Photo: )Diana Picchiottino from Unsplash (CC 0)

Die EU erhebt Zölle auf E-Autos aus China. Der kommende US-Präsident Donald Trump kündigte im Wahlkampf Zölle auf europäische Autos an. Die EU erhebt Klimaschutzzölle für Waren aus dem Rest der Welt. China kündigt Zölle für französischen Weinbrand an. Kurz: die Welt befindet sich in einer neuen Interventionsspirale. Zölle werden mit Zöllen beantwortet. Das ist keine gute Entwicklung. Denn die Globalisierung konnte in den vergangenen Jahrzehnten nur durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen ihre große Wirkung für den Wohlstand überall auf der Welt entfalten. Die Datenlage ist erdrückend eindeutig. Die pro Kopf-Einkommen sind überall auf der Welt gestiegen, insbesondere in den so genannten Schwellenländern. Die Kindersterblichkeit, das Bildungsniveau, das Gesundheitsniveau und die Lebenserwartung haben sich ebenfalls verbessert. Alle Wohlstandsparameter zeigen nach oben.

Eigentlich spricht alles dafür die Liberalisierung des Welthandels nicht aufzuhalten oder zurückzudrehen, sondern auf diesem Weg weiterzugehen. Doch die Gegner des Freihandels kommen von links und rechts. Es geht ihnen nicht darum, dass jeder Mensch Zugang zu preiswerten Lebensmitteln, Autos oder Medikamenten bekommt, sondern es geht ihnen um Abschottung. Sie wollen ihre Industrie, ihre Landwirtschaft und ihre Arbeitsplätze schützen. Als wenn die Industrie, die Landwirtschaft und die Arbeitsplätze den Politikern gehören würde. Wer schützt eigentlich die Hungernden, die Geringverdiener, die auf preiswerte Autos angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen? Wer schützt eigentlich die 5-köpfige Familie, die im Sommer preiswert in den Urlaub fliegen will? All diejenigen schützt in der Welt der Abschottung und des Protektionismus niemand.

Photo: Robbie Sproule from Flickr (CC BY 2.0)

In Wolfsburg brennt die Hütte. VW steckt in einer sich verfestigenden Multikrise. Damit stehen nicht nur im Konzern selber schwere Verwerfungen an, sondern auch in der Zuliefererindustrie, bei all den Unternehmen, die um VW herum gebaut sind, und natürlich auch für das Land Niedersachsen. Es würde nicht überraschen, wenn die SPD noch stärker als schon bisher auf Industriepolitik im Wahlkampf setzen würde. Zumal die Partei ja inzwischen so sehr auf das VW-Bundesland fixiert ist wie die CSU auf Bayern. Nachdem die Wahl 2021 vor allem durch Rentenpopulismus geprägt war, darf man jetzt erwarten, dass sich die Sozialdemokratie dem weltweiten Trend zum Protektionismus „einheimischer“ Industrie anschließen werden, um die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen.

Dabei ist sehr viel an der VW-Krise das Ergebnis von Jahrzehnten staatlichen Interventionismus: Politische Vorgaben, welche Technologie wünschenswert wäre. Unrealistische Energiepreise durch einen Wust an Rabatten, Kompensationen, Rückerstattungen und Ausnahmen. Herumpfuschen in der Tarifautonomie. Abwrackprämien … Kurzum: Volkswagen und die darum liegende Industriestruktur hat über Jahrzehnte hinweg falsche Preissignale erhalten und gesendet. Dass diese Potemkinsche Industrie irgendwann ins Wanken gerät, ist vermutlich unausweichlich. Dass das in einer zähen Rezessionsphase geschieht, ist erwartbar.

Damit VW auch weiterhin ein erfolgreiches Unternehmen bleiben – oder wieder werden – kann, müsste es den gleichen Weg gehen, den auch ein Restaurant in Schorndorf, eine Zimmerei in Gera und eine IT-Beraterin aus Münster vor sich haben, wenn ihr Geschäft nicht mehr so läuft. Gerade aus der Sicht solcher Unternehmer muss es etwas grotesk wirken, dass man darauf hinweisen muss, aber Anpassung an die Realität ist auf die Dauer der einzige Weg zu Profitabilität. Leider zahlt sich für die Politik Realitätsverweigerung und -verzerrung so viel mehr aus. Man muss befürchten, dass VW zu einem noch unwirtschaftlicheren Zombie wird.

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Ich sitze mit einem Bekanntem am Sonntagnachmittag beim Kaffeetrinken, das Gespräch kommt auf die Nachrichten: Israel hat den Hamas-Anführer Yahya Sinwar getötet. Schon ist das Thema Krieg auf dem Tisch, gleich neben den Keksen.  

Ich sage, Israel müsse diesen Krieg führen und müsse siegen, das sei klar. Israel sei nicht schuld an diesem Krieg, auch das sei klar. Aber ich sage auch, dass mir die Menschen in Gaza und im Libanon leidtun würden, genau wie mir die Menschen in Israel leidtun. Mein Bekannter antwortet nur: Ja, aber Israel habe keine Wahl. Punkt. 

Gespräche über Krieg sind keine intellektuellen Debatten, die man gewinnt oder verliert, während man genüsslich Kaffee schlürft. Die Geschichte des aktuellen Krieges in Nahost ist lang und kompliziert, aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns in den Gesprächen darüber nur noch darauf versteifen, wer recht und wer unrecht hat. Es gibt in diesem Krieg zwar zwei klare Fronten: islamistische Milizen, die ihre Heimatländer unterdrücken und Israel angreifen, und Israel, das sich seit dem 7. Oktober des letzten Jahres verteidigt. Aber das klingt mir zu kühl – so als säßen der israelische Premierminister Netanyahu und ein paar böse Terroristen vor einem Schachbrett und es ginge nur darum, wer besser spielt.  

Im Krieg geht es nicht nur um die Frage der Schuld, nicht nur um Strategie oder Propaganda – es geht immer um Menschenleben. Ich kann verstehen, wieso so viele Menschen wollen, dass die Zivilisten in Gaza und im Libanon wieder ohne die ständige Angst vor dem Tod leben können – das ist menschliche Empathie und es würde mir Sorge bereiten, wenn die ganze Welt aufhören würde, mit anderen Menschen mitzufühlen. Doch mit jemandem mitzufühlen ist kein Synonym für „seine Seite ergreifen“.  

Wir sollten wieder anfangen eine Ambiguitätstoleranz aufzubauen: Ich kann wissen, dass Israel sich rechtmäßig verteidigt und es nicht „einfach so“ Frieden geben kann und ich kann gleichzeitig mit all den Opfern des Krieges mitfühlen. Kannst Du das auch? 

Obwohl in Deutschland heftig über die Schuldenbremse gestritten wird, scheint sich um uns herum niemand um die Höhe der Staatsverschuldung Sorgen zu machen. Die Welt, so berichtet in dieser Woche der Internationale Währungsfonds (IWF), hat einen historischen Höchststand der Staatsverschuldungen von 100 Billionen Dollar erreicht. Das sind 94 Prozentpunkten der globalen Wirtschaftsleistung. Vor der Corona-Pandemie 2019 betrug die Verschuldung noch 73 und vor 10 Jahren noch 62 Prozentpunkte. Der IWF rechnet in den nächsten Jahren mit einer Überschreitung der 100-Prozentmarke. 

Der Anstieg hat auch mit dem Anstieg der Zinsen zu tun. Seit dem Ende der faktischen Nullzinspolitik der amerikanischen Notenbank Fed im Jahr 2020 hat ein kontinuierlicher Zinsanstieg der Fed von 0,25 auf bis zu 5 Prozentpunkten stattgefunden. Dies hatte und hat Einfluss auf die Finanzierung von Krediten weltweit. Bis zum Jahr 2020 war das Schuldenmachen billig. Heute ist die Finanzierung dieser Schulden teuer. Hohe Schulden führen zur Destabilisierung insbesondere von Schwellenländern, weil sie häufig in Dollar verschuldet sind und einen immer höheren Anteil ihres Staatshaushaltes für die Finanzierung dieser Schulden aufwenden müssen. Aber auch Länder, die in der eigenen Währung verschuldet sind, bekommen ein Problem. In Japan, wo die eigenen Bürger die Staatsanleihen halten, führt dies zu einer jahrzehntelangen Wachstumsschwäche des Landes. Kapital fließt nicht in produktive Ressourcen, sondern in den wachsenden Konsum des Staates. Aber auch in Europa ist dieses Phänomen festzustellen. Die Eurozone ist derzeit mit 89 Prozentpunkten verschuldet, Spanien mit 109, Frankreich mit 111 und Italien mit 138 Prozentpunkten. Deutschland ist mit 64 Prozentpunkten fast schon der Primus, aber dennoch oberhalb des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozentpunkten. 

Würde Deutschland die Schuldenbremse aufgeben und die Verschuldung erhöhen, hätte das wahrscheinlich massive Auswirkungen auf die übrigen Euro-Staaten. Nicht nur das deutsche Rating würde sinken und damit die Finanzierungskosten des Staates erhöhen (aktuell 40 Mrd. Euro), sondern insbesondere das der höher verschuldeten Staaten. Deutschland erzeugt mit seiner Schuldenbremse eine Bremswirkung für den Anstieg der Zinsausgaben der höher verschuldeten Staaten in der Eurozone. Natürlich tragen auch die Schuldenregeln in der EU dazu bei, doch diese waren und sind leider nur ein stumpfes Schwert.  

In einer Welt, wo Kredite aus dem Nichts geschaffen werden können, gibt es nur wenige Maßnahmen, die die wachsende Verschuldung insgesamt reduzieren können. Verfassungsrechtliche Regeln sind das Eine. Ihre Grenzen erleben wir hierzulande oder auf europäischer Ebene. Sie funktionieren nur, wenn ein gesellschaftlicher Konsens herrscht, sie einzuhalten.  Ansonsten werden sie geschleift oder verändert. Die Schweiz kennt diesen Konsens, deshalb ist die staatliche Verschuldung niedrig. Italien kennt diesen Konsens nicht, daher ist die Verschuldung hoch. Deutschland ist ein wenig Schweiz und ein wenig Italien. Es gibt keinen breiten Konsens für das eine noch für das andere Modell.  

Eine andere Maßnahme, um der wachsenden Verschuldung zu begegnen, ist die Insolvenz von Staaten. Sie reduziert auf einen Schlag die Kreditmenge bei denjenigen Staaten, die ihre Verschuldung nicht mehr finanzieren können oder wollen. Sie setzen sich im Pariser Club mit den staatlichen Gläubigern und im Londoner Club mit den privaten Gläubigern zusammen und verhandeln über einen Gläubigerverzicht. Dieser ist immer mit hohen Auflagen für die Länder verbunden. Es führt auch dazu, dass überschuldete Staaten es schwer haben, an neue Kredite zu kommen. Aber sie sind sehr häufig auch der Ausgang für grundlegende Reformen. Das Beispiel des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei ist in jüngster Zeit sicherlich das radikalste Beispiel. Ohne in die argentinische Situation kommen zu müssen, sollten auch wir mehr Kettensäge gegen die wachsende Schuldenlast wagen! Es wäre gut für diese Welt. 

Die Landtagswahlen im vergangenen Monat wurden vorwiegend mit Themen bestritten, die vorwiegend oder ganz in den Bereich der Bundespolitik fallen: der Umgang mit Russland, Migration, Infrastruktur, Inflation. AfD und BSW sind vorneweg marschiert, und den anderen Parteien blieb irgendwann nichts anderes mehr übrig, als hinterher zu watscheln. Zumindest aus ihrer eigenen Sicht. Mit Landesthemen können man derzeit leider nicht gewinnen, scheint die Vorstellung der düpierten „Parteien der Mitte“.

Dabei hat man selber jahrelang an der Einschränkung des Spielraums der Bundesländer mitgewirkt. Für Geld vom Bund hat man sich verschiedenste Kompetenzen abkaufen lassen. Und mancherlei Felder hat man auch freiwillig aufgegeben, um die Schuld dann dem Bund zuschieben zu können. Durch diese Selbstkastration hat man den Ablenkungsmanövern der Populisten Vorschub geleistet. Gerade angesichts der ubiquitären Genervtheit durch die Ampel-Koalition wäre ein auf die Rückübertragung von Kompetenzen gerichteter Wahlkampf spannend geworden. Gerne auch mit einem zarten Hauch Populismus gewürzt: „Wenn die in Berlin das nicht können, dann machen wir das halt wieder.“