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Photo: Sumarie Slabber from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Alarmierende Berichte über „Wohnungsmangel“ oder gar „Wohnungsnot“ können beim Leser den Eindruck entstehen lassen, pro Person sei der Wohnraum in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. Daten des Statistischen Bundesamts sprechen eine andere Sprache. Die Wohnfläche pro Einwohner ist vor allem in den neuen Bundesländern, aber auch im früheren Bundesgebiet in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen und befindet sich derzeit auf Rekordniveau. Dass wir heute auf deutlich größerem Fuße als in der Vergangenheit leben, ist ein gut sichtbarer Beleg für die erfolgte Wohlstandssteigerung. Damit es auch auf diesem Feld zu weiterem Fortschritt kommt, sollten die Anreize zum Wohnungsbau gestärkt werden, auch durch temporär höhere Mieten in beliebten Gebieten.

Bundesbauministerin Hendricks: „Wohnungsnot“

Nach der Diskussion um die bisher anscheinend wirkungslos gebliebene Mietpreisbremse gewann angesichts der vielen Zuwanderer in diesem und im vergangenen Jahr die Debatte über die Situation auf dem Wohnungsmarkt wieder an Fahrt. Bundesbauministerin Hendricks spricht von einer „Wohnungsnot“ und wünscht sich eine Änderung des Grundgesetzes, sodass der Bund auch über das Jahr 2019 hinaus die Bundesländer im sozialen Wohnungsbau finanziell unterstützen kann.

Wohnfläche pro Person: Deutlicher Anstieg

Die Ausführungen von Hendricks und anderen Politikern lassen vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute schlechter wäre denn je. Wie so häufig, lohnt sich auch in diesem Fall ein Blick auf nüchterne Daten.

 

 

Das Statistische Bundesamt hält Informationen zur Wohnungsanzahl, zur gesamten Wohnfläche und zur Wohnfläche pro Einwohner bereit. Auf dem heutigen Gebiet der BRD standen Ende 1987 in 33 Millionen Wohnungen pro Person durchschnittlich etwas weniger als 35 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Zum Jahresende 2015 waren es bei einer um etwa 4 Millionen Personen gewachsenen Bevölkerung von 82 Millionen durchschnittlich etwas mehr als 46 Quadratmeter in 41,5 Millionen Wohnungen. Der Anstieg der Wohnfläche pro Person um etwa ein Drittel lässt bereits vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute im Vergleich zur Vergangenheit nicht allzu prekär ist.

Wohnfläche pro Einwohner: Stärkerer Anstieg im Osten

Auch die Daten für das frühere Bundesgebiet im Vergleich zu den neuen Ländern inklusive Berlin sind aufschlussreich. 1987, also noch zu Zeiten der DDR, war der Wohnraum pro Person im früheren Bundesgebiet knapp 40 % größer als im Osten. Dieses Ergebnis überrascht nicht und untertreibt angesichts der höherwertigen Bausubstanz im Westen den Unterschied noch.

 

Möglicherweise überraschender ist die Entwicklung nach 1987. Die neuen Länder haben in Bezug auf die Wohnfläche pro Einwohner deutlich aufgeholt. Pro Einwohner ist der Wohnraum heute im früheren Bundesgebiet nur noch knapp 9 % größer als in den neuen Ländern und Berlin.

Nicht explizit berücksichtigt wird bei dieser Darstellung, dass über den betrachteten Zeitraum viele Menschen aus den neuen Bundesländern abgewandert und vom Land in die Städte gezogen sind. Dennoch deuten diese Zahlen darauf hin, dass sich der Anstieg unseres Wohlstandes auch in größeren Wohnungen widerspiegelt und die Situation auf dem Wohnungsmarkt weniger dramatisch ist als von Politikern aller Couleur dargestellt.

Bei vielen Politikern führen steigende Mieten und Klagen darüber leider noch immer zur schnellen Forderung nach einem Eingreifen des Staates in das Marktgeschehen. Sie wünschen sich den Staat als mittelbaren oder unmittelbaren Bereitsteller von Wohnungen und fordern regelmäßig zusätzliche Einschränkungen der Vertragsfreiheit auf dem Wohnungsmarkt – etwa durch Preiskontrollen.

Wohngutscheine statt sozialem Wohnungsbau und …

Während die Wohnfläche von 2002 bis 2013 um etwa 15 % stieg, fiel die Anzahl öffentlich geförderter Sozialwohnungen in Deutschland von über 2,5 auf unter 1,5 Millionen. Beide Entwicklungen sind zu begrüßen. Aus der unmittelbaren und mittelbaren objektbasierten Förderung von sozialem Wohnungsbau sollte sich der Staat vollständig zurückziehen.

Weder sollte der Staat ausgewählte Produzenten von Sozialwohnungen fördern, noch sollte er selbst als Anbieter von Sozialwohnungen auftreten. Die Anreizstruktur, der die Mitarbeiter des Staates ausgesetzt sind, lässt den Staat gerade nicht erfolgreich als Unternehmer agieren.

Wird eine zusätzliche Unterstützung hilfsbedürftiger Personen in Bezug auf den Wohnungsmarkt für geboten erachtet, sollte die Unterstützung mithilfe objektunabhängiger Wohngutscheine erfolgen.

Im Vergleich zu sozialem Wohnungsbau bringen Wohngutscheine viele Vorteile mit sich. Erstens, die Förderung erfahren ausschließlich Personen, die bedürftig sind. Zweitens, Wohngutscheine lassen ihren Nutzern mehr Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Ausstattung, Lage und Größe ihrer Wohnung. Drittens, Nutzer von Wohngutscheinen können die Gutscheine mit zusätzlichen Zahlungen aus ihrem Budget aufstocken. Viertens, es ist weniger wahrscheinlich, dass einzelne Mietshäuser, Straßenzüge und Stadtteile vornehmlich von Empfängern staatlicher Hilfsleistungen bewohnt werden und möglicherweise „soziale Brennpunkte“ entstehen.

… keine Preiskontrollen

Anstatt die unerwünschten Nebenwirkungen von Preiskontrollen in Kauf zu nehmen, um die offiziellen Mieten niedrig zu halten, sollte Anbietern und Nachfragern die Möglichkeit gegeben werden, Marktpreise als verlässliche Informationssignale zu nutzen. Hohe derzeitige und zukünftig erwartete Mieten in beliebten Wohnvierteln eignen sich vorzüglich als Anreiz, zusätzlichen Wohnraum entstehen zu lassen.

Neuer Wohnraum entsteht dann gerade dort, wo sich aus Sicht potentieller Investoren angesichts derzeitiger Preise für Grundstücke und Immobilien sowie der erwarteten zukünftigen Nachfrage nach Wohnungen der (Aus-)Bau lohnt.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Rod Waddington from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Afrika steht auf der Agenda des G20-Treffens. Langsam dämmert den Verantwortlichen dort, dass nicht nur die klassische Entwicklungshilfe glorios gescheitert ist, sondern dass „Afrika“ auch mehr ist als nur Hunger, Korruption und Safari. Was ist zu tun, um den Menschen dort mehr Chancen zu ermöglichen?

Unternehmertum fördern statt Geld verteilen

Die Spatzen pfeifen es seit einiger Zeit so penetrant von den Dächern, dass es schon fast an Ruhestörung grenzt: Die Entwicklungshilfe der vergangenen Jahrzehnte hat im Grunde genommen drei Konsequenzen gehabt: Das ein oder andere Gewissen in den reichen Ländern wurde beruhigt. Autokratische Systeme wurden stabilisiert. Und die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Länder langfristig aufgehalten. Trotz der immer heftigeren Kritik hat sich die Summe der Entwicklungshilfe für Sub-Sahara-Afrika von 17,8 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 45,9 Milliarden im Jahr 2015 hochgeschraubt. Dabei wird die Hilfe eher willkürlich verteilt, wie man exemplarisch an den Zahlungen sehen kann: Kenia erhält bei einem BIP von 1.377 Dollar pro Kopf fast 54 Dollar pro Jahr für jeden Einwohner; Tansania etwa 48 $ (BIP: 879 $ p. P.), Kongo etwa 34 $ (BIP: 456 $ p. P.) und Nigeria 13 $ (BIP: 2.672 $ p. P.).

Viel wichtiger als staatliche Almosen – auch das gehört mittlerweile zum festen Repertoire der Spatzen auf den Dächern – sind die Rücküberweisungen von Migranten. Diese betrugen nach Sub-Sahara-Afrika 1990 1,8 Milliarden Dollar und sind inzwischen auf 17,8 Milliarden angewachsen. Dies sind Gelder, die unmittelbar bei den Familien und Freunden der Migranten ankommen. Es sind finanzielle Ressourcen, mit denen die Menschen in der Heimat kleine Geschäfte aufbauen, ihre wirtschaftliche Situation verbessern, ihre Kinder zur Schule schicken und eine Operation bezahlen können. Nachhaltiges Wachstum kann in diesen Ländern nur durch Privatwirtschaft entstehen. Unternehmertum ist auch das beste Mittel, um den „Ausverkauf“ natürlicher Ressourcen an chinesische Investoren zu kontern. Wenn die Politik in den reichen Ländern etwas tun will, dann sollte sie nicht Geld in die staatlichen Fässer ohne Boden stecken, sondern den Menschen vor Ort Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie unternehmerisch tätig werden können. Anstatt eine neue Prachtstraße in der Hauptstadt zu finanzieren, sollte man lieber den Austausch fördern zwischen den Tüftlern aus Mallersdorf und Malawi, zwischen den IT-Spezialisten aus Lesotho und Litauen, zwischen den Physiotherapeuten aus Sierra Leone und South Dakota.

Regulierungen und Standards überdenken

Wir wollen alle eine saubere Umwelt, ordentliche Arbeitsbedingungen und sichere Produkte. Und selbst diejenigen Politiker, Bürokraten oder Unternehmer, die um eines unmittelbaren Profits willen diese Ideale hintanstellen, würden das ja in der Regel nicht öffentlich kommunizieren. Es gibt durchaus einen moralischen Druck auf Verantwortliche in Politik und Wirtschaft. Zwei unterschiedliche Aspekte führen jedoch dazu, dass dieser moralische Druck gerade in Entwicklungsländern nicht immer sehr effizient ist: In autoritären Systemen führt der Mangel an öffentlicher Kontrolle, Medien und Zivilgesellschaft dazu, dass dieser Druck oft nur in homöopathischen Dosen ankommt. Und bisweilen geht es um simple Güterabwägungen: Wollen wir die Umweltauflagen einhalten oder ein paar mehr Leute einstellen?

Die vielen Regulierungen und Standards, die wir mittlerweile in den entwickelten Staaten rechtsverbindlich eingeführt haben, können von kleinen Unternehmen hierzulande oft nur mit großem Aufwand und hohen Kosten eingehalten werden. Für Unternehmer aus den weniger entwickelten Ländern hingegen wirken sie oft wie unüberwindbare Markteintrittsbarrieren. Von Seiten der reicheren Länder ließe sich dieses Problem auf zwei Weisen abmildern: Erstens könnte man bei vielen Regulierungen darauf setzen, sie nicht verbindlich zu machen, sondern nur eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Dann können Konsumenten selbst entscheiden, ob sie die Waren kaufen, die beispielsweise EU-Standards entsprechen, oder nicht. Zweitens könnte man grundsätzlich darüber nachdenken, ob eine allzu missionarische Herangehensweise nicht die Grenzen des politisch Zulässigen überschreitet. Weltverbesserung ist eine Aufgabe, an der jeder einzelne Mensch auf diesem Globus mitwirken sollte, und ist nicht etwas, das staatlich gesteuert und verordnet werden kann.

Europa lässt sich nicht replizieren

Als sich die europäischen Großmächte nach dem 2. Weltkrieg zunehmend aus ihren Kolonien zurückziehen mussten, verließen sie die Länder selten ohne gute Ratschläge. Ja, viele ehemalige Kolonien – insbesondere Frankreich – sehen sich noch heute in der Rolle des großen Bruders. Die ehemaligen Kolonialherren hinterließen ihren befreiten Untertanen Vorstellungen, die sich über viele Jahrhunderte im europäischen Kontext etabliert hatten. Plötzlich fanden sich unterschiedlichste Ethnien mit grundverschiedenen kulturellen Prägungen in einem gemeinsamen Staat wieder. Und weiße Männer in Anzügen mit wohlklingenden Titeln und Amtsbezeichnungen kamen in regelmäßigen Abständen vorbei, um den Leuten zu erklären, wie die parlamentarische Demokratie funktioniert und Brunnen gebaut werden.

Entwicklung ist nicht etwas, das von außen kommen kann oder sich in Nachahmung erschöpfen kann. Entwicklung ist ein Lernprozess, den jedes Individuum und jede Gruppe für sich selbst durchmachen muss. Vor allem ist Entwicklung ein Prozess, der nicht einem bestimmten Ziel entgegensteuert. Wir im Westen haben nicht die eine optimale Lösung gefunden – für uns nicht, und erst recht nicht für andere. Wir können nicht einfach die vorübergehenden Lösungen für unser Zusammenleben, die wir in unserem konkreten geschichtlichen und kulturellen Kontext für unsere Gemeinschaften entwickelt haben (und wie unterschiedlich sind schon diese Lösungen!) in den Staaten Afrikas replizieren. Was wir aber können, ist, besser und effektiver unsere Rolle zu spielen. Die Überwindung von Elend und Hunger, von Krankheit, Korruption und Krieg ist eine Aufgabe, die die Menschen in den afrikanischen Staaten selber lösen müssen. Es wäre schon sehr viel erreicht, wenn wir ihnen dabei nicht im Weg stünden: Schluss mit der Entwicklungshilfe. Schluss mit Markteintrittsbarrieren. Schluss mit dem Versuch, sie auf den westlichen Weg zu führen. Geben wir den Menschen dort eine Chance, indem wir sie als Partner ernstnehmen und nicht als Spielball oder Mündel.

Photo: Jonas Schoenfelder from Flickr (CC BY 2.0)

Der Tag der Deutschen Industrie ist immer auch ein Stelldichein der Politik. Gerade in einem Bundestagswahljahr. Welche Signale die Spitzenpolitiker aussenden, sind daher von Interesse. Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Rede am Dienstag vor den Industrievertretern offen gezeigt für einen Euro-Finanzminister, ein Eurobudget bis hin zu einer Wirtschaftsregierung. Vor den Industrievertretern sagte sie: „Man kann natürlich über einen gemeinsamen Finanzminister nachdenken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Einen Euro-Haushalt begrüßte sie, „wenn klar ist, dass man damit wirklich Strukturen stärkt und sinnvolle Dinge macht.“ Sie kündigte an, gemeinsam mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Fahrplan für die Reform der Euro-Zone vorzulegen.

Macron werden die warmen Worte der deutschen Kanzlerin freuen. In seinem Wahlprogramm forderte er selbst ein eigenes Budget für die Eurozone, das für Innovationen, finanzielle Nothilfen und für Hilfen für in Krisen geratene Euro-Länder gedacht ist. Der Euro-Finanzminister solle dann dieses Budget verwalten und dabei von einem Euro-Parlament, bestehend aus den EU-Parlamentariern der Euro-Staaten, kontrolliert werden. Macron will dazu die EU-Verträge ändern und die bisherige Praxis, Änderungen im bestehenden Rechtsrahmen zu vollziehen, verlassen. Letzteres ist grundsätzlich zu begrüßen, denn dieser Rahmen ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mit dem Grundsatz „Not bricht jedes Gebot“ wurden in der Euro-Schuldenkrise noch jede Regel gebrochen.

Doch inhaltlich ist der Vorstoß Macrons falsch und bringt einen grundsätzlichen Konflikt zum Vorschein, der eigentlich seit Anbeginn vorhanden ist. Es ist die Auseinandersetzung über das Wirtschaftsmodell in der EU und im Euro-Währungsraum. Frankreich, und im Kern auch die Südländer um Italien herum, wollen das französische Modell der „Planification“ durchsetzen, das eine zentrale Einflussnahme der Regierung auf die Wirtschaft und deren Lenkung zum Ziel hat. Es ist das Gegenmodell zum klassischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft, wie es Walter Eucken und andere konzipiert und Ludwig Erhard in die Tat umgesetzt hat. Ihre Vorstellung war ein Ordnungsrahmen, aber keine direkte Einmischung und Lenkung durch die Politik.

Das Ideal von damals wurde in Deutschland in der Praxis nie konsequent angewandt und durchgesetzt. Dazu muss man nur den jahrzehntelangen Einfluss der Politik bei Volkswagen betrachten. Gerade dort kann man jedoch die negativen Folgen der Verquickung von politischen und unternehmerischen Interessen sehr gut nachvollziehen. Wahrscheinlich haben die fortdauernden Probleme der Governance gerade mit der Verbindung der politischen Interessen der jeweiligen Landesregierung in Niedersachsen und der IG Metall zu tun, die gemeinsam faktisch eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben.

Doch letztlich ist das Modell der Sozialen Marktwirtschaft dem Modell der Planification überlegen. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Der wesentliche flexiblere Arbeitsmarkt in Deutschland nimmt mehr Menschen auf, die Jugendarbeitslosigkeit ist gering. Frankreich hat dagegen eine Rekordarbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Menschen. Die deutsche Wirtschaft hat die Krise 2008 längst überwunden, die französische ist noch weit unter dem Niveau der Vorkrisenjahre. Die Staatsquote im Nachbarland ist mit über 56 Prozent erdrückend hoch. All das soll nicht verklären, dass auch Deutschland große Strukturprobleme hat. Insbesondere die letzten Jahre wurden nicht genutzt, Reformen bei der steuerlichen Belastung, beim Bürokratieabbau und beim Zurückdrängen staatlichen Einflusses in Wirtschaft und Gesellschaft durchzuführen. Aber dennoch ist das hiesige Wirtschaftssystem, das die Individualität und Dezentralität der Marktwirtschaft betont, einem auf zentraler Steuerung beruhenden System überlegen.

Daher muss in Europa über das jeweilig überlegene Wirtschaftsmodell im Wettbewerb gerungen werden und eine deutsche Regierung sollte nicht vorschnell Positionen aufgeben. Es macht keinen Sinn, aus falscher Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten unseres Nachbarlandes, unser Wirtschaftsmodell infrage zu stellen.

Doch genau dies würde ein Euro-Finanzminister mit einem eigenen Budget bedeuten. Es wäre der Einstieg, oder besser gesagt, die konsequente Fortsetzung einer EU-Politik, die auf Planification setzt. Denn die Umverteilungsmechanismen aus EU-Struktur- und Kohäsionsfonds haben die derzeitige Lage in Frankreich und im Süden nicht verhindert, sondern wahrscheinlich befördert. Sie haben nämlich den Anpassungsdruck genommen. Sie haben Investitionsgelder abstrakt verteilt, deren Kontrolle meist nur unzureichend war und daher dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet haben. Dabei ist Griechenland, dass seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1981 bis zum faktischen Staatsbankrott 2010 133 Milliarden Euro an Transfers erhalten hat, nur die Spitze des Eisbergs. Zu wirtschaftlichem Wohlstand insgesamt haben die Subventionen nichts beigetragen. Die EU hinkt stattdessen auch anderen Wirtschaftsregionen auf dieser Welt hinterher.

Diesen Weg noch intensiver fortzusetzen, wäre der vergebliche Versuch, gleiche Lebensverhältnisse in Europa durch noch mehr Transferzahlungen, noch mehr Subventionen und noch mehr öffentlicher Investitionslenkung zu erreichen. Doch die Folgen dieses falschen Weges wäre, den Wohlstand nicht nur in Frankreich weiter zu gefährden, sondern dann auch bei uns.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Die Parlamentswahlen in Frankreich kommen einem Erdrutsch gleich. Das kann man schon daran festmachen, dass drei Viertel der Abgeordneten neu ins Parlament einziehen werden. Aus dem Stand hat „La République en marche“, die neugegründete Partei von Präsident Emmanuel Macron, die absolute Mehrheit in der Französischen Nationalversammlung erzielt. Das ist bemerkenswert. Ist die junge Partei doch erst im April letzten Jahres gegründet worden. Zwar ist „en marche“ in der zweiten Kammer, dem Senat, derzeit noch nicht vertreten, doch im September wird etwas mehr als die Hälfte der 348 Senatoren neu gewählt. Sollte sich der Erfolg Macrons dann auch fortsetzen, gibt es keine Ausreden mehr. Macron muss dann liefern. Das ist auch bitter notwendig. Frankreich liegt ökonomisch am Boden.

Frankreichs Industrieproduktion liegt nach wie vor fast 13 Prozentpunkte unter dem Hoch von April 2008. Das Baugewerbe sogar über 21 Prozentpunkte darunter. Der Niedergang der französischen Wirtschaft lässt sich am besten an der Zahl der Arbeitslosen festmachen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 21,7 Prozent. Die offizielle Zahl der registrierten Arbeitslosen beträgt rund 3,5 Millionen (10 Prozent). Wird jedoch die versteckte Zahl an Personen, die geringfügig beschäftigt sind, aber mehr arbeiten wollen und Personen die sich in Weiterbildungsmaßnahmen befinden oder krank sind, hinzugerechnet, liegt die Zahl bei über 6 Millionen. Bei 67 Millionen Einwohnern ist dies eine gigantische Zahl und zeigt die ganze Dimension des Problems.

Das alles hat seinen Preis. Die Staatsquote liegt mit 56,6 Prozent im traditionell zentral regierten Frankreich besonders hoch. Die Staatsverschuldung hat sich in den letzten 10 Jahren um 1.000 Milliarden Euro und in Relation zur Wirtschaftskraft um 50 Prozent erhöht. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht in Europa steht mit dem Rücken zu Wand. Was Deutschland zu Beginn des Jahrtausends war, der kranke Mann Europas, ist heute Frankreich.

Macron müsste eigentlich Reformen im Ausmaß einer Schröderschen „Agenda 2010“ anstoßen, um Frankreich aus der Lethargie zu befreien. Erste Ansätze dazu hat er bereits vorgelegt. Die Körperschaftsteuer will er auf 25 Prozent (von 33 Prozent) reduzieren, die Arbeitslosenversicherung vereinheitlichen und das Arbeitsrecht flexibilisieren. Der Konflikt mit den mächtigen Gewerkschaften ist dabei vorprogrammiert, wenn er die Möglichkeit der Lohnverhandlungen von den Tarifparteien auf die Arbeitnehmer und Arbeitgeber verlagern will.

Macron lässt sich wirtschaftspolitisch dennoch nicht richtig fassen. Er ist wie ein glitschiger Aal.  Auf der einen Seite tritt er für einen „New Deal“ für die EU ein, will den Juncker Fonds sogar noch aufstocken, um Investitionen anzuregen. Gleiches plant er im eigenen Land mit einem Investitionsprogramm für 50 Mrd. Euro. Gleichzeitig will er die Staatsausgaben um 60 Mrd. Euro senken und 120.000 Stellen im Öffentlichen Dienst streichen, aber den Verteidigungsetat auf 50 Milliarden Euro erhöhen und 29.000 neue Stellen bei Polizei, Strafvollzug und in den Schulen schaffen. Sein Bekenntnis zum Maastricht-Ziel von max. 3 Prozent Staatsdefizit zur Wirtschaftsleistung und die Reduktion der Staatsquote auf 53 Prozent klingt dann wie die eierlegende Wollmilchsau. Von allem ein bisschen, aber nichts konsequent.

Der Präsident der 5. Republik ist sicherlich kein Liberaler. Er ist weniger Sozialist als sein Vorgänger Francois Hollande und er ist weniger Nationalist als seine Gegenkandidatin Marine Le Pen. Aber was ist er? Wie tickt Emmanuel Macron? Die Antwort auf diese Frage steht noch aus und entscheidet letztlich nicht nur über die Zukunft Frankreichs, sondern auch über die weitere Entwicklung der Europäischen Union und des Euros.

Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0) 

Henning Lindhoff ist Redakteur beim Institut für Vermögensentwicklung IFVE.

Die Welt hat sich grundlegend verändert. Heute sind wir in der Lage, Erfahrungen zu machen, ohne dazu mehr Besitz anhäufen zu müssen. Dies gilt für immer mehr Branchen und Lebensbereiche. Copy. Paste. Share. Like. Was sind Waren noch wert, die in Windeseile im Netz verteilt werden können?

Zugang statt Eigentum

Es ist noch gar nicht allzu lange her, da war es noch notwendig, große Mengen an CDs, DVDs, Schallplatten, VHS-Kassetten, Zeitschriften und anderen Medien innerhalb der eigenen vier Wände zu lagern, wollte man in einer besinnlichen Stunde einmal eine kleines Stück Unterhaltung oder Bildung genießen. In diesen Zeiten war es in manchen Kreisen auch nahezu Pflicht, zumindest eine große Schrankwand voller Bücher zu pflegen, wollte man gegenüber seinen Freunden und Bekannten wenigstens ein klein wenig smart wirken.

Diese Zeiten sind nicht lange her. Nur wenige Jahre hat es gebraucht, diese Sammlungen aus Papier, Vinyl und allerlei anderen Kunststoffen obsolet werden zu lassen. Heute brauchen wir sie nicht mehr, um jederzeit an jedem beliebigen Ort, mittels ein paar kleiner Klicks oder Wischgesten, an genau die Inhalte zu gelangen, von denen wir vor einigen Jahren noch geträumt haben. Wir können nahezu jeden Film sehen, der jemals gedreht wurde, jedes Musikstück hören, das jemals aufgenommen wurde und jeden Satz lesen, den je ein Schriftsteller auf Papier gebannt hat. Und das an jedem beliebigen Ort der Welt. Eine mobile Datenverbindung und genügend Spannung auf dem Akku des genutzten Gerätes vorausgesetzt.Die technologische Entwicklung hat uns die Lage versetzt, mehr Erfahrungen zu machen ohne dabei auch mehr besitzen zu müssen.

Es ist nichts einzuwenden gegen irgendeine Form des Eigentums. Ganz im Gegenteil. Dem Hipster soll nicht seine Schallplattensammlung genommen werden, dem Germanistikprofessor nicht seine Prosasammlung. Ohne Frage hält eine gut gepflegte Sammlung liebgewonnener Stücke Erbaulicheres bereit als ein liebloser Haufen herbeikonsumierter Schnellschüsse. Doch die Medien sind heute nur Vorreiter. Sie ebnen uns den Weg in eine Zukunft des Zugangs.

Ist  das Eigentum nur noch graue Vergangenheit?

Keinesfalls. Das Gegenteil ist wahr. Dank des Zugangs zu einer unendlich scheinenden Welt immaterieller, digitaler Güter erhalten die Dinge, die wir physisch besitzen, einen gleichsam höheren Wert. Sie werden uns bewusster, aussagekräftiger, sinnvoller. Möglich macht dies die digitale Technologie. Nicht mehr länger müssen wir horten, um Wert schöpfen zu können.

Doch in ökonomischer Hinsicht wirft eine solche Welt, in der Zugang das Eigentum  ablöst, einige Fragen auf:

Wie unterscheiden sich die digitalen von den physischen Waren?

Inwiefern kann der Eigentumsbegriff bei digitalen Waren noch greifen?

Was ist der wahre Wert einer digitalen Ware?

Und entfalten die tradierten Produzenten-Nutzer-Beziehungen ihr Wirkung auch in der Welt aus Bits und Bytes?

Und greift der Eigentumsbegriff überhaupt noch bei digitalen Waren?

Digitale Waren sind heute in allererster Linie geistige Waren. Es sind Ideen, Gedanken, Theorien, Texte, Musikstücke, Filme. In unserer Gegenwart, die in immer kürzeren Abständen disruptiven technologischen Revolutionen unterzogen wird, verschieben sich Rollen und Beziehungen zwischen den Marktakteuren. Die digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation machen eine zentrale Rechteverwaltung, die den Zugang zu solchen geistigen Waren reglementiert, überflüssig. Jeder in Bits und Bytes gefasster Gedanke kann in Windesweile vervielfältigt und geteilt werden. Copy, Paste, Like und Share.

Das Digital Rights Management (DRM) ist dagegen ein verzweifelter, juristisch getriebener Versuch, die Kontrolle über den Fluss digitaler Waren zu konservieren. Aber womöglich ein letzter. Denn auf der anderen Seite bilden sich immer wieder immer neue Projekte mit dem Ziel, den Warenverkehr im Netz auszubauen. Kostengünstige Flatrates für Musik, Filme und Bücher ermöglichen den Zugang zu digitalen Waren, ohne dass sich Nutzer über Eigentumsrechte überhaupt Gedanken machen.

Waren vor fast 20 Jahren illegale Plattformen wie Napster die Vorreiter, spielen heute auch Big Player längst mit. Das Problem der illegalen Nutzung von Inhalten hat sich dank der massentauglichen Adaption durch Amazon, Apple, Google und Co nahezu von selbst erledigt. Ohne den regulativen Eingriff der Politik.

Daten sind anders als Dinge

Um nun zu ergründen, wie ein Urheberrecht auch im digitale Zeitalter seine Wirkung entfalten kann und sollte, lohnt in genauer Blick auf das Wesen der Daten als Ware.

Geistige Tätigkeit basiert seit Menschengedenken auf der Vorleistung unserer Vorfahren. Wir stehen auf den Schultern von Titanen. In ähnlicher Weise formulierte bereits im Jahr 1120 der Philosoph Bernhard von Chartres diese Erkenntnis.

Jede Adaption einer alten Idee wird gleichsam der Zukunft übereignet. Meme pflanzen sich fort, werden weitergetragen, ausgebaut, angepasst, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Wer könnte sich wirklich gegen diese Entwicklung wehren? Sie ist Kern des zivilisatorischen Wachstums.

Physische Güter lassen sich im Gegensatz zu Ideen nicht ohne weiteres teilen. Sie werden dabei beschädigt oder gar zerstört, zumindest aber immer kleiner und leichter. Physische Güter eignen sich daher sehr gut zum Besitzen und Tauschen.

Daten und Ideen allerdings werden nicht weniger, wenn man sie teilt. Sie werden dabei auch nicht zerstört. Ganz im Gegenteil. Daten und Ideen werden im Prozess des Teilens wertvoller. Denn in diesem Prozess werden sie hinterfragt, ergänzt und zu neuen weitergehenden Gedanken und Plänen ausgebaut.

Eine beliebig große Menge an Menschen kann von einer digitalen Ware gleichzeitig Gebrauch machen. Im Gegensatz dazu sind physische Güter knapp: Die Benutzung eines physischen Gutes schließt andere von der Nutzung aus. Digitale Waren sind also im Gegensatz zu physischen Gütern nichtrivalisierend.

Dies hat auch Auswirkungen auf die viel größere Welt der physischen Güter. Um lebensnotwendige Waren herzustellen braucht es heute viel weniger Arbeitszeit als früher noch, dafür aber sind ihre Produzenten abhängiger von Informationen. Im Wettbewerb gewinnt heute derjenige, der sich besser informiert und schneller an neue Erkenntnisse anpasst – seien es Kundenwünsche, Produktionsmethoden oder Rohstoffpreise. Im Gegensatz zu früher ist die Produktion physischer Waren nicht mehr so sehr von physischer Arbeit abhängig als von geistiger Arbeit – von Ideen, Daten und ihren Netzen. Nicht mehr Maschinen, Menschen und Rohstoffe sind entscheidend für den Erfolg eines Produkts – alle drei sind dank der Globalisierung an nahezu jedem Ort zu vergleichbaren Konditionen erhältlich – sondern die guten Ideen, die besseren Daten und die effizientieren Netzwerke.

Dabei ist der Unterschied zwischen einem Produkt und seiner Idee ein elementarer. Das Produkt, beispielsweise ein Tisch, kann eindeutig einem Eigentümer zugeordnet werden. Beanspruchten zwei Menschen das Eigentum an einem Tisch, dann würde dies letztlich in einem zweigeteilten und deshalb unbrauchbarem Tisch münden. Die Idee jedoch, die dem Tisch jedoch zugrunde liegt, kann kopiert und verbreitet werden, ohne dass ihre Qualität, Integrität und ihr Nutzwert einen Schaden erleidet. Physisch fehlt keinem Menschen etwas, wenn seine Idee von einem seiner Mitmenschen gleichzeitig genutzt wird.

Was ist die Leistung bei der digitalen Ware und wie wird sie entlohnt?

Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein großes Problem: Ein kreativer Mensch, der eine solche digitale Ware produziert, eine wissenschaftliche Erkenntnis , ein Buch, ein neues Verfahren, eine Technologie, hat im Vorfeld viel investiert, vor allem Zeit und Geld. Sobald er seine digitale Ware der Welt jedoch preisgibt, ist es seinen Mitmenschen ohne großen Aufwand möglich, diese zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Der Erschaffer hat also zunächst kaum eine Möglichkeit, Vorteile aus seinem Schaffensprozess zu ziehen. Im Vergleich zu seinen möglichen Mitbewerbern hat er die Kosten getragen und kann demzufolge keinen konkurrenzfähigen Preis verlangen.

Es klingt hart und will verdaut werden: Unter den natürlichen Wettbewerbs- und den aktuellen technischen Bedingungen bewegt sich der Wert einer digitalen Ware in Richtung Null – zumindest nach ihrer Veröffentlichung.

Damit ist der gordische Knoten geschnürt, den es gilt im digitalen Zeitalter wieder zu lösen.

Warum sollte sich der potentielle Erschaffer einer digitalen Ware überhaupt ans Werk machen? Warum sollte er Zeit, Geld und Kraft investieren, wenn er sich später kaum Hoffnungen auf eine angemessene Rendite machen kann, weil seine Ware aus Bits und Bytes in Windeseile über das ganze Netz verbreitet werden kann?

Dies ist eine elementare Frage, auf die der Markt eine Lösung finden muss. Die aktuelle Diskussion um Urheberrechte, geistiges Eigentum und digitale Waren wird dominiert von Einwürfen und Vorschlägen, die die Ausweitung juristischer Regelungen oder Einführung von Ausgleichsleistungen des Sozialstaats (siehe die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen) vorsehen.

Die Frage, auf die die Zukunft eine Antwort finden wird, lautet:

Ist der Markt auch selbst dazu in der Lage, einen Wert für digitale Waren abzubilden, mit dem Produzenten wie auch Nutzer, Verwerter und Konsumenten sinnvoll wirtschaften können?