Eines der spannendsten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, ist „Not Born Yesterday: The Science of Who We Trust and What We Believe“ des französischen Kognitionswissenschaftlers Hugo Mercier. Er beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Frage, wie leicht Menschen verführbar und manipulierbar sind, und geht somit einem Narrativ auf den Grund, das im Zeitalter von Populismus und Extremismus besonders häufig verwendet wird. Dabei stehen seine Erkenntnisse oft quer zu den Intuitionen, die man zu diesem Themenkomplex hat – und die womöglich auch geprägt sind von beständig wiederholten Standarderzählungen. Kurz: der Mensch geht viel weniger auf den Leim als man denkt.
Eine Anekdote war für mich besonders lehrreich: Im Jahr 1969 kam in der Stadt Orleans das Gerücht auf, dass junge Mädchen in den Umkleidekabinen von Modegeschäften entführt und in die Zwangsprostitution gebracht würden; bald wurde auch noch eine antisemitische Komponente sichtbar. Das Gerücht erfasste die Stadt und in Windeseile das ganze Land. Aber am Ende hatte es nur die Funktion einer gut erzählbaren Geschichte und wurde nicht ernstgenommen. Das lässt sich daran erkennen, dass keiner sein Verhalten entsprechend umstellte. An den Taten von Menschen kann man in der Regel viel besser erkennen, wie ernst sie ein Problem wirklich nehmen, als nur an ihren Worten.