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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Der traurige Abstieg Venezuelas bestätigt einmal mehr Milton Friedman: Demokratie und wirtschaftliche Unfreiheit sind miteinander unvereinbar. Im Gegenteil können freie Märkte Demokratien sogar stärken.

Bis in die 1970er Jahre galt Venezuela als eine verhältnismäßig gut funktionierende Demokratie mit recht gut ausgeprägten marktwirtschaftlichen Strukturen. Über Jahrzehnte war Venezuela das mit Abstand reichste Land Südamerikas. Heute wird das Land von einem Diktator regiert und steht vor dem ökonomischen Kollaps. Wie konnte es so weit kommen? Über die letzten Jahrzehnte griff der venezolanische Staat immer stärker in das wirtschaftliche Geschehen des Landes ein. Hohe Steuern, hohe Staatsausgaben, Inflation und Missachtung von Eigentumsrechten waren die Mittel, um das „sozialistische Paradies“ aufzubauen. Doch auf die ökonomische Repression folgte die politische Repression. Dies ist nicht verwunderlich. In noch keinem Land hielt sich auf Dauer ein demokratisches System, ohne durch eine relativ freie Marktwirtschaft begleitet zu werden.

Friedman: Demokratie und wirtschaftliche Unfreiheit unvereinbar

Wer einer dezentralen Organisation der Wirtschaft nicht zutraut die Bedürfnisse der Menschen zuverlässig zu befriedigen, aber demokratische Entscheidungsfindungen befürwortet, dem scheint die Kombination von politischer Freiheit mit staatlich gelenkter Wirtschaft auf den ersten Blick attraktiv. Diese Kombination ist laut dem Ökonomik-Nobelpreisträger Milton Friedman jedoch dauerhaft nicht stabil. Nach der sogenannten Friedman-Hypothese muss eine Gesellschaft, deren Mitglieder ein hohes Niveau an politischer Freiheit genießen, auch ein hohes Niveau an wirtschaftlicher Freiheit aufweisen.

Einen Erklärungsansatz für die Friedman-Hypothese liefert mit Friedrich August von Hayek ein weiterer Ökonomik-Nobelpreisträger. In einer Welt mit beschränkten Ressourcen bedarf es eines Mechanismus, der regelt, wie Ressourcen zu welchem Zweck von wem eingesetzt werden. Wird die Verwendung von Ressourcen nicht dezentral über Märkte organisiert, müssen in einer Demokratie die Wähler den Prinzipien der zentralen Verteilung der politischen Entscheidungsträger, die final über den Einsatz der Ressourcen verfügen, zustimmen. Die durch die Verfügungsgewalt über wirtschaftliche Ressourcen zusätzlich bemächtigten politisch Verantwortlichen neigen jedoch dazu, sich die scheinbare Zustimmung der Wähler durch politische Kontrolle und Propaganda zu sichern. Die wirtschaftliche Unfreiheit unterminiert durch die Konzentration politischer und wirtschaftlicher Macht bei politischen Würdenträgern so die politische Freiheit.

Daten: Keine Länder politisch frei und maßgeblich wirtschaftlich unfrei

Friedmans Hypothese, dass ein politisch freies System nicht ohne wirtschaftliche Freiheit auskommt, findet sich auch in aktuellen Daten für 155 Länder wieder. Nahezu alle auf Basis von Daten von Freedom House politisch als frei kategorisierten Länder sind gemäß Daten der Heritage Foundation auch wirtschaftlich als relativ frei zu klassifizieren.

Etwas mehr als die Hälfte aller Länder (84) befinden sich in dem Quadranten „politisch frei/wirtschaftlich frei“. Neuseeland ist von den politisch freisten Ländern der Welt das Land mit der größten wirtschaftlichen Freiheit.

Das politisch, wie auch wirtschaftlich unfreiste unter den betrachteten Ländern ist Nordkorea. Glücklicherweise befinden sich neben Venezuela nur wenige Länder in der Gesellschaft Nordkoreas und sind als politisch sowie wirtschaftlich unfrei einzustufen. Allerdings ist zu beachten, dass Länder, für die keine Daten vorliegen, ebenfalls hier zu verorten wären. Beispiele sind Libyen, Somalia und Sudan.

Der Quadrant „politisch frei/wirtschaftlich unfrei“ ist nahezu leer. Die wenigen Länder, die sich in diesem Quadranten befinden, sind nur knapp an der Schwelle zu den wirtschaftlich relativ freien Ländern. So zum Beispiel Bolivien.

In relativ vielen Ländern wiederum genießen Menschen zwar eine recht ausgeprägte wirtschaftliche Freiheit, aber sind politisch unfrei, wie beispielsweise in Singapur. Dieser letzte Befund widerspricht im Übrigen nicht der Friedman-Hypothese. Während Friedman wirtschaftliche Unfreiheit für unvereinbar mit politischer Freiheit erachtete, nahm er wirtschaftliche Freiheit als eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für politische Freiheit wahr. Friedman hielt eine Kombination aus politischer Unfreiheit und wirtschaftlicher Freiheit also für dauerhaft möglich, obwohl er selbstredend eine sowohl politisch als auch wirtschaftlich freie Gesellschaft für erstrebenswert erachtete.

Erfreuliche Entwicklungen

Nicht nur die statische Evidenz spricht für Friedmans Hypothese: Politisch freie und wirtschaftlich unfreie Länder blieben es historisch nicht lange. Entweder waren sie nach einiger Zeit nicht mehr demokratisch oder nicht mehr wirtschaftlich unfrei. So waren im Jahre 1980 noch zwölf Länder politisch frei und wirtschaftlich unfrei und verletzten somit die Friedman-Hypothese. Bereits 1990 galt das nur noch für ein Land (Barbados). Zehn der Länder bewegten sich in Richtung offenerer Märkte, während nur ein Land sich aus dem Quadranten bewegte, indem es politisch unfreier wurde: Venezuela.

Demokratie und Marktwirtschaft: Zwei Seiten derselben Medaille

Demokratie und wirtschaftliche Unfreiheit sind nicht miteinander zu vereinen. Demokratie und eine offene Marktwirtschaft hingegen sind nicht nur miteinander kompatibel, sie stärken sich gegenseitig. Beide sind Mechanismen zur Machtbeschränkung. Zum einen beschneiden sie den Einfluss direkter Konkurrenten. Der Wettbewerb unter Parteien und Politikern wirkt einer Konzentration politischer Macht entgegen. Privates Eigentum an Produktionsfaktoren und die freie dezentrale Entscheidung über die Verwendung von Ressourcen im Wettbewerb miteinander stehender Haushalte und Unternehmen beschränkt die wirtschaftliche Macht einzelner Marktteilnehmer. Zum anderen beschränken Vertreter der politischen und wirtschafltichen Sphäre sich gegenseitig. Die private Kontrolle über Produktionsfaktoren limitiert den Missbrauch derselben durch politische Amtsinhaber, während der rechtliche Rahmen wirtschaftlicher Aktivität durch die Politik gesetzt wird.

Demokraten für Marktwirtschaft

Demokratie ist ein Erfolgsmodel. Sie ist ein politisches Modell, welches allerdings ohne eine offene Marktwirtschaft dauerhaft nicht stabil ist. Überzeugte Demokraten sollten sich für mehr Marktwirtschaft einsetzten. Jüngst sollte uns der Weg Venezuelas eine Warnung sein. Noch vor zehn Jahren wurden die von Hugo Chávez umgesetzten wirtschaftlichen Repressionen auch von deutschen Politikern gelobt. Schwächt eine demokratische Gesellschaft ihre marktwirtschaftliche Ordnung zu sehr, bringt sie die eigene Demokratie in Gefahr – mit ungewissem Ausgang.

Zuerst erschienen bei IREF.

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Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset (1883-1955) verfasste 1930 ein vielbeachtetes Essay „Der Aufstand der Massen“. Was als Abgesang auf die liberale Ordnung geschrieben war, liest sich heute mitunter wie eine Prognose auf Fake News, Populismus und Identitätspolitik.

Verwöhnte Kinder

Für Ortega, einen liberalen Republikaner vom alten Schlag, deutete sich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg der Verlust der offenen, pluralen und dynamischen Gesellschaft an, die sein Altersgenosse Stefan Zweig in seinem ein Jahrzehnt später verfassten Buch „Die Welt von gestern“ so anschaulich und wehmütig beschreibt. Die Lektüre von Ortegas Text lohnt sich nicht nur für den Historiker. Es ist auch erstaunlich aktuell im Blick auf die Probleme, die heute auf unsere Gesellschaft zukommen. Corbyn und Orban, Trump und Maduro, Pegida und Campact – sie alle kann man in diesem Zeugnis europäischen Geistes wiederfinden.

Eine zentrale Rolle spielt in Ortegas zeitkritischem Rundumschlag der Gegensatz zwischen der Masse und den Eliten. Deshalb tun sich Kritiker leicht, ihm Snobismus vorzuwerfen. Weit gefehlt. So ungeschickt die Wortwahl gewesen sein mag. Er meint damit etwas ganz anderes: Masse bezeichnet hier keine gesellschaftliche Klasse, sondern eine Menschenklasse oder -art, die heute in allen gesellschaftlichen Klassen vorkommt. Er meint mit Masse Menschen, die es sich in der Bequemlichkeit des status quo einrichten. Die keine Ansprüche an sich, aber dafür umso mehr an die Gesellschaft haben. Die wie verwöhnte Kinder jetzt sofort ihren Willen durchsetzen wollen ohne überhaupt einen Gedanken an Voraussetzungen und Konsequenzen zu verschwenden. Insofern kann etwa das Staatsoberhaupt der USA durchaus als Teil der Masse begriffen werden

Die Herrschaft der Stammtische

Der Gegensatz dazu ist der elitäre Mensch. Das müssen weder Professoren noch Großbürger sein. Weder Abschluss noch Einkommen definieren für Ortega Elite, sondern Haltung. Elite sind Menschen, die Mühen auf sich zu nehmen bereit sind, um Verbesserung zu erreichen. Die die Bereitschaft aufbringen, auf andere zu hören, sie zu akzeptieren und von ihnen zu lernen. Es können also auch Menschen Elite sein, die völlig aus der üblichen sozioökonomischen Definition von Elite herausfallen. Letztlich beschreibt Ortega mit den beiden Begriffen Haltungen und Persönlichkeitstypen. Sein „Aufstand der Massen“ ist mithin eine Beschreibung der Revolte der Unvernunft, eine Art Gegenaufklärung.

Die Errungenschaften der Aufklärung im politischen Bereich sieht er gefährdet durch diejenigen, die ihrem Ethos der Anstrengung aus Bequemlichkeit und selbstverschuldeter Ignoranz entgegenstehen. Sie wollen die einfachen Lösungen. Und das hat durchaus Konsequenzen für grundlegende Prinzipien der freiheitlichen Demokratie. Deren wesentlicher Bestandteil ist der Schutz der Minderheit vor der Herrschaft der Mehrheit. Die Massenmenschen dagegen glauben, es sei ihr gutes Recht, ihre Stammtischweisheiten durchzudrücken und mit Gesetzeskraft auszustatten.Den Wust von Gemeinplätzen, Vorurteilen, Gedankenfetzen oder schlechtweg leeren Worten, den der Zufall in ihm aufgehäuft hat, spricht er ein für allemal heilig und probiert mit einer Unverfrorenheit, die sich nur durch ihre Naivität erklärt, diesem Unwesen überall Geltung zu verschaffen.

Sie verachten den Pluralismus der freiheitlichen Gesellschaft und das Konzept des Individualismus: Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht „wie alle“ ist, wer nicht „wie alle“ denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden. Hier hallt bereits der Ruf der heutigen Massenmenschen voraus: Der Kampf der „99 Prozent“ gegen „die da oben“, der angeblich traditionellen Werte gegen „Gayropa“. Der Liberale sucht nach Wegen der Kooperation und der Versöhnung, der Massenmensch hingegen braucht die Feindbilder, um sich selbst zu bestätigen: Der Liberalismus … verkündet den Entschluss, mit dem Feind, mehr noch: mit dem schwachen Feind zusammenzuleben. … Mit dem Feind zusammenleben! Mit der Opposition regieren! Ist eine solche Humanität nicht fast schon unbegreiflich? … Die Masse … wünscht keine Gemeinschaft mit dem, was nicht zu ihr gehört; sie hat einen tödlichen Hass auf alles, was nicht zu ihr gehört.

Hat sich der Liberalismus zu Tode gesiegt?

Auch die großen Narrative hat es damals schon gegeben. Ortega reagiert allergisch auf das Gerede über den Niedergang und besonders den Niedergang des Abendlandes und stellt fest: Es gibt nur einen bedingungslosen Niedergang; er besteht in einem Schwinden der vitalen Kräfte. Damit meint er die Bereitschaft der „Elite“, sich auf Neues einzulassen, nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle und gesellschaftliche Entrepreneure zu sein. Paradoxerweise hängt dieser tatsächliche Niedergang zusammen mit den beiden großen Erfolgen des 19. Jahrhunderts, die Ortega ausmacht: liberale Demokratie und Technik. Nicht unähnlich den Analysen von Hayek scheint es ihm, als ob sich diese Errungenschaften gewissermaßen zu Tode gesiegt hätten:

Der fortschrittliche Liberalismus wie der Marxsche Sozialismus setzen voraus, dass sich, was sie als beste Zukunft ersehnen, unabwendbar … verwirklichen wird. Durch diese Theorie vor ihrem eigenen Gewissen gedeckt, ließen sie das Steuer der Geschichte fahren, blieben nicht länger in Bereitschaft und büßten Beweglichkeit und Tatkraft ein. … Kein Wunder, wenn die Welt heute leer von Plänen, Zielsetzungen und Idealen ist. Niemand befasst sich damit, sie bereit zu halten. Das ist die Fahnenflucht der Eliten, die immer die Kehrseite zum Aufstand der Massen darstellt.

Die Verstaatlichung des Lebens und Identitätspolitik

Die Kombination aus dieser Antriebs- und Ziellosigkeit und dem mangelnden Bewusstsein für die Mühen, die es kostet, Wohlstand und Freiheit zu erhalten, führt zu einer Anspruchshaltung, die die dynamischen – vitalen, wie Ortega sagt – Kräfte zerstört: Die Lebenslandschaft der neuen Massen … bietet tausend Möglichkeiten und Sicherheit obendrein, und alles fix und fertig, zu ihrer Verfügung, unabhängig von einer Bemühung ihrerseits … Eben die Vollkommenheit der Organisation, die das 19. Jahrhundert gewissen Lebensordnungen gegeben hat, ist Ursache davon, dass die Massen, denen sie zugute kommt, sie nicht als Organisation, sondern als Natur betrachten. … nichts beschäftigt sie so sehr wie ihr Wohlbefinden, und zugleich arbeiten sie den Ursachen dieses Wohlbefindens entgegen. Da sie in den Vorteilen der Zivilisation nicht wunderwürdige Erfindungen und Schöpfungen erblicken, die nur mit großer Mühe und Umsicht erhalten werden können, glauben sie, ihre Rolle beschränke sich darauf, sie mit lauter Stimme zu fordern, als wären sie angeborene Rechte.

Da die Massenmenschen sich im Recht glauben, haben sie keine Hemmungen, Machtmittel einzusetzen, um ihren Willen zu verwirklichen. Sie haben die deutlichsten Vorstellungen von allem, was in der Welt geschieht und zu geschehen hat und dulden keine Abweichungen. Daher schließt Ortega, dass die größte Gefahr, die heute die Zivilisation bedroht, die Verstaatlichung des Lebens ist, die Einmischung des Staates in alles, die Absorption jedes spontanen sozialen Antriebs durch den Staat; das heißt die Unterdrückung der historischen Spontaneität, die letzten Endes das Schicksal der Menschheit trägt, nährt und vorwärtstreibt. Das führt unweigerlich zu dem, was wir heute mit dem Begriff Identitätspolitik bezeichnen. Politische Macht soll zu einem Mittel werden, mit dem die eigenen Wertevorstellungen durchgesetzt werden, weit über die unmittelbare Sphäre des Politischen hinaus: da der Massenmensch tatsächlich glaubt, er sei der Staat, wird er in immer wachsendem Maße dazu neigen, ihn unter beliebigen Vorwänden in Tätigkeit zu setzen, um so jede schöpferische Minorität zu unterdrücken, die ich stört, ihn auf irgendeinem Gebiet stört – in der Politik, der Wissenschaft, der Industrie.

„Verhandlungen, Normen, Höflichkeit, Rücksichten, Gerechtigkeit, Vernunft!“

Ortega, der die überlegenste Form menschlicher Beziehungen in dem Zwiegespräch sieht, diagnostiziert bei den Massenmenschen eine Tendenz zur Dialogunwilligkeit, die, je mehr sie betrieben wird, immer stärker in tatsächliche Dialogunfähigkeit umschlägt. Es sind die Menschen, die nicht mehr bereit sind, zuzuhören, dem anderen Raum zu geben. Es geht nicht mehr darum, in einem gemeinsamen Austausch von Argumenten einer Lösung näherzukommen: Wozu hören, wenn er schon alles, was not tut, selber weiß? Es ist nicht mehr an der Zeit zu lauschen, sondern zu urteilen, zu befinden, zu entscheiden. Das Parlament als Schwatzbude gehörte schon damals zum Vorwurfsrepertoire der Feinde der offenen Gesellschaft wie die Ablehnung von Experten: Das Neueste in Europa ist es daher, „mit den Diskussionen Schluss zu machen“, und man verabscheut jede Form geistigen Verkehrs, die, vom Gespräch über das Parlament bis zur Wissenschaft, ihrem Wesen nach Ehrfurcht vor objektiven Normen voraussetzt. Das heißt, man verzichtet auf ein kultiviertes Zusammenleben, das ein Zusammenleben unter Normen ist, und fällt in eine barbarische Gemeinschaft zurück.

Dabei ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Diskurs kein Mittel, um die Wahrheit zu verwässern, wie es oft von den Massenmenschen dargestellt wird, sondern gerade die einzige Möglichkeit, ihr näher zu kommen. Das gilt insbesondere im Blick auf die „Wahrheit“ im menschlichen Miteinander, die eben niemals eine feste Wahrheit, sondern ein beständiges Austarieren, Lernen und Weiterentwickeln ist. Diskurs ist der Nährboden der freien Gesellschaft: Verhandlungen, Normen, Höflichkeit, Rücksichten, Gerechtigkeit, Vernunft! Warum erfand man das alles? … Es dient dazu, die civitas, die Gemeinschaft, das Zusammenleben, zu ermöglichen. Diese zivilisatorischen Tugenden werden vom Massenmensch abgelehnt, weil er sie als hinderliche empfindet: Gleichgültig, ob er als Reaktionär oder Revolutionär maskiert ist, nach einigem Hin und Her wird er mit Entschiedenheit jede Verpflichtung ablehnen und sich, ohne dass er selbst den Grund dafür ahnte, als Träger unbeschränkter Rechte fühlen.

Das Unfehlbarkeitsdogma des Massenmenschen

Dieser Diskurs setzt freilich auch Respekt vor dem Prinzip der Vernunft und Rationalität voraus. Die Grundlage des Erfolgs von Fake News ist das Unfehlbarkeitsdogma des Massenmenschen: die Überzeugung, Wahrheit könne sich aus dem eigenen Gefühl beziehen. Weil einem selbst etwas plausibel erscheint, verzichtet man darauf, diese vermeintliche Wahrheit äußeren Umständen und anderen Menschen im Austausch auszusetzen.

Wahrscheinlich lässt sich ohnehin in Fragen des menschlichen Miteinanders nie die eine objektive Wahrheit finden. Umso wichtiger ist es allerdings, die Regeln des rationalen Diskurses einzuhalten, weil man sonst selber den Besitz der objektiven Wahrheit beansprucht, was jeglichen Diskurs vollständig verunmöglicht: Es gibt keine Kultur, wenn es keine Ehrfurcht vor gewissen Grundwahrheiten der Erkenntnis gibt. Wenn sich unser Partner in der Diskussion nicht darum kümmert, ob er bei der Wahrheit bleibt, wenn er nicht den Willen zur Wahrheit hat, ist er ein geistiger Barbar, … sind seine Gedanken in Wahrheit nur Triebe in logischer Verkleidung.

Dekontextualisierung: Bedrohung der Zivilisation

Einer der größten Fallstricke des Massenmenschen ist die Neigung zur Dekontextualisierung, die in einem engen Zusammenhang steht mit seiner Diskurs- und Rationalitätsverweigerung. Er hält sich selbst für den Maßstab, lehnt das Fremde ab und strebt nach der absoluten Herrschaft: Diese Selbstzufriedenheit führt ihn dazu, keine Autorität neben seiner eigenen anzuerkennen, auf nichts und niemanden zu hören, seine Meinung nicht in Zweifel zu ziehen und die Existenz des fremden Du zu ignorieren. Das innere Gefühl von Machtvollkommenheit reizt den homo vulgaris unausgesetzt, sein Übergewicht geltend zu machen. Er wird also handeln, als gebe es auf der Welt nur ihn selbst und seinesgleichen, und wird in alles hineinreden und ohne Rücksichten, Überlegungen, Vorbereitungen seine banalen Überzeugungen durchsetzen, gemäß einer „Taktik der starken Hand“.

Die Bejahung von Kontext ist freilich die Grundbedingung für das Entstehen von Zivilisation. Erst indem Kontext akzeptiert und wahrgenommen wird, wird Handel möglich, Wissensaustausch und Erkenntnisgewinn, Demokratie und Rechtsstaat. Kontext ist das Lebenselixier der offenen Gesellschaft. Besonders anschaulich wird das im Verhältnis des Massenmenschen zur Geschichte. Man begreift sich nicht als Teil eines evolutorischen Prozesses, als Ergebnis des Gewordenen und Motor des Werdenden. Vielmehr werden Punkte in der Vergangenheit oder Zukunft als absolutes Ideal dargestellt. Reaktionäre und revolutionäre Bewegungen haben gemeinsam, dass sie von mittelmäßigen, zeitfremden Männern ohne altes Gedächtnis und historischen Sinn geführt werden. Das Ergebnis sind Forderungen nach der Erhaltung eines völlig ahistorischen „Abendlandes“ oder nach der völlig utopischen weltweiten Gleichheit. Das Wissen um unser Eingebettet-Sein in einen geschichtlichen Kontext bewahrt uns vor Fehlern, ist essentieller Bestandteil des menschlichen Lernprozesses: Wir bedürfen der Geschichte in ihrem vollen Umfang, wenn wir ihr entfliehen und nicht in sie zurückfallen wollen.

„eine Überempfindlichkeit für Verantwortung wecken“

Ortega sieht mit großer Klarheit die Gefahren, die in der damaligen Zeit lauerten und in einem beispiellos brutalen Zeitalter europäischer Geschichte mündeten. Erschreckend, wie viele seiner Beobachtungen auch in der heutigen Zeit durchaus noch aktuell erscheinen, wenn man nach Polen oder Venezuela, nach China oder Russland oder auch vor die eigene Haustür blickt: Wer sich reaktionär und fortschrittsfeindlich gebärdet, tut es, um behaupten zu können, dass die Rettung von Staat und Volk ihm das Recht verleiht, alle anderen Gebote zu übertreten und den Mitmenschen zu zermalmen, besonders, wenn er eine Persönlichkeit von Format ist. Und dasselbe gilt für den Revolutionär. Seine scheinbare Begeisterung für den Handarbeiter und die soziale Gerechtigkeit dient ihm als Maske, um sich dahinter jeder Pflicht – wie Höflichkeit, Wahrhaftigkeit, vor allem Achtung und Bewunderung für überlegene Menschen – zu entziehen. Es können einem die Ohren klingeln, wenn man liest, wie er beobachtete: Angesichts von Europas sogenanntem Untergang und seiner Abdankung in der Weltherrschaft müssen Nationen und Natiönchen umherspringen, Faxen machen, sich auf den Kopf stellen oder sich recken und brüsten und als erwachsene Leute aufspielen, die ihr Schicksal selbst in der Hand halten. Daher die ‚Nationalismen‘, die überall wie Pilze aus der Erde schießen.

Es ist einmal wieder Zeit, für diejenigen, die Ortega als Eliten bezeichnet, die Hände aus dem Schoß zu nehmen und sich für die Auseinandersetzung zu rüsten. Verhandlungen, Normen, Höflichkeit, Rücksichten, Gerechtigkeit, Vernunft lauten die Antworten auf Autokraten, Populisten und Demagogen. All die vielen Errungenschaften von liberaler Demokratie und Technik dürfen uns nicht zu Selbstzufriedenheit verleiten. Sie müssen behütet und wieder und wieder errungen und ausgebaut werden. Ortegas Warnung aus dem Jahr 1930 gilt auch uns: Wer sich von der Strömung eines günstigen Laufs der Ereignisse forttreiben lässt, unempfindlich gegen die Gefahr und Drohung, die noch in der heitersten Stunde lauern, versagt vor der Verantwortung, zu der er berufen ist. Heute wird es notwendig, in denen, die sie fühlen können, eine Überempfindlichkeit für Verantwortung zu wecken.

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Als Luther-Jahr präsentierten sich die zurückliegenden zwölf Monate. Angemessener wäre es gewesen, die gesamte Reformation in den Fokus zu rücken. Denn auch wenn er eine beeindruckende Persönlichkeit war: Luther steht wahrhaft nicht für das Beste an dieser Bewegung, die vor einem halben Jahrtausend die Welt veränderte. Andere Akteure hätten weitaus mehr Aufmerksamkeit und Würdigung verdient.

Des Deutschen Liebe zum Helden

Der Deutsche liebt seine Helden. Ob Hermann der Cherusker und Siegfried, Bismarck und Hindenburg oder in jüngster Zeit Helmut Schmidt – wir sehnen uns nach Persönlichkeiten, zu denen wir aufschauen können. Bedauerlicherweise sind das in der Regel selten Menschen, die das Penicillin erfunden haben, sich für Frauenrechte eingesetzt haben oder ein Unternehmen gegründet haben, das einen wichtigen Beitrag zur sharing economy leistet. Meist sind es Politiker und sogenannte Staatsmänner (bemerkenswert, dass sich der Begriff Staatsfrauen noch nicht durchgesetzt hat), die in den Bann ziehen.

Luther war schon immer ein solcher Held. Geschichten gab es genug von dem Mann, der es mit Papst und Kaiser aufgenommen hatte und uns nebenbei noch die Sprache der Dichter und Denker geschenkt hat. Ein wackerer Deutscher, der sich wie einst Hermann im Teutoburger Wald für Selbstbestimmung einsetzte – gegen den Papst in Rom und den „spanischen“ Kaiser. Als Projektionsfläche diente er gerade in dieser Deutung nicht selten den Mächtigen und Herrschern. Auch den zwei Diktaturen auf deutschem Boden.

Luther – ein Pessimist und Anti-Rationalist

Im vergangenen Jubiläumsjahr haben sich die protestantischen Kirchen und auch die staatlichen Akteure wieder voll auf die Person Luther konzentriert. Bis hin zu einem vollkommen bizarren Luther-Musical, das das ZDF mit mehreren tausend Sängern veranstaltete. Zwar wurden pflichtschuldig auch heikle Aspekte wie sein eklatanter Anti-Judaismus thematisiert. Aber am Ende des Tages wurden die Schattenseiten des Reformators eher noch zu seinem Vorteil gewendet, indem man nun auch herausstellen konnte, dass Luther ja auch nur ein Mensch und ein Kind seiner Zeit gewesen sei. Das mache ihn doch gerade so sympathisch …

Er habe, so könnte man meinen, nun einmal diese eine problematische Seite gehabt. Darüber hinaus sei er aber eine bedeutende Persönlichkeit gewesen – ein deutscher Held –, den man getrost seinem Kind als Playmobil-Figur in die Hand drücken kann. Darüber wurde viel zu sehr ignoriert, was für eine hochproblematische Gestalt er war, auch unabhängig von seiner Aversion und Gehässigkeit gegenüber den Juden. So vertrat Luther ein sehr negatives Bild vom Menschen und nicht zuletzt von dessen Rationalität. Die Vorstellung von Luther als dem Ersten der Aufklärer ist also nicht nur unpassend, sondern glattweg falsch. Viel eher könnte man in ihm einen wichtigen Vertreter jener Stimmung des Anti-Intellektualismus sehen, der heute noch ein definierendes Moment populistischer Bewegungen ist. Seine Ablehnung Roms war nicht nur gegen den päpstlichen Pomp gerichtet, sondern war auch eine Ablehnung der Renaissance und deren optimistischer Sicht auf den Menschen.

Luther – der Wegbereiter des absoluten Staates

Was genau der Vielschreiber Luther beabsichtigt haben mag, ist Gegenstand für seine Biographen. Die Auswirkungen seiner oft mit heißer Nadel gestrickten Texte waren freilich über die Jahrhunderte fatal. So liest sich seine 1523 erschienene Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ in der Rückschau wie eine Bedienungsanleitung für absolutistische Herrscher. Zwei bedeutende Historiker des 19. Jahrhunderts, Lord Acton und Jacob Burckhardt, ziehen eine direkte Linie von Luther und seinem Umfeld zum Entstehen von Absolutismus und Totalitarismus als definierenden Staatsformen der Neuzeit.

Viele Aspekte des Staates, die uns heute noch Schwierigkeiten bereiten, können auch auf Luther zurückgeführt werden. Etwa das Entstehen von mächtigen Bürokratien und die Verdrängungen privater Solidarität durch einen ausufernden Wohlfahrtsstaat. Der Reformator begründet auch, warum und wie ein anständiger Bürger der Obrigkeit hörig sein sollte: „Nun das Schwert aber aller Welt ein großer nötiger Nutzen ist, daß Friede erhalten, Sünde gestraft und den Bösen gewehrt werde, so ergibt er [der rechte Christ] sich aufs allerwilligste unter des Schwertes Regiment, zahlt Steuern, ehrt die Obrigkeit, dient, hilft und tut alles, was er kann, das der Gewalt förderlich ist, auf daß sie im Schwang und in Ehren und Furcht erhalten werde“.

Luther geht weit zurück vor die schon zu seiner Zeit üblichen rechtsstaatlichen Standards, indem er einer archaischen Unterscheidung zwischen Gut und Böse huldigt und eine „angemessene“ Bestrafung den ordentlichen Prozessen vorzieht – auch hier ein Vorläufer der Populisten heutiger Tage. Der philippinische Präsident Duterte könnte das wohl so unterschreiben: „Wenn die Gewalt und das Schwert ein Gottesdienst ist, wie oben erwiesen ist, so muß auch das alles Gottesdienst sein, was der Gewalt nötig ist, um das Schwert zu führen. Es muß ja einer sein, der die Bösen fängt, verklagt, erwürgt und umbringt, die Guten schützt, entschuldigt, verteidigt und errettet.“ Diese simple Weltsicht kulminiert schließlich in der Rechtfertigung des Krieges, die wahrlich verstörend ist: „Und in solchem Krieg ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen, zu rauben und zu brennen und alles zu tun, was (den Feinden) schädlich ist, bis man sie nach Kriegsbräuchen überwinde, nur daß man sich vor Sünden hüten, Weiber und Jungfrauen nicht schänden soll.“

Die Wiege der offenen Gesellschaft stand nicht in Wittenberg

Man kann und sollte vielleicht auch Luthers Leistungen anerkennen. Aber jegliche Verehrung seiner Person ist mehr als unangebracht. Die vielen im Zorn und Eifer des Gefechts geschriebenen und gesprochenen Worte waren damals schon schwer vereinbar mit der christlichen Botschaft wie mit den sich langsam entwickelnden Ideen der Aufklärung. Ihre Wirkung ist, wenngleich von Luther so vielleicht nicht intendiert, noch viel fataler gewesen. Luther ist eine wichtige und spannende Figur. Aber er gehört nicht auf einen Sockel.

Das vergangene Jahr hätte man besser nutzen sollen, um der Personen und Denktraditionen in der Reformation zu gedenken, die einen wesentlichen Anteil daran haben, dass unsere offene und freiheitliche Gesellschaft erstehen konnte. Deren Wiege stand nicht in Wittenberg, sondern in Straßburg, Basel und im westfriesischen Pingjum, im polnischen Luslawice und in Philadelphia jenseits des Atlantik. Toleranz und Individualismus, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit entstanden weder an den Fürstenhöfen, bei denen Luther Unterschlupf fand, noch in Genf, wo Calvin eine Theokratie errichtete, die es mit den Taliban aufnehmen könnte. Sie wurden vorgedacht und erstritten von Männern und Frauen, die auch heute noch oft abseits der Geschichte stehen. Darum sollen hier in Kürze fünf jener Persönlichkeiten vorgestellt werden, die wichtige Rollen gespielt haben bei der Entwicklung der Ideen und Institutionen, die heute zum geistigen und moralischen Kernbestand unserer Gesellschaft gehören. Dies sind die Reformatoren, die wirklich einen Sockel verdient hätten …

Menno Simons (1496-1561) – Pazifismus

Eine der bekanntesten reformatorischen Bewegungen waren die sogenannten „Täufer“, deren radikale Vertreter in den 1520er und 1530er Jahren in Münster und Thüringen Aufstände anzettelten. Dagegen wandten sich viele friedfertige Anhänger dieser Theologie, unter ihnen auch der westfriesische Pfarrer Menno Simons. Er und seine Mitstreiter in der Bewegung propagierten ein Christentum, das jeglicher Form von Gewalt widersagte. In ihrem Pazifismus gingen sie so weit, jeglichen Gebrauch von Waffen abzulehnen. Gleichzeitig setzten sie sich ein für allgemeine Religionsfreiheit, was in Zeiten, in denen der jeweilige Landesherr über die Konfessionszugehörigkeit der Untertanen entscheiden konnte, einer Revolution gleichkam. Entsprechend fühlten sich auch katholische, lutherische und reformierte Autoritäten gleichermaßen provoziert und verfolgten die kleine Minderheit blutig. Es ist Leuten wie Menno zu verdanken, dass die Gemeinden dennoch unerschütterlich zu ihren Prinzipien standen und so den Ideen von Gewaltlosigkeit und Meinungsfreiheit als leuchtende Beispiele dienten.

Sebastian Franck (1499-1542) – Aufklärung

Auch der nordschwäbische Publizist Sebastian Franck war den weltlichen und geistlichen Autoritäten ein Dorn im Auge, wo auch immer er sich gerade aufhielt. Er fand kaum Unterstützung oder Sympathie für seine Ansichten, die heute fast durchgängig akzeptiert sind – in den verschiedenen Kirchen wie auch in der gesamten Gesellschaft. So postulierte er etwa, dass selbstverständlich auch „Türken und Heiden“ ein rechtes und gottgefälliges Leben führen könnten – eine Vorstellung, die die wenigsten damals auch nur ihren Mit-Christen in einer anderen Konfession einräumen wollten. Franck war tatsächlich ein Vorreiter der Aufklärung, weil er sich gegen das strukturell konservative Verständnis von Luther wandte, allein die Bibel sei eine Quelle der Offenbarung. Im Gegenteil: für Franck spielte das „innere Wort“ des Menschen, also sein Gewissen und seine Vernunft, die wesentliche Rolle bei der immer besseren Erkenntnis des Glaubens. Entsprechend wandte er sich auch vehement gegen jegliches Wahrheitsmonopol. Aus seiner Sicht war absolute Gewissensfreiheit unumgänglich, weil sie allein garantierte, dass keine Autorität den Fortschritt der Erkenntnis hemmen konnte und es zu einem echten Wettbewerb der Ideen kommt. Francks Welt- und Menschenbild war so anti-autoritär und pluralistisch wie unsere Gesellschaft erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde.

Sebastian Castellio (1515-1563) – Toleranz

Nur ganz wenige Zeitgenossen brachten Sebastian Franck Wertschätzung entgegen. Einer von ihnen war Sebastian Castellio. Im Jahr 1553 ließ der Reformator Jean Calvin den spanischen Arzt und Theologen Michael Servetus verbrennen. Der protestantische Theologe Castellio war entsetzt über diese Eskalation des religiös verbrämten Terrorregimes, das in Genf errichtet worden war, und wandte sich in sehr deutlichen Worten gegen die Rechtfertigung von Gewalt zur Durchsetzung religiöser Ziele. So schrieb er den für die damalige Zeit wahrhaft revolutionären Satz: „Einen Menschen töten, heißt nicht, eine Lehre zu verteidigen, sondern einen Menschen zu töten.“ Er wird heute als einer der ersten systematischen Vordenker des Toleranz-Gedankens gesehen. So wundert es nicht sehr, dass eines seiner Alterswerke den Titel trägt: „Über die Kunst zu zweifeln“. Wie Franck war er auch ein Vordenker der Aufklärung und scharfer Kritiker des Antirationalismus, der insbesondere in der lutherischen und calvinistischen Tradition fröhliche Urstände feierte.

Fausto Sozzini (1539-1604) – Trennung von Religion und Staat

Zu den Opfern zunächst katholischer und anschließend innerprotestantischer Verfolgung zählten auch Fausto Sozzini und dessen Onkel Lelio Sozzini. Zuflucht fand der gebürtige Italiener, wie viele Verfolgte damals, in der außergewöhnlich toleranten polnisch-litauischen Adelsrepublik. Dort übte er großen Einfluss auf die Bewegung der Polnischen Brüder aus, die ähnlich wie die Anhänger Menno Simons‘ für eine Trennung von Staat und Religion, Gewissensfreiheit und bedingungslose Toleranz eintraten. Der englische Historiker Lord Acton formulierte einmal, die große Errungenschaft jener Reformatoren sei es gewesen, dass sie den Anspruch erhoben, „die Freiheit der anderen zu hegen wie die eigene, sie zu verteidigen aus Liebe zu Rechtschaffenheit und Menschenfreundlichkeit und nicht nur als einen Anspruch“. Toleranz sollte also nicht mehr als ein Sonderrecht einer Minderheit gegenüber der Mehrheit begriffen werden, sondern als ein allgemein gültiges Prinzip. Dies war ein kaum zu überschätzender Schritt hin zu einer friedvollen Gesellschaft und zu einem Rechtsstaat, der jeden gleichbehandelt. Theologisch war Sozzini – im Gegensatz zu Luther und Calvin – ein glühender Vertreter der These, dass der Mensch einen freien Willen hat.

William Penn (1644-1718) – Gleichheit der Menschen

Als William Penn geboren wurde, war Luther schon fast hundert Jahre tot. Dennoch gehört er in diese kleine Aufzählung, weil er einen wesentlichen Anteil daran hatte, dass die hier vorgestellten reformatorischen Ideen, die bis dahin nur in marginalisierten kleinen Gruppen eine Rolle spielten, eine nachhaltige Wirkung entfalten konnten. Ideen wie die Gleichheit aller Menschen, revolutionäre Veränderungen wie die Abschaffung der Sklaverei und viele Prinzipien des politischen Liberalismus verdanken sich wesentlich der von ihm groß gemachte Bewegung der Quaker. Zu den wesentlichen Kennzeichen dieser religiösen Gruppierung zählen ihr radikaler Pazifismus und ihre Forderung nach bedingungsloser politischer Toleranz. George Fox, einer der Gründer der Bewegung schrieb 1661 in einem Brief an den damaligen englischen König: „Mögen es Juden, Papisten, Türken, Heiden, Protestanten oder sonst etwas sein, oder solche, die Sonne, Mond, Stöcke und Steine anbeten, gib ihnen Freiheit, so dass jeder von ihnen zeigen kann und davon sprechen darf, worin er seine Stärke sieht.“ Indem William Penn in Nordamerika die Kolonie Pennsylvania gründete, schuf er einen sicheren Hafen für Verfolgte aus der ganzen Welt, die dort unter den Prinzipien der Meinungsfreiheit und demokratischen Selbstbestimmung Zuflucht finden konnten. Auch die einheimischen Indianerstämme wurden wie vollwertige Mitbürger behandelt. Mit dem von ihm so genannten „heiligen Experiment“ hatte Penn erstmals die Möglichkeit geschaffen, die Prinzipien der Reformatoren Wirklichkeit werden zu lassen. Die Anziehungskraft, die diese Prinzipien von dort über die Amerikanische Unabhängigkeit in die ganze Welt bis heute ausstrahlen, ist überwältigend.

Wir müssen uns an die richtigen erinnern!

Moderne, offene und freie Gesellschaften gründen sich ganz wesentlich auf den Gedanken dieser Männer und Frauen, denen in der Geschichtsschreibung der Reformation eine so viel unbedeutendere Rolle zugewiesen wird als Leuten mit einer sehr gemischten Bilanz wie Martin Luther oder veritablen Diktatoren wie Calvin. Simons, Franck, Castellio, Sozzini, Penn und ihre Mitstreiter haben standgehalten in der Verfolgung, die für viele von ihnen auch grausame Ermordung bedeutete. Diesem unbeirrbaren Idealismus hätte man im zurückliegenden Jahr Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Er war der Motor, der den Fortschritt in Richtung individueller Freiheit in Gang hielt.

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig hat im Jahr 1936, natürlich vor den historischen Hintergründen seiner Zeit, ein Buch verfasst mit dem Titel „Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt“. Aus diesem Werk sei hier schließlich noch zitiert. Er bringt es genau auf den Punkt:

Gerade dies aber, daß Sebastian Castellio von Anfang an die Aussichtslosigkeit seines Kampfes vorauswusste und ihn, gehorsam gegen sein Gewissen, dennoch unternahm, dies heilige Dennoch und Trotzalledem rühmt für alle Zeiten diesen ‚unbekannten Soldaten‘ im großen Befreiungskriege der Menschheit als Helden; schon um solchen Mutes willen, als einzelner und einziger leidenschaftlichen Protest gegen einen Weltterror erhoben zu haben, sollte die Fehde Castellios gegen Calvin für jeden geistigen Menschen denkwürdig bleiben.

Erstmals erschienen auf dem Blog der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Photo: Jean-Pierre Dalberá from Flickr (CC BY 2.0)

Friedrich August von Hayek gibt tiefe und zeitlose Anregungen, welchen Wert ein Projekt wie die Europäische Union auf der einen Seite haben kann, aber gleichzeitig auch, welche Gefahren eine solche Gemeinschaft birgt, wenn sie auf den falschen Prinzipien beruht.

In dem Aufsatz „Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse“ von 1939 schreibt Hayek im Kontext des aufkommenden Zweiten Weltkrieges von den Gefahren des nationalistischen Protektionismus, der schlussendlich in den Krieg zwischen den Völkern münden kann. Seine Lösung für die Zukunft ist eine ökonomische Union der europäischen Länder, welche als Hauptzweck die Sicherung des Friedens und die Förderung von Wohlstand durch einen gemeinsamen Binnenmarkt hat. Nicht nur der Optimismus Hayeks in solch dunkler Stunde, sondern auch die Übereinstimmungen zwischen seiner Vision für die europäischen Nationalstaaten und den tatsächlichen Leitlinien der Römischen Verträge sind erstaunlich. So schreibt er:

„Es wird mit Recht als einer der großen Vorteile eines Bundesstaates angesehen, dass in ihm die Hindernisse für die Bewegung von Menschen, Gütern und Kapital zwischen den Staaten wegfallen und die Schaffung gemeinsamer Gesetze eines einheitlichen Geldwesens und gemeinsame Regulierung des Verkehrs möglich wird. Die materiellen Vorteile, die die Schaffung eines so großen Wirtschaftsgebietes mit sich bringt, können kaum überschätzt werden.“

In vielerlei Hinsicht dürfte die Europäische Union, zumindest in ihren Anfängen, somit in den Augen Hayeks ein Erfolgsprojekt gewesen sein. Und auch heute sollten wir trotz aller Schwierigkeiten und gerechtfertigter Kritik an der Europäischen Union nicht die Errungenschaften der Römischen Verträge vergessen, welche weiterhin das Fundament der Europäischen Union bilden: Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und die Personenfreizügigkeit.

Hayek skizziert allerdings nicht nur die Vorzüge einer Europäischen Union, sondern auch die damit verbundenen Probleme. So warnt er im letzten Kapitel „Ausblick auf die internationale Ordnung“ seines 1944 erschienen Klassikers „Der Weg zur Knechtschaft“ vor den Gefahren einer länderübergreifenden Wirtschaftsunion, welche er fünf Jahre vorher noch so wohlwollend beschrieben hatte. Selbst wenn nationaler Protektionismus in einer Europäischen Union überwunden würde, so sei Planwirtschaft auf einer internationalen Ebene ein noch viel größeres Übel. „Die Probleme der bewussten Lenkung des Wirtschaftsprozesses nehmen notgedrungen ein noch größeres Ausmaß an, wenn dasselbe auf internationaler Grundlage versucht wird.“

Eine politische Union kann zudem schnell zur Gefahr für alle Freiheiten werden, denn „je geringer die Übereinstimmung in den Anschauungen ist, umso mehr wird man sich auf Gewalt und Zwang verlassen müssen.“

Es gibt eine Reihe von Trends in der Europäischen Union, die als eine solche Bedrohung der freiheitlichen Ordnung gesehen werden müssen: Die Kommission, der Rat und das Parlament mischen sich in viele Einzelfragen ein und fühlen sich dafür zuständig. Unveräußerliche Bürgerrechte werden bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beschränkt, die Dezentralität der Marktwirtschaft wird durch eine zunehmende zentrale Investitionslenkung ersetzt, der Binnenmarkt wird durch die Verschärfung der Entsenderichtlinie untergraben und die Altersvorsorge der Bürger wird durch den Geldsozialismus der EZB bedroht. Seit Jahren versucht die EU-Kommission, die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensteuern anzugleichen, um dann später mit einheitlichen Steuersätzen gänzlich die Unterschiede abzuschaffen. Selbst die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union dienen im Zweifel oft dem Machtzuwachs der Institutionen der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedsstaaten.

Dieser Weg, der letztlich in die Unfreiheit und Knechtschaft zu führen droht, dient einem höheren Ziel: der Vollendung des europäischen Superstaates. Es sind diese kollektivistischen Ideen, die den Gründungsmythos der europäischen Einigung gefährden und letztlich zerstören.

Will man hingegen ein Europa der Vielfalt und der Freiheit, welches Hayek wie auch den europäischen Gründervätern vorschwebte, dann braucht es einen institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert. Und es braucht klare Regeln, die allgemein, abstrakt und für alle gleich sind, damit sie nicht umgangen oder interpretiert werden können.

Dazu gehört auch, dass die EU Abschied vom Dogma einer „ever closer union“ nimmt und stattdessen das Prinzip der Subsidiarität wieder in den Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft stellen muss. Es muss freiwillige vertiefte Zusammenarbeit dort geben, wo ein Konsens erzielt werden kann. Dieser Konsens muss nicht für alle Zeiten gelten, sondern Mitgliedsstaaten müssen ein Recht erhalten, Kompetenzen zurückzufordern. Die Union muss flexibel und vielfältig sein. Als monolithischer Einheitsblock würde sie sich auf das Abstellgleis der Geschichte begeben, unfähig zur Anpassung, unfähig zur Entwicklung.

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

Photo: Petras Gagilas from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Während in Talkshows und Kommentaren die Zunahme von Hate Speech und Fake News beklagt wird, kann die Sendung „Die Anstalt“ auf Kosten des Beitragszahlers ungehindert den Diskurs vergiften und wüste Verschwörungstheorien verbreiten.

„Die Mont-Pèlerin-Society ist die einflussreichste Denkfabrik unserer Republik“

Wer sich die angebliche Kabarettsendung „Die Anstalt“ einmal angesehen hat, wird ziemlich schnell festgestellt haben: Der „Humor“ ist subtil wie ein Nilpferd, raffiniert wie eine Portion Pommes mit Ketchup und geistreich wie eine Betonmischmaschine. Besonders zeichnet sich die Sendung aus durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Da werden geheime Netzwerke aufgedeckt und der furchterregende Masterplan der NATO zur Bekämpfung Russlands enthüllt. Von den Veröffentlichungen des Kopp-Verlages oder den „Einsichten“ eines Alex Jones unterscheidet sich „Die Anstalt“ hauptsächlich durch ein anderes politisches Vorzeichen und den Verzicht auf die Prise Esoterik. Eines der liebsten Objekte linker Verschwörungstheoretiker ist gerade 70 Jahre alt geworden: die Mont-Pèlerin-Society. Ein guter Anlass für die „Kabarettisten“, sich einmal wieder der alles beherrschenden Ideologie des Neoliberalismus zu widmen.

Um die furchteinflößenden Verstrickungen auch anschaulich darstellen zu können, hat der ZDF-Praktikant das Verzeichnis des Atlas Network ausgedruckt, das liberale Think Tanks weltweit vernetzt. Die Blätter wurden auf eine bedrohlich aussehende Grafik mit dutzenden Querverbindungen aufgeklebt und dann konnte es losgehen, denn: „Die Mont-Pèlerin-Society ist die einflussreichste Denkfabrik unserer Republik“. Dreizehn Minuten lang wird dann unter vielen Ahs und Ohs dargelegt, welchen sinisteren Plan diese Leute verfolgen um ihre Agenda aus „Privatisierungen, Steuersenkungen und Sozialstaatsabbau“ in der ganzen Welt durchzusetzen. Da fallen Sätze, die vordergründig ironisch präsentiert werden, aber beim Zuschauer durchaus ohne den Unterton hängen bleiben können: „Der Kapitalismus ist schuld an Faschismus und Krieg“. Es ist eine einfache Masche: Man transportiert die Botschaften als Kabarett und ist damit aus dem Schneider. So zog sich einer der beiden Macher, Max Uthoff, auch aus der Affäre als Kritik an seiner Verteidigung von Putin laut wurde.

Fake news sind immer die anderen

Klar ist, wie dafür bezahlt wird, dass die ganze Welt zum Opfer des Neoliberalismus werden kann: durch „das Geld der Rockefeller Foundation, der Credit Suisse und der Bank of England“ und indem Milliardäre Lehrstühle sponsern und ganze Fakultäten übernehmen. Das klingt wie aus dem Drehbuch von Victor Orban, und der kundige Leser darf sich ein wenig wundern, dass gar kein jüdischer Name gefallen ist. Apropos Juden: Wer natürlich nicht fehlen darf, ist Milton Friedman, dessen Schüler den „Cowboydarsteller“ Ronald Reagan steuerten. Er und seine „Chicago Boys“ hätten die Pinochet-Diktatur in Chile als „Labor für ihre Experimente“ benutzt. Als Lohn habe es für Friedman den Nobelpreis gegeben, der ihm nur verliehen worden sei, weil ein Mitglied der Mont-Pèlerin-Society im Auswahlkomitee gesessen habe. Ein Blick auf die Seite des Nobelpreiskomitees hätte genügt, um festzustellen, dass das blanker Unsinn ist. Ebenso wie die Behauptung, der „Brillenzombie“ James Buchanan habe ihn für die Schuldenbremse bekommen. – Aber klar, „fake news“ ist es immer nur dann, wenn die politischen Gegner Unwahrheiten verbreiten.

Wo wir gerade bei „fake news“ sind: Auch die Behauptung, Charles Koch habe Trump finanziert, ist nicht nur falsch – das Gegenteil ist richtig. Ebenso wenig ist es zutreffend, dass Gerhard Schröder den Sozialstaat „geschleift“ habe. Wer sich etwa die Sozialleistungsquote ansieht, kann feststellen, dass sich die Quote, die sich aus dem Anteil der Sozialleistungen am BIP errechnet, zwischen dem ersten Haushaltsjahr der rot-grünen Koalition 2000 mit 28,8 % und dem letzten 2006 mit 27,8 % kaum verändert hat – und seitdem auch wieder gestiegen ist auf inzwischen 29,3 %. Bei steigendem BIP, wohlgemerkt. Schleifen sieht anders aus … Doch nicht nur Falschmeldungen, Suggestivfragen und Insinuationen durchziehen die Sendung. Auch der Tonfall und die Terminologie überschreiten bisweilen die Grenzen dessen, was man als „hate speech“ bezeichnen könnte. Würden die Macher der Anstalt solche Ausdrücke verwenden und politisch rechts stehen, wäre (zurecht) die Hölle los … Dem Zuschauer wird suggeriert, dass es sich bei Neoliberalen um eine geheimnisvolle Clique von profitgierigen alten Männern handelt, die Millionen aus „der Wirtschaft“ abschöpfen, um eine menschenfeindliche Agenda durchzusetzen. Oder mit den Worten von Max Uthoff: „Privatisierung bedeutet Geschäfte mit bettlägerigen Patienten, Steuersenkungen bedeutet kein Geld für Schulen und Sozialstaatsabbau bedeutet mehr arme Kinder und Rentner.“

Die Öffentlichen handeln erschreckend verantwortungslos

Hier wird mit Ängsten gearbeitet und mit Ressentiments. Hier wird Hass gesät und die Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben. Hier wird das Mistbeet ausgelegt für rechte und linke Populisten, die sich auf solche einfachen Wahrheiten beziehen. Diese Diskursvergiftung als Kabarett zu tarnen, ist geradezu grotesk. Wir haben es hier vielmehr mit einer nur notdürftig getarnten Variante von „hate speech“ zu tun – denn hier wird nicht etwa inhaltlich kritisiert, sondern ad hominem Hass geschürt. Während die einen die Gefahr einer Islamisierung beschwören, wird hier das Schreckgespenst des Neoliberalismus an die Wand gemalt. Während die einen davor warnen, dass unsere Frauen den Ausländern hilflos ausgeliefert sind, wird hier die Ausbeutung von Rentnern angekündigt. Unterstellt werden natürlich böse Motive und finstere Methoden. Dass es Menschen wie den in der Sendung geradezu angeprangerten Wissenschaftlern Hayek, Friedman, Schlecht, Giersch und Buchanan vielleicht auch um Frieden, die Behebung von Armut und die Vergrößerung individueller Freiheit gegangen sein könnte, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Nein, wer den Neoliberalismus vertritt, muss nur daran interessiert sein, die Reichen reicher zu machen – auf Kosten der Armen. Die Macher der Anstalt sollten sich nicht wundern über gesellschaftliche Spaltung, denn sie tragen selber gehörig dazu bei.

Hat eine solche Sendung Platz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ist das Teil des Bildungsauftrags? Oder etwas anders formuliert: Ist es rechtmäßig, wenn Millionen ausgegeben werden, um ein Format zu fördern, in dem falsche Behauptungen aufgestellt und gesellschaftliche Gruppierungen gegeneinander aufgehetzt werden? Die Gehälter der „Kabarettisten“ (die vermutlich die Einkünfte der von ihnen angegriffenen Neoliberalen um einiges übersteigen) werden übrigens bezahlt von Friseusen und Kassierern, von Bauarbeitern und Studentinnen. Darf man deren hart verdientes und oft nicht freiwillig abgegebenes Geld dafür verwenden, um ein paar besserverdienenden Intellektuellen eine Spielwiese für gesellschaftliche Spaltung zu finanzieren? Die USA und Großbritannien können als mahnende Beispiele dafür dienen, was passiert, wenn eine Gesellschaft ihre Diskursfähigkeit verliert; wenn man nicht mehr miteinander redet, sondern nur noch übereinander schimpft. Diesen Prozess im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch noch zu finanzieren und zu sanktionieren, ist erschreckend verantwortungslos.

Anmerkung: „Die Anstalt“ bietet auch einen Faktencheck zu ihren Sendungen an unter https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/fakten-im-check-der-anstalt-118.html. Leider steht unter dem Teil zur Mont-Pèlerin-Society nur, dass in Kürze ein Faktencheck veröffentlicht werde.