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Photo: Sumarie Slabber from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Alarmierende Berichte über „Wohnungsmangel“ oder gar „Wohnungsnot“ können beim Leser den Eindruck entstehen lassen, pro Person sei der Wohnraum in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. Daten des Statistischen Bundesamts sprechen eine andere Sprache. Die Wohnfläche pro Einwohner ist vor allem in den neuen Bundesländern, aber auch im früheren Bundesgebiet in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen und befindet sich derzeit auf Rekordniveau. Dass wir heute auf deutlich größerem Fuße als in der Vergangenheit leben, ist ein gut sichtbarer Beleg für die erfolgte Wohlstandssteigerung. Damit es auch auf diesem Feld zu weiterem Fortschritt kommt, sollten die Anreize zum Wohnungsbau gestärkt werden, auch durch temporär höhere Mieten in beliebten Gebieten.

Bundesbauministerin Hendricks: „Wohnungsnot“

Nach der Diskussion um die bisher anscheinend wirkungslos gebliebene Mietpreisbremse gewann angesichts der vielen Zuwanderer in diesem und im vergangenen Jahr die Debatte über die Situation auf dem Wohnungsmarkt wieder an Fahrt. Bundesbauministerin Hendricks spricht von einer „Wohnungsnot“ und wünscht sich eine Änderung des Grundgesetzes, sodass der Bund auch über das Jahr 2019 hinaus die Bundesländer im sozialen Wohnungsbau finanziell unterstützen kann.

Wohnfläche pro Person: Deutlicher Anstieg

Die Ausführungen von Hendricks und anderen Politikern lassen vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute schlechter wäre denn je. Wie so häufig, lohnt sich auch in diesem Fall ein Blick auf nüchterne Daten.

 

 

Das Statistische Bundesamt hält Informationen zur Wohnungsanzahl, zur gesamten Wohnfläche und zur Wohnfläche pro Einwohner bereit. Auf dem heutigen Gebiet der BRD standen Ende 1987 in 33 Millionen Wohnungen pro Person durchschnittlich etwas weniger als 35 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Zum Jahresende 2015 waren es bei einer um etwa 4 Millionen Personen gewachsenen Bevölkerung von 82 Millionen durchschnittlich etwas mehr als 46 Quadratmeter in 41,5 Millionen Wohnungen. Der Anstieg der Wohnfläche pro Person um etwa ein Drittel lässt bereits vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute im Vergleich zur Vergangenheit nicht allzu prekär ist.

Wohnfläche pro Einwohner: Stärkerer Anstieg im Osten

Auch die Daten für das frühere Bundesgebiet im Vergleich zu den neuen Ländern inklusive Berlin sind aufschlussreich. 1987, also noch zu Zeiten der DDR, war der Wohnraum pro Person im früheren Bundesgebiet knapp 40 % größer als im Osten. Dieses Ergebnis überrascht nicht und untertreibt angesichts der höherwertigen Bausubstanz im Westen den Unterschied noch.

 

Möglicherweise überraschender ist die Entwicklung nach 1987. Die neuen Länder haben in Bezug auf die Wohnfläche pro Einwohner deutlich aufgeholt. Pro Einwohner ist der Wohnraum heute im früheren Bundesgebiet nur noch knapp 9 % größer als in den neuen Ländern und Berlin.

Nicht explizit berücksichtigt wird bei dieser Darstellung, dass über den betrachteten Zeitraum viele Menschen aus den neuen Bundesländern abgewandert und vom Land in die Städte gezogen sind. Dennoch deuten diese Zahlen darauf hin, dass sich der Anstieg unseres Wohlstandes auch in größeren Wohnungen widerspiegelt und die Situation auf dem Wohnungsmarkt weniger dramatisch ist als von Politikern aller Couleur dargestellt.

Bei vielen Politikern führen steigende Mieten und Klagen darüber leider noch immer zur schnellen Forderung nach einem Eingreifen des Staates in das Marktgeschehen. Sie wünschen sich den Staat als mittelbaren oder unmittelbaren Bereitsteller von Wohnungen und fordern regelmäßig zusätzliche Einschränkungen der Vertragsfreiheit auf dem Wohnungsmarkt – etwa durch Preiskontrollen.

Wohngutscheine statt sozialem Wohnungsbau und …

Während die Wohnfläche von 2002 bis 2013 um etwa 15 % stieg, fiel die Anzahl öffentlich geförderter Sozialwohnungen in Deutschland von über 2,5 auf unter 1,5 Millionen. Beide Entwicklungen sind zu begrüßen. Aus der unmittelbaren und mittelbaren objektbasierten Förderung von sozialem Wohnungsbau sollte sich der Staat vollständig zurückziehen.

Weder sollte der Staat ausgewählte Produzenten von Sozialwohnungen fördern, noch sollte er selbst als Anbieter von Sozialwohnungen auftreten. Die Anreizstruktur, der die Mitarbeiter des Staates ausgesetzt sind, lässt den Staat gerade nicht erfolgreich als Unternehmer agieren.

Wird eine zusätzliche Unterstützung hilfsbedürftiger Personen in Bezug auf den Wohnungsmarkt für geboten erachtet, sollte die Unterstützung mithilfe objektunabhängiger Wohngutscheine erfolgen.

Im Vergleich zu sozialem Wohnungsbau bringen Wohngutscheine viele Vorteile mit sich. Erstens, die Förderung erfahren ausschließlich Personen, die bedürftig sind. Zweitens, Wohngutscheine lassen ihren Nutzern mehr Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Ausstattung, Lage und Größe ihrer Wohnung. Drittens, Nutzer von Wohngutscheinen können die Gutscheine mit zusätzlichen Zahlungen aus ihrem Budget aufstocken. Viertens, es ist weniger wahrscheinlich, dass einzelne Mietshäuser, Straßenzüge und Stadtteile vornehmlich von Empfängern staatlicher Hilfsleistungen bewohnt werden und möglicherweise „soziale Brennpunkte“ entstehen.

… keine Preiskontrollen

Anstatt die unerwünschten Nebenwirkungen von Preiskontrollen in Kauf zu nehmen, um die offiziellen Mieten niedrig zu halten, sollte Anbietern und Nachfragern die Möglichkeit gegeben werden, Marktpreise als verlässliche Informationssignale zu nutzen. Hohe derzeitige und zukünftig erwartete Mieten in beliebten Wohnvierteln eignen sich vorzüglich als Anreiz, zusätzlichen Wohnraum entstehen zu lassen.

Neuer Wohnraum entsteht dann gerade dort, wo sich aus Sicht potentieller Investoren angesichts derzeitiger Preise für Grundstücke und Immobilien sowie der erwarteten zukünftigen Nachfrage nach Wohnungen der (Aus-)Bau lohnt.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Ms Salo from Flickr (CC BY 2.0)

Nach Brexit und Trump ging in den letzten Monaten häufiger ein erleichterter Seufzer durch Europa: Österreich, die Niederlande, Frankreich und auch Großbritannien vor einem Monat schienen zu zeigen: der Trend ist aufgehalten. Eine neue Studie deutet an: so sicher ist das noch nicht.

Nachhaltiger und beständiger Erfolg für die Populisten

Die Studie, die von unseren schwedischen Partnern, der Denkfabrik Timbro, verantwortet und von dem europaweiten Netzwerk Epicenter vorgestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass populistisch-autoritäre Parteien über die letzten knapp vierzig Jahre in Europa einen konstanten Zuwachs erfahren. Sechs Kriterien machen sie aus, die diese Politiker, Parteien und Bewegungen ausmachen – unabhängig davon, ob sie sich auf der rechten oder linken Seite des Spektrums einordnen: Selbstdarstellung als Kämpfer gegen eine korrupte und verfilzte Elite. Unzufriedenheit mit den bisweilen langwierigen Prozessen und unbefriedigenden Ergebnissen eines Rechtsstaats. Die Forderung nach mehr direkter Beteiligung des Volkes. Der Ruf nach dem starken Staat – als Polizei- und Militärstaat auf der rechten Seite; in der Forderung nach Verstaatlichung auf der linken. Starke Vorbehalte gegenüber EU, Zuwanderung, Globalisierung, Freihandel und der NATO. Und eine revolutionäre Terminologie, die grundlegende Veränderungen fordert.

Der anhaltende Zuwachs an Wählerstimmen hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten exponentiell gesteigert. So ist innerhalb der EU der Stimmenanteil der sich selbst als Anti-Establishment bezeichnenden Parteien seit der Krise 2007/08 von etwa 10 % auf fast 20 % gestiegen. Und in der Tat: in Österreich hat fast die Hälfte der Wähler für den FPÖ-Kandidaten gestimmt; in den Niederlanden haben Geert Wilders Partei und einige ähnliche Kleinparteien noch einmal zugelegt. In Frankreich haben Le Pen und Melenchon im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl über 40 % der Stimmen geholt, bei der Parlamentswahl hatten sie gemeinsam im ersten Wahlgang mehr Stimmen als die Bewegung von Macron. Und in Großbritannien hat die Labourpartei unter dem Linkspopulisten Jeremy Corbyn bei der Wahl 3,5 Millionen Stimmen hinzugewinnen können.

Die gemäßigten Pragmatiker verlieren an Boden

Die stärksten Verlierer dieses Trends sind die beiden großen politischen Bewegungen der Nachkriegs- bzw. Nachwendezeit: Konservative und Christdemokraten haben in den letzten zwanzig Jahren europaweit 4,7 Prozent der Wähler eingebüßt, Sozialdemokraten 4,1 Prozent, während die liberalen Kräfte erstaunlicherweise ziemlich gleichgeblieben sind. Autoritäre Populisten haben sich allerdings von 7,9 auf 15,4 Prozent hochgearbeitet und nehmen derzeit rund 17,5 Prozent der Sitze in allen europäischen Parlamenten ein. In neun Staaten sind sie an Regierungen beteiligt. International sind sie immer besser vernetzt, wobei vor allem die russische Regierung eine Schlüsselstellung bei der Förderung einnimmt – rechts wie links.

In den meisten europäischen Ländern ist die Front gegenüber diesen aufkommenden Strömungen noch relativ klar: Von Podemos in Spanien und Cinque Stelle in Italien bis zum Front National und Geert Wilders. Allerdings gibt es eben auch Fälle wie die Labour Party, die von linken Populisten gekapert wurde, oder die SPÖ, die sich vorsichtig der FPÖ öffnet. Ob Einbinden oder Ausschließen die richtige Methode ist – keiner weiß es so recht. Die große Gefahr beim Ausschließen wird oft zusammengefasst unter dem Begriff „österreichische Verhältnisse“. Wenn die einzige Option große und immer größere Koalitionen sind, schrumpft in der Regel die Mitte immer mehr zusammen. Am Ende müssen etwa wie in Sachsen-Anhalt CDU, SPD und Grüne eine Koalition bilden, um linke und rechte Populisten von der Macht fernzuhalten. Der fehlende politische Wettbewerb zwischen den zwei bis vier Hauptströmungen der Mitte führt zu einem dauernden Zuwachs für die Parteien am Rand.

Sie saugen Hoffnung aus den Menschen wie Vampire

Schon vor neun Jahren hat Obama und zuletzt Macron versucht, sich den Bedrohungen der Mitte entgegenzustellen, indem sie einer Atmosphäre der Verzweiflung, Angst und Wut eine Botschaft der Hoffnung gegenüberstellten. In den USA kann man jetzt die Bilanz ziehen, dass Obamas Versprechen von „Hope“ und „Change“ wesentlich den Boden bereitet hat dafür, dass acht Jahre später ein irrlichternder Populist mit offensichtlich unhaltbaren Heilsversprechen ihm im Amt nachfolgen konnte. Es bleibt sehr zu hoffen, dass es Macron nicht ähnlich gehen wird. Ein grundlegendes Problem an dieser Strategie ist, dass man ein klassisches Mittel der Populisten verwendet, um sie zu schlagen – ihnen dabei aber in der Regel eher den Boden bereitet. Die Botschaft „Wir lösen die Probleme für Dich“ kann dann doch von populistischen Politikern glaubhafter vermittelt werden als von Pragmatikern und Zentristen.

Die größte Schwachstelle der Populisten – das haben Politiker wie Obama und Macron durchaus richtig erkannt – ist, dass sie davon leben, dass sie den Menschen wie Vampire die Hoffnung aussaugen: Wilders, der die Islam-Apokalypse an die Wand malt; Trump, der vom „amerikanischen Gemetzel“ spricht; Corbyn, Iglesias und Melenchon, die Horrorszenarien von Ausbeutung und Verarmung zeichnen. Ihr politisches Geschäftsmodell funktioniert am besten, wenn die Menschen hoffnungslos werden. Darum ist wohl wirklich die einzige (mühsame und langwierige) Antwort auf Populisten, den Menschen wieder reale Hoffnung zu geben statt ihre Hoffnung zu zerstören, um sich selbst als Heilsbringer zu inszenieren. Dass der Populismus in unserem Land (noch) nicht so stark ist, kann auch daran liegen, dass vor 14 Jahren ein deutscher Bundeskanzler gegen starken und populistischen Widerstand in den eigenen Reihen eine reale Veränderung in Gang gesetzt hat. Wo die Politik solchen Mut nicht aufbringt, schlägt bald die Stunde der Populisten-Vampire. Gegen die hilft kein Knoblauch, sondern nur die klare Botschaft der Selbstverantwortung: „Du schaffst das!“

Photo: Rod Waddington from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Afrika steht auf der Agenda des G20-Treffens. Langsam dämmert den Verantwortlichen dort, dass nicht nur die klassische Entwicklungshilfe glorios gescheitert ist, sondern dass „Afrika“ auch mehr ist als nur Hunger, Korruption und Safari. Was ist zu tun, um den Menschen dort mehr Chancen zu ermöglichen?

Unternehmertum fördern statt Geld verteilen

Die Spatzen pfeifen es seit einiger Zeit so penetrant von den Dächern, dass es schon fast an Ruhestörung grenzt: Die Entwicklungshilfe der vergangenen Jahrzehnte hat im Grunde genommen drei Konsequenzen gehabt: Das ein oder andere Gewissen in den reichen Ländern wurde beruhigt. Autokratische Systeme wurden stabilisiert. Und die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Länder langfristig aufgehalten. Trotz der immer heftigeren Kritik hat sich die Summe der Entwicklungshilfe für Sub-Sahara-Afrika von 17,8 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 45,9 Milliarden im Jahr 2015 hochgeschraubt. Dabei wird die Hilfe eher willkürlich verteilt, wie man exemplarisch an den Zahlungen sehen kann: Kenia erhält bei einem BIP von 1.377 Dollar pro Kopf fast 54 Dollar pro Jahr für jeden Einwohner; Tansania etwa 48 $ (BIP: 879 $ p. P.), Kongo etwa 34 $ (BIP: 456 $ p. P.) und Nigeria 13 $ (BIP: 2.672 $ p. P.).

Viel wichtiger als staatliche Almosen – auch das gehört mittlerweile zum festen Repertoire der Spatzen auf den Dächern – sind die Rücküberweisungen von Migranten. Diese betrugen nach Sub-Sahara-Afrika 1990 1,8 Milliarden Dollar und sind inzwischen auf 17,8 Milliarden angewachsen. Dies sind Gelder, die unmittelbar bei den Familien und Freunden der Migranten ankommen. Es sind finanzielle Ressourcen, mit denen die Menschen in der Heimat kleine Geschäfte aufbauen, ihre wirtschaftliche Situation verbessern, ihre Kinder zur Schule schicken und eine Operation bezahlen können. Nachhaltiges Wachstum kann in diesen Ländern nur durch Privatwirtschaft entstehen. Unternehmertum ist auch das beste Mittel, um den „Ausverkauf“ natürlicher Ressourcen an chinesische Investoren zu kontern. Wenn die Politik in den reichen Ländern etwas tun will, dann sollte sie nicht Geld in die staatlichen Fässer ohne Boden stecken, sondern den Menschen vor Ort Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie unternehmerisch tätig werden können. Anstatt eine neue Prachtstraße in der Hauptstadt zu finanzieren, sollte man lieber den Austausch fördern zwischen den Tüftlern aus Mallersdorf und Malawi, zwischen den IT-Spezialisten aus Lesotho und Litauen, zwischen den Physiotherapeuten aus Sierra Leone und South Dakota.

Regulierungen und Standards überdenken

Wir wollen alle eine saubere Umwelt, ordentliche Arbeitsbedingungen und sichere Produkte. Und selbst diejenigen Politiker, Bürokraten oder Unternehmer, die um eines unmittelbaren Profits willen diese Ideale hintanstellen, würden das ja in der Regel nicht öffentlich kommunizieren. Es gibt durchaus einen moralischen Druck auf Verantwortliche in Politik und Wirtschaft. Zwei unterschiedliche Aspekte führen jedoch dazu, dass dieser moralische Druck gerade in Entwicklungsländern nicht immer sehr effizient ist: In autoritären Systemen führt der Mangel an öffentlicher Kontrolle, Medien und Zivilgesellschaft dazu, dass dieser Druck oft nur in homöopathischen Dosen ankommt. Und bisweilen geht es um simple Güterabwägungen: Wollen wir die Umweltauflagen einhalten oder ein paar mehr Leute einstellen?

Die vielen Regulierungen und Standards, die wir mittlerweile in den entwickelten Staaten rechtsverbindlich eingeführt haben, können von kleinen Unternehmen hierzulande oft nur mit großem Aufwand und hohen Kosten eingehalten werden. Für Unternehmer aus den weniger entwickelten Ländern hingegen wirken sie oft wie unüberwindbare Markteintrittsbarrieren. Von Seiten der reicheren Länder ließe sich dieses Problem auf zwei Weisen abmildern: Erstens könnte man bei vielen Regulierungen darauf setzen, sie nicht verbindlich zu machen, sondern nur eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Dann können Konsumenten selbst entscheiden, ob sie die Waren kaufen, die beispielsweise EU-Standards entsprechen, oder nicht. Zweitens könnte man grundsätzlich darüber nachdenken, ob eine allzu missionarische Herangehensweise nicht die Grenzen des politisch Zulässigen überschreitet. Weltverbesserung ist eine Aufgabe, an der jeder einzelne Mensch auf diesem Globus mitwirken sollte, und ist nicht etwas, das staatlich gesteuert und verordnet werden kann.

Europa lässt sich nicht replizieren

Als sich die europäischen Großmächte nach dem 2. Weltkrieg zunehmend aus ihren Kolonien zurückziehen mussten, verließen sie die Länder selten ohne gute Ratschläge. Ja, viele ehemalige Kolonien – insbesondere Frankreich – sehen sich noch heute in der Rolle des großen Bruders. Die ehemaligen Kolonialherren hinterließen ihren befreiten Untertanen Vorstellungen, die sich über viele Jahrhunderte im europäischen Kontext etabliert hatten. Plötzlich fanden sich unterschiedlichste Ethnien mit grundverschiedenen kulturellen Prägungen in einem gemeinsamen Staat wieder. Und weiße Männer in Anzügen mit wohlklingenden Titeln und Amtsbezeichnungen kamen in regelmäßigen Abständen vorbei, um den Leuten zu erklären, wie die parlamentarische Demokratie funktioniert und Brunnen gebaut werden.

Entwicklung ist nicht etwas, das von außen kommen kann oder sich in Nachahmung erschöpfen kann. Entwicklung ist ein Lernprozess, den jedes Individuum und jede Gruppe für sich selbst durchmachen muss. Vor allem ist Entwicklung ein Prozess, der nicht einem bestimmten Ziel entgegensteuert. Wir im Westen haben nicht die eine optimale Lösung gefunden – für uns nicht, und erst recht nicht für andere. Wir können nicht einfach die vorübergehenden Lösungen für unser Zusammenleben, die wir in unserem konkreten geschichtlichen und kulturellen Kontext für unsere Gemeinschaften entwickelt haben (und wie unterschiedlich sind schon diese Lösungen!) in den Staaten Afrikas replizieren. Was wir aber können, ist, besser und effektiver unsere Rolle zu spielen. Die Überwindung von Elend und Hunger, von Krankheit, Korruption und Krieg ist eine Aufgabe, die die Menschen in den afrikanischen Staaten selber lösen müssen. Es wäre schon sehr viel erreicht, wenn wir ihnen dabei nicht im Weg stünden: Schluss mit der Entwicklungshilfe. Schluss mit Markteintrittsbarrieren. Schluss mit dem Versuch, sie auf den westlichen Weg zu führen. Geben wir den Menschen dort eine Chance, indem wir sie als Partner ernstnehmen und nicht als Spielball oder Mündel.

Photo: Jonas Schoenfelder from Flickr (CC BY 2.0)

Der Tag der Deutschen Industrie ist immer auch ein Stelldichein der Politik. Gerade in einem Bundestagswahljahr. Welche Signale die Spitzenpolitiker aussenden, sind daher von Interesse. Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Rede am Dienstag vor den Industrievertretern offen gezeigt für einen Euro-Finanzminister, ein Eurobudget bis hin zu einer Wirtschaftsregierung. Vor den Industrievertretern sagte sie: „Man kann natürlich über einen gemeinsamen Finanzminister nachdenken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Einen Euro-Haushalt begrüßte sie, „wenn klar ist, dass man damit wirklich Strukturen stärkt und sinnvolle Dinge macht.“ Sie kündigte an, gemeinsam mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Fahrplan für die Reform der Euro-Zone vorzulegen.

Macron werden die warmen Worte der deutschen Kanzlerin freuen. In seinem Wahlprogramm forderte er selbst ein eigenes Budget für die Eurozone, das für Innovationen, finanzielle Nothilfen und für Hilfen für in Krisen geratene Euro-Länder gedacht ist. Der Euro-Finanzminister solle dann dieses Budget verwalten und dabei von einem Euro-Parlament, bestehend aus den EU-Parlamentariern der Euro-Staaten, kontrolliert werden. Macron will dazu die EU-Verträge ändern und die bisherige Praxis, Änderungen im bestehenden Rechtsrahmen zu vollziehen, verlassen. Letzteres ist grundsätzlich zu begrüßen, denn dieser Rahmen ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mit dem Grundsatz „Not bricht jedes Gebot“ wurden in der Euro-Schuldenkrise noch jede Regel gebrochen.

Doch inhaltlich ist der Vorstoß Macrons falsch und bringt einen grundsätzlichen Konflikt zum Vorschein, der eigentlich seit Anbeginn vorhanden ist. Es ist die Auseinandersetzung über das Wirtschaftsmodell in der EU und im Euro-Währungsraum. Frankreich, und im Kern auch die Südländer um Italien herum, wollen das französische Modell der „Planification“ durchsetzen, das eine zentrale Einflussnahme der Regierung auf die Wirtschaft und deren Lenkung zum Ziel hat. Es ist das Gegenmodell zum klassischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft, wie es Walter Eucken und andere konzipiert und Ludwig Erhard in die Tat umgesetzt hat. Ihre Vorstellung war ein Ordnungsrahmen, aber keine direkte Einmischung und Lenkung durch die Politik.

Das Ideal von damals wurde in Deutschland in der Praxis nie konsequent angewandt und durchgesetzt. Dazu muss man nur den jahrzehntelangen Einfluss der Politik bei Volkswagen betrachten. Gerade dort kann man jedoch die negativen Folgen der Verquickung von politischen und unternehmerischen Interessen sehr gut nachvollziehen. Wahrscheinlich haben die fortdauernden Probleme der Governance gerade mit der Verbindung der politischen Interessen der jeweiligen Landesregierung in Niedersachsen und der IG Metall zu tun, die gemeinsam faktisch eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben.

Doch letztlich ist das Modell der Sozialen Marktwirtschaft dem Modell der Planification überlegen. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Der wesentliche flexiblere Arbeitsmarkt in Deutschland nimmt mehr Menschen auf, die Jugendarbeitslosigkeit ist gering. Frankreich hat dagegen eine Rekordarbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Menschen. Die deutsche Wirtschaft hat die Krise 2008 längst überwunden, die französische ist noch weit unter dem Niveau der Vorkrisenjahre. Die Staatsquote im Nachbarland ist mit über 56 Prozent erdrückend hoch. All das soll nicht verklären, dass auch Deutschland große Strukturprobleme hat. Insbesondere die letzten Jahre wurden nicht genutzt, Reformen bei der steuerlichen Belastung, beim Bürokratieabbau und beim Zurückdrängen staatlichen Einflusses in Wirtschaft und Gesellschaft durchzuführen. Aber dennoch ist das hiesige Wirtschaftssystem, das die Individualität und Dezentralität der Marktwirtschaft betont, einem auf zentraler Steuerung beruhenden System überlegen.

Daher muss in Europa über das jeweilig überlegene Wirtschaftsmodell im Wettbewerb gerungen werden und eine deutsche Regierung sollte nicht vorschnell Positionen aufgeben. Es macht keinen Sinn, aus falscher Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten unseres Nachbarlandes, unser Wirtschaftsmodell infrage zu stellen.

Doch genau dies würde ein Euro-Finanzminister mit einem eigenen Budget bedeuten. Es wäre der Einstieg, oder besser gesagt, die konsequente Fortsetzung einer EU-Politik, die auf Planification setzt. Denn die Umverteilungsmechanismen aus EU-Struktur- und Kohäsionsfonds haben die derzeitige Lage in Frankreich und im Süden nicht verhindert, sondern wahrscheinlich befördert. Sie haben nämlich den Anpassungsdruck genommen. Sie haben Investitionsgelder abstrakt verteilt, deren Kontrolle meist nur unzureichend war und daher dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet haben. Dabei ist Griechenland, dass seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1981 bis zum faktischen Staatsbankrott 2010 133 Milliarden Euro an Transfers erhalten hat, nur die Spitze des Eisbergs. Zu wirtschaftlichem Wohlstand insgesamt haben die Subventionen nichts beigetragen. Die EU hinkt stattdessen auch anderen Wirtschaftsregionen auf dieser Welt hinterher.

Diesen Weg noch intensiver fortzusetzen, wäre der vergebliche Versuch, gleiche Lebensverhältnisse in Europa durch noch mehr Transferzahlungen, noch mehr Subventionen und noch mehr öffentlicher Investitionslenkung zu erreichen. Doch die Folgen dieses falschen Weges wäre, den Wohlstand nicht nur in Frankreich weiter zu gefährden, sondern dann auch bei uns.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: mararie from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Es ist viel darüber geschrieben, berichtet und verkündet worden, dass alle Beteiligten die notwendigen Lehren aus der Euro-Schuldenkrise in Europa gezogen hätten. Selbst gutmeinende Beobachter müssen jedoch konstatieren, dass sich nach zehn Jahren in der Praxis nicht viel geändert hat. Zwar sind neue Zuständigkeiten, neue Behörden, neue Regelungen geschaffen worden, doch dies alles scheint nur in der Theorie zu funktionieren. Am ersten Praxistest scheitert dies alles. Jüngst kann man das an der italienischen Krisenbank Monte dei Paschi verfolgen.

Die Bank mit Sitz im schönen Siena gilt als älteste Bank der Welt. Sie hat durch Misswirtschaft inzwischen Verluste von fast 15 Milliarden Euro angehäuft. Fast die Hälfte ihres Kreditportfolios ist notleidend und wird nicht mehr von den Kreditnehmern regelmäßig bedient. Normal wären zwei bis drei Prozent. Die Bank ist pleite. Ohne fremde Hilfe droht seit Längerem die Insolvenz. Fremde Hilfe, außer vom italienischen Staat, ist nicht in Sicht. In diesem Fall greift inzwischen ein neues Abwicklungsregime auf europäischer Ebene, das erst die Beteiligung der Anteilseigner und der Gläubiger vorsieht, bevor der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Dieser sogenannte Bail-In ist die Lehre aus der permanenten Erpressung in Schieflage geratener Banken gegenüber den Regierungen im Zuge der Finanzkrise seit 2007/2008. Der Grundgedanke dahinter ist, dass nur dann mit Risiken verantwortungsvoll umgegangen wird, wenn nicht nur in guten Zeiten die Gewinne, Boni und üppigen Gehälter vereinnahmt werden, sondern im Zweifel die Beteiligten auch haften, wenn es schiefgeht. Dieser Grundsatz der Marktwirtschaft muss auch wieder im Finanzsektor gelten.

Am Beispiel der Monte dei Paschi zeigt sich auch, dass es falsch war, die europäische Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank anzudocken. Die Interessen einer Notenbank, die auf Geldwertstabilität verpflichtet ist, und einer Bankenaufsicht, die im Zweifel auch die Abwicklung oder Schließung einer Bank anordnen muss, sind im Krisenfall zu unterschiedlich, als dass dies von einer Behörde bewältigt werden kann. Da helfen auch keine „chinesischen Mauern“ innerhalb der EZB, die verhindern sollen, dass die eine Seite im Haus sich mit der anderen Seite abstimmt. Beim ersten Praxistest der vielgelobten Bankenunion scheitert das neue Regime. Erst hat die EZB der Bank die Solvenz bescheinigt, anschließend hat der italienische Staat die staatliche Beihilfe beschlossen und bei der EU-Kommission beantragt und jetzt hat die Kommission diese genehmigt. Es ist zum Haareraufen! Und die Konsequenz aus der Brüsseler Entscheidung ist so weitreichend, dass einem angst und bange werden kann. Denn dieser Präzedenzfall wird als Blaupause für alle künftigen Rettungsmaßnahmen herhalten. Das ist jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit der Banca Popolare di Vicenza steht nämlich bereits das nächste Finanzinstitut auf der Matte.

Die Summe der notleidenden Kredite italienischer Banken liegt inzwischen bei über 200 Milliarden Euro. Es ist der höchste Wert in der italienischen Nachkriegsgeschichte. 12,6 Prozent der ausgereichten Kredite sind inzwischen notleidend. Das ist auch der Grund, weshalb die italienische Wirtschaft nicht auf die Füße kommt. Die hohe Zahl notleidender Kredite lässt die Banken vorsichtig werden, neue Kreditengagements zu vergeben. Während in den ersten zehn Jahren des Euro das Kreditvolumen pro Jahr um 8,2 Prozent stieg, sinkt es aktuell. Italiens Wirtschaftskraft liegt daher immer noch über sieben Prozent unter dem Höchstwert 2008. Es ist ein dahinsiechender Korrekturprozess der Übertreibung der ersten zehn Jahre des Euro. Diese Korrektur ist aber notwendig. Je eher und je schneller sie stattfindet, desto weniger schmerzhaft ist sie.

An dieser Entwicklung sieht man, dass die Politik der EZB, durch Anleihenkäufe und Nullzinspolitik die Erholung der Wirtschaft zu befördern, gescheitert ist. Sie war die Ursache für die heutige Überschuldung des italienischen Staates, seiner Banken und Wirtschaft. Es war süßes Gift, das die Abhängigkeit aller Marktteilnehmer vom billigen Geld nur noch größer gemacht hat. Diese Laxheit ist das Problem und die Änderung dieses Verhaltens die Lösung.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 3. Juni 2017.