Marktwirtschaft kompatibler als mit einer Planwirtschaft, der Gewalt oft als einziges Mittel bleibt, um den Plan durchzuführen. Auch der Rechtsstaat und die Marktwirtschaft bedingen einander: Marktprozesse profitieren in hohem Maße von Rechtssicherheit. Das Interesse, das die Marktakteure an dieser Rechtssicherheit haben, ist eine Lebensgarantie für den Rechtsstaat.

Die Zivilisation des Vertrauens

Und schließlich kann die Marktwirtschaft auch zu Friedfertigkeit und Toleranz erziehen und ein Motor der Offenen Gesellschaft sein. Die Marktwirtschaft ermöglicht es uns, aus der kleinen Gruppe unserer unmittelbaren familiären Umgebung herauszukommen. Nicht mehr die gemeinsame Arbeit der kleinen Gruppe garantiert unser Überleben, sondern der Austausch mit zunächst fremden Personen. Diese Tauschprozesse aber erzeugen ein ganz neues Vertrauen: aus dem Fremden, der meine Ressourcen bedroht, wird ein Partner. Diese Zivilisation des Vertrauens steht im krassen Gegensatz zu dem Misstrauen, das zwischen den Horden vor vielen Jahrtausenden herrschte; das die Epoche des Feudalismus und der Leibeigenschaft prägte; das im Absolutismus und Nationalismus der Neuzeit präsent war; und das bis in die jüngste Vergangenheit die Länder unter kommunistischer Herrschaft heimsuchte.

Die Verachtung, die die Hausbesetzer diesem „System“ entgegenbringen, ist beschämend. Sie verdanken es einzig diesem System, dass sie Gerichte anrufen können, Brandstifter einen ordentlichen Prozess erhalten und eine freie Presse ihnen eine Bühne bietet, die eigentlich die Freiwillige Feuerwehr oder ehrenamtliche Flüchtlingshelfer verdient hätten. Was für eine Ironie: All das verdanken sie nicht zuletzt der Marktwirtschaft.