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Photo: Herry Lawford from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Dass hierzulande der Staat in manchen Fällen weiterhin als Monopolanbieter auftritt, ist sicher historisch begründet. Nun zeigen aber die Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit und die erfolgreiche Privatisierung einiger Brachen, dass auch in Deutschland die gesellschaftliche Gesamtwohlfahrt durch Privatisierung gesteigert werden könnte.

Vorschläge zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen werden oft kontrovers diskutiert. Aktuell sorgt der Verkauf von 33.000 Wohnungen an private Investoren in Bayern für Aufsehen. Selbst wenn nicht die öffentliche Finanzierung, sondern lediglich die öffentliche Bereitstellung einer Leistung zur Debatte steht, begegnen nicht wenige Menschen Privatisierungen skeptisch. Sie argumentieren mit Hinweis auf vermeintliche Desaster wie die Bahnprivatisierung in England, dass die von Privatisierungsbefürwortern versprochene segensreiche Wirkung für Konsumenten nicht eintritt.

Viele jüngere Privatisierungsmaßnahmen sind allerdings Erfolgsgeschichten, so in Deutschland z.B. im Telekommunikationssektor und in der Gesundheitsinfrastruktur. Dass die Übertragung vormals öffentlich bereitgestellter Leistung an Private für die Konsumenten in der Regel positive Folgen hat, ist nicht überraschend: Private Anbieter haben einen stärkeren Anreiz zur ressourcenschonenden Bereitstellung von Leistungen. Darüber hinaus bieten Privatisierungen die Chance, von einem Monopolanbieter beherrschte Märkte für den Wettbewerb zu öffnen.

 

 

Bund, Länder und Kommunen sollten weitere Privatisierungen in Betracht ziehen.

Privatisierung schont Ressourcen

Wäre die Bereitstellung von Leistungen durch den Staat genauso effektiv wie die private Bereitstellung, gäbe es vielleicht ethische Argumente für die Privatisierung, aber keine ökonomischen.

Die Effektivität unterscheidet sich jedoch. Denn die Anreizstruktur der Eigentümer und Manager eines Privatunternehmens ist eine andere als jene eines Staatsunternehmens. Die Eigentümer privater Unternehmen profitieren von Effizienzsteigerungen direkt. Gelingt es ihnen, die Nachfrage zu einem geringeren Preis zu bedienen oder die Qualität zu erhöhen, wandern zusätzliche Profite in ihre eigene Tasche. Das schafft einen starken Anreiz zu ressourcenschonender Leistungserbringung. Die steuerzahlenden Eigentümer und bedienstete Manager öffentlicher Unternehmen profitieren persönlich von einer effizienteren Bereitstellung dagegen kaum.

Damit es zu den erwünschten Effizienzsteigerungen kommt, muss die Privatisierung substantiellen Charakter haben und über die rein formale Umwandlung der Rechtsform eines staatlichen Unternehmens hinausgehen. Die Deutsche Bahn – oft zitiertes Beispiel für eine angeblich gescheiterte Privatisierung – hat eine solche substantielle Privatisierung fast 25 Jahre nach der Bahnreform noch vor sich. Auch als Aktiengesellschaft befindet sie sich zu 100 % im Staatsbesitz.

Privatisierung intensiviert den Wettbewerb zwischen Anbietern

Ein weiterer Vorteil entsteht, wenn die Privatisierung den betreffenden Markt für den Wettbewerb öffnet. Konsumenten profitieren vom Wettbewerb zwischen Unternehmen, da die um Kunden konkurrierenden Anbieter Leistungen stets günstiger oder in besserer Qualität bereitstellen müssen.

Theoretisch könnten auch Staatsunternehmen miteinander konkurrieren. Doch spricht wenig dafür, dass Wettbewerb zwischen ihnen zu ähnlich schonendem Umgang mit Ressourcen führt wie Wettbewerb zwischen Privatunternehmen. Die Anreize dafür fehlen schlicht. Auch eine halbherzige Privatisierung, bei der neben staatlichen auch private Anbieter zugelassen werden, ist der rein staatlichen Bereitstellung daher vorzuziehen.

Sogar private Monopole sind effizienter

Selbst wenn kein Wettbewerb möglich ist oder zugelassen wird, birgt Privatisierung Vorteile für Konsumenten. Staatliche Monopole sind weniger bemüht, Effizienzsteigerungen durch kostensenkende und qualitätssteigernde Innovationen herbeizuführen. Privatisierung ist in vielen Fällen also auch dann sinnvoll, wenn die Marktstruktur, also das Ausmaß des Wettbewerbs und der Regulierung, unverändert bleibt. Das gilt auch für Industrien, in denen sich aufgrund starker Skalen- und Netzwerkeffekte natürliche Monopole bilden. Auch hier können private Anbieter vom Staat reguliert werden, zum Beispiel hinsichtlich ihrer Preispolitik. Ihren Anreiz, Ressourcen möglichst sparsam einzusetzen verlieren sie dadurch nicht.

Unabhängig davon, ob es sich um ein durch Gesetze geschaffenes oder ein natürliches Monopol handelt, sollte die Privatisierung durch eine Öffnung des Marktes begleitet werden. Beruht die Monopolstellung auf gesetzlichen Regelungen, würde der private Anbieter seine Monopolstellung einbüßen. Handelt es sich um ein natürliches Monopol, würde die Marktöffnung den Monopolisten zusätzlich zu einem effizienten Umgang mit Ressourcen anhalten. Ein natürliches Monopol braucht gewiss keinen gesetzlichen Schutz, aber hat auch keine Garantie, dass seine Stellung fortbesteht.

Effiziente Bereitstellung durch den Staat: Ein kleiner Kreis

Die Privatisierung der Erbringung einer Leistung impliziert nicht, dass auch deren Finanzierung privat organisiert wird. So stellt der deutsche Staat mittels Sozialtransfers sicher, dass kein Mensch ohne Wohnung auskommen muss, während überwiegend private Akteure für ein angemessenes Immobilienangebot sorgen. Umverteilungsaktivitäten des Staates sind transparenter und für die Bürger leichter zu kontrollieren, wenn der Staat Leistungen finanziert, sie aber nicht selbst bereitstellt.

Ist Privatisierung stets sinnvoll? Nein. Es gibt Leistungen, die durch den Staat nicht nur finanziert, sondern auch bereitgestellt werden sollten. Das ist dann der Fall, wenn die betreffende Leistung in hoher Qualität bereitgestellt werden muss, private Anbieter aber vertraglich nicht auf eine konstant hohe Qualität festgelegt werden können und der Abschluss eines neuen Bereitstellungsvertrages zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Landesverteidigung und Polizei sind zwei der wenigen Beispiele für derartige Leistungenwobei das staatliche Angebot auch in diesen Bereichen durch private Anbieter ergänzt wird.

Fair und nachhaltig privatisieren

Wenngleich die Privatisierung von staatlichen Monopolen oder Anteilen grundsätzlich sinnvoll ist, hängt das Ausmaß der dadurch zu realisierenden Vorteile für Konsumenten von den Details ab. Sind Ausschreibungen kompetitiv oder kommt ein privilegiertes Privatunternehmen stets zum Zug? Wird der privatisierte Markt ausreichend dereguliert oder werden vormals im Staatsbesitz stehende Unternehmen weiterhin regulatorisch gegenüber ihren Konkurrenten bevorzugt – wie etwa im Fall der Deutschen Post?

Wie schwer es sein kann, den Prozess fair zu gestalten, zeigt das Beispiel der ehemaligen Ostblock-Staaten. Einzelne Privatpersonen sind dort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sehr reich geworden, doch viele formal privatisierte Märkte sind weiterhin nicht für Wettbewerber geöffnet und stark vermachtet – zu Lasten der Kunden.

Chancen ergreifen

In stabilen Rechtsstaaten mit geringer Korruptionsgefahr, wie in Deutschland, ist die breitflächige Privatisierung derzeit öffentlich bereitgestellter Leistungen vielversprechend. Das Potenzial ist groß: Der Bund hält weiterhin Anteile an 108 formal privatisierten Unternehmen. Dazu kommen Angebote des Staates wie Wohnungen, Schulen, Autobahnen oder Krankenhäuser, die getrost privater Bereitstellung, aber nicht unbedingt privater Finanzierung, überlassen werden können.

Als Konsumenten würden die Bürger Deutschlands zukünftig von der Bereitstellung durch effizientere und im Wettbewerb stehende Anbieter profitieren. Auch als Steuerzahler könnten die Bürger entlastet werden. Privatisierung kann zum Abbau der hohen Staatsschulden beitragen, ermöglicht dem deutschen Staat somit langfristig mehr Freiraum und erlaubt es ihm, sich auf seine wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Annie Spratt from Unsplash ( CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Unter dem ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle. Im Mittelpunkt sollte also nicht die Frage stehen, wie der Kuchen verteilt werden soll, sondern wie er größer wird.

Vor gut 30 Jahren fragte der Wirtschaftshistoriker David Landes: „Warum sind wir so reich und die anderen so arm?“ Mit „den anderen“ sind nicht nur Menschen in Entwicklungsländern gemeint, sondern auch unsere eigenen Vorfahren. Ein durchschnittlicher Deutscher hat heute ein etwa sechsmal so hohes Einkommen wie ein durchschnittlicher Deutscher vor 100 Jahren oder ein durchschnittlicher Kubaner heute. Die Antwort auf die Frage nach der Quelle unseres historisch beispiellosen Reichtums lautet: Weil wir so produktiv sind. In der langen Frist wird unser Wohlstand hauptsächlich durch unsere Produktivität bestimmt, also durch unsere Möglichkeiten, Produktionsfaktoren in Konsumgüter zu verwandeln.

Seit geraumer Zeit nimmt das Produktivitätswachstum in der westlichen Welt ab. Zwar herrscht unter Ökonomen keine einheitliche Meinung über die dominanten Gründe, doch unstrittig ist, dass der Politik eine tragende Rolle zukommt. Durch ihre Steuer-, Geld- und Regulierungspolitik kann sie Produktivitätssteigerungen begünstigen oder mögliche Produktivitätssteigerungen zunichtemachen. Viele jüngere politische Maßnahmen in Deutschland stehen dem Ziel eines langfristig höheren Wohlstands im Weg, so z.B. die Niedrigzinspolitik der EZB, technologiefeindliche Regulierungen und höhere Steuern auf Zinserträge. All diese Maßnahmen erfüllen kurzfristige Umverteilungsziele, schaden jedoch langfristig der Produktivitätszunahme. Damit erfolgen sie nicht nur auf Kosten derer, die die Umverteilungspolitik heute finanzieren, sondern auch auf Kosten zukünftiger Generationen.

Was ist Produktivität?

Produktivität ist die Effizienz mit der Menschen, Unternehmen und Volkswirtschaften Produktionsfaktoren – also beispielsweise Arbeitskraft, Maschinen und Energie – kombinieren und in Konsumgüter verwandeln. Je mehr wir aus einer gegeben Ausstattung an Produktionsfaktoren machen können, desto produktiver sind wir. Ökonomen bezeichnen dieses Effizienzmaß auch als totale Faktorproduktivität.

Von besonderem Interesse, weil durch die Politik beeinflussbar, ist die Arbeitsproduktivität, also die Effizienz des Einsatzes von Arbeitskraft. Studien zeigen, dass die Arbeitsproduktivität weltweit massiv variiert. So erwirtschaftete ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland 2016 pro Stunde etwa 68 US-Dollar, während sein mexikanischer Kollege in der selben Zeit nur 20 US-Dollar erwirtschaften konnte. Produktivitätssteigerungen erlauben es uns, bei konstantem Faktoreinsatz mehr Güter oder Güter besserer Qualität herzustellen. Zudem stellen in gut funktionierenden Marktwirtschaften Arbeitsteilung, Spezialisierung, Kooperation und Wettbewerb zwischen Unternehmen sicher, dass alle Menschen von Produktivitätssteigerungen profitieren.

 

Politik beeinflusst Produktivitätswachstum

Menschen sind unterschiedlich reich, weil sie unterschiedlich produktiv sind. Doch welche Faktoren rufen Unterschiede in der Arbeitsproduktivität hervor? Ein Teil der Produktivitätsunterschiede wird durch individuelle Unterschiede im Ausbildungsniveau – Ökonomen sprechen vom Humankapital – und arbeitsrelevanten Verhaltensweisen, etwa der Konzentration während der Arbeitszeit, erklärt. Ein gut ausgebildeter und hochkonzentrierter Arbeiter ist produktiver als ein schlecht ausgebildeter oder schlecht konzentrierter Arbeiter – unabhängig von allen sonstigen Umständen, wie etwa dem Arbeitsort.

Doch maßgeblich wird unsere Arbeitsproduktivität auch durch Faktoren bestimmt, die der Einzelne nicht unter Kontrolle hat: Wir sind umso produktiver bei der Arbeit, je mehr andere Produktionsfaktoren – etwa Maschinen oder Energie – wir zur Verfügung haben. Unternehmen und Länder mit einem größeren Kapitalstock, relativ zur Arbeiterschaft, weisen eine höhere Arbeitsproduktivität auf. Wichtig sind darüber hinaus die Bedingungen, die beeinflussen, wie Produktionsfaktoren koordiniert und verwendet werden: Herrscht Rechtssicherheit? Sind Institutionen kooperationsfördernd? Begünstigen Marktstrukturen Kooperation und Wettbewerb? Setzt sich gute Managementpraxis durch?

Die Arbeitsproduktivität eines Individuums hängt also maßgeblich davon ab, in welchem Unternehmen oder Land es arbeitet. So kann ein peruanischer Arbeitnehmer allein dadurch, dass er seinen Job in den USA statt in seiner Heimat ausführt, fast viermal so viel verdienen – weil er viermal so produktiv ist.

Nur wenige dieser Faktoren sind von politischen Einflüssen zumindest mittelfristig unberührt, etwa das Klima, die langfristigen Folgen historischer Zufälle, Traditionen und kulturelle Eigenheiten. Auf viele Determinanten der Arbeitsproduktivität hat die Politik dagegen maßgeblichen Einfluss, etwa durch die Geld- und Steuerpolitik oder Regulierungsaktivitäten. Einer Regierung, der das Wohlergehen ihrer Bürger am Herzen liegt, sollte viel daran gelegen sein, Produktivitätssteigerungen zu ermöglichen. Gemessen an diesem Anspruch sind viele aktuelle politische Maßnahmen in Deutschland kritisch zu bewerten. Drei Beispiele:

Niedrigzinsen stützen unproduktive Firmen

Seit geraumer hält die Europäische Zentralbank die Leitzinsen auf historisch niedrigem Niveau. Die Niedrigzinspolitik soll schwächere Volkswirtschaften in Europas Süden stützen und zur allgemeinen Belebung der Wirtschaft beitragen. Wenngleich diese Politik für manche Volkswirtschaften im Süden angemessen sein mag, hat sie für Deutschland negative Folgen. Sie hält Unternehmen, die sich im Umgang mit knappen Ressourcen als relativ unproduktiv erwiesen haben, künstlich solvent und verhindert deren Marktaustritt. Unproduktiven Unternehmen werden so zulasten ihrer produktiveren Wettbewerber künstlich beatmet, was unmittelbar die Produktivität der Industrie verringert.

Regulierung behindert neue Geschäftsmodelle

Technologischer Fortschritt führt in vielen Branchen zu Umwälzungen. Einige Unternehmen treten aus dem Markt aus und andere Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen nehmen ihren Platz ein. Um diesen Prozess zu verhindern, setzen Interessengruppen aus betroffenen Unternehmen und ihren Stakeholdern einiges in Gang: Taxifahrer kämpfen gegen Uber, Hoteliers gegen Airbnb und staatlich finanzierte Medien gegen neue dezentrale Medien. Die Politik zeigt sich verständnisvoll: So sind Airbnb und Uber in zahlreichen deutschen Großstädten verboten oder eingeschränkt und die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender dürfen sich auch bei sinkenden Einschaltquoten und abnehmender Relevanz klassischer Offline-Medien über ein wachsendes Budget freuen.

Was manchen Zeitgenossen als sympathische Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen erscheint, hat langfristig deutliche Produktivitätseinbußen zur Folge. In den kommenden Jahrzehnten werden zahlreiche Branchen enorme Produktivitätsgewinne durch den Einsatz künstlicher Intelligenz erleben. Dieser Prozess wird unweigerlich dazu führen, dass einige heutige Berufe und Arbeitsfelder wegfallen sowie neue Berufe und Arbeitsfelder entstehen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik nicht den erprobten Weg geht und Produktivitätsgewinne durch Steuern und Verbote verhindert.

Abgeltungsteuer Adé: Investitionen weniger attraktiv

Steuerpolitik ist Anreizpolitik. Die Besteuerung einer Handlung führt in der Regel dazu, dass diese Handlung seltener erfolgt. So führt die Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinserträge dazu, dass Investoren ihre Zinseinnahmen zukünftig wieder mit ihrem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern müssen – bei vielen Investoren dürfte der über dem bisherigen Steuersatz von 25 % liegen – und so betroffene Kapitalinvestments weniger attraktiv werden.

Investitionen in den Kapitalstock sind jedoch von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Arbeitsproduktivität. Selbst jene, die von der kurzfristigen Höherbesteuerung von Kapitalerträgen heute profitieren mögen, werden langfristig unter dem geringen Produktivitätswachstum leiden.

Produktivitätsentwicklung in den Fokus rücken

Weshalb bewerten viele Menschen die Wichtigkeit produktivitätssteigernder Investitionen vergleichsweise niedrig? Ein Grund könnte darin liegen, dass sie langfristige Zinseszinseffekte oft unterschätzen. So wie der Wert eines Assets exponentiell steigt, wenn dessen jährlicher Zinsgewinn dem Anlagekapital hinzugefügt wird, nimmt das Einkommen der Menschen in einer Region bei einer konstanten Wachstumsrate exponentiell zu.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Doch selbst wenn die Verfolgung derartiger Ziele als wünschenswert erachtet wird, sollten die negativen Folgen für die Produktivitätsentwicklung ernstgenommen werden. Schon nach 30 Jahren ist eine jährlich um 2 statt 3 % wachsende Volkswirtschaft um knapp ein Viertel ärmer. Unter ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle, darunter auch viele, die kurzfristig von Umverteilungsmaßnahmen profitieren.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo by davide ragusa on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Die sogenannte Bürgerversicherung ist seit der Bundestagswahl 2017 wieder ein großes Thema in der Sozialpolitik. Doch anstatt zu versuchen, mehr Umverteilung in das Versicheurngssystem einzubauen, sollte man auf risikobasiertes Pricing setzen. Dadurch können Wettbewerb und Effizienz der Krankenkassen gesteigert werden. Sozial schwachen Haushalten könnte mit steuerlicher Umverteilung der Beitrag bezuschusst werden.

Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD Anfang des Jahres haben das Thema Krankenkassen wieder auf die Agenda gebracht. Befürworter einer Bürgerversicherung wünschen sich unter anderen mehr Umverteilung im Rahmen der dann für alle verpflichtenden gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch als Umverteilungsinstrumente sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht attraktiv. Das Steuer- und Sozialsystem ist für diese Aufgabe deutlich besser geeignet. Deshalb sollten die Prämien der gesetzlichen Krankenkassen – wie im Fall der privaten Krankenkassen – auf individuellen Krankheitsrisiken basieren und nicht auf der Höhe der Arbeitseinkommen ihrer Versicherten.

Krankenkassen: Unattraktiv als Umverteilungsvehikel

Derzeit steigen die Beiträge von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze proportional mit dem Lohneinkommen. Dadurch wird auf Grundlage der Arbeitseinkommen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen umverteilt – schon heute. Eine Bürgerversicherung, die für alle verpflichtend wäre und möglicherweise keine Beitragsbemessungsgrenze aufwiese, würde zu mehr Umverteilung dieser Art durch die gesetzlichen Krankenversicherungen führen.

 

Die durch die gesetzlichen Krankenversicherungen herbeigeführte Umverteilung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Die vom Arbeitseinkommen abhängige Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bemisst die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherten nicht treffsicher. So wird zum Beispiel Einkommen aus Vermögen nicht erfasst.

Das Gesamteinkommen zur Beitragsbemessungsgrundlage zu machen, wie es in manchen Bürgerversicherungsmodellen vorgeschlagen wird, ist keine attraktive Alternative. Denn die innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen herbeigeführte Umverteilung könnte im besten Fall die durch das Steuer- und Sozialsystem mögliche Umverteilung replizieren. Dies wäre der Fall, wenn die Krankenkassen die gleichen Informationen über die finanzielle Situation der Versicherten hätten wie die Finanz- und Sozialämter. Allerdings entstünden erhebliche Verwaltungskosten, wenn die gesetzlichen Krankenkassen neben ihrem Haupttätigkeitsfeld Aufgaben der Finanz- und Sozialämter übernehmen würden.

Krankenkassen sollten sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Versicherung von Gesundheitsrisiken. Dafür sind Krankenkassen Experten, nicht für Umverteilung.

Fragwürdiger Einsatz von Beitragsmitteln

Die lohnabhängigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bringen weitere unerwünschte Effekte mit sich. Die Versicherungen wenden Ressourcen auf, um möglichst junge, gutverdienende Versicherte zu gewinnen. Sie verursachen nur wenig Kosten und sorgen durch die lohnabhängigen Beiträge für sprudelnde Einnahmen. Krankenkassen werben um die junge gesunde Klientel, indem sie beispielsweise für gesunde Versicherte besonders attraktive Zusatzleistungen wie kostenlose Bonus- oder Fitnessprogramme anbieten.

Dagegen versuchen gesetzliche Krankenkassen, obwohl sie keine Versicherten ablehnen dürfen, Menschen mit hohen Krankheitsrisiken abzuschrecken. So berichtete das Bundesversicherungsamt im Jahre 2012, dass einige Krankenkassen ihren Vertriebsmitarbeitern keine Prämien für die Werbung einkommensschwacher oder kranker Versicherten zahlten.

Krankenkassen haben nicht nur ein Interesse, die Aufnahme teurer Versicherter zu verhindern. Das Bundesversicherungsamt berichtete weiter, dass einige Krankenkassen versucht haben sollen, behinderte und chronisch kranke Versicherte per Telefon zur Kündigung zu bewegen.

Sisyphusarbeit Gesundheitsfonds

Diese Probleme hat die Politik erkannt und versucht solchen Anreizen zu begegnen, indem der 2009 eingeführte und vom Bund finanziell bezuschusste Gesundheitsfonds für kränkere Versicherte mehr an die Krankenkassen zahlt als für gesunde. Leider führte dies zu unerwünschten Reaktionen seitens der Versicherer. Sie neigen dazu, ihre relativ gesunden Versicherten auf dem Papier möglichst krank erscheinen zu lassen. Einige Krankenkassen trafen Vereinbarungen mit der Ärzteschaft, die dazu führten, dass Ärzte finanziell davon profitierten, wenn sie ihre Patienten kränker aussehen ließen als sie waren.

Die Idee des Gesundheitsfonds, Krankenkassen einen finanziellen Anreiz zu geben, auch überdurchschnittlich Kranke aufzunehmen, ist nicht per se schlecht. Permanent werden der Gesundheitsfonds und die Auszahlungsregeln nachgebessert. Dies ist löblich, doch es ist schwierig, das notwenige Wissen zu erlangen, wie die unterschiedlichen Risiken am besten erfasst und vergütet werden. Allerdings gibt es eine Alternative, die das leisten kann: Risikoäquivalente Versicherungsprämien.

Dezentrales Wissen der Versicherten und Versicherungen nutzen

Risikoäquivalente Versicherungsprämien ergeben sich aus dem Wettbewerb verschiedener Anbieter für Versicherungsleistungen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Politiker und Regulierer in den Ministerien sowie Verbänden die optimale Struktur des Gesundheitsfonds auf dem Reisbrett ersinnen, sondern nutzen das dezentrale Wissen der Versicherten und der verschiedenen Versicherungsanbieter.

Wir kennen risikoäquivalente Prämien von KFZ-Versicherungen und den privaten Krankenkassen. Vor Versicherungsbeginn werden auf Grundlage des Gesundheitszustandes die zu erwartenden Gesundheitsausgaben und damit der individuelle monatliche Beitrag berechnet. Die Versicherungen haben dabei einen Anreiz, diese möglichst akkurat zu berechnen, da sie im Wettbewerb mit anderen Versicherungen um Kunden stehen. Veranschlagen sie zu hohe Prämien, werden sie von einer anderen Versicherung unterboten. Unterschätzen sie systematisch das Risiko ihrer Versicherten, können sie nicht dauerhaft bestehen.

Die risikoäquivalenten Prämien sind daher Marktpreise mit entsprechenden Signalwirkungen für Versicherte und Versicherer. Risikoäquivalente Prämien führen dazu, dass es für Krankenversicherungen auch attraktiv ist, kranke Menschen zu versichern und ihnen attraktive Leistungen zu bieten.

Risikoäquivalente Prämien in der gesetzlichen Krankenversicherung

Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auf risikoäquivalente Beiträge umgestellt werden. Menschen, die auf Grund ihrer finanziellen Situation mit der Zahlung ihres Beitrags überfordert wären, sollte durch höhere Sozialtransfers beziehungsweise niedrigere Steuern geholfen werden.

Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger könnten bei der Zahlung der risikoäquivalenten Prämien durch anteilige Beihilfe durch den Staat unterstützt werden. Dies würde dazu führen, dass auch Hilfsbedürftige mit hohen Prämien entsprechend höhere Krankenkassenbeihilfen erhielten. Dennoch sollten die Kosten für die Prämie nicht zu 100 % übernommen werden, da sonst die Versicherten kein Interesse hätten, in eine günstigere Versicherung zu wechseln.

Ein höheres Maß an Umverteilung als heute würde durch die anteilige Übernahme der risikoäquivalenten Prämien nicht etabliert. Heute werden die Kosten für Menschen mit einem höheren Gesundheitsrisiko in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich verschleiert. Die risikoäquivalenten Prämien würden verhindern, dass es zu einer für kranke Menschen ungünstigen Risikoselektion kommt. Bisher von den Kassen geschmähte Versicherte mit ungünstigen Gesundheitsrisiken würden zu gefragten Kunden und könnten sich über attraktivere Leistungen freuen.

Zweiklassenmedizin abschaffen: Upgrades statt Vereinheitlichung

Der Weg aus der Zweiklassenmedizin sollte zu Upgrades des Versicherungsschutzes für die gesetzlich Versicherten führen, nicht zu der im Rahmen einer Bürgerversicherung angestrebten Vereinheitlichung. Risikoäquivalente Beiträge zu den gesetzlichen Krankenversicherungen würden den Versicherern Anreize geben, um Junge und Alte sowie Gesunde und Kranke gleichermaßen zu konkurrieren – zum Vorteil aller Versicherten. Zudem käme es nicht länger zu einer Einkommensumverteilung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Diese Aufgabe würde stärker und transparenter als heute durch Steuern und Transfers erfolgen.

Von den Umverteilungszielen befreit, spricht ferner nichts dagegen, aus den gesetzlichen Krankenkassen private Versicherer zu machen – ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder ohne. Denn private Versicherer müssen sich stärker als staatliche Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen.

 

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Maurice, Arthur Bartlett, Cooper, Frederic Taber from Wikimedia  (CC 0)

Der Geist des Protektionismus verbreitet sich weiter. Der Virus infiltriert nicht nur den internationalen Handel, sondern auch dringend notwendige Investitionen in Deutschland. Zwar singt die Bundesregierung das hohe Lied der Investitionsfreiheit und des Freihandels, aber nur dort, wo es den Interessen des eigenen Landes hilft. Deshalb spricht sie auch davon, dass der internationale Handel fair sein müsse. Was das ist, beantwortet sie willkürlich von Fall zu Fall. Wie es passt. „Wieselwort“ hätte Friedrich August von Hayek so etwas genannt.

Das ist erschreckend. Erschreckend ist auch die Stimmung im eigenen Land gegenüber ausländischen Investitionen. Repräsentativ für dieses Klima ist wohl der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Er sprach sich jetzt ebenfalls für strengere Regeln aus. Man müsse die Naivität gegenüber China ablegen. Den Investitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland liege immer eine strategische Betrachtung zugrunde, so Hüther gegenüber dem Deutschlandfunk.

Eigentlich ist es generell naiv zu glauben, Investitionen von Unternehmen lägen keine strategische Entscheidungen zugrunde. Wahrscheinlich ist und war die Beteiligung des Staates an der Deutschen Post (21 Prozent), an der Deutschen Telekom (31,79 Prozent) auch „strategischer“ Natur. Erst haben die Regierungen verschiedenster Couleur in Deutschland Monopole bei der Briefzustellung und der Telekommunikation geschaffen und über Jahrzehnte erhalten. Anschließend konnten diese mit Monopolgewinnen weltweit investieren und zu globalen Playern in der Logistik und der Telekommunikation werden. Mehr staatliche Industriepolitik geht nicht. Wie viele bis dahin eigenständige Logistik- und Telekommunikations-Unternehmen in anderen Ländern mussten dafür ihre Existenz aufgeben? Und wie viel Know-How haben die beiden deutschen Unternehmen aus diesen Ländern abgezogen, um dieses Wissen für ihre globale Strategie zu nutzen? Welche Absichten hatte die Bundesregierung denn damit? Ist es naiv zu glauben, es sei nicht nur um die Arbeitsplätze im eigenen Land gegangen?

Doch worüber reden wir eigentlich bei der großen Gefahr der chinesischen Investoren, hinter denen vielleicht sogar der chinesische Staat steht? Im ersten Halbjahr 2018 betrugen die chinesischen Investitionen in Deutschland laut der Beratungsgesellschaft Baker McKenzie gerade mal 1,25 Milliarden Euro. Das ist keine Kleinigkeit, aber auch nicht die Welt. Laut der Statistik der Bundesbank betrugen ausländische Direktinvestitionen in Deutschland im letzten Jahr 69,5 Milliarden Euro. Deutsche Direktinvestitionen im Ausland lagen bei fast 112 Milliarden Euro, in den USA fast 12 Milliarden Euro und in China und Hongkong fast 5 Milliarden. Dennoch wird die Bundesregierung nervös. Letzte Woche hat sie über die KfW eine Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent eines chinesischen Investors am Stromversorger „50 Hertz“ verhindert sowie eine Übernahme des Maschinenbauers Leifeld Metal Spinning (170 Mitarbeiter, 40 Mio. Euro Umsatz) im westfälischen Ahlen.

Inzwischen zeigt sich, dass diese Entscheidungen nur der Aufgalopp einer grundsätzlichen Änderung der Politik gegenüber ausländischen, insbesondere chinesischen Investoren war. Jetzt will Wirtschaftsminister Peter Altmaier schon unerwünschte Beteiligungen an deutschen Unternehmen ab 15 Prozent untersagen können. Der Geist der Abschottung und des Misstrauens gegenüber ausländischen Investoren wird immer größer. Eigentlich müsste die Regierung vor der eigenen Haustüre kehren.

„Naiv“ ist nicht das bisherige Verhalten, sondern der Glaube, dass eine Verschärfung der Interventionsmöglichkeiten der Regierung nicht folgenlos bliebe. Nicht nur bei Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland. Es wird auch das Vertrauen in die Marktwirtschaft im eigenen Land ruinieren. Diese setzt den Schutz des Eigentums und die Vertragsfreiheit voraus. Das mag banal klingen, ist es aber bei weitem nicht. Wenn eine Regierung die Beteiligung oder die Übernahme durch einen ausländischen Investor verhindern kann, dann greift sie massiv in die Verfügungsgewalt des Eigentums ein. Ein Eigentümer kann nicht mehr frei über sein Unternehmen entscheiden, sondern es steht unter dem Zustimmungsvorbehalt der Regierung. Zwar hat der Unternehmer mit Kapital und unternehmerischem Risiko ein Unternehmen geschaffen. Zwar ist es sein Know-How und sein Unternehmen, aber nur so lange er es nicht verkaufen will. Wer die freie Verfügbarkeit des Eigentums untergräbt, schafft letztlich unser Wirtschaftssystem ab. Besonders Eifrige meinen sogar, dass unser Grundgesetz diese Eingriffe erlauben würde. Immerhin heißt es dort „Eigentum verpflichtet“. Doch diese Argumentation ist nicht mehr naiv, sondern gefährlich. In dieser Auslegung unseres Grundgesetzes würde es einer Mehrheit erlauben, eine Minderheit zu enteignen. Denn die Mehrheit weiß vielleicht besser, wie Eigentum für die Gesellschaft und das Gemeinwohl eingesetzt werden kann. Wenn der Einzelne nicht mehr zählt, sondern die Mehrheit alles darf, dann sind wir im Sozialismus endgültig angelangt.

 

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo by davide ragusa on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Die sogenannte Bürgerversicherung ist seit der Bundestagswahl 2017 wieder ein großes Thema in der Sozialpolitik. Doch anstatt zu versuchen, mehr Umverteilung in das Versicheurngssystem einzubauen, sollte man auf risikobasiertes Pricing setzen. Dadurch können Wettbewerb und Effizienz der Krankenkassen gesteigert werden. Sozial schwachen Haushalten könnte mit steuerlicher Umverteilung der Beitrag bezuschusst werden. Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD Anfang des Jahres haben das Thema Krankenkassen wieder auf die Agenda gebracht. Befürworter einer Bürgerversicherung wünschen sich unter anderen mehr Umverteilung im Rahmen der dann für alle verpflichtenden gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch als Umverteilungsinstrumente sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht attraktiv. Das Steuer- und Sozialsystem ist für diese Aufgabe deutlich besser geeignet. Deshalb sollten die Prämien der gesetzlichen Krankenkassen – wie im Fall der privaten Krankenkassen – auf individuellen Krankheitsrisiken basieren und nicht auf der Höhe der Arbeitseinkommen ihrer Versicherten.

Krankenkassen: Unattraktiv als Umverteilungsvehikel

Derzeit steigen die Beiträge von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze proportional mit dem Lohneinkommen. Dadurch wird auf Grundlage der Arbeitseinkommen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen umverteilt – schon heute. Eine Bürgerversicherung, die für alle verpflichtend wäre und möglicherweise keine Beitragsbemessungsgrenze aufwiese, würde zu mehr Umverteilung dieser Art durch die gesetzlichen Krankenversicherungen führen.

 

Die durch die gesetzlichen Krankenversicherungen herbeigeführte Umverteilung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Die vom Arbeitseinkommen abhängige Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bemisst die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherten nicht treffsicher. So wird zum Beispiel Einkommen aus Vermögen nicht erfasst.

Das Gesamteinkommen zur Beitragsbemessungsgrundlage zu machen, wie es in manchen Bürgerversicherungsmodellen vorgeschlagen wird, ist keine attraktive Alternative. Denn die innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen herbeigeführte Umverteilung könnte im besten Fall die durch das Steuer- und Sozialsystem mögliche Umverteilung replizieren. Dies wäre der Fall, wenn die Krankenkassen die gleichen Informationen über die finanzielle Situation der Versicherten hätten wie die Finanz- und Sozialämter. Allerdings entstünden erhebliche Verwaltungskosten, wenn die gesetzlichen Krankenkassen neben ihrem Haupttätigkeitsfeld Aufgaben der Finanz- und Sozialämter übernehmen würden.

Krankenkassen sollten sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Versicherung von Gesundheitsrisiken. Dafür sind Krankenkassen Experten, nicht für Umverteilung.

Fragwürdiger Einsatz von Beitragsmitteln

Die lohnabhängigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bringen weitere unerwünschte Effekte mit sich. Die Versicherungen wenden Ressourcen auf, um möglichst junge, gutverdienende Versicherte zu gewinnen. Sie verursachen nur wenig Kosten und sorgen durch die lohnabhängigen Beiträge für sprudelnde Einnahmen. Krankenkassen werben um die junge gesunde Klientel, indem sie beispielsweise für gesunde Versicherte besonders attraktive Zusatzleistungen wie kostenlose Bonus- oder Fitnessprogramme anbieten.

Dagegen versuchen gesetzliche Krankenkassen, obwohl sie keine Versicherten ablehnen dürfen, Menschen mit hohen Krankheitsrisiken abzuschrecken. So berichtete das Bundesversicherungsamt im Jahre 2012, dass einige Krankenkassen ihren Vertriebsmitarbeitern keine Prämien für die Werbung einkommensschwacher oder kranker Versicherten zahlten.

Krankenkassen haben nicht nur ein Interesse, die Aufnahme teurer Versicherter zu verhindern. Das Bundesversicherungsamt berichtete weiter, dass einige Krankenkassen versucht haben sollen, behinderte und chronisch kranke Versicherte per Telefon zur Kündigung zu bewegen.

Sisyphusarbeit Gesundheitsfonds

Diese Probleme hat die Politik erkannt und versucht solchen Anreizen zu begegnen, indem der 2009 eingeführte und vom Bund finanziell bezuschusste Gesundheitsfonds für kränkere Versicherte mehr an die Krankenkassen zahlt als für gesunde. Leider führte dies zu unerwünschten Reaktionen seitens der Versicherer. Sie neigen dazu, ihre relativ gesunden Versicherten auf dem Papier möglichst krank erscheinen zu lassen. Einige Krankenkassen trafen Vereinbarungen mit der Ärzteschaft, die dazu führten, dass Ärzte finanziell davon profitierten, wenn sie ihre Patienten kränker aussehen ließen als sie waren.

Die Idee des Gesundheitsfonds, Krankenkassen einen finanziellen Anreiz zu geben, auch überdurchschnittlich Kranke aufzunehmen, ist nicht per se schlecht. Permanent werden der Gesundheitsfonds und die Auszahlungsregeln nachgebessert. Dies ist löblich, doch es ist schwierig, das notwenige Wissen zu erlangen, wie die unterschiedlichen Risiken am besten erfasst und vergütet werden. Allerdings gibt es eine Alternative, die das leisten kann: Risikoäquivalente Versicherungsprämien.

Dezentrales Wissen der Versicherten und Versicherungen nutzen

Risikoäquivalente Versicherungsprämien ergeben sich aus dem Wettbewerb verschiedener Anbieter für Versicherungsleistungen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Politiker und Regulierer in den Ministerien sowie Verbänden die optimale Struktur des Gesundheitsfonds auf dem Reisbrett ersinnen, sondern nutzen das dezentrale Wissen der Versicherten und der verschiedenen Versicherungsanbieter.

Wir kennen risikoäquivalente Prämien von KFZ-Versicherungen und den privaten Krankenkassen. Vor Versicherungsbeginn werden auf Grundlage des Gesundheitszustandes die zu erwartenden Gesundheitsausgaben und damit der individuelle monatliche Beitrag berechnet. Die Versicherungen haben dabei einen Anreiz, diese möglichst akkurat zu berechnen, da sie im Wettbewerb mit anderen Versicherungen um Kunden stehen. Veranschlagen sie zu hohe Prämien, werden sie von einer anderen Versicherung unterboten. Unterschätzen sie systematisch das Risiko ihrer Versicherten, können sie nicht dauerhaft bestehen.

Die risikoäquivalenten Prämien sind daher Marktpreise mit entsprechenden Signalwirkungen für Versicherte und Versicherer. Risikoäquivalente Prämien führen dazu, dass es für Krankenversicherungen auch attraktiv ist, kranke Menschen zu versichern und ihnen attraktive Leistungen zu bieten.

Risikoäquivalente Prämien in der gesetzlichen Krankenversicherung

Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auf risikoäquivalente Beiträge umgestellt werden. Menschen, die auf Grund ihrer finanziellen Situation mit der Zahlung ihres Beitrags überfordert wären, sollte durch höhere Sozialtransfers beziehungsweise niedrigere Steuern geholfen werden.

Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger könnten bei der Zahlung der risikoäquivalenten Prämien durch anteilige Beihilfe durch den Staat unterstützt werden. Dies würde dazu führen, dass auch Hilfsbedürftige mit hohen Prämien entsprechend höhere Krankenkassenbeihilfen erhielten. Dennoch sollten die Kosten für die Prämie nicht zu 100 % übernommen werden, da sonst die Versicherten kein Interesse hätten, in eine günstigere Versicherung zu wechseln.

Ein höheres Maß an Umverteilung als heute würde durch die anteilige Übernahme der risikoäquivalenten Prämien nicht etabliert. Heute werden die Kosten für Menschen mit einem höheren Gesundheitsrisiko in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich verschleiert. Die risikoäquivalenten Prämien würden verhindern, dass es zu einer für kranke Menschen ungünstigen Risikoselektion kommt. Bisher von den Kassen geschmähte Versicherte mit ungünstigen Gesundheitsrisiken würden zu gefragten Kunden und könnten sich über attraktivere Leistungen freuen.

Zweiklassenmedizin abschaffen: Upgrades statt Vereinheitlichung

Der Weg aus der Zweiklassenmedizin sollte zu Upgrades des Versicherungsschutzes für die gesetzlich Versicherten führen, nicht zu der im Rahmen einer Bürgerversicherung angestrebten Vereinheitlichung. Risikoäquivalente Beiträge zu den gesetzlichen Krankenversicherungen würden den Versicherern Anreize geben, um Junge und Alte sowie Gesunde und Kranke gleichermaßen zu konkurrieren – zum Vorteil aller Versicherten. Zudem käme es nicht länger zu einer Einkommensumverteilung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Diese Aufgabe würde stärker und transparenter als heute durch Steuern und Transfers erfolgen.

Von den Umverteilungszielen befreit, spricht ferner nichts dagegen, aus den gesetzlichen Krankenkassen private Versicherer zu machen – ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder ohne. Denn private Versicherer müssen sich stärker als staatliche Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen.

 

 

Zuerst erschienen bei IREF.