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Photo: John Erlandsen from Flickr (CC BY 2.0)

Nicht jeder Beschluss, den ein Verfassungsorgan fällt, wird morgen in ein Gesetz gegossen. Aber die Basis ist dafür gelegt. Wenn Bundestag oder Bundesrat daher etwas beschließen, ist das nicht zu vernachlässigen. Jetzt hat letzterer in einem Beschluss die EU-Kommission aufgefordert, „die bisherigen Steuer- und Abgabenpraktiken der Mitgliedstaaten auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Förderung emissionsfreier Mobilität auszuwerten …, damit spätestens ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden“. Wahrscheinlich ist in der EU, erst recht in Deutschland, kein Wirtschaftszweig für die Wertschöpfung und die Beschäftigungssituation so wichtig wie die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. In Deutschland arbeitet jeder siebte Arbeitnehmer direkt oder mittelbar in der Automobilindustrie. Auch Spanien hat eine starke Autoindustrie. Der derzeitige Aufschwung wird alleine von ihr getragen. Italien und Frankreich wären längst ökonomisch implodiert ohne Fiat, Renault, Peugeot und Citroën. In der Slowakei, Tschechien und Polen hat die Automobilindustrie eine dominierende Rolle. Dabei sind es nicht nur die OEMs wie VW, Mercedes oder BMW, die von Bedeutung sind, sondern deren unzählige Zulieferer, die Kolben, Nockenwellen, Zündkerzen, Einspritzdüsen, Zylinder, Ölwannen, Kurbelwellen oder Auspuffe produzieren.

Es ist daher erschreckend, zu welchen Weichenstellungen die Politik willens und in der Lage ist. Dabei ist es nicht der Punkt, dass Unternehmen keine Garantie für ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung haben. In einer Marktwirtschaft kann es das nicht geben. Will ein Unternehmen dauerhaft überleben, muss es sich an die veränderten Wünsche seiner Kunden anpassen, sonst verschwindet es vom Markt. Dafür gibt es historisch viele Beispiele. Quelle und Neckermann gibt es heute nicht mehr, weil sie den Online-Handel verschlafen haben. Nokia hat den Trend zum Smartphone nicht rechtzeitig vollzogen. AEG und Dresdner Bank existieren heute ebenfalls nicht mehr. Es ist der Lauf der Zeit, doch diese Kapitalvernichtungen sind durch unternehmerische Fehlentscheidungen und Versagen verursacht und nicht durch staatliche Intervention. Jetzt schickt sich der Staat an, zu wissen welche Autos in 14 Jahren (!) hergestellt werden. Es ist die Einführung einer zentralen Planwirtschaft durch die Hintertür. Es wird grandios scheitern, weil kein Regierender wissen kann, welche Technologie sich in der Automobilindustrie durchsetzt. Ohne eine Wettbewerbsprozess werden gigantische Fehlinvestitionen ausgelöst, die Europa auf Jahrzehnte zurückwerfen werden.

Doch das eigentlich Erschreckende ist, dass sich in der Automobilindustrie und in den sich anschließenden Industrien kein Widerstand regt. Deren Vorstände und Eigentümer nehmen diese Beschlüsse hin, grummeln und empören sich in den Hinterzimmern, aber suchen nach wie vor die Nähe zu den Handelnden in der Politik. Sie freuen sich, wenn die Bundeskanzlerin, der Wirtschaftsminister oder der Ministerpräsident sie zu Auslandsreisen mitnimmt und sie zum vertraulichen Abendessen eingeladen werden. Daimler-Benz spendet den Grünen sogar einen sechsstelligen Betrag, obwohl diese Partei ihre Lebensgrundlage zerstören wird. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt unzählige Beispiele dafür wie Unternehmen Parteien, Umweltverbände und Aktionsplattformen unterstützen, die eigentlich diesen Unternehmen schaden. Sie glauben wohl, dass durch eine Art Ablasshandel ihr Schaden minimiert werden kann.

Die Folge ist, dass der Staat sich immer mehr einmischt. Die wenigen Freiheitsgrade in der Wirtschaft sollten die Unternehmer eigentlich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Im Verlauf geschieht dies sicherlich auch. Wahrscheinlich werden Unternehmen, Unternehmensverbände und Gewerkschaften durch einen intensiven Lobbyingprozess erreichen, dass der verbindliche Umstieg auf Elektroautos nicht schon 2030 erfolgt, sondern erst 2032, 2035 oder vielleicht auch erst 2040. Das lässt die Übergangsphase verträglicher werden. Das Ergebnis ist aber letztlich das Gleiche.

Es braucht daher einen Mentalitätswechsel. Doch woher soll der Mentalitätswechsel kommen, wenn selbst die Unternehmer in diesem Land sich ihrem vermeintlichen Schicksal ergeben? Darüber hinaus ist ein Mentalitätswechsel viel schwieriger als die Begleitung eines Gesetzgebungsprozesses oder das Protegieren einer Regierung. Er erfordert ein viel früheres Eingreifen. Es muss in erster Linie die Erkenntnis reifen, dass eine gesellschaftliche Veränderung nicht vom Himmel fällt oder ein reiner Zufall ist, sondern Folge eines langfristigen gesellschaftlichen Trends. Auch die heutige Situation, die letztlich zum Bundesratsbeschluss geführt hat, ist Ergebnis eines Trends. Dieser Trend wurde in den 1960er Jahren begonnen. Es war der Kampf der Linken gegen den alten liberalen Begriff der Zivilgesellschaft. Deren Ziel war es, den liberalen Rechtsstaat in den allumfassenden Sozialstaat zu transformieren. Der liberale Rechtsstaat ist in seiner klassischen Version geprägt durch Institutionen wie Privateigentum, Vertrags- und Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit, aber auch durch die Autonomie der Familie und die Gewissenfreiheit. Diese Institutionen sind im liberalen Rechtsstaat von der Herrschaft anderer geschützt.

In unserer heutigen paternalistischen Scheinmoderne werden diese Institutionen jedoch fortwährend geschleift und zermürbt. In seiner Kurzform lautet dieser Angriff auf die Zivil- und Privatrechtsgesellschaft: Eigentum ist Diebstahl und Familie ist ein Unterdrückungsapparat. Jede Fehlentwicklung im Einzelnen, also im Unternehmen oder in der Familie wird dazu benutzt, dies mit für alle freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu beantworten.

Dadurch weist der paternalistische Staat in der neuen Zivilgesellschaft dem Individuum Freiräume und Eigentumsrechte zu. Es ist eine Art Gutsherrenmentalität, die der Staat gegenüber seinen Bürgern hier zum Ausdruck bringt. Der Staat entscheidet nach öffentlicher Beratschlagung im angeblichen herrschaftsfreien Diskurs sogar über die künftige Entwicklung aller Individuen einer Gesellschaft, was dann als die Umsetzung emanzipatorischer gesellschaftlicher Projekte und als kollektiver Selbstbefreiungsprozess gefeiert wird. Unter der Tarnkappe „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ werden so institutionelle Grundsäulen einer freien und offenen Gesellschaft angegriffen.

Auf diese Weise wird der Staat, der eigentlich die Aufgabe hat, das Individuum vor Willkür zu schützen, für gesellschaftliche Projekte sogenannter „Träger der Zivilgesellschaft“ missbraucht. Der demokratische Staat verliert so seinen Anspruch, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat zu sein. Recht und Freiheit werden so kampflos aufgegeben.

Wir haben es in unserer Gesellschaft inzwischen mit einer strukturellen Mehrheit zu tun, die ein antiliberales „mentales Modell“ verinnerlicht hat. Der Nobelpreisträger Douglass C. North spricht von „Shared Mental Models“, von „gemeinsamen mentalen Modellen“, um einen institutionellen Wandel in einer Gesellschaft zu analysieren. Neben einer Theorie der Eigentumsrechte und einer Theorie des Staates muss darin eine Theorie der Ideologie berücksichtigt werden. Diese gemeinsamen mentalen Modelle sind sehr langlebig und kurzfristig nicht veränderbar. Wenn man diese Entwicklung ändern will, dann setzt es einen Prozess kultureller Evolution voraus, in dem sich neue gemeinsame mentale Modelle bilden und behaupten müssen. Dieser Prozess muss von den verbliebenen und von neuen bürgerlich-liberalen Kulturträgern angestoßen werden. Davon gibt es noch einige. Prometheus gehört dazu. Aber ob dies zur Verschiebung der Verhältnisse führen wird, ist völlig offen und hängt davon ab, ob diese sich überall entwickelnden Freiheitsinseln überzeugend und anziehend genug sind, um im in der Auseinandersetzung mit den Gegnern des liberalen Rechtsstaates zu bestehen.

Es ist also unsere Aufgabe, starke Freiheitsinsel zu entwickeln. Nur wenn es gelingt, ein gemeinsames mentales Modell durchzusetzen, das den freiheitlichen Rechtsstaat zum Ziel hat, sind auch langfristig die Rechte des Einzelnen gesichert. Denn ohne Vertragsfreiheit und Eigentumsschutz werde die Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen unvermindert fortschreiten und die Marktwirtschaft unweigerlich in ein neuzeitliches Modell zentraler Planwirtschaft verwandeln. Dazu braucht es Mut, Entschlossenheit und eine langen Atem.

Photo: Picturepest from Flickr (CC BY 2.0)

Es ist immer Vorsicht geboten, wenn man von einem Einzelfall auf die Gesamtheit schließt. Deshalb ist in der Finanzkrise ein einfaches Bankenbashing zu einfach. Die allermeisten Institute und ihre Mitarbeiter haben vor und während der Finanzkrise einen guten Job gemacht. Doch wie überall, gibt es auch im Finanzsektor schwarze Schafe. Vielleicht sogar dort ein paar mehr. Seit 2007 musste der Steuerzahler für die IKB, die zahlreichen Landesbanken, die Hypo Real Estate und die Commerzbank einspringen. Für letztere allein mit 18 Milliarden Euro Kapitalhilfen und 15 Milliarden Euro Staatsgarantien. Heute ist die Commerzbank immer noch nicht über den Berg und entläßt fasst jeden vierten Mitarbeiter. Das ist wahrlich kein Pappenstiel.

Die Lehre daraus war, die Banken eng an die Kandare zu nehmen. Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft, die Bankenaufsicht neu geordnet und ein Bankenabwicklungsregime beschlossen. Das Ziel sollte sein, dass nie wieder der Steuerzahler durch die drohende Insolvenz einer Bank erpresst werden kann. Stattdessen sollten, wie auch sonst üblich in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, die Eigentümer und Gläubiger haften. Erst wenn das alles nicht ausreicht, sollte der Staat und damit die Steuerzahler herangezogen werden dürfen. Dafür erfand man gleich auch einen neuen Fachbegriff – die Haftungskaskade.

Bislang erinnerten diese neuen Instrumente an Trockenschwimmen. Der Praxistest blieb bislang glücklicherweise aus. Ob der Instrumentenkatalog der Realität standhalten würde, ist jedoch fraglich. Schon die Urthese, dass die Banken aus Krise gelernt hätten, muss man bezweifeln. So wurde in dieser Woche bekannt, dass die Deutsche Bank 2013 der italienischen Skandal-Bank Monte dei Paschi mit Derivate-Geschäften geholfen habe, Transaktionen in Milliardenhöhe an den Bücher vorbei zu schleusen. Das erinnert ganz an die Buchungstricks Griechenlands, die Anfang des Jahrtausends Goldman Sachs eingefädelt hatte, deren Europa-Chef der heutige EZB-Präsident Mario Draghi war. Letztlich führten die geschönten Verschuldungszahlen der Hellenen dazu, dass sie mit offenen Armen in die Euro-Zone aufgenommen wurden. Der damalige Finanzminister Hans Eichel lobte im Bundestag die großen Reformanstrengungen der griechischen Regierung mit den Worten: „Wir haben allen Grund Griechenland zu diesem Erfolg zu gratulieren.“ Das ist inzwischen 16 Jahre her.

Anders als in den USA müssen heimische Banken und ihre Vorstände durch die Finanzaufsicht nicht mit drakonischen Strafen rechnen. Die deutsche Aufsicht BaFin ist bekannt, dass sie mit Strafen und Bußgeldern sehr zurückhaltend ist. Zu besserem moralischen Handeln der Banken hat das neue Regelwerk also nicht geführt. Die Frage ist, ob im Ernstfall wenigstens die Haftungskaskade zieht: Also werden die Eigentümer und Gläubiger zwingend herangezogen, bevor der Staat und damit die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden? Hier genügt ein Blick ins Gesetz. Das Abwicklungsgesetz (genau BRRD-Umsetzungsgesetz) vom 10. Dezember 2014 regelt in Paragraph 92 die Ausnahmen von der Haftungskaskade. Darin heißt es lapidar: „Die Abwicklungsbehörde kann im Einzelfall bestimmte berücksichtungsfähige Verbindlichkeiten … ganz oder teilweise aus dem Anwendungsbereich des Instruments der Gläubigerbeteiligung ausschließen …“. Dies ist unter anderem deshalb möglich, „um die Gefahr einer Ansteckung zu vermeiden …“.

Das Problem ist: mit der Ansteckungsgefahr ist bislang jede Staatsintervention bei einer drohenden Bankeninsolvenz begründet worden. Immer wird in dieser Situation der Untergang der Weltwirtschaft heraufbeschworen. So war es bei der kleinen Industriekreditbank in Düsseldorf 2007, bei den Banken in Zypern 2012 und eben auch bei jeder mittelgroßen Bank, die es heute erwischen würde. Die Regeln taugen nicht. Es braucht ein Abwicklungsregime, das insolvente Banken tatsächlich abwickelt, Vorstände, Eigentümer und Gläubiger grundsätzlich in Haftung nimmt und gleichzeitig den Zahlungsverkehr über die Notenbank aufrecht erhält. Das alles ist möglich, erfordert aber politische Entschlossenheit und Rückgrat. Bislang fehlt es daran und deshalb sind die Regeln nur weiße Salbe. Deshalb gilt: Wer heute glaubt, das Bankensystem sei für den Steuerzahler stabiler und sicherer geworden, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Erstmal erschienen am 8. Oktober 2016 in der Fuldaer Zeitung.

Photo: Snake3yes from Flickr (CC BY 2.0)

Als die Bürger des Städchens Hornberg im Schwarzwald 1564 ihren Landesherren, den Herzog von Württemberg, standesgemäß mit Salutschüssen empfangen wollten, stellte sich nach den ersten Salutschüssen heraus, dass die Staubwolke am Horizont nicht dem Tross des Herzogs zuzuordnen war, sondern eine einfache Postkutsche. Friedrich Schiller nahm das Ereignis in sein Schauspiel „Die Räuber“ dankbar auf. Seitdem ist das „Hornberger Schießen“ Teil des deutschen Sprachschatzes. Immer dann, wenn etwas groß angekündigt wird und ohne Ergebnis endet, nutzt man das Sprachbild und alle wissen anschließend Bescheid. In dieser Woche ist das Hornberger Schießen wieder aktuell. Es geht um den Euro – wieder einmal. Und es endet, so meine Prognose – wieder einmal – wie das Hornberger Schießen.

Erst hat der US-Ökonom Joseph Stiglitz in einem Interview mit der „Welt“ den Austritt Italiens aus der Euro-Zone für wahrscheinlich erklärt. Mit Selbstverständlichkeiten hat er seine These untermauert. Die Krise der italienischen Wirtschaft, die Probleme der dortigen Banken mit faulen Krediten und der hohe Stand der Arbeitslosigkeit würde den Glauben der Italiener an den Euro untergraben. Er erwartet nicht, dass die europäische Politik die immer noch kriselnde Euro-Zone langfristig retten kann. Der notwendige Reformwille sei gerade in Italien nicht vorhanden. Die notwendige Schaffung einer Bankenunion oder einer gemeinsamen Einlagensicherung seien nicht durchsetzbar. Um es sarkastisch auszudrücken: Ich wäre da nicht so pessimistisch.

Die Bankenunion und die gemeinsame Einlagensicherung werden kommen, wesentliche Teile der Bankenunion sind sogar bereits realisiert. Trotz aller Dementis von Wolfgang Schäuble wird Deutschland im Europäischen Rat die gemeinsame Einlagensicherung im Euro-Club nicht verhindern können. Es gibt kein Einstimmigkeitsprinzip bei dieser Entscheidung. Eine qualifizierte Mehrheit wird Deutschland letztlich überstimmen. Fast alle anderen Länder in der Eurozone haben ein großes Interesse an der gemeinsamen Ausfallversicherung für Sparguthaben. Die Folge wird sein, dass deutsche Sparer dann für die Sparguthaben in Italien, Spanien und Griechenland in Mithaftung genommen werden. Die Krise der Deutschen Bank dient vielleicht als Vorlage im Finanzministerrat, um Druck auf Deutschland auszuüben, nach dem Motto: Es könnte auch mal euch treffen.

Was Stiglitz sicherlich weiß, aber nicht sagt, ist, dass der Euro nicht durch Bankenunion oder Einlagensicherung am Leben erhalten wird, sondern alleine und ausschließlich durch die EZB. Deshalb sollte man in sich hineinlachen, wenn die Nachrichtenagentur Bloomberg aus vertraulichen Quellen der EZB zu wissen glaubt, dass dort über den Ausstieg aus dem Anleihenprogramm diskutiert wird. Auch hier muss an das Hornberger Schießen erinnert werden. Als die Bürger Hornbergs erneut eine Staubwolke am Horizont sahen, luden sie ihre Kanonen erneut und feuerten. Aber auch dieses Mal war des nicht der heranziehende Herzog, sondern nur eine Rinderherde. So ist es auch mit den Auguren in der EZB.

Die Notenbanken, also nicht nur die EZB, wird auf Dauer ihre Politik nicht verändern. Sie besteht aus drei wesentlichen Faktoren. Zum einer faktisch unbegrenzten Versorgung der Banken mit Liquidität durch Zentralbankgeld. Des Weiteren aus einer faktischen Nullzinspolitik des Notenbankzinses. Und Drittens aus einem Ankauf von Anleihen, also Schulden von Staaten, Banken und Unternehmen. Ersteres dient dazu, Banken über Wasser zu halten, damit dort keine Illiquidität entsteht. Die Nullzinspolitik und der Ankauf von Schulden dient dazu, die Zinsen am kurzen und langen Ende niedrig zu halten. Das soll zweierlei bewirken. Zum einen sollen die Krisenstaaten ihren wachsenden Schuldenberg einfacher finanzieren können und zweitens sollen Banken mehr Kredite an Unternehmen vergeben, damit diese mehr investieren.

Auf der einen Seite ist die EZB damit erfolgreich. Es gelingt den Eurostaaten tatsächlich, ihren Schuldenberg leichter zu finanzieren. Daher steigt er auch unaufhaltsam und erzeugt damit neue Probleme. Die Krisenstaaten hatten noch nie so viele Schulden. Die gesamte Eurozone ist inzwischen mit über 90 Prozent zur Wirtschaftsleistung verschuldet. Doch genau das gefährdet den Aufschwung. Der IWF hat dies in dieser Woche auch global festgestellt. Nach dessen Fiscal-Monitor-Bericht hat sich die weltweite Verschuldung seit der Jahrhundertwende verdoppelt und beträgt jetzt 225 Prozent der jährlichen Wertschöpfung auf der Welt. Der europäische Bankensektor schiebe faule Kredite von 900 Milliarden Dollar vor sich her. Die Niedrigzinspolitik würde die Solvenz von Pensionskassen und Lebensversicherern gefährden, schreibt der IWF jetzt. Über diese Einsicht muss man sich wundern. Hat doch der IWF 2010 die Pleite Griechenlands mit Milliarden Euros verhindert. Eigentlich kritisiert er seine eigene Politik.

Deshalb nochmals zurück zum Städtchen Hornberg im schönen Schwarzwald. Als der Herzog endlich eintraf und die Bürger der Stadt erneut die Kanonen laden wollten, war das Pulver bereits verschossen. Was können Joseph Stiglitz, die EZB und der IWF daraus lernen? Anders als in Hornberg kann die EZB immer neues Schießpulver produzieren. Sie kann unendlich Geld direkt und indirekt produzieren und dies Banken und Unternehmen zur Verfügung stellen. Doch dieses Geld verliert dann immer mehr an Qualität. Sie „verunreinigt“ das Geld, so wie man auch Schießpulver strecken kann. Die Gefahr ist, dass die Kanonen irgendwann nicht mehr schießen, so wie in Hornberg.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick am 06. Oktober 2016.

Photo: Consorcio Provincial Bomberos Valencia from Flickr (CC BY 2.0)

Vieles an den Finanzmärkten erinnert derzeit an das Jahr 2007. Damals kriselte es im Bankensektor. Mit der IKB und der SachsenLB strauchelten die ersten kleineren Institute und erhielten Staatshilfen. Im heutigen Maßstab sind das „Pommesbuden“. Gleichzeitig tobte eine Übernahmewelle in der Industrie. Der kleine Sportwagenhersteller Porsche, der bis dahin überwiegend nur Zweisitzer produzieren konnte, setzte an, mit VW einen der größten Automobilkonzerne der Welt zu übernehmen. Kurze Zeit später wollte der Automobilzulieferer Schaeffler den dreimal größeren Reifenhersteller Continental kaufen. Das Platzen der Finanzblase im Zuge der Lehman-Pleite brachte beide Projekte in Gefahr. Sie waren fast ausschließlich fremdfinanziert und die Sicherheiten brachen durch den Börsencrash weg. Es waren wahrlich keine normalen Zeiten. Nur durch Glück haben beide Unternehmen dies überlebt, Porsche im warmen Schoß von VW und Schaeffler durch einen späteren Börsengang.

Es waren auch deshalb ungewöhnliche Zeiten, weil Banken die Eigentümer von Industrieunternehmen „bequatschten“, zur Übernahme eines wesentlich größeren Wettbewerbers unkalkulierbare Risiken einzugehen. Banken konnten faktisch unbegrenzt Kredite für diese Übernahmen zur Verfügung stellen. So eine Situation lockte zwangsläufig Hasardeure an.

Neun Jahre später, 2016, erinnert wieder vieles an damals. Heute kriseln die Banken wieder. Die Deutsche Bank muss sich mit Milliarden-Klagen und einem wachsenden Bedeutungsverlust herumschlagen. Seit Tagen bricht ihr Börsenkurs immer stärker ein. Sollte der Staat nicht einspringen können oder wollen, dann ist es wohl nur eine Frage der Zeit bis sie von einer großen amerikanischen Bank geschluckt wird. Die zweite große Bank in Deutschland, die Commerzbank, kommt seit Jahren nicht aus dem Quark. Sie will sich jetzt erneut gesundschrumpfen, nachdem sie seit 2008 bereits über 18 Milliarden Euro Kapitalhilfen und 15 Milliarden Garantien vom Staat erhalten hat. Gebracht hat es ihr wenig. Aus der erdrückenden Umklammerung des Staates kommt sie wahrscheinlich nicht mehr heraus.

Kennzeichen für die Übertreibungen der Finanzmärkte sind auch heute wieder die wachsenden Übernahmen. Bereits im letzten Jahr nahmen die weltweiten Fusionen und Übernahmen um 43 Prozent auf einen Rekordwert von 4,5 Billionen Dollar zu. Dieser Trend setzt sich in diesem Jahr fort, insbesondere in Deutschland: Bayer übernimmt Monsanto für 66 Milliarden Dollar, 86 Prozent bankenfinanziert. Der Medizinkonzern Fresenius übernimmt für 5,8 Milliarden Euro den größten spanischen Klinikbetreiber Quirónsalud, ebenfalls überwiegend bankenfinanziert. Und der Kölner Chemieriese Lanxess übernimmt für 2,4 Milliarden Euro den amerikanischen Wettbewerber Chemtura. Auch diese Übernahme wird durch Banken zwischenfinanziert und anschließend überwiegend durch Unternehmensanleihen abgelöst.

Zwei Entwicklung prägen beide Epochen. Zum einen ist es die wachsende Schwäche des Bankensektors, der durch das Wegbrechen von klassischen Geschäftsfeldern wie dem Einlagegeschäft verstärkt in die Finanzierung von Unternehmensübernahmen und -fusionen einsteigt. Der Ertragsdruck der Banken und die auf der anderen Seite geringen Fremdfinanzierungskosten der Unternehmen führen zu einer wachsenden Übernahmebereitschaft. Sie funktioniert aber nur in normalen Zeiten. Nur wenn die Sicherheiten der Finanzierung durch Bankkredit so werthaltig sind wie angedacht, funktioniert das Geschäft. Sollten die Börsen sich auf breiter Front korrigieren, schwinden die Sicherheiten wie Eis in der Sonne und werden zu einem systemischen Problem. Genau davor stehen wir. Wenn es einen globalen Trend zur fremdfinanzierten Übernahme von Unternehmen gibt und die Werthaltigkeit der Sicherheiten am Börsenkurs festgemacht wird, kommt jede mittlere Börsenerschütterung einer Katastrophe gleich. Denn alles ist aktuell nur noch auf Kante genäht.

Die weltweite Verschuldung hat in den Industrieländern in den vergangenen 10 Jahren um 50 Prozent zugenommen. Heute sind diese Länder, ihre Banken, Unternehmen und privaten Haushalte zu fast 400 Prozent zu ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet. Das Problem der Verschuldung und die dahinterstehenden Kredite sind zwar auch deren Höhe, aber viel mehr die verzerrende Wirkung auf die gesamte Wirtschaftsstruktur. Der Kreditboom, der durch das billige Geld der Notenbanken erzeugt wurde, führt zu Investitionen in Kapitalgüter wie Aktien und Immobilien, die es unter normalen Zinsbedingungen nie gegeben hätte. Da immer mehr Glücksritter auf wachsende Preise spekulieren und daher in Kapitalgüter investieren, steigen die Preise von Aktien und Immobilien. Es geht nur so lange gut, wie die Investoren an die Verwirklichung ihrer Projekte glauben. Um diesen Glauben aufrecht zu erhalten, müssen die Notenbanken immer stärker mit billigem Geld intervenieren, ansonsten kommt es flächendeckend zu Konkursen. Es gehört zu den Grundannahmen unseres Geld- und Bankensystems, dass sich das Hamsterrad weiter drehen muss. Sollten die Banken in Deutschland und anderswo tatsächlich in Schwierigkeiten geraten, kann kein Rettungsfonds dieser Welt sie auffangen, sondern die EZB würde wie 2008 erneut eingreifen.
Dieser Verlauf ist systembedingt und das Grundproblem unseres Kreditgeldsystems.

Investitionen finden nicht auf der Grundlage von zuvor gebildeten Sparvermögen statt, sondern beruhen auf Krediten aus dem Nichts, die Banken per Knopfdruck erzeugen. Dieses System ist inhärent instabil, weil die Notenbanken auf eine wachsende Ausweitung der Geld- und Kreditmenge setzen und diesen Prozess direkt und indirekt durch ihre Geldpolitik bestimmen. Doch weder Mario Draghi noch Janet Yellen kennen den richtigen Zins für die Zukunft. Sie haben dieses umfassende Wissen nicht. Deshalb liegen sie immer falsch und müssen sich ständig korrigieren. Beide sind also nicht die Feuerwehr, sondern die Brandstifter der Krise. Sie werfen durch ihre Interventionen sogar ständig neue Brandbeschleuniger ins Feuer in der Hoffnung, mit mehr Feuer den Brand löschen zu können.

Es ist Zeit, endlich über marktwirtschaftliche Alternativen zum derzeitigen Geldsystem zu diskutieren. Die Zinsmanipulierer, die Bankenregulierer, die Staatsintervenierer und die Rettungsfondsinstallierer hatten ihre Chance und sie sind mit ihren Lösungsversuchen keinen Schritt weiter als 2008. Das Finanzsystem ist nicht stabiler, nicht robuster und die Folgen von Bankenpleiten sind nicht geringer geworden. In Erinnerung an den heutigen 135. Geburtstag von Ludwig von Mises kann man diesen Gesellschaftsklempnern nur zurufen: „Ihr seid alle ein Haufen Sozialisten.“

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo: SPÖ Presse und Kommunikation (CC BY-SA 2.0)

Der Links-Populismus wird in Deutschland verklärt. Von rechts kommend ist er verwerflich und wird stigmatisiert. Von links kommend gilt er als hipp und fortschrittlich. Doch der linke und der rechte Populismus sind siamesische Zwillinge, die beide die Freiheit des Einzelnen bedrohen und deshalb eine Gefahr für unsere offene Gesellschaft sind. Populismus ist eine Spielart des Paternalismus, bei der eine Mehrheit den Staat in eine immer größere Betreuungsrolle bringen will. Beide Populismen eint der Weg dorthin. Sie dramatisieren und überspitzen die Lage, um die Gunst der Massen zu gewinnen. Beide Seiten sind Bewunderer der Vergangenheit und der Gegenwart. Und beiden Seiten ist das Neue suspekt. Für beide Seiten ist das Individuum unfähig, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Der politische Populismus von Links und Rechts führt zu Kollektivismus und zu weniger Individualismus. Zu glauben, der Gegensatz von Populismus sei Paternalismus, ist daher völlig falsch. Der paternalistische Staat greift populistische Strömungen auf und nutzt sie, um die staatlichen Aktivitäten auszuweiten. Das wollen die Populisten von Links und Rechts auch. Beide schreiben dem Einzelnen vor, was gut und richtig im Sinne der Massen ist und dafür braucht es den Eingriff des Staates in das Eigentum und in die Vertragsfreiheit. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Beispiel dafür. Er ist zutiefst populistisch, suggeriert er doch, dass es damit Geringverdienern besser geht. Das Ganze wird dann in eine dicke Suppe gerührt, deren Zutaten „wachsende Ungleichheit“, „Umverteilung“, „Vermögensteuer“ und „Rente mit 63“ lauten. Doch es ist längst klar, dass Mindestlöhne Eintrittshürden in den Arbeitsmarkt sind und die Perspektive von Menschen ohne Arbeit eher verschlechtern. Man muss dazu nur die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa betrachten.

Auch die Ablehnung von Freihandelsabkommen ist zutiefst populistisch, weil sie mit dumpfen Ängsten über Gesundheitsgefahren und Verbraucherschutz arbeiten. Die Ablehnung dient wie der Mindestlohn dazu, dass die Masse, über den Staat, den Einzelnen in seinem Handeln einschränkt und behindert. Nicht mehr der Bürger wird betrachtet, ob dieser oder jene ganz bewusst eine Ware aus dem Ausland kaufen will, sondern die Gefühle der Massen werden als Maßstab für die Grundlage individueller Entscheidungen genommen.

Links- und Rechtspopulisten sind Marktabschottungen lieber als der Freihandel. Dazu muss man nur nach Frankreich schauen. Die französischen Rechtspopulisten des Front National um Marine Le Pen argumentieren gegen CETA und TTIP mit den gleichen Argumenten wie hierzulande ATTAC und Campact. Sie wollen ihre Landwirte, ihren Mittelstand und ihre Verbraucher schützen, als gehörten sie ihnen persönlich. Es ist eine Art Leibeigenschaft, die in diesem dumpfen Nationalismus zum Ausdruck kommt. Beide Populismen sind nicht bereit, neuen Ideen eine Chance zu geben. Sie wollen ihr Ideenmonopol durchsetzen und dadurch einen Wettbewerb der Ideen verhindern. Sie glauben, dass an ihrem Wesen die Welt genesen soll.

Der Widerstand gegen den linken Populismus ist bei uns gering. Das hat auch seine Ursache darin, dass große Konzerne in Deutschland die Linkspopulisten von Campact und Co. sogar anfänglich finanziert haben. Da muss man sich nicht wundern, wenn man jetzt aus den Vorstandsetagen nichts hört. Das Aufkommen des Linkspopulismus gerade in Deutschland ist auch ein Versagen der offenen Gesellschaft und deren Eliten. Sie sind nicht bereit mit offenem Visier gegen diesen Trend anzutreten, sondern sie verkriechen sich in ihre Elfenbeintürme und beklagen anschließend das Ergebnis. Doch eine offene Gesellschaft lebt vom Mitmachen, vom Einmischen und von der Macht der Ideen. Wo sind die Vorbilder, die sich dagegenstellen? Wo sind die Herrhausens oder die Rohwedders der heutigen Zeit? Wo sind die Unternehmenslenker, die mutig, entschlossen und wortmächtig gegen diesen Trend öffentlich sich zu Wort melden? Gibt es Sie noch? Es genügt nicht, wenn große Unternehmen teure „Corporate Social Responsibility“-Abteilungen einrichten, aber diese letztlich nur der Imagepflege und Marketing betreiben. Gesellschaftliche Verantwortung sieht anders aus. Die offene Gesellschaft braucht mehr Bekennermut und weniger Zuschauermentalität.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick am 22. September 2016.