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Weltmeisterschaftstitel sind etwas Fantastisches. Als Deutschland 2014 Fußballweltmeister wurde, hätte ich am liebsten mein gesamtes Kinderzimmer mit Mario Götze Postern austapeziert. Neben dem WM-Pokal von 2014 steht allerdings auch ein weitaus wenig beachteter Pokal in Deutschlands Trophäenschrank: Der Exportweltmeister-Titelpokal; verliehen von der gesamten Welt für die großartigen Produkte Made in Germany. Die Aussicht darauf, diesen inoffiziellen Titel bald einmal wiederzuerlangen, müssen wir aufgeben, denn seit Mai 2022 haben sich erstmals die Winde gedreht. Durch das fehlende russische Öl und Gas sinkt der Output in Deutschland, weshalb die Exporte einbrechen. Gleichzeitig müssen die fehlenden Rohstoffe durch Zwischenprodukte substituiert werden, was die Importe steigen lässt. Eine erstmals seit 2008 negative Außenhandelsbilanz, also mehr Importe als Exporte, ist die Folge.

In dieser Situation häufen sich die Stimmen, dass die Abhängigkeit von ausländischen Handelspartnern nicht sonderlich erstrebenswert sei. Stattdessen sollte Deutschland wirtschaftliche Unabhängigkeit anstreben, um sich nicht mehr den erratischen Sympathien unserer Handelspartner auszusetzen. Abhängigkeiten, man denke einmal an Drogen oder andere Süchte, sind schließlich schlecht. Schon gar nicht sollte man von Importen abhängig sein; weder von russischem Gas noch von Kobalt aus dem Kongo. All diese Importe reduzieren schließlich das Bruttoinlandsprodukt und machen Deutschland verwundbar. Das Problem dieser Argumentation ist, dass sie wirtschaftliche Abhängigkeit mit wirtschaftlicher Erpressbarkeit gleichsetzt. Dabei ist gegenseitige Abhängigkeit keinesfalls ein Schwachpunkt der freien Welt, sondern essenzieller Bestandteil von internationalem Handel und somit Ursache für unseren Wohlstand.

Zunächst einmal gilt es die protektionistische Mär zu entkräften, dass Importe schlecht für die Wirtschaftsleistung eines Landes seien. Das Bruttoinlandsprodukt eines Landes ist die Summe aus staatlichem und privatem Konsum, Investitionen und Exporten minus der Importe. Der Abzug der Importe bedeutet allerdings nicht, dass Importe sich negativ auf die Wirtschaftsleistung auswirken und das BIP reduzieren. Vielmehr zieht man die Importe ab, um eine „Doppelzählung“ der im Inland erbrachten Wertschöpfung zu vermeiden. Die importierten Güter werden ja nicht weggeschmissen, sondern im Inland konsumiert oder investiert. Importe schaden also keineswegs der heimischen Wirtschaft, sondern sind vielmehr Ausdruck von internationaler Kooperation.

Der zweite wesentliche Trugschluss ist, dass komplette wirtschaftliche Unabhängigkeit in der modernen globalisierten Welt möglich oder gar wünschenswert sei. Wer in der heutigen globalisierten Welt von Autarkie träumt, dem sei eine Reise auf die North Sentinel Islands ans Herz gelegt, wo die Sentinelesen, eine der letzten unberührten Ethnien, ihr Dasein als Jäger und Sammler genießen. Miteinander handeln bedeutet zwangsläufig, voneinander abhängig zu sein. Man ist abhängig, dass der Gegenüber die vereinbarten Handelsmodalitäten auch einhält. Was hingegen passiert, wenn sich ein Land immer weiter in wirtschaftliche Autarkie begibt, sieht man am Beispiel Russlands. Nach dem Abbruch vieler internationaler Handelsbeziehungen fehlen die Importe, die Produktion kommt zum Erliegen und Menschen und Kapital fliehen massenhaft aus dem Land.

Abhängigkeit wird erst dann zum Problem, wenn man seinen Handelspartner auf dem Weltmarkt nicht schnell austauschen kann. Dann ist man verwundbar und auch wirtschaftlich erpressbar. Auf einem Weltmarkt gibt es von den Gütern potentiell sehr viele Anbieter, insbesondere dann, wenn die Relativpreise stark ansteigen. Bei natürlich begrenzten Ressourcen wie Öl, Gas oder Kobalt gilt es, sich einen guten Notfallplan zurechtzulegen, um im Zweifelsfall nicht von launigen Oligarchen oder terroristischen Autokraten abhängig zu sein. Will heißen: noch viel mehr Diversifizierung und stärkere Vernetzung sind das eigentlich Erstrebenswerte. Langfristigem Wohlstand entgegen stehen der Fokus sowohl auf den eigenen Binnenraum als auch, wie im Fall von Deutschland und dem russischen Gas, auf wenige große (und staatliche) Partner. Schlechte Abhängigkeit ist wie ein Seil, das mit einem Hieb durchgehauen werden kann. Gute Abhängigkeit ist wie ein engmaschiges Netz, das auch die ein oder andere Schwächung überstehen kann.

Als Folge einer desaströsen deutschen Energiepolitik von wirtschaftlicher Autarkie zu träumen und so die bahnbrechenden Wohlstandsgewinne des Freihandels in Frage zu stellen, ist unverantwortlich. Denn Abhängigkeit ist nicht eine Schwäche der freien Welt, sondern der einzigartige Vorteil der freien Welt gegenüber den von Autarkie träumenden Despoten.