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Der Neoliberalismus ist am Ende – könnte man meinen. In Wahrheit ist der Neoliberalismus pragmatisch, verbindend und innovativ, und bietet Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit.

Neoliberalismus: Der HSV der Politik?

Wir schreiben das Jahr 1938: In Paris trifft sich eine Gruppe bekannter liberaler Intellektueller und Akademiker. Der Einladung des amerikanischen Publizisten Walter Lippmann folgen unter anderem der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek und mit Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke zwei Väter der deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Die 26 Teilnehmer des „Colloque Walter Lippmann“ treibt eine wichtige Frage um: Wie kann eine liberale Antwort auf Massenarbeitslosigkeit und die totalitären Staaten Hitlers und Stalins aussehen? Schließlich scheinen dem etablierten „Laissez-faire“-Liberalismus die Ideen auszugehen. Das Treffen endet mit der Schöpfung des Wortes „Neoliberalismus“. Dabei handelt es sich nicht um die Begründung eines homogenen Dogmas. Es ging den Teilnehmern des Kolloquium viel mehr darum, freiheitliche Ideen im internationalen Austausch weiterzuentwickeln und daraus passende Politikvorschläge abzuleiten.

Wir schreiben das Jahr 2018: Rechtspopulisten gewinnen überall auf der Welt an Zustimmung. Umweltschutz und Globalisierung offenbaren völlig neue Herausforderungen. Und der Neoliberalismus? Verkommen zum Kampfbegriff, mit dem die meisten Menschen nichts als „entfesselte“ Märkte und überhöhte Managergehälter verbinden. Der Neoliberale sei unsozial und unökologisch; im allerbesten Fall wird ihm noch ein wenig Wirtschaftskompetenz zugeschrieben. In dieser Wahrnehmung ist der Neoliberalismus der HSV der Politik: Irgendwann in den 80er Jahren mal erfolgreich gewesen, verkommen zu einer Truppe überbezahlter Egoisten, die nichts gebacken bekommt und der alle nur das Ende wünschen. Aufgeben wäre nun einfach. Doch stattdessen sollten wir uns für eine neoliberale Renaissance einsetzen. Lassen Sie mich erklären warum.

Der Neoliberalismus ist pragmatisch

Warum ist es so schwer, eine einheitliche Definition für den Neoliberalismus zu finden? Der Grund liegt in seiner Dynamik. Es geht ihm nicht darum, eiserne Gesetze für alle Zeiten festzuschreiben. Stattdessen ist der Neoliberalismus wettbewerbs- und überzeugungsgeleitet. Nur deshalb konnte er so unterschiedliche Ausprägungen wie die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland oder den „Thatcherismus“ im Vereinigten Königreich annehmen. In beiden Fällen boten neoliberale Ideen die nötigen Antworten auf die vorliegenden Probleme. Im Nachkriegsdeutschland war dies der komplette Neuaufbau einer Wettbewerbsordnung, die durch marktwirtschaftliche Anreize und sozialen Ausgleich ein erneutes Abdriften in den Totalitarismus verhindern sollte. Im Großbritannien der 80er Jahre hingegen war dies die Sanierung eines vom Ruin bedrohten Staatshaushaltes durch Privatisierungen und die Senkung der Staatsquote.

Viele politische Ideen verschwinden auch deshalb früher oder später in der Versenkung, weil sie sich dem Wettbewerb verschließen. Einmal entwickelte Lösungen gelten als unumstößlich und werden nicht mehr hinterfragt. Ein Neoliberalismus im Sinne des Colloque Walter Lippmann kennt jedoch keine unumstößlichen Systeme. Im Wettbewerb der Ideen setzen sich diejenigen Lösungen durch, die unter Berücksichtigung neoliberaler Überzeugungen am erfolgversprechendsten scheinen. Wenn überhaupt, dann kann man den erfolgreichen Neoliberalen der 60er und 70er Jahre vorwerfen, auf dem Höhepunkt ihres Erfolges diesem Wettbewerb entflohen zu sein. Dieser Hochmut hat der Marke vielleicht sehr geschadet, ihre Qualität ist davon aber komplett unberührt.

Der Neoliberalismus ist verbindend

Doch was verbindet die Neoliberalen? Der ehemalige Executive Director des Londoner „Adam Smith Institute“, Sam Bowman, beschreibt den Neoliberalen anhand einiger Überzeugungen: Einerseits als marktfreundlichen Verfechter von Eigentumsrechten, andererseits überzeugt von der Notwendigkeit einer gewissen Umverteilung. Dazu undogmatisch, international, empathisch mit denjenigen Menschen, die es weniger gut getroffen haben, und vor allem optimistisch, dass Fortschritt die Menschheit voranbringt. In Zeiten, in denen allerhand politische Kräfte von links und rechts sich vor allem durch gesellschaftliche Spaltung profilieren, könnte eine solche Vision des Neoliberalismus das überall dringend gesuchte Gegengewicht bilden.

So stellt auch Bowman fest, dass diese Beschreibung eines Neoliberalen auf viele Menschen in seiner Umgebung zutrifft. Und tatsächlich braucht es nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wie sich Wähler der unterschiedlichsten Parteien auf diese Werte verständigen. Vieles, was gerade die junge Generation umtreibt, offenbart im Grunde ein neoliberales Weltbild: Der Drang sich international zu vernetzen und die Beschäftigung mit der Armutsbekämpfung. Oder im Besonderen die stetig wachsende Bedeutung der „Sharing Economy“. Schließlich eröffnen Anbieter wie uber und AirBnB nie dagewesene Märkte und Möglichkeiten zum (kapitalistischen) Austausch. Ja, viele wären überrascht, wie neoliberal sie eigentlich denken.

Der Neoliberalismus ist innovativ

In der großen Politik allerdings spielen Neoliberale heute keine große Rolle mehr. Dabei sind die Herausforderungen von heute denen von 1938 gar nicht unähnlich. Fortschritt und Globalisierung haben die Menschheit einerseits auf ein ungeahntes Wohlstandsniveau gehoben. Doch damit einher gehen neue Probleme wie der Umweltschutz oder der Umgang mit Menschen, deren Kinder erst von der Globalisierung profitieren. Wir sollten nicht versuchen, diese Probleme einfach auszusitzen und zu ignorieren, denn das hat noch nie funktioniert.

Die neoliberalen Reformen im 21. Jahrhundert könnten dann auch so ganz anders aussehen als diejenigen Thatchers, Reagans oder Erhards. Seien es polyzentrisch organsierte im Wettbewerb miteinander stehende Privatstädte, Global Skill Partnerships in der Migration oder ein regulierter Organhandel. All diese Ideen sind undogmatisch, problemlösungsorientiert und sie vereinen das, was wir über menschliches Zusammenleben gelernt haben, mit dem Streben nach Fortschritt und Verbesserung. Sie sind neoliberal.

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Die Bereitschaft zum Experiment ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass unser Leben besser wird. Deshalb sind die Vorschläge des diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreisträgers Paul Romer so wichtig. Wenn man ihnen folgen würde, könnten Inkubatoren des Fortschritts entstehen, die das Gesicht der Welt verändern würden.

Städte: Motoren der Zivilisation

Die Entwicklung von offenen Gesellschaften, technologischer Fortschritt, die Herrschaft des Rechts und der Wohlstand für alle sind meist in den Städten entstanden. Die großen Stadtkulturen – vom alten Griechenland über die Hanse und die italienischen Stadtstaaten bis hin zu den modernen Metropolen – waren von jeher Ausgangspunkte menschlicher Zivilisation. Es waren, wie die Ökonomin Deirdre McCloskey in einer dreibändigen Buchreihe beschreibt, die „bürgerlichen“ Tugenden und Werte, die letztlich dazu geführt haben, dass wir heute in einer Welt mit Gesundheitsversorgung, allgemeiner Bildung und Internet leben. Denn diese Städte haben nicht nur dem aufstrebenden Bürgertum politische Freiheit geschenkt, sondern auch als Zentren des Handels dazu geführt, dass deren Bewohner dem zähen Überlebenskampf eines Landlebens entkommen konnten.

Paul Romer, dem Anfang der Woche der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften zugesprochen wurde, hat dieses Phänomen in einem seiner Lieblingsprojekte aufgegriffen. Er schlägt vor, in Entwicklungsländern die Gründung sogenannter „Charter Cities“ zu ermöglichen. Die Regierung des Landes würde in diesem Projekt ein Stück des eigenen Staatsgebietes – möglicherweise gegen Zahlung einer Pacht – einem anderen Staat oder einer Staatengemeinschaft zur Nutzung überlassen. Ähnlich wie es bis 1997 bei Hongkong der Fall war. Die Stadt würde dann unter der Gesetzgebung und Rechtsprechung eines Landes wie Kanada oder auch der EU stehen, was zu einer sehr viel höheren Rechtssicherheit führen würde als dies in den Ländern der Fall ist.

Freiräume schaffen für die Entwicklung neuer Ideen

Diese Städte, so Romers durch historische Erfahrung auch gut begründete Hypothese, würden wie Fortschritts-Inkubatoren auf die entsprechenden Staaten wirken. Wer heute in Nigeria oder Nicaragua eine pfiffige Idee oder Unternehmergeist hat, wird oft durch Korruption, Behördenwillkür und ausbeuterische Steuern und verschwenderische Ausgaben in seinem Fortkommen gehemmt. Wenn sie oder er die Möglichkeit hätten, unkompliziert in eine Charter City zu ziehen, könnte sehr viel mehr Innovation auf fruchtbaren Boden fallen als dies heute der Fall ist. Gerade auch in einem Zeitalter, in dem mehr Menschen auf der Flucht sind als jemals, kann dieses Konzept leicht modifiziert, eine wirklich nachhaltige Lösung bieten. Was wäre alles möglich in von der EU verwalteten Charter Cities in Jordanien oder der Türkei – verglichen mit dem Elend und der Perspektivlosigkeit jetziger Flüchtlingslager!

Man könnte den Gedanken sogar noch etwas weiterspinnen: Während Entwicklungsländer oft das Problem mit mangelnder Rechtssicherheit haben, sind Länder wie Deutschland oder Staatenzusammenschlüsse wie die EU in der Gefahr, einer überbordenden Verrechtlichung. Ein Übermaß an Bürokratie und Regulierung verhindert, dass die Innovationsdynamik so effizient einsetzen kann, wie es die Mischung aus Unternehmergeist, Bildung und Ressourcen in unseren Breitengraden nahelegen würde. Warum kann man nicht auch innerhalb der EU Städte oder Ballungsgebiete ausweisen, in denen abweichende Regulierungen ausprobiert werden, wie es Frank Schäffler hier bereits vor zweieinhalb Jahren vorgeschlagen hat? Ist der Wettbewerb wirklich eine solche Bedrohung?

Am Ende profitieren alle

Die Herausforderungen für den Fortschritt sind derzeit viele: Während die einen Innovation verhindern wollen, um vermeintlich Arbeitsplätze zu retten, ersticken die anderen sie in Regulierungen, um vermeintlich Verbraucher zu schützen. Unternehmer und Erfinder müssen sich mühsam freischwimmen in einer wahrlich nicht gerade innovationsfreundlichen Welt. Eine geradezu groteske Entwicklung, denn noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Vorzüge von Innovation so offensichtlich wie heute. Noch nie konnten wir ihren segensreichen Beitrag so zeitnah mitverfolgen: Die Hälfte der Menschheit ist unter 30 Jahren alt; und zu ihren Lebzeiten wurde das Internet eingeführt und der „Goldene Reis“ entwickelt, wurden Smartphones erfunden und Medikamente gegen AIDS erforscht.

Wenn wir diesen Fortschritt nicht hemmen oder gar zurückdrehen wollen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, in welchem politischen Kontext er am besten gedeiht. Und da scheinen die heutigen Groß-Demokratien, die häufig Opfer von Interessengruppen und Populisten werden, zunehmend ein ebenso ungesunder Kontext zu werden wie Entwicklungsländer. Hier wie dort wären die von Paul Romer und anderen Vordenkern wie Patri Friedman oder Titus Gebel ersonnenen Konzepte von „Charter Cities“, „Seasteading“ oder „Private Cities“ interessante und vor allem realistische Alternativen. Sollten diese freien Städte Erfolg haben, dürften davon – wie schon früher in der Geschichte – am Ende alle profitieren. Denn wie schon Ludwig von Mises 1927 schrieb: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

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Als Reaktion auf Chemnitz fordert die Bundesregierung ein neues Demokratie-Gesetz. Das verkennt das wahre Problem und überfrachtet die Demokratie mit vollkommen falschen Erwartungen.

Mehr Demokratie, weniger Chemnitz?

Die Bilder von Chemnitz haben viele Menschen in Deutschland und im Ausland erschüttert. Nicht nur die rassistischen Ausfälle gegenüber anders aussehenden Menschen, sondern auch die ausufernde Wut von Menschen, denen man so etwas einfach nicht zutraut. Inmitten von Skinheads und Thor Steinar Pullovern liefen, skandierten und schimpften jene Mitbürger, die man bis vor Kurzem noch uneingeschränkt zur sogenannten „bürgerlichen Mitte“ zählen konnte. Wähler der großen Volksparteien, die zwar nie mit allem zufrieden waren, doch um jede NPD-Demonstration einen großen Bogen gemacht hätten. Es wird gefährlich, wenn die Grenzen zwischen rechts, konservativ und fremdenfeindlich verwischen.

Das alles ist eine Katastrophe und sollte nicht wie von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer mit linguistischen Feinheiten vom Tisch gewischt werden. Es ist eine Katastrophe, weil menschenverachtende Ideen zunehmend auch außerhalb des rechtsextremen Milieus verfangen. Und wie bei jeder Katastrophe, führt auch diese zu Hochkonjunktur in der Politik. Neben den üblichen und abgenutzten Forderungen nach mehr Polizei und besserer Integration wird auch die Demokratie wieder ins Spiel gebracht. So fordert Bundesfamilienministerin Giffey ein „Gesetz zur Demokratieförderung“: „Es ist auch die Aufgabe des Staates, die demokratische Bildung junger Menschen auf allen Ebenen zu organisieren“, so Giffey. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, offenbart ein fatales Missverständnis.

Die Demokratie ist ein Verfahren, kein Wert

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem, was die Demokratie als Institution leisten kann, und dem was die meisten Menschen ihr zuschreiben. Allzu häufig wird Demokratie gleichgesetzt mit den Werten, die in westlichen Demokratien verankert sind. Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt. Werte, die der offenen Gesellschaft zu Grunde liegen. Das ist nichts Neues. Schon 1971 schrieb der österreichische Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek in der „Verfassung der Freiheit“:

Obwohl das Wort „demokratisch“ heute oft gebraucht wird, um gewisse gerade populäre Ziele, besonders gewisse egalitäre, zu bezeichnen, besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen Demokratie und irgend einer Ansicht darüber, wie die Macht der Mehrheit gebraucht werden soll.

Giffeys Forderung nach einem Demokratie-Förderungs-Gesetz zeigt: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Demokratie ist das beste bekannte Verfahren, um zustimmungsfähige politische Entscheidungen zu treffen und sie ermöglicht zumeist einen friedlichen Herrschaftswechsel. Die Demokratie ist eine Institution, die den geordneten Wettbewerb zwischen politischen Ideen und deren Verfechtern ermöglicht. In Chemnitz hat derweil weder die gewaltvolle Machtergreifung eines Diktators noch eine gefälschte Wahl stattgefunden. Was haben pöbelnde und aggressive Mitbürger in Chemnitz also mit einem Demokratiedefizit zu tun? Wenig.

Das Problem der überladenen Demokratie

Dass nun die Bundesfamilienministerin die Vorfälle von Chemnitz auf mangelnde Demokratieerziehung in den Schulen zurückführt, ist nicht nur grundfalsch sondern auch fatal in der Wirkung. Eine derart mit falschen Erwartungen überladene Demokratie kann nämlich nur scheitern. Schließlich führt die Einführung von formellen Institutionen wie Wahlen, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz nicht automatisch dazu, dass auch die Werte der offenen Gesellschaft Einzug in die Köpfe halten. Die Liste der formellen Demokratien, die weit davon entfernt sind, offene Gesellschaften zu sein, wird derzeit leider länger: Man denke nur an Russland, die Türkei oder gar Venezuela.

Letztendlich wenden sich enttäuschte Bürger, die ihre Wertvorstellungen nicht umgesetzt sehen, von der Demokratie ab, weil sie nicht das Gefühl haben, das diese Staatsform ihre Wünsche respektiert. Oder aber die Demokratie wird zum allumfassenden Rechtfertigungsinstrument. Glaubt man daran, dass demokratische Prozesse per se gute politische Ergebnisse nach sich ziehen, ist de facto jede Mehrheitsentscheidung wünschenswert. Etwas ist dann gut, weil es demokratisch beschlossen wurde. Beides ist gleichermaßen unheilvoll und mündet zwangsläufig in einer Beschränkung der individuellen Freiheit.

Es fehlt an Selbstverantwortung, nicht an Besuchsfahrten in den Bundestag

Sicher, eine gute Schulbildung muss die Kenntnis der staatlich-demokratischen Institutionen beinhalten. Doch eine solche Kenntnis schützt schwerlich vor Vorkommnissen wie in Chemnitz. Stattdessen bietet der Verweis auf mangelnde Demokratieerziehung eine willkommene Möglichkeit, Verantwortung abzugeben an Schulen und staatliche Organisationen. Das sollte gerade jemandem wie Ministerin Giffey doch zu denken geben, die als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln die Probleme sehr viel besser kennt als beflissene ARD-Kommentatoren. Viel wichtiger als jede weitere Besuchsfahrt in den Bundestag wäre es, die Werte der offenen Gesellschaft zu leben und vorzuleben.

Seien es die Eltern, die ihren Kindern erklären, warum es keinen Unterschied macht, welche Hautfarbe der Klassenkamerad hat. Sei es der Kollege, der beim Feierabendbier darauf hinweist, dass „die Flüchtlinge“ „uns“ keine Jobs „wegnehmen“. Oder sei es der Politiker, der aus Überzeugung für Toleranz und Humanität eintritt, und dies auch rechtfertigt, wenn die getroffenen Entscheidungen einmal unpopulär werden sollten. Letztendlich führt die Demokratie nur zu einer freiheitlichen Gesellschaft, wenn genügend Menschen für deren Werte einstehen. Und diese Aufgabe kann weder der Schullehrer noch die Bundeszentrale für politische Bildung übernehmen, sie obliegt uns allen.

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Das bedinungslose Grundeinkommen – kurz BGE – ist aktuell ein groß diskutiertes Projekt in der Arbeits- und Sozialpolitik. Das Konzept beinhaltet die regelmäßige Auszahlung eines festen Betrags an jeden Bürger. Bisher ist die empirische Datenlage zu den Folgen sehr dünn. Studien aus den USA aber zeigen aber auf, dass der Trend in Richtung Reduzierung des Arbeitsangebots geht.

Das bedingungslose Grundeinkommen sorgt in letzter Zeit für hitzige Diskussionen. Über ideologische Grenzen hinweg finden sich Befürworter und Gegner. Die Auswirkungen einer Einführung sind umstritten. Kritiker befürchten, dass die Menschen den Umfang ihrer Erwerbsarbeit einschränken und so die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens gefährden würden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde noch nie in einem größeren Maßstab in einem Land eingeführt. Experimentelle Ergebnisse, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie Menschen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen reagieren, sind deshalb leicht zu überschauen.

1.000 Euro für Alle

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine regelmäßige Zahlung an alle Bürger, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Es würde durch Steuereinnahmen finanziert werden. Im Gespräch sind beispielsweise um die 1.000 Euro pro Monat für jeden Bundesbürger. Bei rund 81 Millionen deutschen Staatsbürgern wird ersichtlich, dass die Finanzierung dieses Transfers eine Herausforderung wäre.

Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das alle Transferzahlungen ersetzt, spricht unter anderem ein geringer bürokratischer Aufwand, da die Bedürftigkeit der Empfänger nicht geprüft werden müsste. Wie wahrscheinlich es ist, dass es zu einer Umsetzung ohne Ausnahmen von dieser Regel käme, die diesen Vorteil konterkarieren würden, betrachten wir hier nicht.

Schlechte Anreize konventioneller Sozialtransfers

Heutige Sozialtransfers sind dagegen bürokratisch aufwendig und haben in ihrer jetzigen Ausgestaltung einen weiteren gravierenden Nachteil. Nehmen die Empfänger mehr als nur eine Tätigkeit im Rahmen eines Minijobs auf, reduzieren sich die Zahlungen maßgeblich oder gar vollständig. Für die Empfänger wirkt die Reduktion der Transfers wie eine Steuer auf zusätzliches Einkommen – netto erhöhen sich ihre Einkommen nicht eins zu eins mit dem Zuverdienst. Die durch die Reduzierung der Transfers ausgelösten impliziten Steuern sind – auch durch die Beiträge zu den Sozialversicherungen – relativ hoch. Wer als Alleinstehender eine Arbeit aufnimmt statt ALG II zu beziehen und 1.500 Euro brutto verdient, ist einem impliziten Steuersatz von etwa 80 Prozent ausgesetzt. Der monetäre Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, ist in solch einer Situation recht gering.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde diese hohen impliziten Steuersätze für Geringverdiener umgehen. Jeder Euro Einkommen würde nach einem Vorschlag des Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar mit 50 Prozent besteuert werden. Wer eine Arbeit aufnimmt, bezöge weiterhin das bedingungslose Grundeinkommen und könnte zusätzlich über 50 Prozent des erzielten Einkommens verfügen.

Die negative Einkommensteuer

Die von Milton Friedmann im Jahr 1962 vorgeschlagene negative Einkommensteuer weist Ähnlichkeiten mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf. Auch sie mindert das Problem schwacher Anreize, bezahlter Beschäftigung nachzugehen. Fällt das Einkommen einer Person unter einen gewissen Betrag, zahlt sie keine Steuern mehr, sondern erhält Zahlungen. Bei einem konstanten Grenzsteuersatz, der unter einer gewissen Einkommenschwelle negativ ausfällt, erhöht sich das Einkommen nach Steuern um immer den gleichen Teil des zusätzlichen Einkommens.

Anders als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen, hängen die Nettozahlungen oder -gutschriften im Rahmen einer negativen Einkommensteuer also vom erzielten Einkommen ab. Bezüglich der Wirkung auf das Einkommen von Erwerbspersonen gleichen sich bedingungsloses Grundeinkommen und negative Einkommensteuer jedoch.

Bedingungslose Transferszahlungen und Arbeitsverhalten: USA

Wir widmen uns hier nicht der Frage, ob der Empfang von Nettotransfers in Abwesenheit einer Bedürftigkeit gerechtfertigt ist, oder ob die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich mit der Abschaffung aller Transfers einhergehen würde, die auf Bedürftigkeitsprüfungen basieren. Wir wenden uns hier Studien zu, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich bedingungslose Transferzahlungen auf das Arbeitsverhalten der Empfänger auswirken.

Das „New Jersey Graduated Work Incentive Experiment“ war eine randomisierte Kontrollstudie, die in den Jahren 1968 bis 1972 durchgeführt wurde. Zufällig ausgewählte Familien in städtischen Gebieten mit einem Einkommen unter 150 Prozent der Armutsgrenze erhielten Geldtransfers, deren Höhe vom von ihnen zusätzlich erzielten Einkommen abhing – wie im Rahmen einer negativen Einkommensteuer vorgesehen. Bei den Teilnehmern konnte nur ein geringer negativer Effekt auf das Arbeitsangebot festgestellt werden, der in der Regel unwesentlich von der Kontrollgruppe abwich, die keine Zahlung erhielt. Eine ergänzende Studie mit Fokus auf ländliche Regionen ergab, dass männliche Arbeitskräfte ihre Arbeitszeit im Vergleich zur Kontrollgruppe im Durchschnitt um 1 Prozent senkten und weibliche Teilnehmer ihre Arbeitszeit um 27 Prozent reduzierten. Allerdings konnte auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterschiede nicht dem Zufall geschuldet sind. Hingegen ging die Beschäftigungsquote der teilnehmenden Frauen signifikant um 28 Prozent zurück.

Das „Seattle/Denver Income-Maintenance-Experiment“ war das bisher größte negative Einkommensteuerexperiment. Die Teilnehmer wurden in dreijährige und fünfjährige Auszahlungsperioden aufgeteilt. Menschen, die die Zahlung für drei Jahre erhielten reduzierten ihre Arbeitsstunden um bis zu 7,3 Prozent, während in der Fünf-Jahres-Gruppe Arbeitszeitreduzierungen von bis zu 13,5 Prozent festgestellt wurden. Die statistisch signifikanten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Verkürzung der Arbeitszeit umso höher ausfällt, je länger der Zeitraum ist, in dem eine negative Einkommensteuer zur Anwendung kommt.

Weitere Experimente bisher ohne Erkenntnisgewinn

Im Jahr 2017 startete Finnland ein Grundeinkommensexperiment mit 2.000 Arbeitslosen. Für zwei Jahre erhalten die Teilnehmer eine bedingungslose monatliche Zahlung von 560 Euro. Diese Summe ist nicht ausreichend um alle anderen Transferzahlungen einzustellen. Da das Experiment noch nicht abgeschlossen ist, liegen noch keine Ergebnisse vor.

In Deutschland gibt es eine private Initiative, die monatliche Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro für ein Jahr verlost. Leider können von diesem Experiment auf Grund des sehr kurzen Zeitraums keine neuen belastbaren Erkenntnisse über die Veränderung des Arbeitsangebots erwartet werden.

Experimente in Schwellen- und Entwicklungsländern

Im Gegensatz zu den Experimenten in industrialisierten Ländern findet eine Studie über ein indisches Grundeinkommensexperiment aus dem Jahr 2014 einen positiven Beschäftigungseffekt. Die Zahlung lag unter dem Einkommensniveau, dass für eine Befriedigung der Grundbedürfnisse ausreichend wäre.

Vor dem Hintergrund, dass das Experiment und damit die Auszahlung nur zwei Jahre dauerten, nutzten die Empfänger des bedingungslosen Grundeinkommens die zusätzlichen Einnahmen vornehmlich, um ihre Lebensbedingungen langfristig zu verbessern und investierten in ihren Kapitalstock. So wurden vor allem neue Nutztiere angeschafft und die effizientere Bewirtschaftung des Haushalts vorangetrieben. Einige Haushalte bauten eine eigene Wasserversorgung oder zusammen mit Nachbarn einen gemeinsamen Wasseranschluss. Dies entlastete vor allem Frauen, die zuvor an öffentlichen Brunnen das Wasser für die Familie holen mussten. So stellten die Forscher fest, dass vor allem Frauen mehr Zeit darauf aufwenden konnten, um zusätzliches Einkommen zu erzielen.

Insgesamt erhöhten gut 21 Prozent der Haushalte, die in dem Untersuchungszeitraum ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten, ihr Einkommen durch eine Ausweitung des Umfangs ihrer Erwerbsarbeit, während dies nur für 9 Prozent der Haushalte in der Kontrollgruppe zutraf.

Ein Experiment, das in Namibia ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurde, weist ähnlich wie das indische Projekt darauf hin, dass die Menschen die zusätzlichen Mittel nutzten, um sich wirtschaftlich produktiver betätigen zu können. Die Autoren schreiben: „Dieser Befund widerspricht den Behauptungen der Kritiker, dass das bedingungslose Grundeinkommen zu Faulheit und Abhängigkeit führen würde.“

Die Studienteilnehmer in Namibia und Indien hatten gemein, dass sie in Gesellschaften leben, in denen die Arbeitsteilung weniger ausgeprägt ist als in industrialisierten Ländern. Sie waren zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Die empirischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die zu einem Gutteil auf Subsistenzwirtschaft angewiesenen Haushalte die Transferzahlungen vor allem nutzten, um ihre Arbeit durch Investitionen in ihren Kapitalstock produktiver zu machen. Das mag helfen, die beobachteten Effekte zu erklären. Werden die Früchte der Arbeit reichhaltiger, wird es attraktiver, mehr zu arbeiten.

Finanzierung auf wackligen Füßen?

Individuen in hochgradig arbeitsteilig organisierten Gesellschaften haben leichten Zugang zu Krediten und würden Transferzahlungen vermutlich nicht zum Ausbau ihres Kapitalstocks nutzen, um sich produktiver in Erwerbsarbeit üben zu können. Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens in relativ reichen Gesellschaften schwebt derartiges zumeist auch nicht vor. Ganz im Gegenteil, Menschen sollen ja gerade frei davon werden, auf dem Markt Erwerbseinkommen erzielen zu müssen. Die Erfahrungen mit bedingungslosen Grundeinkommen in Entwicklungsländern sind auch aus diesen Gründen für entwickelte Länder nicht allzu aussagekräftig.

Die Erkenntnisse aus Nordamerika scheinen besser geeignet zu sein, um die potentiellen Arbeitsangebotseffekte eines bedingungslosen Grundeinkommens abzuschätzen. Diese Studien kommen zu dem Schluss, dass das Arbeitsangebot mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eher abnimmt. Je länger die erwartete Auszahlungsperiode ist, desto stärker ist dieser Effekt.

Dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ab einer gewissen Höhe das Arbeitsangebot reduziert, steht außer Frage. Wie viele Menschen würden noch arbeiten, wenn es monatlich 5.000 Euro betrüge? Angesichts der bisher noch spärlichen empirischen Literatur zu Effekten bedingungsloser Transferzahlungen sollten alle Aussagen bezüglich der Wirkung eines moderaten bedingungslosen Grundeinkommens auf das Arbeitsangebotsverhalten allerdings mit Vorsicht genossen werden.

Zuerst erschienen bei IREF.

Bild: Wikimedia Commons (CC 0)

Mit Mächtigen vom Schlage Seehofers und Trumps verschiebt sich das Verständnis der Politik. Diese modernen Gladiatoren stehen für Symbolpolitik und persönliche Eitelkeiten anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden.

Die Gladiatoren betreten das politische Kolosseum

Es braust Jubel auf, als die Gladiatoren das Innere des politischen Kolosseums betreten. Zuerst zeigt sich Bundesinnenminister Horst Seehofer als „Retiarius“, bewaffnet mit Dreizack und Wurfnetz. Sein Spezialgebiet: Das Einfangen von fliehenden Widersachern, erst kürzlich fing er 69 auf einen Schlag. Auf der anderen Seite betritt Donald Trump das große Rund. In der schweren Rüstung des „Provocator“ beeindruckt er die Zuschauer. Nicht immer zu seinem Vorteil, denn häufig scheint es ihm schwer zu fallen, durch seinen gold-glänzenden Helm Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Zuletzt betritt Boris Johnson als „Murmillo“ die Arena. Sein Helm wird geschmückt von bunten Federn, die in alle Richtungen abstehen. Er stolziert kurz voller Erhabenheit an den Zuschauern vorbei, um hier und da einen abfälligen Kommentar loszuwerden – da ist er auch schon wieder im Inneren des modernen Kolosseums verschwunden.

Tatsächlich ähnelt das Schauspiel, das die Mächtigen vieler westlicher Demokratien in den letzten Monaten aufführen, immer stärker dem Schaulauf römischer Gladiatoren. Seehofer, Trump und Johnson stehen dabei nur exemplarisch für eine grundlegende Wesensveränderung in der Politik. Statt Problemlösung entwickeln sich Eitelkeiten und abstrakte Souveränitätsbegriffe zum Kerngegenstand der Politik. Grund genug, um für eine Rückkehr auf den Marktplatz der Politik zu plädieren!

Die Politik sollte ein Marktplatz sein, kein Kolosseum

Die liberalen Demokratien des Westens sind ein beispielloses Erfolgsmodell. Sie zeichnen sich aus durch Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und inklusive demokratische Institutionen. Dieses institutionelle Gerüst kann selbst die Wirrungen eines Donald Trump abfedern – für einige Zeit zumindest. Ebenso wichtig ist allerdings das (Selbst-)Verständnis von Politik. Im Laufe der Menschheitsgeschichte und in der Tradition der athenischen, polnischen, britischen, niederländischen, amerikanischen und vieler anderer Republiken wurde Politik immer stärker geprägt von einer Art Marktplatz-Mentalität. Auf dem Marktplatz werden Probleme gelöst; auch wenn der Problem-Begriff häufig etwas – teils auch deutlich – zu weit gefasst wird. Auf dem Marktplatz ist der Umgangston nicht egal. Es geht nicht darum, Ängste zu schüren, und Eitelkeiten stehen zumindest nicht für denjenigen an erster Stelle, der ein vorteilhaftes Geschäft machen möchte. Der Marktplatz ist kein Spektakel, hier wird auf der Grundlage von Fakten debattiert und es wird schlicht gearbeitet.

Den modernen Gladiatoren der Politik ist der politische Marktplatz fremd. Sie empfinden gar Verachtung für die Art und Weise wie hier in zähen und langwierigen Verhandlungen die scheinbar unbedeutendsten Probleme gelöst werden. Trump und Co wollen die großen Erfolge und die großen Gefühle. Was interessiert es da, welche konkreten Auswirkungen Handelsbeschränkungen oder der Brexit auf die eigene Volkswirtschaft haben? Es geht schließlich beiderseits des Atlantiks darum, das ‘eigene Land zurückzugewinnen‘. Souveränität und Kollektivismen werden zum Selbstzweck, dessen Umsetzung, wenn überhaupt, nur wenigen etwas bringt. Das verklärt auch die Sinne der Zuschauer, die über all dem Spektakel mitunter ihre tatsächlichen Probleme vergessen. Ein Effekt, den sich schon die römischen Kaiser gern zu eigen machten: Brot und Spiele.

Nelson Mandela zeigte der Welt, dass es auch anders geht

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Nelson Mandelas, der in dieser Woche 100 Jahre alt geworden wäre. 1990, nach 28 Jahren in Haft, kommt er frei und leitet gemeinsam mit dem letzten südafrikanischen Präsidenten des Apartheid-Regimes, Frederik de Klerk, die friedliche Transition ein. Nach einem Jahrhundert der brutalen Unterdrückung dürstet es vielen der über 30 Millionen Schwarzen, Farbigen und Asiaten nach Rache an der rücksichtlosen weißen Minderheitsregierung – und Mandela ist ihr unantastbarer Volksheld. Es wäre nur verständlich gewesen, wenn Mandela dem Drängen der Massen (und der eigenen Frau) nachgegeben und eine rassistische Umkehrungspolitik umgesetzt hätte, wie kurz darauf Simbabwes berüchtigter Ex-Diktator Robert Mugabe.

Doch anstatt den Unterdrückten scheinbar ‚ihr Land zurückzugeben‘, setzte Mandela auf Versöhnung und die Lösung von tatsächlichen Problemen. Unter einer Regierung der nationalen Einheit arbeitete eine von Desmond Tutu geleitete Kommission Verbrechen Stück für Stück auf und entschädigte viele Opfer. Gleichzeitig verantwortete Mandelas Regierung eine neue Verfassung und den Anschluss von Millionen Haushalten an das Strom- und Wassernetz. 1990 hatte Mandela nicht nur jeden Grund, sondern sogar eine gewisse Legitimation zum Spektakel. Dass er den Weg über den politischen Marktplatz wählte, prägt Südafrikas erfolgreiche Entwicklung bis heute.

Wir sollten das Kolosseum einfach verlassen

Dass Politiker vom Schlage Donald Trumps einen ähnlichen Weg gehen könnten wie einst Nelson Mandela, davon träumen wohl nicht einmal die Kühnsten unter uns. So amüsierend das Schauspiel der Gladiatoren häufig wirkt – die echten Probleme und Anliegen sollten nicht in Vergessenheit geraten. Vor allem sollten sich die Bürger von dem Spektakel nicht ablenken lassen. Selbst wenn Abschiebungen rechtmäßig sein sollten – was tragischerweise in letzter Zeit nicht immer der Fall war – sollte das Seehofer‘sche Gejubel darüber nicht davon ablenken, dass Deutschland noch immer kein richtiges Einwanderungsgesetz hat. Dass Donald Trump sich immer wieder auf der internationalen Bühne blamiert, sollte nicht die echten Krisen, Machtverlagerungen und Spaltungen, die er auslöst, überlagern. Dass Boris Johnson die biedere Theresa May auf groteske Weise hilflos aussehen lässt, sollte nicht verdecken, dass der Brexit für die EU und Großbritannien eine gigantische administrative Herausforderung darstellt. Für all das braucht es wieder mehr Politiker, die die Werte des Marktplatzes leben. Und es braucht uns Zuschauer, die das Kolosseum einfach mal verlassen.