Photo: Claire Wiseman from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Trump-Administration wirft Deutschland vor, den schwachen Euro für seine Exportindustrie auszunutzen. Diese Unterstellung, die Trumps Handelsstratege Peter Navarro formulierte, hat einen wahren Kern. Auch wenn die Kanzlerin schnell darauf hinweist, dass die EZB unabhängig sei und die Bundesregierung auf deren Politik keinen Einfluss nehme. Fakt ist: die Kanzlerin und ihr Finanzminister schauen mit wohlmeinender Miene zu. Mario Draghi, der EZB-Chef, macht für die deutsche Regierung die Drecksarbeit. Das macht er sehr gern, kommt ihm doch seit der Eurokrise und seiner Inthronisation im November 2011 eine mächtige Schlüsselrolle in Europa zu. Bis Ende 2017 wird die EZB Schulden von Staaten, Banken und Unternehmen in der Größenordnung von über 2,2 Billionen Euro aufgekauft haben.

Schon heute ist der Markt für Unternehmensanleihen und Pfandbriefen faktisch leergekauft. Bald muss sich die EZB etwas Neues einfallen lassen und die Qualität der aufgekauften Papiere immer weiter senken. Geht es so weiter, kauft sie vielleicht auch bald alte Fahrräder und gibt dafür neues Zentralbankgeld heraus. Wer weiß? Es ist eine Irrsinnsstrategie, die in dieser Form kein historisches Vorbild kennt.

Doch Mario Draghi bezweckt damit zweierlei. Zum einen will er die Finanzierungsfähigkeit der Eurostaaten erhalten, indem er den Zins am langen Ende drückt. Dies hat ein paar Jahre funktioniert. Inzwischen laufen jedoch die Renditen der Staatsanleihen in der Eurozone wieder verschärft auseinander. Der andere Zweck besteht darin, den Euro im Außenwert zu schwächen, um die Exportindustrie zu fördern. Es ist eine Art Exportsubvention der Notenbank, um die heimische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Ist der Euro gegenüber dem Dollar im Außenwert niedrig, sind die Produkte dort preiswerter. Der Preis ist bekanntlich nicht alles. Die Qualität muss auch stimmen. Dies scheint wohl für die deutsche Exportindustrie zu gelten. Der historisch hohe Überschuss Deutschlands in der Leistungsbilanz von 300 Milliarden Euro im vergangenen Jahr drückt unter anderem diese Entwicklung aus.

Innerhalb des Euroraums wird zwar in allen Ländern mit der gleichen Währung bezahlt. Wieviel davon im jeweiligen Land für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in der Eurozone zur Verfügung gestellt wird, hängt aber auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wenn die Forderungen der Bundesbank im Target-System sich inzwischen auf 754 Milliarden Euro belaufen und die Verbindlichkeiten der italienischen Notenbank 356 Milliarden Euro betragen, dann bedeutet dies nichts anderes als, dass Italien anschreiben darf, um Waren und Dienstleistungen, unter anderem aus Deutschland, bezahlen zu können. Doch anders als im Krämerladen gibt es im Target-System kein Ende, sondern der Zettel wird immer länger. Wenn man so will, ist dies letztlich auch eine Subvention des Euro-Systems für die deutsche Exportindustrie. Deutsche Unternehmen können nur so lange nach Italien, Spanien, Griechenland oder Portugal exportieren, so lange das Anschreiben auf den unendlichen Zettel der EZB möglich ist.

Stellen Sie sich das so vor: Mario Draghi sitzt in einem Ruderboot. Und auch Janet Yellen, die Präsidentin der amerikanischen Notenbank FED, sitzt in einem. Ebenso wie der Präsident der japanischen Notenbank und der chinesischen Notenbank. Doch sie sitzen nicht gemeinsam in einem Boot, sondern jeder hat ein eigenes. Sie rudern in der Geldpolitik um die Wette. Einige sind früher gestartet, haben die Zinsen zuerst gesenkt und die Schulden zuerst aufgekauft, um sich dadurch einen Vorsprung zu erpaddeln. Sie können jetzt eine kleine Pause einlegen. Andere werfen sich Anabolika in den Rachen und rudern plötzlich doppelt so schnell, um die anderen einzuholen. Es ist ein hartes Rennen, um einen Vorteil zu erzielen. Beide, die Frühstarter und die Drogenabhängigen spielen unfair. Sie manipulieren und täuschen.

Trumps Kritik ist berechtigt. Auch die Kritik Italiens an Deutschland hat einen wahren Kern. Doch die Finger, die auf Deutschland zeigen, richten sich gleichzeitig auch auf die USA und innerhalb des Euroraums auf Italien. Die Entwicklung ist eine Folge konstruktivistischer Geldpolitik. Sie folgt keinen allgemeinen Regeln, sie ist nicht regelgebunden, sondern zerstörerisch. Sie setzt Wissen über die künftige Höhe des Zinses und die wirtschaftliche Entwicklung voraus, die kein US-Präsident, keine Bundeskanzlerin und kein Notenbanker auf dieser Welt jemals haben kann. Mehr Bescheidenheit und Demut vor der Zukunft wäre daher der erste Schritt zur Besserung.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Daniel Oines from Flickr (CC BY 2.0)

Sorge treibt in diesen Tagen die deutsche Automobilindustrie um über die wirtschaftliche Entwicklung auf der Welt. Ihr Präsident Matthias Wissmann hat sich jetzt in einem bemerkenswerten Interview in der FAZ „tief besorgt wegen der protektionistischen Tendenzen“ nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Großbritannien gezeigt. Es ist gut, wenn die heimische Industrie und ihre Verbandsvertreter für Freihandel in der Welt eintreten. Nicht nur, weil sie davon profitieren, sondern auch, weil es guter Wirtschaftspolitik entspricht, wenn der Handel nicht nur im Inland möglichst ungehindert stattfinden kann, sondern auch grenzüberschreitend. Der Kunde soll entscheiden, ob er sich lieber einen Toyota, einen Mercedes, einen Chevrolet oder einen Fiat kaufen will. Wenn ein Land diese Entscheidung durch Einfuhrzölle beeinflusst, dann ist das nicht nur für den Kunden schlecht, der plötzlich mehr für dieses Auto bezahlen muss, sondern es nimmt auch der heimischen Industrie den fortwährenden Anpassungsdruck und macht sie träge und satt.

Schon heute ist es unverständlich, dass Autoimporte aus Amerika in der Europäischen Union mit einem zehnprozentigen Einfuhrzoll belegt werden. Begründet wird das damit, dass auch europäische Hersteller in den USA Einfuhrzölle bezahlen müssen (freilich einen niedrigeren!). Doch das ist eine falsche Sichtweise. Einfuhrzölle der EU schaden direkt den Bürgern in der EU. Sie schaden den Bürgern in den USA nur mittelbar, wenn sie bei dem dortigen Unternehmen arbeiten oder Aktien halten. Doch in der EU sind alle Bürger betroffen. Ihr Angebot am Markt ist unmittelbar verzerrt. Auf bestimmte Waren wird faktisch eine Sondersteuer erhoben, um sie unattraktiver gegenüber anderen zu machen. Das beschränkt und beeinflusst das Angebot für alle Bürger.

Letztlich kassiert die EU von den Bürgern ohne sachlichen Grund ab. Das ist nicht unerheblich. Sämtliche Zolleinnahmen gehen als sogenannte „Eigenmittel“ in den Haushalt der EU. Allein aus dem Warenverkehr mit den USA kassiert die EU so 3 Milliarden Euro von amerikanischen Unternehmen bzw. den europäischen Verbrauchern.

Was Wissmann der Trump-Administration vorwirft, formuliert er in der exakt selben protektionistischen Stimmlage in Richtung London. Einen unbeschränkten Zugang von Unternehmen aus Großbritannien in die Europäische Union will er den Briten nicht zugestehen. Sein Bekenntnis zum Freihandel ist daher so glaubwürdig wie das von Donald Trump. So wie Donald Trump seine neu gewonnene Macht gegenüber kleineren Staaten wie Mexiko, Japan und Deutschland ausspielt, so will Wissmann die Macht der EU gegenüber dem kleineren Großbritannien durchsetzen. „Die Autohersteller hätten „auch eine europapolitische und staatspolitische Verantwortung“ lässt er sich zitieren. Und noch deutlicher: „Ein freier Handel mit Großbritannien ist für uns sehr wichtig. Aber noch wichtiger ist für uns Europa als Ganzes, und dass der EU-Binnenmarkt nicht beschädigt wird.“ In Trump-Sprech würde das heißen: „America First!“ Mehr „Verkumpelung“ mit der Politik geht nicht.

Die Automobilindustrie macht einen fundamentalen Fehler. Sie macht sich zum Büttel der Politik. Sie verteidigt ein System, das sie bei anderen kritisiert. Selbst wenn man sich in die Niederungen der Exportbilanz deutscher Unternehmen begibt, kann ein Lobbyverband eigentlich kein Interesse daran haben, für Abschottung zu plädieren. Der Anteil deutschen Exporte in Schwellenländer hat sich in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt und auch in die übrigen Industrieländer außerhalb der EU signifikant erhöht. Und wenn nur der gemeinsame Währungsraum betrachtet wird, dann findet seit der Euro-Einführung 1999 ein ständiger Niedergang der Exportrate in die übrigen 17 Euro-Staaten statt. Aus Eigeninteresse müsste die Automobilindustrie eigentlich für den Abbau von Handelshemmnissen der EU sein.

Nur wer glaubhaft die Idee der Marktwirtschaft vorlebt, kann andere davon überzeugen. Vielleicht sollte sich der ehemalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann am ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ein Beispiel nehmen. Erhard wäre am kommenden Samstag 120 Jahre alt geworden. An die Adresse des ersten BDI-Präsidenten und heftigen Gegenspieler Erhards, Fritz Berg, Anfang der 1950er Jahre sagte der Wirtschaftsminister: „Es gibt keinen freien Markt ohne freie Preise und freien Wettbewerb. Der Marktpreis ist der einzig faire. Er lässt sich nicht errechnen, weder von Vertretern des Staates noch der Industrie.“

Photo: Matt Popovich from Flickr (CC0 1.0)

Die Europäische Union hat offensichtlich an Anziehungskraft verloren. Das zeigt gerade die Flucht ihres ehemaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz in eine hasardeurische Kanzlerkandidatur, an deren Ende wahrscheinlich nicht seine Kanzlerschaft stehen wird, sondern bestenfalls eine Ministerlimousine. Wäre die Europäische Union das Zukunftsprojekt, für das es viele Eurokraten lange gehalten oder dies zumindest in Sonntagsreden immer wieder apostrophiert haben, dann wäre sein Platz weiterhin – oder gar jetzt erst recht – in Brüssel und Straßburg. Dann würde er und andere vom EU-Parlament aus für mehr Rechte des Parlaments kämpfen. Sie würden dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs trotzen und die Kommission zum Jagen tragen.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Man kann Schulz vieles vorwerfen – ein leiser Vertreter der Interessen des EU-Parlaments war er nicht. Er hat dem EU-Parlament ein Gesicht gegeben, das nicht jedem gefallen hat. Er hat sich ins Bild gedrängt, auch wenn er nicht darum gebeten wurde. Er hat lange Zeit mit Kommissionspräsident Juncker ein Tandem gebildet, das für das Dogma einer „ever closer union“ stand, also für das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa. Kurz: Schulz verkörperte wie kein anderer die „alte“ EU.

Stille Langweiligkeit bleibt jetzt übrig. Sein Nachfolger, der Italiener Antonio Tajani, ist die fleischgewordene Inkarnation dieser Langeweile. Bei seiner ersten Pressekonferenz wurde er zur Brexit-Rede von Premierministerin Theresa May am Tag zuvor befragt. Seine Antwort darauf: „Ich sollte nichts sagen zu Äußerungen von Regierungschefs der europäischen Staaten.“ Weniger geht nicht.

Dabei hat die Britin einen bemerkenswerten Spagat geschafft. Sie bricht nicht mit Europa, sondern nur mit der Europäischen Union. Und dies auch nicht mit nationalistischen Tönen, sondern sie begründet das letztlich mit dem großen kulturellen Unterschied zwischen der Insel und dem Festland. Es ist der Wunsch nach Rückgewinnung eigener Souveränität, in der Rechtsetzung, in der Rechtsprechung oder im Einwanderungsrecht. Das ist legitim und konsequent, insbesondere, wenn man glaubt, den Weg der EU in eine immer engere Union nicht umkehren zu können.

In der Tradition der „Rule of Law“ ist auch das Urteil des obersten Gerichtshofs in Großbritannien zu sehen. Die Richter haben diese Woche entschieden, dass zum Austrittsantrag aus der EU nach Art. 50 der Europäischen Verträge erst das britische Parlament seine Zustimmung erteilen muss. Das haben viele Kommentatoren als Niederlage Mays interpretiert. Doch gerade dieses Urteil kennzeichnet exemplarisch den Unterschied zur Europäischen Union. Existentielle Fragen werden nicht durch Rechtsbeugung der Exekutive und deren anschließendes Durchwinken durch die Judikative legitimiert. Sondern eine Regierung muss die Grenzen ihres Handelns beachten, kann sie also nicht einfach durch falsch verstandenen Pragmatismus beseitigen. In diesem Urteil zeigt sich die große Verfassungstradition der Briten. In ihrer Geschichte ging es seit der Unterzeichnung der Magna Carta durch König Johann Ohneland (1166 – 1216) immer um die Machtbegrenzung der Herrschenden durch das Recht. Kein König, kein Herrschender und auch keine Regierung durften sich seitdem über das Gesetz stellen. Diese Herrschaft des Rechts ist von England aus in Europa und in die Welt exportiert worden.

Das EU-Parlament, aber auch der Gerichtshof der EU ist bislang nicht dabei aufgefallen, dass es besonders kritisch mit der Kommission umgegangen ist. Im Gegenteil, das Parlament suchte bislang immer den nibelungentreuen Schulterschluss mit der Kommission und das Gericht hatte eine besondere Freude daran, im Sinne einer stärkeren Zentralisierung der EU zu urteilen. Diese „kulturellen“ Unterschiede zwischen Großbritannien und der restlichen EU sind der eigentliche Kern dessen, warum sie sich auseinandergelebt haben. Natürlich muss und wird sich Großbritannien verändern. Aber viel dringender sind Veränderungen der Europäischen Union. Wer glaubt, man müsse jetzt besonders hart mit Großbritannien umgehen, damit der Brexit nicht zum Einfallstor für weitere Austritte wird, denkt in den Kategorien der alten EU des Martin Schulz. Wer nur mit Druck und Repression eine Staatengemeinschaft zusammenhalten kann, wird bei der erst besten Erschütterung die Fliehkräfte nicht mehr eindämmen können. Eine „neue“ EU würde Großbritannien die Hand reichen, ihr ein Freihandelsabkommen anbieten, so wie England es 1860 mit Frankreich vereinbart hat. England verzichtete damals einseitig auf alle Schutzzölle. Wie wäre es denn, wenn britische Unternehmen in die EU künftig nicht 10 Prozent Einfuhrzoll für Autos und andere Waren bezahlen, sondern sich die Unternehmen in der EU dem unverzerrten Wettbewerb stellen müssten. Die EU wäre keine Wagenburg mehr, sondern ein offener Marktplatz für alle.

Daraus folgt: Wenn Leute wie Martin Schulz in der EU den Hut nehmen, ist vielleicht der Magna-Carta-Moment für die EU gekommen. Jean-Claude Ohneland sollte jetzt eingedämmt werden mit klaren Rechtsregeln und einem institutionellen Rahmen, der der Freiheit der Bürger dient und nicht dem ungezügelten Machtanspruch der Bürokraten und Politiker.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: kees torn from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Viele, die den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl anders vorhergesagt haben, bemühten sich nach der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten um Relativierung. So schlimm werde es sicherlich nicht kommen, Senat und Repräsentantenhaus würden Trump schon einhegen. Im Wahlkampf würde viel gefordert und erzählt, nachher sei man bestimmt realistischer. Die wenigen Tage Trumps im Amt lassen ganz anderes vermuten. Er macht, was er sagt. Das ist in der Politik schon einmal viel wert. Man erinnert sich noch vage an den Bundestagswahlkampf 2005, als Kanzlerkandidatin Angela Merkel eine Mehrwertsteuererhöhung von maximal zwei Prozentpunkten ankündigte und sie anschließend drei Prozent mit dem Koalitionspartner SPD, der eigentlich gar keine Erhöhung wollte, beschloss.

Vieles wird hierzulande auch übertrieben dargestellt. So ist sein Bekenntnis zu „America first“ kein Paradigmenwechsel. Im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 verschärfte die Obama-Administration 2009 die bereits bestehende „Buy American“-Klausel für das öffentliche Beschaffungswesen. Solange das Angebot des amerikanischen Anbieters nicht 25 Prozent teurer als ein vergleichbares Wettbewerbsangebot ist, muss der amerikanische Anbieter den Zuschlag erhalten. Dieses industriepolitische Vorgehen für die heimische Industrie ist auch nicht auf Amerika beschränkt. Frankreich verband seine Hilfe für die Automobilindustrie in dieser Zeit mit der Forderung, dass keine Werke in Frankreich geschlossen werden dürften.

Doch nur, weil man im Wahlkampf die Wahrheit gesagt hat, heißt das noch lange nicht, dass das, was gesagt wurde, zu begrüßen ist. Es zeigt nur, dass Geschichte sich zuweilen auch wiederholen kann. In der Weltwirtschaftskrise in den 1920er und -30er Jahren veranlasste die amerikanische Politik, ähnlich zu reagieren wie heute. Nach einem Konjunktureinbruch 1924 ermöglichte die amerikanische Notenbank eine massive Kreditausweitung der Banken, die zu einer Blase an den Finanzmärkten führte, die dann 1929 im Börsencrash ihren Höhepunkt fand. Anschließend senkte die Fed die Notenbankzinsen auf ein historisch niedriges Niveau von zuletzt zwei Prozent und kaufte massiv US-Staatsanleihen auf. Innerhalb eines Jahres stieg deren Bilanz um 350 Prozent. Die Regierung Hoover und das Parlament reagierten mit dem Schutz der heimischen Industrie vor ausländischen Wettbewerbern. Es war das Ende des Freihandels auf der Welt. Der Smoot-Hawley Tariff Act im Juni 1930 führt für über 20 000 Artikel Schutzzölle ein, auf die die betroffenen Staaten mit Gegenmaßnahmen reagierten. Das bereits wiedereinsetzende Wachstum brach jäh zusammen. Der Welthandel schrumpfte. 1938 lag dessen Volumen um 60 Prozent unter dem Wert von 1929.

So weit sind wir noch nicht. Aber die Gefahr besteht wieder. Nach dem letzten Börsencrash 2008 liegt der US-Notenbankzins unter ein Prozent. Die Fed-Bilanz hat sich seitdem um 350 Prozent erhöht und Donald Trump präferiert „Amerika first“. Er will als Macher dastehen wie Herbert Hoover und noch mehr Franklin D. Roosevelt. Bald täglich verkündet er, dass dieses oder jenes Unternehmen seine Standortverlagerung ins Ausland zurückgenommen hat und in den USA investieren will. Für alle anderen droht er mit Schutzzöllen. Er suggeriert damit, er könne Strukturprobleme durch politischen Druck auf die Unternehmen beseitigen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Angenommen, er würde so jeden Tag ein anderes Unternehmen dazu zu bringen, dass tausend Jobs im eigenen Land erhalten bleiben, dann wären es im Jahr dennoch weniger als 400 000. Bei einer arbeitsfähigen Bevölkerung von fast 250 Millionen wären dies 0,16 Prozent und damit nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie sollte man auf diese Politik als deutsche Regierung reagieren? Sollte man, wie 1930 weltweit geschehen, ebenfalls mit Schutzzöllen für amerikanische Waren antworten? Nein, es würde wahrscheinlich ebenso enden wie im letzten Jahrhundert. Der Handelskrieg damals trug auch zum handfesten Krieg wenige Jahre später bei. Auf Schutzzölle darf nicht mit Schutzzöllen reagiert werden, sondern mit deren einseitigem Abbau im eigenen Land. Wer für das eigene Land auf die internationale Arbeitsteilung verzichtet, schädigt sich selbst, weil er sich abkapselt. Wir sollten auf einen drohenden Handelskrieg deshalb mit einem Handelspazifismus antworten, denn Freihandel schafft nicht nur Wohlstand, sondern ist friedensstiftend.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 28. Januar 2017.

Photo: Sven Gaedtke from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Reformationsjubiläum stellt in diesem Jahr den 200. Jahrestag des Wartburgfestes in den Schatten, das einen spannenden Einblick gewährt in die Licht- und Schattenseiten des Liberalismus in Deutschland. Gerade in einer sich radikalisierenden Zeit wie der unseren ist der Blick auf diese Geschichte wichtig.

Zensur bekämpfen und Bücher verbrennen?

Hunderte von Studenten und auch etliche Professoren zogen am 18. Oktober 1817 auf die Wartburg, um ein deutliches politisches Signal auszusenden in einer Zeit, als viele politische Kräfte in Europa die alte Ordnung wiederherstellen wollten. Viele der „35 Grundsätze und 12 Beschlüsse“, die im Nachgang festgehalten wurden, gehören zum Kernbestand freiheitlichen Denkens auf der ganzen Welt. Nach dem 1792 erschienenen Meisterwerk „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ des ersten deutschen Liberalen Wilhelm von Humboldt sind diese Grundsätze und Beschlüsse das zweite umfassende Dokument des deutschen Liberalismus. Zu den Forderungen gehörten individuelle Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, Freihandel, Meinungsfreiheit und die Abschaffung von Geheimpolizei und Zensur.

Freilich hatte das Fest auch sehr bittere Schattenseiten. Im Anschluss an den offiziellen Teil griffen einige der Teilnehmer zu einer besonders drastischen Variante der ihnen doch eigentlich verhassten Zensur: sie verbrannten Bücher. Im Feuer landeten Werke ihrer erklärten Feinde – der „Reaktionäre“ und „Kleinstaater“. Doch nicht nur die politischen Gegner standen im Fokus. Einem der Bücher, die den Flammen übergeben wurden, wurde hinterhergerufen: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen!“ Kein Wunder, dass der Dichter Heinrich Heine in gewohnt bissiger Weise über das Wartburgfest urteilte:

Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Haß des Fremden, und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen!

Die Falle des deutschen Einheitsstrebens

Seit den frühesten Tagen hatten liberale Bewegungen in Deutschland immer damit zu kämpfen, dass sich in ihrem Umfeld Leute befanden, die zumindest einige ihrer Grundüberzeugungen nicht teilten. Dazu trugen mancherlei unglückliche Umstände bei: Etwa, dass das Prinzip des Föderalismus und der Subsidiarität, das über unsere Geschichte einer der wichtigsten Beiträge zu einer liberalen Institutionen-Kultur wurde, im Donner der National-Begeisterung des 19. Jahrhunderts als „Kleinstaaterei“ zum Feind Nummer Eins wurde. Die autokratische Herrschaft vieler Fürsten trieb freiheitliche Geister in die Arme eines völlig illiberalen Ideals des allumfassenden Gesamtstaates. Was sie bekamen, war am Ende der preußisch dominierte Militär- und Wohlfahrtsstaat.

Wie ein roter Faden zog sich diese Ambivalenz des deutschen Liberalismus bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches durch. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und insbesondere während der Revolution von 1848 ein eher romantisch-sentimentaler Patriotismus viele Liberale zu Freunden des deutschen Gesamtstaates werden ließ, änderte sich dies in der zweiten Hälfte: Einem weltweiten Trend folgend wandelten sich immer mehr Liberale zu veritablen Nationalisten. Die meisten verzichteten lieber auf Staatsskepsis als auf ihr Nationalgefühl.

Aufgerieben zwischen links und rechts

In einem Graubereich fand sich über die ganze Zeit ihrer Existenz (1866-1918) die Nationalliberale Partei, deren Vertreter sich für Rechtsstaat, Verfassung und Parlamentarismus einsetzten. Zugleich war sie aber auch eine starke Klientelpartei, die sich die Interessen des Großbürgertums und der Industrie zu eigen machte – eine unglückliche Allianz, die erst Ludwig Erhard zerbrochen hat. Sie bildete die wichtigste Machtbasis des ganz und gar nicht liberalen Bismarck und unterstützte leidenschaftlich seinen Kampf gegen Sozialisten und Katholiken, der jeglicher freiheitlichen Überzeugung Hohn sprach. Zunehmend fanden in ihr begeisterte Verfechter von Kolonialismus, Militarismus und sogar Antisemitismus eine Heimat. Ab Mitte der 1880er Jahre war sie, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schrieb, eine „bismarcktreue, stramm nationale, etatistische und imperialismusfreundliche“ Partei.

Auf der anderen Seite wandte sich etwa der Historiker Theodor Mommsen, in vielem ein aufrechter Liberaler und einer der wichtigsten Kämpfer gegen den Antisemitismus, im Alter zunehmend der Sozialdemokratie zu. Auch andere Liberale wie Johann Jacoby oder der mit 69 Jahren im KZ Buchenwald ermordete Rudolf Breitscheid fanden letztlich bei den Sozialdemokraten eine Heimat. Es waren in der Zeit des Kaiserreichs nur wenige Liberale um Eugen Richter und Franz August von Stauffenberg, die weder nach links noch nach rechts ausschwenkten.

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Was liegt der Versuchung zugrunde, die sich seit jenem Treffen auf der Wartburg durch den deutschen Liberalismus zieht, rechte oder linke Positionen zu übernehmen oder sich ihnen gar ganz anzuschließen? Es war ein Zusammenspiel aus drei Faktoren: An erster Stelle stehen mangelnde Selbstgewissheit und Durchhaltevermögen. Damit hängt die zweite Ursache zusammen, dass sich Liberale zu oft dem Zeitgeist angeschlossen haben – gleich, ob er nun links oder rechts wehte. Und schließlich kommt noch die banale Sehnsucht hinzu, mitspielen zu wollen, und der Wunsch, an die Töpfe und Räderwerke der Macht gelassen zu werden.

Das 300jährige Reformationsjubiläum führte damals die Studenten auf die Wartburg, wo Luther einst Unterschlupf gefunden hatte. Die Person Luthers kann aus freiheitlicher Sicht höchst kritisch gesehen werden, ist er doch einer der Begründer des modernen Etatismus. Doch eines kann auch nach 500 Jahren noch ein Vorbild sein: Sein Mut und seine Standfestigkeit als er 1521 beim Reichstag zu Worms vor dem Kaiser und den versammelten Herrschern des Reiches seine Positionen und Überzeugungen verteidigte. Man hat ihm später die Worte in den Mund gelegt „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Diese Geisteshaltung hätte vielen Liberalen in der Vergangenheit gutgetan und steht ihnen auch heute noch gut zu Gesichte. Mögen Mut, Überzeugungstreue und Konsistenz auch kurzfristig unangenehm und gefährlich sein – langfristig sind sie die Grundlage dafür, die Welt zu verändern.

Eine ausführlichere Darstellung der Geschichte des Liberalismus in Deutschland finden Sie im Nachwort des Buches „Wie wir wurden, was wir sind“ von Eamonn Butler, das im März in der „Edition Prometheus“ erscheint.