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Photo: Metro-Goldwyn-Mayer Studios

Stil-Ikone, Kommunistenfresser, Macho, Weltretter – wenige Figuren haben die Pop-Kultur so langfristig geprägt und zu Begeisterung und Entrüstung geführt wie James Bond. Er steht stellvertretend für die enorme Prägekraft westlicher Kultur. Und das ist in der Summe sehr gut so.

Im Angesicht der Todes

James Bond hatte es mit jedem erdenklichen Schurken aufgenommen: Natürlich mit den Sowjets, aber auch mehrfach mit einer Weltverschwörungs-Gruppe, mit Wirtschaftskriminellen, Diktatoren, Drogenbaronen, Öko-Extremisten, Hackern und Medienmogulen. Diese Erzschurken wollen bisweilen die gesamte Menschheit vernichten. Immer aber ist ihre kriminelle Aktivität darauf gerichtet, die Freiheit und den Wohlstand der Menschen zu kapern. Der ebenso furchtlose wie stilsichere Geheimagent nimmt es regelmäßig mit veritablen Menschenfeinden auf. Während er dabei oft genug auch mit den Fallstricken der britischen Bürokratie zu kämpfen hat und auch mit mancherlei moralischen Dilemmata konfrontiert ist, bleibt er im Grunde seines Herzens doch immer ein aufrechter Mensch, der sich nach Kräften bemüht, den Sieg des Bösen zu verhindern.

Freilich sind viele der Filme, die seit 55 Jahren einen Kernbestand der Pop-Kultur bilden, auch sehr zeitverhaftet. Der von Sean Connery verkörperte James Bond der 60er Jahre empfiehlt sich nicht als Vorbild für den Umgang mit Frauen. Der optimistische und selbstsichere Bond Pierce Brosnans passte hervorragend in die Aufbruchsstimmung der 90er Jahre und personifiziert geradezu das Wort des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“. Dagegen ist Daniel Craigs Interpretation schon vom Selbstzweifel einer Welt geprägt, die 9/11 und die Finanz- und Wirtschaftskrise hinter sich hat. Man kann sicherlich auch manches kritisieren am Setting der Filme, die eigentlich nur die Welt der Reichen und Schönen darstellen. Aber die Filme waren zur Unterhaltung gedacht – und sie haben über Jahrzehnte hinweg Abermillionen von Menschen großen Spaß bereitet.

Die Welt ist nicht genug

Gerade diese Anziehungskraft des coolen und souveränen Top-Agenten hat aber noch weitaus größere Wirkung als nur die Werbeeffekte für Omega, Sony und Aston Martin. Er ist ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, das weltweit konsumiert wird. In China und Indien gehörte der letzte Bond zu den erfolgreichsten Filmen überhaupt. Von kleinen Städtchen im Amazonas bis ins Politbüro von Vietnam – überall kennt man James Bond. Mehr als 90 % der Weltbevölkerung kennt gar keine Welt ohne James Bond-Filme. Die Bedeutung dieses Faktums lässt sich kaum überschätzen. Denn es bedeutet, dass unzählige Menschen rund um den Globus die „westliche“ Lebensart kennenlernen. Die prägende Kraft solcher Erzählungen ist gewaltig. Auch wer nie die politische Geschichte Großbritanniens studiert, die US-Verfassung in der Hand gehabt oder sich mit dem Scheitern von Plan- und Staatswirtschaft auseinandergesetzt hat, bekommt über den Konsum dieser Filme die Botschaft vermittelt, dass es böse Menschen gibt, die Krieg säen und Unfreiheit verbreiten wollen – und dass es wichtig ist, diese Menschen aufzuhalten.

Dadurch wird natürlich noch nicht jeder Bond-Fan zu einem glühenden Anhänger des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und der Marktwirtschaft. Aber nie war es so leicht wie heute, die Werte zu vermitteln, die für ein friedliches und gedeihliches Miteinander der Menschen grundlegend sind. Der Job, den früher Lehrer und Journalisten, Aktivisten und Politiker in mühseliger und hartnäckiger Kleinstarbeit leisten mussten, unterstützen und übernehmen im Zeitalter der Massenunterhaltungsindustrie Drehbuchautoren und Regisseure, Sängerinnen und Comic-Zeichner. Die Globalisierung der Pop-Kultur ermöglicht schneller, effizienter und breitenwirksamer eine weltweite Vermittlung von freiheitlichen Werten als das regierungsfinanzierte und -organisierte Organisationen je könnte.

Der Spion, der uns liebt

Historiker schreiben einem Unterhaltungskünstler wie David Hasselhoff eine bedeutende Rolle auf dem Weg zur Wiedervereinigung zu. Junge Chinesen können heute durch Superhelden wie Batman oder Captain America ein Verständnis dafür bekommen, dass ein übergriffiger Staat und eine korrupte Bürokratie nicht Normalität sein müssen. Und Schauspielerinnen, Sänger und Models vermitteln in Interviews, die millionenfach im Internet gelesen oder angesehen werden, jungen Menschen Selbstwertgefühl und Hoffnung. Manche mögen diese Statements mit einem gewissen Dünkel als Banalitäten oder Selbstinszenierung abtun. Vermutlich leisten ein paar solcher Äußerungen jedoch für die persönliche Emanzipation von Jugendlichen in autoritären Staaten und reaktionären Gesellschaften mehr als 66 Jahre Goethe-Institut.

Ideen verändern die Welt. Dass es heute so vielen Menschen möglich ist, sich als Individuum zu entfalten, liegt ganz wesentlich daran, dass sich diese Ideen verbreitet haben. Und Ideen sind enorm zäh: wenn sie einmal in der Welt sind, wird man sie kaum mehr los – weder mit Geheimpolizisten, noch mit Gefängnissen oder mit Gegenpropaganda. Der Beitrag, den so scheinbar banale Gestalten wie die Superheldin Wonder Woman, der Star Wars-Protagonist Luke Skywalker oder eben James Bond zur Verbreitung der Ideen unserer Offenen Gesellschaft leisten, ist immens. Sie sind nicht nur in der Welt auf Zelluloid Superhelden. Sie sind es auch im wahren Leben. Sie sind Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät – ihrer Majestät der Freiheit.

 Photo: hans-johnson from Flickr (CC BY-ND 2.0)

China ist kein Musterknabe der freien Marktwirtschaft. Aber die verantwortlichen Parteikader haben schon lange verstanden, dass man mit Mao, Lenin und Marx die Wirtschaft nicht zum prosperieren bringt. Darum ist China zwar kein vorbildlicher, aber doch ein wichtiger Verbündeter auf dem Weg zum Freihandel.

Ein fundamentaler Wandel – aber noch viel Raum nach oben

In vielen Kulturen stehen Händler am unteren Ende der Hierarchie in einer Gesellschaft. Die Art und Weise, wie die Kaufleute im konfuzianischen Gesellschaftsverständnis beschrieben werden, erinnert an die Verachtung, die ihnen früher und heute auch in unseren Breitengraden entgegenschlägt in Form von Intellektuellendünkel, Antikapitalismus und nicht selten auch in antisemitischen Klischees. Der Klasse der „Shang“ wird unterstellt, selber nichts zu erschaffen und zu leisten, und wie Parasiten von den Bemühungen und dem Einsatz anderer zu leben. Ihnen wird unterstellt, gierig zu sein und keinerlei moralische Überzeugung zu pflegen. Sie sind die Ausbeuter, die von anderer Leute Arbeit leben. Auf diese Grundüberzeugung gründete Mao auch seine kommunistische Terrorherrschaft. Das heutige China ist von beiden Traditionen inzwischen weit entfernt: Seit bald einem Jahrzehnt liefern sich Deutschland und China ein Wettrennen um den Titel des Exportweltmeisters.

Trotz alledem ist China natürlich noch keine Marktwirtschaft im Sinne westlicher Staaten, geschweige denn im Sinn der großen freiheitlichen Theoretiker. In vielerlei Hinsicht handelt es sich bei dem Wirtschaftssystem noch um astreinen Staatskapitalismus und Korporatismus. Die Hürden für Investoren und Anbieter aus dem Ausland sind immer noch verhältnismäßig hoch. Und chinesische Unternehmen selbst treten im Ausland durchaus nicht als fairer Partner auf, sondern nutzen die Rückendeckung ihrer Regierung, um sich, insbesondere in den weniger entwickelten, aber rohstoffreichen Ländern der Welt, Vorteile gegenüber Wettbewerbern zu verschaffen und die Länder rücksichtslos auszubeuten. In Abwandlung eines Wortes von Helmut Kohl kann man sagen: China will offenbar nicht den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen.

Ein ungewöhnlicher Verbündeter

Die chinesische Politik weiß, dass politische und wirtschaftliche Stabilität für das Land nur erreicht werden können, wenn es weiterhin ein halbwegs stabiles Wachstum gibt. Und dazu gehört natürlich der Außenhandel als ganz wesentlicher Faktor. Während es in manchen westlichen Staaten derzeit zunehmend Abschottungstendenzen gibt, entwickelt sich China zu einem immer wichtigeren Vorkämpfer der Globalisierung. Der chinesische Präsident Xi Jinping warf sich vor wenigen Monaten beim Weltwirtschaftsforum in Davos für Freihandel in die Bresche: „Wir müssen uns weiterhin engagieren, um weltweit Freihandel und Investitionsfreiheit weiterzuentwickeln, … indem wir uns öffnen und dem Protektionismus eine Absage erteilen. … China steht dafür, dass offene und transparente Freihandelsabkommen geschlossen werden, die für alle beteiligten von Nutzen sind. Und wir lehnen es ab, exklusive Gruppen zu bilden, die auf eine Fragmentierung hinauslaufen.“

Am vergangenen Wochenende trafen sich in Peking 31 Staats- und Regierungschefs von Indonesien bis Kenia, von Argentinien bis zur Schweiz zum Auftakttreffen der von Jinping seit längerem schon vorbereiteten „Belt and Road Initiative“ („Neue Seidenstraße“). Im Abschlussdokument der Konferenz einigten sich die Teilnehmer auf die Formulierung: „Wir streben danach, ein universelles, regelbasiertes, offenes, nicht-diskriminierendes und faires multilaterales Handelssystem voranzubringen auf Basis der WTO-Regeln.“

Falsche Freunde, aber richtige Ideen

Zurecht haben viele Kommentatoren darauf hingewiesen, dass die chinesische Politik noch einen sehr langen Weg vor sich hat, wenn sie ihr Reden und Handeln in Einklang bringen wollen. Manche befürchten gar, dass diese Sonntagsreden den wahren Charakter chinesischer Handelspolitik übertünchen sollen, deren Ziel die Marginalisierung der westlichen Demokratien sei. Nun ist es allerdings keine besonders große Überraschung, dass im Bereich der Politik die wohlklingenden Worte oft nur in einem marginalen Zusammenhang mit der Realität stehen. Sich darüber aufzuregen, lohnt der Mühe fast nicht. Man sollte allerdings nicht übersehen, welche Rolle auch die Rhetorik und Symbolik in der Politik spielt. Politiker wie Willy Brandt oder Ronald Reagan können durch ihre Kommunikationsfähigkeiten mitunter viel mehr politische Veränderung bewirken als ein anderer mit Heerscharen von Gesetzen und Steuern.

Wenn die chinesische Politik sich nun anschickt, zu einem glühenden Befürworter des Freihandels zu werden, hat das viele positive Effekte. Auch unabhängig davon, wie glaubwürdig das Eintreten tatsächlich erscheint für diejenigen, die die Hintergründe etwas besser kennen. Eines Tages werden die Verantwortlichen vermutlich tatsächlich auch an ihrer eigenen Rhetorik gemessen. Und unter dem Strich ist es immer noch besser, wenn die richtigen Ideen von falschen Freunden in die Welt gesetzt werden, als wenn keiner dazu beiträgt, sie zu verbreiten. Vor kurzem veröffentlichte die offizielle Nachrichtenagentur Chinas ein drolliges Video, in dem eine Gruppe von Kindern aus den Ländern, die an der Seidenstraße liegen, die segensreichen Wirkungen des Freihandels besingt. Ganz ehrlich: Man würde sich wünschen, dass die richtigen und wichtigen Botschaften, die diese Kinder dort transportieren, in der ganzen Welt Gehör finden – ganz egal, von wem sie kommen. Ja, Chinas Politik genügt diesen Idealen oft nicht. Aber das hat auch die Politik anderer Staaten nicht, die früher wichtige Motoren des Freihandels waren – wie Großbritannien, die Niederlande, Deutschland und die USA. Freuen wir uns dennoch darüber, dass diese Ideen ein weiteres einflussreiches Sprachrohr gefunden haben. Wenn statt der Mao-Bibel Werbung für den Freihandel in alle Welt gesendet wird, kann das nur von Vorteil sein!

Für geneigte Leser hier noch das Video und die deutsche Übersetzung des Textes:

Der Gürtel verbindet das Land,
Die Straße bewegt sich auf dem Meer.
Ihr Versprechen
Ist gemeinsamer Wohlstand.

Wir zerbrechen Grenzen,
Wir schreiben Geschichte.
Die Welt, von der wir träumen,
Beginnt mit Dir und mir.

Jetzt kommt die Zukunft,
Und zwar durch Gürtel und Straße.
Wir teilen jetzt all das Gute,
Und zwar durch Gürtel und Straße.

Wenn Handelswege sich auftun,
Dann beginnt das Teilen:
Ressourcen werden ausgetauscht
Und Autoteile verschifft.

Ideen fangen an, zu fließen,
Und Freundschaften werden geschlossen.
Dann werden Dinge, die man für unmöglich gehalten hatte,
Der Normalzustand.

Produkte und Güter sind nur ein Teil,
Von Äpfeln bis zu Kränen (und alles hochmodern!).
Wir bauen neue Straßen, errichten mehr Häfen,
Finde neue Möglichkeiten (mit allen möglichen Freunden!).

Es ist ein Austausch der Kulturen und wir vermehren unseren Wohlstand.
Wir verbinden uns im Herzen (und das macht uns gesünder!).
Mit unseren Trassen und Kabeln, unserem diplomatischen Austausch
Werden wir eine Welt des Wohlstands teilen!

Photo: MEAACT Kenya from Flickr (CC 0)

Der Freihandel hat es schwer. So schwer wie schon lange nicht mehr. Man kann so schön gegen ihn polemisieren. US-Präsident Donald Trump hat mit seiner Kritik an den „Billigimporten“ aus China sogar die Präsidentschaftswahl gewonnen. Jetzt schimpft er auf Deutschland mit den gleichen Argumenten. Die Kritik kommt aber vielfach auch aus der linken Ecke. Unsere Standards würden in den Entwicklungs- und Schwellenländern nicht eingehalten, daher könnten sie so billig produzieren. Arbeitsplätze gingen dann bei uns verloren. An diesem Argument ist durchaus etwas dran.

Auch der Appell, Kinderarbeit, schlechte Arbeitsbedingungen und eine Umwelt, an der Raubbau betrieben wird, dürfe die westliche Welt nicht akzeptieren, hat seine Berechtigung. Das sind Argumente, die vordergründig stichhaltig sind. Wer will schon Kinderarbeit? Wer will schon, dass die Umwelt zerstört wird? Doch was ist in den Entwicklungsländern die Alternative? Ist es nicht anmaßend, aus unserer Brille heraus anderen Regionen auf dieser Welt vorzuschreiben, wie sie leben sollen oder ihnen Entwicklungschancen zu verbauen? Unsere Verhältnisse sind auch nicht über Nacht entstanden. Kinderarbeit war bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland erlaubt, in der Schweiz bis weit in die 1950er Jahre hinein. Die Industrialisierung in Europa war auch ein Raubbau an der Natur. Erst der technische Fortschritt brachte Wohlstand für breite Schichten der Bevölkerung. Erst die auf Wettbewerb basierende Marktwirtschaft hat die Arbeitsbedingungen und auch die Umweltstandards mit der Zeit verbessert.

Deshalb ist der erhobene Zeigefinger vieler Freihandelsgegner arrogant und zynisch, weil sie billigend in Kauf nehmen, dass sich die Lebenssituation in den Entwicklungsländern mit unseren Standards niemals verbessern wird. Viel lieber wollen sie Entwicklungshilfe leisten, die nicht hoch genug sein kann, um dem eigenen Seelenheil zu dienen. Lieber korrupten Regierungen in Afrika den Haushalt finanzieren, anstatt die Märkte in der EU für afrikanische Produkte zu öffnen. Es ist wie ein neuzeitlicher Ablasshandel, der vielleicht ein gutes Gewissen macht, aber die Probleme nicht löst.

Wenn Entwicklungshilfeminister Gerd Müller jetzt einen Marshall-Plan für Afrika fordert, dann potenziert er diesen Ablasshandel. Er will die Entwicklungshilfe dadurch verbessern, dass sie auf die Länder konzentriert wird, die „sichtbare Fortschritte“ bei „guter Regierungsführung, Rechtssicherheit, Korruptionsbekämpfung“ machen. Das Scheitern dieser Form der Entwicklungshilfe ist längst belegt. Das Modell „Zuckerbrot und Peitsche“ funktioniert meist nicht, weil ein kultureller Wandel nicht Zwang, sondern eine innere Einsicht bei den Menschen voraussetzt. Anstatt Afrika immer mehr an den Tropf der Industrieländer zu hängen, wäre es besser, wenn sich Deutschland innerhalb der EU noch stärker für den Abbau von Zöllen gegenüber den Ländern Afrikas einsetzten und gleichzeitig seine eigenen Agrarsubventionen zurückfahren würde. Immerhin nimmt die EU jedes Jahr rund 18 Milliarden Euro an Zöllen von Unternehmen aus Staaten außerhalb der EU ein – auch aus Afrika und ein großer Teil des EU-Haushaltes wird für die Subvention der europäischen Landwirtschaft ausgegeben.

Es wäre auch der beste Weg, um die Flüchtlingsströme aus Afrika zu stoppen. Menschen können bei freiem Handeln in ihrer angestammten Heimat bleiben und dort ihre Talente entfalten. Mit einem freien Warenverkehr verliert auch die Größe des Landes an Bedeutung. Auch größenwahnsinnige Nationalisten und Despoten wird damit der Boden entzogen. Wer Handel treibt, der führt keine Kriege, Freihandel ist also friedensstiftend. Freihandel ist darüber hinaus eine Machtbegrenzung von Staaten und Regierungen. Ihr Einfluss sinkt zugunsten des Konsumenten.

Der europäische Binnenmarkt ist ein epochaler Fortschritt im 20. und 21. Jahrhundert und findet Nachahmer überall auf der Welt. So frei er im Inneren ist, desto verschlossener ist er gegenüber Schwellen- und Entwicklungsländern. Mit dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan müsste man in Richtung Europäische Union rufen: „Tear down this wall“ – reißt diese Mauer nieder!

Photo: Oliver Hallmann from flickr (CC BY 2.0)

Wenn in dieser Woche Theresa May offiziell den Antrag auf Austritt Großbritanniens aus der EU stellt, dann beginnt das Tauziehen. Erstmal mit Großbritannien selbst. Denn jede Scheidung ist teuer. Das ist im Privaten so wie auch zwischenstaatlichen Bereich. Die gemeinsamen Verpflichtungen und Zusagen müssen zum möglichen Scheidungszeitpunkt in zwei Jahren auseinandergerechnet werden. Dagegen rechnen muss man vielleicht die eine oder andere Vermögensposition, die auch mit britischem Geld angeschafft wurde. Doch unter dem Strich wird Großbritannien wahrscheinlich erheblich zur Kasse gebeten. Die Financial Times geht von Scheidungskosten von bis zu 60 Milliarden Euro aus, die auf London zukommen werden.

Über die Lücke, die anschließend im EU-Haushalt klafft, wird jetzt schon heftig gerungen. Immerhin hat Großbritannien 2015 11,5 Milliarden Euro mehr eingezahlt, als es über Programme und Transferzahlungen aus dem EU-Haushalt zurückbekommen hat. Großzügig hat der neue Außenminister Sigmar Gabriel angeboten, dass Deutschland mehr zahlen könne, da es besonders von der EU und dem gemeinsamen Markt profitiere. Das ist sehr großherzig von ihm. Der neue EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger springt ihm erfreut zur Seite. Der EU-Haushalt bringe einen echten „Mehrwert, wo man auf europäischer Ebene Projekte effizienter, kostengünstiger und erfolgreicher als auf nationaler oder regionaler Ebene finanzieren“ könne, so Oettinger in der FAZ.

Eigentlich müsste spätestens hier „Wahrheitsminister“ Heiko Maas einschreiten. Denn im Jahr 2000 formulierten die Staats- und Regierungschefs der EU die Lissabon-Strategie. Sie wollten innerhalb von 10 Jahren die EU zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt machen. Das ist nachweislich in die Hose gegangen. Den Grund dafür haben Milton Friedmans Ausführungen über das Geldausgeben des Staates geliefert:

„Es gibt nur vier Wege, Geld auszugeben: Man kann sein eigenes Geld für sich selbst ausgeben. Wenn man das tut, passt man wirklich auf, was man tut, und man versucht, das Maximum aus seinem Geld herauszuholen. Man kann sein eigenes Geld für jemand anderen ausgeben, zum Beispiel, wenn ich ein Geburtstagsgeschenk für jemanden kaufe. Dann achte ich weniger auf das Geschenk selbst, aber sehr auf die Kosten. Ich kann das Geld anderer Leute für mich selbst ausgeben. Und wenn ich das tue, werde ich mit Sicherheit gut zu Mittag essen! Und zu guter Letzt kann ich das Geld anderer Leute für andere Leute ausgeben. Und wenn ich das tue, dann interessiert mich nicht, wie viel ich ausgebe, und mich interessiert nicht, was ich für das Geld bekomme. Und so funktioniert der Staat.“

Die Europäische Union verliert 64 Millionen Einwohner (fast 13 Prozent) durch den Austritt Großbritanniens und 17 Prozent der Wirtschaftskraft, aber die Ausgaben sollen unverändert bleiben. Nur völlige Realitätsverweigerer können annehmen, dass dieser Verlust an Bevölkerung und Wirtschaftskraft keinen Einfluss auf die Höhe des EU-Haushalts haben wird. Der Brexit sollte als Chance genutzt werden, um grundsätzliche Veränderung der Ausgabenpolitik der EU zu diskutieren. Deutschland trägt offiziell mit 24,28 Milliarden Euro (2015) zum EU-Haushalt von 162 Milliarden Euro (2015) bei. Oft wird jedoch dieser Betrag kleingerechnet, indem Rückflüsse nach Deutschland für Struktur- und Kohäsionsfonds und die Agrarwirtschaft abgezogen werden. Wenn man dies tut, verbleiben für Deutschland „nur noch“ 14,3 Milliarden Euro (2015).

Was macht es für einen Sinn, dass Deutschland erst Milliarden an die EU überweist, um anschließend einen Teil dieses Geldes – vermindert um die Kosten von viel Bürokratie und Leerlauf – wieder zurück ins eigene Land zu bekommen. Schlauer wäre es doch, würde die EU nur dort tätig, wo tatsächlich Gemeinschaftsaufgaben notwendig sind. Hierzu zählen sicherlich die Außenpolitik, die Grenzsicherung im Süden Europas oder die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Marktes in Europa. Die irrige Annahme, die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von öffentlichen Investitionen oder die Subventionierung der Landwirtschaft würde Wohlstand schaffen, ist der Grundfehler europäischer Wirtschaftspolitik. Was haben denn diese Subventionen gebracht?

Griechenland hat seit seinem Beitritt 1981 bis zum Ausbruch der Krise 2010 über 133 Milliarden Transferzahlungen erhalten. Allein Deutschland steuerte bis dahin 69 Milliarden Euro bei. Spanien erhielt bis zum Ausbruch der Krise 157 Milliarden Euro, Portugal 72 Milliarden. 362 Milliarden Euro wurden allein für diese drei Länder aufgewandt. Heute sind Griechenland und Portugal pleite und Spaniens Schuldenstand war noch nie so hoch. Nur eine Abkehr von dieser falschen Politik kann Wachstum und Wohlstand in Europa schaffen. Den Irrweg, durch mehr Subventionen und Umverteilung in der EU Wachstum zu fördern, muss endlich beendet werden. Wer nicht in kleinlichen Aggregaten denkt, weiß: der Binnenmarkt nützt nicht nur den Bürgern in Deutschland, sondern allen in Europa. Würde die Europäische Union nicht dauerhaft durch ihre Markteingriffe falsche Anreize setzen, sondern Risiko und Haftung in der Hand der Menschen und Unternehmen belassen, würden viel schneller Anpassungen an die wirtschaftlichen Notwendigkeiten stattfinden, ohne dass es zu Dauersubventionen und Verschwendung von Steuergeldern kommt. Das wäre die notwendige Strategie, um die EU innerhalb von 10 Jahren tatsächlich zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Marco Verch from Flickr (CC BY 2.0)

Werden das Roboter- und Computer-Zeitalter einen erheblichen Teil der Menschheit arbeitslos machen? Wohl kaum. Vielmehr können wir eine zunehmende Humanisierung der Arbeitswelt erwarten. Die Dienstleistungsgesellschaft kommt unserem Drang zu Austausch und Kooperation entgegen.

Innovation und Technik sind nicht die Ursachen der Rückschläge für die Menschheit

In regelmäßigen Abständen skandalisieren und dramatisieren Zeitungen, Magazine und Fernsehdokumentationen den Untergang der gewohnten Arbeitswelt, weil die Digitalisierung immer mehr Arbeitsplätze vernichte. Der österreichische Kanzler und der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten in Frankreich forderten kürzlich eine Maschinensteuer. Diese Ausbrüche der Zukunftsangst sind nichts Neues. Es fällt einem nicht wirklich schwer, sich vorzustellen, wie vor Zehntausenden von Jahren die Lastenträger und Eseltreiber panisch auf die Einführung des Lastkarrens reagiert haben müssen. Schon der römische Kaiser Vespasian verbot den Gebrauch technischer Innovation, um den Arbeitern zu garantieren, dass sie auch weiterhin in ihren alten Berufen ihr Brot verdienen können. Durch die Menschheitsgeschichte haben Politiker immer wieder eingegriffen, um Innovation zu behindern oder zumindest zu verlangsamen: aus Angst vor Massenarbeitslosigkeit und vielleicht mitunter auch aus echter Sorge um die Arbeiter. Oft nahmen die Arbeiter, die sich durch Maschinen und Technologie bedroht fühlten, die Sache in die eigenen Hände. Insbesondere in der Zeit der Industriellen Revolution gab es regelmäßige Aufstände sogenannter Maschinenstürmer.

Auch wenn die herbei beschworenen apokalyptischen Szenarien wieder und wieder ausgeblieben sind, finden sich doch zu jeder Zeit Politiker und Wissenschaftler, die argumentieren, nun sei aber wirklich der Zeitpunkt erreicht, wo Maschine, Roboter oder Computer den Menschen ersetzen. Und natürlich finden diese Theorien auch immer dankbare Abnehmer bei den Amateur- und Profi-Pessimisten dieser Welt. Angst ist eben immer ein gutes Geschäftsmodell. Und Katastrophenszenarien geben einem auch noch das erhebende Gefühl, in einer ganz besonderen Zeit zu leben, die anders sei als alles, was die Menschheit bisher erlebt habe. Die enttäuschende Realität: so besonders ist man dann doch nicht und auch die Katastrophen bleiben aus. Die wirklichen Rückschläge für die Menschheit kommen nicht aus Innovation und Technik, sondern aus politischen Entscheidungen, die sich von Ressentiments und Angst ernähren.

Es gibt immer mehr entlohnte Arbeit

Auch die Zahlen sprechen deutlich gegen die Theorie, dass Arbeit durch technischen Fortschritt verschwindet. Trotz des zunehmenden Grades an Automatisierung und des Niedergangs vieler Produktionszweige steigt die Zahl der Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, in Deutschland und anderen vergleichbaren Ländern kontinuierlich an. Und das obwohl in den vergangenen Jahrzehnten auch noch immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eingestiegen sind. 1882 hatte Deutschland 45,2 Millionen Einwohner und knapp 19 Millionen gingen einer Erwerbsarbeit nach (42,0 %). 25 Jahre später waren bei einer Bevölkerung von 62 Millionen bereits 28,1 Millionen in Lohn und Brot (45,5 %). Im Jahr 1991 gab es 38,7 Millionen Erwerbstätige bei einer Gesamtbevölkerung von 80,3 Millionen (48,2 %) und 25 Jahre später waren es 43,4 von 82,2 Millionen (52,8 %).

Der Anteil der Bevölkerung, der einer Arbeit nachgegangen ist, die zum eigenen Lebensunterhalt beigetragen hat, ist kontinuierlich gestiegen. Zwar gibt es heute weniger junge Menschen als vor 135 Jahren, aber auch das durchschnittliche Einstiegsalter in den Beruf ist konstant gestiegen, die Zahl der Über-65jährigen geradezu explodiert und der Anteil von berufstätigen Frauen an der weiblichen Gesamtbevölkerung in dieser Zeit von 24,4 auf 47,3 Prozent hochgegangen. Besonders spannend ist die Entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren: Der primäre Sektor (also Landwirtschaft und Rohstoffproduktion) ist als Arbeitsplatz-Lieferant schlichtweg atomisiert worden. Der sekundäre Sektor (Industrie, Handwerk u. ä.) ist nach einem zwischenzeitlichen Aufstieg in der Hochphase der Industrialisierung auch im raschen Niedergang begriffen während der tertiäre Sektor (Dienstleistungen) beständig wächst – wohlgemerkt bei steigender Erwerbstätigenquote.

Erwerbstätige in den verschiedenen Wirtschaftssektoren

Erwerbstätige in den verschiedenen Wirtschaftssektoren

Es geht immer menschlicher zu am Arbeitsplatz

Welche Jobs gingen denn verloren durch die Industrialisierung und die Digitalisierung? Diejenigen, in denen man hart und lange arbeiten musste. Die Berufe, in denen man sich den Rücken krumm und die Lunge staubig geschuftet hat. Jene monotonen Aufgaben, bei denen menschliche Interaktion auf kurze Zurufe beschränkt war. Das Wachstum des tertiären Sektors hingegen bedeutet letztlich eine zunehmende Humanisierung der Arbeitswelt. Denn in der Dienstleistung sind Kooperation und Kommunikation gefragt. Es sind Berufe, in denen das Wichtigste ist, sich auf andere Menschen einzulassen: Verkäufer, Fahrerinnen, Pfleger, Beraterinnen oder Lehrer – all diese Menschen stehen in dauernden sozialen Kontakten. Wenn wir Menschen, wie es etwa die Philosophen der Schottischen Aufklärung häufig dargestellt haben, uns tatsächlich dadurch auszeichnen, dass wir auf Gemeinschaft ausgelegt sind, ist diese Form der Arbeit uns sehr viel angemessener als wenn wir alleine auf der Scholle oder am Fließband vor uns hin ackern.

Oft wird auch argumentiert, dass mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft Jobsicherheiten und gute, beständig ansteigende Bezahlung verschwinden würden. Tatsächlich ist der lebenslange Arbeitsplatz inzwischen wohl hauptsächlich ein Privileg von Beamten. Doch schon heute begreifen viele junge Menschen diese erhöhte Flexibilität als Chance. Sobald wir uns an die veränderten Umstände angepasst haben, bieten sich eben auch sehr viel mehr Möglichkeiten, unser Potential zu entfalten, als wenn wir unser Leben lang in einer Firma und in einem Bereich verharren. Und wenn über stagnierende oder sinkende Reallöhne geseufzt wird, kann man nicht oft genug daran erinnern, dass immer mehr und immer bessere Produkte zu immer günstigeren Preisen verfügbar sind. Während der Stahlarbeiter früher zwei Jahre auf die Urlaubswoche in Rimini sparen musste, kann heute die Kassiererin für den Lohn von fünf Arbeitstagen eine Woche Urlaub bestreiten.

Arbeiten, wo das häufigste Wort lautet: „Danke!“

Sicherlich wird der Transformationsprozess in der Arbeitswelt nicht ohne Verlierer vonstattengehen. Und natürlich hängt eine positive Entwicklung auch von anderen Faktoren ab – etwa davon, wie sehr die Politik im Stil von Kaiser Vespasian versucht, die Entwicklung der neuen Arbeitswelt durch Regulierungen, Verbote und Abgaben zu drosseln. Aber am Ende des Tages werden höchstwahrscheinlich alle besser dastehen. Die Entwicklung aufzuhalten, um die Privilegien von einigen zu schützen, geh jedoch fast immer zu Lasten von allen anderen. Wer den Verlierern helfen will, muss andere Wege finden als Interventionen durch eine Schutz- und Verbotspolitik, um zu vermeiden, dass dann andere Verlierer produziert werden.

Die Welt ist noch nie besser geworden durch die, welche die Vergangenheit schönreden und die Zukunft in düsteren Farben malen. Sie ist besser geworden durch diejenigen, die sich angepasst haben und nach Lösungen gesucht haben. Denjenigen, die von der guten alten Zeit träumen, muss man deutlich entgegenhalten: Wenn der Enkel des Kohlekumpels und der Näherin morgen sein Geld mit einer Halbtagsstelle bei einer Massage-Praxis, einigen Uber-Fahrten und einem Trödelmarkt-Stand verdient während seine Freundin in einem Catering-Unternehmen und als Stadtführerin arbeitet, dann ist das ein gewaltiger Fortschritt. Lebensqualität steigt nicht parallel zu Reallöhnen und ist auch nicht abhängig von der völligen Planbarkeit des eigenen Lebens. Lebensqualität hat auch viel zu tun mit sinkenden Preisen, höherer Produktvielfalt – und insbesondere mit einer Arbeitswelt, die uns Menschen nicht an den Rand der Erschöpfung bringt, sondern in jenes Umfeld, in dem das häufigste Wort lautet: „Danke!“