Beiträge

Photo: Nimesh Madhavan from Flickr

Wenn es um die Besteuerung des Erbes geht, prallen auch hierzulande grundsätzliche Positionen aufeinander. Selbst politische Grundströmungen lassen sich nicht konkret zuordnen. So können sich Liberale beispielsweise nicht auf ihre großen Denker berufen. Adam Smith, die personifizierte Inkarnation der Marktwirtschaft, war dafür, ebenso wie der liberale Denker John Stuart Mill. Jeder sollte seines Glückes Schmied sein, aber nicht durch das Werk des Erblassers. Was viele dieser Denker, aber auch heutige Befürworter einer Erbschaftsteuer verkennen, ist die Verhaltensänderung des Erblassers zu Lebzeiten bei einer Erbschaftsteuer. Diese verändert nicht nur das Verhalten einzelner, sondern schafft eine neue Unternehmenskultur. Dies kann sehr gut an der Wirtschaftsstruktur in den USA und in Deutschland verglichen werden. Beide haben sehr unterschiedliche Modelle zu Lebzeiten und im Erbfall. Während in den USA die Einkommensteuer zu Lebzeiten geringer ist als in Deutschland, liegt sie im Erbfall wesentlich höher. Der Spitzensteuersatz in der  Einkommensteuer beträgt auf der Ebene des Bundes in den USA weniger als 40 Prozent, in Deutschland inklusiv Soli und Kirchensteuer fast 50 Prozent. Die US-Erbschaftsteuer beträgt bei großen Vermögen mindestens 40 Prozent und kann auf der Ebene der Bundesstaaten sogar noch aufgestockt werden. In Deutschland führte die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Verschonungsregel dazu, dass Betriebsvermögen ohne steuerliche Belastung auf die Erben übertragen werden konnte.

Zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte mit unterschiedlichen Wirkungen. Während in den USA Bill Gates und Steve Jobs in wenigen Jahrzehnten  riesige Vermögen aufbauten, gelingt es ihnen nicht, diese Vermögen auf die nächste Generation zu übertragen. Apple und Microsoft werden wahrscheinlich nicht über Generationen von den Kindern und Kindeskindern Bills und Steves fortgeführt oder gesteuert. Versterben sie, findet durch die hohe Erbschaftsteuer ein Verkauf des Unternehmens und ein Übergang auf neue Eigentümer statt. Viele erfolgreiche Unternehmensgründer  in den USA wissen das und spenden bereits zu Lebzeiten einen großen Teil ihres Vermögens oder gründen Stiftungen. Wer ein großes Unternehmen aufbauen will, hat nicht mehrere Generationen Zeit, sondern „nur“ zwei oder drei Jahrzehnte.

Anders in Deutschland: 95 Prozent der Unternehmen sind Familienunternehmen, die oft über mehrere Generationen existieren. Der hohe Anteil sogenannter hidden champions, also mittelständische Marktführer in einer Nische, ist einmalig auf dieser Welt. Alleine 1300 Unternehmen im Maschinenbau und der Elektroindustrie werden dazugezählt. Zu 53 Prozent finanzieren sie ihre Investitionen aus eigenen Mitteln. Über 21 Prozent der Beschäftigten in der Industrie arbeiten bei diesen Familienunternehmen. Ihre Firmenzentralen sind nicht in Silicon Valley, London oder Frankfurt, sondern in Schwanau, Ennepetal oder Eppelheim.

Ist das amerikanische Modell schlecht, ist das deutsche Modell gut – oder umgekehrt? Sicher kann das nicht so einfach beantwortet werden. Es hat natürlich auch etwas mit der Unternehmenskultur im jeweiligen Land zu tun. Aber diese wird auch durch das steuerliche Umfeld entscheidend geprägt. Nicht ohne Grund haben viele Familienunternehmen schon vor Jahren aus Furcht vor einer existenzbedrohenden Erbschaftsteuer in Deutschland Ihre Firmenzentralen nach Österreich oder in die Schweiz verlagert. Große Familienunternehmen gehören dazu. Nicht alle sind damit glücklich. Denn die Unternehmenskultur verändert sich dadurch stillschweigend. Wenn die Unternehmenslenker nicht mehr vor Ort, in der Kleinstadt, sind, dann geht der Bezug zur Region verloren. Irgendwann unterscheiden sie  sich nicht mehr von Unternehmen, die aus London oder New York geführt werden.

Für die Diskussion um die Erbschaftsteuer in Deutschland gilt daher: die schlechten Dinge aus beiden Welten zu übernehmen, wäre hierzulande fatal. Eine hohe Besteuerung zu Lebzeiten und eine hohe Besteuerung für die Erben. Wenn Union und SPD die Erbschaftsteuerreform beschließen, dann wird sie die Unternehmensstruktur in Deutschland auf Dauer verändern. Wir werden amerikanische Verhältnisse bekommen.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 26.03.2016.

 

Photo: Gage Skidmore from Flickr

Die Vorwahlen zur Bestimmung der Präsidentschaftskandidaten in den USA sorgen mal wieder auf dem ganzen Globus für Schlagzeilen. Neben den Damen und Herren, die oft in den Medien präsent sind, gibt es auch einen sehr spannenden Außenseiter: Wer ist dieser Gary Johnson?

Republikaner: Das Überleben der Rabauken

Insbesondere die Vorwahlen bei den Republikanern erregen große Aufmerksamkeit, weil das Kandidatenfeld nicht nur erheblich größer ist als bei den Demokraten, sondern auch ein ganzes Stück volatiler. Hinzu kommt noch der Unterhaltungsfaktor: Donald Trump sorgt weltweit für Erstaunen, Entsetzen, Kopfschütteln und ungläubige Heiterkeit, dass selbst ein Berlusconi neidisch werden muss. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob der konsequent liberale Senator Rand Paul gute Chancen haben könne. Dieser Streiter für einen schlanken Staat, Ausgabendisziplin und Zurückhaltung bei staatlicher Überwachung und Militäreinsätzen hätte den USA sicher guttun können. In den letzten Monaten ist er inmitten eines zunehmend schrillen Wahlkampfs und vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und der Bedrohungen durch den Terror leider zunehmend zwischen die Fronten geraten. Nach den ersten Vorwahlen in Iowa hat er seine Kandidatur zurückgezogen.

Diejenigen Republikaner, die übriggeblieben sind, stimmen nicht gerade hoffnungsfroh: Die meisten von ihnen sind geneigt, eine robuste Außenpolitik zu betreiben – dazu gehört dann in der Regel auch komplementär eine Neigung zum Überwachungsstaat. Überhaupt ist individuelle Freiheit für die meisten von ihnen kein Herzensanliegen. In rein ökonomischer Hinsicht finden sich bei ihnen in der Regel freiheitsfördernde Ideen, die in Richtung Steuersenkungen und Deregulierungen weisen. Allerdings sind die Spielräume der Präsidenten auf diesem Gebiet traditionell ohnehin eher eingeschränkt, weil sie von den Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kammern des Kongresses abhängig sind. Entscheidend für die politischen Entscheidungen sind dann ohnehin mehr Image und Rhetorik eines Kandidaten als die im Wahlkampf vorgetragenen Standpunkte. Und da sind die drei derzeitigen Top-Favoriten Cruz, Trump und Rubio allesamt nicht auf der zurückhaltenden und mithin freiheitlichen Seite.

Ein Überzeugunstäter

Ein ehemaliger Republikaner, der sich auch um die Präsidentschaft bewerben will, hat freilich in vielerlei Hinsicht eine sehr eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen: Gary Johnson. Als Student finanzierte er sich als Gelegenheitsarbeiter. Die Firma, die er mit 23 gründete, war keine 20 Jahre später eine der größten Baufirmen in seiner Heimat New Mexiko. Mit Anfang 40 wurde der Politikneuling 1995 mit dem Wahlkampfmotto „People before politics“ auf Anhieb zum Gouverneur von New Mexiko gewählt – und zwar mit sehr deutlicher Mehrheit in einem Staat, in dem die Demokraten traditionell sehr stark sind. In den ersten sechs Monaten im Amt hat er aus der festen Überzeugung heraus, dass man Probleme nur selten durch staatliche Intervention lösen kann, 200 von 424 Gesetzesinitiativen durch sein Veto blockiert. Am Ende hatte er 750 von Demokraten wie von Republikanern eingebrachte Gesetze abgewiesen, und damit mehr als all seine 49 Kollegen zusammen. Beständig und erfolgreich arbeitete er daran, Staatsausgaben und Staatsaufgaben zu reduzieren.

Nach seiner sehr klaren Wiederwahl 1999 versuchte er, ein System von Schulgutscheinen durchzubringen, um die Bildungsprobleme in seinem Staat in den Griff zu bekommen, der zu den ärmsten der USA zählt. Die demokratische Mehrheit in den beiden Kammern des Staates haben dieses Vorhaben jedoch verhindert. Schon damals, als das Thema noch bei weitem nicht so prominent war wie heute, sprach er sich klar für eine Legalisierung von Marihuana aus und dafür, den Krieg gegen die Drogen durch mehr Prävention und Betreuung Suchtkranker zu ersetzen. Parteiübergreifend wurde sein Krisenmanagement bei einem desaströsen Flächenbrand in den höchsten Tönen gelobt, der den Staat 2000 heimsuchte. Am Ende seiner Amtszeit war der Staat nicht nur substantiell verschlankt, sondern konnte im Haushalt einen Überschuss von 1 Milliarden Dollar vorweisen.

Konsequent freiheitliche Politik

Nach seiner Amtszeit widmete sich der begeisterte Sportler wieder intensiver seinem Ehrgeiz auf diesem Gebiet, nahm an Marathons, Triathlons und Fahrradrennen teil und bestieg die höchsten Berge der sieben Kontinente. Natürlich ließ ihn auch seine Unternehmerleidenschaft nicht los – jetzt in Verbindung mit seinen politischen Überzeugungen: 2009 gründete er die „Our America Initiative“, um seine Ideen weiter zu verbreiten. Zu den Grundanliegen dieser Denkfabrik gehören in seinen Worten „eine effiziente Regierung, Steuererleichterungen, ein Ende des Kriegs gegen die Drogen, der Schutz bürgerlicher Freiheiten und die Förderung von Unternehmertum“. Er engagierte sich auch bereits sehr früh bei der freiheitlichen Studentenorganisation „Students for Liberty“, die in den vergangenen Jahren zu einem großen weltweiten Netzwerk angewachsen ist.

2011 kündigte er an, sich um die Präsidentschaftskandidatur bei den Republikanern zu bewerben, zog die Kandidatur jedoch einige Monate später zurück und ließ sich stattdessen für die Libertarian Party aufstellen, die für eine konsequent freiheitliche Politik eintritt. Bei der Wahl stimmten schließlich 1,3 Millionen Amerikaner für ihn. Vor einem Monat hat er nun angekündigt, auch bei der diesjährigen Wahl wieder für die Libertarian Party antreten zu wollen. Einer seiner innovativsten Vorschläge betrifft das Steuerrecht: An die Stelle aller Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalertragssteuern soll eine FairTax treten. Diese Steuer soll mit einem Satz von 23 % auf alle Güter erhoben werden, die nicht lebensnotwendig sind. Ein entscheidender Pfeiler seiner Überzeugungen ist auch die hohe Skepsis gegenüber der US-Notenbank Fed, die er einer strengen Kontrolle durch das Parlament unterwerfen möchte.

Der Wind der Freiheit

Viele der Programme, die heute von der Regierung in Washington finanziert und organisiert werden, möchte er zurück auf die Ebene der einzelnen Bundesstaaten verlagern und somit auch einen Wettbewerb um die am besten funktionierenden Lösungen ermöglichen. Überhaupt sollen die Staaten seiner Meinung nach wieder mehr Verantwortlichkeiten übernehmen, dafür aber zugleich auch die Haftung tragen. Johnson ist ein erklärter Gegner militärischer Interventionen und würde das Militärbudget der Vereinigten Staaten radikal um über 40 % kürzen wollen. Auch auf dem Gebiet staatlicher Überwachung tritt er für eine erheblich stärkere Zurückhaltung ein als sie derzeit in den USA geübt wird. Johnson ist ein Gegner der Todesstrafe, tritt für eine offene Migrationspolitik ein und ist der Überzeugung, dass es nicht Sache des Staates sein kann, zu definieren, was eine Ehe ist.

Selbst wenn die zwei extremsten Protagonisten der beiden großen Parteien, Donald Trump und Bernie Sanders, sich durchsetzen würden, hätte Gary Johnson wohl keine Chance auf das Amt. Dennoch ist sein Beitrag für die nächsten Jahrzehnte amerikanischer Politik von großer Bedeutung. Die Bewegung, für die er und Politiker wie die Senatoren Rand Paul und Jeff Flake und die Abgeordneten Justin Amash und Thomas Massie stehen, wächst beständig. Diese libertäre Bewegung, die für weniger Staat und mehr Eigenverantwortung steht, findet gerade unter jungen Menschen immer mehr Anklang. Ein Mann wie Gary Johnson gibt dieser Bewegung eine Stimme und ein Gesicht. Der weltweite Trend zu mehr Staat, befeuert von Linken wie von Rechten, wird eines nicht allzu fernen Tages einem Gegenwind ausgesetzt sein, dem er sich letztlich nicht wird widersetzen können. Denn dieser Wind der Freiheit hat schon zu allen Zeiten die Menschen stärker bewegen können als die Last, die aus den süßen Verlockungen der Linken und Rechten erwächst.

 

Photo: Will Folsom from Flickr. (CC BY 2.0)

Die Rettung der überschuldeten Staaten und Banken in Südeuropa ist die Ursache der Euro-Krise. Denn damit wurde aus lokalen Problemen ein Problem der Währung gemacht. Nichts ist abwegiger als der Glaube, in einem Währungsraum dürfe kein Staat oder keine Bank pleitegehen. In den USA ist das gang und gäbe. Wenn Kalifornien seine Beamten nicht mehr bezahlen kann, dann springt dort nicht die Notenbank oder Washington ein, sondern die dortige Regierung schickt die Beamten und Angestellten des Staates in den Zwangsurlaub. Seit dem Platzen der Immobilienblase 2007 in den USA sind dort weit über 100 marode Banken vom Markt verschwunden. Und auch in der kleinen Schweiz führt die Zahlungsunfähigkeit einer Gemeinde oder eines Kantons nicht dazu, dass die Zentralregierung in Bern mit dem Steuerkoffer anrückt. Beide Fälle werden vor Ort gelöst. Entweder werden die Einnahmen erhöht oder die Ausgaben reduziert. Wenn dies nicht alleine gelingt, setzt man sich mit den Gläubigern zusammen und verhandelt über eine Umschuldung. Das ist ein bewährtes Modell, das tagtäglich in der Wirtschaft praktiziert wird.

Wenn dies jedoch nicht geschieht und fortlaufend vom Euro-Club oder der Zentralbank interveniert wird, dann wird aus einer Überschuldungskrise einzelner, plötzlich die Krise der gemeinsamen Währung, und damit die Krise aller. Die Retter haben dadurch die Schulden auf eine neue Ebene gehoben – auf die europäische. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM ist letztlich nichts anderes, als die Vergemeinschaftung der Schulden des Euro-Clubs. Dass dies so ist, kann man an der Angleichung der Zinsen der Euro-Staaten beobachten. Neben der fortlaufenden Intervention der EZB in den Anleihenmarkt ist der ESM die Garantie für die Gläubiger, dass im Zweifel jedes Land im Euroclub herausgeboxt wird.

Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die Bankenaufsicht nicht mehr national verantwortet wird, sondern jetzt bei der EZB angesiedelt ist. Das soll den Gläubigern suggerieren, dass nicht mehr gehadert und getrickst wird. Doch jetzt wollen sie auch noch an das Geld der Sparer in Deutschland. Mit der Vergemeinschaftung der Einlagensicherung wird den Sparer insbesondere in Südeuropa die Botschaft ausgesandt, dass ihr Geld auf dem Konto einer spanischen oder griechischen Bank genauso sicher ist, wie auf dem Konto einer deutschen. Denn wenn die Einlagensicherungseinrichtungen in Deutschland im Zweifel für die Einlagen bei spanischen, italienischen oder griechischen Banken haften, dann ist es egal, wo man sein Sparbuch führt, ob in Madrid oder Rostock.

Doch spätestens jetzt bildet sich Widerstand. 14 von 28 Euro-Staaten haben bisher noch nicht einmal die Einlagesicherungsrichtlinie der EU umgesetzt, die Einlagen bis zu 100 000 Euro garantieren soll. Die Einlagensicherungseinrichtungen in Deutschland haben Rücklagen gebildet, was sie von anderen in Europa wesentlich unterscheidet. Das ist der Grund, wieso Sparkassen, Volksbanken, aber auch die Privatbanken in Deutschland bei den Plänen der EU-Kommission für ein gemeinsames Einlagesicherungssystem im Dreieck springen.

Bislang wehrt sich die Bundesregierung noch gegen diese EU-Pläne. Doch dieser Widerstand erinnert sehr an die Bockigkeit des Finanzministers Schäuble gegen das eine oder andere Griechenlandpaket. Am Ende ist er doch immer umgefallen. Das ist auch hier zu erwarten. Schon signalisiert Schäuble Gesprächsbereitschaft, sobald alle Mitgliedsstaaten die Richtlinie umgesetzt haben. Das ist schnell gemacht. Die EU ist bislang nicht daran gescheitert, dass zu wenig Richtlinien und Verordnungen verabschiedet wurden. Gescheitert ist sie bislang immer daran, dass sich anschließend keiner daran gehalten hat. Die Europäische Union ist eben keine Rechtsgemeinschaft. Wenn sie das nicht wird, dann ist all das, was derzeit vom Zaun gebrochen wird, der Mühe nicht wert.

 
Dieser Artikel erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 7.11. 2015.

Photo: Massachusetts Historical Society by WikiCommons

Gelegentlich wünschte man sich mehr revolutionären Geist in diesem Land statt dieser Mehltau-Lethargie. Man stelle sich einmal vor, der Beschluss des Parlaments, eine Steuer auf Milch und Honig (Mehrwertsteuer), auf die Rente (Finanztransaktionsteuer), auf das Eigentum (Erbschaftsteuer) oder eine Abgabe auf Brot und Spiele (Rundfunkbeitrag) einzuführen, würde eine Revolution auslösen? Die Bürger würden sich zentral versammeln, die Steuereintreiber in die Wüste schicken und es würde sich daraus eine Volksbewegung im ganzen Land entwickeln, die am Ende sogar zur Sezession und Unabhängigkeit führt.

Steuern? Revolution!

Doch es gab Zeiten, da wurde eine Revolution begonnen, als die Regierung eine Stempelsteuer beschlossen hatte. Das war damals so eine Art Mehrwertsteuer oder Finanztransaktionsteuer. Die Bürger versammelten sich an zentralen Plätzen und hängten symbolisch die Strohpuppen des Ministerpräsidenten und des örtlichen Steuereintreibers auf. Okay, das war sicherlich nicht die feine englische Art. Es ist ja auch schon lange her – 250 Jahre.

1765 versammelten sich junge Männer unter einer Ulme in Boston, in der damaligen britischen Kolonie in Massachusetts, um gegen die vom englischen Parlament beschlossene Stempelsteuer zu protestieren. Der Aufstand dieser „Sons of Liberty“ richtete sich nicht nur gegen eine Steuer, sondern gegen die damit einhergehende Zensur. Sie wollten nicht alle Dokumente, Verträge und Waren der Zentralgewalt vorlegen. Sie wollten frei handeln, ohne staatliche Willkür und sie wollten selbst über die Steuern und ihre Höhe abstimmen. Daraus entstand der Grundsatz „no taxation without representation“, der heute mehr denn je Richtigkeit hat.

Bäume als Freiheitssymbol

Das Symbol der Proteste war der Baum, die Ulme, die fortan überall in Amerika als „Tree of Liberty“ gepflanzt wurde und unter denen sich die „Söhne der Freiheit“ überall im Lande versammelten.

Schon ein Jahr nach ihrer Einführung hatten die Proteste Erfolg und die Stempelsteuer wurde vom englischen Parlament wieder aufgehoben. Wenn man heute das Schicksal des Solis, die Entwicklung des Rundfunkbeitrages oder die Regelungsmissgriffe bei der Mehrwertsteuer betrachtet, kommt einem charakterfesten Menschen mindestens die Zornesröte ins Gesicht – anderen die Tränen. Wo ist die Abschaffung des Solis, der Erbschaftsteuer, wo die des Zwangsbeitrages und wo ist die niedrige Mehrwertsteuer ohne Ausnahmen?

Lasst uns die Saat für mehr Freiheit aussäen!

Wenn ich die Augen zumache, stelle ich mir manchmal vor, dass wir Freiheitsfreunde eine dieser Ulmen pflanzen, uns dort versammeln und daraus eine Bewegung vieler Freiheitsliebenden wird. Alle pflanzen plötzlich einen Freiheitsbaum, schmücken ihn und versammeln sich dort, um gegen Fremdbestimmung, Eigentumsverletzung und willkürliches Recht zu protestieren.

Doch wenn ich die Augen wieder öffne, kommt mir in den Sinn, dass die Ulme eine gefährdete Baumart ist. Sie kommt zwar in 40 bis 50 Arten weltweit vor und ist wegen ihres wertvollen Holzes begehrt. Doch insbesondere die europäischen und amerikanischen Ulmenarten sind von einer tödlichen Krankheit bedroht, die inzwischen mehrere hundert Millionen Bäume zum Absterben gebracht hat. Erst welkt die Krone. Die Blätter werden braun und vertrocknen. Dann stirbt der Baum.

Doch es gibt unempfindliche Ulmenarten, die widerstandsfähig sind, wachsen und gedeihen. Diese Bäume sollten wir pflanzen – immer und überall. Wenn viele dies tun, dann wird aus vielen einzelnen Ulmen bald ein großer Wald. Ein Wald voller Freiheitsbäume. Nach 250 Jahren ist jetzt die richtige Pflanzzeit.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick

Photo: Rae Allen from Flickr (CC BY 2.0)

Schiedsgerichte wären eine spannende und innovative Möglichkeit, eine größere Vielfalt und mehr Auswahlmöglichkeiten in unserem Rechtssystem zur Verfügung zu stellen. Dass das Europäische Parlament sie ablehnt, ist ein Fehler.

Keine Herrschaft der Hinterzimmer

Die Entscheidung der Europaparlamentarier, der Kommission das Mandat für die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu geben, ist in dem ganzen Wirbel um Griechenland ein wenig untergegangen. Die üblichen Bedenkenträger waren so sehr mit der Causa Grexit beschäftigt, dass der große Aufschrei ausblieb. Sie hatten sich aber auch in einem nicht unwichtigen Punkt durchgesetzt: Das Investitionsschiedsabkommen ISDS soll aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Dieses Abkommen sollte Investoren dies- und jenseits des Atlantiks die Möglichkeit geben, Streitfälle mit staatlichen Stellen zu lösen.

Diese Art der Problemlösung ist mitnichten neu. Wie die Befürworter des Abkommens in den letzten Monaten nicht müde wurden, herauszustellen, haben europäische Staaten in den letzten 60 Jahren über 1400 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Weltweit gibt es über 2000 von ihnen. Die meisten Schiedsverfahren werden von der Weltbank durchgeführt, also nicht in irgendwelchen Hinterzimmern von Großkonzernen. Überhaupt Großkonzerne: Die Kritik am ISDS bezieht sich gebetsmühlenartig auf die Klage von Vattenfall gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Unabhängig davon, wie man zu diesem konkreten Fall steht, muss man anerkennen: er ist nicht repräsentativ.

Schiedsgerichte schaffen in den meisten Fällen Rechtssicherheit

Wirft man einen Blick in die Berichte des „Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ der Weltbank (ICSID), das einen großen Teil der Streitfälle verhandelt, kann man Einblicke gewinnen, die in deutlichem Gegensatz stehen zu dem Standard-Bild, das hierzulande in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. 150 Länder sind Mitglieder des Abkommens, darunter fast alle EU-Staaten, die USA, China und Japan. Von allen Fällen, die je dort verhandelt wurden, sind nur 4 % der Fälle gegen Staaten Westeuropas und weitere 4 % der Fälle gegen Staaten Nordamerikas verhandelt worden. Ein großer Teil der angeklagten Staaten liegt in Regionen, in denen das staatliche Rechtssystem zumindest instabil ist: 26 % in Südamerika, 26 % in Afrika und dem Mittleren Osten, 25 % in Osteuropa und Zentralasien.

Offensichtlich ist das Instrument internationaler Schiedsgerichte also eine Möglichkeit, zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren herzustellen. Davon sind übrigens auch sehr viele Mittelständler betroffen, die in Gegenden mit ungenügendem Rechtsschutz operieren. Von Vorteil sind diese Optionen zusätzlicher Rechtssicherheit zudem nicht nur für die Investoren, sondern auch für deren Partner vor Ort, für deren Angestellten und Kunden. Wenn es gelingt, die Produktionsstätte eines deutschen Unternehmers etwa in Kenia, Uruguay oder Pakistan vor der Willkür von Politik und Bürokratie zu schützen, ist das ja auch für diejenigen von Vorteil, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen oder als Händler, Transporteure und Konsumenten von den Produkten profitieren.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Nun ist der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die EU und die USA ja doch weitgehend funktionsfähige Rechtssysteme haben. (Wobei gerade die scharfen TTIP-Kritiker das im Blick auf die USA wahrscheinlich verneinen würden, weshalb sie durchaus für das ISDS sein könnten …) Ob freilich die nun gefundene Regelung, staatlich benannte Richter für solche Streitfälle einzusetzen, die bessere Lösung ist, kann mit Fug und Recht angezweifelt werden. „Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, haben wir unabhängige Gerichte gemacht“, jubelte der Europaabgeordnete Bernhard Lange nach der Entscheidung. Diese Sicht der Dinge geht von einer Illusion aus: Nämlich von der Illusion, dass ein Richter, sobald er nicht durch eine Institution des Staates ernannt wurde, zum Rechtsmissbrauch neige, während umgekehrt staatlich eingesetzte Richter automatisch unabhängig seien.

Richter sind Menschen, unabhängig davon, ob sie eine staatliche Robe tragen oder nicht. Richter machen Fehler und können korrupt sein. Korruption ist dabei definitiv nicht nur mithilfe von Geld durchführbar. Auch die Aussicht auf Ämter oder Beförderungen kann Menschen, und eben auch Richter, dazu bringen, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit zu ignorieren. Dennoch sind Richter, ob staatlich legitimiert oder nicht, wohl tendenziell eher immun gegen Korruption. Das liegt an ihrem Berufsethos. Das liegt aber auch daran, dass natürlich alle Parteien, die für die Einsetzung eines Richters zuständig sind, ein Interesse an dessen Integrität haben. Würden sich etwa die Richter des ICSID durch besondere Nähe zu Staat oder Unternehmen auszeichnen, wäre es wohl bald vorbei mit dessen gutem Ruf.

Was wollen die Gegner der Schiedsgerichte eigentlich wirklich?

Private Schiedsgerichte laden weder signifikant mehr noch weniger als staatliche Einrichtungen zum Missbrauch oder auch nur zum Irrtum ein. Sie können aber ein wichtiges Korrektiv und eine wichtige Ergänzung zu bereits bestehenden staatlichen Gerichten sein. Nicht nur auf dem Gütermarkt ist Wettbewerb ein Instrument, um bessere Lösungen zu finden. Wenn man nicht davon ausgeht, dass es Menschen gibt, die, weil gütiger, weiser und integrer als andere, bestimmt sind, als Philosophenkönige zu herrschen, dann kann auch für staatliche Institutionen und Organisationen der Wettbewerb ein guter Weg sein, um innovativ zu sein und sich zu disziplinieren.

Man könnte ins Grübeln kommen angesichts von Bernhard Langes Freude darüber, dass sich Investoren aus den USA und der EU fortan nur noch an staatlich ernannte Richter sollen wenden können. Speist sich sein Wohlgefallen gar daraus, dass die Politik auch in Zukunft nicht darauf wird verzichten müssen, die Rechtsprechung zu kontrollieren? Wird hier gar unter dem Vorwand, dem Missbrauch der Justiz durch zahlungskräftige Unternehmen vorbeugen zu wollen, der Boden bereitet für den Missbrauch der Justiz durch die Politik? Wenn man die Stimmungsmache im Europäischen Parlament gegen große Konzerne wie Google beobachtet, könnte man fast zu diesem Schluss kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ablehnung privater Schiedsgerichte wirklich der Herrschaft des Rechts dienen wird.