Photo: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag from Flickr (CC BY 2.0)

Ein Chlorhühnchen nach dem anderen wird wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf gejagt. Neben dem guten Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, zahlt sich das für die großen Panikmacher auch finanziell aus. Wieviel „Profitgier“ steckt in der Hysterie-Industrie?

Ein blühendes Geschäft

Campact, Attac, Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe – die Bilanzen dieser Unternehmen lesen sich respektabel: Greenpeace nahm im letzten Jahr 57,7 Mio. Euro ein, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) folgt mit 8,3 Mio., Campact mit 7 Mio. und schließlich Attac mit 1,8 Mio. Die DUH, Campact und sogar Attac fallen damit gemäß der Definition des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn in die Kategorie „mittlere Unternehmen“, während Greenpeace sogar als Großunternehmen gilt. Das Geschäft blüht: Campact etwa hat seine Einnahmen von etwa 2 Mio. in den Jahren 2011 und 2012 auf die 7 Mio. heute kontinuierlich und eindrucksvoll gesteigert.

Wie sich die einzelnen Kampagnen-Unternehmen finanzieren, unterscheidet sich durchaus. Am dubiosesten ist sicherlich die DUH unterwegs. Als sie vor einigen Jahren eine Kampagne zur Dieselfilter-Pflicht durchführten, wurde öffentlich, dass sie von Partikelfilterherstellern 100.000 Euro eingesammelt hatten. Neben diesen blanken Lobbyismus tritt dann noch die klassische Abmahn-Abzocke gerade von kleinen mittelständischen Unternehmen, wodurch im letzten Jahr 2,3 Mio. Euro direkt in ihre Kassen flossen. Im Jahresbericht wird diese Masche dann blumig umschrieben mit den Worten „Hinzu kommen Einnahmen des Verbraucherschutzes, die zum größten Teil aus der Kontrolle von Unternehmen stammen, die gegen die Regeln der Energieverbrauchskennzeichnung verstoßen haben.“

Der einfache Bürger öffnet sein Portemonnaie

Greenpeace und Campact nutzen solche Methoden nicht und finanzieren sich fast ausschließlich aus Spenden. Sie nehmen – das hat durchaus Anerkennung verdient – weder Gelder von der Industrie noch von der öffentlichen Hand. Attac schreibt auf seiner Website, dass sie sich „bei größeren Projekten auch durch die Akquise von Drittmitteln (öffentliche, kirchliche oder private Förderorganisationen)“ finanzieren. Ihre Finanzberichte weisen das freilich nicht auf. Prinzipiell könnte man den Impuls, sich durch Kleinspenden die Unabhängigkeit zu bewahren, für sehr lobenswert halten. Man könnte Respekt haben vor der Leistung, Hunderttausende von Spendern zum Einsatz zu motivieren.

Oder man könnte das ganze einmal durch die Logik-Brille der Agitatoren dieser Organisationen betrachten. Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe die Organisation „Marketpeace“, die sich durch hunderttausende von Kleinspenden finanziert. Man kann darauf wetten, dass sofort die Vorwürfe laut würden, dass hier einfache Bürger übers Ohr gehauen werden mit gefälschten Studien, tendenziösen Vereinfachungen und blanken Lügen. Man würde Marketpeace Manipulation und Täuschung vorwerfen mit dem Ziel, die eigenen Taschen zu füllen.

Profit- und Panikmache

Mit Slogans wie „Ceta ist brandgefährlich“ (Greenpeace), „Für ein anderes Europa – ohne Austerität und Rassismus!“ (Attac) und „TISA – Stoppt den Geheimplan der Konzerne“ (Campact) bewegen sich die Organisationen nicht nur auf dem vielgescholtenen „Bild-Zeitungs-Niveau“. Sie arbeiten auch vornehmlich mit Ängsten. Da wird mit einem Begriff wie „brandgefährlich“ an menschliche Fluchtinstinkte appelliert. Da werden „neoliberale Politik und die globalisierte kapitalistische Ökonomie“ in einer bizarren Volte mit Rassismus in Zusammenhang gebracht. Und da wird von „Geheimplänen“ gemunkelt, als hätte sich Campact mit dem Verschwörungstheoretiker-Magazin „Compact“ zusammengetan. Das ist Panikmache. Das ist verantwortungslose Polemik. Das ist Manipulation erster Güte, die mit den Ängsten von Menschen spielt, um sie auf die eigene Seite zu ziehen und so die Kampfkassen zu füllen.

Profitgier kann sehr unterschiedliche Züge annehmen. Derzeit werden wir beispielsweise wieder sehr deutlich daran erinnert, welche Blüten sie im Bankensektor getrieben hat und noch treibt. Profitgier ist übertriebenes Eigeninteresse und uns aus gutem Grund zuwider. Aber Profitgier muss sich nicht notwendigerweise auf Geld beziehen. Der Profit, den jemand gierig verfolgt, kann etwa auch in gesellschaftlicher Anerkennung bestehen, in der Zahl von Anhängern oder in der Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. All das sind auch Profite. Man kann sie auf normalem Wege verfolgen und viele tun das auch, ohne dass es uns anstößig vorkommen würde. Man kann Profit aber auch in einer Haltung der Gier verfolgen, wenn man immer mehr davon will und immer weniger Rücksichten zu nehmen bereit ist.

Ängste statt Argumenten

Obwohl manche der Beschäftigten in den angeführten Organisationen nicht schlecht verdienen, häufen sie doch keine Reichtümer an. Viele von ihnen sind wahrscheinlich Idealisten, für die Geld nur eine untergeordnete Rolle spielt. Oberflächlich betrachtet wäre es also eigenartig, ihnen Profitgier vorzuwerfen. Ihre Gier bezieht sich aber auf eben diese nicht-materiellen Werte. Sie haben bereits früher Zehntausende gegen TTIP und CETA auf die Straße gebracht – nun sollen es Hunderttausende sein. Sie haben die eine Partei vor sich hergetrieben – nun soll die nächste an die Reihe kommen.

Von dieser Gier getrieben ist ihnen jedes Mittel recht: Verkürzungen und Verunglimpfungen, Hohn und Hysterie, Parolen und Propaganda. Sie wittern Verschwörungen, schwingen sich zu Fürsprechern der „kleinen Leute“ auf und schüren Ressentiments gegen Unternehmer und Konzerne. Sie arbeiten mit Ängsten statt mit Argumenten und bereiten so den Boden für die Gegner von Marktwirtschaft und offener Gesellschaft auf allen Seiten des politischen Spektrums. Insofern sind sie tatsächlich Gesellschaften mit beschränkter Haftung: denn die Folgen werden vergemeinschaftet. Sehr schade, denn Kritik ist wichtig – bei der Kontrolle von Regierungshandeln wie beim Schutz der Umwelt und vielen anderen Anliegen, die allen Menschen zugutekommen würden.

Photo: Consorcio Provincial Bomberos Valencia from Flickr (CC BY 2.0)

Vieles an den Finanzmärkten erinnert derzeit an das Jahr 2007. Damals kriselte es im Bankensektor. Mit der IKB und der SachsenLB strauchelten die ersten kleineren Institute und erhielten Staatshilfen. Im heutigen Maßstab sind das „Pommesbuden“. Gleichzeitig tobte eine Übernahmewelle in der Industrie. Der kleine Sportwagenhersteller Porsche, der bis dahin überwiegend nur Zweisitzer produzieren konnte, setzte an, mit VW einen der größten Automobilkonzerne der Welt zu übernehmen. Kurze Zeit später wollte der Automobilzulieferer Schaeffler den dreimal größeren Reifenhersteller Continental kaufen. Das Platzen der Finanzblase im Zuge der Lehman-Pleite brachte beide Projekte in Gefahr. Sie waren fast ausschließlich fremdfinanziert und die Sicherheiten brachen durch den Börsencrash weg. Es waren wahrlich keine normalen Zeiten. Nur durch Glück haben beide Unternehmen dies überlebt, Porsche im warmen Schoß von VW und Schaeffler durch einen späteren Börsengang.

Es waren auch deshalb ungewöhnliche Zeiten, weil Banken die Eigentümer von Industrieunternehmen „bequatschten“, zur Übernahme eines wesentlich größeren Wettbewerbers unkalkulierbare Risiken einzugehen. Banken konnten faktisch unbegrenzt Kredite für diese Übernahmen zur Verfügung stellen. So eine Situation lockte zwangsläufig Hasardeure an.

Neun Jahre später, 2016, erinnert wieder vieles an damals. Heute kriseln die Banken wieder. Die Deutsche Bank muss sich mit Milliarden-Klagen und einem wachsenden Bedeutungsverlust herumschlagen. Seit Tagen bricht ihr Börsenkurs immer stärker ein. Sollte der Staat nicht einspringen können oder wollen, dann ist es wohl nur eine Frage der Zeit bis sie von einer großen amerikanischen Bank geschluckt wird. Die zweite große Bank in Deutschland, die Commerzbank, kommt seit Jahren nicht aus dem Quark. Sie will sich jetzt erneut gesundschrumpfen, nachdem sie seit 2008 bereits über 18 Milliarden Euro Kapitalhilfen und 15 Milliarden Garantien vom Staat erhalten hat. Gebracht hat es ihr wenig. Aus der erdrückenden Umklammerung des Staates kommt sie wahrscheinlich nicht mehr heraus.

Kennzeichen für die Übertreibungen der Finanzmärkte sind auch heute wieder die wachsenden Übernahmen. Bereits im letzten Jahr nahmen die weltweiten Fusionen und Übernahmen um 43 Prozent auf einen Rekordwert von 4,5 Billionen Dollar zu. Dieser Trend setzt sich in diesem Jahr fort, insbesondere in Deutschland: Bayer übernimmt Monsanto für 66 Milliarden Dollar, 86 Prozent bankenfinanziert. Der Medizinkonzern Fresenius übernimmt für 5,8 Milliarden Euro den größten spanischen Klinikbetreiber Quirónsalud, ebenfalls überwiegend bankenfinanziert. Und der Kölner Chemieriese Lanxess übernimmt für 2,4 Milliarden Euro den amerikanischen Wettbewerber Chemtura. Auch diese Übernahme wird durch Banken zwischenfinanziert und anschließend überwiegend durch Unternehmensanleihen abgelöst.

Zwei Entwicklung prägen beide Epochen. Zum einen ist es die wachsende Schwäche des Bankensektors, der durch das Wegbrechen von klassischen Geschäftsfeldern wie dem Einlagegeschäft verstärkt in die Finanzierung von Unternehmensübernahmen und -fusionen einsteigt. Der Ertragsdruck der Banken und die auf der anderen Seite geringen Fremdfinanzierungskosten der Unternehmen führen zu einer wachsenden Übernahmebereitschaft. Sie funktioniert aber nur in normalen Zeiten. Nur wenn die Sicherheiten der Finanzierung durch Bankkredit so werthaltig sind wie angedacht, funktioniert das Geschäft. Sollten die Börsen sich auf breiter Front korrigieren, schwinden die Sicherheiten wie Eis in der Sonne und werden zu einem systemischen Problem. Genau davor stehen wir. Wenn es einen globalen Trend zur fremdfinanzierten Übernahme von Unternehmen gibt und die Werthaltigkeit der Sicherheiten am Börsenkurs festgemacht wird, kommt jede mittlere Börsenerschütterung einer Katastrophe gleich. Denn alles ist aktuell nur noch auf Kante genäht.

Die weltweite Verschuldung hat in den Industrieländern in den vergangenen 10 Jahren um 50 Prozent zugenommen. Heute sind diese Länder, ihre Banken, Unternehmen und privaten Haushalte zu fast 400 Prozent zu ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet. Das Problem der Verschuldung und die dahinterstehenden Kredite sind zwar auch deren Höhe, aber viel mehr die verzerrende Wirkung auf die gesamte Wirtschaftsstruktur. Der Kreditboom, der durch das billige Geld der Notenbanken erzeugt wurde, führt zu Investitionen in Kapitalgüter wie Aktien und Immobilien, die es unter normalen Zinsbedingungen nie gegeben hätte. Da immer mehr Glücksritter auf wachsende Preise spekulieren und daher in Kapitalgüter investieren, steigen die Preise von Aktien und Immobilien. Es geht nur so lange gut, wie die Investoren an die Verwirklichung ihrer Projekte glauben. Um diesen Glauben aufrecht zu erhalten, müssen die Notenbanken immer stärker mit billigem Geld intervenieren, ansonsten kommt es flächendeckend zu Konkursen. Es gehört zu den Grundannahmen unseres Geld- und Bankensystems, dass sich das Hamsterrad weiter drehen muss. Sollten die Banken in Deutschland und anderswo tatsächlich in Schwierigkeiten geraten, kann kein Rettungsfonds dieser Welt sie auffangen, sondern die EZB würde wie 2008 erneut eingreifen.
Dieser Verlauf ist systembedingt und das Grundproblem unseres Kreditgeldsystems.

Investitionen finden nicht auf der Grundlage von zuvor gebildeten Sparvermögen statt, sondern beruhen auf Krediten aus dem Nichts, die Banken per Knopfdruck erzeugen. Dieses System ist inhärent instabil, weil die Notenbanken auf eine wachsende Ausweitung der Geld- und Kreditmenge setzen und diesen Prozess direkt und indirekt durch ihre Geldpolitik bestimmen. Doch weder Mario Draghi noch Janet Yellen kennen den richtigen Zins für die Zukunft. Sie haben dieses umfassende Wissen nicht. Deshalb liegen sie immer falsch und müssen sich ständig korrigieren. Beide sind also nicht die Feuerwehr, sondern die Brandstifter der Krise. Sie werfen durch ihre Interventionen sogar ständig neue Brandbeschleuniger ins Feuer in der Hoffnung, mit mehr Feuer den Brand löschen zu können.

Es ist Zeit, endlich über marktwirtschaftliche Alternativen zum derzeitigen Geldsystem zu diskutieren. Die Zinsmanipulierer, die Bankenregulierer, die Staatsintervenierer und die Rettungsfondsinstallierer hatten ihre Chance und sie sind mit ihren Lösungsversuchen keinen Schritt weiter als 2008. Das Finanzsystem ist nicht stabiler, nicht robuster und die Folgen von Bankenpleiten sind nicht geringer geworden. In Erinnerung an den heutigen 135. Geburtstag von Ludwig von Mises kann man diesen Gesellschaftsklempnern nur zurufen: „Ihr seid alle ein Haufen Sozialisten.“

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo: Aad van der Drift from Flickr (CC BY 2.0)

In Freiburg oder Düsseldorf rümpft man schnell mal die Nase, wenn Bürger in Dresden oder Rostock wieder einmal auf die Straße gehen, meist gegen und seltener für etwas protestieren. Sie werden „Wutbürger“ genannt, was in den Medien zum Schimpfwort verunglimpft wird. Diese „Wutbürger“ werden dann als etwas rückständig und unterbelichtet dargestellt, weil sie aus dem tiefsten Dunkeldeutschland entstammen. Sie lesen keine Zeitungen mehr, informieren sich nur noch im Internet und neigen zu Verschwörungstheorien. Wenn wir am Montag den 26. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung feiern, dann ist diese Einordnung keine gute Entwicklung. In dieser „Wutbürger“-Stigmatisierung kommt eine vermeintliche intellektuelle Überlegenheit des Kulturbürgertums im Westen gegenüber dem Osten zum Ausdruck.

Nicht alles, wofür Leute in Dresden und anderswo auf die Straße gehen, muss einem persönlich gefallen, aber hier kommt etwas zum Ausdruck, das in westdeutschen Milieus verloren gegangen ist. Die Sensibilität für Veränderungen. Wahrscheinlich ist dies auch Ergebnis des Wendeprozesses 1989. Damals gab es von der SED-Führung Durchhalteparolen, die eine evolutorische Veränderung der DDR versprachen, eine Zwei-Staaten-Lösung zum Ziel hatten, aber die Vorherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands nicht in Frage stellte. Und dann kam alles plötzlich ganz anders. Es war das Nichterkennen der Realität, die die DDR zum Einsturz brachte. Vielleicht ist die Realitätsverweigerung auch heute der Grund, wieso viel mehr ostdeutsche Bürger auf die Straße gehen, sich bei Wahlen viel volatiler verhalten und etablierten Parteien stärker misstrauen als im Westen.

Diese hohe Sensibilität in Ostdeutschland führt dazu, dass gesellschaftliche Veränderungen früher erkannt, thematisiert und angesprochen werden. Das muss unserem demokratischen Gemeinwesen nicht schaden. Diese Entwicklung übt Druck auf die Parteien aus, sich stärker und intensiver um die Sorgen der Bürger zu kümmern. Gleichzeitig überhöht diese Entwicklung die Parteien in unserer Demokratie nicht weiter. Sie reduziert sie wieder auf die Rolle, die ihnen das Grundgesetz zugewiesen hat. Sie „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Sie bestimmen also nicht alles und über jeden, sondern sind lediglich ein Teil des demokratischen Gemeinwesens.

Letztlich gewinnt die Demokratie dadurch. Abzulesen ist dies sogar an der Wahlbeteiligung. Lange Zeit galten die neuen Bundesländer als Beispiel für Politikverdrossenheit. Zeitweise gingen in den ostdeutschen Bundesländern weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten zur Wahl. Ein größeres Misstrauensvotum gegenüber der parlamentarischen Demokratie kann es eigentlich nicht geben. Doch es ändert sich wieder. Gingen 2006 in Sachsen-Anhalt lediglich 44 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl, waren es 10 Jahre später bereits 61 Prozent. Nichtwähler, die von Wahlbeobachtern bereits abgeschrieben waren, gehen heute wieder zur Wahl. Vielleicht ist diese Entwicklung auch ein Beweis dafür, dass die Bürger der Politik wieder etwas zutrauen.

Insofern haben die Bürger der neuen Bundesländer auch der Demokratie insgesamt in Deutschland ihre Lebendigkeit ein Stück weit zurückgegeben. Doch große Freude sollte nicht aufkommen. Wenn man auch andere Landtagswahlen betrachtet, dann gehen rund ein Drittel der Wahlberechtigten weiterhin nicht zur Wahl. Eigentlich müsste diese Entwicklung die Parteien aufrütteln und über neue Formen der Partizipation nachdenken und entscheiden lassen.

Wenn sich der Parteienstaat immer mehr Macht und Kontrolle aneignet, braucht es in der Demokratie eine Gegenmacht. Institutionalisiert ist es traditionell der freiheitliche Rechtsstaat. Parteien, Regierungen und das Parlament dürfen nicht alles. Das Individuum genießt im freiheitlichen Rechtsstaat unveräußerliche Rechte, gegen die kein Parlament, keine Regierung und erst Recht keine Partei vorgehen kann. Doch dies alleine beschränkt die Allmacht der Parteien und ihrer Regierung zu wenig. Es braucht auch die Gegenmacht durch direktdemokratische Elemente. Nur wenn Parlament, Regierung und Parteien Gefahr laufen, dass ihr Wunsch nach immer mehr Macht und Einfluss vom Bürger jeder Zeit begrenzt werden kann, verhalten sie sich anders. Es braucht also ein Rückholrecht der Bürger für demokratische Entscheidungen der Regierung und des Parlaments. Es geht daher um eine Machtbegrenzung, um den Missbrauch der Macht zu beschränken. Die Macht und ihre Begrenzung war das große Thema des britischen Liberalen mit deutschen Wurzeln, Lord Acton, im 19. Jahrhundert. Sein wohl berühmtester Satz lautet: „Macht hat die Tendenz zu korrumpieren und absolute Macht korrumpiert absolut.“ Der neue Imperativ sollte daher lauten: Lasst uns mehr direkte Demokratie wagen!

 

Photo: ILRI from Flickr (CC BY 2.0)

Von Diego Zuluaga, International Research Fellow am Institute of Economic Affairs und Deputy Director von EPICENTER, einem pan-europäischen Think-Tank-Netzwerk.

Ökonomische Debatten werden oft dargestellt als Wettbewerb zwischen zwei entgegengesetzten Interessensgruppen. Der Sozialismus nach Marx brachte Kapital und Arbeit gegeneinander in Stellung. Manch eine Variation zu dieser Auseinandersetzung ist nach wie vor sehr populär unter Linken in Europa und Nordamerika: reich gegen arm, die ein Prozent gegen die 99 Prozent, die entwickelten Staaten gegen die Entwicklungsländer. Die Protektionisten – 19.Jahrhundert-Merkantilisten oder die jüngere Variante Trump – setzen die Trennlinien zwischen Einheimischen und Ausländern, heimische Produkte und Importen, Handelsüberschüsse und Handelsdefizite.

Beide Erzählungen begreifen Wirtschaft zum Teil oder ganz als Nullsummenspiel. Liberale und Libertäre halten dem entgegen, dass eine solche Analyse grundsätzlich falsch ist. Das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa, den USA und anderen industrialisierten Staaten hat sich seit 1800 um das 20- bis 30fache gesteigert. Auf anderen Kontinenten dauerte die Entwicklung länger. Dafür ging es in den vergangenen Jahren mit sehr eindrucksvollen Sprüngen nach vorne: In Lateinamerika ist das Einkommen heute vier Mal höher als 1930, in Asien acht Mal höher als 1951. Und dabei muss man bedenken, dass der Durchschnitt gesenkt wird durch humanitäre Katastrophen wie in Nordkorea, im Kambodscha der 70er Jahre und zuletzt in Venezuela.

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Die geschichtliche Entwicklung widerlegt die Vorstellung von Wirtschaft als einem Prozess, in dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen sein muss – ob innerhalb einzelner Länder oder zwischen den Ländern. Die oft wiederholte Behauptung, dass die letzten drei Jahrzehnte der Globalisierung den ärmeren Ländern zwar genutzt hätten, dass dies aber auf Kosten der arbeitenden Mittelschicht in den entwickelten Ländern geschehen sei, ist sehr fraglich. Ein Bericht der „Resolution Foundation“ hat sich dieser Frage jüngst angenommen. Häufig wird die Behauptung aufgestellt im Zusammenhang mit der „Elephant Curve“, die von den Weltbank-Ökonomen Christoph Lakner und Branko Milanovic konzipiert wurde. Diese Kurve zeigt, dass von 1988 bis 2008 das Einkommen stagniert für die obersten 80 bis 90 Prozent bei der weltweiten Einkommensverteilung. In der Aufarbeitung der Studie von Lakner und Milanovic haben viele diese Schicht als die Verlierer der Globalisierung ausgemacht: Jene untere Mittelschicht in Europa und Nordamerika, die nun dem Freihandel den Rücken zukehren und Populisten wählen.

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Die Wissenschaftler bei der „Resolution Foundation“ haben festgestellt, dass die Elefantenkurve verschwindet, sobald man die Daten anpasst an das Bevölkerungswachstum in ärmeren Ländern und den demographischen Wandel in reicheren, und wenn man Japan, die postkommunistischen Staaten Osteuropas und das boomende China außen vorlässt. Dann haben wir plötzlich eine bemerkenswert gleichmäßige Verteilung der Einkommensgewinne über das gesamte verbliebene Spektrum hinweg.

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Das Argument der Kluft zwischen Arm und Reich – auf der Ebene der einzelnen Länder ebenso wie global – verliert an Schlagkraft. Einige bemerken nun, dass die tatsächliche Trennung nicht horizontal, sondern vertikal verlaufe. Und zwar zwischen denjenigen, die politischen Einfluss haben, und denjenigen, die ihn nicht haben. Es kann sein, dass diese Trennung mit Einkommensunterschieden korreliert – insbesondere auf lange Sicht, weil diejenigen mit mehr politischem Einfluss diesen benutzen, um Ressourcen umzuverteilen. Vielleicht korrelieren sie aber auch nicht. Es ist keine Trennung entlang der Linien Wohlstand, Kaufkraft oder Eigentum, sondern in Bezug auf Zugang zu rechtlichen Privilegien, Steuergeldern und anderen Erträgen politischer Prozesse.

So haben etwa viele entwickelte Länder Subventionsmechanismen für die Landwirtschaft. Diese werden in der Regel aus Steuergeldern bezahlt. Die Grundlage dieser Umverteilung ist nicht ein Einkommensunterschied zwischen Landwirten und der anderen Bevölkerung. Vielmehr ist sie das Ergebnis vom starken und gut organisierten Einfluss der Landwirtschaft, die sich gegen die diffusen Interessen und geringen Anreize zur Gegenwehr auf Seiten der breiten Bevölkerung durchsetzt. Auf einer ähnlichen Grundlage können sich kartellierte Branchen wie die Taxi- und Pharma-Industrie durchsetzen und ganz grundsätzlich strenge Lizenzvergaben und hohe Mindestlöhne in vielen Bereichen.

Ökonomische Theorien und Wirtschaftsgeschichte zeigen, dass der freie Austausch zu Ergebnissen führt, die für alle Beteiligten von Vorteil sind. Im Gegensatz dazu profitieren durch rechtlich gesicherte Privilegien einzelne Gruppen auf Kosten von anderen. Gezielte Subventionen werden von allen Steuerzahlern getragen, die Gewinne von Monopolisten werden von den Verbrauchern bezahlt und die Kosten von Lizenzierung werden von denen getragen, die deshalb keinen Zugang zum Gewerbe bekommen. Wenn staatliche Privilegien im Spiel sind, fließt kein Freibier.

Über die meiste Zeit im 19. und 20. Jahrhundert trieben staatlich geförderte Privilegien einen Keil zwischen die Privilegierten und die Anderen anhand von speziellen Kriterien wie Beruf, Nationalität, Qualifikation oder familiärer Herkunft: gelernte gegen ungelernte Arbeiter, Bauern gegen Industriearbeiter, organisierte Arbeiterschaft gegen unorganisierte, Einheimische gegen Zuwanderer, heimische Firmen gegen Importeure und so weiter. Inzwischen freilich wird im gesamten Westen die Teilung am deutlichsten entlang der Generationen. Insbesondere die Älteren haben sich eine Reihe an staatlichen Privilegien gesichert – auf Kosten der Jüngeren.

Diese Ungleichheit zwischen den Generationen kommt in vielerlei Gewändern daher. So haben zum Beispiel strenge Bauvorschriften in Großbritannien dazu geführt, dass die Median-Hauspreise inzwischen fünf Mal höher sind als die Median-Einkommen (in London sogar neun Mal höher). Das ist erheblich höher als der Standard in den meisten entwickelten Staaten, wo der Median-Hauspreis bei dem zwei- bis dreifachen liegt. Von den Preissteigerungen profitieren vor allem die Über-50järigen, die bereits gut untergekommen sind. Ihr eigener Wohlstand ist rasch gewachsen, aber sie haben die Mieten enorm steigen lassen, so dass für die Unter-40jährigen wohnen immer teurer wird.

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In der gesamten EU gibt es sehr große Unterschiede in der Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosigkeit. Die Raten von bis zu 50 Prozent in Spanien und Griechenland schaffen es bisweilen in die Schlagzeilen. Doch auch in Frankreich, Polen, Tschechien und Belgien ist die Arbeitslosenquote der Unter-25jährigen drei Mal höher als die allgemeine Quote, in Schweden, Großbritannien und Italien vier Mal höher. Manche Unterschiede mag man durch das langsame Wachstum nach der Krise erklären können – ein großer Teil hat aber strukturelle Ursachen. Es liegt an einem Arbeitsrecht, das Neueinstellungen teuer macht und Entlassungen sehr schwierig. Und es liegt an Mindestlöhnen, die häufig höher sind als die mögliche Produktivität ungelernter Arbeiter. All diese Eigenschaften des europäischen Arbeitsmarktes sprechen gegen die Jungen.

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Schließlich sind da noch die gigantischen Rentenversprechen, die europäische Regierungen gemacht haben. Und das angesichts schrumpfender Bevölkerungszahlen und steigender Lebenserwartung. Eine Untersuchung, die Jagadeesh Gokhale für das Institute of Economic Affairs durchgeführt hat, hat gezeigt, dass diese Verpflichtungen in einigen EU-Staaten das Drei- bis Vierfache des nationalen Einkommens. Wollte man diese Versprechen erfüllen ohne das Renten- und Krankenversicherungssystem radikal umzustrukturieren, so müsste man das Steueraufkommen in den meisten Ländern mehr als verdoppeln oder die öffentlichen Ausgaben drastisch reduzieren.

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Diejenigen von uns, die im Internet-Zeitalter aufwuchsen, müssen für vieles dankbar sein. Der durchschnittliche junge Mensch heute ist wohlhabender, sicherer, gesünder und besser ausgebildet als je zuvor in der Geschichte. Sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den meisten Entwicklungsländern. Doch ein Fluch des wachsenden Wohlstands ist das gleichzeitige Wachstum von staatlich gewährten Privilegien, wobei die Bürger mittleren und höheren Alters die größten Nutznießer sind, während die Jüngeren – bisweilen sogar die noch gar nicht Geborenen – die Rechnung präsentiert bekommen. Dieser Trend ist nicht nachhaltig – selbst unter den optimistischsten Prognosen im Blick auf Wirtschaftswachstum und demographische Entwicklung.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama hat Ungleichheit als „die entscheidende Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet. Es kann gut sein, dass sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin das Ende der Globalisierung zum entscheidenden Merkmal seiner oder ihrer Politik machen wird. Dennoch – oder gerade deswegen: während Behauptungen über wachsende Ungleichheit und den Freihandel widerlegt werden, täten Politiker gut daran, ihre Aufmerksamkeit der wachsenden Kluft zwischen Alt und Jung zuzuwenden. Darin liegt wohl die grundlegende unbeantwortete Herausforderung unserer Zeit.

Erstmals veröffentlicht auf dem Blog von Epicenter.

Photo: SPÖ Presse und Kommunikation (CC BY-SA 2.0)

Der Links-Populismus wird in Deutschland verklärt. Von rechts kommend ist er verwerflich und wird stigmatisiert. Von links kommend gilt er als hipp und fortschrittlich. Doch der linke und der rechte Populismus sind siamesische Zwillinge, die beide die Freiheit des Einzelnen bedrohen und deshalb eine Gefahr für unsere offene Gesellschaft sind. Populismus ist eine Spielart des Paternalismus, bei der eine Mehrheit den Staat in eine immer größere Betreuungsrolle bringen will. Beide Populismen eint der Weg dorthin. Sie dramatisieren und überspitzen die Lage, um die Gunst der Massen zu gewinnen. Beide Seiten sind Bewunderer der Vergangenheit und der Gegenwart. Und beiden Seiten ist das Neue suspekt. Für beide Seiten ist das Individuum unfähig, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Der politische Populismus von Links und Rechts führt zu Kollektivismus und zu weniger Individualismus. Zu glauben, der Gegensatz von Populismus sei Paternalismus, ist daher völlig falsch. Der paternalistische Staat greift populistische Strömungen auf und nutzt sie, um die staatlichen Aktivitäten auszuweiten. Das wollen die Populisten von Links und Rechts auch. Beide schreiben dem Einzelnen vor, was gut und richtig im Sinne der Massen ist und dafür braucht es den Eingriff des Staates in das Eigentum und in die Vertragsfreiheit. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Beispiel dafür. Er ist zutiefst populistisch, suggeriert er doch, dass es damit Geringverdienern besser geht. Das Ganze wird dann in eine dicke Suppe gerührt, deren Zutaten „wachsende Ungleichheit“, „Umverteilung“, „Vermögensteuer“ und „Rente mit 63“ lauten. Doch es ist längst klar, dass Mindestlöhne Eintrittshürden in den Arbeitsmarkt sind und die Perspektive von Menschen ohne Arbeit eher verschlechtern. Man muss dazu nur die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa betrachten.

Auch die Ablehnung von Freihandelsabkommen ist zutiefst populistisch, weil sie mit dumpfen Ängsten über Gesundheitsgefahren und Verbraucherschutz arbeiten. Die Ablehnung dient wie der Mindestlohn dazu, dass die Masse, über den Staat, den Einzelnen in seinem Handeln einschränkt und behindert. Nicht mehr der Bürger wird betrachtet, ob dieser oder jene ganz bewusst eine Ware aus dem Ausland kaufen will, sondern die Gefühle der Massen werden als Maßstab für die Grundlage individueller Entscheidungen genommen.

Links- und Rechtspopulisten sind Marktabschottungen lieber als der Freihandel. Dazu muss man nur nach Frankreich schauen. Die französischen Rechtspopulisten des Front National um Marine Le Pen argumentieren gegen CETA und TTIP mit den gleichen Argumenten wie hierzulande ATTAC und Campact. Sie wollen ihre Landwirte, ihren Mittelstand und ihre Verbraucher schützen, als gehörten sie ihnen persönlich. Es ist eine Art Leibeigenschaft, die in diesem dumpfen Nationalismus zum Ausdruck kommt. Beide Populismen sind nicht bereit, neuen Ideen eine Chance zu geben. Sie wollen ihr Ideenmonopol durchsetzen und dadurch einen Wettbewerb der Ideen verhindern. Sie glauben, dass an ihrem Wesen die Welt genesen soll.

Der Widerstand gegen den linken Populismus ist bei uns gering. Das hat auch seine Ursache darin, dass große Konzerne in Deutschland die Linkspopulisten von Campact und Co. sogar anfänglich finanziert haben. Da muss man sich nicht wundern, wenn man jetzt aus den Vorstandsetagen nichts hört. Das Aufkommen des Linkspopulismus gerade in Deutschland ist auch ein Versagen der offenen Gesellschaft und deren Eliten. Sie sind nicht bereit mit offenem Visier gegen diesen Trend anzutreten, sondern sie verkriechen sich in ihre Elfenbeintürme und beklagen anschließend das Ergebnis. Doch eine offene Gesellschaft lebt vom Mitmachen, vom Einmischen und von der Macht der Ideen. Wo sind die Vorbilder, die sich dagegenstellen? Wo sind die Herrhausens oder die Rohwedders der heutigen Zeit? Wo sind die Unternehmenslenker, die mutig, entschlossen und wortmächtig gegen diesen Trend öffentlich sich zu Wort melden? Gibt es Sie noch? Es genügt nicht, wenn große Unternehmen teure „Corporate Social Responsibility“-Abteilungen einrichten, aber diese letztlich nur der Imagepflege und Marketing betreiben. Gesellschaftliche Verantwortung sieht anders aus. Die offene Gesellschaft braucht mehr Bekennermut und weniger Zuschauermentalität.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick am 22. September 2016.