Photo: leo gonzales from Flickr (CC BY 2.0)

Sie packen an. Sie arbeiten zusammen. Sie schaffen ein Umfeld, in dem sich Menschen zusammentun, um Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Die Bürgerplattformen sind die funktionierenden Alternativen zu politischen und bürokratischen Lösungsversuchen.

Ein Korrektiv zur Politik

Am Montagabend trafen sich etwa 650 Berliner auf dem Gelände der Rütli-Schule in Neukölln mit dem Regierenden Bürgermeister. Anders als das bei solchen glamourösen Veranstaltungen sonst oft der Fall ist, war das Event freilich nicht dazu da, um dem Bürgermeister eine Bühne zu bieten, sondern vor allem, um ihn zum Zuhören zu bringen. Den größten Teil des Abends über stellten sich die Bürgerplattformen der Berliner Stadtteile Treptow-Köpenick, Neukölln und Wedding-Moabit vor. Erst in der letzten Viertelstunde durfte der „Landesvater“ drei Fragen beantworten.

Diese Herangehensweise passt zu dem Format der Bürgerplattformen, die weder Ansammlungen von Wutbürgern sind noch von langweiligen, kritiklosen Claqueuren. Sie sehen sich als Korrektiv zur Politik. Es passt, dass sie über ihre finanziellen Ressourcen folgendermaßen Auskunft geben: „Um als gleichberechtigter Partner in der Auseinandersetzung mit Politik und Verwaltung auftreten zu können, legen wir großen Wert auf Selbstständigkeit im Handeln und eine finanzielle Unabhängigkeit von staatlicher Förderung.“ Die Organisationen finanzieren sich allein durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.

Konkrete Probleme lösen

80 zivilgesellschaftliche Gruppierungen, die insgesamt etwa 100.000 Menschen in Berlin erreichen, haben sich in den drei Netzwerken zusammengeschlossen. Begonnen hat das dieses „community organizing“ in den 60er Jahren in den USA. Also in einer Zeit, in der die Frage der Rassentrennung, der Vietnamkrieg und allgemeine soziale Unruhen zu massiven Verwerfungen führten. Politiker waren in vielen Städten wie Chicago oder New York entweder tief korrupt oder buchstäblich nicht mehr imstande, ihren Aufgaben nachzukommen.

Einer der großen Vordenker des Konzepts war Saul Alinsky, eine höchst streitbare Persönlichkeit, der die dramatischen Zustände in den amerikanischen Großstädten und Problemzonen nicht mehr hinnehmen wollte. Alinsky lässt sich politisch kaum einordnen – Marxisten haben ihn ebenso zu vereinnahmen versucht wie auch jüngst die Tea Party. Er selbst sagte einmal im Interview mit dem Playboy: „Ich konnte niemals ein starres Dogma oder eine Ideologie akzeptieren, weder Christentum noch Marxismus. … Wenn Du denkst, Du habest einen direkten Draht zur absoluten Wahrheit, dann wirst Du doktrinär, humorlos und intellektuell verstopft.“ Ihm ging es nicht darum, eine bestimmte Heilslehre zu verwirklichen, sondern darum, konkrete Probleme zu lösen.

Verantwortung übernehmen

Alinsky ging es um Veränderung und Verbesserung. Er rief nicht nach der nächsten Lösung durch den politischen Apparat. Er versteckte sich nicht hinter hohlen Phrasen. Sondern er packte an und brachte zivilgesellschaftliche Gruppen an einen Tisch. Ein wichtiges Element seiner Arbeit war die Kontrolle der Politik durch engagierte Bürger – ein dringend notwendiges Element der Machtbeschränkung in dem immer verfilzter werdenden System seiner Zeit. Noch wichtiger aber und noch nachhaltiger war die Idee, dass Bürger selber Lösungen finden und an ihrer Verwirklichung mitarbeiten können.

Um einen Spielplatz wieder benutzbar zu machen, um Transportmöglichkeiten für die Alten im Stadtviertel zu schaffen, um den Bürgersteig zu reparieren, sogar um Schulen zu gründen – für all das braucht man zunächst weder Behörden noch Politiker. All das kann man auch selber machen – und oft viel effizienter. Das ist der eigentlich bemerkenswerte Kerngedanke des „community organizing“: Den Menschen die Augen dafür zu öffnen, dass sie selber Verantwortung übernehmen können. „Verantwortung übernehmen“ war dann auch die Formulierung, die bei dem Treffen der Bürgerplattformen am häufigsten fiel.

Hier wachsen positive Mentalitäten heran

Bei den Bürgerplattformen treffen unterschiedlichste Menschen aus verschiedensten Milieus aufeinander und ergänzen sich bei der gemeinsamen Aufgabe, Probleme zu lösen. Da ist der Küchenmeister aus dem Berliner Südosten, der zu DDR-Zeiten den offenen Konflikt mit den Herrschenden nicht gescheut hat. Neben ihm steht ein 15jähriger Schülersprecher, der eindrucksvoll sein Wort zu machen versteht. Da ist die Frau aus dem anatolischen Dorf, Mutter von sechs Kindern, die mit kräftiger Stimme ruft: „Ich wollte weiterkommen! Darum habe ich mich gebildet, habe über Physik und Chemie und über Geschichte gelernt – und bin nach Deutschland gekommen. Viele Leute aus meinem Dorf haben es mir nachgemacht, weil auch sie etwas erreichen wollten.“ Und daneben steht der bürgerliche Familienvater, der sich in seiner katholischen Gemeinde engagiert. Sprachschulen für indonesische Studenten, muslimische Pfadfindergruppen, das Projekt der Weddinger Bürgerschule – all dies entsteht aus der Mitte der Bürgerplattformen.

Was all diese Menschen eint, ist der Wille, Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen weiterkommen und etwas erreichen: für sich, für ihre Familien, für ihre Nachbarn. Dieser Impuls ist ja in der Tat der Motor für echte Veränderung. Für Veränderung, die nicht von oben verordnet und organisiert ist, sondern die von den Menschen selbst gestaltet wird. Man kann nur hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht und viele Nachahmer findet. Nicht nur, weil diese selbstverantwortliche Organisation Probleme effizienter und informierter löst. Sondern insbesondere auch, weil das Übernehmen von Verantwortung Menschen glücklicher macht. Wenn sie etwas erreicht haben, ist es ihr Spielplatz, ihre Kleiderkammer, ihre Schule. Und dieser verdiente Stolz wird sie prägen – sie und die nachwachsenden Generationen. Hier wachsen positive Mentalitäten heran und entstehen veritable Freiheitsinseln!

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