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Die sozialpolitische Diskussion in Deutschland verläuft etwas schief. Das zeigt die Diskussion um die Formulierung des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn, der in einem Interview gesagt hat: „Die Tafeln tragen dafür Sorge, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden. Damit erfüllen sie eine wichtige Aufgabe und helfen Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Aber niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt.“ Spahn hat durchaus recht damit. Zum einen ist es gut, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden, sondern Verwendung finden. Zum anderen ist es richtig, dass die Anzahl der Tafeln in Deutschland nichts über die Armut in Deutschland aussagt. Tatsächlich ist die soziale Grundsicherung, auch im Vergleich zu Nachbarstaaten, auf sehr hohem Niveau.

Doch befähigt unser Sozialsystem zur Selbsthilfe? Unser Sozialsystem erinnert ein Stück an die Geschichte von Sankt Martin, der seinen Mantel teilt, um ihn dem Bettler am Wegesrand zu schenken. Damit hat er erste Hilfe geleistet. Das ist wichtig und notwendig. Aber befähigt dies den Bettler ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Wohl nicht. Ein liberales Gesellschaftsbild würde hier eher einen Unternehmer sehen, der den Bettler erstversorgt und ihm anschließend seinen Fähigkeiten entsprechend eine Arbeitsstelle im Unternehmen anbietet, die ihm erlaubt, eine Wohnung zu mieten und seine Familie zu ernähren. Hilfe zur Selbsthilfe ist dabei das Stichwort. Diesen Ansatz verstehen staatliche Institutionen zu wenig. Besser geeignet ist dafür eine aufgeweckte Bürgergesellschaft. Vielleicht erfährt diese Bürgergesellschaft bald wieder eine Renaissance. Anlass für diese Renaissance könnte der 130. Todestag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen sein.

Die Not der Landbevölkerung veranlasste im 19. Jahrhundert Friedrich Wilhelm Raiffeisen zum Handeln. Als Bürgermeister von Weyerbusch (Westerwald) gründete er im Hungerwinter 1846/47 den „Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten“.

Mit Hilfe privater Spenden kaufte er u. a. Mehl. In einem selbsterrichteten Backhaus wurde Brot gebacken, das auf Vorschuss an die Bedürftigen verteilt wurde. Der „Brod-Verein“ und der „Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein von 1864“ waren die ersten vorgenossenschaftlichen Zusammenschlüsse und der Beginn der weltweit erfolgreichen genossenschaftlichen Bewegung.

Ein anderes Jubiläum steht in diesem Jahr ebenfalls an. Vor 150 Jahren, am 04.07.1868, wurde das Genossenschaftsgesetz im Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes veröffentlicht. Es war das Ergebnis eines langen politischen Kampfes, den der Liberale Hermann Schulze-Delitzsch leidenschaftlich führte. Weil Arbeiter und Gewerbetreibende keine Kredite bekamen, um Investitionen zu tätigen, gründete Schulze-Delitzsch „Vorschussvereine“. Es waren die Vorläuferorganisationen der heutigen Volksbanken. Sie waren lokal verankert und kümmerten sich um die originären Themen, die ihre Mitglieder betrafen.

Der Sachse Schulze-Delitzsch wollte den „Vereinigungen der kleinen Leute“ die gleichen Rechte wie den „Vereinigungen der Wohlhabenden“ ermöglichen und diese von der „Willkür der Verwaltungsbehörden“ befreien. Diese Unabhängigkeit vom Staat setzte für ihn zwei wesentliche Dinge voraus: Zum einen die solidarische Hilfe der Genossenschaftsmitglieder für den gemeinsamen Zweck, aber gleichzeitig auch die solidarische Haftung aller Mitglieder (Genossen). Viel mehr an Regulierung brauchte es nicht und braucht es wohl auch künftig nicht. Das Genossenschaftswesen ist eine echte liberale Alternative zu den oftmals ineffizienten, unpersönlichen Gießkannenaktionen, die wir aus dem Bereich des Wohlfahrtsstaates nur allzu gut kennen. Sie ist eine dezentrale Antwort auf große und vielfältige sozialpolitische Herausforderungen. Der großartige Genossenschaftsgedanke verbindet zivilgesellschaftliches Engagement mit ökonomischer Tatkraft, wahrhaftige Solidarität mit Unternehmergeist. Anders als in einem anonymen Sozialstaatskonstrukt sind die Armen und Schwachen nicht bloß Bittsteller und Almosenempfänger, sondern eigenständige Individuen, die freiwillig kooperieren, um ihre Notlagen gemeinschaftlich zu lösen.

Kritisch hinterfragen muss man nicht nur die Ineffizienz der gegenwärtig bestehenden sozialstaatlichen Strukturen, sondern auch deren moralische Integrität. Ist Wachstum im Sozialstaat per se schon eine segensreiche Komponente? Wird unsere Gesellschaft durch einen immer schneller wachsenden Sozialstaat schon „sozialer“? Führt die etatistische Mentalität hierzulande, die sich durch die wachsende Anspruchshaltung gegenüber staatlichen Leistungen manifestiert, nicht letztendlich zu einem zu tiefst undemokratischen Verteilungskampf um die vorhandenen Ressourcen? Kann sozialer Frieden dadurch langfristig gewährleistet werden? Oder bedarf es hier nicht zivilgesellschaftlichen Engagements, das Probleme persönlicher und ehrlicher löst, als es der Staat jemals könnte?

Es zeigt sich, dass viele gesellschaftliche Probleme unserer Zeit auch privatwirtschaftlich zu lösen sind und nicht immer über klebrige und ineffiziente staatliche Umwege geleitet werden müssen. Vom staatlichen Umweg profitieren nämlich nicht die Bedürftigen selbst, sondern in erster Linie das bürokratische System. Denn wirklich sozial ist nicht der Staat, sondern der Einzelne durch sein selbstbestimmtes Handeln.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: Joe Gatling from flickr.com (CC BY 2.0)

Es gibt vieles, was man am Koalitionsvertrag von Union und SPD kritisieren kann. Es sind der mangelnde Mut, die fehlende Perspektive und die Reformunfähigkeit, die man mit Recht bemängeln muss. Aber eigentlich ist es das Bild, das von Bürgern und Unternehmen gezeichnet wird, das besonders entlarvend ist. Es ist das Bild des fürsorglichen Staates, der seine Untertanen an die Hand nimmt, ihnen die Lebensrisiken abnehmen und sie behüten und beschützen will. Die Koalitionäre behandeln die Bürger eigentlich wie Schafe. Sie dürfen ab und zu blöken, aber ansonsten werden sie regelmäßig geschoren und eingehegt.

Wer sich nicht benimmt, wird an den Pranger gestellt. So heißt es im Koalitionspapier: „Wir unterstützen eine gerechte Besteuerung großer Konzerne, gerade auch der Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon.“ Es mag inzwischen wohlfeil sein, auf die Internetgiganten einzuprügeln. Doch ist es nicht bezeichnend, wenn hier allein US-Konzerne aufgeführt werden? Wenn die angehende Koalition schon Unternehmen wegen ihrer Steuerpraxis kritisiert, dann sollte sie doch erstmal vor der eigenen Haustüre kehren. Der Staatskonzern Airbus hat seinen Unternehmenssitz nicht deshalb in das niederländische Leiden verlegt, weil dort die Innenstadt so schön ist oder der Käse so gut schmeckt, sondern weil der Konzern das attraktive niederländische Steuerrecht anwendet, um seine Steuerlast geschickt auf nahe null zu drücken.

Doch sei es drum – das Steuerrecht leidet letztlich unter dem Anspruch der Einzelfallgerechtigkeit, und es wird von der künftigen Koalition weiter verschlimmbessert werden. Die Koalition erkennt eine vermeintliche Ungerechtigkeit und versucht diese detailreich im Steuerrecht anzupassen. Dieser Wettlauf gegen die Steuerabteilungen der Konzerne ist letztlich ein Hase-und-Igel-Spiel, das immer zulasten der kleineren und mittleren Unternehmen geht, die sich keine großen Steuerberatungskanzleien oder -abteilungen im Unternehmen leisten können oder wollen, sondern anschließend mit dem dann noch komplizierten Steuerrecht leben müssen.

Ein gerechtes Steuerrecht sähe anders aus. Es würde nicht auf den Einzelfall, auf groß oder klein, auf die Herkunft des Unternehmens oder sein Geschäftsmodell schauen. Ein gerechtes Steuerrecht würde allgemeine, abstrakte Regeln schaffen, die für alle gleich sind. Dieser Anspruch müsste Leitbild für das Steuerrecht sein. So ein Steuerrecht würde auch Lobbyinteressen aushebeln. Mittelständler können sich meist teure Vertretungen in der Hauptstadt nicht leisten, sondern nur die großen Konzerne.

Daher sollten insbesondere CDU und CSU Ludwig Erhards „Wohlstand für Alle“ hernehmen. Darin schreibt Erhard sehr eindrücklich über die Sonderinteressen in der Politik: „Das Nachgeben gegenüber einzelnen Forderungen bestimmter Wirtschaftskreise verbietet sich auch wegen der Interdependenz allen wirtschaftlichen Geschehens. Jede einzelne Maßnahme in der Volkswirtschaft hat Fernwirkungen auch in Bereichen, die von den Aktionen gar nicht betroffen werden sollen, ja, von denen niemand bei flüchtiger Beobachtung glauben möchte, dass sie von den Ausstrahlungen berührt werden.“ Hier gilt es anzusetzen, wenn man den Anspruch hat, Wohlstand für alle zu ermöglichen.

Erstmals veröffentlicht bei der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Photo: Caleb Zahnd from Flickr (CC BY 2.0)

Minister – das ist lateinisch und heißt: Diener. Und das sollten sie in erster Linie auch sein: Diener ihres Souveräns, des Volkes. Es ist hingegen vollkommen egal, ob sie ostdeutsch, weiblich, verdient oder Jens Spahn sind.

Kabinettsbesetzung: Zwischen Soap und Kindergeburtstag

Wohl über kein politisches Thema wird in Zeiten von Koalitionsverhandlungen so viel spekuliert wie über die Besetzung des Kabinetts. Es ähnelt einer Soap, die zur besten Nachmittagssendezeit das alternde Publik der öffentlich-rechtlichen bei Laune hält, wenn eine ganze Republik spekuliert: Wie geht es weiter mit den vertrauten Figuren, an deren Schicksalen und Erfolgen wir uns Nachmittag für Nachmittag ergötzen? Besonders schmerzlich ist es, wenn über die Jahre liebgewonnene Protagonisten wie etwa Thomas de Maiziere oder Sigmar Gabriel aus dem Drehbuch geschrieben werden. Dabei reicht es schon, dass man sich die Soap einfach nicht mehr ohne diese Figuren vorstellen kann, um plötzlich Sympathie für diese eigentlich flachen oder ursprünglich gänzlich unsympathischen Rollen zu empfinden.

Doch der Trennungsschmerz ist allzu schnell überwunden, wenn es um die Neubesetzung geht. Schließlich verknüpfen wir so einige Erwartungen an die Profile der Neuen. Nur beziehen sich diese beim Bundeskabinett eben seltener auf die sexuelle Ausrichtung oder die familiäre Bande zu anderen Soap-Stars. Stattdessen stehen in den Medien und am Stammtisch der repräsentative Charakter des neuen Kabinetts im Vordergrund: Wird es etwas keinen ostdeutschen Minister geben? Wie steht es um die Frauenquote? Werden genug Junge ins Kabinett geholt?

In der parteiinternen Diskussion verwandelt sich die Personaldebatte mittels Quoten- und Versorgungsdenken dann langsam in einen Kindergeburtstag. Wie zwischen Fünfjährigen, die darum streiten, wer zuerst mit einem Holzlöffel auf der Suche nach dem Topf um sich schlagen darf, werden gegenseitige Sympathie und Gruppenzugehörigkeit in die Waagschale geworfen. So müssen die Parteivorstände von Union und SPD peinlich genau darauf achten, dass alle Landesgruppen, Parteiflügel und Unterorganisationen entsprechend im neuen Kabinett vertreten sind. Dann erst kommt die persönliche Ebene: Wer kann mit wem und wer möchte seinen Parteifreund am liebsten als dritten Honorarkonsul in Wladiwostok sehen? Gibt es vielleicht noch Versprechen einzulösen oder sind da gar verdiente Alt-Ministerpräsidenten, die ihre Karriere im fernen Preußen langsam ausklingen lassen sollen? Am Ende sind sowohl die öffentliche als auch die parteiinterne Diskussion Symptom eines großen Missverständnisses, was die Rolle der Minister angeht.

Minister sollen dem Gesetzgeber dienen, nicht andersherum

Die Minister sind als Teil der Exekutive nämlich hauptsächlich für die Verwaltung und – wesentlich wichtiger – für die Umsetzung der Beschlüsse der gesetzgebenden Gewalt verantwortlich. Zwar kann die Bundesregierung Gesetze in Bundestag einbringen, deren Beschluss obliegt aber stets den Abgeordneten. Das macht die Minister, im Sinne des lateinischen ministrare, zu Dienern. Sie dienen dem Bundestag als ausführendes Organ – nicht der Bundestag den Ministern als Beschlussorgan oder Jubelperserverein. Auch wenn das in den vergangenen Jahren allzu häufig den Anschein erweckte. Damit dienen die Minister mittelbar vor allem dem Volk, dessen repräsentative Vertretung der Bundestag ist.

Anders als der Bundestag muss die Besetzung der Minister nicht repräsentativ sein. Sie müssen keine Quoten erfüllen und sie sollten auch nicht zur puren Verhandlungsmasse oder Abfindung werden. Vielmehr sollte die Bundeskanzlerin bei der anstehenden Benennung ihrer Minister Fachkompetenz und Dienstbereitschaft, altmodisch Demut, als Maßstab für die Eignung annehmen. Gleiches gilt für die sie bewertende Öffentlichkeit und die Medien. Leider lassen die vergangenen Wochen sowohl bezüglich Fachkompetenz als auch hinsichtlich der Demut nichts Gutes vermuten. Auf der eine Seite streiten sich zwei führende SPD-Politiker öffentlich, von Eitelkeit wie Anspruchsdenken getrieben –  und am Ende wohl für beide erfolglos – um ein Ministeramt. Auf der anderen Seite – glaubt man den durchgesickerten Informationen – spielen die CDU-Minister munter Bäumchen-wechsel-dich. Getreu dem Motto: ein Jurist kann sowohl Gesundheit als auch Bildung.

Der Abgeordnete sollte der eigentliche Star sein

Die „Kindergeburtstagssoap“ der Kabinettsbesetzung ist zuletzt aber vor allem auch ein Symptom eines stetig schwächer werdenden Parlaments. Während vielen Menschen selbst Verbraucherschutz, Landwirtschafts- oder Entwicklungshilfeminister bekannt sind, rangiert der eigene Wahlkreisabgeordnete häufig unter ferner liefen. Dabei soll dieser am Ende über die konkreten Projekte des jeweiligen Ministers entscheiden und ihre Ausführung kontrollieren. Ja, als wie stark kann ein Parlament überhaupt noch bezeichnet werden, wenn sich eine geschäftsführende Regierungschefin schlicht weigern kann, mit wechselnden Mehrheiten (ähnlich wie in den Vereinigten Staaten) zu regieren und dies nicht öffentlich hinterfragt wird.

Dabei hätte gerade eine solche Konstellation dem Abgeordneten endlich wieder mehr Gewicht verliehen. Man stelle sich nur vor: Woche für Woche müsste die Bundeskanzlerin gemeinsam mit ihren Ministern im Parlament erscheinen und sich für Ihre Entwürfe und Entscheidungen rechtfertigen, um eine Mehrheit zu erhalten. Eine Regierungserklärung ist dann nicht mehr zu allererst eine Show-Einlage für die Heute-Nachrichten und die Regierungskollegen in Brüssel, sondern der ernsthafte Versuch, den Vertreter des Souveräns von Politikvorschlägen zu überzeugen. Der Minister als demütiger Diener, der Wahlkreisabgeordnete als Star: Das wäre doch was!

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Die noch geschäftsführende Bundesregierung kapert jetzt die Themen der Piraten-Partei. In Umfragen und bei Wahlen ist diese zwar längst marginalisiert, aber nicht nur der Volksmund sagt bekanntlich, Kleinvieh macht auch Mist. In einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Finanzminister Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella, schlägt die Regierung vor, einen kostenlosen Nahverkehr anzubieten, um ein drohendes Fahrverbot in Innenstädten zu verhindern. Kostenlos ist der Nahverkehr auch danach nicht, denn die Infrastruktur und die Beschäftigten müssen ja von jemandem bezahlt werden. Aber es zahlt dann ein anderer. Das Modell soll erst einmal in fünf Modellkommunen getestet werden. In Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim soll es losgehen. Warum eigentlich dort, fragt sich der geneigte Leser? Warum nicht in Wanne-Eickel, Berlin-Marzahn, Halle-Neustadt, Gundelfingen oder gleich überall?

Diese Umsonst-Kultur passt in den Zeitgeist, daher ist das Thema gut gewählt. Die Straßen und Autobahnen sind verstopft. Was liegt da näher, mit der S-Bahn oder dem Bus zu fahren, insbesondere, wenn man kein Ticket kaufen muss. Doch wie immer hat diese Umsonst-Kultur auch Nachteile. Wieso noch auf das Fahrrad steigen, wenn der Bus so nahe ist? Warum schaltet sich hier eigentlich nicht der Gesundheitsminister ein? Sein Vorschlag müsste doch an dieser Stelle lauten, dass die Bundesregierung auch kostenlose Fahrräder zur Verfügung stellt. Vielleicht kann man sogar einen Rechtsanspruch auf ein Fahrrad ins Grundgesetz schreiben. Grüne und Linke machen da sicherlich mit. Das hätte den Vorteil, dass gleichzeitig die „Volksgesundheit“ gefördert würde und damit das nationale Herzinfarktrisiko gemindert wird. Es würde auch die Fahrradindustrie wieder in Schwung bringen, wenn ein Großauftrag von 80 Millionen Fahrrädern auf die Hersteller zukäme. Gefördert würden dann natürlich nur Fahrräder aus heimischer Produktion, denn das sichert Arbeitsplätze vor Ort und schützt vor den Billigprodukten aus China und anderswo.

Diese nationale Strategie für Busse, Bahnen und Fahrräder könnte dann auch noch mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 1.000 Euro pro Bürger verbunden werden. Das würde die Umsonst-Kultur dann noch so richtig abrunden. Ach, die Welt wäre dann so schön. Alle Probleme wären gelöst und alle Menschen glücklich.

Guido Westerwelle sagte einmal: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Da hatte er sehr Recht. Es würde eine Allmende-Kultur entstehen, in der sich viele es zu Lasten anderer gut gehen lassen. Nein, Dienstleistungen müssen einen Preis haben, sie ausschließlich über Steuern zu finanzieren, mindert die Leistungsfähigkeit der Anbieter, weil sie unabhängig von ihrer Leistung Transfers des Staates erhalten. Man muss nur in die Geschichtsbücher über den Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs nachlesen, um zu wissen, dass dieser Weg nicht von Dauer ist. Wenn der Staat und seine Kommunen den Schadstoffausstoß in den Innenstädten reduzieren wollen, dann können sie ja damit beginnen, den städtischen Fuhrpark umzurüsten und Busse mit anderen Antrieben fahren lassen.

So ist es auch mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Natürlich ist die Sozialbürokratie immens. Und natürlich ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Einkommensbegriffe, Schwellenwerte und Leistungen des Bundes, der Länder und Kommunen zu bündeln. Und natürlich ist es sinnvoll, den Hinzuverdienst nicht voll auf Sozialhilfe und andere Leistungen anzurechnen. Das würde Bürokratie abbauen, Bürgern mehr Eigenverantwortung übertragen und Findige im Dschungel der Leistungen nicht gegenüber den Bedürftigen bevorteilen. Doch auch hier gilt, dass es eine Wohlstandsillusion einer Gesellschaft ist, zu meinen, der Staat sollte alle, seien sie bedürftig oder nicht, per se und ohne Bedürftigkeitsprüfung alimentieren. Die problematische Stigmatisierung derer, die Sozialleistungen erhalten, sollte in unserem Sozialsystem aber nicht dazu führen, dass man plötzlich vom Regen in die Traufe kommt. Es wäre ein falsches Signal in eine Gesellschaft hinein, wenn dann diejenigen ausgegrenzt und verhöhnt werden, die am Ende das Rad am Laufen halten und Steuern bezahlen. Denn hier sollten wir es mit Ludwig Erhard halten: Es gibt keine Leistung des Staates, die sich nicht auf Verzichte des Volkes gründen.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: Herb Neufeld from Flickr (CC BY 2.0)

Die Politik wird immer übergriffiger. Die projektierte Große Koalition will jetzt einen Minister für Heimat stellen. Das erinnert in geradezu grotesker Weise an George Orwells Buch „1984“. In solchen Bereichen hat der Staat in einer freiheitlichen Demokratie nichts verloren!

Selbstbeglücker statt Weltbeglücker

„Ministerium für Frieden“, „Ministerium für Überfluss“, „Ministerium für Liebe“, „Ministerium für Wahrheit“ – mit diesen vier Ministerien zeichnete Orwell in seinem Roman das Bild von einem Staat, der die volle Kontrolle über das Leben der Bürger übernimmt. Mit blumigen Worten wird die eiserne Faust geschmückt, die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung erdrückt. Der dystopische Staat, den Orwell schildert, ist das Gegenteil der freiheitlichen Demokratie, die wir über Jahrhunderte in der westlichen Welt entwickelt, ja erkämpft haben. In ihr ist der Bürger ein selbstverantwortliches Individuum. Und der Staat ist eine Art Dienstleister, der nur innerhalb klar definierter Grenzen tätig werden darf. Unter all den Grenzen ist die Grenze der Selbstbestimmung die kostbarste, weil sie das Grundprinzip der freiheitlichen Demokratie, des Rechtsstaates und der Marktwirtschaft ist.

Die größten Feinde dieser modernen, aufgeklärten und zutiefst emanzipatorischen Staatsform sind die (vorgeblichen und überzeugten) Weltbeglücker. Während sie die Selbstbestimmung des Menschen zwar oft im Munde führen, sind ihre Taten in der Regel angetan, sie einzuschränken und zu ersetzen durch ihre scheinbar wohlwollende Fremdbestimmung. Das Gegenkonzept zu einer freiheitlichen Ordnung stammt aus alten Zeiten, als das Überleben abhing vom Zusammenhalt innerhalb kleiner Horden. Der Anführer, der weise Mann kannte sich aus und wusste, was das Beste ist für den Stamm. Darum vertrauten sich unsere Vorfahren seiner Leitung an. Die offene Gesellschaft ist ganz anders: Dank Wissenschaft und Technik, dank Institutionen und Regeln, dank Kommunikation und Kooperation ist es uns möglich geworden, diese Anführer loszuwerden und selber Frau oder Herr über unser Leben zu werden. Wir brauchen keine Weltbeglücker mehr – wir sind Selbstbeglücker geworden!

Die freiheitliche Demokratie lebt von der Zurückhaltung der Politik

In einer freiheitlichen Demokratie hat Politik die Aufgabe, zu organisieren. Das spiegelt sich tatsächlich auch sehr anschaulich wider in den Bezeichnungen der Ministerien: Eine Verkehrsministerin kümmert sich etwa um Autobahn- und Schienennetz. Ein Außenminister ist zuständig für Beziehungen mit anderen Staaten. Selbst wenn man in vielen Fällen der Ansicht ist, dass die Ministerien (viel) zu viele Aufgaben übernehmen, ist in der Regel klar, dass sie deutlich umrissene und klar zuweisbare Aufgaben haben. Was aber soll ein Heimatministerium für eine Aufgabe haben? Wie taucht der Bereich „Heimat“ im Bundeshaushalt auf? Welche exekutiven Befugnisse verbindet man mit diesem neuen Teilbereich des Innenministeriums?

Man kann dieses neue Ministerium auch als PR-Gag abtun. Ein netter Einfall des (noch-)CSU-Vorsitzenden, um die eigene Klientel zu beglücken. Man kann es als den Versuch der neuen Regierung interpretieren, verlorene AfD-Wähler zurückzuholen. Im Grunde genommen ist es aber vor allem eines: Eine ganz und gar unzulässige Überschreitung der Kompetenzen der Politik. Politik muss sich um konkrete Aufgaben kümmern. Man kann sich dann trefflich streiten, wie weit die Überwachung gehen soll, wie groß die Umverteilung sein soll oder welche Bildungsaufgabe wie finanziert und organisiert sein soll. Aber Politik darf sich nicht um Gefühle kümmern. Und Heimat ist keine klar umrissene Aufgabe, sondern ein durch und durch subjektives Gefühl. Was der Rostocker Werftarbeiter, die Saarbrücker Restaurantbesitzerin, der Kindergärtner im Prenzlauer Berg und die IT-Spezialistin aus Coburg unter Heimat verstehen, kann selbst von einem Herrn Seehofer nicht verstanden und erst recht nicht bedient werden.

Identitätspolitik: das Grundübel unserer Zeit

Ähnlich aberwitzig wie das neue Heimatministerium wäre es, wenn die SPD ein Ministerium für soziale Gerechtigkeit eingeführt hätte oder die Grünen eines für Genderfragen. Der Begriff Heimat bezieht seine Bedeutung daraus, dass er Identität stiftet. Man begreift Arnsberg, das Sauerland, Westfalen, Deutschland oder gar Europa irgendwie als Orte, denen man sich zugehörig fühlt – wegen der besonderen Küche, wegen der Sprache, der Schulklasse, der Architektur, der Landschaft, des Schützenvereins … Und jeder wird eine andere Mischung aus Gründen haben, warum er sich dort zuhause fühlt. Diese Identität ist immer etwas ganz und gar Singuläres. Das sagt schon die eigentliche Wortbedeutung.

Das Grundübel politischer Diskussionen in unserer Zeit ist das Thema Identität. Es gibt nichts Privateres als Identität. Dass diese Frage in die Politik gezerrt wurde, hat übergriffigen Politikern Tor und Tür geöffnet. Hier beginnt der Weg zurück in die Vormoderne – oder voran in Orwellsche Dystopien. Identitätspolitik ist so schwammig, dass sie sich demokratischer Kontrolle entzieht. Und gleichzeitig so gewalttätig, dass sie Diskurse verunmöglicht. Die Entprivatisierung, die Verstaatlichung, die Nationalisierung von Identität fügt der freiheitlich-demokratischen Ordnung mittel- bis langfristig einen schweren Schaden zu. Man sollte das Heimatministerium nicht als PR-Gag belächeln. Es ist weit mehr: Es ist der Einstieg in eine Politik, die nicht mit Argumenten und Zahlen argumentiert, sondern mit Gefühlen und Geboten – mit Moral. Wohin das führen kann, lässt sich in Venezuela und Kuba genau so beobachten wie in der Türkei und Russland. Politik darf nicht den Anspruch moralischer Führerschaft erheben – weder, wenn es um den Veggie Day geht, noch, wenn es um die Heimat geht. Denn, um den berühmten bayerischen Dichter Ludwig Thoma zu zitieren, „kein Laster ist so widerwärtig wie die Tugend, die sich vor der Öffentlichkeit entblößt.“