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Photo: Blondinrikard Fröberg from Flickr (CC BY 2.0)

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Kinobesucher das Klima belastet. Der Deutschlandfunk berichtete gestern: je spannender der Kinofilm ist, desto höher sind die CO2-Belastung durch das Ausatmen der Kinobesucher. Bei den Blockbustern „Tribute von Panem“ und „Der Hobbit“ seien die Werte besonders hoch gewesen. Was die Empfehlungen der Wissenschaftler war, wurde im kurzen Bericht leider nicht deutlich. Vielleicht schlägt die EU-Kommission bald eine Höchstgrenze der CO2-Belastung vor? Hollywood muss dann bald Tests durchführen, ab wann die Emissionen des Zuschauers den Höchstwert überschreiten. Dann werden automatisch Spannungsbögen abgeflacht und dramatische Szene entschärft.

Es ist vielleicht noch etwas viel Zukunftsmusik, aber so weit entfernt ist es nun auch nicht. Erst kürzlich hat die EU-Kommission vorgeschlagen, Streaming Anbietern wie Netflix oder Amazon Prime vorzuschreiben, mindestens 20 Prozent europäische Produktionen zu zeigen. Das wäre Zwangsfernsehen auf ganz neuem Niveau. Und warum nicht Filmproduzenten etwas vorschreiben, was bei Autos selbstverständlich ist, und bei Nichtbefolgung inzwischen zu Milliarden Euro an Schadensersatzansprüchen führt.

Das könnte man alles laufen lassen. Es verändert aber nicht nur eine Wirtschaftsordnung schleichend und dauerhaft, sondern bedroht die freie Gesellschaft. Die kann nur bestehen, wenn nicht einige Wissenschaftler oder Politiker für uns etwas festlegen, sondern der Einzelnen souverän seine Kaufentscheidungen trifft. Viele meinen, das könne der Einzelne nicht, die Welt sei zu komplex, Werbung würde die Konsumenten einseitig manipulieren und deshalb bedürfe es einer Lenkung durch Gesetzgeber und Bürokraten. Immerhin seien erstere demokratisch gewählt und könnten deshalb auf eine Mehrheit in der Bevölkerung setzen. Die Mehrheit dürfe über die Minderheit bestimmen, das sei doch Demokratie. Und deshalb sei es richtig und notwendig, in die Freiheit des Produzenten einzugreifen und den Konsumenten an die Hand zu nehmen. Der Staat als Kindermädchen, der den kleinen Erdenbürger eine Art betreutes Wohnen ermöglicht.

Die Demokratie ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat als Entscheidungsfindungsinstrument notwendig, auch um den Machtwechsel friedlich und geordnet durch Wahlen zu erreichen. Dennoch darf die Mehrheit gegenüber der Minderheit oder dem Einzelnen nicht alles. Unser Grundgesetz kennt die unveräußerlichen Grundrechte, die auch von einer Mehrheit im Parlament nicht eingeschränkt werden können. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gehören dazu ebenso die Meinungsfreiheit und der Schutz von Ehe und Familie. Dennoch erleben wir auch hier fast täglich, deren Aushöhlung durch Regierung und Parlament.

Was hier hilft, ist die Machtbegrenzung der Politik durch eine Gegenmacht aufgeklärter Bürger, die sich als Produzenten und Konsumenten dagegen wehren, dass die Regierung und das Parlament sich anmaßen, Kindermädchen für uns alle zu sein. Im Übrigen: Schon dafür hat die Regierung und das Parlament gar keine entsprechende Ausbildung und verstößt damit bestimmt gegen ein Gesetz oder eine Ausbildungsordnung. Darüber hinaus ist die Berufsbezeichnung „Kindermädchen“ bestimmt nach dem Antidiskriminierungsgesetz nicht zulässig. Es schließt alle Männer von der Betreuung aus …

 Photo: Pedro Ribeiro Simoes from Flickr (CC BY 2.0)

Die deutsche Regierung steckt in einem großen Dilemma. Die Euro-Zone entwickelt sich immer weiter auseinander. Die einen häufen immer neue Staatsschulden, Arbeitslosenzahlen und Leistungsbilanzdefizite an. So haben beispielhaft Italiens Staatsschulden mit 135,7 Prozent zur Wirtschaftsleistung den höchsten Stand seit 1924, in Portugal liegen sie bei 129 Prozent, Spanien 99,2 Prozent und Griechenland 176,9 Prozent.

Die Arbeitslosigkeit in Spanien liegt bei über 4 Millionen registrierter Bürger, die nur dadurch sinkt, da viele das Land verlassen. In Frankreich liegt die tatsächliche Arbeitslosenzahl wohl bei 6,5 Millionen. Die Industrieproduktionen in Frankreich (-10,4 %), Spanien (-17,7 Prozent), Portugal (-18,3 %), Italien (-21,1 Prozent) und Griechenland (- 30,3 Prozent) sind Lichtjahre vom Basisjahr 2000 entfernt. Anders in Deutschland. Dort steigen die Beschäftigungszahlen, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Industrieproduktion hat gegenüber dem Jahr 2000 um 21 Prozent zugelegt und selbst den Höchststand von 2007/2008 wieder erreicht.

Ausdruck dieser Entwicklung innerhalb der Euro-Zone sind die so genannten Target-Salden. Seit August 2012 steigen die Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem wieder. Mit 625 Milliarden Euro sind sie nicht mehr weit vom Allzeithoch von 751 Mrd. Euro im August 2012 entfernt. Sie entsprechen weitgehend dem kumulierten Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den Krisenländern in der Eurozone. Anders ausgedrückt, die Waren und Dienstleistungen, die deutsche Unternehmen in den Club Med exportieren, werden von den Krisenländern bei der EZB angeschrieben – so lange bis der Arzt kommt.

Deshalb meinen einige, die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands seien die Defizite Griechenlands, Spaniens oder Italiens. Das ist natürlich zu kurz gesprungen. Denn Deutschland exportiert seine Waren- und Dienstleistungen nicht nur in die Eurozone. Deutsche Unternehmen exportieren nur 36 Prozent der Waren und Dienstleistungen in die Euro-Zone, 22 Prozent in die restliche EU und 42 Prozent außerhalb Europas. Dennoch zeigt das Phänomen zumindest einen Teil der Problematik. Innerhalb der Eurozone wächst eine Gruppe von Staaten seit Jahren, während ein anderer Teil schrumpft oder stagniert. Um dieses Problem zu lösen, gibt es eigentlich nur drei Wege.

Der erste Weg ist der der deutschen Wiedervereinigung. Wir schaffen ein einheitliches Rechtsgebiet, gleichen die Sozialstandards an und versuchen durch öffentliche Investitionen und Transfers die Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten zu senken und die öffentlichen Haushalte zu finanzieren. Dieser Pfad würde eine neue Dimension der Umverteilung in der EU erfordern. Es würde eine über das bestehende Maß weit hinausgehende Transferunion einleiten, bei der Leistungsbilanzdefizite und Target-Verbindlichkeiten innerhalb des Währungsgebietes nicht mehr diskutiert, sondern schlicht akzeptiert würden. So war und ist es letztlich mit der Deutschen Einheit auch. Sie war eine nationale Aufgabe, der sich alle Regierungen bislang verpflichtet haben. Schätzungen über die finanzielle Dimension der Deutsche Einheit liegen bis heute bei rund 2 Billionen Euro.

1989 lebten in der DDR 16,4 Millionen Bürger. Es wäre unredlich, diese Zahl einfach auf die restlichen Eurostaaten zu übertragen. Doch wenn alleine Griechenland (11 Mio. Einwohner), Italien (60 Mio. Einwohner), Spanien (46 Mio. Einwohner) und Portugal (10 Millionen Einwohner) herangezogen werden, ist man bereits bei 127 Millionen Einwohnern. Würde man den gleichen Transferbedarf wie für die Deutsche Einheit unterstellen, käme man auf einen Bedarf von fast 15,5 Billionen Euro, die in den Süden transferiert werden müssten. Würde diese Summe – wie aktuell in Deutschland – auf bislang 26 Jahre verteilt, bestünde ein Transferbedarf von fast 600 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: der Bundeshaushalt hat derzeit ein Gesamtvolumen von 316 Milliarden Euro und der EU-Haushalt von 155 Milliarden Euro. Damit wird man also nicht allzu weit kommen. Die Zahlen zeigen aber die Herausforderung dieses Weges.

Der zweite Weg ist der, den die jetzige Regierung wohl einschlagen wird. Sie wird argumentieren, dass es doch sinnvoller sei Straßen, Schulen und Hochschulen in Deutschland herzurichten, anstatt den Schlendrian in Griechenland oder Portugal zu finanzieren. Viele Profiteure, von den Gewerkschaften über die Arbeitgeberverbände bis zu den kommunalen Spitzenverbänden werden jubeln und Hosianna schreien. Doch es ist wahrscheinlich der Weg, den Pfad der Vernunft endgültig zu verlassen und wieder stärker in die eigene Verschuldung zu gehen. Es ist, um es etwas überspitzt auszudrücken, der Weg der Angleichung der Lebensverhältnisse in der Eurozone.

Ein bisschen mehr Hellas bei den Rentenausgaben, ein wenig Siesta im Arbeitsmarkt, einen Schluck „Grande Nation“ bei den Verteidigungsausgaben und ein Brikett Mezzogiorno bei den Sozialtransfers. Obendrauf kommen noch ein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm aus der Mottenkiste der 70er Jahre und fertig ist die „Agenda 2030“. Bei George Orwell waren das in „1984“ noch „Gedächtnis-Löcher“, die eigentlich ausgelöscht waren. Jetzt kommen sie wieder hoch und die EU-Kommission wird dies alles begrüßen. Wenn schon, dann soll es im Euro-Club allen gleich schlecht gehen. Damit würde Deutschland sein Leistungsbilanzüberschuss von über 6 Prozent endlich reduzieren, worauf die Technokraten in Brüssel schon länger drängen. Starre Regeln wie der Fiskalpakt oder die Schuldenbremse in der eigenen Verfassung verhindern nur den Fortschritt und werden deshalb geschleift und aufgeweicht.

Der dritte Weg ist der harte und steinige Weg. Er ist deshalb in der derzeitigen Gemengelage der unwahrscheinlichste. Dennoch soll er hier der Vollständigkeit halber genannt werden. Dem heutigen Zeitgeist würde er eigentlich am ehesten entsprechen. Er wäre „nachhaltig“. Er würde einem Ordnungsprinzip folgen, das heißt: Du kannst nur das ausgeben, was du vorher erwirtschaftet hast. Es ist so simpel und schon fast banal, ohne Schnickschnack und komplizierte Pläne. Doch oftmals sind gerade die einfachen Wege die schwierigsten.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Kennisland from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Diego Zuluaga ist International Research Fellow am Institute of Economic Affairs und Deputy Director von EPICENTER, einem pan-europäischen Think-Tank-Netzwerk.

Gerade ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die kurzfristige Vermietung von Wohnungen in Berlin verbietet. Es geht bei dieser, bereits 2014 verabschiedeten und seit dem 1. Mai geltenden, Regelung darum, den Wohnungsmarkt zugunsten der Berliner zu entlasten. Laut Andreas Geisel, dem Senator für Stadtentwicklung, ist das Gesetz „ein notwendiges und sinnvolles Instrument …, um der zunehmenden Wohnungsknappheit in Berlin entgegenzuwirken.“

Tatsächlich wird das Verbot jedoch sehr wenig dazu beitragen, das Wohnungsangebot für Einheimische auszuweiten oder günstiger zu machen. Das einzige, was dadurch erreicht wird, ist, dass Wohnungsbesitzer nicht mehr daran verdienen können, dass sie an Leute vermieten, die für eine kurze Zeit günstig wohnen möchten. Kurzum: ein paar Menschen werden durch das Gesetz schlechter gestellt und dennoch hat keiner einen Nutzen davon.

Um zu begreifen, warum das so ist, muss man verstehen, wie und warum Geschäftsmodelle wie Airbnb entstanden sind, und welchem Zweck sie dienen in der zunehmenden Vielfalt des Marktes für Kurzzeitvermietungen.

Seine Wohnung zu teilen, home-sharing, ist ein Beispiel dafür, wie die Sharing Economy funktioniert. Ein Bericht des Europäischen Parlaments hat Sharing Economy folgendermaßen definiert: „das Nutzen von digitalen Plattformen oder Portalen, um Miet- oder Dienstleistungs-Transaktionen zu vereinfachen und damit Unterauslastung zu reduzieren“. Mit anderen Worten: das Phänomen umfasst das Nutzen von neuen Technologien und Marktinnovationen, um Transaktionskosten zu reduzieren.  Dadurch wird eine größere Anzahl an Transaktionen ermöglicht – zum Nutzen sowohl des Besitzers als auch des Nutzers.

Um das zu veranschaulichen, wenden wir uns noch einmal dem konkreten Fall zu. Früher war es üblicherweise so, dass Wohnungsbesitzer, die einen ungenutzten Raum hatten oder eine längere Reise planten, weder günstige noch verlässliche Möglichkeiten zur Untervermietung hatten. Die Besitzer sahen sich mit drei Hürden konfrontiert:

  1. die Kosten, die verfügbaren Optionen zu durchsuchen und zu sortieren;
  2. fehlendes Vertrauen zwischen Besitzern und möglichen Nutzern, die sich in der Regel nicht kennen;
  3. keine einfachen und verlässlichen Zahlungsmöglichkeiten.

Einige Wohnungsbesitzer haben Agenturen genutzt, um diese Hürden zu überwinden, aber hohe Provisionen und Verwaltungsgebühren machten diese Option unattraktiv für diejenigen, die nur sporadisch vermieten wollen oder zu geringen Preisen. Das Ergebnis war, dass bestehende Räumlichkeiten ungenutzt blieben. Und Transaktionen zum gegenseitigen Nutzen wurden unterlassen wegen der hohen Kosten, die anfielen.

Dann traten home-sharing-Plattformen wie Airbnb auf den Plan. Indem sie einen Anlaufpunkt zur Verfügung stellten, bei dem sich Besitzer und mögliche Nutzer treffen können, haben die Plattformen die Kosten der Suche massiv reduziert. Vertrauen wird gesteigert durch umfassende Mechanismen der gegenseitigen Bewertung der Transaktionsteilnehmer. Dazu kommt eine Versicherung, die von der Plattform selbst getragen wird. Die Bezahlung wird über die Plattform abgewickelt, die sich auch um Betrug und andere Missstände kümmert. All das wird erreicht zu relativ geringen Kosten, so dass sich Untervermietung für viele Wohnungsbesitzer erstmals lohnt.

Durch home-sharing wird mithin die Menge der Wohnungen, die vermietet werden können, vergrößert. Diejenigen, die home-sharing-Plattformen nutzen, haben nun Vorteile, weil sie effizienter als vorher Geschäfte tätigen können. Gleichzeitig hat keiner Nachteile, weil sich die Plattformen zunächst an Besitzer gering ausgelasteter Wohnung wendet und nicht etwa die üblichen Mietwohnungen im Blick hat, die bereits vor dem Aufkommen der Sharing Economy auf dem Markt waren.

Befürworter des Berliner Gesetzes könnten einwenden, dass home-sharing-Plattformen dazu führen, dass Wohnungen, die bislang auf dem normalen Mietmarkt waren, nun der Plattform zur Verfügung stehen. Aber es ist nicht zu sehen, warum Wohnungseigentümer sehr kurzfristige Mietverhältnisse langfristigen vorziehen würden, sind doch die administrativen Kosten bei ersteren erheblich höher. Möglicherweise erzielt man mit kurzfristigen Vermietungen an Touristen höhere Renditen als mit langfristigen. Eventuell schätzen Eigentümer auch die Flexibilität, die mit kurzfristigen Vermietungen einhergeht. Wie auch immer: Es ist keineswegs ausgemacht, dass das Verbot dazu führen wird, dass der derzeit für kurzfristige Vermietung zur Verfügung stehende Bestand dann für langfristige bereitstünde.

Wahrscheinlicher ist ein Rückgang des Gesamtbestands an zu vermietenden Wohnungen. Am Ende sind wir wieder bei dem Punkt, als es keine Online-Plattformen gab, um freiwillige Geschäfte zu ermöglichen. Das wäre eine bedauerliche Entwicklung für Städte wie Berlin, das sich doch gerne als ein ideales Zentrum für Technologie und Startups in Europa sieht.

Ein Verbot von kurzfristigen Vermietungen ist keine Lösung für Wohnungsknappheit in Städten. Die Hauptstädte Europas sollten stolz und glücklich sein, dass sie eine wachsende Zahl an Menschen anziehen, und sollten die Entstehung von neuem Wohnraum ermöglichen um der steigenden Nachfrage zu begegnen. Vor allem sollten sie sich aber von fehlgeleiteten Politikentscheidungen fernhalten wie zum Beispiel Mietpreisbremsen. Es hat sich hinlänglich gezeigt, dass diese die Bedingungen der Mieter verschlimmern und dazu führen, dass die Entwicklung des Mietmarktes langfristig gebremst wird.

Gerade Berlin sollte erheblich einfacher als andere europäische Hauptstädte eine wachsende Bevölkerung aufnehmen können, hatte die Stadt, die heute 3,5 Millionen Menschen beherbergt, doch vor dem Zweiten Weltkrieg 4,3 Millionen Einwohner. Zudem hat die vierzig Jahre lange Teilung der Stadt zur Folge, dass Teile der Infrastruktur und des öffentlichen Nahverkehrs oft in doppelter Ausfertigung zur Verfügung. Zusammenfassend kann man feststellen: Das Verbot kurzfristiger Vermietungen ist ein Ablenkungsmanöver und wird die Situation vermutlich eher verschlechtern als verbessern – für die Berliner wie für die Besucher.

Photo: angela n. from Flickr (CC BY 2.0)

Von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Verfasser der Studie „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ über Prometheus.

Seit einigen Jahren wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Debatte über das Konzept einer verhaltensökonomisch motivierten Politik diskutiert, die mal als „weicher” und mal als „libertärer” Paternalismus bezeichnet wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf den Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück, aber inzwischen finden sich in der Literatur so zahlreiche Varianten und so unterschiedliche Anwendungsfälle, dass man wohl besser den Sammelbegriff eines neuen Paternalismus verwendet.

Es geht dabei um einen Paternalismus, der, anknüpfend an die empirische Forschung in der Psychologie und der Verhaltensökonomie, im typischen Entscheidungsverhalten von Menschen Ansatzpunkte findet, um deren Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung beeinflussen zu können. Aus dem Können folgt für die Vertreter dieses Konzeptes unmittelbar das Sollen. Denn das Handeln von Menschen, die für sich selbst entscheiden, erscheint ihnen oft fehlerhaft, unbeherrscht, disziplinlos und dumm, oder kurz: verbesserungsbedürftig.

Wieso sollte man also nicht sogenannte Entscheidungsarchitekturen bewusst gestalten, welche die Schwächen und Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten der Menschen gezielt ausnutzen, um sie zu einem besseren Verhalten zu bewegen? Wollen nicht eigentlich alle Bürger mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, weniger Heizenergie verbrauchen, Carsharing betreiben, mehr fürs Alter zurücklegen und ihr Auto besonders benzinsparend fahren? Und wenn sie es nicht wollen, sollten sie es nicht wollen?

So lesen sich dann manche Vorschläge für Anwendungsfälle des neuen Paternalismus tatsächlich wie verhaltensökonomisch unterlegte Bußpredigten. Der neue Paternalismus ist keineswegs ein zielneutrales Instrument, das es den Bürgern selbst überlässt, unbehelligt ihren eigenen Lebensstil zu genießen und ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Die normative Vorstellung dessen, was das für alle verbindliche gute Leben ist, das wir alle eigentlich leben sollten, wären wir in unseren Entscheidungen nur nicht so fehleranfällig, wird vielmehr stets gleich mitgeliefert.

Kritischen Einwänden gegen den neuen Paternalismus wird oft mit der Behauptung begegnet, dass dieser schon deshalb unproblematisch sei, weil er keinen unmittelbaren Zwang ausübe. Und tatsächlich geht es im Gegensatz zum klassischen Paternalismus nicht darum, den Konsum einiger Güter zu verbieten. Wer sich anders verhalten will als vom paternalistischen Planer gewünscht, soll das prinzipiell dürfen. Die gezielt gestaltete Entscheidungsarchitektur soll es nur wahrscheinlicher – möglichst sehr viel wahrscheinlicher – machen, dass die Konsumenten stets die Wahl treffen, die der paternalistische Planer für vernünftig hält.

Doch wie zuverlässig kann der betroffene Bürger eine autonome, hiervon abweichende Wahl treffen, wenn die paternalistische Einflussnahme für ihn nicht im Moment seiner Entscheidung vollständig transparent ist? Wenn sich in den Daten entsprechender Studien zeigt, dass paternalistisch beeinflusste Konsumenten sich so verhalten wie vom Studiendesigner beabsichtigt, dann ist dies lediglich ein Ausdruck der Möglichkeiten, Entscheidungen erfolgreich zu steuern. Es drückt aber kein Einverständnis der betroffenen Konsumenten aus, gezielt in ihren Entscheidungen beeinflusst zu werden.

Im Hinblick auf die diskutierten Transparenzkriterien sind die Befürworter des neuen Paternalismus meist sehr genügsam. So wird etwa ein Publizitätskritierium vorgeschlagen, nach dem es ausreicht, paternalistische Interventionen mit nachvollziehbaren Argumenten verteidigen zu können, falls sie (ungewollt?) einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Oder es wird postuliert, dass es genüge, ein Ziel (etwa die Energiewende) demokratisch zu legitimieren, womit der Einsatz von paternalistischen Methoden als Mittel dann ebenfalls gleich abgesegnet sei. Den Bürger im Moment des Einsatzes einer Entscheidungsarchitektur stets transparent darüber aufzuklären, dass er gerade in eine bestimmte Richtung gedrängt werden soll, ist aus dieser Perspektive dagegen weder nötig noch wünschenswert.

Wir haben es beim neuen Paternalismus also mit einem Konzept zu tun, das weder auf der Ziel- noch auf der Handlungsebene die Souveränität und Autonomie der Menschen respektiert. Das gilt unmittelbar in ihrer Rolle als Konsumenten. Hier erhält der neue Paternalismus neuerdings Flankenschutz aus der verbraucherpolitischen Diskussion, in der verhaltensökonomische Literatur oft grotesk einseitig interpretiert wird. Dies führt dort zu der Behauptung, nach der empirischen Kritik am alten, theoretischen Konzept vollständiger Rationalität sei nun auch die Vorstellung obsolet, dass es so etwas wie souveräne oder autonome Konsumenten überhaupt geben könne. Wenn man aber diesen leichtfertigen und unbegründeten Schluss einmal gezogen hat, dann ist es natürlich nur folgerichtig, über die Probleme und Folgen individueller Autonomieverluste gar nicht erst nachzudenken.

Steht man dem neuen Paternalismus dagegen kritisch gegenüber, so ergibt sich angesichts der Geringschätzung für individuelle Entscheidungskompetenz noch eine etwas spekulative Frage: Wieso soll man Bürgern, denen man in ihrer Rolle als Konsumenten nicht zutraut, brauchbare Entscheidungen zu treffen, eigentlich eine kompetente Entscheidung als Wähler zutrauen?

Als Ökonom versteht man das Verhältnis zwischen Bürger und Politik gemeinhin vor allem als Prinzipal-Agenten-Verhältnis. Der politische Wettbewerb und zusätzliche checks and balances sollten idealerweise dazu führen, dass die Politik im Sinne der Bürger kontrolliert und diszipliniert wird. Die Souveränität der Bürger steht also im Mittelpunkt. Wird aber, wer schon die Existenz autonomer und souveräner Konsumenten bestreitet, nicht konsequenterweise auch die Bürgersouveränität für ein unmögliches, irreales und irrelevantes Konzept halten müssen? Und welcher neueste Paternalismus könnte daraus dann folgen?

Photo: Vladimir Pustovit from Flickr (CC BY 2.0)

Von Frank Schäffler und Clemens Schneider.

Der Ökonom Prof. Jan Schnellenbach hat im Auftrag von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ eine Studie erstellt zu der Frage „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ Zeitgleich mit der Veröffentlichung startet Prometheus die Kampagne „Ich brauch kein Kindermädchen“, die sich kritisch mit Nudging und Paternalismus auseinandersetzt.

Gerne berufen sich Politiker auf die Legitimation, die sie in regelmäßigen Abständen durch den Bürger erhalten. Im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wurden sie vom Wähler mit dem Auftrag ausgestattet, seine Interessen zu vertreten. Selbstverständlich haben sie eine sehr hohe Meinung von ihren Wählern – schließlich waren die klug genug, ihnen ihre Stimme zu geben. Der Respekt vor dem Wähler und Bürger hört auf anderen Gebieten jedoch schnell wieder auf. Als Verbraucher kann derselbe Wähler nämlich aus ihrer Sicht oft keine so klugen Entscheidungen mehr treffen. Wie kann man noch von einem mündigen Wähler ausgehen, wenn man den mündigen Verbraucher abschafft?

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, heißt es. Dieses Zitat sollten sich die Politiker und Bürokraten an die Wand hängen, die versuchen, mit Hilfe des Nudging und einer „sanften“ Verbrauchersteuerung den besseren Menschen zu erschaffen. Aus deren Perspektive sollte der Bürger seine Freiheit nämlich nur nutzen, wenn er sie auch richtig nutzt. Was richtig ist, bestimmt aber nicht jeder für sich selbst. Was richtig ist, bestimmen Fachleute.

Wer sich Risiken aussetzt, macht in diesem Weltbild etwas falsch, auch wenn er selbst die möglichen negativen Konsequenzen zu tragen bereit wäre. Wer raucht und trinkt oder Aktiengeschäfte macht statt sichere Staatsanleihen zu kaufen, wer riskante Sportarten betreibt oder zu viel Schokolade isst, tut in diesem Verständnis etwas, das er gar nicht tun will. Er ist Opfer seiner eigenen Schwäche, Faulheit oder gar Dummheit. Kein vernünftiger Mensch kann doch so etwas wollen.

In einer Welt, in der alles vorherbestimmt ist, gibt es keine Autonomie mehr. Wenn die Schicksalsgötter bereits alles entschieden haben, kann der Mensch sich nur noch fügen. Zwar sind die Zeiten größtenteils vorbei, in denen Menschen eine solche Vorstellung der Welt hatten. Die Aufklärung hat aufgeräumt mit der Vorstellung des Menschen als Spielball von göttlichen Mächten. Doch diese Religion kehrt in neuer Gestalt mit Macht wieder. Die neuen Götter sind die Fachleute und Experten. Die neuen Hohepriester die Verbraucherschützer und Politiker. Sie sind Herren über das Schicksal, weil sie den richtigen Weg kennen. Sie sind im Besitz eines höheren Wissens und einer tieferen Einsicht.

Der freie Mensch glaubt nicht an solche Götter und folgt nicht solchen Hohepriestern. Er kann als freier Mensch selber entscheiden, was er konsumiert, wie er investiert und was seine persönlichen Ziele sind. Doch auch diese Freiheit und die damit untrennbar verbundene Verantwortung will erlernt sein. Jeder, der Kinder hat oder selbst einmal Kind war, weiß: Freiheit und Verantwortung lernt man nur, indem man Freiheit und Verantwortung übernimmt.

Je mehr staatliche Fürsorge es gibt, je mehr der Verbraucher geschützt wird, umso weniger Möglichkeiten gibt es für ihn, Freiheit und Verantwortung zu lernen. Wenn nun dieser Schutz im sanften und subtilen Gewand des Nudging daherkommt, wird es noch gefährlicher: Während der Bürger sich gegen eine gesetzliche Gängelung wehren kann, arbeitet diese Methode des unterbewussten Schubsens ja gerade dadurch, dass sie gar nicht auffällt. Es bleibt also nicht einmal mehr die Möglichkeit der Rebellion und des Ungehorsams, um Freiheit und Verantwortung zu lernen.

Nur wer die Freiheit hat, Dummes zu tun, wird mit der Zeit lernen können, was klug ist. Die Freiheit zum Irrtum ist die wichtigste Quelle menschlicher Erkenntnis und Entwicklung – im persönlichen Leben jedes einzelnen wie im großen Ganzen menschlicher Zivilisation. Wenn der „sanfte“ Paternalismus des Nudging die Freiheit vom Irrtum verheißt, droht er genau diese Quelle auszutrocknen.

Den perfekten Menschen und mithin das Paradies auf Erden zu schaffen, ist noch keinem Menschen gelungen. Es hat ganz im Gegenteil oft fatale Folgen gezeitigt. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen ein Recht haben, Fehler zu machen. Es mag Entscheidungen geben, die uns unvernünftig erscheinen. Mit Worten und Argumenten können wir versuchen, jemanden davon abzuhalten. Aber der Vorrang der Freiheit verbietet es uns, in sein Leben einzugreifen. Nicht mit Gesetzen und Vorschriften. Und erst recht nicht mit subtiler Manipulation. Zumal keiner von uns wissen und nachvollziehen kann, welche Präferenzen jemand hat. Selbstverständlich kann man den genüsslichen Zug an der Zigarette oder das Freestyle Klettern den möglichen negativen Folgen vorziehen. „Carpe Diem“ – „Genieße den Tag“ ist eine legitime und gar nicht so seltene Einstellung.

Freiheit ist nicht nur die Freiheit der Andersdenkenden, sondern immer auch die Freiheit der Andershandelnden. Die Politik in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat muss Respekt haben vor den Bürgern. Dazu gehört ganz wesentlich, zu akzeptieren, dass sie Entscheidungen treffen, die einem selbst nicht passen. Der Versuch, sie davon abzuhalten, ist nicht legitim – ganz besonders dann nicht, wenn er so geschieht, dass es die Bürger möglichst gar nicht bemerken.