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Wer meint, der Sozialismus sei mit dem Tod von Fidel Castro endgültig untergegangen, dem muss man vehement widersprechen. Der Sozialismus lebt. Er lebt in einer neuen Spielart. Er blüht und gedeiht und verdrängt den Kapitalismus und seine Wirtschaftsordnung, die Marktwirtschaft, zunehmend. Nicht durch einen tiefen Einschnitt, wie es der Fall der Mauer für den DDR-Sozialismus war. Nein, der Sozialismus kommt auf Samtpfoten daher, schleichend und aus vielen unterschiedlichen Ecken. Die Saat, die Castro, Che Guevara und andere „Revolutionäre“ in den 1960er und 1970er Jahre in die Köpfe Millionen junger Menschen der westlichen Welt eingepflanzt haben, ist längst aufgegangen.

Vielleicht hat die neue Variante des Sozialismus sogar eine gesellschaftliche Akzeptanz. Heute traut die Mehrheit dem Einzelnen nicht zu oder will ihm nicht zugestehen, selbst über sein Schicksal oder sein Lebensglück zu bestimmen. Es gilt als modern, wenn der Staat nicht nur den Menschen in Existenznot hilft, sondern auch denjenigen, die sich bislang selbst geholfen haben. „Vätermonate“ oder „verpflichtende Kindergartenjahre“ zeigen das. Der Staat übernimmt einen Erziehungsauftrag, den bis dahin die Eltern gegenüber ihren Kindern wahrgenommen haben. Der Staat wird so zum Übervater mit Mutti als Kanzlerin.

Es ist eine Art Scheinmoderne, die uns hier vorgespielt wird. Nicht mehr die kleinste Einheit in der Gesellschaft, der Einzelne oder die Familie, werden vor den Übergriffen der Mehrheit geschützt, sondern unter dem Duktus einer Demokratisierung in allen Lebensbereichen werden die Rechte des Einzelnen immer mehr zurückgedrängt und einer politischen Mehrheitsentscheidung unterworfen.

Diese Entwicklung umfasst nicht nur den engsten Bereich der Familie, sondern hat längst auch die Wirtschaft erreicht. Auch hier wird der einzelne Unternehmer durch politische Mehrheiten im Parlament zum vermeintlichen Glück gezwungen. Auch hier findet letztlich ein Eingriff in die Privatautonomie und das Eigentum statt. Beide werden waidwund geschossen. Wenn Sigmar Gabriel die Übernahme eines heimischen Technologieunternehmens an einen chinesischen Investor verhindern kann und dabei ist, ein Gesetz zur Investitionsprüfung vorzubereiten, das Übernahmen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen unter Zustimmungsvorbehalt der Regierung stellt, ja dann verkommt das Eigentum nur noch zu einer leeren Hülle. Auch auf Kuba gibt es formal noch privates Eigentum.

Gabriels Agieren ist Teil einer Entwicklung, die die Wirtschaft, ihre Verbände und die Gewerkschaften längst erreicht hat. Eine „Verkumpelung“ der Akteure ist die Folge. Zwar sind nur noch etwa zwanzig Prozent der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglieder, dennoch wird die Kungelei der Gewerkschaftsfunktionäre mit den Arbeitgeberverbänden zum Maßstab für alle Arbeitnehmer gemacht. Unternehmer werden mit dem goldenen Zügel in die Tarifbindung gezwungen, um die Existenz der Gewerkschaften trotz schwindender Akzeptanz zu sichern.

Wer sich brav dem Tarifvertrag unterwirft, wird durch Regelungen in der Zeitarbeit, bei der betrieblichen Altersvorsorge oder beim Lohngleichheitsgesetz großzügig belohnt. Den Mindestlohn handeln längst nicht mehr einzelne Unternehmer und Arbeitnehmer aus, sondern die BDA und Gewerkschaften schlagen ihn der Regierung vor. Mehr Korporatismus geht nicht.

Diese „Verkumpelung“ der großen Unternehmen mit den Gewerkschaften und der Regierung ist Kennzeichen dieser „neuen“ Wirtschaftspolitik. Sie passt zur großen Koalition, die Scheingefechte in der Öffentlichkeit führt, in Wirklichkeit sich aber in allen großen Fragen einig ist. Der schleichende Verfassungsbruch ist nicht ohne. Die „negative Koalitionsfreiheit“ ist von unserem Grundgesetz ebenso geschützt wie das Recht, sich als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer aktiv zusammenzuschließen. Sich nicht in das Tarifkartell zu begeben, darf daher nicht diskriminiert werden. Mit Marktwirtschaft hat diese Kungelwirtschaft nur noch am Rande zu tun. Im 19. Jahrhundert nannte man diese Wirtschaftsform „Kathedersozialismus“. Sie war der Wegbereiter der verheerenden Sozialismen des 20. Jahrhunderts.

Die Ablehnung dieses Dirigismus und Korporatismus liegt auch dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde. Der erste Wirtschaftsminister Ludwig Erhard sah in jeder korporativen Lenkung der Wirtschaft eine Einschränkung der Grundfreiheiten und eine Aushöhlung des Rechts auf freie Entfaltung. Er lehnte also diese Eingriffe prinzipiell ab. Sein Credo war: „Es gibt nur eine gerechte Verteilung und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird. Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.“

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

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Es gibt wohl fast keinen Wirtschaftsbereich, vom Finanzsektor einmal abgesehen, der so stark von staatlicher Lenkung beeinflusst ist wie der Energiesektor. Das hat auch diese Woche wieder gezeigt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg zeigt glücklicherweise die Grenzen staatlicher Willkür. Der Staat darf eben nicht alles. Er muss auf Eigentumsrechte und Verträge – wie etwa vorher mit ihm vereinbarte Kraftwerkslaufzeiten – Rücksicht nehmen. Verstößt er dagegen, muss er die Unternehmen entschädigen. Ärgerlich ist nur, dass die Kanzlerin und ihr damaliger Umweltminister Peter Altmaier für diese rechtswidrigen Entscheidungen vom Steuerzahler nicht schadensersatzpflichtig gemacht werden können. Es wäre aber zumindest „des Schweißes der Edlen wert“, darüber nachzudenken.

Diese willkürlichen Eingriffe des Staates in den Energiesektor finden sich häufig und besonders ausgeprägt im Bereich der Erneuerbaren Energien. Im Jahr 2019 steigen die Ökostromumlage und die Kosten anderer Maßnahmen auf dann 28,5 Milliarden Euro pro Jahr. Dagegen war der Kohlepfennig, der ebenfalls über eine Umlage finanziert wurde, eine Petitesse. Sein Volumen betrug im Jahr 1989 lediglich 5,4 Milliarden DM. Als der damalige Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann 1991 den Abbau von 10 Milliarden DM an Subventionen, unter anderem bei der Kohle, zur Bedingung für seinen Verbleib im Kabinett machte, demonstrierten 800 Kumpel gegen Möllemann und verbrannten eine Strohpuppe, die ihn darstellen sollte. Erst 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Kohlepfennig nicht zu rechtfertigen sei, da er eine Allgemeinheit von Stromkunden belaste, die keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für Steinkohle aus Deutschland habe. Diese Argumentation passt heute ebenfalls wie die Faust aufs Auge für die Erneuerbaren Energie.

Ähnlich wie bei der heimischen Steinkohle, deren Bergschäden noch heute weite Teile des Ruhrgebiets belasten, ist es auch mit den Erneuerbaren Energien. Sie führen zu Monokulturen in der Landwirtschaft und zu immer mehr Eingriffen des Staates. Allein die Herstellung von Biogasanlagen hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht, die der installierten Leistung verzehnfacht. Wer so viel elektrische Leistung produzieren will, braucht Futter. Mais ist dafür der gängige Rohstoff. Inzwischen ist die Maisanbaufläche in Deutschland auf 2,6 Millionen Hektar angewachsen – das ist mehr als die Fläche Mecklenburg-Vorpommerns. Einer der Kollateralschäden dieser Entwicklung ist die massive Zunahme von Schwarzwild. Wildschweine können sich im Mais besser verstecken und haben eine auskömmliche Nahrungsquelle. Allein in Hessen hat sich in den vergangenen Jahren die Abschusszahl der Wildschweine versiebenfacht.

Jetzt hat die EU angekündigt, dass der Biodiesel, der überwiegend aus Raps gewonnen wird, bei der Zwangsbeimischung für Diesel und Benzin von derzeit 7 Prozent auf dann nur noch 3,8 Prozent anzupassen sei. Noch 2009 wurde genau umgekehrt argumentiert. Damals galt die Beimischung als wichtiger Beitrag für den Klimaschutz und gleichzeitig als langfristige Existenzsicherung für die Landwirtschaft.

2011 wurde sogar mit viel Tamtam der E10-Kraftstoff eingeführt, den viele Fahrzeuge dann ins Stottern brachte. Eine ganze Industrie im In- und Ausland lebt inzwischen von dem Glauben, dass hier etwas Gutes getan wird. Landwirte werden in Märkte und Produkte gedrängt und finanziell angeschubst. Sie investieren in neue Geräte und Anlage und plötzlich überlegt sich die Regierung etwas Anderes. Schon schreien und beschweren sich die Angeschubsten und betonen, wie wichtig Bioethanol für die Umwelt sei. Gleichzeitig erwähnen sie beiläufig, dass weniger Rapsanbau mehr Getreideanbau zur Folge hätte und damit die Getreidepreise ins Rutschen geraten würden. Und nicht nur das: die Reste des Rapsanbaus könnten auch nicht mehr an die Tiere verfüttert werden. Damit müsste der Sojaimport erhöht werden. Soja sei allerdings häufig genmanipuliert und der Anbau würde die Regenwälder in Südamerika vernichten. Kein Argument ist zu flach, um nicht für die Lobbyarbeit herhalten zu können.

Letztlich führt diese Art der Wirtschaftspolitik zur Entmündigung. Alle Unternehmer, erst recht die Landwirte, werden von der Regierung an die kurze Leine genommen. Sie sind abhängig von der Willkür der Regierenden. Sie schauen nur noch, welche kurz gültigen Entscheidungen die Politik trifft, versuchen darauf über ihre Verbände Einfluss zu nehmen, verstehen aber offensichtlich nicht, dass sie sich dadurch ihre unternehmerische Freiheit “nachhaltig” rauben lassen.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

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Apotheken, Hotels, Taxi-Unternehmen – die Liste der Branchen, die sich mit Hilfe staatlicher Eingriffe gegen Wettbewerb schützen, wird immer länger. Und mit jedem Eingriff entfernen wir uns weiter von einer der wichtigsten Ideen der Sozialen Marktwirtschaft: alle haben ein Recht auf Wohlstand.

Verbraucherschutz? Von wegen: Lobbyismus!

Es verging nur eine Schamfrist von einer Woche nachdem der Europäische Gerichtshof die Preisbindung von rezeptpflichtigen Medikamenten gekippt hatte. Dann brachte Gesundheitsminister Gröhe auch schon ein Verbot von Versandapotheken auf den Tisch. In vielen deutschen Städten wird diskutiert, die Vermietung der eigenen Wohnung über Anbieter wie Airbnb zu verbieten. In Berlin gibt es solch ein Verbot bereits: Bis zu 100.000 Euro Strafe können hier fällig werden, wenn man seine Wohnung temporär vermietet. Im März vergangenen Jahres wurde UberPop verboten, eine Art innerstädtische Mitfahrgelegenheit.

Irgendwelche hübschen Rechtfertigungen lassen sich immer finden, mit denen man die Bürger überzeugen kann, wie sinnvoll solche Maßnahmen seien: Der Apotheken-Versandhandel gefährde die flächendeckende Versorgung durch reale Apotheken. Wohnungsvermittler führen angeblich zu Wohnungsknappheit und steigenden Mieten, weil sie Wohnraum für Ferienwohnungen „zweckentfremden“. Und wenn Privatleute innerstädtische Personenbeförderung betreiben, sei nicht ausreichend Schutz und Sicherheit für die Mitfahrer gewährleistet. In den allermeisten Fällen sind diese Argumente nur Deko. Hauptsächlich geht es darum, bestehende Geschäftszweige und Anbieter vor unangenehmer Konkurrenz zu schützen.

Konsumenten und Angestellte sind die Verlierer

Während ausländische Konkurrenz durch Zölle und Importquoten in Schach gehalten wird, nutzen Politiker innerhalb eines Landes Regulierungen, Verbote, Subventionen, Strafen und Steuern, um etablierte Anbieter vor Neuankömmlingen in Schutz zu nehmen. Dabei geht es sicherlich nicht um die Kunden, denn die bezahlen aufgrund dieser staatlichen Sonderbehandlung höhere Preise. Oft geht es aber auch nicht einmal um diejenigen, die angeblich geschützt werden sollen. Beispiel Kohleabbau: Über fünfzig Jahre hinweg wurde dieser längst hoch unrentable Wirtschaftszweig durch Subventionen künstlich am Leben erhalten. Alle Bewohner Deutschlands haben das gleich doppelt mitbezahlt – durch ihre Steuern, mit denen die Subventionen finanziert wurden, und durch höhere Energiepreise.

Doch was ist mit den Kohlekumpeln? Ja, deren Arbeitsplätze waren vorübergehend gesichert – auf Abruf. Oder um es etwas anschaulicher zu formulieren: Sie konnten noch weitere Jahrzehnte ihre Gesundheit unter Tage ruinieren. Und noch ihre Kinder fanden einen Arbeitsplatz in einem Sektor, der längst schon dem Untergang geweiht war. Anstatt etwas Neues zu lernen und sich den Gegebenheiten anzupassen, wurden zehntausende von jungen Menschen einer Zombie-Wirtschaft zugeführt, um dann schließlich in die Arbeitslosigkeit gedrängt zu werden. Zugleich wurde dadurch verhindert, dass Innovation stattfindet, um möglicherweise erheblich sauberere Energieformen zu finden und neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschaffen.

Alle bezahlen die Privilegien von wenigen

Was hat das nun alles mit Apothekern, Taxifahrern und Hoteliers zu tun? Wir begegnen hier demselben Phänomen. Einige wenige Anbieter werden vor Veränderung und Anpassung geschützt. Zumindest eine Zeit lang – denn es ist schon sehr deutlich absehbar, dass auch ihre Gewerbezweige früher oder später von der Innovation überrollt oder zumindest erheblich zurechtgestutzt werden. Wie die Kohle. Während nun diese paar fragilen Privilegien nur einer ziemlichen kleinen Gruppe zugutekommen, bezahlen alle anderen den Preis: Kunden, die nur noch ein eingeschränktes Angebot wahrnehmen können – und das auch nur zu überteuerten Preisen. Potentielle Anbieter, denen es verboten wird, ihre Ressourcen und Fähigkeiten anderen zur Verfügung zu stellen und somit für alle Beteiligten nutzbringend einzusetzen. Und auch die derzeitigen Angestellten der geschützten Firmen, denen Sicherheit und Perspektive vorgegaukelt werden.

Die einen reden von Miet-Haien und profitgierigen Konzernen. Man kann die Geschichte auch anders erzählen: Man kann von den Studenten berichten, die sich dank der Kombination aus Semesterferien und Airbnb etliche Wochenstunden Kellnern ersparen kann. Oder von der Kassiererin, die für sich und ihre Tochter einen gemeinsamen Urlaub finanzieren kann, weil sie nebenbei für UberPop fährt. Man kann auch auf das Rentnerehepaar hinweisen, das seine hohen Ausgaben für Medikamente durch die Rabatte beim Versandhandel etwas reduzieren kann. Das sind die Wohltaten, die durch den Schutz bestehender Anbieter verhindert werden.

Der neue Feudalismus bedroht die Soziale Marktwirtschaft

Wohlstand für alle wollten Ludwig Erhard und seine Mitstreiter im Nachkriegsdeutschland ermöglichen. Die alte Zeit des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik steckte ihnen noch in den Knochen. Damals hatten sich viele Unternehmen mit eifrigem Zutun des Staates zu Kartellen zusammengeschlossen, um die eigenen Gewinne zu maximieren – im Zweifel auch immer auf Kosten der Käufer und Konsumenten. Dazu sollte es nie wieder kommen. Walter Eucken, wohl der wichtigste Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, nannte diese Wirtschaftsform sehr treffend „neufeudal“, weil sie die Interessen einiger kleiner Gruppen auf Kosten der Allgemeinheit schützt.

Wir erleben derzeit ein beständiges Wachstum von Wirtschaftsformen, die es vielen Menschen auf unkomplizierte Weise ermöglichen, als Anbieter wie als Kunden ihre eigene Situation zu verbessern. Simultan wächst leider auch auf der Gegenseite der Druck, diese Menschen aus dem Markt herauszuhalten. Das gilt auf internationaler Ebene mit dem wachsenden Protektionismus ebenso wie innerhalb der einzelnen Länder mit restriktiven Maßnahmen gegenüber den verschiedenen Angeboten der sharing economy und der disruptiven Technologien. Auch in Deutschland verspielen wir damit das Erbe der Sozialen Marktwirtschaft, deren Ziel es war, Wohlstand für alle zu ermöglichen.

Photo: Ryan Lea from Flickr (CC BY 2.0)

Von  Prof. Dr. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Business and Information Technology School (BiTS) in Berlin.

Rezzo Schlauch beklagt in seinem Causa-Beitrag den angeblichen Ausverkauf deutscher Industriejuwelen (KUKA, OSRAM) und warnt vor einem „naiven“ Freihandelsverständnis. Ohne staatliche Kontrolle gelange deutsche Technologie ungeschützt in die Hände chinesischer Investoren. Mit dieser Drohkulisse reiht er sich ein in die Wortführer des grassierenden Neoprotektionismus. Dieser wurzelt – wie schon seine Vorläufer – tief in nationalen Denkschablonen und appelliert an primitive Instinkte, um Einzelinteressen mit staatlichem Flankenschutz über das Gemeinwohl zu setzen. Nur der Anlass, nicht aber die Muster der Argumente sind neu. Dementsprechend reproduziert er eine Reihe längst überwunden geglaubter Irrtümer.

Erstens handelt es sich nicht um die Technologie eines diffusen deutschen Kollektivs, sondern um die Technologie von KUKA oder OSRAM oder anderen unternehmerischen Innovatoren. Das Recht auf die Verwertung dieser Technologie liegt exklusiv bei deren Eigentümern. Diese müssen – von militärischen Belangen einmal abgesehen – niemanden um Erlaubnis fragen, wie sie mit den Früchten ihrer Entwicklungsarbeit umgehen. Umgekehrt ist die Nichteinmischung der Wirtschaftspolitik kein Ausdruck von „Lethargie“ oder „Geschehen-Lassen“, sondern der Normalfall in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Intervention ist begründungsbedürftig, nicht das freie Spiel der Marktkräfte. Wenn alles, was keine ausdrückliche staatliche Erlaubnis erlangt, in die Nähe des Suspekten oder gar Schädlichen rückt, gerät die Eigentumsordnung in Gefahr.

Zweitens haben Unternehmen keinen Pass. Wie deutsch die „deutsche Industrie“ sein mag, ist eine ebenso offene wie belanglose Frage. Eigentümerstruktur, Mitarbeiterherkunft, Wertschöpfungsanteile oder Absatzschwerpunkte würden verwirrend andere Antworten nahelegen als der Standort der Zentrale. In Unternehmen schließen sich Menschen zusammen, die ein gemeinsames ökonomisches Ziel verbindet. Hierbei erscheinen Staatsgrenzen nie als Begründung, sondern allenfalls als Hemmnis wirtschaftlicher Entfaltung. Von „unserer“ Industrie zu sprechen, ist ein Relikt aus der Zeit des Stammesdenken und damit ein Appell an atavistische Reflexe. Im rationalen ökonomischen Diskurs sollte man sich davon freimachen.

Drittens kann von einem Ausverkauf keine Rede sein. Chinesische Investoren reißen sich auch nichts unter den Nagel. Bei Unternehmenskäufen kommt derjenige zum Zuge, der dem Verkäufer das beste Angebot macht. Stehen Unternehmen aus Deutschland zum Verkauf, können Investoren aus aller Welt mitbieten. Zum Geschäftsabschluss kommt es nur, wenn beide einen Vorteil darin sehen. Der Wert der zukünftigen Früchte, die die Nutzung der Technologien von KUKA, OSRAM & Co erwarten lassen, spiegelt sich im heutigen Kaufpreis. Je wertvoller die Technologie, desto höher der Preis, wobei der Käufer diesen Wert höher einschätzt als der Verkäufer. Auch das ist völlig normal und hängt mit den relevanten Alternativen beider Seiten zusammen. So kann der Anbieter offenbar mit den Verkaufserlösen mehr anfangen als mit der unveränderten Weiternutzung seiner Technologie. Möglicherweise fließen die Mittel sogar als Kapitalaufstockung in dasselbe Unternehmen und ermöglichen so erst die Skalierung des bisherigen Geschäftsmodells. Die politischen Warner vor grenzüberschreitenden Übernahmen müssten für sich in Anspruch nehmen, den Unternehmenswert besser einschätzen zu können als die Eigentümer selbst. Wenn marktferne Bürokraten sich für die besseren Unternehmer halten, sind die Ergebnisse meist ernüchternd. Bislang sind die Interventionisten den Nachweis überlegenen Wissens jedenfalls schuldig geblieben. Stattdessen gibt es eine lange Liste von Fehleinschätzungen, wenn Politiker „Zukunfts“-Technologien ausrufen. Sie reicht von der Atomkraft, über den Transrapid bis zur Photovoltaik. Ohne Subventionen hätte es diese kostspieligen Fehlschläge so nie gegeben. Das Scheitern der Photovoltaik räumt Rezzo Schlauch selbst ein – aber natürlich waren auch hier nur wieder die Chinesen schuld.

Viertens ergibt sich ein Technologieverkauf immer wieder dadurch, dass sich die hochentwickelten Länder tendenziell auf Forschung und Entwicklung spezialisieren. Das kennzeichnet die komparativen Vorteile der westlichen Welt. Die Technologiepioniere entwickeln neue Produkte oder Verfahren, bringen sie zur Marktreife und verkaufen einige davon an weniger innovative Betreiber. Wollten die Entwickler auch überall noch den industriellen Betrieb bis zum Ende des Produktionslebenszyklus unter ihrer Regie behalten, wären bald kaum noch Ressourcen für echte Neuerungen frei, sondern blieben in der industriellen Anwendung bekannten Wissens gebunden. Werden die Erlöse aus dem Technologieverkauf in die nächste Generation von Innovationen investiert, wächst immer wieder Neues heran, was Interessenten aus aller Welt zum Tausch angeboten werden kann. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, haben die Akteure in den Ländern selbst in der Hand (Bildung, Infrastruktur, Regulierung etc.). Statisch am Erreichten festzuhalten, bedeutet Stillstand. Nicht wenige, die sich den Anschein des Fortschrittsschützers geben, konservieren nur die Errungenschaften von gestern. Diese könnten aber morgen schon alt aussehen.

Fünftens sind grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse ein wichtiger Motor der weltweiten Wissensdiffusion, ohne die die globale Wohlstandsexplosion der letzten Jahrzehnte ausgeblieben wäre. Im Gegensatz zur Industriespionage als einer Form des Raubs werden dabei die marktwirtschaftlichen Anreize für die Innovatoren gewahrt.

Die Ansicht, chinesische Infrastrukturinvestoren hinterließen im Ausland vor allem verbrannte Erde, mutet ebenfalls seltsam an. Wäre es so, dann wird sich das auch für die chinesische Seite auf Dauer als Verlustbringer erweisen. Wer dumpt, zahlt drauf, solange sich Märkte nicht dauerhaft monopolisieren lassen. Und davon sind auch „die Chinesen“ weit entfernt. Dass deren Produktqualität oft nicht westlichen Standards entspricht, sagt überhaupt nichts über die Vorteilhaftigkeit der Projekte für die Zielländer aus und hat mit Dumping nichts zu tun. Das technisch Beste ist noch lange nicht das ökonomisch Beste. Qualität muss man sich leisten können. Welche Standards in Frage kommen, hängt vor allem vom bereits erreichten Wohlstand ab (das gilt auch für sogenannte Sozialstandards). In Entwicklungs- und Schwellenländern kann daher eine vermeintlich veraltete Technik ökonomisch genau das Richtige sein.

Handelspartner ­– makroökonomisch in ein nationales Silo gepfercht – erscheinen für manche Beobachter umso bedrohlicher, je größer sie sind. Da fällt es dann leicht, China zur Drohkulisse aufzubauen. In dieser Logik werden aus Handelspartnern Handelsgegner, bei denen der eine nur gewinnen kann, was der andere verliert. Die Vorstellung des Welthandels als eines globalen Nullsummenspiels ist der Dauerbrenner des Merkantilismus. Diesem Irrglauben aus der ökonomischen Mottenkiste können auch heute viele nicht widerstehen. So sei der Handel mit Maschinen nur solange vorteilhaft, wie „Deutschland“ (gemeint sind Unternehmen in Deutschland) mehr exportiert als importiert. Dahinter steht die simple Übertragung der Sicht eines Exportunternehmens auf die gesamte Volkswirtschaft. Diese besteht aber nicht nur aus Exportunternehmen, sondern auch aus Konsumenten. Und deren Versorgung ist der finale Zweck des Wirtschaftens. Nur an diesem Zweck lassen sich Gemeinwohleffekte festmachen, nicht an den Partikularinteressen eines Wirtschaftszweiges.

Freier Austausch von Gütern und Kapital sind das Ideal einer offenen Weltwirtschaftsordnung. Zölle, Subventionen und unzählige nicht-tarifäre Regulierungen aus dem Arsenal des Protektionismus verzerren den Wettbewerb und schädigen alle Beteiligten. Wer sich abschottet, schadet sich und anderen, weil er die weltweiten Tauschvorteile verringert. Der chinesischen Führung ist hier manches vorzuwerfen. Die Antwort darauf kann aber nicht sein, die globalen Kooperationsfelder zur Strafe noch weiter einzuengen. Das Ergebnis dieser Sandkastenlogik wäre eine endlose Sanktionsspirale, durch die ökonomische Aktivität wieder innerhalb von Staatsgrenzen eingesperrt wird. Dies zu vermeiden ist nicht naiv, sondern klug. Kleine Länder sind das beste Beispiel dafür. Weil sie klein sind, fehlt ihnen das Gewicht für ökonomische Drohgebärden. Reich sind sie oft trotzdem und zwar immer dann, wenn sie sich für die übrige Welt öffnen.

Erstmals erschienen in der Rubrik Causa im Tagesspiegel.

Photo: Schwabe90 from Flickr (CC BY 2.0)

Die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs war für Wolfgang Schäuble ein teurer Kompromiss. Auf 9,5 Milliarden Euro an Steuern verzichtet der Bund ab 2020 zugunsten der 16 Bundesländer. Er glaubt, es verkraften zu können. Gleichzeitig hat er den Ländern abgerungen, dass für den Betrieb und die Finanzierung der Autobahnen künftig eine privatrechtliche Gesellschaft gegründet wird. Derzeit planen, bauen und unterhalten die Länder in Auftragsverwaltung für den Bund die Autobahnen. Diese öffentlich-rechtlichen Betriebe sind schwerfällig und teuer.

Schon wird das „Schreckgespenst“ der Privatisierung an die Wand gemalt. Tatsächlich kann der Bund seine Autobahnen aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht komplett privatisieren. Die Mehrheit an dieser Autobahngesellschaft muss immer die öffentliche Hand halten. Dennoch könnte eine private Rechtsform die Grundlage für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit legen. Doch der Grund für Schäuble, dies den Ländern abzuringen, ist ein ganz anderer.

Schäuble sieht die aufkommende Existenzkrise der Lebensversicherungen in Deutschland. Die Niedrigzinspolitik der EZB führt diese an den Abgrund – und einen Schritt weiter. Sie finden keine rentierlichen Anlageformen mehr, die einen regelmäßige Ertrag bringen. Im Durchschnitt haben die Lebensversicherungen einen Garantiezins versprochen, der immer noch über 3 Prozent beträgt. Das ist mit klassischen Anleihen nicht mehr zu erwirtschaften. Gleichzeitig sind Anlagen der 90 Millionen Lebensversicherungsverträge zu über 90 Prozent in festverzinsliche Wertpapiere angelegt, deren Renditen seit Jahren dahinschmelzen wie das Eis in der Sonne.

Aus Sicht Schäubles wäre es doch gut, wenn die Lebensversicherungen auch verstärkt in die Infrastruktur investieren könnten. Dann hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Man hätte privates Kapital aktiviert, um die marode Infrastruktur in Deutschland zu modernisieren und gleichzeitig den privaten Altersvorsorgeeinrichtungen in Deutschland eine berechenbare Ertragsquelle geschaffen. Dieser Weg wird schon länger beschritten. Die Anlagevorschriften wurden vor geraumer Zeit durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) gelockert, so dass die Assekuranz leichter in die Energieinfrastruktur und demnächst auch in Autobahnen investieren kann. Jetzt reiben sich die Lebensversicherungen schon die Hände und spekulieren darauf, dass ab 2020 eine Minderheitenbeteiligung an der Autobahngesellschaft des Bundes möglich wird. Sowohl im Energiesektor, als auch bei den Autobahnen lenkt der Bund über seine Regulierung auch die Erträge der Investoren. Er könnte damit das Überleben der Energieunternehmen, aber auch der Lebensversicherungen, am langen Zügel steuern. Er führt also Investoren noch stärker in seine Abhängigkeit.

An diese „Kungelwirtschaft“ werden wir uns gewöhnen müssen. Es wird das Bild unserer Wirtschaft in den nächsten Jahren prägen. So lange die Zinsvernichtung der EZB und der anderen großen Notenbanken anhält, ist das einer der Kollateralschäden dieser Politik. Viele reden jetzt über eine mögliche Zinswende, die durch die Trump-Wahl in Amerika eingeleitet wurde. Vielleicht erhöht die FED ihren Leitzins leicht. Der generelle Trend der Notenbanken, die Zinsen zu drücken, wird aber anhalten. Würde eine generelle Zinswende bei den langfristigen Zinsen einsetzen, würde die Weltwirtschaft sofort einbrechen und die überschuldeten Staaten und Banken, unter anderem in Europa, in den Abgrund stürzen. Schäubles Autobahngesellschaft wird die Lebensversicherer und Energiekonzerne dann nicht retten können.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 19. November 2016.