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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre.

Preisreduzierende Regulierungen und Patentschutz widersprechen sich und doch sind beide Simultan auf dem deutschen Gesundheitsmarkt anzufinden.

In den vergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland. Während die für Patienten kostspieligen Privilegien der Apotheken unangetastet bleiben, sollen politische Maßnahmen den Anstieg durch Regulierungen der Herstellerpreise bremsen. So müssen Arzneimittelhersteller den gesetzlichen Krankenkassen beispielsweise einen Zwangsrabatt gewähren. Parallel sollen durch den Patentschutz und damit einhergehende höhere Medikamentenpreise jedoch für Hersteller Anreize für Forschung an neuen Wirkstoffen gesetzt werden. Patente auf der einen und Preisregulierungen auf der anderen Seite heben sich also teilweise auf und es stellt sich die Frage nach der Konsistenz der beiden Maßnahmen.

Ausgaben gestiegen

Die Ausgaben für Medikamente machen seit den 90er Jahren 15 bis 16 Prozent der gesamten Ausgaben im Gesundheitssystem aus. Die Medikamentenausgaben stiegen seit 1992 nicht stärker als die Gesundheitsausgaben insgesamt. Im Jahr 1992 betrugen die Ausgaben nach Berücksichtigung der Inflation noch 37,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2016 waren es 55 Milliarden Euro.

 

 

Patente: ein Kompromiss

Die Entwicklung neuer Medikamente ist langwierig und teuer. Nur eine von 24 begonnen Entwicklungen wird am Ende als Medikament auf den Markt gebracht. Insgesamt werden im Durchschnitt gut 1,8 Milliarden US-Dollar pro entwickeltem Medikament aufgewendet.

Der Patentschutz soll Herstellern einen zusätzlichen Anreiz geben, in Forschung und Entwicklung von Medikamenten zu investieren. Ein Patent schützt 20 Jahre lang vor Konkurrenten. Sie dürfen den neuen Wirkstoff oder das Herstellungsverfahren in dieser Zeit nicht kopieren. Als temporäre Monopolisten können die Patentinhaber höhere Preise verlangen. Die Aussicht auf diese Monopolgewinne soll den Innovationsanreiz stärken.

Zwangsrabatte und Preismoratorien

Die Preise, die Hersteller patentgeschützter Medikamente verlangen, führen allerdings regelmäßig zu Unmut bei Gesundheitspolitkern und Krankenkassen. Die deutsche Antwort auf die durch Patente ermöglichten hohen Herstellerpreise sind Zusatznutzenanalysen, Zwangsrabatte und Preismoratorien. Die preissenkende Wirkung dieser Maßnahmen widerstrebt jedoch dem Ziel des Patentschutzes, durch temporär höhere Herstellerpreise mehr Forschung und Entwicklung anzuregen.

Die Preise von verschreibungspflichtigen Medikamenten werden in Deutschland durch die Arzneimittelpreisverordnung reguliert. Im ersten Jahr nach der Zulassung können die Hersteller den Preis ihres Produkts frei bestimmen. Ab dem 13. Monat gilt ein mit den gesetzlichen Krankenversicherungen ausgehandelter Preis. Diesen übernehmen auch die privaten Krankenversicherungen. Auf den ausgehandelten Preis müssen die Hersteller patentgeschützter Medikamente den Krankenkassen zusätzlich einen Rabatt von 7 Prozent gewähren.

Derzeit sind die Medikamentenpreise zudem auf dem Niveau von 2009 eingefroren, wenn sie in der gesetzlichen Krankenkasse erstattungsfähig sind. Diese Regelung wurde bis 2022 verlängert.

Nutzen von Zusatznutzen fragwürdig

Grundlage für den zentral ausgehandelten Preis ist die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Präparats. Ein höherer Zusatznutzen im Vergleich zu anderen verfügbaren Behandlungen geht mit einem höheren Preis für den Hersteller einher. Für die Bestimmung des Zusatznutzens ist das von den gesetzlichen Krankenkassen getragene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen verantwortlich. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Beschlussorgan des deutschen Gesundheitssystems, verhandelt auf dieser Grundlage einen Preis mit den Herstellern.

Das Verfahren ist umstritten. So haben die verhandelnden Krankenkassen kein Interesse daran, den Zusatznutzen korrekt zu bestimmen, da ein hoher ermittelter Zusatznutzen zu höheren Ausgaben führt.

Es überrascht deshalb nicht, dass die Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses teilweise erheblich von denen seiner Pendants in anderen Ländern abweichen – nach unten. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2016 bewertete der Gemeinsame Bundesausschuss im Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2014 nur 43,6 Prozent der Medikamente positiv. Beim britischen Pendant waren es fast dreiviertel aller neuen Medikamente. Das Ergebnis legt nahe, dass das Verfahren von den deutschen Krankenkassen genutzt wird, um die Preise für Hersteller neuer Medikamente zu reduzieren.

Forschung: Internationales Trittbrettfahren

Preisreduzierende Regulierungen und Patentschutz widersprechen sich. Doch der Markt für Medikamente ist global. Die Versuchung für einheimische Politiker und Krankenkassen ist groß, im Inland die Herstellerpreise für Medikamente herunter zu regulieren und so Patienten in anderen Ländern einen größeren Teil der Entwicklungskosten tragen zu lassen. Mehr als jedes dritte in Europa angemeldete Patent für Medikamente kommt von einem amerikanischen Hersteller.

Es passt ins Bild, dass es gerade in den USA eine Debatte darüber gibt, ob amerikanische Patienten durch hohe Medikamentenpreise einen zu großen Anteil an den weltweiten Entwicklungskosten tragen. Der Vorwurf an andere wohlhabende Länder wie Deutschland, welche Medikamentenpreise regulieren: Trittbrettfahrertum.

Fährt nur ein Land Trittbrett, kommt es in den Genuss niedriger Herstellerpreise und der positiven Wirkung des Patentschutzes. Wird jedoch in allen Ländern der Patenschutz durch Preisregulierungen ausgehebelt, führt individuelles Trittbrettfahren zu kollektiv nicht wünschenswerten Ergebnissen: Weniger Forschung und Entwicklung.

Innovationsfördernde Wirkung von Patenten zweifelhaft

Eine Kombination aus Preisregulierung und Patentschutz ist aus Sicht des Inlands attraktiv, wenn Patente die erwünschte innovationsfördernde Wirkung entfalten und in anderen Ländern die Preise nicht reguliert werden.

Die innovationsfördernde Wirkung von Patenten ist jedoch nicht unumstritten. So stellen die Ökonomen Michele Boldrin und David K. Levine sie grundsätzlich in Frage. Unternehmen, die neue Medikamente entwickeln, hätten auch ohne Patentschutz einen Vorsprung gegenüber ihren Mitbewerbern und könnten in diesem Zeitraum höhere Gewinne erzielen. Die Forschungsaufwendungen würden zumindest in einem gewissen Umfang auch ohne Patente finanziell honoriert, so die beiden Ökonomen.

Auch empirische Ergebnisse nähren den Zweifel an der innovationsfördernden Wirkung von Patenten. Eine Studie aus dem Jahr 2009 untersucht die Patentpolitik in 60 Ländern über einen Zeitraum von 150 Jahren. Das Resultat ist für die bisherige Patentpolitik ernüchternd: Eine Stärkung des Patentschutzes hat demnach einen negativen Effekt auf Innovationen.

Freie Preise, gute Besserung

Unabhängig davon, ob Patente die gewünschte Wirkung entfalten, sind Preisregulierungen grundsätzlich fehl am Platze. Wirken die Patente wie erhofft, wirken Preisregulierungen ihnen entgegen. Führen Patente nicht zu mehr Neuentwicklungen, reduzieren Preisregulierungen entgegen der Patentwirkung den Innovationsanreiz.

Preisregulierungen sind für das Inland allerdings dann attraktiv, wenn im Ausland für einen Wirkstoff hohe Monopolreise bezahlt werden. Das gilt vor allem für kleine Länder. Denn diese haben einen geringeren Einfluss auf den weltweiten Gesamtumsatz eines Medikaments und verringern die Innovationsbemühungen internationaler Hersteller somit kaum.

Ob Deutschland zu diesen kleinen Ländern gehört, ist fraglich. Fraglich ist auch, ob Deutschland sich als Trittbrettfahrer versuchen sollte. Stattdessen sollte in Betracht gezogen werden, zugleich auf die Preisregulierungen und den Patentschutz zu verzichten, um einerseits Innovationen durch temporär mögliche hohe Monopolpreise zu fördern und andererseits die zügige Entwicklung preisdrückender Generika zu ermöglichen.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons

Die Digitalindustrie wird von US-amerikanischen Konzernen dominiert, Europa hinkt weit hinterher. Eine europäische Digitalsteuer sollte für mehr Gerechtigkeit sorgen. Doch es regt sich Widerstand. Zu Recht.

Digitalsteuer: Der Wind scheint sich zu drehen

Noch vor kurzem galt die Einführung einer europäischen Steuer auf digitale Dienstleistungen (Digital Service Tax, kurz DST) als sicher. Bis zu 5 Milliarden Euro sollten dem europäischen Haushalt jährlich durch die Digitalsteuer zufließen. So plante die EU eine Bruttoumsatzsteuer in Höhe von 3% für Digitalunternehmen mit mindestens 50 Millionen Euro Umsatz in Europa und gleichzeitig 750 Millionen Euro weltweit. Eine fundamentale Erneuerung des Steuerregimes: Steuern würden nicht mehr dort anfallen, wo Unternehmen physisch tatsächlich präsent sind, sondern in jenen Ländern, in denen sich die digitalen Nutzer aufhalten.  Mittlerweile scheint sich der Wind jedoch zu drehen. Nach anfänglicher Begeisterung auch auf deutscher Seite, scheint sich zumindest die Bundesregierung von der Idee der DST abzuwenden.

Das ist ein gutes Zeichen in Zeiten, in denen Handelskriege und von nationalen Eitelkeiten geleitete Handelspolitik wieder en vogue zu werden scheint. Ihre Befürworter begründen die DST nämlich vor allem mit einer scheinbaren Steuerungerechtigkeit durch amerikanische Technologiekonzerne. So würden amerikanische Internetunternehmen zwar von europäischen Kunden profitieren, aber keine entsprechenden Steuern zahlen. Und tatsächlich schätzt die EU, dass in etwa die Hälfte der betroffenen Konzerne ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben würden: Technologiegiganten wie Google, Facebook und Amazon.  Das ist nichts anderes als Handelspolitik aus dem 17. Jahrhundert auf Kosten der Verbraucher.

Der wahre Verlierer: Der Konsument

Unabhängig davon, wie eine europäische Digitalsteuer am Ende tatsächlich aussehen könnte, würde sie vor allem auch die sogenannte „Sharing Economy“ treffen. Die Digitalisierung ermöglicht es Menschen aus aller Welt, Besitz ressourcenschonend zu teilen. Es ist heute nicht mehr notwendig ein eigenes Auto, eine eigene Ferienwohnung oder eine gigantische CD- oder DVD-Sammlung zu besitzen. Man nutzt und zahlt auch nur, was man wirklich braucht, und dieses Prinzip ist aus den Leben vieler Europäer nicht mehr wegzudenken. Einer Studie von PwC zufolge nutzen bereits 40 % der Deutschen regelmäßig Angebote der Sharing Economy. Und der Markt wächst exponentiell, könnte sich in den nächsten 10 Jahren gar verzwanzigfachen. Bereits heute stehen den 1 Millionen Hotelzimmern in Italien 190.000 Airbnb-Unterkünfte entgegen. Und in den Niederlanden erreichen digitale Fahrdienstleister mit 1,8 Millionen Nutzern im Jahr 2018 bereits eine Marktdurchdringung von über 10 %.

Davon profitieren vor allem die Konsumenten, für die sowohl niedrigere Preise als auch Ressourcenschonung ausschlaggebend sind. Aber auch die Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen ist nicht zu unterschätzen. Viele könnten ohne die neuen Plattformen im Wettbewerb mit etablierten Branchengrößen nicht existieren. Und gerade kleine Startups nutzen selbst häufig die Dienste der Sharing Economy. Wie jede andere Umsatzsteuer, würde auch die europäische Digitalsteuer direkt an den Endkunden weitergereicht werden. Die kolportieren 5 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinkünften gingen am Ende wieder einmal mehrheitlich zu Lasten der Konsumenten. Und zu Lasten des Digital-Standortes Europa, der sich schon seit Jahren mit Verboten und Innovationsfeindlichkeit lächerlich und damit zum Abstellgleis der Prä-Digitalisierung macht.

Der neue digitaler Nationalismus

Und das ist des Pudels wahrer Kern: Die europäische Digitalsteuer wirkt wie ein verzweifelter Versuch, den in der Digitalisierung enteilten Amerikanern etwas entgegenzusetzen. Es ist vielen europäischen Entscheidungsträgern ein Dorn im Auge, dass US-amerikanische Unternehmen in nahezu allen digitalen Geschäftsfeldern die Nase weit vorn haben. Erst jüngst verkündete ARD-Chef Ulrich Wilhelm seine Idee eines „europäischen Youtube“, das, getragen von europäischen Medienhäusern, ein Gegengewicht zur amerikanischen Alphabet-Tochter schaffen soll. Wilhelm sieht dabei Parallelen zur Gründung des Flugzeugbauers Airbus, der ein europäisches Gegengewicht zum früher unangefochtenen Weltmarktführer Boeing bildet.

Sowohl die steten Forderungen nach europäischen Versionen erfolgreicher amerikanischer Plattformen als auch im besonderen die Digitalsteuer zeigen vor allem eins: Die europäischen Entscheidungsträger sind weit davon entfernt die Digitalwirtschaft zu verstehen. Mal eben das europäische Steuermodell auf den Kopf zu stellen und dabei die ohnehin fragilen transatlantischen Beziehungen weiter zu belasten, nur um den amerikanischen Internetkonzernen eins auszwischen? Das wirkt genau so verzweifelt wie der rückständige digitale Nationalismus von Wilhelm und Co.

Innovation statt Kopieren und Besteuern

Derweil bietet die Digitalwirtschaft einen gigantischen Vorteil für Europa. Anders als die klassische Industrie mit Ihren Fahrzeug-Fabriken und Stahlhütten, ist sie flexibel und innovationsfreundlich. Wer eine gute Idee hat, kann diese innerhalb kürzester Zeit auf der ganzen Welt vermarkten – die richtigen Rahmenbedingungen vorausgesetzt. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden wie das derzeit erfolgreichste europäische Sharing Economy-Unternehmen „Transferwise“ zeigt, das den Markt für internationale Überweisungen auf simple Art revolutioniert hat.  Aufholen ist möglich. Aber nicht durch Kopieren und Besteuern, sondern durch die Schaffung von investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen.

 Dieser Artikel erscheint in Zusammenarbeit mit „Americans for Tax Reform“. Co-Autor: Andreas Hellmann.

Photo: Annie Spratt from Unsplash ( CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Unter dem ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle. Im Mittelpunkt sollte also nicht die Frage stehen, wie der Kuchen verteilt werden soll, sondern wie er größer wird.

Vor gut 30 Jahren fragte der Wirtschaftshistoriker David Landes: „Warum sind wir so reich und die anderen so arm?“ Mit „den anderen“ sind nicht nur Menschen in Entwicklungsländern gemeint, sondern auch unsere eigenen Vorfahren. Ein durchschnittlicher Deutscher hat heute ein etwa sechsmal so hohes Einkommen wie ein durchschnittlicher Deutscher vor 100 Jahren oder ein durchschnittlicher Kubaner heute. Die Antwort auf die Frage nach der Quelle unseres historisch beispiellosen Reichtums lautet: Weil wir so produktiv sind. In der langen Frist wird unser Wohlstand hauptsächlich durch unsere Produktivität bestimmt, also durch unsere Möglichkeiten, Produktionsfaktoren in Konsumgüter zu verwandeln.

Seit geraumer Zeit nimmt das Produktivitätswachstum in der westlichen Welt ab. Zwar herrscht unter Ökonomen keine einheitliche Meinung über die dominanten Gründe, doch unstrittig ist, dass der Politik eine tragende Rolle zukommt. Durch ihre Steuer-, Geld- und Regulierungspolitik kann sie Produktivitätssteigerungen begünstigen oder mögliche Produktivitätssteigerungen zunichtemachen. Viele jüngere politische Maßnahmen in Deutschland stehen dem Ziel eines langfristig höheren Wohlstands im Weg, so z.B. die Niedrigzinspolitik der EZB, technologiefeindliche Regulierungen und höhere Steuern auf Zinserträge. All diese Maßnahmen erfüllen kurzfristige Umverteilungsziele, schaden jedoch langfristig der Produktivitätszunahme. Damit erfolgen sie nicht nur auf Kosten derer, die die Umverteilungspolitik heute finanzieren, sondern auch auf Kosten zukünftiger Generationen.

Was ist Produktivität?

Produktivität ist die Effizienz mit der Menschen, Unternehmen und Volkswirtschaften Produktionsfaktoren – also beispielsweise Arbeitskraft, Maschinen und Energie – kombinieren und in Konsumgüter verwandeln. Je mehr wir aus einer gegeben Ausstattung an Produktionsfaktoren machen können, desto produktiver sind wir. Ökonomen bezeichnen dieses Effizienzmaß auch als totale Faktorproduktivität.

Von besonderem Interesse, weil durch die Politik beeinflussbar, ist die Arbeitsproduktivität, also die Effizienz des Einsatzes von Arbeitskraft. Studien zeigen, dass die Arbeitsproduktivität weltweit massiv variiert. So erwirtschaftete ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland 2016 pro Stunde etwa 68 US-Dollar, während sein mexikanischer Kollege in der selben Zeit nur 20 US-Dollar erwirtschaften konnte. Produktivitätssteigerungen erlauben es uns, bei konstantem Faktoreinsatz mehr Güter oder Güter besserer Qualität herzustellen. Zudem stellen in gut funktionierenden Marktwirtschaften Arbeitsteilung, Spezialisierung, Kooperation und Wettbewerb zwischen Unternehmen sicher, dass alle Menschen von Produktivitätssteigerungen profitieren.

 

Politik beeinflusst Produktivitätswachstum

Menschen sind unterschiedlich reich, weil sie unterschiedlich produktiv sind. Doch welche Faktoren rufen Unterschiede in der Arbeitsproduktivität hervor? Ein Teil der Produktivitätsunterschiede wird durch individuelle Unterschiede im Ausbildungsniveau – Ökonomen sprechen vom Humankapital – und arbeitsrelevanten Verhaltensweisen, etwa der Konzentration während der Arbeitszeit, erklärt. Ein gut ausgebildeter und hochkonzentrierter Arbeiter ist produktiver als ein schlecht ausgebildeter oder schlecht konzentrierter Arbeiter – unabhängig von allen sonstigen Umständen, wie etwa dem Arbeitsort.

Doch maßgeblich wird unsere Arbeitsproduktivität auch durch Faktoren bestimmt, die der Einzelne nicht unter Kontrolle hat: Wir sind umso produktiver bei der Arbeit, je mehr andere Produktionsfaktoren – etwa Maschinen oder Energie – wir zur Verfügung haben. Unternehmen und Länder mit einem größeren Kapitalstock, relativ zur Arbeiterschaft, weisen eine höhere Arbeitsproduktivität auf. Wichtig sind darüber hinaus die Bedingungen, die beeinflussen, wie Produktionsfaktoren koordiniert und verwendet werden: Herrscht Rechtssicherheit? Sind Institutionen kooperationsfördernd? Begünstigen Marktstrukturen Kooperation und Wettbewerb? Setzt sich gute Managementpraxis durch?

Die Arbeitsproduktivität eines Individuums hängt also maßgeblich davon ab, in welchem Unternehmen oder Land es arbeitet. So kann ein peruanischer Arbeitnehmer allein dadurch, dass er seinen Job in den USA statt in seiner Heimat ausführt, fast viermal so viel verdienen – weil er viermal so produktiv ist.

Nur wenige dieser Faktoren sind von politischen Einflüssen zumindest mittelfristig unberührt, etwa das Klima, die langfristigen Folgen historischer Zufälle, Traditionen und kulturelle Eigenheiten. Auf viele Determinanten der Arbeitsproduktivität hat die Politik dagegen maßgeblichen Einfluss, etwa durch die Geld- und Steuerpolitik oder Regulierungsaktivitäten. Einer Regierung, der das Wohlergehen ihrer Bürger am Herzen liegt, sollte viel daran gelegen sein, Produktivitätssteigerungen zu ermöglichen. Gemessen an diesem Anspruch sind viele aktuelle politische Maßnahmen in Deutschland kritisch zu bewerten. Drei Beispiele:

Niedrigzinsen stützen unproduktive Firmen

Seit geraumer hält die Europäische Zentralbank die Leitzinsen auf historisch niedrigem Niveau. Die Niedrigzinspolitik soll schwächere Volkswirtschaften in Europas Süden stützen und zur allgemeinen Belebung der Wirtschaft beitragen. Wenngleich diese Politik für manche Volkswirtschaften im Süden angemessen sein mag, hat sie für Deutschland negative Folgen. Sie hält Unternehmen, die sich im Umgang mit knappen Ressourcen als relativ unproduktiv erwiesen haben, künstlich solvent und verhindert deren Marktaustritt. Unproduktiven Unternehmen werden so zulasten ihrer produktiveren Wettbewerber künstlich beatmet, was unmittelbar die Produktivität der Industrie verringert.

Regulierung behindert neue Geschäftsmodelle

Technologischer Fortschritt führt in vielen Branchen zu Umwälzungen. Einige Unternehmen treten aus dem Markt aus und andere Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen nehmen ihren Platz ein. Um diesen Prozess zu verhindern, setzen Interessengruppen aus betroffenen Unternehmen und ihren Stakeholdern einiges in Gang: Taxifahrer kämpfen gegen Uber, Hoteliers gegen Airbnb und staatlich finanzierte Medien gegen neue dezentrale Medien. Die Politik zeigt sich verständnisvoll: So sind Airbnb und Uber in zahlreichen deutschen Großstädten verboten oder eingeschränkt und die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender dürfen sich auch bei sinkenden Einschaltquoten und abnehmender Relevanz klassischer Offline-Medien über ein wachsendes Budget freuen.

Was manchen Zeitgenossen als sympathische Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen erscheint, hat langfristig deutliche Produktivitätseinbußen zur Folge. In den kommenden Jahrzehnten werden zahlreiche Branchen enorme Produktivitätsgewinne durch den Einsatz künstlicher Intelligenz erleben. Dieser Prozess wird unweigerlich dazu führen, dass einige heutige Berufe und Arbeitsfelder wegfallen sowie neue Berufe und Arbeitsfelder entstehen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik nicht den erprobten Weg geht und Produktivitätsgewinne durch Steuern und Verbote verhindert.

Abgeltungsteuer Adé: Investitionen weniger attraktiv

Steuerpolitik ist Anreizpolitik. Die Besteuerung einer Handlung führt in der Regel dazu, dass diese Handlung seltener erfolgt. So führt die Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinserträge dazu, dass Investoren ihre Zinseinnahmen zukünftig wieder mit ihrem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern müssen – bei vielen Investoren dürfte der über dem bisherigen Steuersatz von 25 % liegen – und so betroffene Kapitalinvestments weniger attraktiv werden.

Investitionen in den Kapitalstock sind jedoch von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Arbeitsproduktivität. Selbst jene, die von der kurzfristigen Höherbesteuerung von Kapitalerträgen heute profitieren mögen, werden langfristig unter dem geringen Produktivitätswachstum leiden.

Produktivitätsentwicklung in den Fokus rücken

Weshalb bewerten viele Menschen die Wichtigkeit produktivitätssteigernder Investitionen vergleichsweise niedrig? Ein Grund könnte darin liegen, dass sie langfristige Zinseszinseffekte oft unterschätzen. So wie der Wert eines Assets exponentiell steigt, wenn dessen jährlicher Zinsgewinn dem Anlagekapital hinzugefügt wird, nimmt das Einkommen der Menschen in einer Region bei einer konstanten Wachstumsrate exponentiell zu.

Politische Eingriffe, die als Nebenwirkung die Entwicklung der Produktivität hemmen, sollen oft relativ Mittellose gegenüber relativ Wohlhabenden besserstellen. Doch selbst wenn die Verfolgung derartiger Ziele als wünschenswert erachtet wird, sollten die negativen Folgen für die Produktivitätsentwicklung ernstgenommen werden. Schon nach 30 Jahren ist eine jährlich um 2 statt 3 % wachsende Volkswirtschaft um knapp ein Viertel ärmer. Unter ausbleibendem Wachstum leiden in der langen Frist fast alle, darunter auch viele, die kurzfristig von Umverteilungsmaßnahmen profitieren.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo by davide ragusa on Unsplash

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Die sogenannte Bürgerversicherung ist seit der Bundestagswahl 2017 wieder ein großes Thema in der Sozialpolitik. Doch anstatt zu versuchen, mehr Umverteilung in das Versicheurngssystem einzubauen, sollte man auf risikobasiertes Pricing setzen. Dadurch können Wettbewerb und Effizienz der Krankenkassen gesteigert werden. Sozial schwachen Haushalten könnte mit steuerlicher Umverteilung der Beitrag bezuschusst werden.

Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD Anfang des Jahres haben das Thema Krankenkassen wieder auf die Agenda gebracht. Befürworter einer Bürgerversicherung wünschen sich unter anderen mehr Umverteilung im Rahmen der dann für alle verpflichtenden gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch als Umverteilungsinstrumente sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht attraktiv. Das Steuer- und Sozialsystem ist für diese Aufgabe deutlich besser geeignet. Deshalb sollten die Prämien der gesetzlichen Krankenkassen – wie im Fall der privaten Krankenkassen – auf individuellen Krankheitsrisiken basieren und nicht auf der Höhe der Arbeitseinkommen ihrer Versicherten.

Krankenkassen: Unattraktiv als Umverteilungsvehikel

Derzeit steigen die Beiträge von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze proportional mit dem Lohneinkommen. Dadurch wird auf Grundlage der Arbeitseinkommen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen umverteilt – schon heute. Eine Bürgerversicherung, die für alle verpflichtend wäre und möglicherweise keine Beitragsbemessungsgrenze aufwiese, würde zu mehr Umverteilung dieser Art durch die gesetzlichen Krankenversicherungen führen.

 

Die durch die gesetzlichen Krankenversicherungen herbeigeführte Umverteilung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Die vom Arbeitseinkommen abhängige Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bemisst die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherten nicht treffsicher. So wird zum Beispiel Einkommen aus Vermögen nicht erfasst.

Das Gesamteinkommen zur Beitragsbemessungsgrundlage zu machen, wie es in manchen Bürgerversicherungsmodellen vorgeschlagen wird, ist keine attraktive Alternative. Denn die innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen herbeigeführte Umverteilung könnte im besten Fall die durch das Steuer- und Sozialsystem mögliche Umverteilung replizieren. Dies wäre der Fall, wenn die Krankenkassen die gleichen Informationen über die finanzielle Situation der Versicherten hätten wie die Finanz- und Sozialämter. Allerdings entstünden erhebliche Verwaltungskosten, wenn die gesetzlichen Krankenkassen neben ihrem Haupttätigkeitsfeld Aufgaben der Finanz- und Sozialämter übernehmen würden.

Krankenkassen sollten sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Versicherung von Gesundheitsrisiken. Dafür sind Krankenkassen Experten, nicht für Umverteilung.

Fragwürdiger Einsatz von Beitragsmitteln

Die lohnabhängigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bringen weitere unerwünschte Effekte mit sich. Die Versicherungen wenden Ressourcen auf, um möglichst junge, gutverdienende Versicherte zu gewinnen. Sie verursachen nur wenig Kosten und sorgen durch die lohnabhängigen Beiträge für sprudelnde Einnahmen. Krankenkassen werben um die junge gesunde Klientel, indem sie beispielsweise für gesunde Versicherte besonders attraktive Zusatzleistungen wie kostenlose Bonus- oder Fitnessprogramme anbieten.

Dagegen versuchen gesetzliche Krankenkassen, obwohl sie keine Versicherten ablehnen dürfen, Menschen mit hohen Krankheitsrisiken abzuschrecken. So berichtete das Bundesversicherungsamt im Jahre 2012, dass einige Krankenkassen ihren Vertriebsmitarbeitern keine Prämien für die Werbung einkommensschwacher oder kranker Versicherten zahlten.

Krankenkassen haben nicht nur ein Interesse, die Aufnahme teurer Versicherter zu verhindern. Das Bundesversicherungsamt berichtete weiter, dass einige Krankenkassen versucht haben sollen, behinderte und chronisch kranke Versicherte per Telefon zur Kündigung zu bewegen.

Sisyphusarbeit Gesundheitsfonds

Diese Probleme hat die Politik erkannt und versucht solchen Anreizen zu begegnen, indem der 2009 eingeführte und vom Bund finanziell bezuschusste Gesundheitsfonds für kränkere Versicherte mehr an die Krankenkassen zahlt als für gesunde. Leider führte dies zu unerwünschten Reaktionen seitens der Versicherer. Sie neigen dazu, ihre relativ gesunden Versicherten auf dem Papier möglichst krank erscheinen zu lassen. Einige Krankenkassen trafen Vereinbarungen mit der Ärzteschaft, die dazu führten, dass Ärzte finanziell davon profitierten, wenn sie ihre Patienten kränker aussehen ließen als sie waren.

Die Idee des Gesundheitsfonds, Krankenkassen einen finanziellen Anreiz zu geben, auch überdurchschnittlich Kranke aufzunehmen, ist nicht per se schlecht. Permanent werden der Gesundheitsfonds und die Auszahlungsregeln nachgebessert. Dies ist löblich, doch es ist schwierig, das notwenige Wissen zu erlangen, wie die unterschiedlichen Risiken am besten erfasst und vergütet werden. Allerdings gibt es eine Alternative, die das leisten kann: Risikoäquivalente Versicherungsprämien.

Dezentrales Wissen der Versicherten und Versicherungen nutzen

Risikoäquivalente Versicherungsprämien ergeben sich aus dem Wettbewerb verschiedener Anbieter für Versicherungsleistungen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Politiker und Regulierer in den Ministerien sowie Verbänden die optimale Struktur des Gesundheitsfonds auf dem Reisbrett ersinnen, sondern nutzen das dezentrale Wissen der Versicherten und der verschiedenen Versicherungsanbieter.

Wir kennen risikoäquivalente Prämien von KFZ-Versicherungen und den privaten Krankenkassen. Vor Versicherungsbeginn werden auf Grundlage des Gesundheitszustandes die zu erwartenden Gesundheitsausgaben und damit der individuelle monatliche Beitrag berechnet. Die Versicherungen haben dabei einen Anreiz, diese möglichst akkurat zu berechnen, da sie im Wettbewerb mit anderen Versicherungen um Kunden stehen. Veranschlagen sie zu hohe Prämien, werden sie von einer anderen Versicherung unterboten. Unterschätzen sie systematisch das Risiko ihrer Versicherten, können sie nicht dauerhaft bestehen.

Die risikoäquivalenten Prämien sind daher Marktpreise mit entsprechenden Signalwirkungen für Versicherte und Versicherer. Risikoäquivalente Prämien führen dazu, dass es für Krankenversicherungen auch attraktiv ist, kranke Menschen zu versichern und ihnen attraktive Leistungen zu bieten.

Risikoäquivalente Prämien in der gesetzlichen Krankenversicherung

Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auf risikoäquivalente Beiträge umgestellt werden. Menschen, die auf Grund ihrer finanziellen Situation mit der Zahlung ihres Beitrags überfordert wären, sollte durch höhere Sozialtransfers beziehungsweise niedrigere Steuern geholfen werden.

Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger könnten bei der Zahlung der risikoäquivalenten Prämien durch anteilige Beihilfe durch den Staat unterstützt werden. Dies würde dazu führen, dass auch Hilfsbedürftige mit hohen Prämien entsprechend höhere Krankenkassenbeihilfen erhielten. Dennoch sollten die Kosten für die Prämie nicht zu 100 % übernommen werden, da sonst die Versicherten kein Interesse hätten, in eine günstigere Versicherung zu wechseln.

Ein höheres Maß an Umverteilung als heute würde durch die anteilige Übernahme der risikoäquivalenten Prämien nicht etabliert. Heute werden die Kosten für Menschen mit einem höheren Gesundheitsrisiko in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich verschleiert. Die risikoäquivalenten Prämien würden verhindern, dass es zu einer für kranke Menschen ungünstigen Risikoselektion kommt. Bisher von den Kassen geschmähte Versicherte mit ungünstigen Gesundheitsrisiken würden zu gefragten Kunden und könnten sich über attraktivere Leistungen freuen.

Zweiklassenmedizin abschaffen: Upgrades statt Vereinheitlichung

Der Weg aus der Zweiklassenmedizin sollte zu Upgrades des Versicherungsschutzes für die gesetzlich Versicherten führen, nicht zu der im Rahmen einer Bürgerversicherung angestrebten Vereinheitlichung. Risikoäquivalente Beiträge zu den gesetzlichen Krankenversicherungen würden den Versicherern Anreize geben, um Junge und Alte sowie Gesunde und Kranke gleichermaßen zu konkurrieren – zum Vorteil aller Versicherten. Zudem käme es nicht länger zu einer Einkommensumverteilung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Diese Aufgabe würde stärker und transparenter als heute durch Steuern und Transfers erfolgen.

Von den Umverteilungszielen befreit, spricht ferner nichts dagegen, aus den gesetzlichen Krankenkassen private Versicherer zu machen – ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder ohne. Denn private Versicherer müssen sich stärker als staatliche Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen.

 

 

Zuerst erschienen bei IREF.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Die sogenannte Bürgerversicherung ist seit der Bundestagswahl 2017 wieder ein großes Thema in der Sozialpolitik. Doch anstatt zu versuchen, mehr Umverteilung in das Versicheurngssystem einzubauen, sollte man auf risikobasiertes Pricing setzen. Dadurch können Wettbewerb und Effizienz der Krankenkassen gesteigert werden. Sozial schwachen Haushalten könnte mit steuerlicher Umverteilung der Beitrag bezuschusst werden. Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD Anfang des Jahres haben das Thema Krankenkassen wieder auf die Agenda gebracht. Befürworter einer Bürgerversicherung wünschen sich unter anderen mehr Umverteilung im Rahmen der dann für alle verpflichtenden gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch als Umverteilungsinstrumente sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht attraktiv. Das Steuer- und Sozialsystem ist für diese Aufgabe deutlich besser geeignet. Deshalb sollten die Prämien der gesetzlichen Krankenkassen – wie im Fall der privaten Krankenkassen – auf individuellen Krankheitsrisiken basieren und nicht auf der Höhe der Arbeitseinkommen ihrer Versicherten.

Krankenkassen: Unattraktiv als Umverteilungsvehikel

Derzeit steigen die Beiträge von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze proportional mit dem Lohneinkommen. Dadurch wird auf Grundlage der Arbeitseinkommen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen umverteilt – schon heute. Eine Bürgerversicherung, die für alle verpflichtend wäre und möglicherweise keine Beitragsbemessungsgrenze aufwiese, würde zu mehr Umverteilung dieser Art durch die gesetzlichen Krankenversicherungen führen.

 

Die durch die gesetzlichen Krankenversicherungen herbeigeführte Umverteilung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Die vom Arbeitseinkommen abhängige Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bemisst die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherten nicht treffsicher. So wird zum Beispiel Einkommen aus Vermögen nicht erfasst.

Das Gesamteinkommen zur Beitragsbemessungsgrundlage zu machen, wie es in manchen Bürgerversicherungsmodellen vorgeschlagen wird, ist keine attraktive Alternative. Denn die innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen herbeigeführte Umverteilung könnte im besten Fall die durch das Steuer- und Sozialsystem mögliche Umverteilung replizieren. Dies wäre der Fall, wenn die Krankenkassen die gleichen Informationen über die finanzielle Situation der Versicherten hätten wie die Finanz- und Sozialämter. Allerdings entstünden erhebliche Verwaltungskosten, wenn die gesetzlichen Krankenkassen neben ihrem Haupttätigkeitsfeld Aufgaben der Finanz- und Sozialämter übernehmen würden.

Krankenkassen sollten sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Versicherung von Gesundheitsrisiken. Dafür sind Krankenkassen Experten, nicht für Umverteilung.

Fragwürdiger Einsatz von Beitragsmitteln

Die lohnabhängigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bringen weitere unerwünschte Effekte mit sich. Die Versicherungen wenden Ressourcen auf, um möglichst junge, gutverdienende Versicherte zu gewinnen. Sie verursachen nur wenig Kosten und sorgen durch die lohnabhängigen Beiträge für sprudelnde Einnahmen. Krankenkassen werben um die junge gesunde Klientel, indem sie beispielsweise für gesunde Versicherte besonders attraktive Zusatzleistungen wie kostenlose Bonus- oder Fitnessprogramme anbieten.

Dagegen versuchen gesetzliche Krankenkassen, obwohl sie keine Versicherten ablehnen dürfen, Menschen mit hohen Krankheitsrisiken abzuschrecken. So berichtete das Bundesversicherungsamt im Jahre 2012, dass einige Krankenkassen ihren Vertriebsmitarbeitern keine Prämien für die Werbung einkommensschwacher oder kranker Versicherten zahlten.

Krankenkassen haben nicht nur ein Interesse, die Aufnahme teurer Versicherter zu verhindern. Das Bundesversicherungsamt berichtete weiter, dass einige Krankenkassen versucht haben sollen, behinderte und chronisch kranke Versicherte per Telefon zur Kündigung zu bewegen.

Sisyphusarbeit Gesundheitsfonds

Diese Probleme hat die Politik erkannt und versucht solchen Anreizen zu begegnen, indem der 2009 eingeführte und vom Bund finanziell bezuschusste Gesundheitsfonds für kränkere Versicherte mehr an die Krankenkassen zahlt als für gesunde. Leider führte dies zu unerwünschten Reaktionen seitens der Versicherer. Sie neigen dazu, ihre relativ gesunden Versicherten auf dem Papier möglichst krank erscheinen zu lassen. Einige Krankenkassen trafen Vereinbarungen mit der Ärzteschaft, die dazu führten, dass Ärzte finanziell davon profitierten, wenn sie ihre Patienten kränker aussehen ließen als sie waren.

Die Idee des Gesundheitsfonds, Krankenkassen einen finanziellen Anreiz zu geben, auch überdurchschnittlich Kranke aufzunehmen, ist nicht per se schlecht. Permanent werden der Gesundheitsfonds und die Auszahlungsregeln nachgebessert. Dies ist löblich, doch es ist schwierig, das notwenige Wissen zu erlangen, wie die unterschiedlichen Risiken am besten erfasst und vergütet werden. Allerdings gibt es eine Alternative, die das leisten kann: Risikoäquivalente Versicherungsprämien.

Dezentrales Wissen der Versicherten und Versicherungen nutzen

Risikoäquivalente Versicherungsprämien ergeben sich aus dem Wettbewerb verschiedener Anbieter für Versicherungsleistungen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Politiker und Regulierer in den Ministerien sowie Verbänden die optimale Struktur des Gesundheitsfonds auf dem Reisbrett ersinnen, sondern nutzen das dezentrale Wissen der Versicherten und der verschiedenen Versicherungsanbieter.

Wir kennen risikoäquivalente Prämien von KFZ-Versicherungen und den privaten Krankenkassen. Vor Versicherungsbeginn werden auf Grundlage des Gesundheitszustandes die zu erwartenden Gesundheitsausgaben und damit der individuelle monatliche Beitrag berechnet. Die Versicherungen haben dabei einen Anreiz, diese möglichst akkurat zu berechnen, da sie im Wettbewerb mit anderen Versicherungen um Kunden stehen. Veranschlagen sie zu hohe Prämien, werden sie von einer anderen Versicherung unterboten. Unterschätzen sie systematisch das Risiko ihrer Versicherten, können sie nicht dauerhaft bestehen.

Die risikoäquivalenten Prämien sind daher Marktpreise mit entsprechenden Signalwirkungen für Versicherte und Versicherer. Risikoäquivalente Prämien führen dazu, dass es für Krankenversicherungen auch attraktiv ist, kranke Menschen zu versichern und ihnen attraktive Leistungen zu bieten.

Risikoäquivalente Prämien in der gesetzlichen Krankenversicherung

Die gesetzliche Krankenversicherung sollte auf risikoäquivalente Beiträge umgestellt werden. Menschen, die auf Grund ihrer finanziellen Situation mit der Zahlung ihres Beitrags überfordert wären, sollte durch höhere Sozialtransfers beziehungsweise niedrigere Steuern geholfen werden.

Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger könnten bei der Zahlung der risikoäquivalenten Prämien durch anteilige Beihilfe durch den Staat unterstützt werden. Dies würde dazu führen, dass auch Hilfsbedürftige mit hohen Prämien entsprechend höhere Krankenkassenbeihilfen erhielten. Dennoch sollten die Kosten für die Prämie nicht zu 100 % übernommen werden, da sonst die Versicherten kein Interesse hätten, in eine günstigere Versicherung zu wechseln.

Ein höheres Maß an Umverteilung als heute würde durch die anteilige Übernahme der risikoäquivalenten Prämien nicht etabliert. Heute werden die Kosten für Menschen mit einem höheren Gesundheitsrisiko in der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich verschleiert. Die risikoäquivalenten Prämien würden verhindern, dass es zu einer für kranke Menschen ungünstigen Risikoselektion kommt. Bisher von den Kassen geschmähte Versicherte mit ungünstigen Gesundheitsrisiken würden zu gefragten Kunden und könnten sich über attraktivere Leistungen freuen.

Zweiklassenmedizin abschaffen: Upgrades statt Vereinheitlichung

Der Weg aus der Zweiklassenmedizin sollte zu Upgrades des Versicherungsschutzes für die gesetzlich Versicherten führen, nicht zu der im Rahmen einer Bürgerversicherung angestrebten Vereinheitlichung. Risikoäquivalente Beiträge zu den gesetzlichen Krankenversicherungen würden den Versicherern Anreize geben, um Junge und Alte sowie Gesunde und Kranke gleichermaßen zu konkurrieren – zum Vorteil aller Versicherten. Zudem käme es nicht länger zu einer Einkommensumverteilung im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Diese Aufgabe würde stärker und transparenter als heute durch Steuern und Transfers erfolgen.

Von den Umverteilungszielen befreit, spricht ferner nichts dagegen, aus den gesetzlichen Krankenkassen private Versicherer zu machen – ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder ohne. Denn private Versicherer müssen sich stärker als staatliche Unternehmen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen.

 

 

Zuerst erschienen bei IREF.