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Photo: Charles Hutchins from flickr (CC BY 2.0)

Die altehrwürdige „Zeit“ aus Hamburg hat gerade das Ende des Neoliberalismus ausgerufen und sich dabei auf den Internationalen Währungsfonds berufen. Dieser habe eingeräumt, dass die Entfesselung der Marktkräfte die Wirtschaft in vielen Fällen nicht wie erhofft gestärkt, sondern vielmehr geschwächt habe. Als Begründung führt der Autor Mark Schieritz in einem Kommentar an, „die Weltwirtschaft befindet sich in einem permanenten Krisenzustand, für die Fehlspekulationen einer globalen Finanzelite musste die Allgemeinheit aufkommen, und in fast allen Industrienationen ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Das muss man erst einmal schaffen.“ Wenn dies das Ergebnis des Liberalismus – mit oder ohne Präfix – wäre, ja dann wäre diese Analyse stichhaltig.

Mehrere Annahmen sind falsch. Die aller erste ist, dass der IWF etwas mit Liberalismus zu tun habe. Nichts ist abwegiger. Der IWF ist ein Produkt supranationaler Prägung der Nachkriegsordnung. Er wurde als Interventionsmechanismus geschaffen, um die Wechselkurse der Währungen, die mittelbar über den Dollar an das Gold gekoppelt waren, zu stabilisieren. Der Ausgangspunkt war daher ein planwirtschaftlicher Ansatz. Staaten, die ihre Währung nicht stabilisieren konnten, wurde ein Übervater zur Seite gestellt, der ihnen dann unter Auflagen aus der Patsche half.

Nach dem Ende der Goldbindung des Dollars 1971 durch Richard Nixon wurde der IWF anschließend nicht abgewickelt, sondern er suchte sich wie nahezu jede Behörde neue Aufgaben. Jetzt kümmerte man sich um die Entwicklungs- und Schwellenländer auf dieser Welt, wie jüngst auch um Griechenland. Mit Liberalismus hat dies alles herzlich wenig zu tun. Der Liberalismus schaut auf den Einzelnen, er setzt auf die freiwillige und friedliche Kooperation von Menschen und hat das Wohl des Ganzen im Blick. Man kann die Entwicklung und das Wirken des IWF daher nicht dem Liberalismus anheften. Der IWF ist ein Produkt der Allmachtsphantasie der Politik und ihres korporatistischen Gestaltungsanspruches.

Die zweite Annahme ist ebenfalls falsch oder zumindest unpräzise. Die Entfesselung der Marktkräfte habe nicht geholfen, sondern habe die Wirtschaft geschwächt. Die einseitige Aufgabe der Gold-Bindung des Dollars ermöglichte nach 1971 eine fast unbegrenzte Geldschöpfung der Banken und eine künstliche Ausweitung der Kredit- und Geldmengen. Dies war eine rein staatliche Entscheidung. Die Bürger Amerikas wurden nicht gefragt. Auch die Bürger in Deutschland, Großbritannien oder Japan konnten nicht individuell entscheiden, ob sie diese neue Geldordnung wollen oder nicht. Selbst durch demokratische Wahlen wurde dieser willkürliche Akt nicht legitimiert. Die neue Geldordnung sollte als Abkürzung zu einer stabilen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung führen. Stattdessen wirkte sie wie süßes Gift, dass den Eindruck vermittelte, dass Wohlstand ohne Sparen möglich ist. Kurzfristig mag dies vielleicht geholfen haben, jedoch um den Preis späterer monetärer Schocks, weil Unternehmen in ambitiöse Investitionsprojekte gelockt wurden, die sich als nicht rentabel herausstellten und daher nicht vollendet werden konnten. Die Zulassung eines Rechtsrahmens, der solche Kredit ohne einen zuvor erfolgten Sparvorgang ermöglicht, hat einigen geholfen, insbesondere den Banken und den Schuldnern. Beide wurden immer größer und mächtiger. Das Wirtschaftssystem spielt in der Folge verrückt. Unternehmen handeln plötzlich so, als wenn die Bürger ihnen viel mehr Ersparnisse zur Verfügung gestellt hätten. Tatsächlich ist es nur eine Geldillusion, die als solche von den Marktteilnehmern erkannt wird und sich korrigieren will. Die Notenbanken intervenierten anschließend mit noch niedrigeren Zinsen und noch billigerem Geld. Die Interventionsspirale des Staates dreht sich daher immer schneller.
Mit dem liberalen Grundsatz, der Gleichheit vor dem Recht, hat dies jedoch nichts zu tun. Dort würde es als Betrug entlarvt. Es hat auch nichts mit Marktwirtschaft als die liberale Wirtschaftsordnung zu tun. In ihr würde es den Austritt von Marktteilnehmern geben. Staaten und Banken würden in dieser Marktordnung pleitegehen, Gläubiger würden auf Teile der Rückzahlung verzichten müssen und anschließend sich vorsichtiger verhalten. Es wäre ein gesundes Wirtschaften, weil Fehlentscheidungen im Kleinen korrigiert würden und keine kollektive Bestrafung aller, die zum großen Teil nichts mit den Fehlentwicklungen zu tun haben, stattfindet.

Die dritte Annahme ist ebenfalls haarig: Die Kluft zwischen Arm und Reich würde zunehmen. Das ist leicht dahingesagt. Was ist der Maßstab? Ist es die Zeit eines Anton Fuggers, der seit dem Mittelalter bis heute als der reichste Mensch gilt. Oder ist es die Zeit eines Hugo Stinnes, der Anfang des 20. Jahrhunderts zu großem Vermögen kam? Wahrscheinlich war die Ungleichheit 1946 in Deutschland und anderen Ländern geringer als heute, doch weite Teile Europas und der Welt waren zerstört und vernichtet. Es ging allen schlecht. 1,4 Milliarden Chinesen sind heute Wohlhabender als zu Zeiten Maos, als dieser Millionen verhungern ließ. Trotz seines unendlichen Vermögens hatte Anton Fugger kein Telefon, kein Auto und auch keine Krankenversicherung, die ihm auch noch im hohen Alter umfassende medizinische Versorgung garantiert – vom künstlichen Hüftgelenk bis zum Herzschrittmacher.
Vielleicht meint der Zeit-Kolumnist etwas ganz Anderes. Es ist nicht der Neo-Liberalismus, der versagt hat, sondern der Kollektivismus, der in einer globalen Staatswirtschaft zum Ausdruck kommt. Sein Ende ist leider nicht in Sicht, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Photo: Wikimedia

Mit Angst wird Politik gemacht. Nicht erst seit gestern, sondern heute umso mehr. Als die Eisenbahn als Fortbewegungsmittel die Postkutschen ersetzte, empfanden viele dies als Bedrohung. Wohin sollte diese Schnelllebigkeit denn führen? Ist es denn gut und richtig, dass Reisen jetzt für jedermann erschwinglich werden? Können die einfachen Bürger denn mit dieser Freiheit überhaupt umgehen? Als die kabellose Welt des Internets durch WLan und Hotspots aufkam, sahen viele die Gefahr der Strahlenbelastung und des Elektrosmogs aufkommen. Viele meinten damals, diese Entwicklung könne nicht gut sein. Wer weiß, welche gesundheitlichen Schäden dadurch alles verursacht würden? Nicht ohne Grund gibt es in Deutschland bei der Anwendung der Gentechnik eine breite Front der Gegnerschaft. Diese darf so lange nicht breit eingeführt werden, bis deren noch nicht bekannten Nachteile nicht gründlich auf ihre langfristigen Folgen untersucht wurden.

Die Neigung, erst die Risiken zu sehen und die Chancen zu vernachlässigen, ist gerade in unserem Land besonders ausgeprägt. Intelligente Kampagnen setzen auf diese Ängste. Sie sind vorherrschend in der aktuellen Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP. Hier werden Antiamerikanismus und vermeintlicher Verbraucherschutz in eine dicke Suppe gerührt. Die jüngsten Pseudoenthüllungen von Greenpeace und einiger Medien sind ein Beispiel dafür. Da werden Verhandlungsziele beider Seiten skandalisiert und dies von zwangsbeitragsfinanzierten Medien publiziert, als wären es Ergebnisse eines umfangreichen Enthüllungsjournalismus. Der Kern dieser Enthüllungen ist, dass die Amerikaner in ihrer Verhandlungsstrategie besonders ihre Nahrungsmittelexporte in die EU erhöhen und die EU die Automobilexporte für den amerikanischen Markt verbessern wollen. Wer hätte das gedacht? Plötzlich werden gefühlt Millionen von Chlorhühnern über Deutschland geschüttet und Abermillionen manipulierte VWs verpesten Arizona. Das kann nicht gut sein, sagen uns die öffentlich-rechtlichen Angestellten vom NDR und WDR im Enthüllerhemd und die Kampagnenprofis von Greenpeace positionieren sich vor dem Brandenburger Tor und zeigen nebenan auf die Politiker im Büßerhemd.

Drei Dinge sollten uns allen Sorge machen:

Erstens: Freihandel hat keine Lobby. Die Gegner des weltweiten ungebremsten Austauschs von Waren und Dienstleistungen sind auf dem Vormarsch. Sie alle glauben, dass sie althergebrachte Privilegien verlieren. Sie sind gesellschaftspolitisch nicht einer bestimmten Schicht oder politischen Richtung zuzuordnen, sondern überall vertreten.

Zweitens: die Medien unterstützen in einer großen Mehrheit diesen Skeptizismus. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien von ARD und ZDF spielen eine unrühmliche Rolle. Aber nicht nur, auch die Tageszeitungen schreiben ungeprüft und unreflektiert ab. Sie müssen sich nicht über pauschale Urteile wundern.

Drittens: der Ton macht die Musik. Die Tonalität wird schärfer, verletzender und erbitterter. Eine Verstumpfung und Verflachung macht sich breit im Land eines Goethe und Schillers.

Wohin das führt, ist nicht absehbar. Doch für eine freie Gesellschaft sind das Entwicklungen, die uns herausfordern sollten. Was hilft gegen mediale Panikmache? Was hilft gegen Verlustängste von gesellschaftlichen Gruppen? Was hilft gegen die Verrohung der Sitten? Gesetze, staatliche Ordnungsmacht oder Zwang werden es sicherlich nicht sein. Wahrscheinlich hilft nur Aufklärung. Das ist die schwierigste, aber zugleich wirkungsvollste Herangehensweise. Doch die Geschichte sollte uns Mut machen.

Die Hexenverbrennung hörte in der frühen Neuzeit nicht deshalb auf, weil die Gesellschaft der Auffassung war, man habe nunmehr alle Hexen verbrannt oder ersäuft. Es lag wahrscheinlich daran, dass irgendwann die Erkenntnisse der Menschen so weit entwickelt waren, dass der Irrtum als solcher erkannt wurde, willkürlich einzelne Menschen für Katastrophen oder Naturereignisse verantwortlich zu machen. Daraus folgt: Alles wird gut! Wahrscheinlich hilft nur Aufklärung. Das ist die schwierigste, aber zugleich wirkungsvollste Herangehensweise. Doch die Geschichte sollte uns Mut machen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Japanexpertena.se from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Europäische Union und mit ihr die europäische Idee der Freiheit stecken seit Jahren in einer Krise. Zwar ist der klassische Ost-West-Konflikt mit dem Fall der Mauer überwunden und viele ehemalige Ostblockstaaten sind inzwischen Mitglied der EU, dennoch hat man den Eindruck, dass sie am Scheideweg steht. Die Euro-Schuldenkrise und erst recht die Einwanderungs- und Flüchtlingskrise zerreißen förmlich den Zusammenhalt, der ja das Anliegen ist, das dem gesamten Projekt zugrunde liegt.

Ressentiments, Misstrauen, Erpressungen, Häme und Schadenfreunde sind an der Tagesordnung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte während und zu der ersten Phase der Griechenland-Krise: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos drohte der Staatengemeinschaft Anfang 2015, wenn Europa Griechenland nicht ausreichend unterstütze, werde man die Flüchtlinge in Scharen weiterleiten. Und wenn unter den Flüchtlingen auch Mitglieder des IS sein sollten, sei Europa selbst schuld. Diese Beispiele zeigen: Es findet in ein Verfall der Sitten statt.

Warum ist das so? Haben die Bürger, die Politiker und die Regierungen nichts aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelernt?

Wer nur moralisch argumentiert, vergisst, dass die Ursache dieser Entwicklung in der fehlenden Ordnungspolitik zu suchen ist. Walter Eucken, der in diesem Jahr 125 Jahre geworden wäre, gilt als entscheidender Wegbereiter unserer Wirtschaftsordnung. In seinen 1952 erschienen „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“ nannte er konstituierende Prinzipien für eine funktionierende Ordnungspolitik. Er zählte dazu gutes Geld, offene Märkt, Privateigentum, Haftung, Vertragsfreiheit und eine konstante Wirtschaftspolitik. Dies alles habe das Ziel, ein funktionierendes Preissystem sicherzustellen.

Wenn wir diese Prinzipien auf die aktuelle Situation in Europa abklopfen, dann wird klar, dass europäische Politik nicht prinzipienbasiert ist. GUTES GELD zerstört die EZB durch ihre Niedrigzinspolitik und die Staatfinanzierung durch die Notenpresse. OFFENE MÄRKTE drohen durch das Schleifen des Dublin-Abkommens durch Angela Merkel und die mangelnde Sicherung der EU-Außengrenzen zerstört zu werden. PRIVATEIGENTUM setzt die Verfügungsgewalt über das eigene Eigentum voraus. Staatlicher Paternalismus, seien es Mietpreisbremsen, Zwangsbegrünung von Häusern oder das staatlich verordnete Rauchverbot in Hotels- und Gaststätten, höhlen privates Eigentum aus, so dass es nur noch eine leere Hülle ist. Die HAFTUNG ist bei Staaten und Banken ein Fremdwort. Leben sie über ihre Verhältnisse, werden die Gewinne zuvorderst privatisiert und später die Lasten sozialisiert. Spätestens mit der Einschränkung der Bargeldzahlung und gar einem drohenden Verbot derselben wird klar, dass auch die VERTRAGSFREIHEIT immer mehr verschwindet. Das alles hat dann mit einer KONSTANZ DER WIRTSCHAFTSPOLITIK nichts zu tun. Die Regierung, die EU-Kommission und die EZB intervenieren immer stärker und willkürlich in Marktprozesse. Seien es so banale Dinge wie die Regulierung von Plastiktüten, Ölkännchen oder Glühbirnen. Oder so fundamentale Frage wie eine europäische Bankenaufsicht und eine einheitliche Einlagensicherung für alle Banken von Stockholm bis Saragossa.

Wenn die konstituierenden Prinzipien für eine funktionierende Wettbewerbsordnung nicht eingehalten werden, dann kann auch kein funktionsfähiges Preissystem existieren. Und ohne ein funktionierendes Preissystem kann wiederum keine Marktwirtschaft existieren.

Jetzt hilft es nicht, wenn die Brüsseler Bürokratie den Ausweg in einer größeren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sieht. Die mangelnde Koordinierung sei der Grund, wieso die Volkswirtschaften im Euro-Club immer weiter auseinanderfallen, heißt es bei den Befürwortern. Doch mehr Zentralismus heilt nicht die Prinzipienlosigkeit in Europa. Die Prinzipienlosigkeit ist gleichbedeutend mit dem Vorrang des Primats der Politik. Dieses Primat der Politik ist die Ursache der Krisen und gleichzeitig der Grund für die Verschleppung, Verschleierung und Verniedlichung der Probleme. Und dies wiederum ist der Grund, wieso extreme Parteien von rechts und links Wahlerfolge in Europa feiern. Es ist die Flucht des Wählers vor der Lösungsinkompetenz der etablierten Parteien. Und genau hier liegt die Chance für eine Bewegung, die die Marktwirtschaft, das Recht und die Freiheit des Einzelnen im Herzen trägt. Sie muss für ein Primat von Recht und Freiheit stehen, dem ein Primat der Politik untergeordnet ist. Sie zu nutzen, ist nicht nur eine Überlebensfrage für ein friedliches Europa, sondern für eine freie Gesellschaft.

Erstmals erschienen beim Liberalen Netzwerk.

 

Photo: Mike Beales from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Forderungen nach einer „Demokratisierung“ der EU laufen meist auf eine Stärkung von EU-Instanzen wie Parlament und Kommission heraus. Demokratie funktioniert jedoch umso besser, je mehr auf überschaubaren Ebenen entschieden wird. Die baltischen Staaten haben eine solche überschaubare Größe und sind auch darüber hinaus vorbildlich.

Demokratie: der Bürger als Wächter seiner eigenen Interessen

Es ist ein grundlegendes Missverständnis, Demokratie lediglich mit einem Abstimmungsmodus oder einer Institution zu verbinden. Demokratie heißt vor allem auch, wie es der englische Historiker Lord Acton einmal formulierte, „jeden Bürger zum Wächter seiner eigenen Interessen zu machen“. Darum ist es durchaus sinnvoll, dass wir etwa bei der Beschreibung unseres Staatswesens stets von einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ sprechen. Die EU wird nicht demokratischer, wenn ein Parlament gemeinsam Entscheidungen trifft über Steuern, Ausgaben und Gesetze für über 500 Millionen Menschen von Gibraltar bis Lappland, von Zypern bis Nordirland. Die EU wird demokratischer, wenn mehr Entscheidungen auf möglichst niedriger Ebene gefällt werden können. Ursprünglich stand dieses Subsidiaritätsprinzip ja auch einmal an der Wiege der Europäischen Union. Leider wurde es von dort bald in den Antiquitätenschrank verbannt, wo es nur noch für Sonntagsreden herausgeholt wird.

Eine wirkliche Demokratisierung der Europäischen Union würde darin bestehen, möglichst kleinen Einheiten möglichst große Kompetenzen zuzugestehen. Entscheidend für das Gelingen dieses Konzepts ist, dass die Einheiten eine überschaubare Größe haben. Verantwortlichkeiten müssen klar zu durchschauen sein. Konsequenzen aus politischen Entscheidungen klar definierbar und für die Betroffenen spürbar. Und Exit-Optionen müssen mit nicht allzu hohen Kosten verbunden sein. Bei einer weitgehend einheitlichen EU bleibt neben der Schweiz und Norwegen (die man sich erst einmal leisten können muss) nur noch die Auswanderung auf einen anderen Kontinent. Das sind bei weitem zu hohe Kosten für eine „Abstimmung mit den Füßen“.

Small is beautiful

Viele europäische Staaten sind eigentlich bereits zu groß, um die oben beschriebenen Kriterien zu erfüllen. Die baltischen Staaten haben hingegen Größen, die der sinnvollen Organisation eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens durchaus noch angemessen sind: Litauen mit 2,9 Millionen, Lettland mit etwa 2 Millionen und Estland mit 1,3 Millionen Einwohnern. Litauen ist also etwas kleiner als Berlin, Lettland so groß wie Ostwestfalen-Lippe und Estland wie der Regierungsbezirk Unterfranken.

Bei solchen Größen kennt man sich zwar nicht mehr persönlich, aber man teilt doch ähnliche Lebenswelten und kann den Nutzen oder Schaden von Entscheidungen noch verhältnismäßig gut übersehen. Hier ist das Einfallstor noch schmal für eine Umverteilung, die lauter Sonderinteressen bedient. Hier ist die Kontrolle von Politikern noch relativ leicht durchzuführen, einschließlich der Möglichkeiten, auf sie Druck auszuüben. Hier sind Politik und Bürokratie noch nicht in der vollen Anonymität und Symbolik verschwunden wie das bereits in den meisten europäischen Staaten der Fall ist, von der EU ganz zu schweigen.

Erfolgsgeschichten im Baltikum

Sicherlich tragen viele unterschiedliche Faktoren dazu bei, dass die baltischen Staaten in den Jahren seit ihrer Unabhängigkeit im Ganzen gesehen Erfolgsgeschichten geschrieben haben. Dennoch ist der Faktor der Größe nicht unwesentlich, weil sich viele Reformen und Innovationen überhaupt nur in diesem kleinen Kontext durchsetzen ließen. Denn kleine Einheiten sind nicht nur sehr viel einfacher echter demokratischer Kontrolle zu unterwerfen – kleine Einheiten sind auch ungleich flexibler, wenn es darum geht, auf Krisen zu reagieren oder unkonventionelle Wege zu beschreiten.

In allen drei Staaten wurden nach deren wiederhergestellter Unabhängigkeit im Jahr 1991 sehr umfassende marktwirtschaftliche Reformen in Gang gesetzt. Dieser Geist hat sich auch bis heute in großen Teilen durchgehalten und gehört zum Konsens der meisten politischen Parteien in den drei Ländern. Lettland hat sich aus einer massiven wirtschaftlichen Krise zwischen 2008 und 2010 durch für europäische Verhältnisse unerhörte Reform-Maßnahmen rasch wieder herauskatapultiert. Die Stellen im öffentlichen Sektor wurden um ein Drittel abgebaut, Löhne und Gehälter gekürzt und das Staatsdefizit nachhaltig reduziert. Die Folge war ein deutlicher Rückgang von Inflation, Arbeitslosenrate und ein deutlicher Anstieg des Wirtschaftswachstums. Eine Expertenstudie aus dem Jahr 2012 stellte fest: „Der Erfolg Lettlands lehrt, dass ein flexibler Arbeitsmarkt, verbesserte Rahmenbedingungen für Unternehmen und ein breiter gesellschaftlicher Konsens für Reformen eine wichtige Rolle spielen, um die Krise zu überwinden.“

Ein Europa, das dem Bürger dient

Nur Luxemburg hat im Euro-Raum eine ähnlich niedrige Staatsschuldenquote wie Estland (10,2% des BIP), Litauen (35,7 %) und Lettland (36,0 %). Gleichzeitig haben die drei Länder auch mit die niedrigsten Staatsquoten in Europa (Estland: 38,8 %; Lettland: 36,9 %; Litauen: 34,9 %). Während EU-weit die Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2010 nur um 0,3 % reduziert worden ist, ist sie in Litauen von 17,8 auf 9,6 Prozent zurückgegangen, in Lettland von 18,7 auf 9,8 und in Estland gar von 16,9 auf 5,7 Prozent. In allen drei Ländern gibt es eine Flat Tax und ein verhältnismäßig geringes Maß an Regulierungen – soweit das im Rahmen der EU noch möglich ist. Insbesondere Estland hat auch eine bemerkenswerte politische Kultur: Man kann dort per SMS wählen, es gibt die Möglichkeit einer e-residency und in fast 7 der 24 Jahre estnischer Unabhängigkeit wurde das Land von Ministerpräsidenten regiert, die unter 40 Jahre alt waren – der amtierende Taavi Roivas kam vor anderthalb Jahren im Alter von 34 Jahren ins Amt.

Eine langfristige Perspektive für die EU kann sich an diesen Staaten orientieren, die in vielerlei Hinsicht moderner sind als die großen Nationalstaaten im Westen Europas. Das wäre eine EU, in der kleinen Einheiten ein möglichst hohes Maß an Eigenständigkeit zugestanden wird. Die Brüsseler Politik und Bürokratie würden von ihrem Status als Planer zurückgestuft auf den von Diplomaten und Wächtern. Ihre Rolle bestünde darin, die Zusammenarbeit der kleinen Einheiten in verschiedenen Clubs (wie beispielsweise Schengen oder der Euro-Zone) zu koordinieren und eventuell auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu koordinieren. Und sie bestünde ganz wesentlich darin, die Einhaltung der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union zu überwachen und durchzusetzen. Alle anderen Hoheitsrechte würden hingegen auf jene Einheiten übertragen, wo sie der Bürger tatsächlich und real kontrollieren und bestimmen könnte. Es wäre ein Europa der Bürger, das den ursprünglichen Geist der Demokratie wieder ernst nimmt: jeden Bürger zum Wächter seiner eigenen Interessen zu machen. Es wäre ein Europa, das den Fortschritt fördert, dem Frieden dient und die Freiheit garantiert.

Von Gordon Kerr und John Butler unter Mitwirkung von Enrico Colombatto.

Photo: CasparGirl from flickr (CC BY 2.0)

Einige Zentralbanker spielen mit dem Gedanken, das Bargeld abzuschaffen, um negative Zinsen setzen zu können. Die negativen Folgen einer solchen geldpolitischen Maßnahme wären maßgeblich und zahlreich. Am Ende würde sie vor allem Armen und Sparern Schaden zufügen.

Lösung der Krise: Negative Zinsen und Bargeldabschaffung?

Auch wenn sich Kritik an ihrer Politik zaghaft ausnimmt, führende Zentralbanker wissen, dass ihre lockere Geldpolitik gescheitert ist. Auf die Frage, was er für das größte Risiko für die Finanzstabilität halte, antwortete Andrew Haldane von der Bank of England vor einem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments 2013 mutig: „Lassen Sie uns ehrlich sein. Wir haben absichtlich die größte Staatsanleihenblase der Geschichte herbeigeführt.“ Daraufhin hin wurde er zurechtgewiesen und von seinem Posten als Head of Financial Stability der Bank of England abberufen.

Am 18. September 2015 – nunmehr zurück als Chefökonom der Bank of England – machte Haldane in seiner Analyse eine Rolle rückwärts und schloss sich einer wachsenden Gruppe globaler Finanzkoryphäen an, die „die Lösung der Krise“ in einer Kombination aus negativen Zinsen und der Abschaffung von Bargeld sehen. Seit Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff im April 2014 ein Paper veröffentlichte, indem er das Für und Wider einer Abschaffung des Bargeldes diskutierte, sprachen sich andere bekannte Ökonomen wie Willem Buiter, Chefökonom der Citygroup, Nobelpreisträger Paul Krugman oder auch Peter Bofinger, Mitglied des deutschen Sachverständigenrates, für eine Abschaffung des Bargeldes aus.

Einige Staaten ergreifen erste Maßnahmen

Die Möglichkeit einer Bargeldabschaffung muss ernst genommen werden. Eine Reihe von Regierungen strebt die Abschaffung bereits an. Dänemark hat angekündigt, es Tankstellen, Geschäften und Restaurants zu erlauben, Bargeld zu verweigern und auf elektronische Zahlungen zu bestehen.

Viele Länder haben die maximal zulässige Grenze für Cash-Transaktionen gesenkt. Frankreich nutzte die Charlie Hebdo Gräueltaten dieses Jahres als Vorwand, um die Grenze zulässiger Bargeldtransaktionen von 3.000 auf 1.000 Euro zu senken, weil die Terroristen teilweise mit Barmitteln finanziert wurden.

Negative Zinsen: Fortsetzung der gescheiterten Geldpolitik

Die Argumente für negative Zinsen sind ziemlich offensichtlich. Nach fast 7 Jahren Niedrigzins- und Nullzinspolitik, die nicht zur erhofften wirtschaftlichen Erholung geführt haben, ist klar, dass mehr getan werden muss. So lautet jedenfalls das scheinbar weitverbreitete Credo. Deshalb bräuchte man nun negative Zinsen.

US-Daten zeigen nämlich, dass die erhoffte Erholung keineswegs sicher eingesetzt hat. Das reale BIP pro Kopf stieg von 49.500 US-Dollar in 2007 (4. Quartal) nur auf 50.900 US-Dollar im Jahr 2015 (2. Quartal). Der Anteil beschäftigter Männer im Alter von 25 bis 54 sank von 87,3% im Jahr 2007 (4. Quartal) auf 84% im Jahr 2014 (4. Quartal). Diese Daten deuten auf das Scheitern der Niedrigzins- und Nullzinspolitik hin und implizieren, dass eine Negativzinspolitik eine letzte, verzweifelte geldpolitische Maßnahme ist.

Viele Beobachter scheinen eine negative Zinspolitik jedoch als natürliche Entwicklung zu akzeptieren. In einigen Ländern haben Banken bereits negative Zinsen auf Bankeinlagen erhoben – dies aber nur auf einem sehr bescheidenen Niveau. So führte eine Reihe Schweizer Banken im Januar Gebühren (negative Zinsen) von etwa 0,7% pro Jahr auf Einlagen von über 100.000 Franken ein.

Idee negativer Zinsen bedarf Abschaffung des Bargeldes

John Butler hat sich 2012 unter Berufung auf Forschungsergebnisse aus der New Yorker Federal Reserve über die möglichen unbeabsichtigten und schädlichen Folgen negativer Zinsen geäußert. Er beschreibt die Tendenz zur Negativzinspolitik als ein „pathologisches Element“. Denn Zentralbanker wissen in der Tat, dass es einen Punkt gibt, an dem Anleger der Negativzinspolitik widerstehen. Nehmen wir an, die Zinsen fallen auf -5%. Dann werden sich Unternehmen finden, die eine Art Verwahrservice für große Bargeldguthaben mit einer Gebühr von nur 4% anbieten.

Banken werden dann reihenweise scheitern, weil ihre Kunden ihre Depositen abziehen würden. Dies wäre gleichbedeutend mit einem Run auf Banken, da die Banken angesichts ihres derzeitigen Leverages und der (zeitlichen) Inkongruenz von Vermögenswerten und Schulden nicht in der Lage wären, den Wünschen ihrer Kunden nachzukommen. Die Zentralbanker wissen deshalb, dass sie eine Negativzinspolitik nur dann wirklich umsetzen können, wenn es kein Bargeld mehr gibt.

Bargeldabschaffung hätte vielfältige negative Folgen

Kevin Dowd erklärt in seinem neuesten Paper, dass eine Negativzinspolitik deshalb nicht nur makroökonomischer Unsinn wäre, sondern die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer einhergehenden Abschaffung von Bargeld erschreckend wären. Sollte eine solche Politik umgesetzt werden, hätte sie massive negative Auswirkungen auf die Wohlfahrt, Eigentums- sowie Bürgerrechte und würde die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Staat grundlegend verändern.

In der Praxis würde das Fehlen von Bargeld vor allem den Armen und Mittellosen Schaden zufügen. Die Idee einer bargeldlosen Welt geht davon aus, dass jeder die erforderlichen digitalen Technologien und Fähigkeiten besitzt, die zur Nutzung notwendig wären. Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass das digitale System fehlerfrei arbeitet. Mit beidem ist jedoch nicht zu rechnen. Auf Almosen Angewiesene wäre zudem gewiss nicht geholfen. Wer heute einen Euro in bar gibt, wäre vermutlich weniger dazu geneigt, wenn für die Transaktion zunächst digitale Koordinaten ausgetauscht werden müssten.

Negativzinspolitik macht Sparen weniger attraktiv

Auch relativ gutgestellte Mitglieder der Gesellschaft wären betroffen. Eine der Bargeldabschaffung folgende Negativzinspolitik würde Anreize setzen, mehr zu konsumieren und somit weniger zu sparen. Wir sollen essen, trinken und fröhlich sein; zumindest wenn es nach den Zentralbanken geht.

Die Aufmerksamkeit für die Idee der Bargeldabschaffung mit dem Ziel negativer Zinsen mag aber auch Vorteile haben, wie Alistair McLeod von GoldMoney schreibt: „Die Negativzinspolitik macht monetäre Inflation als versteckte Steuer, der sich die Gesellschaft im Allgemeinen nicht bewusst ist, sehr deutlich. Bereits die Nullzinspolitik hat hohe nicht-finanzierte Pensionsverpflichtungen geschaffen … aber wie sollen Pensionsverpflichtungen bei negativen Zinsen überhaupt bewertet werden? Sparern, also der Mehrheit der Verbraucher, steht eine böse Überraschung bevor.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei dem Institute for Research in Economic and Fiscal issues.

Photo: CasparGirl from flickr