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Photo: thierry ehrmann from Flickr (CC BY 2.0)

In Tagen vor wichtigen Abstimmungen im Bundestag geht es oft hektisch und nervös zu. Dabei wird immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben, zu deren Erlegung mehrere Seiten viel Mühe, Zeit und Arbeit aufwenden. Aktuell ist es wieder so. Viele Abgeordnete der Unions-Fraktion machten ihr gestriges Abstimmungsverhalten von der weiteren Zusicherung des Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig, dass dieser Teil der Troika und damit der Geldgeber bleibt. Bekanntlich drängt IWF-Chefin Christine Lagarde die Euro-Staaten zu einem weiteren Schuldenschnitt für Griechenland und macht die Teilnahme am 3. Hilfspaket davon abhängig. Und insbesondere die deutsche Regierung und die EZB lehnen diesen Schuldenschnitt ab.

Schuldenschnitt durch Mini-Zinsen

Angela Merkel hat beim großen Showdown in Brüssel Mitte Juli eine Schuldenerleichterung lediglich in Aussicht gestellt. Sie meinte damit jedoch keinen formalen Schuldenschnitt, sondern eine weitere Zinserleichterung und eine Streckung der Laufzeit der griechischen Kredite. Und so wird es dann auch kommen.

Das Risiko für den Internationalen Währungsfonds war eh sehr gering. Er hatte sich schon bei den vorangegangenen Krediten einen bevorrechtigten Gläubigerstatus gegenüber den andern Gläubigern ausbedungen. Rechtlich notwendig ist die Beteiligung des IWF längst nicht mehr. Anders als beim vorübergehenden Schuldenschirm EFSF ist beim dauerhaften Schuldenschirm ESM nur noch die Rede davon, dass „eine aktive Beteiligung des IWF, sowohl auf fachlicher als auch auf finanzieller Ebene“ angestrebt wird. Diese weiche Formulierung im ESM-Vertrag folgt einem alten Wunsch von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Denn der ESM ist im Ergebnis das, was Schäuble im Frühjahr 2010 mit seiner Idee eines Europäischen Währungsfonds bereits vorschlug. Schon damals wollte er „in Zukunft für die Euroländer den Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) überflüssig machen“. Konkret: Schäuble wollte immer den IWF draußen halten.

Das wissen viele der neuen und jungen Unionsabgeordneten nicht, die jetzt zögerten, ob sie dem 3. Hilfspaket zustimmen sollen. Sie tragen wie ein Mantra vor sich her, dass die besondere Expertise des IWF so wichtig für den Erfolg des Griechenlandprogramms sei. Doch ob der IWF mitmacht oder nicht, ist genauso wichtig wie eine platzende Bratwurst in China.

Bescheidene Expertise

Denn die Expertise nicht nur der EZB und der EU-Kommission war bislang äußerst überschaubar, sondern auch die des IWF. Deren Zahlen stimmten bislang nie. Nach fünf Jahren Rettungspolitik und zwei Schuldenschnitten hat Griechenland absolut und relativ mehr Schulden als vor der Krise, obwohl der IWF etwas anderes prognostiziert hatte. Die Empfehlungen des Währungsfonds sind auch selten konsistent. Zu Beginn der Amtszeit von Francois Hollande kritisierte der IWF Frankreich noch dafür, dass es den Haushaltsausgleich vornehmlich durch Steuererhöhungen finanzieren wolle. Gerade Steuererhöhungen schlägt der IWF jetzt für Griechenland vor. Die Griechenland-Krise hat dem IWF in das Zentrum der Macht gerückt und ein neues langfristiges Handlungsfeld eröffnet. Das war nicht immer so.

Die Geschichte des Internationale Währungsfonds ist eng mit der Nachkriegsgeldordnung verbunden. In dieser Geldordnung sicherten die USA allen teilnehmenden Staaten zu, Dollar-Reserven anderer Notenbanken verbindlich in Gold einzulösen. Mit dem IWF wollten die Staaten die Wechselkurse der Währungen untereinander ausgleichen. Das IWF-Budget sollte helfen, Währungen die aus der Bandbreite ausscherten, zu stabilisieren. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems am 15. August 1971, als der damalige US-Präsident Richard Nixon in einer Fernsehansprache die Einlösepflicht Amerikas gegenüber anderen Notenbanken aufkündigte, war die eigentliche Aufgabe des IWF zu Ende. Doch Institutionen suchen sich neue Aufgaben – so auch der IWF. Plötzlich ging es darum Entwicklungsländern der Dritten Welt mit Krediten „zu helfen“. Wohlverhalten sollte mit Geld belohnt und die Zahlungsunfähigkeit verhindert werden. Eigentlich das gleiche Rezept aus „Zuckerbrot und Peitsche“, das nunmehr seit 5 Jahren auch in Griechenland versucht wird.

Der IWF gewinnt an Griechenland

Doch erst mit der Euro-Krise kommt der IWF wieder zu alter Stärke und Macht zurück. Inzwischen ist das Griechenland-Programm das größte jemals aufgelegt Programm des IWF. Um dies möglich zu machen, biegt der Fonds seine eigenen Statuten bis zur Unkenntlichkeit. Ebenso macht es der Euro-Club. Es sind kollektive Rechtsbrüche, um die Insolvenz Griechenlands durch deren Verschleppung zu verhindern. Doch es ist kein gutes Zeichen, wenn Staaten, internationale Organisationen oder Notenbanken das Recht brechen. Es ist moralisch verwerflich und verachtenswert. Es zersetzt das Rechtsempfinden der Bürger. Denn diese werden sich fragen: mit welchem Recht fordert der Staat die Einhaltung des Rechts bei mir selbst ein? Warum soll man sich noch an Regeln im Straßenverkehr halten oder Steuern bezahlen? In einem Willkürstaat gerät eine Gesellschaft insgesamt auf die schiefe Bahn.

Die Alternative dazu ist das Ideal des „Rule of Law“: Die Abwesenheit von willkürlicher Regierungsmacht sowie abstrakte und allgemeine Regeln, die für alle gleich sind. Der englische Verfassungsgelehrte Albert Venn Dicey sah die „Souveränität des Rechts“ als Hauptmerkmal dieses Ideals. Er zitierte zu Beginn des letzten Jahrhunderts das alte Recht der englischen Gerichte: „Das Recht ist das höchste Gut, das der König erbt, denn er und seine Untertanen werden von ihm regiert, und ohne das Recht gäbe es weder König noch Königreich.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: GH Cheng from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Durchschnittlich verabschiedet der Bundestag jeden Monat über zehn Gesetze. Wo ein Problem auftaucht, wird sofort der Ruf nach einem Gesetz laut. Dabei sind Gesetze, Verordnungen und Steuern oft selbst Quelle des Problems.

Terror-Komplize Raucher

„Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“. Mit dem Bild eines freundlichen älteren Ehepaares und unter diesem charmanten Motto wirbt Philip Morris gerade dafür, keine geschmuggelten oder gefälschten Zigaretten zu kaufen. Klar, die preiswertere Schmuggelware verdirbt massiv das Geschäft. Insofern ist es verständlich, dass Philip Morris diesen Schwarzmarkt unterbinden möchte. Auch die Begründungen sind zum Teil sehr plausibel: Die Zigaretten sind oft minderwertig. Vom Erlös profitieren kriminelle Vereinigungen, Mafia, Terroristen. Nicht ganz so plausibel, aber im Notfall noch vertretbar, ist ihre Argumentation: „Dadurch entgehen dem deutschen Staat jedes Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro an Einnahmen für öffentliche Sicherheit und Gesundheit.“

Aber haben sich die Damen und Herren von Philip Morris wirklich den richtigen Gegner ausgewählt? Ist das Problem tatsächlich der Konsument, der einen geringeren Preis zahlen möchte? Vielleicht sollte man den Blick einmal in die andere Richtung lenken: 2 Euro, so die Website zu der Kampagne, würde eine Schachtel „illegaler“ Zigaretten kosten. Zwischen 1,35 € und 1,50 € Umsatz einer „legalen“ Schachtel gehen laut der Website statista.com an die Zigarettenhersteller. Qualitativ hochwertige Markenzigaretten könnten also offenbar günstiger als Schmuggelware verkauft werden, ohne dass Philip Morris irgendwelche Einbußen hinnehmen müsste.

Wenn Steuern wie Gesetze wirken

Könnten günstiger verkauft werden … Der hohe Preis, der Mafia, Terroristen und andere finstere Gestalten dazu motiviert, ihre billigen Zigaretten auf den Schwarzmarkt zu werfen, entsteht nämlich vor allem durch den hohen Steueranteil von derzeit ungefähr 72 % des Preises pro Schachtel. Ohne Tabaksteuer, nur mit Mehrwertsteuer, würde die Packung momentan 1,78 € kosten. Mit einer Abschaffung der Tabaksteuer wäre der Schwarzmarkt wohl binnen kürzester Zeit verschwunden. Ein Preis von 5,40 € pro Schachtel hingegen ist wie ein Konjunkturprogramm für Kriminelle. Anstatt „Wir rauchen für das organisierte Verbrechen“ sollte es heißen: „Wir besteuern für das organisierte Verbrechen“.

Die Tabaksteuer ist ein klassisches Beispiel für eine Lenkungssteuer oder auch Strafsteuer. Sie wird nicht erhoben, um allgemein Staatsaufgaben zu finanzieren, sondern um die Bürger zu einem bestimmten wünschenswerten Verhalten zu motivieren bzw. sie für vermeintlich schädliches Verhalten zu bestrafen. Damit ist diese Steuer mithin ein in Abgabenleistungen ausgedrücktes Gesetz. Die Tabaksteuer ist nun leider nur eines von hunderten von Beispielen, bei denen staatliche Stellen durch Gesetze und Steuern Probleme eher verschärfen als sie in den Griff zu bekommen. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat machte bereits vor über 150 Jahren die scharfsichtige Beobachtung:

„Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht… Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht, als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt.“

Strafsteuern abschaffen!

Philip Morris hat Recht mit seinem Anliegen: Konsumenten sollten nicht minderwertige Produkte kaufen. Ganz besonders nicht, wenn sich dadurch Verbrecher finanzieren. Aber solange Steuern den eigentlichen Preis so in die Höhe treiben, ist die Versuchung für den Konsumenten doch sehr hoch, moralische und gesundheitliche Bedenken beiseite zu schieben. Wenn Philip Morris sowohl Verluste durch „illegale“ Zigaretten vermeiden will als auch noch den Sumpf dieses Schwarzmarktes trockenlegen möchte, sollten sie sich lieber für die Abschaffung der Tabaksteuer einsetzen.

Das Problem: mit einer Kampagne gegen die Tabaksteuer macht man sich wohl eher weniger Freunde. Und genau das ist die Wurzel des Übels. Teure Zigaretten, so die weitverbreitete Vorstellung, bedeuten weniger Raucher. Würde mit der Abschaffung der Tabaksteuer der Schachtelpreis von 5,40 € um zwei Drittel auf 1,80 € sinken, so die Horrorvorstellung, dürfte auch der Anteil der Raucher proportional steigen. Unabhängig davon, ob das eintrifft, muss in einem Rechtsstaat aber doch eigentlich ein anderes Prinzip gelten: das der Selbstverantwortung. Menschen sollten sich genau überlegen, ob sie rauchen – nicht, weil es teuer ist, sondern weil es ungesund sein kann. Strafsteuern sind nie ein angemessenes Mittel: Zum einen bewirken sie selten das Ziel, unter dem sie erlassen werden. Vor allem aber sind sie unzulässige Eingriffe in die Autonomie der Individuen.

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Nie wieder eine Finanzkrise! Das hatten sich Politiker auf die Fahnen geschrieben, als sie nach Reaktionen auf die Banken- und Finanzkrise von 2007/08 suchten. Dass sie dabei den Weg der Regulierung beschritten haben, war allerdings ein Fehler.

Schuld und Sühne

Banken kollabierten, Vermögen wurden vernichtet, ganze Staaten standen am Abgrund einer Pleite. Angst und Empörung machten sich breit – bei Verantwortlichen in der Politik nicht weniger als unter den Bürgern, die zum Teil sehr schmerzhaft die Folgen der weltweiten Krise zu spüren bekamen. Ganz offensichtlich hatten Banken in weitaus höherem Umfang spekuliert als das angesichts ihrer finanziellen Möglichkeiten vernünftig gewesen wäre. Da brach die Sächsische Landesbank innerhalb von Tagen in sich zusammen, weil sie entgegen ihrem eigentlichen Auftrag auf dem US-Hypothekenmarkt hatte mitspielen wollen. Da wurden mal eben 18 Milliarden zur Verfügung gestellt, um zu verhindern, dass Commerzbank und Dresdner Bank von ausländischen Banken übernommen würden.

Kein Wunder, dass viele Menschen von Banken erst einmal nichts mehr wissen wollten. Zumal die Rechnung für deren „Rettung“ natürlich wieder der Steuerzahler präsentiert bekam – und bekommt. In dieser Lage war klar: Das darf uns nicht noch einmal passieren! Verständlicherweise hegte manch einer auch noch entsprechende Rachegelüste. Die Initiativen zur Begrenzung der Boni für Investmentbanker etwa entsprangen sicher auch einem Bedürfnis, Täter zu bestrafen. (Wer tatsächlich Haupttäter war, und ob die Banker nicht vielleicht eher so etwas waren wie Plünderer in einem bereits zerstörten Laden, ist noch ein anderes Thema.) Doch nicht nur die Einzelpersonen sollten an die Leinen gelegt werden, sondern insbesondere auch die Institutionen.

Bankenregulierung als Ordnungspolitik?

Die Macht der Banken sollte beschränkt werden. Klingt fast so, als ob Erhard, Eucken oder Röpke das gefordert hätten. Ordoliberalismus nun endlich nicht mehr nur für die Stahlwerke und Bierproduzenten, sondern auch für die Finanzindustrie! Nicht ohne Häme wurden solche Forderungen im Gefolge der Krise besonders von belesenen und geschickten Politikern wie Sarah Wagenknecht oder dem Grünen Gerhard Schick erhoben – mit Verweis auf die Tradition der Sozialen Marktwirtschaft. Aber nicht nur die deutschen Politiker wollten ihrem Ruf als Freunde und Hüter der Ordnung wieder gerecht werden. Weltweit sahen Staatsmänner die Notwendigkeit neuer und schärferer Regeln für die Banken. Im November 2010 einigten sich die Regierungschefs auf dem G20-Gipfel in Seoul darauf, eine Verschärfung der bisherigen Bankenregulierung „Basel II“ durchzusetzen.

„Basel III“ war geboren. „Das Herzstück der Finanzsektorreform“ befand damals Finanzminister Schäuble. In Deutschland gewann die BaFin, die Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleister, an Aufmerksamkeit und in der Folge an Kompetenzen. Seit letztem November gibt es innerhalb der EZB auch noch eine mächtige Aufsichtsabteilung für die etwa 120 größten europäischen Kreditinstitute. Eingehegt in diese Sicherheitsmaßnahmen aus schärferen Gesetzen und schlagkräftiger Aufsicht soll eine Krise wie 2007/08 ein für alle Mal unmöglich gemacht werden. Wird das klappen?

Wer sind eigentlich die Regulierer?

Schauen wir einmal hinter das, was uns die Gesetzgeber versprechen. Wer erarbeitet eigentlich die neuen Regulierungen und Richtlinien? Das Bankenwesen ist mittlerweile so komplex geworden, dass es schwer wird, Experten zu finden, die sich hinreichend auskennen und gleichzeitig keinerlei berufliche Verbindungen mit den Banken haben. Sprich: Leute, die weder selber in Banken arbeiten, noch in Beratungs- oder Prüfungsfirmen; weder Mitglieder von Großkanzleien sind, die Banken beraten, noch Wissenschaftler, die von Banken für Gutachten bezahlt werden. Im Grunde genommen fast ein Ding der Unmöglichkeit. Interessenskonflikte sind also unausweichlich. Die echten Kenner des Geschäfts sind in den meisten Fällen auch diejenigen, die Teil des Geschäfts sind. Regulierern bleibt in der Regel keine Alternative dazu, den Rat derjenigen einzuholen, die auch für die Banken selber arbeiten.

Gleichzeitig gibt es noch das zeitliche Problem. Eines der Anliegen der strengeren Regulierung ist es auch, die perversen Finanzprodukte aus dem Markt zu nehmen, die zu der großen Finanzkrise geführt haben: gehebelte Risiken, versteckte und mehrfach umgeleitete Derivate, Konstrukte, die nicht einmal die Konstrukteure mehr richtig verstanden haben. Der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, sagte selbst 2008 in einer Talkshow, er hätte nie solche Produkte gekauft, die er nicht verstanden hat. Dennoch hat die Deutsche Bank, ebenso wie die allermeisten anderen Banken – von den großen bis zu den kleinen Sparkassen – genau solche Produkte munter unters Volk gebracht.

Erarbeitet wurden die Regulierungen von Basel III seit 2008, beschlossen wurden sie im November 2010, im Januar 2014 traten die Regulierungen in Kraft, die Übergangsfristen für die Einführung sind inzwischen bis 2019 ausgedehnt worden. Mit anderen Worten: Die Banken hatten mindestens drei Jahre Zeit, um sich auf die Regulierungen einzustellen, in manchen Fragen noch viele Jahre mehr. Was wird in dieser Übergangszeit geschehen? Werden die Banken daran arbeiten, sich komplett zu konsolidieren? Oder werden sie zumindest einen Teil ihrer Energie darauf verwenden, Finanzprodukte zu ersinnen, die von den neuen Regulierungen nicht erfasst werden? Letzteres ist durchaus wahrscheinlich. Geht es doch darum, möglichst rasch große Mengen Geld zu verschieben, um mit der internationalen Konkurrenz Schritt zu halten. Solange die Politik die unausgesprochene Rettungs-Garantie aufrechterhält, können die Banken mit dieser komfortablen Rückfall-Option munter weiter spekulieren. Noch 2012-13 wurden spanische Banken gerettet. Und europäische Banken würden auch wieder gerettet, wenn es Probleme geben würde. Kein Politiker will für eine eventuell folgenschwere Bankenpleite die Verantwortung übernehmen.

Regulierung löst die Probleme nicht

Ein wesentliches Merkmal von Regulierung ist, dass sie immer erst dann entworfen wird, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Letztlich können Regulierer nichts anderes tun, als nur beständig hinter Katastrophen her zu laufen. Sie sind wie der Hase aus dem Märchen: so eifrig sie auch rennen – immer ist da schon wieder ein neuer Igel vor Ihnen da. Wenn japanische Ingenieure nach einer Erdbeben-Katastrophe neue Bauweisen ersinnen, die die Häuser erdbebensicher machen, dann haben sie mit dem Faktor Erdbeben einen relativ gut berechenbaren Faktor, auf den sie sich einstellen können. Das ist bei Regulierungen anders: Während Erdbeben weder den Anlass noch gar die Fähigkeit haben, sich an die neuen Bauweisen anzupassen, haben Banken sehr, sehr gute Gründe dafür und auf jeden Fall auch das nötige Knowhow, um den Regulierungen auszuweichen. Während Regulierer die Probleme von gestern zu verhindern versuchen, sind die Banken schon längst einen Schritt weiter.

Mit Regulierung wird den Problemen im Finanzwesen nie beizukommen sein. Was die Bankenwelt braucht, ist eigentlich nur eine klare Ansage: Wenn Ihr fallt, dann fallt Ihr nicht auf ein weiches Trampolin, das Euch wieder nach oben befördert, sondern dann ist höchstwahrscheinlich der Ofen aus. Das klare Signal, dass Banken grundsätzlich nicht mehr gerettet werden, ist die einzig wirklich effektive Art und Weise, wie Bankenpleiten verhindert werden können. Regulierung ist dagegen nur Augenwischerei. Stabilisieren kann sich ein solches System nicht durch äußere Einmischung, sondern nur durch intrinsische Anreize.

Photo: Andy Spearing from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutschen Rohstoff AG

„Die Freiheit, etwas abzulehnen, ist die einzige wirkliche Freiheit.“

Salman Rushdie

Seit Jahrhunderten wird gelehrt: Zwischen Bürger und Staat gibt es einen Gesellschaftsvertrag. Oder wenigstens haben die Bürger untereinander einen solchen abgeschlossen, in dem sie einen Teil ihrer Souveränität an den Staat abtreten. Sollte es diese Übereinkunft tatsächlich geben, so wäre dies freilich ein ziemlich eigentümlicher Vertrag, da er von der einen Seite jederzeit beliebig gestaltet und geändert werden kann, während die andere Seite stets parieren muss. Nach dem Zivilrecht der meisten Staaten wäre höchst fraglich, ob ein solches Konstrukt – nennen wir es einen Unterwerfungsvertrag – mangels Bestimmtheit seiner Leistungen und Gegenleistungen überhaupt als Vertrag angesehen werden kann. Überdies gilt nach bürgerlichem Recht eine Vereinbarung, bei der nicht Einigkeit über alle wichtigen Punkte besteht – wichtig nach Ansicht auch nur einer Partei – im Zweifel wegen Einigungsmangel als nicht geschlossen.

Machen wir in diesem Zusammenhang ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, die erstaunliche Welt des Marktes, der uns Nahrung, Kleidung, Behausung, Transport und Unterhaltung im Überfluss bereitstellt, würde auch im Hinblick auf unser gesellschaftliches Zusammenleben gelten. Nehmen wir weiter an, es gäbe eine Vielzahl unterschiedlicher Staatsmodelle und wir wären ein Marktteilnehmer, der sich überlegt, in welche Art Staat er sich gerne einkaufen würde. Ich für meinen Teil würde nachfragen:

I. Leistungen des Staates

1. Sicherheit
Das wichtigste wäre, dass ich und meine Familie uns zu jeder Tages- und Nachtzeit überall im Staatsgebiet sicher bewegen können, ohne Angst vor Überfällen oder sonstigen Bedrohungen haben zu müssen. Dies ist ein elementares Bedürfnis und eine Grundbedingung: Wenn ein Staatsanbieter das nicht wenigstens annähernd gewährleisten kann, sind seine sonstigen Leistungen für mich ohne Relevanz.

2. Handlungsfreiheit
Ich möchte das Recht haben, zu tun und zu lassen, was ich will, solange ich anderen dadurch nicht schade. Dies entspricht der seit Jahrtausenden bekannten Goldenen Regel, etwa in der Form des Sprichworts: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu. Die so verstandene allgemeine Handlungsfreiheit schließt diverse sogenannte Grund- oder Menschenrechte ein, etwa Vertrags-, Versammlungs-, Koalitions- oder Meinungsfreiheit, nicht aber sogenannte Teilhaberechte (dazu unten mehr).

3. Eigentum
Ich möchte das Recht haben, volles, unbelastetes, mit keinerlei staatlichen Vorrechten oder Vorbehalten versehenes Eigentum zu erwerben, zu behalten und nach Belieben zu veräußern, zu verschenken oder zu vererben. Dieses Recht ist elementar. Ohne Eigentumsrecht gibt es keine Freiheit, keine Privatheit und auch keine Hoffnung, sein Los oder das Los seiner Kinder zu verbessern, sondern nur noch Ausgeliefertsein gegenüber dem Kollektiv, wie auch immer es organisiert sein mag.

4. Rechtssicherheit und Streitbeilegung
Ich benötige lediglich eine einfache Rechtsordnung, die den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum regelt, für alle gleichermaßen gilt und die nicht einfach vom Staatsanbieter oder einer Mehrheit einseitig abgeändert oder erweitert werden kann. Ich möchte weiter, dass der Staatsanbieter eine neutrale Justiz zur Verfügung stellt, vor der Streitfälle verhandelt werden können und die mir hilft, die Durchsetzung der von mir geschlossenen Verträge zu gewährleisten oder unberechtigte Ansprüche abzuwehren. Im Verhältnis zum Staatsanbieter möchte ich bei Rechtsstreiten mit diesem unabhängige, nicht vom Staat installierte oder bezahlte Gerichte anrufen können, vergleichbar den Schiedsgerichten, die im internationalen Handelsrecht vereinbart werden.

5. Subjektive Lebensqualität
Ich möchte eine Infrastruktur, die es mir leicht macht, mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten und Dienstleistungen abzurufen. Ich bevorzuge ein gemäßigtes Klima und die Anwesenheit anderer, geselliger Menschen im Staatsgebiet. Religion sollte im öffentlichen Leben keine Rolle spielen, sondern reine Privatangelegenheit sein.

Das war’s schon. Um alles andere kümmere ich mich selbst. In einer solchen Ordnung könnte ich mich bestmöglich entfalten und nach meiner Façon selig werden. Dies schließt Hilfeleistung für andere ein, aber nicht auf der Basis von Zwang.

Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass in dem von mir gewünschten System die Worte Politik, Demokratie und Steuern kein einziges Mal vorgekommen sind. Der Grund ist, dass dafür keine Nachfrage besteht:

Politik ist letztlich das Bestreben, alle anderen nach den Vorstellungen leben zu lassen, die man selbst für richtig hält. Aber die Menschen sind verschieden. In dem von mir geschilderten System besteht für „politische Mitbestimmung“ kein Bedarf, weil die Regierung nur eine Verwaltung ist und jeder maximale Handlungsfreiheit genießt.
Demokratie bedeutet, dass eine Mehrheit mir vorschreiben kann, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich möchte aber meine Angelegenheiten nach eigenem Gutdünken erledigen, ohne dass mir die anderen hineinreden.
Steuern sind vom Staat einseitig festgesetzte Zwangsabgaben, denen keine Gegenleistung gegenübersteht. Warum sollte ich mich darauf einlassen? Man mache mir ein klar beziffertes Angebot, und ich entscheide dann, ob ich es annehme.

II. Meine Gegenleistung

Während die Einräumung von Handlungsfreiheit und Eigentum dem Staatsanbieter praktisch keine Kosten verursacht, sieht es bei der Gewährung von innerer und äusserer Sicherheit, Justiz und Infrastruktur natürlich anders aus. Zudem möchte der Staatsanbieter auch Geld verdienen, sonst wäre er nicht auf dem Markt. Entsprechende Angebote wären reichlich vorhanden, aus denen ich ablesen könnte, was mich das im Jahr kostet und welche Leistungen zu erwarten sind. Einige Staatsanbieter böten womöglich ein Modulsystem an, so dass ich bei Bedarf noch diverse Versicherungen gegen Alter, Krankheit und Armut hinzuwählen oder die Benutzung von Ausbildungs- und Betreuungseinrichtungen durch meine Kinder mit einer Pauschale abgelten kann. Durch den unter Staatsanbietern herrschenden Wettbewerb wären alle diese Leistungen in verschiedensten Ausprägungen und Preisklassen vorhanden, für jeden etwas dabei, sozialistische Kommunen eingeschlossen. Ich wüsste sicher, was mich erwartet und welchen Preis ich für die Leistungen jetzt und in Zukunft zu entrichten habe.

III. Die rechtliche Grundlage

Wie wäre mein rechtlicher Status gegenüber dem Staatsanbieter? Nicht anders als gegenüber anderen Vertragsparteien auch: es gäbe einen schriftlichen Vertrag, der die jeweiligen Rechte und Pflichten genau festhielte. Ich wäre gleichberechtigter Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses, der die Erfüllung seiner Leistungen einklagen und bei Schlechtleistung Kompensation (Minderung, Schadensersatz) verlangen könnte. Ähnlich wie bei Versicherungsverträgen könnte mir der Staatsanbieter nicht jederzeit einfach kündigen, sondern nur bei schwerwiegenden Vertragsbrüchen meinerseits, was ich wiederum von Gerichten überprüfen lassen könnte, die nicht zum Staat gehören. Umgekehrt wäre ich berechtigt, den Vertrag jederzeit fristgemäß zu kündigen, ohne dass mir dadurch besondere Nachteile entstünden. All das sind bekannte Mechanismen, die in anderen Lebensbereichen mehr oder weniger reibungslos funktionieren.

IV. Die Wirklichkeit

Leider ist der Markt noch nicht ganz so weit entwickelt. Das Standardmodell in praktisch allen Ländern sieht derzeit so aus:

Es gibt eine allmächtige staatliche Ordnung, in der Leistung und Gegenleistung diffus sind. Die erwachsenen Staatsbürger wählen alle paar Jahre eine Vertretung, die bei entsprechender Mehrheit nach Belieben Gesetze für alle Lebensbereiche verabschieden oder ändern kann und sowohl den Umfang staatlicher Leistungen wie die Höhe der Gegenleistung dafür jederzeit nach eigenem Gusto festsetzt und ändert. Wer die einseitig festgesetzte Gegenleistung nicht erbringen will, wird, sofern er nicht die Flucht ergreift, enteignet und eingesperrt. Die im Gegenzug gewährten Leistungen sind in der Regel weder einklagbar noch darf der einzelne Bürger über die Mittelverwendung mitbestimmen, auch wenn er viele Steuern zahlt. Die Staatsbürger verfügen zwar meist über sogenannte Grundrechte, über deren Auslegung allerdings im Zweifel ein vom Staat eingesetztes und bezahltes Gericht entscheidet. Zudem können Inhalt und Umfang dieser Rechte auch zulasten der Staatsbürger geändert werden, wenn die entsprechenden Mehrheiten vorhanden sind.

Die von mir persönlich wahrgenommene Staatspraxis ist folgende: Reglementierung des gesamten Lebens aus Gründen der Sicherheit und Gleichheit bzw. zur Umsetzung der jeweiligen Zeitgeistmode; genaue Festlegung, wie das Eigentum genutzt werden darf, mit wem Verträge einzugehen sind und welchen Inhalt diese haben; Verbot, bestimmte Leuchtmittel, Treibstoffe oder Genussmittel zu benutzen; gesetzliche Privilegierung von Gruppeninteressen, z.B. Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften oder Frauen; Anklage wegen Volksverhetzung bei Äußerung bestimmter abweichender Ansichten; weitgehende Planwirtschaft im Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem, zunehmend auch im Bereich der Energieversorgung; Erziehung der schulpflichtigen Kinder zu staatsgläubigen, marktfeindlichen und geschlechtsneutralen Genderwesen; Alimentierung nichtarbeitender Einwohner ohne jegliche Gegenleistung; Förderung der Masseneinwanderung und -vermehrung von integrationsunwilligen Menschen; Pflicht zur Zahlung einer Zwangsgebühr für zahllose öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsender, unabhängig vom Nutzungswillen; Subventionierung sämtlicher Interessengruppen, die Einfluss haben oder laut genug schreien; Ausgabe von Milliardensummen in aller Welt für zweifelhafte Hilfsprojekte und militärische Auslandseinsätze.

Ich habe keiner einzigen der vorstehend genannten Maßnahmen zugestimmt. Das spielt allerdings keine Rolle. Aber wehe, wenn ich nicht dafür bezahle.

Um die mehrheitliche Akzeptanz dieses fragwürdigen Systems aufrecht zu erhalten, werden freilich auch Recht und Ordnung, beschränktes Eigentum sowie ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit gewährleistet, wenngleich mit abnehmender Tendenz. Die Trumpfkarte aber ist: jeder Bürger hat das Recht, auf Kosten der anderen zu leben. Man nennt dies Teilhaberechte oder Sozialstaat. Weil jeder gern etwas bekommt, für das er keine Gegenleistung erbringen muss, sind Teilhaberechte natürlich sehr beliebt. Daher steigt die Zahl der staatlichen Leistungen seit Jahrzehnten, und dafür braucht der Staat natürlich immer mehr Geld. Finanziert wird das Ganze dadurch, dass diejenigen, die mehr verdienen, auch mehr bezahlen müssen und zwar nicht nur absolut, sondern progressiv ansteigend. Weil das immer noch nicht reicht, sollen demnächst weitere Enteignungen erfolgen etwa über neue Steuern, die nur jene treffen, die etwas haben. Außerdem werden vom Staat hohe Schulden gemacht, deren Rückzahlung ungeklärt ist. Daher wird durch diverse Eingriffe in den Finanzmarkt faktisch Geld gedruckt und die damit einhergehende Inflation trifft jene am härtesten, die keine größeren Sachwerte haben und auf laufende Bezüge angewiesen sind, für die sie immer weniger bekommen.

Hand aufs Herz: Würden Sie als Privatperson Mitglied in einer solchen Organisation werden? Kaum. Ebenso wenig wie Sie ein Auto kaufen würden, dessen Typ, Ausstattung und Preis einseitig vom Verkäufer bestimmt werden.

V. Das Problem

Gibt es Alternativen? Wirklich freie Staaten, in denen der Bürger gleichberechtigter, souveräner „Kunde“ ist, existieren praktisch keine. Auch in sogenannten Minimalstaaten lauert immer das Damoklesschwert, dass die nächste Regierung, das nächste Parlament die Regeln ändert, ohne dass der Einzelne etwas dagegen machen kann. Denn im Verhältnis des einzelnen zum Staat besteht aktuell kein Gleichordnungsverhältnis wie in allen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen, sondern ein Über- /Unterordnungsverhältnis.

Tatsächlich sind die Wohlstands- und Freiheitsgrade in westlichen Staaten, die über eine jahrhundertelange Tradition des Freiheitskampfes gegen die Obrigkeit verfügen, immer noch viel höher als in den meisten anderen Staaten dieser Welt. Gleichwohl sei die Frage aufgeworfen, ob nicht all die Prinzipien, die sich im Laufe der Jahrhunderte als Beschränkung der Staatsgewalt etabliert haben, etwa das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip oder das Prinzip der Gewaltenteilung, zwar funktionierende Werkzeuge sind, aber letztlich doch nur Abmilderungen eines grundsätzlich verfehlten Systems bedeuten: der auf Zwang gegründeten Herrschaft der einen über die anderen.

Zwei Fragen sind ausreichend, um die Zweifelhaftigkeit heutiger, vermeintlich freiheitlicher, Ordnungen zu beleuchten:
1. Mit welchem Recht nehmen Sie anderen ihr rechtmässig erworbenes Einkommen ab?
2. Was tun Sie, wenn die anderen nicht mehr zahlen wollen?
Zwar sind die Antworten technisch gesehen einfach:
1. Die Regierung/das Parlament/die Mehrheit hat so entschieden.
2. Wir werfen sie ins Gefängnis bzw. enteignen sie.
Aber faktisch ist das nichts als Raub, gestützt auf das Recht des Stärkeren. Daran ändern sämtliche wohlfeilen Rechtfertigungsmodelle nichts.

Ich bin dagegen der Auffassung, dass ich das Recht habe, mein Leben und meine Lebensumstände so zu gestalten, wie ich dies für richtig halte und, wenn ich von anderen etwas will, dies auf der Basis freiwilligen Leistungstausches zu tun. Daraus ergeben sich zwei Prinzipien. Erstens, dass derjenige, der anderen kein Leid zugefügt und für sich selbst sorgen kann, Anrecht darauf hat, in Ruhe gelassen zu werden (auch von Politik, Demokratie, Fiskus). Zweitens, dass die menschliche Interaktion auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis von Zwang stattfindet. Leider finden auch in westlichen Demokratien beide Prinzipien keine Anwendung, wenn es um das Verhältnis Bürger-Staat geht. Und genau da liegt der Hund begraben.

VI. Die Zukunft

Auch die Sklaverei existierte viele Jahrtausende. Was zu dem Argument führte, dass diese nun mal ein elementarer Bestandteil menschlichen Daseins sei und zwar für alle Zeiten. Wir wissen, dass dies glücklicherweise nicht der Fall war. Vergleichbares wird man vielleicht einmal von unseren heutigen Staatssystemen sagen können. Die Ablösung der Diktatur von Einzelnen oder Minderheiten durch die Diktatur von Parteien oder Mehrheiten ist jedenfalls nicht das Ende der Geschichte. Es ist vielmehr eine Selbsttäuschung grandiosen Ausmaßes zu glauben, Freiheit und auf Zwang gegründete Herrschaft seien kompatibel. Ob diese Herrschaft demokratisch legitimiert ist oder nicht, spielt für diesen Befund keine Rolle. Freiheit bedarf der Freiwilligkeit.

Wie wir es schaffen, aus dieser Matrix auszubrechen, um auch im Hinblick auf unser Zusammenleben die erfolgreich erprobten Prinzipien des Marktes anzuwenden, nämlich Leistungstausch auf freiwilliger Basis und Recht zur Nichtteilnahme, dürfte die große Frage des 21. Jahrhunderts werden.

Wahrscheinlich wird es erst einmal auf ein selbstgewähltes Zusammenfinden mit Gleichgesinnten hinauslaufen, weil alle ethnische, kulturelle, religiöse oder nationale Verbundenheit da aufhört, wo Ausplünderung und Bevormundung durch die Mitmenschen beginnt. Dieser Weg dürfte anfänglich über kleinere Sezessionen bzw. räumlich überschaubare Neugründungen führen, die schließlich Ausstrahlungswirkung entfalten. Die heutigen Zwangs- und Ausbeutungsstaaten aber sind Überbleibsel der Vergangenheit, die auf Dauer in einer immer mobileren, immer globaleren Welt nicht überleben werden.

Ein Markt an Staatsmodellen schüfe hier Abhilfe, zum Wohle aller. Denn der Wettbewerb ist das einzige bewährte, dauerhaft wirksame Entmachtungsverfahren der Menschheit.

Erstmals erschienen im Schweizer Monat.

Photo: Rae Allen from Flickr (CC BY 2.0)

Schiedsgerichte wären eine spannende und innovative Möglichkeit, eine größere Vielfalt und mehr Auswahlmöglichkeiten in unserem Rechtssystem zur Verfügung zu stellen. Dass das Europäische Parlament sie ablehnt, ist ein Fehler.

Keine Herrschaft der Hinterzimmer

Die Entscheidung der Europaparlamentarier, der Kommission das Mandat für die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu geben, ist in dem ganzen Wirbel um Griechenland ein wenig untergegangen. Die üblichen Bedenkenträger waren so sehr mit der Causa Grexit beschäftigt, dass der große Aufschrei ausblieb. Sie hatten sich aber auch in einem nicht unwichtigen Punkt durchgesetzt: Das Investitionsschiedsabkommen ISDS soll aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Dieses Abkommen sollte Investoren dies- und jenseits des Atlantiks die Möglichkeit geben, Streitfälle mit staatlichen Stellen zu lösen.

Diese Art der Problemlösung ist mitnichten neu. Wie die Befürworter des Abkommens in den letzten Monaten nicht müde wurden, herauszustellen, haben europäische Staaten in den letzten 60 Jahren über 1400 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Weltweit gibt es über 2000 von ihnen. Die meisten Schiedsverfahren werden von der Weltbank durchgeführt, also nicht in irgendwelchen Hinterzimmern von Großkonzernen. Überhaupt Großkonzerne: Die Kritik am ISDS bezieht sich gebetsmühlenartig auf die Klage von Vattenfall gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Unabhängig davon, wie man zu diesem konkreten Fall steht, muss man anerkennen: er ist nicht repräsentativ.

Schiedsgerichte schaffen in den meisten Fällen Rechtssicherheit

Wirft man einen Blick in die Berichte des „Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ der Weltbank (ICSID), das einen großen Teil der Streitfälle verhandelt, kann man Einblicke gewinnen, die in deutlichem Gegensatz stehen zu dem Standard-Bild, das hierzulande in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. 150 Länder sind Mitglieder des Abkommens, darunter fast alle EU-Staaten, die USA, China und Japan. Von allen Fällen, die je dort verhandelt wurden, sind nur 4 % der Fälle gegen Staaten Westeuropas und weitere 4 % der Fälle gegen Staaten Nordamerikas verhandelt worden. Ein großer Teil der angeklagten Staaten liegt in Regionen, in denen das staatliche Rechtssystem zumindest instabil ist: 26 % in Südamerika, 26 % in Afrika und dem Mittleren Osten, 25 % in Osteuropa und Zentralasien.

Offensichtlich ist das Instrument internationaler Schiedsgerichte also eine Möglichkeit, zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren herzustellen. Davon sind übrigens auch sehr viele Mittelständler betroffen, die in Gegenden mit ungenügendem Rechtsschutz operieren. Von Vorteil sind diese Optionen zusätzlicher Rechtssicherheit zudem nicht nur für die Investoren, sondern auch für deren Partner vor Ort, für deren Angestellten und Kunden. Wenn es gelingt, die Produktionsstätte eines deutschen Unternehmers etwa in Kenia, Uruguay oder Pakistan vor der Willkür von Politik und Bürokratie zu schützen, ist das ja auch für diejenigen von Vorteil, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen oder als Händler, Transporteure und Konsumenten von den Produkten profitieren.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Nun ist der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die EU und die USA ja doch weitgehend funktionsfähige Rechtssysteme haben. (Wobei gerade die scharfen TTIP-Kritiker das im Blick auf die USA wahrscheinlich verneinen würden, weshalb sie durchaus für das ISDS sein könnten …) Ob freilich die nun gefundene Regelung, staatlich benannte Richter für solche Streitfälle einzusetzen, die bessere Lösung ist, kann mit Fug und Recht angezweifelt werden. „Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, haben wir unabhängige Gerichte gemacht“, jubelte der Europaabgeordnete Bernhard Lange nach der Entscheidung. Diese Sicht der Dinge geht von einer Illusion aus: Nämlich von der Illusion, dass ein Richter, sobald er nicht durch eine Institution des Staates ernannt wurde, zum Rechtsmissbrauch neige, während umgekehrt staatlich eingesetzte Richter automatisch unabhängig seien.

Richter sind Menschen, unabhängig davon, ob sie eine staatliche Robe tragen oder nicht. Richter machen Fehler und können korrupt sein. Korruption ist dabei definitiv nicht nur mithilfe von Geld durchführbar. Auch die Aussicht auf Ämter oder Beförderungen kann Menschen, und eben auch Richter, dazu bringen, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit zu ignorieren. Dennoch sind Richter, ob staatlich legitimiert oder nicht, wohl tendenziell eher immun gegen Korruption. Das liegt an ihrem Berufsethos. Das liegt aber auch daran, dass natürlich alle Parteien, die für die Einsetzung eines Richters zuständig sind, ein Interesse an dessen Integrität haben. Würden sich etwa die Richter des ICSID durch besondere Nähe zu Staat oder Unternehmen auszeichnen, wäre es wohl bald vorbei mit dessen gutem Ruf.

Was wollen die Gegner der Schiedsgerichte eigentlich wirklich?

Private Schiedsgerichte laden weder signifikant mehr noch weniger als staatliche Einrichtungen zum Missbrauch oder auch nur zum Irrtum ein. Sie können aber ein wichtiges Korrektiv und eine wichtige Ergänzung zu bereits bestehenden staatlichen Gerichten sein. Nicht nur auf dem Gütermarkt ist Wettbewerb ein Instrument, um bessere Lösungen zu finden. Wenn man nicht davon ausgeht, dass es Menschen gibt, die, weil gütiger, weiser und integrer als andere, bestimmt sind, als Philosophenkönige zu herrschen, dann kann auch für staatliche Institutionen und Organisationen der Wettbewerb ein guter Weg sein, um innovativ zu sein und sich zu disziplinieren.

Man könnte ins Grübeln kommen angesichts von Bernhard Langes Freude darüber, dass sich Investoren aus den USA und der EU fortan nur noch an staatlich ernannte Richter sollen wenden können. Speist sich sein Wohlgefallen gar daraus, dass die Politik auch in Zukunft nicht darauf wird verzichten müssen, die Rechtsprechung zu kontrollieren? Wird hier gar unter dem Vorwand, dem Missbrauch der Justiz durch zahlungskräftige Unternehmen vorbeugen zu wollen, der Boden bereitet für den Missbrauch der Justiz durch die Politik? Wenn man die Stimmungsmache im Europäischen Parlament gegen große Konzerne wie Google beobachtet, könnte man fast zu diesem Schluss kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ablehnung privater Schiedsgerichte wirklich der Herrschaft des Rechts dienen wird.