Photo: Daderot from Wikimedia Commons (CC 0)

Mit der heutigen Kolumne reiht sich unser Kollege Justus Enninga in die Reihe der regelmäßigen Kolumnisten ein. Seine Kolumne trägt den Titel „Brutus – neue Freiheit“ – im Folgenden erklärt er, warum.

Niemand würde heute mehr sein Kind Brutus nennen. Der Name ist viel zu sehr mit dem Mord an der Figur des legendären Feldherren, Staatsmannes, und Schriftstellers Gaius Julius Caesar verbunden. Der Name weckt vielmehr Vorstellungen von Heimtücke, Verrat und falscher Freundschaft. Dante sah Brutus in seiner Göttlichen Komödie sogar zusammen mit seinem Mitverschwörer Cassius und dem Inbegriff aller Verräter – Judas Ischariot – in der Hölle schmoren. Doch diese heute vorherrschende Assoziation mit dem Namen Brutus führt in die Irre. Sie sollte insbesondere von Freunden der Demokratie und Freiheit überdacht werden.

Denn der altrömische Name Brutus ist sowohl eng mit der Gründung der römischen Republik als auch mit deren vergeblicher Verteidigung an ihrem Ende eng verbunden. Dabei sind die Brutus-Gestalten nicht nur aufgrund ihrer historischen Bedeutung relevant. Vielmehr können die Geschichten der beiden Namensträger auch heute noch inspirieren, einen kritischen Blick auf die Allmacht des Staates zu lenken und eine neue Idee der Freiheit konstruktiv zu gestalten.

In der dreigeteilten Geschichte des antiken Rom – Königreich, Republik, Kaiserreich – ist Lucius Iunius Brutus die sagenumwobene Gestalt am Ende der ersten Epoche. Als Neffe des letzten etruskischen Königs stellte sich der gewitzte Brutus so lange dumm, um den Repressalien seines Onkels zu entkommen, bis die Gräueltaten des Monarchen dem Volk zu viel wurden. Nach zahlreichen Vorfällen willkürlicher Gewalt und der Vergewaltigung der Frau seines besten Freundes durch den Sprössling des Königs, lehnte sich Brutus mit seinen Mitstreitern gegen die Königsfamilie auf und verjagte die Monarchen ins Exil. Im Jahr 509 v. Chr. endete nach 244 Jahren die erste Epoche der römischen Geschichte, und Lucius Iunius Brutus wurde zum ersten Konsul der Res Publica Libera.

Fast 500 Jahre lang kann sich die Republik recht erfolgreich halten, allen Wirren zum Trotz. Als ihre Dämmerung langsam eintritt, spielt der Nachfahre des ersten Konsuls, Marcus Iunius Brutus, eine tragische Rolle. Er kann nicht nur den Republikgründer Brutus zu seinen Vorfahren zählen, sondern ist auch eng mit seinem Onkel, dem berühmten römischen Senator Cato dem Jüngeren verbunden, der ihm an Vaters statt beisteht und zum Mentor wird. Die republikanische Gesinnung, die nicht nur dem Geschlecht, sondern auch seiner Ausbildung innewohnte, führte Brutus in die Schlachten des Bürgerkriegs, den Caesar auslöste, als er den Rubikon überschritt. Nach der Niederlage der republikanischen Truppen zerstörte sich fast jede Hoffnung auf den Erhalt der Republik, als sich Caesars im Jahr 44 v. Chr. zum Diktator auf Lebenszeit ausrufen ließ. In der letzten Hoffnung, dass sich die Republik noch einmal erheben würde, schlug Brutus an den Iden des März zu und tötete den Tyrannen.

Die Geschichte der beiden Brutus mögen aus der Antike stammen: in den heutigen Debatten können sie dennoch den Freunden der republikanischen Freiheit zwei wichtige Lehren mitgeben. Sowohl der alte als auch der junge Brutus setzten sich gegen staatliche Willkür und unangemessene Anwendung von Zwang durch die öffentliche Gewalt ein. Nach der Vertreibung der römischen Könige schwört der alte Brutus zusammen mit anwesenden Bürgern auf eine neue Freiheit: „Ein Volk begierig nach der neuen Freiheit“ („avidum novae libertatis populum“) solle nie wieder einen König und seine Willkürherrschaft in Rom erlauben.

So wie die Römer vor 2500 Jahren den Begriff Freiheit neu erweckten, müssen auch wir immer wieder darüber nachdenken, wie sich der uralte Wunsch der Menschen nach Freiheit mit neuem Leben füllen lässt: Armut in der Dritten Welt lässt sich durch echten Freihandel bekämpfen, ein offeneres Einwanderungssystem kann die Chancen globaler Migration aktivieren und die Herausforderung des Klimawandels braucht Instrumente des freien Marktes, um echte Veränderung zu ermöglichen. Es erfordert Mut, sich auf die „neue Freiheit“ einzulassen: Mut zu neuen Ideen, unbegangenen Pfaden und dazu, sich dem Gegenwind derjenigen entgegenzustellen, die die alte Sicherheit versprechen.

Auch der jüngere Brutus gibt Stoff zum Nachdenken. Denn der Wunsch nach einer neuen Freiheit kann nicht nur Kritik an staatlicher Macht bedeuten. Der Tyrannenmörder bestand an den Iden des Märzes darauf, keinen Plan für die Nachfolge Caesars zu regeln – er war der Überzeugung, dass sich die Republik von allein neu erheben würde. Doch mit dem anschließenden, blutigen Bürgerkrieg und dem Sieger Octavian, der sich später Augustus nennen sollte, löste das Attentat auf Caesar nicht das Problem. Vielmehr war es der Todesstoß für die Republik und der Beginn des römischen Kaiserreichs. Daraus müssen wir lernen, denn meist verläuft die politische Debatte ähnlich. Es wird nach dem Ende einer Regierung geschrien und politische Gegner werden in destruktiver Kritik ertränkt. Die Geschichte des Brutus zeigt uns aber, dass wir uns nicht darauf beschränken dürfen, eine Herrschaft zu beenden – die Alternativen sind meist noch schlimmer. Stattdessen müssen wir mit einer konstruktiven Idee werben, die wir als realistische Alternative in die Debatten einbringen können. Kritik am Staat und die Idee einer neuen Freiheit müssen verbunden werden mit glaubhaften inhaltlichen Alternativ-Vorschlägen.

Die Geschichte der beiden Brutus‘ und ihre Bedeutung für die aktuellen Debatten soll den Namen für die liberale Sache rehabilitieren: Erstens steht Brutus nicht für Heimtücke und Verrat, sondern für das Aufbegehren gegen staatliche Willkür und Zwang. Zweitens soll der Name Brutus zeigen, dass der Freiheitsbegriff immer wieder mit neuem Leben gefüllt werden muss. Dass die Verteidiger der freien Gesellschaft immer wieder mit konstruktiven Alternativen, statt ausschließlich mit destruktiver Kritik aufwarten müssen. Mut, Ausdauer, Prinzipienfestigkeit und Fantasie– das sind die römischen Tugenden, die die neue Freiheit auch heute braucht.

2 Kommentare
  1. Benedikt Koehler
    Benedikt Koehler sagte:

    Brutus ist ein Beispiel, dass ein Politiker sich nicht durchsetzt, nur weil er glaubwuerdig ist.

    Er muss auch gut argumentieren und in der Oeffentlichkeit als guter Redner auffallen.

    Das roemische Volk hoerte nicht Brutus, sondern auf Markus Antonius, den Demagogen.

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  2. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Die Menschheit wird durch die Geheimreligion des Kapitalismus jedoch in Wirklichkeit versklavt.

    Mit der römischen Geschichte kenne ich mich nicht so gut aus.

    Was den Verräter Judas betrifft, bin ich davon überzeugt, dass die Bibel Prophezeiungen enthält. Nicht nur die Offenbarung des Johannes, sondern auch die Evangelien sind eine verschlüsselte Prophetie. Judas ist jemand im engeren Kreis der Jünger, mit dem „Jesus das Glas erhebt“. Das Heilige Abendmahl, bei dem wir ein historisches Ereignis vermuten, sind in Wirklichkeit etwa auch die Lästerworte des Lamms gemäß Offenbarung 13.

    Es gibt eine Parallele zum Mithraismus.
    Mithras hielt mit zwölf seiner Anhänger ein letztes Abendmahl, bevor er starb, begraben wurde und auferstand von den Toten.

    Die Zahl 12 steht nicht so sehr für eine bestimmte Anzahl von Jüngern. Vielmehr symbolisiert die Zahl 12 irgendwo das Ende des Heidentums. Gleichzeitig steht die Zahl 13, wie etwa bei Offenbarung 13, für den Neubeginn.

    Bei der Kreuzigung auf Golgatha spricht vieles dafür, dass diese ebenfalls in verschlüsselter Form ein Ereignis in der Zukunft beschreibt. Mit diesem Hintergrund ist der Verrat des Judas möglicherweise nicht dermaßen negativ zu bewerten.

    Wikipedia zum Judasevangelium:
    Irenäus von Lyon setzte sich um 180 n. Chr. mit dem Buch auseinander und distanzierte sich von der Aussage, Jesus habe Judas um den Verrat gebeten, um von seiner körperlichen Hülle befreit zu werden.

    Ob die Bibel aber nun tatsächlich die Zukunft kennt oder nicht, soll jedoch nicht Gegenstand dieser Diskussion sein.

    Was den Klimawandel betrifft, sehe ich diesen zumindest sehr wahrscheinlich nicht als die Folge des zu hohen CO2. Vielmehr ist es doch offensichtlich, dass sehr viel Natur zerstört wird.

    Wo es aber immer weniger Natur gibt, da gibt es insofern auch weniger Niederschläge.

    Was den Freihandel betrifft, soll dieser vermutlich die wirtschaftliche Entwicklung verbessern. Allerdings ist es bei der heutigen Marktwirtschaft nicht der Fall, dass es bei dieser einen Tausch mit Geldwerten gibt, weil Fiatgeld auch ohnehin keine Schnittstelle zur Realwirtschaft hat.

    Bei der Betrachtung der Funktionsweise der heutigen Marktwirtschaft müssen wir vielmehr darüber nachdenken, wie Geld entsteht. Bekanntlich entsteht Geld als Schuld bei den Banken, die das Geld aus dem Nichts verleihen.

    Insofern könnte man es behaupten, dass Geld eine Schuld ist. Jedenfalls funktioniert unsere heutige Marktwirtschaft mit immer mehr (u.a. auch sozialisierten) Schulden, die die unheilige Allianz zwischen Politik und Banken irgendwo ständig künstlich generiert, aber diese immer schneller ansteigenden Schulden lassen sich später fast gar nicht mehr abbauen. Diese hohen Schulden sind die spiegelbildlichen Profite. Ebenso benötigt man doch auch Schulden um zu sparen, weil Sparen nur mit Verschuldung von anderen Personen funktioniert.

    Bekanntlich kann es ohne Schulden insofern auch kein Geld geben. Aber es sind doch weltweit wenige Ultrareiche, die mehr Vermögen besitzen als die halbe Weltbevölkerung.

    Wer mit Geld bezahlt, der tauscht nicht. Vielmehr suchen sich bei unserem heutigen Wirtschaftssystem wenige große Akteure der Wirtschaft immer neue Anschlusschuldner, weil das viele Geld, das sie ständig einzunehmen versuchen, für alle anderen Personen eine später meist nicht mehr abbaubare Schuld ist.

    Was aber bei der Freihandelsidee ganz sicher richtig ist, das ist die Tatsache, dass Zölle oder Grenzen mit einer funktionierenden Wirtschaftspolitik nicht vereinbar sind.

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