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Schon vor 250 Jahren sahen sich freiheitliche Ideen mit dem Vorwurf konfrontiert, den Egoismus zu befördern und unsolidarisch zu sein. Gerade Adam Smith wurde oft zum Kronzeugen dieses Zerrbilds gemacht. Dabei eignet er sich dafür wahrhaft nicht.

Die Schotten: optimistisch und pragmatisch

Wann der „Vater der Wirtschaftswissenschaften“ genau geboren wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Doch heute vor 194 Jahren ließ ihn seine Mutter, die zwei Monate zuvor ihren Ehemann verloren hatte, im schottischen Kirkcaldy taufen. Smith wurde in eine Welt hinein geboren, die sich im raschen Umbruch befand, gewissermaßen die erste Globalisierung der Neuzeit. Technische Neuerungen und der steigende Welthandel, Verstädterung und verhältnismäßige friedliche Zeiten führten zu einem Wohlstandsboom in Europa. Mit am stärksten profitierte davon Großbritannien mit seiner zunehmenden Zahl an Handelsniederlassungen und Kolonien. Mit der „Glorious Revolution“ von 1688 war dort auch eine politische Stabilität verankert, die damals ihresgleichen suchte.

In dieser Zeit, die nicht mehr nur den Mächtigen und Reichen Hoffnung schenkte, sondern jedermann, entwickelte sich auch die Idee der Aufklärung, deren vornehmste, wenn auch nicht bekannteste Variante sich in Schottland finden ließ. Der kulturelle Kontext, in dem Smith und seine Mitstreiter ihre Ideen formulierten, war eine aufstrebende Gesellschaft. Schottland begann gerade aufzuholen und blickte mit Abenteuerlust und Zuversicht in die Zukunft. Zugleich standen die Menschen im Land noch mit beiden Beinen auf dem Boden und hatten einen Sinn für das Praktische. Den Satz „alles Leben ist Problemlösen“, den der Philosoph Karl Popper einmal formulierte, hätten die Schotten des 18. Jahrhunderts wohl sofort unterschrieben.

Der Erzkapitalist als Moralapostel

Es ist also nicht sehr verwunderlich, dass Adam Smith „Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Wohlstands der Nationen“ verfasste. Wie war es dazu gekommen, dass sich die Situation für ihn so sehr verbessert hatte im Vergleich zu seinen Eltern oder Großeltern? Wie konnte man diese Entwicklung aufrechterhalten und befördern? Mit der Beantwortung dieser Fragen legte Smith den Grundstein für die Wirtschaftswissenschaften von heute: Er beschrieb das Phänomen der Arbeitsteilung. Er legte dar, wie Tausch- und Kaufgeschäfte beiden Seiten nutzen. Er warnte vor der Gefahr von Protektionismus, zu viel Regulierung und zu hohen Steuern. Und er begründete, warum ein Staat sich auf seine Kernaufgaben beschränken sollte, wenn er der Wohlstandsmehrung nicht im Weg stehen will.

Meistens wird Smith auf dieses eine Werk beschränkt – gerne auch in der verkürzten Version des Titels „Der Wohlstand der Nationen“. Das wirkt dann in der Tat ein bisschen wie das neueste Buch von Carsten Maschmeyer. Berühmt wurde Smith aber gar nicht mit diesem Buch, sondern mit seinem ersten großen Hauptwerk „Die Theorie der ethischen Gefühle“. Wie sein Lehrer Frances Hutcheson war Smith Philosoph geworden und hatte ausgiebig danach gefragt, was der Ursprung unseres moralischen Verhaltens ist. Hutcheson ging von einem moralischen Sinn in uns aus, einer Art Gewissen. David Hume führte es darauf zurück, dass es uns nutzt, wenn wir uns moralisch verhalten. Smith wählte eine dritte Erklärung, die er in seinem Buch ausführlich darlegt: Für ihn lag der Ursprung in unserer Fähigkeit und Neigung zur Sympathie.

Der Mensch ist wie ein Wolf – ein Rudelwesen!

Eine ganz zentrale Rolle spielte bei Smith wie auch bei dem nur wenige Tage nach ihm geborenen Philosophen Adam Ferguson die Vorstellung, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Dass wir also auf Gemeinschaft und insbesondere Kooperation ausgelegt sind. Die von ihm beschriebenen Phänomene wie Arbeitsteilung und Tausch sind Ausdruck dieser urmenschlichen Neigung, Probleme gemeinsam zu lösen. Wir achten auf unsere Mitmenschen, wir reagieren auf ihre Gefühle wie auch auf die Dinge, die ihnen passieren. Wir freuen uns und leiden mit ihnen, wir teilen ihre Sorgen und ihre Hoffnungen. Smith schrieb einst, dass der Bäcker sein Brot nicht produziert, weil er den Kunden so gern hat. Doch diese Beschreibung des Eigeninteresses ist eben nur die eine Hälfte seiner Theorie über menschliches Verhalten. Die andere lautet, dass derselbe Bäcker auf die Probleme seiner Kunden nicht nur deshalb mit Mitgefühl reagiert, weil er befürchtet, einen Geschäftspartner zu verlieren, sondern weil er ein genuines Interesse an ihnen als Personen hat.

Die realistische und zugleich optimistische Perspektive macht die schottische Aufklärung so besonders. Dagegen neigte die französische Aufklärung immer wieder dazu, in grenzenlosem Optimismus den Menschen zu überschätzen, während viele konservative Denker ihr mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten des Menschen gerne als Realismus ausgegeben haben. Die Schotten wussten um die Grenzen des Menschen, aber sie blickten voller Zuversicht auf seine Entwicklungsfähigkeit. Seit den Tagen Adam Smiths und seiner Freunde ist klar: die freiheitliche Einstellung, der Liberalismus, ist diejenige Weltanschauung, die das positivste Bild vom Menschen hat. Sie glauben an das Gute im Menschen und an seine Fähigkeit, die Welt für sich und andere immer besser zu machen.

Das letzte Wort sei dem Jubilar überlassen, der zu Beginn seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ so treffend fomulierte:

Wie liebenswert erscheint derjenige, dessen mitfühlendes Herz gleichsam widerhallt von all den Empfindungen jener Personen, mit denen er verkehrt, der bekümmert ist über ihre Bedrängnisse, der die ihnen zugefügten Kränkungen selbst übelnimmt, und der Freude empfindet über ihr Glück. … Und so kommt es, dass, viel für andere und wenig für uns selbst zu fühlen, unseren egoistischen Neigungen im Zaune zu halten und unseren wohlwollenden die Zügel schießen zu lassen, die Vollkommenheit der menschlichen Natur ausmacht, und allein in der Menschheit jene Harmonie der Empfindungen und Affekte hervorbringen kann, in der ihre ganze Würde und Schicklichkeit gelegen ist.

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