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Welche Rolle bleibt einem liberalen Pazifisten in Kriegszeiten?

Krieg ist selbst für den Sieger ein Übel

Ich verabscheue den Krieg. Und alles was damit zu tun hat: Nationalismus, Militarismus, Hass, und am Ende immer Tod und Leiden. Ich bin Liberaler aus tiefster Hingabe zur menschlichen Einzigartigkeit. Und die gerät im Krieg immer als erste unter die Räder. Denn Krieg ist die Ausgeburt des Kollektivismus, das Ergebnis „gedanklicher Wahnbilder“, wie mein Kollege Clemens Schneider an dieser Stelle zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine schrieb. Wahnbilder wie der „völkischen Überlegenheit“ oder des Großmachstrebens, die keine Individuen kennen, sondern nur das gesichtslose Kollektiv. Krieg ist so fundamental falsch, dass er selbst „für den Sieger ein Übel“ ist, wie Ludwig von Mises schrieb. Und trotzdem bin ich der Meinung, dass die freie Welt die Ukraine mit allem unterstützen sollte, was sie benötigt – auch mit Waffen.

Ein robuster Pazifismus

Was bedeutet eine pazifistische Überzeugung in Kriegszeiten? Wenn die eigene Einstellung von der brutalen Grausamkeit eines Kriegsverbrechers und seines Regimes eingeholt wird. Diese Frage stellen sich gerade sicherlich viele Menschen, die fassungslos auf den größten Krieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges schauen. Ist es ein Dilemma, davon überzeugt zu sein, dass Krieg das Schlechteste am Menschen ist und in ihm hervorbringt, und gleichzeitig die Verteidiger einer freien Ukraine mit allem unterstützen zu wollen – auch mit Angriffswaffen?

Nein, denn ein unbedingter Pazifismus – wenn auch nachvollziehbar – war schon immer zum Scheitern verurteilt. Ideen müssen sich nämlich stets daran messen lassen, wie „robust“ sie sind, das heißt: wie gut sie die aus ökonomischer Sicht grundlegenden menschlichen Imperfektionen moderieren können. Diese sind, dass wir nur über begrenzte Informationen verfügen, und dazu neigen, uns opportunistisch zu verhalten, also ohne Rücksicht auf Verlust auf den eigenen Vorteil bedacht. Letzteres bedeutet, dass es Regeln braucht für unser Zusammenleben und jemanden, der diese Regeln durchsetzt. Zwar hat sich Weltgemeinschaft mehrfach darauf verständig, Angriffskriege wie denjenigen Putins gegen die Ukraine, zu ächten, doch gibt es auf internationaler Ebene keinen wirkungsvollen Durchsetzungsmechanismus. Erst recht nicht gegen ein atomar bewaffnetes ständiges Mitglied im formell dafür zuständigen UN-Sicherheitsrat.

Das bedeutet: auch wenn die Argumente für einen bedingungslosen Pazifismus aus liberaler und humanistischer Sicht nachvollziehbar sind, so sind sie doch nicht robust. Wer die Ukraine jetzt im Stich lässt, der signalisiert skrupellosen Despoten, dass ihre Verbrechen kaum Konsequenzen haben. Und dabei geht es nicht einmal um den selbstverständlich immer im Raum stehenden Systemkonflikt offene Gesellschaft gegen ihre Feinde. Putin und seine Generäle haben Plünderung, Vergewaltigung und Mord über ein fremdes Land ausgegossen. Wer die Ukraine verteidigt, der verteidigt zuvorderst die Ächtung des Krieges.

Unterstützung ist notwendig und gerechtfertigt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der liberale Pazifist keine wichtige Rolle in dieser Situation hat.

Was bleibt dem liberalen Pazifisten in Kriegszeiten?

Der liberale Pazifist muss, so grotesk es auch klingt, in Kriegszeiten die Menschlichkeit hochhalten. Er muss dem unvermeidbaren Jubelgeheul über getötete gegnerische Soldaten, abgeschossenen Flugzeuge und Panzern entgegentreten. Denn hier sterben Menschen. Väter, Freunde, Söhne, Ehemänner – blutjunge Wehrdienstleistende, deren Traum es mit Sicherheit niemals war, im Auftrag eines Psychopathen mit Großmachtfantasien zu sterben. Jedes auf Twitter gefeierte Video vom Erfolg ukrainischer Streitkräfte bedeutet auch Leiden, das sinnlose Ende eines unvollendeten Lebens. Ja, es sollte unser Ziel sein, den Invasoren mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten. Aber das sollte niemals bedeuten, den Tod der Gegner zu feiern. Jedes Menschenleben, auf beiden Seiten, das das Putin-Regime auf dem Gewissen hat, ist eine Tragödie. In jedem Fall angebrachte Verachtung für das gegnerische Regime und dessen Wertelosigkeit darf nicht in Menschenverachtung umschlagen.

Und wenn diese Tragödie hoffentlich bald ein Ende hat, ist es die Aufgabe des liberalen Pazifisten, die Errungenschaften einer auf Rechtsstaatlichkeit fußenden Zivilisation hochzuhalten. Das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ erscheint nach den Bildern aus Butscha, Kramatorsk und hunderten weiterer ukrainischer Tatorte russischer Kriegsverbrechen emotional als das einzig Richtige. Aber es ist es nicht. Der größte Sieg für die Zivilisation wäre ein in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Kriegsverbrechen angeklagter Wladimir Putin. Die Zivilisation muss dem Barbarischen mit den ihr eigenen Mitteln Einhalt gebieten. Dieser Weg kann der Ukraine zwar nicht von außen aufoktroyiert werden, aber er kann frühzeitig gefördert und unterstützt werden.

Ein Weg zurück in die Weltgemeinschaft

Letztendlich bedeutet das auch, dass einem neuen friedlichen Russland der Weg zurück in die Weltgemeinschaft erlaubt sein muss. So schwer vorstellbar es heute scheint: selbst ein Land, das einen grausamen Angriffskrieg führt, darf nicht auf ewig ins Büßergewand gezwungen werden. Denn am Ende können nur freier Handel, offene Staatsgrenzen und Teilhabe die inneren Mauern einreißen, die von einem nur auf den eigenen Machterhalt ausgerichteten Regime aufgebaut wurden. Dass das auf fruchtbaren Boden fallen könnte, zeigen die brutal unterdrückten aber trotzdem immer wieder aufblitzenden russischen Oppositionsbewegungen.

Dafür bedarf es allerdings auch einer umfassenden Aufarbeitung der europäischen Politik der letzten zwei Jahrzehnte. Denn das heutige Ausmaß an Macht, Skrupellosigkeit und finanzieller Ausstattung konnte das Putin-Regime nur mit der grotesken Rückendeckung durch europäische Regierungen erreichen. Alles, Rohstoffabhängigkeit, Zaudern bei offensichtlichen Völkerrechtsverletzungen und fadenscheinige Investitionsförderungen sind krassestes Politikversagen. Und hoffentlich eine Lehre für die Zukunft, dass wirtschaftliche Öffnung und Hinterzimmerdeals zwischen Putin und seinen Politiker-Kumpels nicht das gleiche sind.

11 Kommentare
  1. Ger van Gils
    Ger van Gils sagte:

    Sie scheitern als liberale Pazifist. Sie sind sich da so sicher über wer Schuld hat und wer ein Verbrecher ist, dass es nie zu eine Versöhnung du Frieden kommen könnte, folgte man ihre Meinungen. Schon viele Experten in Internationale Politik und Recht (z.B. Joh Mearsheimer, George Kennan, Stephen Cohen) haben deutlich gemacht dass das Westen Rusland in einem Krieg provoziert hat. Und jetzt, nach zwei Monaten, hat keinen im Westen ein ernster Versuch unternommen die Parteien zusammen zu bringen und ein Abkommen her zu stellen. Man schickt nur immer mehr Waffen.

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      • Gerhard W. Barmeier
        Gerhard W. Barmeier sagte:

        Clemens Schneider hat Recht. Kein Land der ehemaligen Sowjetunion ist gegen seinen Willen vom Westen eingenommen worden. Die letzten Jahrzehnte waren geprägt durch Entspannung und Wandel durch Handel. Dieser Angriffskrieg zeigt wieder einmal, dass die „Friedensdividende“ eher ausgegeben als sie verdient wurde. Die grundsätzliche Wehrfähigkeit hätte erhalten bleiben müssen. Was geschieht, wenn man sie im Vertrauen auf Zusagen potentieller Gegner, aus welcher Richtung sie auch immer kommen mögen, erlebt gerade die Ukraine. Kein Recht der Welt erlaubt einen Angriffskrieg auf einen souveränen Staat. Die Ukraine -und wir alle- haben es Putin mit der Krim zu leicht gemacht. Dies ist die Quittung.

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  2. Ralf Orth
    Ralf Orth sagte:

    Die Vermischung von Liberal ( was wird da eigentlich hier gemeint? ich habe den Eindruck hier bewegt sich das zum Linksliberalen Spektrum hin und nicht in Richtung Libertär!) Schon die Einordnung der aktuellen Regierungsformen in Festlandschina und Russland ist. Es setzt voraus, dass ale Völker unsere „westliche“ Sichtweise für die richtige halten,, steckt da nicht schon eine Portion Arroganz drin?

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  3. Alexander Dill
    Alexander Dill sagte:

    Es bleibt dann noch die Frage, wo der liberale Pazifist war, als die ukrainische Armee 2014 mit schweren Waffen die abtrünnigen Rebellen im Donbass angriff, die die Rathäuser, Polizeistationen und Kasernen ohne größere Gewalt besetzten, in der Hoffnung, die Wahlen in ihrer Region würden anerkannt und sie – wie die Krim – friedlich gen Russland führen. Etwa 5000 Zivilisten starben bei diesen Angriffen, für die nationalistische Einheiten aus anderen Teilen der Ukraine eingesetzt wurden, da die örtlichen Einheiten desertierten. Laut UNHCR flohen über eine Million Menschen aus der Region, überwiegend nach Russland.

    Die Krim erklärte sich übrigens bereits 1992 für unabhängig, acht Jahre vor Putin. Dennoch würd diese Sezession bis heute als Annexion der Krim bezeichnet. So, wie die Sowjetunion die Unabhängigkeit zahlreicher Staaten hinnehmen musste, hätte auch die Ukraine zumindest Wahlen zulassen und anerkennen müssen.

    Dann hätten die Bewohner des Donbass dafür stimmen können, dass ihre Muttersprache abgeschafft wird und sie dauerhaft in einem Land leben, in dem sie nur ein Drittel des Lohnes wie in Russland erhalten und das – anders als Russland – seinen Bürgern keine öffentlichen Dienste außer Armee und Krieg bietet,

    Der Handel der Ukraine mit der EU ist seit 2014 nicht gestiegen, sondern zurückgegangen. Nun soll die EU – und da hauptsächlich Deutschland – für die verfehlte Politik der Ukraine bezahlen

    Die Ukraine hat durch diesen Krieg etwa 20% ihres Staatsgebietes verloren, mehrere Millionen Einwohner und hat Brücken im Wert von Milliarden gesprengt, damit was?

    Der hier gelobte Widerstand der Ukraine bringt nicht den geringsten politischen und wirtschaftlichen Vorteil.

    Die verbleibend Ukraine wird eine korrupte US-Militärkolonie bleiben, stets bedroht durch die Rüstungsspirale. Und sie wird nicht auf den grossen Teil der ukrainischen Bevölkerung bauen können, dem es nichts ausgemacht hätte, unter russischer Besatzung zu stehen – so, wie die deutsche „Verteidigungsministerin“ am Randes Podiums im US-Stützpunkt Ramstein saß, während in der Mitte zwei US-Generäle erklärten, wie sie die Atommacht Russland angreifen und „stoppen“ können.

    Nun, die Afghanen haben zwanzig Jahre benötigt, um die Besatzer zu vertreiben.

    Die Deutschen benötigen wahrscheinlich 100 Jahre.

    Übrigens bedauerten die Japaner bei dem Besuch von Scholz, selbst leider nicht am Krieg teilnehmen zu können, da dies ihre Verfassung verbiete.

    Die Ampel hat nur Glück, dass Deutschland kein Rechtsstaat mehr ist, sondern sie beliebige Ausnahmeverordnungen für sich in Anspruch nimmt, die keiner Volksabstimmung standhielten.

    Die Unterstützung der Ukraine in diesem Konflikt ist nur noch kollektiver Wahnsinn, vergleichbar mit 1914, wo bis heute nicht erklärt werden kann, warum wegen der Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch einen serbischen Attentäter Deutschland gegen Frankreich in den Krieg zog.

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  4. Eva Demmerle
    Eva Demmerle sagte:

    Es zeigt sich wieder einmal, dass viele Liberale weder Ahnung von Aussenpolitik noch von der Geschichte Mittel- und Osteuropas haben. Aggressoren werden sich von diesen theoretischen Überlegungen nicht beeindrucken lassen. Und manchmal muss man halt – wenn man die Freiheit verteidigen will, auch als Pazifist zur Waffe greifen. Im übrigen gilt: Si vis pacem, para bellum.

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  5. ANTI-Maulhelden
    ANTI-Maulhelden sagte:

    Clemens Schneider und Hartjen sind liberalalale Militaristen. Zwei Kollektivisten die nur vom individualismus labern aber nach Etatismus stinken. Der ganze Artikel ist Dreck. Leider auch der zuvor vom Schneiderlein. Geht gefälligst in den Krieg ihr zwei sofahelden und predigt nicht den Weltkrieg.

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    • Clemens Schneider
      Clemens Schneider sagte:

      Sehr geehrter Herr ANTI-Maulhelden,
      Wenn Sie gerne anderer Leute Nachnamen verballhornen, sollten Sie wenigstens Ihren eigenen offenbaren.
      Etatismus ist mir schon lange nicht mehr vorgeworfen worden. Wie erfrischend.
      Wo übrigens noch mehr Etatismus und Kollektivismus herrscht, ist im Putin-Imperium. Aber ich bin mir sicher, dass Sie eine herausragende Idee haben, wie man dessen Übergriffigkeit ohne Waffen einhegen kann. Ebenso wie die des Xi-Imperiums. Teilen Sie Ihre Weisheiten doch mal mit uns!

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