Photo: MORO Modellbahn from Flickr (CC BY 2.0) 

Von Dr. Alexander FinkUniversität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die Besteuerung von Einkommen mittels einer Flat Tax zeichnet sich durch einen konstanten Steuersatz auf zusätzliches Einkommen aus, möglicherweise nach Abzug von Freibeträgen. Die Flat Tax ist relativ unbeliebt, vermeintlich gerade weil Einkommen an der Grenze unabhängig von ihrer Höhe stets mit dem gleichen Steuersatz belegt werden. Man könnte deshalb erwarten, dass die Einnahmen des Staates vornehmlich aus Quellen mit progressiven Steuertarifen stammen. Die progressive Einkommensteuer gehört jedoch unter den vielen Einnahmequellen des deutschen Staates zu den Ausnahmen. Etwa 78% aller Staatseinnahmen stammten 2014 aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die sich gerade nicht durch einen progressiven Tarif auszeichnen. Der Schritt zu einer Flat Tax bei der Einkommensteuer ist aus Gründen der Einfachheit und Effizienz wünschenswert und würde das deutsche Steuersystem nicht revolutionieren, sondern es vielmehr vereinheitlichen.

Progressive Steuern nur auf Einkommen, Schenkungen und Erbschaften

Die Steuereinnahmen des deutschen Staates beliefen sich 2014 auf 1.091 Milliarden Euro. Inbegriffen sind hier die Einnahmen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Sozialversicherungen. Obwohl sie juristisch von Steuern abgegrenzt werden, gehören die Einnahmen der Sozialversicherungen mit in den Steuertopf. Sie wirken ökonomisch wie Steuern und auch das Bundesamt für Statistik bezeichnet sie als „steuerähnliche Abgaben“.

Die wichtigsten Einnahmequellen des Staates sind die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer, die Rentenversicherungsbeiträge und die Krankenversicherungsbeiträge. Diese vier Steuerarten zeichnen für 73% der gesamten Staatseinnahmen verantwortlich. Die Einkommensteuer ist die einzige dieser vier Einnahmequellen, deren Tarif einen progressiven Verlauf nimmt. Neben der Einkommensteuer weisen überhaupt nur noch die Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Solidaritätszuschlag, dessen Bemessungsgrundlage die Einkommensteuerschuld ist, einen progressiven Verlauf auf, wobei die Progression des Solidaritätszuschlags sehr schwach ausgeprägt ist.

 

Steuern mit progressivem Tarif: Nur 22% der Staatseinnahmen

2014 verzeichnete der Staat 214 Milliarden Euro Einnahmen aus der Einkommensteuer. Aus der ebenfalls progressiven Erbschaft- und Schenkungsteuer kamen noch einmal 5,4 Milliarden und aus dem Solidaritätszuschlag 15 Milliarden hinzu. Der Anteil der drei mit progressivem Steuertarif ausgestatteten Steuern an den gesamten Einnahmen des Staates belief sich auf etwa 22%. Die Umsatzsteuereinnahmen machten 19%, die Rentenversicherungsbeiträge 17% und die Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls 17% aus.

Proportionale Umsatzsteuer und regressive Sozialabgaben

Der Umsatzsteuersatz hängt nicht von der von einem Gut konsumierten Menge ab. Unabhängig wie viele Quadratmeter Wohnfläche konsumiert werden, auf die Miete findet stets ein Umsatzsteuersatz von 0% Anwendung. Ebenso verhält es sich mit dem Konsum von Milch, auf den stets der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7% zu zahlen ist. Wer stets das neueste Smartphone sein Eigen nennen möchte, muss immer wieder 19% Umsatzsteuer zahlen. Die Umsatzsteuer mag in Bezug auf das Einkommen eine progressive Wirkung haben, wenn Menschen mit höheren Einkommen einen größeren Anteil ihres Einkommens auf Güter und Dienstleistungen verwenden, die mit dem vollen Umsatzsteuersatz besteuert werden. In Bezug auf ihre eigene Bemessungsgrundlage ist die Umsatzsteuer allerdings eine proportionale Steuer.

Für die Beitragssätze der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung gilt, dass sie konstant sind bis zu den jeweiligen Beitragsbemessungsgrenzen und anschließend auf null fallen. In den alten Bundesländern und Berlin-West mussten 2014 vom über 71.400 Euro liegenden Arbeitnehmerbrutto keine Zahlungen an die Renten- und Arbeitslosenversicherung geleistet werden, in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin ab 60.000 Euro. Für die Kranken- und Pflegeversicherung lag die Beitragsbemessungsgrenze einheitlich bei 48.600€. Aufgrund der Beitragsbemessungsgrundlagen sind alle Sozialversicherungen durch einen regressiven Verlauf gekennzeichnet. Sobald das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet, sinkt der durchschnittliche Beitragssatz. Deshalb ist das Verhältnis von Nettolohn des Arbeitnehmers zu den Lohnkosten des Arbeitgebers ab einem Bruttolohn des Arbeitnehmers von etwa 5.500€ konstant.

Flat Tax auch bei der Einkommensteuer: Einfach und effizient

Flat Taxes und auch Steuern mit regressivem Tarifverlauf sind im deutschen Steuersystem weit verbreitet. Die Vorteile einer Flat Tax sollten auch bei der Einkommensteuer genutzt werden.

Zum einen ist sie leicht verständlich und mit wenig Aufwand zu administrieren. Von einer transparenteren Einkommensteuer in Form einer Flat Tax würden die Besteuerten profitieren. Die Entstehung der Steuerschuld wäre besser nachzuvollziehen, Privilegien in Form von Ausnahmeregelungen wären schwerer zu kaschieren und der Verwaltungsaufwand würde sinken. Nicht freuen über eine Reduzierung der Komplexität des Steuersystem würden sich Angehörige der Interessengruppen, die von einem verwickelten Steuersystem profitieren. So würde beispielsweise die Nachfrage nach Leistungen von Steuerberatern und Mitarbeitern der Finanzverwaltungen sinken.

Zum anderen führt eine Flat Tax zu weniger Ausweichreaktionen der Besteuerten, zu denen es derzeit ausschließlich aufgrund von Unterschieden hinsichtlich der Grenzsteuersätze kommt, die durch den progressiven Einkommensteuertarif verursacht werden. Sind die Grenzsteuersätze konstant, lohnt es sich nicht, Einkünfte von einer Periode in die andere zu verlagern oder von einer Person auf eine andere zu übertragen. Werden Gewinne von Kapitalgesellschaften mit dem gleichen Steuersatz belastet wie Einkommen natürlicher Personen und werden die ausgeschütteten oder einbehaltenen Gewinne auf Ebene der Eigentümer der Kapitalgesellschaften nicht noch einmal besteuert, gibt es keinen Anreiz, sich aus steuerlichen Gründen für eine bestimmte Rechtsform für ein Unternehmen zu entscheiden. Eine Flat Tax würde also dazu beitragen, dass wirtschaftliche Aktivitäten nicht verschoben, Verträge nicht im Namen an einer Transaktion unbeteiligter Familienmitglieder geschlossen oder Unternehmensrechtsformen als Steuersparmodelle gewählt werden. Finden diese Ausweichreaktionen nicht statt, werden Ressourcen effizienter eingesetzt.

Progression: Ungewöhnlich, aber auch mit Flat Tax möglich

Attraktiv ist eine Flat Tax auch für den, der sich wünscht, dass die Einkommensteuer weiterhin progressiv ist. Kommen bei der Flat Tax Freibeträge zum Einsatz, ist also der Grenzsteuersatz auf die ersten Einkommenseinheiten gleich 0, steigt der Durchschnittssteuersatz mit steigendem Einkommen und nähert sich dem konstanten Grenzsteuersatz an. Der Vorteil der Einfachheit einer Flat Tax wäre durch Freibeträge kaum beschnitten und auch das Ausmaß der hervorgerufenen Ausweichreaktionen könnte sich bei einer Flat Tax mit Freibeträgen im Vergleich zu heute reduzieren, weil Ausweichreaktionen nur lohnenswert wären, solange Freibeträge noch nicht ausgeschöpft sind.

Derzeit ist die Einkommensteuer allerdings gerade aufgrund ihres progressiven Tarifverlaufs eine besondere Spezies im deutschen Steuersystem. Sie ist die einzige gewichtige Steuer, deren Grenzsteuersatz ansteigt, wenn die Bemessungsgrundlage der Steuer zunimmt. Eine proportionale Einkommensteuer, also eine Flat Tax ohne Freibeträge, würde sich in die deutsche Steuerlandschaft unauffällig einfügen.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Hans Splinter from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Seit bald sechs Jahren ist der Italiener Mario Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank. Seine Amtszeit läuft noch bis 2019. Doch schon jetzt wird eine Diskussion darüber geführt, wer seine Nachfolge antreten soll. Der Bundesbankpräsident Jens Weidmann gilt als einer der Favoriten. Er wäre sicherlich eine sehr gute Wahl, weil er sich einen kritischen Blick auf die EZB-Geldpolitik bewahrt hat und den mangelnden Reformwillen der Südstaaten immer wieder kritisiert. Jüngst fiel er dadurch auf, dass er der EU-Kommission Prinzipienlosigkeit vorwarf. Diese Klarheit und der Durchblick sprechen für ihn. Er steht damit in einer guten Tradition. Auch sein Vorgänger Axel Weber war und ist ein Kritiker der EZB-Politik. Auch er galt als potentieller Nachfolger des damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Auch er vertrat im EZB-Rat eine Minderheitenmeinung. Und auch bei ihm hatte die Öffentlichkeit lange Zeit den Eindruck, die Bundesregierung und insbesondere Angela Merkel unterstützen ihn bei der Kandidatur. Letztlich ließ Angela Merkel ihren Kandidaten während der Euro-Krise 2011 fallen, was Weber zum Rücktritt als Bundesbankpräsidenten veranlasste.

Ob Weidmann bessere Karten hat als Weber ist fraglich. Zwar ist er näher an Angela Merkel dran als sein Vorgänger. Immerhin war Weidmann zuvor Abteilungsleiter im Kanzleramt und „Sherpa“ Merkels für G8- und G20-Treffen. Aber die Dominanz Merkels und Deutschlands in der Europapolitik ist vielen ein Dorn im Auge. Schon bringt die französische Seite ihren Notenbankgouverneur Francois Villeroy de Galhau ins Gespräch.

Letztlich geht es um die Entscheidung, ob eher ein Präsident gewählt wird, der die Politik des billigen Geldes fortsetzt, oder jemand, der die Abhängigkeit von der Nullzinspolitik und den Schuldenaufkaufprogrammen beendet. Es sind zwei völlig unterschiedliche Konzepte. Die Vertreter der einen „Philosophie“ sind die Tauben, die niedrige Zinsen befürworten, um Wirtschaftswachstum anzuregen und den hohen Schuldenstand von Staaten, Banken, Unternehmen und privaten Haushalten finanzieren zu können. Sie glauben, dass man so aus der Krise herauswachsen kann. Die anderen sind die Falken: sie wollen jetzt den Einstieg aus dem Ausstieg des billigen Geldes einleiten. Auch sie sehen die Gefahren, die durch die Insolvenzen von Staaten und Banken entstehen könnten. Sie glauben aber, dass die Gefahren der fortgesetzten Zinsmanipulation noch größer sind

Mario Draghi hatte sich 2011 vor seiner Kandidatur als Falke präsentiert. Damals lobte er in einem Interview in der FAZ die deutsche Stabilitätskultur, die die Deutsche Bundesbank über viele Jahrzehnte repräsentiert habe. Er hielt die Maastricht-Kriterien hoch und die Unabhängigkeit der Notenbank. Er wollte den Deutschen die Angst nehmen, dass ein EZB-Präsident aus Italien die Regeln schleifen und den Euro in eine mediterrane Tradition überführen würde. Heute müssen wir feststellen, dass er diese Rolle nur gespielt hat. Tatsächlich ist Mario Draghi eine Taube im Falkenkleid. Er hat dafür gesorgt, dass die EZB Schulden in noch nie dagewesener Dimension aufkauft. Am Ende ihres Anleihenaufkaufprogrammes wird die EZB dafür 2.300 Milliarden Euro aus dem Nichts geschaffen haben. Alles was nicht niet- und nagelfest ist, wird von der EZB gekauft, um mittelbar die Zinsen zu drücken. Die Märkte sind in vielen Bereichen inzwischen leergefegt. Wenn es so weitergeht, kauft die EZB bald auch alte Fahrräder und gibt dafür neues Papiergeld heraus.

Jens Weidmann war im EZB-Rat nicht der einzige, der dies von Anfang an kritisiert hat. Auch sein estnischer Kollege Ardo Hannson gehörte dazu. Man müsse die Frage stellen, ob die EZB eine verbotene Staatsfinanzierung betreibe, sagte er 2014 der Süddeutschen Zeitung. Der Harvard-Absolvent hat 2001 die Estnische Krone an die DM und 2002 dann an den Euro gekoppelt. Er hat gezeigt, dass er ein Falke ist. Er kommt aus einem Land mit vorbildlicher Fiskalpolitik und echtem Reformgeist. Hansson wäre ein guter Kandidat für die Draghi-Nachfolge. Je eher desto besser.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Metro-Goldwyn-Mayer Studios

Stil-Ikone, Kommunistenfresser, Macho, Weltretter – wenige Figuren haben die Pop-Kultur so langfristig geprägt und zu Begeisterung und Entrüstung geführt wie James Bond. Er steht stellvertretend für die enorme Prägekraft westlicher Kultur. Und das ist in der Summe sehr gut so.

Im Angesicht der Todes

James Bond hatte es mit jedem erdenklichen Schurken aufgenommen: Natürlich mit den Sowjets, aber auch mehrfach mit einer Weltverschwörungs-Gruppe, mit Wirtschaftskriminellen, Diktatoren, Drogenbaronen, Öko-Extremisten, Hackern und Medienmogulen. Diese Erzschurken wollen bisweilen die gesamte Menschheit vernichten. Immer aber ist ihre kriminelle Aktivität darauf gerichtet, die Freiheit und den Wohlstand der Menschen zu kapern. Der ebenso furchtlose wie stilsichere Geheimagent nimmt es regelmäßig mit veritablen Menschenfeinden auf. Während er dabei oft genug auch mit den Fallstricken der britischen Bürokratie zu kämpfen hat und auch mit mancherlei moralischen Dilemmata konfrontiert ist, bleibt er im Grunde seines Herzens doch immer ein aufrechter Mensch, der sich nach Kräften bemüht, den Sieg des Bösen zu verhindern.

Freilich sind viele der Filme, die seit 55 Jahren einen Kernbestand der Pop-Kultur bilden, auch sehr zeitverhaftet. Der von Sean Connery verkörperte James Bond der 60er Jahre empfiehlt sich nicht als Vorbild für den Umgang mit Frauen. Der optimistische und selbstsichere Bond Pierce Brosnans passte hervorragend in die Aufbruchsstimmung der 90er Jahre und personifiziert geradezu das Wort des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“. Dagegen ist Daniel Craigs Interpretation schon vom Selbstzweifel einer Welt geprägt, die 9/11 und die Finanz- und Wirtschaftskrise hinter sich hat. Man kann sicherlich auch manches kritisieren am Setting der Filme, die eigentlich nur die Welt der Reichen und Schönen darstellen. Aber die Filme waren zur Unterhaltung gedacht – und sie haben über Jahrzehnte hinweg Abermillionen von Menschen großen Spaß bereitet.

Die Welt ist nicht genug

Gerade diese Anziehungskraft des coolen und souveränen Top-Agenten hat aber noch weitaus größere Wirkung als nur die Werbeeffekte für Omega, Sony und Aston Martin. Er ist ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, das weltweit konsumiert wird. In China und Indien gehörte der letzte Bond zu den erfolgreichsten Filmen überhaupt. Von kleinen Städtchen im Amazonas bis ins Politbüro von Vietnam – überall kennt man James Bond. Mehr als 90 % der Weltbevölkerung kennt gar keine Welt ohne James Bond-Filme. Die Bedeutung dieses Faktums lässt sich kaum überschätzen. Denn es bedeutet, dass unzählige Menschen rund um den Globus die „westliche“ Lebensart kennenlernen. Die prägende Kraft solcher Erzählungen ist gewaltig. Auch wer nie die politische Geschichte Großbritanniens studiert, die US-Verfassung in der Hand gehabt oder sich mit dem Scheitern von Plan- und Staatswirtschaft auseinandergesetzt hat, bekommt über den Konsum dieser Filme die Botschaft vermittelt, dass es böse Menschen gibt, die Krieg säen und Unfreiheit verbreiten wollen – und dass es wichtig ist, diese Menschen aufzuhalten.

Dadurch wird natürlich noch nicht jeder Bond-Fan zu einem glühenden Anhänger des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und der Marktwirtschaft. Aber nie war es so leicht wie heute, die Werte zu vermitteln, die für ein friedliches und gedeihliches Miteinander der Menschen grundlegend sind. Der Job, den früher Lehrer und Journalisten, Aktivisten und Politiker in mühseliger und hartnäckiger Kleinstarbeit leisten mussten, unterstützen und übernehmen im Zeitalter der Massenunterhaltungsindustrie Drehbuchautoren und Regisseure, Sängerinnen und Comic-Zeichner. Die Globalisierung der Pop-Kultur ermöglicht schneller, effizienter und breitenwirksamer eine weltweite Vermittlung von freiheitlichen Werten als das regierungsfinanzierte und -organisierte Organisationen je könnte.

Der Spion, der uns liebt

Historiker schreiben einem Unterhaltungskünstler wie David Hasselhoff eine bedeutende Rolle auf dem Weg zur Wiedervereinigung zu. Junge Chinesen können heute durch Superhelden wie Batman oder Captain America ein Verständnis dafür bekommen, dass ein übergriffiger Staat und eine korrupte Bürokratie nicht Normalität sein müssen. Und Schauspielerinnen, Sänger und Models vermitteln in Interviews, die millionenfach im Internet gelesen oder angesehen werden, jungen Menschen Selbstwertgefühl und Hoffnung. Manche mögen diese Statements mit einem gewissen Dünkel als Banalitäten oder Selbstinszenierung abtun. Vermutlich leisten ein paar solcher Äußerungen jedoch für die persönliche Emanzipation von Jugendlichen in autoritären Staaten und reaktionären Gesellschaften mehr als 66 Jahre Goethe-Institut.

Ideen verändern die Welt. Dass es heute so vielen Menschen möglich ist, sich als Individuum zu entfalten, liegt ganz wesentlich daran, dass sich diese Ideen verbreitet haben. Und Ideen sind enorm zäh: wenn sie einmal in der Welt sind, wird man sie kaum mehr los – weder mit Geheimpolizisten, noch mit Gefängnissen oder mit Gegenpropaganda. Der Beitrag, den so scheinbar banale Gestalten wie die Superheldin Wonder Woman, der Star Wars-Protagonist Luke Skywalker oder eben James Bond zur Verbreitung der Ideen unserer Offenen Gesellschaft leisten, ist immens. Sie sind nicht nur in der Welt auf Zelluloid Superhelden. Sie sind es auch im wahren Leben. Sie sind Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät – ihrer Majestät der Freiheit.

Photo: Harvey Barrison from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt, dann kann man den Eindruck gewinnen, der Brexit sei lediglich für die Briten ein Problem, das sie obendrein noch selbst verschuldet haben. Ein wenig Schadenfreude kommt hier zum Ausdruck. Das restliche Europa beschäftigt sich daher lieber mit den Krisen in der Türkei oder Griechenland.

Die Wahlen zum britischen Unterhaus am 8. Juni spielen dagegen nur am Rande der politischen Diskussion eine Rolle. Wahrscheinlich werden die Tories um Premierministerin Theresa May die Wahl gewinnen. Danach haben die Vertragsparteien noch rund acht Monate Zeit, um die anschließenden Verhandlungen über die Ausstiegsmodalitäten und die künftige Zusammenarbeit der EU mit Großbritannien zu regeln. Ein fast unmögliches Unterfangen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Großbritannien von größter ökonomischer Bedeutung für uns alle. Unternehmen aus der EU exportieren nach Großbritannien Waren und Dienstleistungen im Wert von 290 Milliarden Euro und importieren von dort Güter im Wert von 176 Milliarden Euro. Das sind ebenso viele Exporte wie in die USA, obwohl Großbritannien nur einen Bruchteil der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung vorweisen kann.

Der Bedeutung dieser Handelsbeziehungen wird die öffentliche Diskussion nicht gerecht. Hierzulande hat man sogar den Eindruck, dass wir vom Brexit profitieren und die Briten Verluste erleiden. Der Großraum Frankfurt freut sich schon auf die Ansiedlung von Regulierungsbehörden im Finanzsektor, die derzeit in London angesiedelt sind. Die dann folgende Nachfrage nach Wohnungen in der Bankenmetropole lässt ein weiteres Ansteigen der Immobilienpreise vermuten.

Auch glauben viele, dass der Bankenstandort Frankfurt durch die Verlagerung des Europageschäfts von Großbanken von London nach Frankfurt profitiert. Das mag in Teilen der Fall sein. Dieses zurückgebliebene Verständnis von Wirtschaften ist dennoch grundfalsch. Die Unterbrechung oder Störung von grenzüberschreitendem Handel schadet auf beiden Seiten. Natürlich gibt es einzelne Gewinner. Aber deren Gewinne gehen zu Lasten des Wohlstandes aller. Der ungehinderte Austausch von Waren und Dienstleistungen ist die Erfolgsgeschichte des Freihandels. Was zwischen Wales und Schottland an Warenaustausch möglich ist, sollte nicht am Ärmelkanal enden. Wieso auch? Am Ende ist der Konsument, der Bezieher von Waren und Dienstleistungen, der Souverän. Er entscheidet nach seinen Präferenzen, ob er Waren aus Wales, Flandern oder Hessen kauft. Und diese Arbeitsteilung, die innerhalb von einzelnen Ländern ohne Klage für gut und richtig gehalten wird, sollte nicht an den Außengrenzen dieser Länder haltmachen. Warum auch? Nicht ein Dritter, der Staat oder die EU, sollte darüber entscheiden, was andere an Waren kaufen dürfen, sondern nur derjenige, der sie bestellt und bezahlt.

Deshalb sollte auf beiden Seiten des Kanals die oberste Priorität darauf gelegt werden, für schnelle Planungssicherheit zu sorgen. Denn nichts stört die Investitionsbereitschaft von Unternehmen so sehr wie die Unsicherheit über politische Rahmenbedingungen in der Zukunft. Investitionen werden daher aufgeschoben oder an andere Standorte verlagert. Vielleicht ist der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums eine gute Brücke. Als Übergangslösung haben die Wissenschaftler in dieser Woche vorgeschlagen, Großbritannien solle vorübergehend der Freihandelszone EFTA (Norwegen, Island, Lichtenstein und Schweiz) beitreten, um so einen Zugang zum Europäischen Wirtschaftsraum, der die EU-Staaten und die EFTA-Staaten umfasst, zu erhalten. Erst danach solle über ein bilaterales Abkommen mit der EU verhandelt werden. Dadurch würde auf der einen Seite Planungssicherheit geschaffen und ein gleitender Ausstieg ermöglicht. Am Ende würden beide Seiten und Millionen von Bürgern in der EU und in Großbritannien davon profitieren.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 20. Mai 2017.

Photo: Devin Stein from Flickr

In früheren Zeiten waren es die Justizminister, also die Verfassungsminister, die sich als Hüter der Grundrechte im Gesetzgebungsverfahren verstanden. Sie leisteten Widerstand, wenn andere Minister allzu großzügig mit der Einschränkung von Verfassungsrechten umgingen. Sie waren also ein Gegengewicht innerhalb einer Regierung. Nicht ohne Grund werden auch deshalb in einer Koalitionsregierung auf Bundesebene der Innenminister und der Justizminister in der Regel von unterschiedlichen Parteien gestellt. Doch in einer großen Koalition verschwimmen diese bewährten Prinzipien. Zwar werden Innen- und Justizminister aktuell von unterschiedlichen Parteien gestellt, aber heute ist es der Justizminister höchstselbst, der die Meinungsfreiheit massiv einschränkt.

Am Freitag sollte eigentlich der Bundestag in erster Lesung über das so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung, das Verfassungsminister Heiko Maas erarbeitet hat, beraten. Jetzt hat die Unionsfraktion den Gesetzentwurf ihrer eigenen Bundesregierung angehalten. Es müsse substantiell nachgebessert werden. Das ist durchaus ein Zwischenerfolg der Kritiker. Es ist eine Art Notbremse, die die CDU/CSU-Fraktion hier zieht. Denn tatsächlich haben alle Unionsminister im Kabinett und auch das Kanzleramt den Gesetzentwurf aus dem Hause Maas durchgewunken. Es ist ein beispielloser Fall. „Reporter ohne Grenzen“ befürchten „einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit“. Das Gesetz mache Mitarbeiter sozialer Netzwerke zu Richtern über die Meinungsfreiheit, so der Vorwurf des Journalistenverbandes. Maas will gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte vorgehen. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter werden verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und fragliche Inhalte innerhalb von 7 Tagen zu löschen, in deren Zeit der Verfasser Stellung nehmen oder externe Expertise eingeholt werden kann. Facebook wird so in die Rolle der Sittenpolizei und des Hilfssheriffs der Strafverfolgungsbehörden gedrängt. Die Unternehmen müssen ein Beschwerdemanagement aufbauen und regelmäßig Berichte vorlegen. Bei Nichteinhaltung drohen den Unternehmen Strafzahlungen von bis zu 50 Millionen Euro.

Die Regierung will damit Facebook zähmen und an die Kandare nehmen. Sie glaubt nicht, dass die Nutzer selbst in der Lage sind, ihre Schlüsse aus den Fehlentwicklungen zu ziehen. Das ist schon erschreckend, weil es einem Menschenbild folgt, das die Bürger zu einer stumpfsinnigen Schafherde oder zu einem böswilligen Wolfsrudel degeneriert. Diese Oberlehrerattitüden sind erst der Anfang des fortgesetzten Gangs in den Nanny-Staat.

Im Entwurf ihres Wahlprogramms zur Bundestagswahl wollen die Sozialdemokraten Google und Facebook verpflichten, Inhalte von ARD und ZDF zu veröffentlichen. Eine Zwangsquote Rosamunde Pilcher und Musikantenstadl auf der eigenen Timeline? Claus Klebers „heute-journal“ als Pflichtmitteilung bei jeder Google-Suche? Die Zwangsinformation für alle Nachrichtenmuffel? Wenn immer weniger die Öffentlich-Rechtlichen regulär im TV schauen, müssen die Inhalte halt zu den Zwangsbeitragszahlern gebracht werden. Immerhin müssen ja alle dafür bezahlen, also sollen sie es auch alle sehen müssen. Wer nicht hören will, muss fühlen. So weit weg sind daher die Sozialdemokraten nicht vom Leitkulturgedanken der Union. Sie verstehen nur etwas anderes darunter.

Nicht alles ist gut bei Facebook, Twitter und Co. Wie sollte es auch? Aber deren herausragender Beitrag für die Meinungsfreiheit und -vielfalt und überhaupt für die Demokratie ist unverkennbar. Meinungsdiktaturen in autoritären Regimen überall auf dieser Welt sind viel schwerer durchzusetzen. Informationsasymmetrien, die Despoten in die Lage versetzen, durch Falschinformationen Meinung zu lenken, sind viel weniger möglich.

Auch eine deutsche Regierung verfolgt Interessen mit den Millionenetats ihrer Informationspolitik. Sie wollen in gutem Licht stehen. Sie wollen ihre herkömmlichen Kanäle bedienen. Die Atomisierung dieser Kanäle auf ganz viele Plattformen, Nutzer und Anbieter löst Misstrauen bei den Regierenden aus. Der Missbrauch der neuen Plattformen durch einige wenige wird dann schnell zum Anlass genommen, diese Atomisierung kritisch zu hinterfragen. Staatliche Eingriffe und Regulierungen sollen dann nicht nur die wenigen schwarzen Schafe disziplinieren, sondern auch die Masse lenken.

Gegen diese unlauteren Absichten der Regierenden hilft nur der bürgerliche Protest. Die Vielen müssen sich gegen diese Entwicklung stellen. Und dass dies gelingt, sieht man am heutigen Tag. Doch die Schlacht ist noch nicht geschlagen. Es genügt nicht, Fristen zu verlängern oder einen Halbsatz zu ergänzen. Es braucht gar kein Zensurgesetz im Netz, die Rechtslage ist ausreichend. Daher muss es verhindert werden.

Denn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist nicht ein Gesetzgebungsverfahren wie viele. Es geht nicht nur um Facebook oder Twitter. Es ist auch nicht eine Bagatelle im Wust von wichtigen anderen Problemen. Es ist der Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie – der Presse- und Meinungsfreiheit. Ohne sie ist alles nichts.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.