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Am Dienstag erlebten die US-amerikanischen Wähler eine Zeitreise: Zurück in eine Ära, in der politische Kontrahenten einander noch mit Respekt, scharfsinnigen Argumenten und rhetorischer Brillanz begegneten.

In der einzigen Debatte der „Running Mates“ von Kamala Harris und Donald Trump traten die Vizepräsidentschaftskandidaten JD Vance und Tim Walz vor das amerikanische Fernsehpublikum. Sie weckten Erinnerungen an die letzte Wahl, die noch ohne Donald Trumps Beteiligung stattfand: 2012, vor 12 Jahren, kämpften Barack Obama und Mitt Romney um das höchste Amt des Landes. Schaut man sich Ausschnitte dieser Debatte an, scheint es, als hätten beide politischen Lager jeweils einen ihrer Besten ins Rennen geschickt. Welten trennen diese ehrenvoll und scharfsinnig geführte Auseinandersetzung vom jüngsten Aufeinandertreffen zwischen Trump und Harris. Dieses wirkte eher wie Schlammcatchen zweier politischer Totalausfälle, unfähig, selbst die einfachsten, wochenlang einstudierten Botschaften überzeugend zu vermitteln. Man braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, wie ihre Berater hinter der Bühne verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammenschlugen.

An ihrem Abend im nationalen Rampenlicht verzichteten Vance und Walz gänzlich auf Tiefschläge und persönliche Angriffe. Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, eine ansprechende und vor allem verständliche Version der Politik ihrer Chefs zu präsentieren. Als sie schließlich auch noch Empathie füreinander zeigten und nach Gemeinsamkeiten suchten, konnte man sich nur ungläubig die Augen reiben. So könnte politische Debatte in den USA aussehen – wenn das dysfunktionale Duopol aus Republikanern und Demokraten fähigere Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken würde.

Vize-Debatten gelten gemeinhin als wenig entscheidend für den Wahlausgang. Doch 30 Tage vor einer Präsidentschaftswahl, bei der in nahezu allen sogenannten „swing states“ Demokraten und Republikaner innerhalb der Fehlertoleranz liegen, sieht das anders aus. Hier zählen vermutlich die kleinsten Details. Es könnte sein, dass die Wählerzahl, die in einem Monat den Ausschlag gibt, in ein Football-Stadion passt. Und so nutzte vor allem einer die Gelegenheit, sich und die Ideen seines Running Mate vor einem Millionenpublikum zu rehabilitieren: JD Vance.

Seine Ernennung galt zuvor als großer strategischer Fehler Donald Trumps, doch nach der Debatte wurde JD Vance für seine Performance mit Anerkennung überschüttet: Nicht nur ist er rhetorisch brillant, es gelang ihm auch, die Themen der Trump-Kampagne kohärent und nachvollziehbar zu vermitteln. Wo nötig, kürzte er überflüssige Spitzen des Programms und verlieh ihm ein logisches, bisweilen sogar mitfühlendes und sympathisches Gesicht.

Allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vance im Kern Antiglobalist und Nationalist ist. Doch ich befürchte, dass gerade im freiheitlichen Spektrum viele die fiskalpolitischen Gemeinsamkeiten überbetonen, um die nationalistischen Zwischentöne geflissentlich ignorieren zu können.

Damit komme ich zur eigentlichen Lehre des Abends: Die antiglobalistische Neue Rechte ist derzeit wesentlich besser aufgestellt als der Liberalismus.

Es wäre ein Fehler, die Trumps und Orbans dieser Welt als die wahren Köpfe hinter dieser Bewegung zu betrachten. Sie sind die nützlichen Idioten, die das Programm mehr oder weniger geschickt an den Wähler bringen. Die eigentlichen Ideengeber sind junge, gut ausgebildete und anschlussfähige Akteure wie JD Vance. Wer einmal erlebt hat, wie Vance präzise das in Worte fasst, was Trump seit Monaten unverständlich vor sich hinpoltert, der hat daran keinen Zweifel mehr.

Was bedeutet das für die Freiheit? Liberale Ideengeber müssen endlich aufhören, ihr Heil im kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Die Idee der Freiheit darf nicht durch die Wahl zwischen Pest und Cholera definiert werden. So skurril es klingen mag: die Neue Rechte sollte dem Liberalismus sogar als Vorbild dienen – nicht im Ton und schon gar nicht inhaltlich, aber in Sachen Standhaftigkeit und strategischer Voraussicht.

Als Francis Fukuyama in den 1990er Jahren das „Ende der Geschichte“ und den finalen Triumph des Liberalismus verkündete, rüstete sich die Neue Rechte. Selbst in vermeintlich aussichtsloser Position gaben ihre Vertreter nicht auf, sondern pflegten und schärften ihre Ideen für den richtigen Moment. Und dieser Moment kam: Die „Flüchtlingskrise“, Corona und eine siegestrunken überhebliche Linke ebneten den Weg zurück in die Köpfe und Herzen der Menschen.

Der Liberalismus könnte aktuell kaum weiter von ebenjenen Herzen entfernt sein, blutleer und uninspiriert, wie die wenigen noch wirkungsmächtigen Vertreter sich geben. Doch wir sollten nicht verzagen. Themen gibt es genug: Eine nicht enden wollende Staatsverschuldung, das absehbare Scheitern westlicher Rentenmodelle, das Fehlen marktwirtschaftlicher Lösungen im Umweltschutz.

Es wird dauern – machen wir uns bereit!

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Das Intel-Debakel hat rasch die Verteidiger von Subventionen wieder auf den Plan gerufen: Bestimmte Industriezweige würden nicht entstehen oder überleben, wenn der Staat nicht in Vorleistung gehe. Subventionen seien nicht per se das Problem, man müsse es halt nur richtig machen und nicht so wie die Amateure, die derzeit dafür zuständig sind. Das haben die gestern und heute Zuständigen freilich auch selber genau so formuliert.

Im Juli hatte die Research Abteilung des Vermögensverwalters Flossbach von Storch eine Studie zu Subventionen veröffentlicht. Ein Ergebnis: RWE und E.ON haben in den letzten Jahren de facto keinen Cent an Steuern gezahlt, weil sie genau so viele Subventionen bekommen wie Steuern entrichtet haben. Da kann man sich die Steuergerechtigkeitsdebatten auch sparen – und auch das Bashing von sogenannten Steuerparadiesen.

Im Hintergrund der Subventionsorgien steht die Überzeugung, dass Politiker besser wissen, wo investiert werden sollte als diejenigen, deren Job das eigentlich ist. Es verlagert die unternehmerische Entscheidung weg von denen, die Verantwortung und Konsequenzen tragen; weg von denen, die die Situationen vor Ort kennen, die ein Gefühl für Kunden und Markt haben.

Warum nicht einfach mal den finanziellen Spielraum im Bundeshaushalt, der für Subventionen bereitgestellt wird, unspezifisch verteilen, etwa durch eine generelle Steuersenkung für Unternehmen? Der Bund könnte auf seinen Anteil an der Gewerbesteuer und an der Körperschaftsteuer komplett verzichten und damit in etwa denselben Betrag freimachen (rund 20 Milliarden), der ausweislich des Subventionsberichtes der Bundesregierung derzeit ausgeschüttet wird. Vielleicht gibt es auch noch smartere Lösungen. Es ist aber auf jeden Fall höchste Zeit, mit der derzeitigen Günstlingswirtschaft Schluss zu machen.

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Vergangenen Monat reiste ich nach Panama. Als Verfechterin des Freihandels durfte ein Besuch am Panama-Kanal natürlich nicht fehlen. Die wohl bedeutendste Wasserstraße der Welt feiert in diesem Jahr ihr 110-jähriges Bestehen – dabei ist der Panama-Kanal weitaus mehr als nur die Verbindung des Atlantiks und Pazifiks: der Bau des Panama-Kanal zeichnet eine bewegende Geschichte über den menschlichen Erfindergeist, Ideenreichtum und die Fähigkeit, Grenzen zu überwinden.

In den 1880er Jahren versuchten zunächst die Franzosen, einen tiefen, stufenlosen Graben durch die schmalste Stelle Mittelamerikas zu graben. Doch vergeblich: der Chefingenieur Ferdinand de Lesseps, Erbauer des Suezkanals, erkannte, dass das tropische Panama nicht dem flachen Ägypten glich: das feuchte Klima, fremde Krankheiten, monatelange Regenfälle, Fluten und Erdrutsche kosteten tausende Arbeiter das Leben und führten zum Scheitern des Vorhabens. 1903 übernahmen die USA unter der Leitung des Ingenieurs John Frank Stevens das Projekt. Stevens hatte eine andere Idee: anstatt einen Kanal durch das gesamte Land zu graben, wurde der gewaltige Chagres-Fluss zu einem riesigen See aufgestaut, über den die Schiffe geführt werden. Gustave Eiffel entwarf die Schleusentore.

Doch ein Problem bestand weiterhin: Die Arbeiter blieben den Krankheiten, insbesondere Gelbfieber und Malaria, schutzlos ausgeliefert. Damals glaubte man noch, Schlangen seien die Überträger. Erst als der US-amerikanische Arzt William Gorgas nach Panama reiste, fand er heraus, dass Moskitos die eigentlichen Überträger sind. Dank dieser Entdeckung gelang es, das Gebiet innerhalb von 18 Monaten nahezu vollständig von Gelbfieber und Malaria zu befreien. Damit hat Gorgas nicht nur hunderte Arbeiter gerettet, sondern auch einen entscheidenden Beitrag für die moderne Tropenmedizin geleistet. Nach knapp 10 Jahren Bauzeit und schätzungsweise 25.000 Toten durchquerte am 15. August 1914 der erste Dampfer „Ancon“ den Kanal. Allerdings nahm die Welt kaum Notiz von diesem historischen Ereignis, denn es wurde überschattet vom Beginn des Ersten Weltkriegs.

Bis heute haben mehr als eine Million Schiffe den 82-km langen Kanal passiert. Ohne Zweifel: Die Eröffnung des Panama-Kanals hat den Welthandel revolutioniert, da der dreiwöchige Umweg von 8.000 Meilen um das berüchtigte Kap Hoorn entfällt: Jährlich werden inzwischen über 300 Millionen Tonnen Fracht, von Lebensmitteln, über Autos bis hin zu Rohstoffen, über die Wasserstraße transportiert – das entspricht knapp 6 % des weltweiten Handels. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Dank der verkürzten Strecke wird auch ein erheblicher Teil der CO2 -Emissionen eingespart. Bei mehr als 14.000 Schiffen, die pro Jahr den Kanal passieren, kann man von einem enormen Einsparungspotenzial der CO2 -Emissionen ausgehen.

Der Panama-Kanal ist mehr als ein technisches Meisterwerk – er ist ein Symbol für die Freiheit des Welthandels, der Menschen und Nationen miteinander verbindet. In einer Zeit, in der Abschottung und Protektionismus wieder an Einfluss gewinnen, erinnert dieses Bauwerk an den Ideenreichtum und Innovationsgeist der Menschen – über Grenzen hinweg.

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Familienwerte werden ja gerne von Konservativen als ein ganz entscheidendes Merkmal einer gesunden Gesellschaft dargestellt. Liberalen wird dagegen „Hyperindividualisierung“ unterstellt und Linken, dass sie überkommene Strukturen zugrunde richten (wollen) durch „Gender-Gaga“ und Beliebigkeit. Vor diesem Hintergrund hat ein Ereignis der letzten Woche die Doppelmoral vieler selbsterklärter Konservativer in den Vereinigten Staaten dramatisch offengelegt.
Was für ein herzerwärmender Anblick war es, als der 17jährige Sohn des Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz, in liebevoller Erschütterung vor den Fernsehkameras des ganzen Landes in Tränen ausbrach und seinem ganzen Sohnesstolz freien Lauf ließ. Da war kein möchtegern-cooles Teenagergehabe zu sehen, sondern ein Mensch, der sich geliebt weiß und lieben will, und genau dadurch eine erstaunliche Souveränität an den Tag legte. Wer wünscht sich nicht, dass seine Kinder, Eltern, Partner oder Freunde so positiv auf einen reagieren? Ohne Scheu vor Zehntausenden von Menschen. Ein Musterbeispiel von Familie, sollte man meinen.
Doch eine Horde von Kommentatoren aus dem rechten Lager in den USA stürzten sich auf dieses ikonische Bild und verspotteten und erniedrigten den jungen Mann. Da kann man sich das Gerede von Werten, Traditionen und vom christlichem Erbe auch sparen.
Auch den Liberalen würde es gut tun, etwas aus ihrer Coolness-Ecke herauszukommen und das Potential menschlicher Emotionalität positiv zu besetzen. Eine offene Gesellschaft, in der Menschen ungehindert von Gewalt und Zwang ihre Ziele verfolgen können, wird sicherlich in einem Umfeld positiver und offener Emotionalität besser gedeihen als dort, wo Menschen ihre Gefühle unterdrücken und das dann wiederum mit demonstrativer Härte kompensieren müssen. Es gibt dafür einen wunderbaren Lebensratschlag des britischen Dichters Alexander Pope, den der liberale Vordenker Adam Ferguson in seinem „Essay on the History of Civil Society“ zitiert: „Man, like the generous vine, supported lives; The strength he gains, is from th’embrace he gives“.

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–0,1%. Deutschlands BIP ist im zweiten Quartal gesunken. Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält damit schon länger an. Gleichzeitig zeigt ein Blick über den Teich, wie es besser geht: die Vereinigten Staaten wachsen zurzeit fleißig weiter. So weit müssen wir aber gar nicht schauen. Auch in der Eurozone, bei unseren direkten Nachbarn, sieht es rosiger aus als bei uns.
Die grauen Wolken hängen hier in Deutschland insbesondere über der Industrie. Angesichts hoher Steuern und enormer Energiepreise liebäugelt so manches Unternehmen mit anderen Standorten. Was also tun gegen den Niedergang der Industrie, die doch, so zumindest der Tenor, das Fundament des deutschen Wohlstandes ist?
Aber dieser Tenor ist grundfalsch. Die ursprünglich starke deutsche Industrie – und auch die Industrialisierung generell – ist nämlich lediglich das Symptom eines funktionierenden Wirtschaftssystems, in dem innovative und engagierte Unternehmer in freier Konkurrenz und innerhalb eines gesicherten Rechtsrahmens um die Gunst der Konsumenten wetteifern. Das ist es, was Deutschland lange Zeit ausgezeichnet hat und den Grundstein für die erfolgreiche Entwicklung der Bundesrepublik gelegt hat. Der Versuch, nun die Industrie – oder andere Sektoren – durch Einzelmaßnahmen zu schützen, ist somit vorrangig ein Herumdoktern an den Symptomen. Zwar mag es hie und da sinnvolle Maßnahmen geben, etwa eine geänderte staatliche Energiepolitik (es ist ja doch schwer vorstellbar, eine schlechtere Energiepolitik zu betreiben, als es Deutschland in den letzten Jahrzehnten getan hat). Aber entscheidend ist das Fundament: ein offenes Wirtschaftssystem, in dem jede die Freiheit hat, ihre Ideen am Markt zu testen, gleichzeitig aber auch verantwortlich dafür ist, welche Risiken sie eingeht. Notwendig ist also die radikale Abkehr von Energiepolitik, Industriepolitik und Co, die ein Herumdoktern an Symptomen darstellen. Und stattdessen die Hinwendung zu grundsätzlichen Systemfragen.