Photo: Werdersen from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Das Ende der Geschichte, das 1989 angekündigt wurde, ist noch nicht gekommen. Und doch haben die Ereignisse damals die Welt zu einem sehr viel besseren Ort gemacht und uns gezeigt, was auf dem Weg dahin wichtig ist.

Jeans, Biermann, Punk und Kirchen haben die Mauer zu Fall gebracht

Als Francis Fukuyama im Sommer 1989 vom „Ende der Geschichte“ schrieb, musste er viel Prügel einstecken für seine vorgeblich blauäugige Darstellung. Die einen wiesen darauf hin, dass mit dem Ende des Kalten Krieges der Ausbruch des viel dramatischeren „Kampfes der Kulturen“ erst bevorstehe. Andere hielten seine Darstellung der Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie für zu unkritisch. Und wieder andere wollten später in Ereignissen wie dem 11. September und der Finanzkrise die ultimative empirische Widerlegung seiner Thesen erkennen. Doch wenn man den Artikel heute noch einmal liest, muss man feststellen, dass dort viele bedenkenswerte Ideen zu finden sind und viele Vorwürfe gegen ihn ins Leere gehen.

Ein wesentliches Argument des amerikanischen Politikwissenschaftlers ist, dass kulturelle Faktoren eine enorme Rolle bei Veränderungen spielen. So bedeutsam die Rolle politischer Akteure bei dem friedlichen Übergang um das Jahr 1989 herum auch war – der Funke zur Veränderung kam woanders her: Er kam aus der religiösen Verwurzelung im katholischen Polen und in den Kernlanden der deutschen Reformation. Er kam aus dem Bruce Springsteen-Konzert in Ost-Berlin im Jahr vor dem Mauerfall und entsprang aus den Federn Wolf Biermanns, Václav Havels und György Konráds. Ohne West-Fernsehen, Jeans und Punk hätten womöglich auch die Rollen und Drehbücher von Gorbatschow, Krenz und Kohl sehr anders ausgesehen.

Die Zeit der Helden ist vorüber

Die Verbreitung von Werten und Ideen durch die Kultur ist für Fukuyama ein entscheidender Faktor auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Wandel. Ganz anders sehen das durch die Zeiten hinweg die Anhänger des Historischen Materialismus. In den Worten Friedrich Engels‘: „Die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen sind zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche.“ In Übereinstimmung mit Fukuyama bringt Friedrich August von Hayek die freiheitliche Tradition dagegen in Stellung: „Die Überzeugung, dass auf lange Zeit gesehen Ideen und daher die Menschen, die neue Ideen in die Welt setzen, die Entwicklung bestimmen, hat seit langem einen wesentlichen Bestandteil der liberalen Anschauung gebildet.“ Mit anderen Worten: Der „real existierende Sozialismus“ krankte an einer maroden Ökonomie, aber er starb an der Erosion seiner moralischen Legitimität.

Das westliche System war attraktiv, weil es nicht das ganze Leben einem Ziel unterordnete: dem Produktionsfortschritt oder der Revolution. Weil es weder Opfer forderte noch Hingabe. Die Idee, dass jeder seine Ziele verfolgen könne und die zunehmende Realisierung dieses Versprechens war so viel anziehender als die leeren Parolen der sozialistischen Führungen. Dabei war anders als im materialistischen Weltbild des Sozialismus nicht der Wohlstand als solcher für die Menschen attraktiv, sondern die Optionen und Chancen, die er bietet; die Möglichkeit für sich selber zu leben anstatt für etwas oder jemand anderen. Etwas süffisant beschreibt Fukuyama, was der Wesenskern dieser westlichen Welt ist: „diese verweichlichten, prosperierenden, selbstzufriedenen, selbstbezogenen, willensschwachen Staaten, deren größtes Projekt nichts Heroischeres war als die Erschaffung eines gemeinsamen Marktes.“ Hier „sind alle früheren Widersprüche gelöst und alle menschlichen Bedürfnisse befriedigt. Es gibt keine Kämpfe und Auseinandersetzungen mehr über die ‚großen Fragen‘ und folglich auch keinen Bedarf mehr an Generälen oder Staatsmännern – übrig bleibt vor allem wirtschaftliche Tätigkeit.“ Klingt das nicht wie ein Traum?

The world is closing in

Das Ende der Geschichte bedeutet in dieser Deutung vor allem, dass die Beschäftigung mit dem Politischen abnimmt. Es geht nicht mehr darum, wer die Macht innehat, wer gut ist und wer böse, sondern es geht schlicht um persönliche Vorteile und Selbstverwirklichung. Man strebt nicht mehr nach dem Opfer des Helden, sondern nach dem Gewinn des Unternehmers. Linke Klassenkämpfer, rechte Kulturkämpfer und radikale Islamisten verachten und hassen diese Welt, sie wollen sie zerstören. Denn sie ziehen ihren Lebenssinn aus dem bedingungslosen Kampf für ihre Ideologien. Darum bekämpfen sie das Ende der Geschichte. Die freiheitliche Haltung, die sich im Westen über Jahrhunderte entwickelt hat, steht diesen Vorstellungen diametral entgegen. Ihr Ziel ist das Ende der Kriege und die Rückkehr der Helden in ihre Geschäfte und Häuser. Konflikte sind für sie nicht Lebenselixier, sondern Hindernisse auf dem Weg zu einer besseren Welt.

Das heißt freilich nicht, dass diese Menschen keine Ideale haben – ganz im Gegenteil! Keine rumänische Dissidentin, kein polnischer Gewerkschafter, kein deutscher Pfarrer und keine litauische Soldatenmutter hätten ihren Kampf so konsequent durchhalten können ohne ein außergewöhnlich hohes Maß an Idealismus. Doch richtete sich ihr Bemühen auf ein Phänomen, das den Markt so wohltuend von der Politik unterscheidet: Dass es nicht Gewinner und Verlierer gibt, sondern dass alle Beteiligten Gewinner sind. Ihr Ideal war nicht eine Welt, wo sie endlich über die anderen herrschen würden, sondern wo jeder über sich selbst bestimmen kann. Dieser Traum, das Ende der Geschichte, ist auch mit den Ereignissen um 1989 nicht vollständig wahr geworden, aber Schritt für Schritt kommt man ihm näher. Nach dem realen Freiheitsgewinn für die Menschen in unserem Land und bei unseren europäischen Partnern von Estland bis Bulgarien ist das Wertvollste, was wir von 1989 mitnehmen und bewahren sollten, der Optimismus und die Zuversicht, dass eine bessere, friedlichere und freiere Welt möglich ist. Denn genau dieser Glaube hat Mauern zum Einstürzen gebracht. In den Worten der Band „Scorpions“ aus dem Jahr 1989:

The world is closing in
Did you ever think
That we could be so close, like brothers
The future’s in the air
I can feel it everywhere
Blowing with the wind of change
Take me to the magic of the moment
On a glory night
Where the children of tomorrow dream away
In the wind of change

 

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