Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0) 

Henning Lindhoff ist Redakteur beim Institut für Vermögensentwicklung IFVE.

Die Welt hat sich grundlegend verändert. Heute sind wir in der Lage, Erfahrungen zu machen, ohne dazu mehr Besitz anhäufen zu müssen. Dies gilt für immer mehr Branchen und Lebensbereiche. Copy. Paste. Share. Like. Was sind Waren noch wert, die in Windeseile im Netz verteilt werden können?

Zugang statt Eigentum

Es ist noch gar nicht allzu lange her, da war es noch notwendig, große Mengen an CDs, DVDs, Schallplatten, VHS-Kassetten, Zeitschriften und anderen Medien innerhalb der eigenen vier Wände zu lagern, wollte man in einer besinnlichen Stunde einmal eine kleines Stück Unterhaltung oder Bildung genießen. In diesen Zeiten war es in manchen Kreisen auch nahezu Pflicht, zumindest eine große Schrankwand voller Bücher zu pflegen, wollte man gegenüber seinen Freunden und Bekannten wenigstens ein klein wenig smart wirken.

Diese Zeiten sind nicht lange her. Nur wenige Jahre hat es gebraucht, diese Sammlungen aus Papier, Vinyl und allerlei anderen Kunststoffen obsolet werden zu lassen. Heute brauchen wir sie nicht mehr, um jederzeit an jedem beliebigen Ort, mittels ein paar kleiner Klicks oder Wischgesten, an genau die Inhalte zu gelangen, von denen wir vor einigen Jahren noch geträumt haben. Wir können nahezu jeden Film sehen, der jemals gedreht wurde, jedes Musikstück hören, das jemals aufgenommen wurde und jeden Satz lesen, den je ein Schriftsteller auf Papier gebannt hat. Und das an jedem beliebigen Ort der Welt. Eine mobile Datenverbindung und genügend Spannung auf dem Akku des genutzten Gerätes vorausgesetzt.Die technologische Entwicklung hat uns die Lage versetzt, mehr Erfahrungen zu machen ohne dabei auch mehr besitzen zu müssen.

Es ist nichts einzuwenden gegen irgendeine Form des Eigentums. Ganz im Gegenteil. Dem Hipster soll nicht seine Schallplattensammlung genommen werden, dem Germanistikprofessor nicht seine Prosasammlung. Ohne Frage hält eine gut gepflegte Sammlung liebgewonnener Stücke Erbaulicheres bereit als ein liebloser Haufen herbeikonsumierter Schnellschüsse. Doch die Medien sind heute nur Vorreiter. Sie ebnen uns den Weg in eine Zukunft des Zugangs.

Ist  das Eigentum nur noch graue Vergangenheit?

Keinesfalls. Das Gegenteil ist wahr. Dank des Zugangs zu einer unendlich scheinenden Welt immaterieller, digitaler Güter erhalten die Dinge, die wir physisch besitzen, einen gleichsam höheren Wert. Sie werden uns bewusster, aussagekräftiger, sinnvoller. Möglich macht dies die digitale Technologie. Nicht mehr länger müssen wir horten, um Wert schöpfen zu können.

Doch in ökonomischer Hinsicht wirft eine solche Welt, in der Zugang das Eigentum  ablöst, einige Fragen auf:

Wie unterscheiden sich die digitalen von den physischen Waren?

Inwiefern kann der Eigentumsbegriff bei digitalen Waren noch greifen?

Was ist der wahre Wert einer digitalen Ware?

Und entfalten die tradierten Produzenten-Nutzer-Beziehungen ihr Wirkung auch in der Welt aus Bits und Bytes?

Und greift der Eigentumsbegriff überhaupt noch bei digitalen Waren?

Digitale Waren sind heute in allererster Linie geistige Waren. Es sind Ideen, Gedanken, Theorien, Texte, Musikstücke, Filme. In unserer Gegenwart, die in immer kürzeren Abständen disruptiven technologischen Revolutionen unterzogen wird, verschieben sich Rollen und Beziehungen zwischen den Marktakteuren. Die digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation machen eine zentrale Rechteverwaltung, die den Zugang zu solchen geistigen Waren reglementiert, überflüssig. Jeder in Bits und Bytes gefasster Gedanke kann in Windesweile vervielfältigt und geteilt werden. Copy, Paste, Like und Share.

Das Digital Rights Management (DRM) ist dagegen ein verzweifelter, juristisch getriebener Versuch, die Kontrolle über den Fluss digitaler Waren zu konservieren. Aber womöglich ein letzter. Denn auf der anderen Seite bilden sich immer wieder immer neue Projekte mit dem Ziel, den Warenverkehr im Netz auszubauen. Kostengünstige Flatrates für Musik, Filme und Bücher ermöglichen den Zugang zu digitalen Waren, ohne dass sich Nutzer über Eigentumsrechte überhaupt Gedanken machen.

Waren vor fast 20 Jahren illegale Plattformen wie Napster die Vorreiter, spielen heute auch Big Player längst mit. Das Problem der illegalen Nutzung von Inhalten hat sich dank der massentauglichen Adaption durch Amazon, Apple, Google und Co nahezu von selbst erledigt. Ohne den regulativen Eingriff der Politik.

Daten sind anders als Dinge

Um nun zu ergründen, wie ein Urheberrecht auch im digitale Zeitalter seine Wirkung entfalten kann und sollte, lohnt in genauer Blick auf das Wesen der Daten als Ware.

Geistige Tätigkeit basiert seit Menschengedenken auf der Vorleistung unserer Vorfahren. Wir stehen auf den Schultern von Titanen. In ähnlicher Weise formulierte bereits im Jahr 1120 der Philosoph Bernhard von Chartres diese Erkenntnis.

Jede Adaption einer alten Idee wird gleichsam der Zukunft übereignet. Meme pflanzen sich fort, werden weitergetragen, ausgebaut, angepasst, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Wer könnte sich wirklich gegen diese Entwicklung wehren? Sie ist Kern des zivilisatorischen Wachstums.

Physische Güter lassen sich im Gegensatz zu Ideen nicht ohne weiteres teilen. Sie werden dabei beschädigt oder gar zerstört, zumindest aber immer kleiner und leichter. Physische Güter eignen sich daher sehr gut zum Besitzen und Tauschen.

Daten und Ideen allerdings werden nicht weniger, wenn man sie teilt. Sie werden dabei auch nicht zerstört. Ganz im Gegenteil. Daten und Ideen werden im Prozess des Teilens wertvoller. Denn in diesem Prozess werden sie hinterfragt, ergänzt und zu neuen weitergehenden Gedanken und Plänen ausgebaut.

Eine beliebig große Menge an Menschen kann von einer digitalen Ware gleichzeitig Gebrauch machen. Im Gegensatz dazu sind physische Güter knapp: Die Benutzung eines physischen Gutes schließt andere von der Nutzung aus. Digitale Waren sind also im Gegensatz zu physischen Gütern nichtrivalisierend.

Dies hat auch Auswirkungen auf die viel größere Welt der physischen Güter. Um lebensnotwendige Waren herzustellen braucht es heute viel weniger Arbeitszeit als früher noch, dafür aber sind ihre Produzenten abhängiger von Informationen. Im Wettbewerb gewinnt heute derjenige, der sich besser informiert und schneller an neue Erkenntnisse anpasst – seien es Kundenwünsche, Produktionsmethoden oder Rohstoffpreise. Im Gegensatz zu früher ist die Produktion physischer Waren nicht mehr so sehr von physischer Arbeit abhängig als von geistiger Arbeit – von Ideen, Daten und ihren Netzen. Nicht mehr Maschinen, Menschen und Rohstoffe sind entscheidend für den Erfolg eines Produkts – alle drei sind dank der Globalisierung an nahezu jedem Ort zu vergleichbaren Konditionen erhältlich – sondern die guten Ideen, die besseren Daten und die effizientieren Netzwerke.

Dabei ist der Unterschied zwischen einem Produkt und seiner Idee ein elementarer. Das Produkt, beispielsweise ein Tisch, kann eindeutig einem Eigentümer zugeordnet werden. Beanspruchten zwei Menschen das Eigentum an einem Tisch, dann würde dies letztlich in einem zweigeteilten und deshalb unbrauchbarem Tisch münden. Die Idee jedoch, die dem Tisch jedoch zugrunde liegt, kann kopiert und verbreitet werden, ohne dass ihre Qualität, Integrität und ihr Nutzwert einen Schaden erleidet. Physisch fehlt keinem Menschen etwas, wenn seine Idee von einem seiner Mitmenschen gleichzeitig genutzt wird.

Was ist die Leistung bei der digitalen Ware und wie wird sie entlohnt?

Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein großes Problem: Ein kreativer Mensch, der eine solche digitale Ware produziert, eine wissenschaftliche Erkenntnis , ein Buch, ein neues Verfahren, eine Technologie, hat im Vorfeld viel investiert, vor allem Zeit und Geld. Sobald er seine digitale Ware der Welt jedoch preisgibt, ist es seinen Mitmenschen ohne großen Aufwand möglich, diese zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Der Erschaffer hat also zunächst kaum eine Möglichkeit, Vorteile aus seinem Schaffensprozess zu ziehen. Im Vergleich zu seinen möglichen Mitbewerbern hat er die Kosten getragen und kann demzufolge keinen konkurrenzfähigen Preis verlangen.

Es klingt hart und will verdaut werden: Unter den natürlichen Wettbewerbs- und den aktuellen technischen Bedingungen bewegt sich der Wert einer digitalen Ware in Richtung Null – zumindest nach ihrer Veröffentlichung.

Damit ist der gordische Knoten geschnürt, den es gilt im digitalen Zeitalter wieder zu lösen.

Warum sollte sich der potentielle Erschaffer einer digitalen Ware überhaupt ans Werk machen? Warum sollte er Zeit, Geld und Kraft investieren, wenn er sich später kaum Hoffnungen auf eine angemessene Rendite machen kann, weil seine Ware aus Bits und Bytes in Windeseile über das ganze Netz verbreitet werden kann?

Dies ist eine elementare Frage, auf die der Markt eine Lösung finden muss. Die aktuelle Diskussion um Urheberrechte, geistiges Eigentum und digitale Waren wird dominiert von Einwürfen und Vorschlägen, die die Ausweitung juristischer Regelungen oder Einführung von Ausgleichsleistungen des Sozialstaats (siehe die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen) vorsehen.

Die Frage, auf die die Zukunft eine Antwort finden wird, lautet:

Ist der Markt auch selbst dazu in der Lage, einen Wert für digitale Waren abzubilden, mit dem Produzenten wie auch Nutzer, Verwerter und Konsumenten sinnvoll wirtschaften können?

1 Antwort
  1. Alfred Reimann
    Alfred Reimann sagte:

    Hier wird wieder Wert und Preis verwechselt. Wert existiert nur im bewertenden, wählenden, handelnden und bewirkenden Subjekt. Der Preis ist die geforderte Gegenleistung, die einen Mehrwert auf der psychischen Ebene ermöglicht. Dieser Preis ist in den meisten Fällen kein Geld, sondern eine Information, Dienstleistung oder allein die Entgegennahme des Geschenkes. Ob am Monats- oder Jahresende ein Geldgewinn steht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wie wir an 8 von 10 Start-Up’s sehen, wird auch nach Jahren kein Geld verdient. Das Motiv der Unternehmer kann nicht nur im Geld und im Erfolg liegen, oder?

    Der „Markt“ existiert nicht, ebenso wenig wie die „Gesellschaft“ oder der “ Staat“. Es sind Sammelbegriffe, mehr nicht. Handeln kann allein das Subjekt. Jeder Leistungsanbieter bestimmt seine Leistung und den Preis seiner Leistung selbst. Angebot und Nachfrage sind zwei Seiten der gleichen Münze, des Handelnden und Bewirkenden Subjektes. Ist eine Leistungserbringung sinnvoll und freudvoll, wird viel mehr Leistung erbracht als verkauft. Dies gilt im übrigen für fast alle Leistungen und Güter die am „Markt“ angeboten werden.
    Überfluss ist das Ziel des Kapitalismus, sprich durch (Selbst-) Eigentum an Körper und Leistung die Begrenztheit der Natur nicht zur Knappheit an Lebensmitteln werden zu lassen. Dies gelingt besonders in Zeiten der Globalisierung hervorragend. Das der Überfluss zum Problem für die Masse der Menschen wird, konnten sich die Ökonomen der Vergangenheit nur schwer vorstellen, fehlte es
    doch an allen Ecken und Enden. Selbst die heute diskutierten Ökonomen Mises und Hayek haben die meiste Zeit in oder nach einem Krieg gelebt. Überproduktion war ein begrenztes und kurzzeitiges Problem.

    Damit nicht alle Menschen in den Staatsdienst streben, muss das Scheitern am Markt als normal erkannt werden. Darüber hinaus muss das Anpassungsleid des Gescheiterten verringert werden. Dies ist mit einem Grundeinkommen von der Notenbank an alle Bürger bequem möglich, sobald das Potential des Staatsgeldes erkannt und gleich und gerecht verteilt wird. Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken sollte sich auf deren eigene Komplementärwährung beschränken. Aber diese Chancen setzten mehr Verstehen und weniger Privilegien für bestimmte Gruppen voraus, eigentlich eine spannende Aufgabe für Freiheitsfreunde, oder?

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