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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Die Deutschen sparen. Und sie sparen viel. Allerdings landet das Ersparte entweder in festverzinslichen Sparkonten und Wertpapieren oder aber als zukünftiger Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das wird vom Fiskus begünstigt und im Falle der gesetzlichen Rente sogar erzwungen. Dabei hätte eine eigenkapitalbasierte Vorsorge beispielsweise mit Aktien deutliche Vorteile.

Die Deutschen sind weltweit als Sparfüchse bekannt, aber auch als Aktienmuffel mit einer Präferenz für festverzinste Spar- und Sichteinlagen. Deutsche halten einen relativ geringen Anteil ihres Vermögens in Form von veräußerlichen Anlagen mit Eigenkapitalcharakter, obwohl derartige Anlageformen langfristig vor allem im derzeitigen Nullzinsumfeld deutlich höhere Renditen abwerfen.

Ein Grund für die geringe Rolle des Eigenkapitals im Portfolio deutscher Sparer liegt in der gesetzlichen Rentenversicherung, die einen großen Teil der Vermögen weniger betuchter Haushalte repräsentiert. Ein weiterer Grund für die geringe Rolle des Eigenkapitals liegt in der gesetzlichen Anreizstruktur bei der privaten Altersvorsorge. Der deutsche Gesetzgeber privilegiert Anlageformen steuerlich, in deren Genuss individuelle Direktanleger nicht kommen.

Auf individueller Ebene führen die Zwangsersparnis in der gesetzlichen Rentenversicherung und die Fehlanreize in der privaten Altersvorsorge zu Renditeeinbußen. Gesamtwirtschaftlich verzerren sie die Allokation von Ersparnissen. Um daraus resultierende Wohlfahrtsverluste zu verringern, empfiehlt sich der Abbau der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten einer Mindestsicherung sowie eine Korrektur der Anreize für die private Vermögensbildung. Ihre neu gewonnene Freiheit könnten auch weniger begüterte Sparer nutzen, um mehr Eigenkapitalvermögen aufzubauen.

Deutschland: Hohe Sparquote, wenig Eigenkapitalvermögen

Deutschland ist eine Sparernation. Seit Beginn des Jahrtausends liegt die Sparquote deutscher Haushalte stabil bei rund 9-10 % – deutlich über den Quoten der meisten anderen europäischen Länder. Hinsichtlich des langfristigen individuellen Kapitalstockaufbaus sind das gute Voraussetzungen: Viele Deutsche sind bereit, heute auf Konsum zu verzichten, um morgen zusätzlichen Konsum aus ihren Ersparnissen finanzieren zu können.

Das aufgebaute Vermögen konzentriert sich stark in der oberen Hälfte der Vermögensverteilung. Das bedeutet jedoch nicht, dass weniger begüterte Haushalte kaum Ersparnisse bilden. Vielmehr sparen sie vornehmlich zwangsläufig in Form von Ansprüchen gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung, die nicht in die Sparquote einbezogen werden.

Bei freiwilliger Ersparnis setzen deutsche Sparer – neben Immobilien und Bausparverträgen – vor allem auf das Sparschwein, Sicht- und Termineinlagen. Dazu kommen Lebens- und Altersvorsorgeversicherungen, die hauptsächlich auf geringverzinsten Produkten basieren. Eine untergeordnete Rolle spielen dagegen Aktien- und Fondsinvestments.

Im internationalen Vergleich verfolgen deutsche Sparer damit eine konservative Strategie: Geringes Risiko, geringe Rendite – das gilt sowohl bezüglich der gesetzlichen als auch bezüglich der privaten Altersvorsorge. Zum Ausdruck kommt dieses Anlageverhalten unter anderem in der niedrigen Aktienquote. Als Fremdkapitalgeber und Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung tragen deutsche Sparer zwar relativ geringe Risiken, profitieren langfristig aber auch weniger stark vom technischen Fortschritt, dessen Früchte eher Eigenkapitaleigner ernten.

Die Renditedifferenz zu Sparern in den USA, Großbritannien oder der Schweiz dürfte vor allem bei den weniger Vermögenden höher ausfallen. Wohlhabende Deutsche investieren einen höheren Anteil ihres Vermögens in Anlagen mit Eigenkapitalcharakter.

Anlagestrategie: Präferenzen oder Regulierung?

Angesichts der Klagen über die langanhaltende Niedrigzinsphase und den damit verbundenen Renditeeinbußen bei Sicht- und Spareinlagen, stellt sich die Frage: Weshalb setzen die Deutschen bezüglich ihrer Altersvorsorge nicht stärker auf Eigenkapitalvermögen?
Der geringe Eigenkapitalanteil im deutschen Sparportfolio könnte auf die Präferenzen der Sparer zurückgehen. Die Bundesbank etwa attestiert deutschen Sparern eine „ausgeprägte Risikoaversion“. Die Ursprünge mutmaßlich konservativer Präferenzen sind indes nicht leicht zu ergründen. Die viel zitierte kollektive Erinnerung an die Hyperinflation nach dem ersten Weltkrieg etwa sollte eher Investments in Sachwerte und inflationsgeschützte Anlagen fördern, nicht aber in Bargeld und Sichteinlagen.

Resultierten die Sparentscheidungen der Deutschen schlicht aus ihren risikoaversen Präferenzen, gäbe es an der geringen Rolle des Eigenkapitalvermögens nichts auszusetzen. Doch es deutet einiges darauf hin, dass diese maßgeblich durch staatliche Anreize herbeigeführt wird: Zum einen durch den Zwang zu Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung und zum anderen durch die Bevorteilung nominal verzinster Anlagen relativ zu Immobilien und Aktien im Rahmen der freiwilligen Altersvorsorge.

Sparzwang: Umlagefinanzierte Rentenversicherung

Neben der privaten Altersvorsorge sammeln die meisten Deutschen im Laufe ihres Lebens zwangsläufig Rentenansprüche, die sie durch Beiträge finanzieren, welche folglich nicht mehr für die private Vermögensbildung zur Verfügung stehen.

Diese Anwartschaften können als Anspruch gegenüber zukünftigen Generationen interpretiert werden. Die Rendite dieser Form von Zwangsersparnis hängt unter anderem von der Entwicklung der Reallöhne ab. Da Arbeitnehmer auch zukünftig durch steigende Reallöhne vom wachsenden Kapitalstock und technischen Fortschritt profitieren werden, ist die umlagefinanzierte Rente prinzipiell geeignet, eine breite Partizipation an den Früchten des Wachstums zu ermöglichen. Sie ähnelt diesbezüglich Aktien und anderen Formen von Eigenkapitalvermögen, die anders als die Rente zusätzlich jedoch den Vorteil haben, veräußerlich und beleihbar zu sein. Zudem impliziert die demographische Entwicklung Deutschlands eine steigende Belastungsquote, die die individuelle Rendite der Zwangsersparnis und damit deren Attraktivität im Vergleich zu direktem Eigenkapitalerwerb weiter schmälern wird.

Es empfiehlt sich daher, die gesetzliche Rentenversicherung in eine Mindestsicherung umzuwandeln. Die neu entstehende Wahlfreiheit könnten Sparer nutzen, um vermehrt in Aktien und Immobilien zu investieren und damit den Eigenkapitalanteil ihres Portfolios zu erhöhen.

Anlage über institutionelle Investoren wird gefördert

Ein großer Teil des Vermögensaufbaus erfolgt im Rahmen der freiwilligen Altersvorsorge. Spätestens seit den Rentenreformen unter der Regierung Schröder ist die staatliche Förderung privater Vorsorge über institutionelle Anleger wie Pensionskassen ein explizites politisches Ziel.

Die staatliche Förderung privater Vorsorge, etwa über Riester-Zuschüsse, kommt hauptsächlich versicherungsförmigen Produkten zugute. Individuelle Direktanlagen am Aktienmarkt hingegen sind von der Förderung ausgeschlossen. Im Rahmen des Alterseinkünftegesetzes kommen außerdem bestimmte, der privaten Altersvorsorge dienende Finanzprodukte, in den Genuss der nachgelagerten Besteuerung. Für den Sparer ergeben sich dadurch deutliche Steuervorteile. Doch entsprechend zertifizierte Produkte werden typischerweise nur von Altersvorsorgeeinrichtungen angeboten.

Der deutsche Staat kanalisiert private Ersparnis somit systematisch hin zu institutionellen Investoren und weg von einer direkten individuellen Anlage. Begründet werden diese Anreize mit Verbraucherschutzargumenten – naive Anleger sollen vor besonders riskanten Anlageformen bewahrt werden.

Private Altersvorsorge setzt kaum auf Eigenkapital

Per se führt die Anlage via institutioneller Investoren zwar nicht zu einer niedrigen Eigenkapitalquote im Portfolio. Doch institutionelle Anleger, die privates Vermögen zu Altersvorsorgezwecken verwalten, verfolgen in Deutschland besonders konservative Anlagestrategien. Sie setzen verstärkt auf nominal verzinste Vermögenswerte, etwa Staatsanleihen.

Die Gründe für die wenig renditeträchtige Portfoliowahl sind komplex. Unstrittig ist, dass der Gesetzgeber aktienschwache Portfolios systematisch fördert. So sind für deutsche Altersvorsorgeeinrichtungen Mindestverzinsungen oder die Garantie einbezahlter Beiträge üblich, die wiederum eine risikoferne, aktienschwache Anlagestrategie bedingen.

Zudem unterliegen Altersvorsorgeeinrichtungen in Deutschland weitgehend der Versicherungsaufsicht, was in anderen europäischen Ländern nicht der Fall ist. Die Versicherungsaufsicht beinhaltet Mindestkapital- bzw. Solvenzvorschriften, die risikoaversere Anlagestrategien wahrscheinlich machen.

Verzerrungsfreie Altersvorsorge

Festverzinsliche Anlageformen sollten im Rahmen der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge nicht privilegiert werden und Sparern sollte es freistehen, wie sie den Großteil ihrer derzeit in die gesetzliche Rentenversicherung fließenden Beiträge anlegen. Dann würden auch die möglicherweise besonders risikoaversen deutschen Sparer mehr Vermögen mit Eigenkapitalcharakter aufbauen. Das würde insbesondere Sparer besser für die Zukunft wappnen, die heute nahezu ausschließlich Vermögen in Form unveräußerlicher Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung halten.

Zuerst veröffentlicht bei IREF.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Staatsfonds verfügen über riesige Mengen Kapital und dadurch über großen Einfluss. Auch die deutsche Regierung ist besorgt, dass aggressive Staatsfonds sich in startegisch wichtige Unternehmen einkaufen können. Doch auch bei Regulierungen ist Vorsicht geboten. Am sinnvollsten ist es, Investitionen unbegrenzt zu erlauben, aber die Stimmrechte zu begrenzen.

2017 war hinsichtlich der Übernahme deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren ein Rekordjahr. Rund 870 deutsche Firmen wurden bei einem Transaktionsvolumen von fast 100 Milliarden Euro durch ausländische Anleger übernommen. Die Beliebtheit deutscher Unternehmen macht sich auch in der Aktionärsstruktur der DAX-Unternehmen bemerkbar, deren durch Ausländer gehaltene Aktienanteil seit Jahren steigt und nun bei über 50 % liegt.

Unter den ausländischen Investoren befinden sich vermehrt Staatsfonds und -unternehmen, die mitunter Mehrheitsbeteiligungen anstreben. So kauften chinesische Investoren seit 2010 fast 200 deutsche Unternehmen. Das wachsende Engagement ausländischer Staatsfonds wirft die Frage auf, wie mit ausländischen Investoren umzugehen ist, die nicht primär profitorientiert handeln und im Wettbewerbsprozess nicht denselben Selektionsmechanismen unterliegen wie private Geldgeber. Zudem werfen Beteiligungen ausländischer Staatsfonds in sicherheitsrelevanten Industrien, etwa bei Netz- und Kommunikationsunternehmen, besondere Fragen auf.

Viele Kommentatoren sehen angesichts dieser Herausforderungen den Staat in der Pflicht und wollen diesen mit weitreichenden Veto-Befugnissen ausstatten – wie zuletzt Mitte 2017 im Rahmen einer Reform der Außenwirtschaftsverordnung geschehen. Derartige Eingriffsmöglichkeiten können jedoch zu ökonomisch ineffizientem Protektionismus genutzt werden und den offenen Kapitalmarkt untergraben. Besser wäre eine grundsätzliche Begrenzung des Anteils stimmrechtsfähiger Aktien, die ein ausländischer Staatsfonds halten kann. So wird ein allzu starker Einfluss strategisch agierender Staatsfonds auf die Geschäftspolitik deutscher Unternehmen verhindert, während renditeorientierte Staatsfonds weiterhin profitabel investieren können.

Offene Kapitalmärkte vorteilhaft

Viele Menschen begreifen intuitiv, weshalb freie Gütermärkte segensreich sind: Vom freiwilligen Tausch von Gütern und Dienstleistungen erwarten beide Seiten einen Vorteil. Beim Tausch von Vermögenswerten auf Kapitalmärkten gilt ebenso, dass sich beide Parteien von der Transaktion einen Vorteil versprechen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Tauschpartner unterschiedliche Nationalitäten haben. Grundsätzlich sollten deutsche Staatsbürger deshalb nicht davon abgehalten werden, Unternehmensanteile an Ausländer zu verkaufen – und umgekehrt.

In akuten makroökonomischen Krisensituationen kann es sinnvoll sein, den internationalen Kapitalverkehr einzuschränken, etwa wenn die Währung in Folge von Kapitalimporten stark aufwertet. Allerdings lässt sich aus der möglichen Vorteilhaftigkeit in Krisenzeiten keine Gültigkeit für ruhige Zeiten ableiten. In entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland ist das Risiko destabilisierender Kapitalimporte zudem äußerst gering.

Freier Marktzugang auch für Staatsfonds?

Zunehmend treten neben ausländische Privatpersonen auch ausländische Staatsfonds und -unternehmen als Käufer deutscher Vermögenswerte auf. Wie ist deren Engagement zu bewerten?

Grundsätzliche Probleme entstehen in dem Maße, in dem sich Staatsfonds nicht wie private, profitorientierte Akteure verhalten und genügend Anteile erwerben, um Einfluss auf die Geschäftspolitik der jeweiligen Unternehmen ausüben zu können. Da sie Verluste nicht zwingend vor Investoren rechtfertigen müssen und die Haftung für Verluste auf Drittparteien abwälzen können, unterliegen Staatsfonds geringerem Wettbewerbsdruck als private Anleger und können über längere Zeiträume ineffizient investieren.

Zunächst werden die direkten Kosten derartiger ineffizienter Investments zwar durch ausländische Steuerzahler getragen. Doch das Engagement nicht primär profitorientierter Staatsfonds auf dem deutschen Kapitalmarkt führt zusätzlich dazu, dass Ressourcen in Deutschland weniger effizient eingesetzt werden als möglich wäre – was sich wiederum in geringeren Löhnen und höheren Preisen bemerkbar macht.

Doch die Verhinderung von Ressourcenverschwendung im Inland wird wohl kaum rechtfertigen, deutschen Kapitaleignern den Verkauf an ausländische Staatsfonds pauschal zu verwehren. Stattdessen sollten Wege gefunden werden, Staatsfonds zu marktkonformem, also an möglichst profitablen Investitionen orientiertem Verhalten zu bewegen.

Allheilmittel Transparenz?

Während zu Transparenz angehaltene Entscheidungsgremien privater Unternehmen sicherlich stärkere Rücksicht auf die Profitinteressen ihrer Anteilseigner nehmen, ist nicht klar, weshalb transparent agierende Staatsfonds profitorientierter investieren sollten. Zwar werden sie stärkeren Druck verspüren, die Interessen der Öffentlichkeit, also ihrer „Investoren“, zu berücksichtigen. Doch Staatsfonds haben Gemeingutcharakter: Aus Sicht eines Bürgers lohnt sich politisches Engagement für eine deutlichere Profitorientierung kaum, da ihm nur ein geringer Anteil der zusätzlichen Profite zufließt.

Auch transparente Staatsfonds können daher geneigt sein, geringere Profite zugunsten von anderen Motiven zurückzustellen. So verfolgt der transparenteste Staatsfonds der Welt, Norwegens Pensionsfonds, neben Profitinteressen auch verteilungspolitische, ethische und umweltpolitische Ziele. Den norwegischen Bürgern entgingen deshalb zwischen 2006 und 2016 1,3 Milliarden Euro – vermutlich mehrheitlich mit Einverständnis, aber auch zu deren finanziellem Schaden.

 

Staatsfonds als stille Investoren

Wenn es auch schwer sein mag, Staatsfonds zu rein profitorientierten Investitionsstrategien zu bewegen, so kann doch die Einflussnahme auf die Geschäftsstrategien der Unternehmen begrenzt werden, wenn Staatsfonds entweder nur einen kleinen Teil der stimmberechtigten Aktien halten oder grundsätzlich nur stimmrechtslose Anteile erwerben können. So können sie weiterhin im Interesse ihrer Bürger Renditen erzielen, aber keine politischen Ziele durch ihre Unternehmensbeteiligungen verfolgen.

Derartige Anlagebeschränkungen können idealerweise durch eine Selbstverpflichtung seitens der Staatsfonds erreicht werden. So untersagt der norwegische Staat seinem Pensionsfonds mehr als 10 % der Anteile eines Unternehmens zu erwerben – tatsächlich liegt dessen Aktienanteil an weltweit bedeutenden Unternehmen weit darunter. Doch aggressiv investierende Staatsfonds aus dem arabischen und asiatischen Raum werden sich in absehbarer Zukunft gewiss keinen Selbstbeschränkungen unterwerfen, sondern streben explizit Mehrheitsbeteiligungen an.

Angesichts der geringen Bereitschaft zur Selbstbeschränkung suchen Staaten zunehmend nach Möglichkeiten, große Anteilsaufkäufe durch ausländische Staatsfonds gesetzlich zu unterbinden oder zumindest deren Attraktivität zu schmälern. In Deutschland ist das Bundeswirtschaftsministerium seit 2008 in der Lage, Investitionen durch private und staatliche Nicht-EFTA-Unternehmen zu prüfen und gegebenenfalls zu untersagen – und zwar dann, wenn die Investition auf eine Beteiligung von über 25 % der Stimmrechte an für die öffentliche Sicherheit relevanten Unternehmen hinausläuft. Eine Gesetzesänderung vom Juli 2017 stellt klar, dass zu den betroffenen Branchen unter anderem die Informationstechnologie, Gesundheit, Telekommunikation und der Güter- und Personenverkehr gehören.

Sonderfälle: Sicherheit und Geopolitik

Problematisch ist ferner das Investment ausländischer Unternehmen in sicherheitsrelevanten Branchen, insbesondere wenn der ausländische Investor ein Staatsfonds oder -unternehmen ist und dessen Regierung Auslandsinvestitionen zu innen- oder geopolitischen Zielen nutzt. Sollte der deutsche Staat in einen Konflikt mit einem anderen Staat geraten, könnten Eigner deutscher Unternehmen mit ebendessen Nationalität gewillt sein, die Versorgung auf Druck ihrer Regierung einzuschränken. So steht der semi-staatliche russische Erdgaskonzern Gazprom im Verdacht, seine Preis- und Versorgungspolitik in osteuropäischen Ländern durch geopolitische Interessen lenken zu lassen. Während der Krimkrise ab 2014 drohte ein Lieferstopp in die Ukraine.

Zwar können sicherheitsrelevante Unternehmen im Krisenfall verstaatlicht und damit zur Kooperation gezwungen werden, doch dürfte ein derartiges Vorgehen nicht gerade konfliktmildernd wirken und ist darüber hinaus ordnungspolitisch wenig attraktiv. Es kann daher gute Gründe geben, den stimmrechtsfähigen Anteil ausländischer Investoren in sicherheitsrelevanten Industrien im Vorhinein zu beschränken.

Doch stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Sicherheitsrelevanz eines Unternehmens zu bewerten ist und welche Art von ausländischen Investoren abgewehrt werden sollen. Sicher ist, dass in Autokratien ansässige Staatsfonds nicht in die deutsche Rüstungsindustrie investieren dürfen sollten. Aber sollte es einem semi-staatlichem französischen Konzern erlaubt sein, einen deutschen Energieversorger zu übernehmen?

Klare Regeln statt politischem Veto

Es ist ratsam, der Politik möglichst wenig diskretionäre Eingriffsmöglichkeiten zu geben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Politiker entsprechende Kompetenzen nutzen, um „nationale Prestigeobjekte“ zu schützen und zum ineffizienten Einsatz von Ressourcen in Deutschland beitragen.

Die Mitte 2017 erfolgte Reform der Außenwirtschaftsverordnung, die es der Bundesregierung erlaubt, nicht nur ausländische Staatsfonds, sondern auch private Unternehmen vom Kauf signifikanter Minderheitsbeteiligungen in einer breiten Reihe von Branchen abzuhalten, erscheint in diesem Lichte fragwürdig.

Eine auf EU-Ebene vorbereitete Initiative soll zukünftig die europäische Hightech-Industrie schützen, ein laut EU-Kommission „kritischer“ und daher angeblich schützenswerter Sektor.

Angesichts des Missbrauchspotenzials umfassender Veto-Rechte empfiehlt sich stattdessen eine allgemeine Beschränkung des Anteils stimmrechtsfähiger Aktien, die ein ausländischer Staatsfonds an einem deutschen Unternehmen erwerben darf. Eine solche Regel würde ineffiziente Ressourcenverschwendung durch nicht-profitorientierte Staatsfonds einschränken, geopolitisch motivierte Einflussnahme auf sicherheitsrelevante Industrien verhindern und kann gleichzeitig Politiker mit protektionistischen Neigungen davon abhalten, den offenen Kapitalmarkt Deutschlands zu gefährden.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Nicolas Hoizey from Unsplash (CC 0)

Es gab früher Zeiten, da hat sich in diesem Land noch etwas bewegt. Die Jüngeren werden sich nicht mehr daran erinnert, weil es schon so lange her ist. Aber bei den Menschen, die in den 1980er Jahren und früher politisch sozialisiert wurden, ist es vielleicht noch im Langzeitgedächtnis abgespeichert.

Es war die Zeit der Agenda 2010. Heute blicken viele Sozialdemokraten mit Gram auf diese Zeit, Anfang der 2000er Jahre. Trug die damalige Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder doch entscheidend dazu bei, dass die Sozialdemokratie sich anschließend gespalten hat, und der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zur Linkspartei wechselte. Die verbliebenen Sozialdemokraten machen diese Regierungszeit bis heute für den Beginn ihres Niedergangs verantwortlich. Daher verteidigen nur noch wenige die damalige Wirtschaftspolitik. Im Gegenteil versucht die SPD seitdem, die Reformen von damals möglichst rückgängig zu machen, und hofft so, ihre verunsicherten Wähler wieder zurückzugewinnen. Doch strategisch machen die Sozis damit einen schweren Fehler. Sie haben nicht nur die unter Gerhard Schröder neu gewonnenen Wähler enttäuscht, sondern sie können die verloren gegangenen nicht wieder zurückgewinnen. Am linken Rand gibt es mit den Grünen und insbesondere der Linkspartei politische Alternativen, deren Glaube an den allumfassenden Sozialstaat von der SPD nicht überboten werden kann – insbesondere nicht in der Regierung.

Dabei war diese Zeit sehr erfolgreich, und von den in diesen Jahren geschaffenen Rahmenbedingungen, profitiert Deutschland noch heute. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes durch die Zeitarbeit, die Abschaffung des Arbeitslosengeldes II und die Entrümpelung der Handwerksordnung, ermöglichte frischen Wind am Arbeitsmarkt und für Existenzgründer. Das Beschäftigungswunder, das Deutschland heute erlebt, hat seine Basis in der Agenda 2010. Wahrscheinlich ist das mangelnde Bekenntnis der Sozialdemokraten zu dieser Wirtschaftspolitik ihr heutiges Problem. Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, auch die Mitte der Gesellschaft zu erreichen. Also diejenigen, die den Sozialstaat mitfinanzieren.

Gerhard Schröder war die Inkarnation eines Aufsteigers sozialdemokratischer Prägung. In ärmlichen Verhältnissen im lippischen Kalletal aufgewachsen, hat er sich über den zweiten Bildungsweg erst zum Rechtsanwalt und später zum Bundeskanzler hochgeboxt. Die Geschichte, dass er als junger Sozialdemokrat vor dem Gitter des Kanzleramtes stand, daran rüttelte und sagte: „Da will ich rein“, war bezeichnend für seinen Ehrgeiz. Müsste man eine sozialdemokratische Biographie erfinden, wäre Gerhard Schröders Werdegang idealtypisch. Und auch sein Wirtschaftsminister Wolfgang Clement entsprach diesem Typus des Sozialdemokraten, der weit in bürgerlich liberale Milieus hinein vermittelbar war.

Heute hat die Sozialdemokratie keine Gerhard Schröders und Wolfgang Clements mehr. Das ist ihr Problem und womöglich ihr Untergang. Die SPD wäre allerdings nicht die erste sozialdemokratische Partei in Europa, die sich aus diesem Grund marginalisiert.

Jetzt haben Koalitionspolitiker aus Union und SPD vorgeschlagen, die Reformen aus der Agenda-Zeit beim Meisterzwang in der Handwerksordnung wieder rückgängig zu machen. Clement hatte damals die Meisterpflicht von 94 auf 41 Gewerke gesenkt und auf „gefahrgeneigte“ Tätigkeiten beschränkt. Schon das war damals ein Kompromiss, den die Monopolkommission der Bundesregierung seit vielen Jahren kritisiert. Wolle man als Gesetzgeber die Qualität einer Dienstleistung von staatlicher Seite sichern, dann genüge es nicht, einmal den Befähigungsnachweis zu erbringen, sondern man müsse dann schon regelmäßig Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtend einführen. Und auch die Privilegierung des Marktzugangs mit der Ausbildungsleistung zu begründen, sei ein politisch-korporatistischer Ansatz. Selbständige Handwerksbetriebe vor einem intensiven Wettbewerb zu schützen, sei dadurch nicht gerechtfertigt. Insbesondere über die Handwerkskammer und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten dort erhielten die Handwerker selbst die Kontrolle über den Marktzutritt, und damit die Intensität des Wettbewerbs in ihrem Sektor. Nach Auffassung der Monopolkommission sind solche Übereinkünfte zu Lasten Dritter abzulehnen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Zentralverband des Handwerks den Vorstoß begrüßt und dies sogar als wichtigen Beitrag für den Verbraucherschutz bezeichnet. Immer dann, wenn betroffene Anbieter oder Berufsverbände von Verbraucherschutz reden, ist Vorsicht an der Bahnsteigkante geboten. Meist ist das Argument vorgeschoben, um unter sich bleiben zu können. Wer auch morgen noch einen Fliesenleger und andere Handwerker zu akzeptablen Preisen beauftragen will, sollte sich für die Abschaffung des Meisterzwangs auch bei anderen Gewerken einsetzen. Ein Wolfgang Clement würde das tun. Ein Peter Altmaier wohl nicht. Das macht den Unterschied aus zwischen Reden und Handeln, gestern und heute.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Fancycrave from unsplash (CC 0)

Wenn wir nach Antworten auf ethische Probleme suchen, sind bisweilen nicht diejenigen die richtigen, die sich am besten anfühlen. Im Mittelpunkt der Lösungsversuche darf nicht unser Wohlbefinden stehen, sondern eine tatsächliche Verbesserung der Lage von Menschen in Not.

Der Unternehmer, das Monstrum

Die Näherin in Bangladesch und der Bauarbeiter in Katar müssen unter entsetzlichen Bedingungen schuften. Keiner kann das wollen. Vor unserem inneren Auge erscheinen die Bilder von dem Fabrikeinsturz in Sabhar, bei dem 1.135 Menschen getötet wurden, und von zusammengepferchten Gastarbeitern in Behelfscontainern im Wüstensand. Es ist der blanke Horror. Der Fall in Sabhar muss mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt werden. Und wo die Gefahr systemisch ist, wie etwa in den arabischen Ländern, muss Druck ausgeübt werden hin zu einer systemischen Veränderung. Aber nicht in allen Fällen haben wir es mit Straftaten oder politisch gewollten Unterdrückungs- und Ausbeutungssystemen zu tun.

Ein banalisierter Vulgär-Marxismus hat dazu beigetragen, dass sich in vielen Köpfen eine Einteilung der Welt in zwei Gruppen durchgesetzt hat: gute Arbeiter und böse Unternehmer. Das mischt sich dann gerne noch mit einer Portion kulturellen Überlegenheitsgefühls, das davon ausgeht, dass unsere westlichen Werte und unsere Moral an der Spitze des Fortschritts stehen. Und schon wird der Unternehmer aus Vietnam, Sambia oder Guatemala von unserem Unterbewusstsein zu einem Monstrum stilisiert. So unbestreitbar es ist, dass solche Monstren existieren – so unfair ist es, pauschal jeden Unternehmer zu einem solchen zu stilisieren.

Arbeitsschutz hilft nicht jedem

Auch Unternehmer können nicht im luftleeren Raum arbeiten und müssen mit den Umständen und Ressourcen wirtschaften, die ihnen gerade zur Verfügung stehen. Sie haben beschränkte finanzielle Mittel und stehen in Konkurrenz zu anderen. Wenn sie die Arbeitszeit beschränken, werden die T-Shirts teurer und die Abnehmer wechseln zum Konkurrenten. Das gleiche gilt, wenn sie die Fabrik so ausbauen, dass jeder Arbeiter ein Mindestmaß an Platz hat. Den Nutzen zieht der Nachbar-Fabrikant, der seine Ware nach China exportiert, wo Arbeitsschutz so wichtig ist wie der Sack Reis, der dort umfällt. Aus Sicht der westlichen Länder mit ihren enorm hohen Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitsstandards wirken die Zustände in vielen nicht-westlichen Ländern verstörend. Doch die Ursache ist oft nicht die Boshaftigkeit der Unternehmer, sondern die faktischen Umstände. Und der Preis, sich diesen zu widersetzen, kann oft eine Unternehmenspleite sein. Die ist dann nicht nur für den Unternehmer ein Problem, sondern auch für all seine Angestellten und deren Familien.

Wenn zweifellos wohlmeinende Aktivisten aus westlichen Ländern versuchen, die Arbeitsstandards zu exportieren, die hierzulande inzwischen gelten, unterliegen sie einem gefährlichen Irrtum. Wir in Deutschland etwa haben viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, gebraucht, um diese Standards zu entwickeln und zu etablieren. Dafür brauchte man die Herausbildung von Unternehmenskulturen und einen breiten öffentlichen Diskurs. Vor allem aber braucht man dafür Wohlstand. Je höher der Wohlstand eines Landes, umso leichter wird es für Arbeiterinnen und Arbeiter, sich zu behaupten. Und je höher das Lohnniveau desto besser auch die Arbeitsbedingungen. Höhere Löhne und bessere Bedingungen sind teuer und mithin auf Wohlstand angewiesen.

Gute Ergebnisse statt guter Gefühle

Als George W. Bush im Jahr 2003 den Angriff auf den Irak befahl, stand dahinter auch die Vorstellung, dem Land endlich die Segnungen der freiheitlichen Demokratie bringen zu können, und so Frieden und Fortschritt in der Region zu verbreiten. Einer ähnlichen, wenn auch unblutigeren, Fehleinschätzung unterliegen diejenigen, die heute versuchen, in Indien und Madagaskar das Recht auf bezahlten Urlaub und maximale Arbeitszeiten zu etablieren. Das sind Errungenschaften, die eben errungen werden wollen – und nicht herbeigezaubert werden können. Und selbst wenn sie in irgendeinem Gesetz stehen, ändert das oft gar nichts für die Menschen vor Ort. Das ist keine angenehme Erkenntnis. Und man könnte leicht in den Verdacht des Zynismus geraten. In diesen Verdacht könnten freilich auch jene kommen, die womöglich in Kauf nehmen, dass eine Umsetzung westlicher Arbeitsstandards dazu führt, dass Fabriken schließen müssen, und Menschen ohne Arbeit und Auskommen dastehen.

Wenn man wirklich helfen möchte, muss man vor allem dafür sorgen, dass das Wirtschaftswachstum anhält. Denn Wohlstand ist die Voraussetzung für Unabhängigkeit. Wohlstand ermöglicht es, das eigene Gehalt in Bildung zu investieren anstatt nur in das nackte Überleben. Wohlstand erweitert das Set an Chancen. Wer wirklich helfen möchte, muss sich dafür einsetzen, dass alle ökonomischen Voraussetzungen in diesen Ländern besser werden: durch Bekämpfung von Korruption wie durch Öffnung von Märkten, durch eine kluge Migrationspolitik wie durch den Abbau von Bürokratie, durch Investorenschutz wie durch Eigentumsrechte. Seit etwa einem Jahrzehnt mühen sich immer mehr Menschen um solche Lösungen, die wirklich helfen, unter dem Schlagwort des „effektiven Altruismus“.

Es fühlt sich gut an, für die Arbeitsstandards weltweit zu kämpfen. Aber von unserem Wohlgefühl hat kein einzelner Arbeiter in ärmeren Regionen auch nur irgendetwas. Es hilft ihr und ihm nichts, wenn wir uns als Helden fühlen, die auf der richtigen Seite stehen. Stattdessen müssen wir uns einsetzen für kluge und evidenzbasierte Maßnahmen. Weniger Seelenbalsam für uns, mehr effektive Lösungen für diejenigen, denen es nicht so gut geht wie uns. Der Verzicht auf dieses gute Gefühl ist möglicherweise ein viel bedeutungsvolleres Opfer als viele Stunden Freiwilligenarbeit.

Photo by Zhen Hu on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Über drei Jahre ist der gesetzliche Mindestlohn jetzt alt. Die ersten finanzwissenschaftlichen Analysen offenbaren, was weltweit aus der Mindestlohnforschung bekannt ist: Eine heftige Reaktion blieb aus, trotzdem gab es einen moderaten Stellenabbau beziehungsweise niedrigere Stellenschaffung.

Der flächendeckende Mindestlohn wurde am 1. Januar 2018 drei Jahre alt. Seiner Einführung ging eine kontroverse Debatte über die zu erwartende Beschäftigungswirkung voran. Das ifo-Institut etwa prophezeite den Verlust von bis zu 900.000 Arbeitsplätzen. Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles dagegen versprach, dass 3,7 Millionen Menschen in den Genuss eines höheren Lohnes kommen würden. Zusätzliche Arbeitslosigkeit erwartete sie nicht.

Erste wissenschaftliche empirische Studien erlauben nun Rückschlüsse auf die kurzfristige Beschäftigungswirkung des Mindestlohns. Dieser hat demnach einen negativen, wenn auch quantitativ bescheiden ausfallenden Beschäftigungseffekt, wobei Minijobs stärker betroffen sind als reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Die neuen Erkenntnisse aus Deutschland passen zu den Ergebnissen der Mindestlohnforschung in anderen Ländern, die zeigen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 % durchschnittlich zum Abbau von etwa 1 % der Arbeitsverhältnisse in der vom Mindestlohn betroffenen Gruppe führt. Angesichts der ersten deutschen und vielfältigen internationalen Forschungsergebnisse scheint die von der politischen Linken vorgeschlagene kurzfristige Anhebung des Mindestlohns um mehr als 30 % auf 12 € wenig attraktiv.

Einführung des Mindestlohns: Eine kontroverse Debatte

Wieso war die deutsche Mindestlohndebatte so kontrovers, wenn internationale Studien doch ein recht eindeutiges Bild zeichnen – nämlich schwache negative Beschäftigungseffekte? Viele Kommentatoren verwiesen auf die besondere Situation in Deutschland, welche Rückschlüsse auf Basis der Erfahrungen anderer Länder relativiere: Schon vor der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns existierten in zahlreichen Industrien branchenspezifische Lohnuntergrenzen. Zudem ist vor allem außerhalb der wissenschaftlichen Forschung die Ansicht weit verbreitet, Deutschland leide an einer zu geringen Binnennachfrage und ein höherer Mindestlohn könne zu einer Ausweitung der Nachfrage nach Arbeit führen.

Doch auch wenn jedes Land gewiss spezifische Eigenheiten aufweist, gab es für Ökonomen keinen Grund für die Annahme, dass eine fundamentale Regelmäßigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gelten solle: Wenn der Preis einer Dienstleistung – in diesem Fall der erbrachten Arbeit – steigt, so wird sie weniger häufig nachgefragt. Unklar ist jedoch, wie stark der Nachfragerückgang ausfällt. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Preiselastizität der Arbeitsnachfrage.

Effekt des Mindestlohns: Messung anspruchsvoll

Ein weiterer Grund für die polarisierte Debatte liegt in der Schwierigkeit, die Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns verlässlich zu messen. Einfache Vorher-Nachher-Vergleiche bilden die tatsächlichen Effekte nicht ab, da sie nicht berücksichtigen, wie der Arbeitsmarkt heute aussähe, wäre es nicht zur Einführung des Mindestlohns gekommen. So kann die Beobachtung, dass die Arbeitslosigkeit nach 2015 weiter gesunken ist nicht als Beleg für ausbleibende unerwünschte Wirkungen des Mindestlohns herhalten- Vielmehr wurde ein negativer Beschäftigungseffekt des Mindestlohns möglicherweise von anderen gegenläufigen Entwicklungen überlagert.

Die Messung der Beschäftigungseffekte des Mindestlohns erweist sich deshalb als eine weitaus anspruchsvollere Herausforderung, als viele Kommentatoren dies in ihren Erfolgsmeldungen nach 2015 suggerierten. Aus diesem Grund suchen Arbeitsmarktforscher nach plausiblen Vergleichsgruppen, d.h. Individuen, Unternehmen oder Regionen, die in unterschiedlichem Maße vom Mindestlohn betroffen sind, sich aber in anderen arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften ähneln. Das Ausmaß der Betroffenheit vom Mindestlohn einer solchen Vergleichsgruppe wird dabei als der „Biss“ des Mindestlohns bezeichnet.

 

Studien für Deutschland seit 2015: Beschäftigungseffekt schwach und negativ

Eine der ersten zuverlässigen Analysen liefern Mario Bossler und Hans-Dieter Gerner (2016) vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mittels einer Differenz-von-Differenzen-Schätzung. Basierenden auf dem IAB-Betriebspanel, einem repräsentativen Survey deutscher Arbeitgeber, vergleichen die Autoren Betriebe vor und nach 2015 unter Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem ein Betrieb vom Mindestlohn betroffen ist. Sie finden, dass es unter den betroffenen Betrieben zu einem Beschäftigungsrückgang von 1,9 % oder 60.000 Arbeitsplätzen kam – hauptsächlich aufgrund nicht erfolgter Neueinstellungen. In einem weiteren Paper findet Mario Bossler (2017), dass die voraussichtlich vom Mindestlohn betroffenen Arbeitgeber 2014 erwarteten, dass die Rate mit der sie zukünftig neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen werden um 0,9 Prozentpunkte sank – eine Erwartung, die sich nach 2015 punktgenau bestätigt hat.

Alfred Garloff (2017) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in der Bewertung der Arbeitsmarkteffekte des Mindestlohns zurückhaltender. In seiner Analyse verwendet er alters- und geschlechtsspezifische Daten der 141 Arbeitsmarktregionen Deutschlands und berechnet den „Biss“ des Mindestlohns für 1.410 Regionen-Altersgruppen-Geschlecht-Zellen. Er zeigt, dass in stärker betroffenen Zellen nach 2015 relativ mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und relativ weniger Minijobs geschaffen wurden – ein Indiz dafür, dass vom Mindestlohn betroffenen Minijobs teilweise in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden. Da jedoch mehr Minijobs verloren gegangen sind als sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen wurden, ist in stärker betroffenen Zellen zugleich die Arbeitslosigkeit gestiegen.

Sebastian Schmitz (2017) von der Freien Universität Berlin verwendet ein ähnliches Forschungsdesign wie Garloff, untersucht jedoch stärker aggregierte Regionaldaten in einer Längsschnittanalyse über fast 50 Jahre. Er findet keinen Effekt auf die reguläre Beschäftigung, schätzt jedoch, dass im Jahr 2015 zwischen 150.000 und 200.000 Minijobs aufgrund des Mindestlohns verloren gegangen sind.

Marco Caliendo et al. (2017), ein breites Forscherteam aus Berlin und Potsdam, greifen auf Individualdaten aus der Verdienststrukturerhebung (SES) der EU und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) zurück. Wie in den vorgenannten Studien aggregieren sie diese Daten in Regionen auf und setzen deren Mindestlohnbetroffenheit und Arbeitsmarktentwicklung zueinander ins Verhältnis. Die Autoren finden, dass zwischen 2014 und 2015 ca. 180.000 Minijobs, also 2,4 % aller Minijobs, durch den Mindestlohn verloren gegangen sind. Bezüglich regulärer Arbeitsverhältnisse ergeben einige Schätzungen einen Rückgang um bis zu 0,3 % oder 78.000 Jobs. Doch in anderen Spezifikationen finden sie keinen Effekt.

Lutz Bellmann et al. (2017) zeigen auf Basis des IAB-Betriebspanels, dass von der Einführung des Mindestlohns betroffene Betriebe weniger in die Fortbildung ihrer mittel- und hochqualifizierten Mitarbeiter investieren. Dieser Befund liefert einen Hinweis darauf, dass Arbeitgeber angesichts des Mindestlohns Kosten sparen, indem sie andere explizite und implizite Lohnbestandteile senken.

Fazit: Mindestlohn mit unerwünschten Nebenwirkungen

Drei Jahre nach der Einführung des Mindestlohns ist eine erste wissenschaftlich zuverlässige Abschätzung der kurzfristigen Beschäftigungseffekte möglich. Bisherige Studien zeigen, dass sich weder das Horrorszenario von fast einer Million verlorenen Jobs, noch der Traum einer beschäftigungsneutralen Lohnanhebung bewahrheitet haben. Unterm Strich hat der Mindestlohn zu leichten Jobverlusten geführt: 150.000 bis 200.000 Minijobs sind verloren gegangen. Einige, doch bei weitem nicht alle dieser Job wurden in reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt, sodass insgesamt ca. 60.000 Stellen abgebaut bzw. nicht neu geschaffen wurden.

Auch wenn die bisherigen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns nicht dramatisch ausfallen, sind diese arbeitsmarktpolitisch nicht unbedenklich und ließen sich verhindern, wenn der Mindestlohn durch stärkeres Aufstocken niedriger Löhne ersetzt würde. Zwar sind die schwachen negativen Beschäftigungseffekte angesichts der moderaten Höhe des Mindestlohns von 8,50 € bzw. 8,84 € seit 2017 nicht überraschend. Doch demonstrieren sie, dass die Teilnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt auf gesetzliche Lohnuntergrenzen ähnlich reagieren, wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Entsprechend würde eine deutliche Anhebung des Mindestlohns stärkere Beschäftigungseffekte hervorrufen. Gemäß der bisherigen Erfahrungen in Deutschland und anderen Ländern ließe die von der politischen Linken geforderte Anhebung um mehr als 30 % auf 12 € einen Beschäftigungsrückgang von etwa 3 % in der betroffenen Gruppe erwarten.

Zuerst erschienen bei IREF.