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Photo: Jason Pratt from Flickr (CC BY 2.0)

Wer an die Zinswende glaubt, sollte den aktuellen Bundesbankbericht lesen. Mitte der 1990er Jahre lagen die staatlichen Zinsausgaben bei 3,5 Prozent zur Wirtschaftsleistung. Heute liegen sie gerade mal bei 1,5 Prozent. Im Schnitt bezahlt der deutsche Staat unter 2 Prozentpunkte Zinsen für seine Schulden. 1992 lag der Durchschnittszins der Schudlen noch bei 8 Prozentpunkten. Allein im letzten Jahr lag die Zinsersparnis dadurch bei 47 Milliarden Euro – seit 2008 bei insgesamt 240 Mrd. Euro. Das entspricht allein 7,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Allein die Länder und Gemeinden haben seit 2007 rund 17 Milliarden Euro eingespart. Die Zinsausgaben haben sich in den letzten 9 Jahren bei den Bundesländern halbiert, obwohl der Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nahezu konstant war. Das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen hat dadurch in den 9 Jahren eine Zinsentlastung von 5,19 Milliarden Euro erfahren.

Das entspricht einer Entlastung im Haushalt von 4,6 Prozent. Bei allen Bundesländern waren es im Durchschnitt rund 3,5 Prozent. Das billige Geld der EZB hilft den öffentlichen Haushalten enorm. Würde das Zinsniveau für die deutschen Staatsschulden um 1 Prozentpunkt ansteigen würden die Ausgaben im Jahr darauf um 5 Milliarden und im Folgejahr um nochmals 2 Milliarden Euro ansteigen. Nach Refinanzierung des gesamten Schuldenstandes ergäben sich Mehrausgaben von 21,5 Milliarden Euro jährlich.

Die Zahlen zeigen alleine für Deutschland, dass eine Zinswende die öffentlichen Haushalte sehr schnell vor fast unlösbare Probleme stellen würde. Doch Deutschland ist hier auf der Sonnenseite. Ganz anders sieht es bei den Schuldenstaaten Italien, Portugal und Spanien aus. Italien profitiert derzeit am meisten von der Niedrigzinspolitik der EZB. Im letzten Jahr sparte Italien 2,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung an staatlichen Zinszahlungen. Seit Ausbruch der Krise 2008 sind es kumuliert 10,5 Prozent zum BIP. Der Internationale Währungsfonds streitet sich mit der Euro-Gruppe über einen Schuldenerlass für Griechenland. Bekanntlich hat Griechenland mit 179 Prozent zur Wirtschaftsleistung die höchste Verschuldung im Euroraum. Doch ob die Schuldenlast tragfähig ist, hängt wesentlich von der laufenden Belastung für die Athener Regierung ab. Hier ist die Situation weitaus weniger dramatisch, als viele meinen. Griechenland hat eine geringere Zinsbelastung zum BIP als Italien oder Portugal. Das liegt an den subventionierten Hilfskrediten der Eurostaaten, des ESM und des IWF. Die Durchschnittsverzinsung der griechischen Schulden liegt dadurch unter 2 Prozentpunkte. So lag der Zins für die Kredite des Europäischen Stabilitätsmechnismus 2015 bei 0,7 Prozentpunkten. Läge die durchschnittliche Verzinsung auf dem Niveau von 2007, hätte Griechenland fast 5 Prozent des BIPs zusätzlich für den Schuldendienst aufwenden müssen. Seit 2008 wären dies insgesamt rund 37 Milliarden Euro (21,5% des BIP) zusätzlich gewesen. Das zeigt, Griechenland hat in erster Linie ein Strukturproblem. Eigentumsrechte werden nicht ausreichend geschützt, Bürokratie und Korruption lähmen das Land und staatliche Insolvenzverschleppung verhindert den Neuanfang.

Insgesamt gilt aber, dass mit der Durchschnittsverzinsung aus dem Jahr 2007 die Zinsausgaben im Euroraum um fast 2 Prozent des BIPs höher liegen würden. Im Euroraum kamen so Einsparungen von beinahe 1 Billionen Euro (9% des BIP) zustande.

Was folgt daraus? Eine Zinswende wird nicht stattfinden können. Würde Mario Draghi diese jetzt einleiten, dann würde die Zinsbelastung nicht nur für die Kommunen im Ruhrgebiet schnell anwachsen und Nordrhein-Westfalen an die haushälterischen Grenzen führen, sondern insbesondere Italien, Portugal, Spanien und alle anderen auf einen Schlag vor Finanzierungsprobleme stellen. Auch die Chefin der amerikanischen Notenbank Fed, Janet Yellen, kann diese Situation nicht völlig ignorieren. Würden die Amerikaner ihren Leitzins auf altes Niveau heben und die EZB würde ihre Politik des billigen Geldes fortsetzen, dann hätte das tiefgreifende Verwerfungen der Finanzströme zur Folge.

Heute beträgt die weltweite Verschuldung 200 Billionen Euro. Sie ist 40 Prozent höher als vor der Krise 2008. Ein leichtes Entkommen ist da nicht so einfach möglich. Die Bundesbank schlägt in ihrem aktuellen Bericht vor, die Nullgewichtung von Staatsanleihen aufzugeben. Schon das wird seit vielen Jahren diskutiert. Der Grund für die mangelnde Umsetzung ist die Angst vor dem Zusammenbruch des Finanzsystems. Die Politik des billigen Geldes der EZB kann nur durch eine marktwirtschaftliche Bepreisung von Schulden beendet werden. Das setzt voraus, dass man die Insolvenz von Staaten und Banken akzeptiert. Seit es historisch Staaten und Banken gibt, sind diese immer wieder zahlungsunfähig geworden. Würde dies nicht permanent von den Euro-Staaten verhindert, wäre Mario Draghi gezwungen, seine Geldpolitik zu ändern.

Vielleicht sollte man nicht abwarten, bis Italien seine Finanzierungsprobleme nicht mehr eigenständig lösen kann und daher mit Griechenland beginnen. Anschließend wäre ein Neustart außerhalb des Euros, aber innerhalb der EU möglich. Die Marktteilnehmer haben sich darauf eingestellt, dass es auf Dauer in Hellas so nicht weitergehen kann. Sie glauben auch nur bedingt an die immer wiederkehrenden, positiven Wasserstandsmeldungen, weil sie als Sparer und Steuerzahler schon mehrmals den hellenischen Keller leergepumpt haben.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Präsident Macron hat für die Eurozone einen Fonds zur Krisenintervention vorgeschlagen. Der Fonds soll Euroländern, die zum Beispiel in eine Rezession geraten, zinsgünstige Kredite geben. Zu zahlen wäre der durchschnittliche Zins, den die Euroländer am Kapitalmarkt aufbringen müssen. Der Fonds würde daher nur von den weniger kreditwürdigen Ländern in Anspruch genommen, die am Markt einen überdurchschnittlichen Zins zahlen müssten. Dabei hängt die Kreditwürdigkeit weniger von der vorübergehenden Konjunkturlage als vom Umfang der bereits bestehenden Staatsverschuldung (relativ zum Bruttosozialprodukt) und von der Vertrauenswürdigkeit der politischen Institutionen ab.

Vergleicht man den geplanten Krisenfonds mit dem existierenden „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM), so fällt zunächst die Verwässerung der Zugangsbedingungen auf. Gemäß Art. 3 des ESM-Vertrages können Kredite nur an diejenigen ESM-Mitglieder vergeben werden, „die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen …, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Solange also zum Beispiel Frankreich nicht schwerwiegende Finanzierungsprobleme drohen, welche die Finanzstabilität der Eurozone gefährden, kommt das Land nicht an das Geld des ESM heran. Im Gegenteil, Frankreich ist Nettozahler, weil es die subventionierten ESM-Kredite an Griechenland, Zypern, Irland, Portugal und den spanischen Bankenfonds mitfinanziert. Der französische Präsident Sarkozy war 2010 bereit, diesen Preis zu zahlen, weil er unbedingt verhindern wollte, dass ein Eurostaat – zuerst Griechenland, nach diesem Präzedenzfall aber vielleicht irgendwann auch Deutschland – aus der Währungsunion austreten würde. Der ESM wird den Franzosen aber allmählich zu teuer, zumal nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen für Griechenland anstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich selbst früher oder später vom ESM billige Kredite erhalten könnte. Aber die Zugangsbedingung des neuen Krisenfonds – eine Rezession – wird Paris von Zeit zu Zeit erfüllen können. Wenn die anderen Euroländer – allen voran Deutschland – im gewichteten Durchschnitt kreditwürdiger sind, lohnt sich der französische Griff in die Krisenkasse. Vielleicht gelingt es Macron sogar, den bestehenden ESM ganz oder teilweise zum Krisenfonds für Rezessionen umzufunktionieren.

Macron will nicht nur den ESM-Vertrag, sondern auch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ändern, denn dieser lässt eine Ausnahme vom Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV nur zu, „wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets zu wahren“ (Art. 136 Abs. 3, eingefügt im März 2011). Die von Macron vorgeschlagene Vertragsänderung bedarf der Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten und könnte in einigen relativ kreditwürdigen Eurostaaten auf Widerstand stoßen.

Neben den Verteilungswirkungen des Krisenfonds ist seine Effizienz zu untersuchen. In der Vergangenheit war es so, dass der Staat in der Rezession sein Haushaltsdefizit erhöhte, indem er sich am Kapitalmarkt verschuldete. Der Weltkapitalmarkt verteilte die Schocks effizient auf die gesamte Weltwirtschaft. Demgegenüber würde der Krisenfonds die Risiken in den Euroländern konzentrieren. Das wäre weniger effizient.

Da sich das Krisenland beim Fonds billiger verschulden kann als am Markt – d. h., billiger, als seiner Kreditwürdigkeit entspricht -, erhält es zugleich einen stärkeren Anreiz sich zu verschulden. Vielleicht gibt es keynesianische Ökonomen, die das begrüßen würden. Nicht einverstanden wären Ricardianer wie Robert Barro und politische Ökonomen wie James Buchanan. Aus politisch-ökonomischer Sicht ist zu beachten, dass die Regierenden vor der Wahl nicht nur die Rezession überwinden, sondern auch einen vorübergehenden Boom – ein konjunkturelles Strohfeuer – herbeizaubern möchten. An einem solchen politischen Konjunkturzyklus sind die Bürger nicht interessiert. Die Zinssubvention des Krisenfonds vergrößert daher die Diskrepanz zwischen den Wünschen der Bürger und den Taten der Politiker.

Da die konjunkturelle Entwicklung unsicher ist, kann Macrons Krisenfonds als Versicherung gegen makroökonomische Schocks betrachtet werden. Der Schaden ist die Rezession oder Krise, die Versicherungsleistung ist die Zinssubvention. Aber in diesem Fall wird die Versicherung nur von denen in Anspruch genommen, deren Kreditwürdigkeit geringer als der Durchschnitt ist. Die überdurchschnittlich kreditwürdigen Mitgliedstaaten zahlen zwar auch Beiträge in den Fonds ein, aber sie empfangen von ihm keine Versicherungsleistungen. Das bedeutet: die relativ kreditwürdigen Mitglieder schenken den nicht so kreditwürdigen Mitgliedern Versicherungsschutz gegen wirtschaftliche Krisen. Die Versicherung ist offensichtlich nicht versicherungsmathematisch fair und daher nicht effizient. Außerdem schwächt sie den Anreiz, durch eine gute Wirtschaftspolitik Krisen zu vermeiden. Das ist der sogenannte Moral Hazard. Es ist ein Fehler zu glauben, dass sich die Menschen gegen alle Risiken versichern sollten.

Der Fonds erspart es den Regierungen der unterdurchschnittlich kreditwürdigen Krisenländer, sich zu hohen Zinsen am Kapitalmarkt zu verschulden. Mit Hilfe des Fonds können sie ihre mangelnde Kreditwürdigkeit vor dem Wahlvolk verschleiern. Er versichert die Politiker gegen das Risiko, dass das Wahlvolk erkennt, wie gering der Weltkapitalmarkt ihre Kreditwürdigkeit einschätzt.

Gefragt, ob sie sich einen Euro-Krisenfonds à la Macron vorstellen könne, bemerkte Angela Merkel jovial: „Why not?“ Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, ihre Frage zu beantworten. Ist der französische Plan raffiniert genug, um die Deutschen zu übertölpeln?

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Das Treffen des deutsch-französischen Ministerrates in dieser Woche sollte dazu dienen, Angela Merkel und Emmanuel Macron als die neuen Reformer in Europa zu präsentieren. Eine engere militärische Zusammenarbeit wurde vereinbart, gemeinsame Forschungsprojekte angestoßen und das Handlungsfeld für die Reformen der Währungsunion abgesteckt. Konkretes war bei Letzterem Mangelware.

Das Thema Euro ist für die Kanzlerin zu heikel, als dass es den Wahlkampf stören sollte. Im Hintergrund wird aber bereits seit Wochen verhandelt. Macron und Frankreich wollen seit Langem einen Euro-Finanzminister mit einem eigenen Haushalt etablieren, um durch öffentliche Investitionen die Angleichung der Volkswirtschaften in der Eurozone zu erreichen. Merkel und Wolfgang Schäuble wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Notfall Kredite vergeben kann, aber ohne die Beteiligung des unliebsamen Internationalen Währungsfonds. Eine weitere Differenz beider ist die Vorgehensweise. Macron will dies alles durch Änderungen der Europäischen Verträge erreichen, die deutsche Seite ist hier skeptischer, ob dies gelingen kann und ob noch mehr Kompetenzen an die Kommission abgegeben werden sollten. Insbesondere Schäuble misstraut den Bürokraten in Brüssel und will daher lieber an der EU vorbei intergouvernementale Verträge der Euro-Staaten untereinander schließen. So funktioniert bereits der ESM, die Kommission und das EU-Parlament haben darauf keinen Einfluss.

Jetzt hat der Chef des Euro-Krisenfonds ESM, Klaus Regling, die Katze aus dem Sack gelassen. Er schlug vor, den ESM nicht nur bei Gefahren für den Euro als Ganzes einzusetzen, sondern auch bei „plötzlich schweren Krisen“ in einem Mitgliedsland. Der Fonds sollte dafür von derzeit 700 um weitere 100 bis 200 Milliarden Euro gefüllt werden. Anleihe nimmt Regling am „Rainy-Day-Fonds“ in den Vereinigten Staaten, der bei Naturkatastrophen in den einzelnen US-Bundesstaaten zum Einsatz kommt. Vergleiche hinken, auch dieser.

Die Euro-Schuldenkrise ist keine Naturkatastrophe oder schlechtes Wetter, sondern von Menschenhand gemachte Misswirtschaft der Regierungen. Der ESM wird auch nicht nur dann eingesetzt, wenn der Euroraum als Ganzes gefährdet ist – schön wäre es. Er wird immer dann eingesetzt, wenn es tagespolitisch opportun ist. Bereits bei seinem ersten Testfall, der drohenden Zahlungsunfähigkeit Zyperns im Jahr 2013, kam er zum Einsatz. Damals war schon klar, dass eine kleine Insel im Mittelmeer, deren Fläche nur zur Hälfte zur EU und zum Euroraum gehört, niemals den Euroraum als Ganzes gefährden kann. Deren größte Bank, die damals in Schieflage geriet, war kleiner als die Hamburger Sparkasse und es leben weniger Menschen dort als in Köln.

Doch was Macron will, ist nicht nur einen größeren Krisenfonds zu schaffen, sondern einen Finanzausgleich, vergleichbar dem Länderfinanzausgleich in Deutschland. Dieser wurde zwar hierzulande gerade beerdigt, aber dennoch dient er als Vorbild. Es soll ein Umverteilungsmechanismus geschaffen werden, bei dem die reicheren Länder den ärmeren Ländern regelmäßig helfen. Der deutsche Anteil an diesem Topf würde rund 30 Prozent betragen, also je nach Größe bis zu 60 Milliarden Euro. Zum Vergleich, das ist mehr als das Dreifache dessen, was der Bund derzeit für Bildung und Forschung ausgibt. Das ist für eine Kanzlerin vor einer wichtigen Wahl schwierig zu erklären.

Beide Pläne sind daher sehr gefährlich für den Steuerzahler hierzulande. Der Einstieg in einen Länderfinanzausgleich wäre ein Fass ohne Boden, der unendliche Summen verschlingen würde, ohne dass die Ursachen der Wirtschaftsschwäche in Südeuropa wirklich angegangen würden. Im Gegenteil würden der Reformdruck genommen und private durch öffentliche Investitionen ersetzt. Aber auch ein Europäischer Währungsfonds, der den IWF rausschmeißt, würde das Kungeln innerhalb der Eurogruppe nur noch erhöhen. Mehr Prinzipientreue ist dadurch nicht zu erwarten. Deutschland gewinnt nichts, wenn es die falschen Rezepte zur Krisenbewältigung von Frankreich übernimmt, nur weil man Präsident Macron stützen will. Und Frankreich gewinnt nichts, wenn es Deutschland durch einen Länderfinanzausgleich schwächt, nur weil man nicht bereit ist, die Hausaufgaben im eigenen Land zu machen. Und Angela Merkel gewinnt nichts, wenn sie die Wähler über ihre eigentliche Absicht hinter die Fichte führt.

Erstmals erschienen in der Fuldauer Zeitung am 15.07.2017

Photo: luckyfotostream from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die wirtschaftliche Schwäche in weiten Teilen Südeuropas hat ursächlich mit den faulen Krediten des Bankensektors zu tun. In der Europäischen Union summieren sich diese Kredite inzwischen auf 920 Milliarden Euro. Das sind über 7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Über 200 Milliarden Euro faule Kredite liegen allein in den Büchern italienischer Banken. Dies entspricht über 11 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Fast 13 Prozent der Kredite sind notleidend – die Schuldner befinden sich bereits in Verzug. Zwei Prozent wären normal. Noch schlimmer sieht es in Griechenland aus. Dort sind Kredite in einem Volumen von 100 Mrd. Euro faul. Fast die Hälfte (45,2 Prozent) der Kredite werden nicht mehr regelmäßig von den Kreditnehmern bedient, bei den Konsumentenkrediten liegt die Quote sogar bei 54 Prozent. Eine wirtschaftliche Erholung ist schon deshalb in Griechenland fast unmöglich. Ähnlich sieht es in Zypern, Spanien und Portugal aus.

Bereits im Januar hat der Chef der Europäischen Bankenaufsicht EBA, der Italiener Andrea Enria, daher eine europäische „Bad Bank“ gefordert, in der die faulen Kredite der europäischen Banken gebündelt und mit einer staatlichen Ausfallgarantie versehen werden. Ihm geht es letztlich um eine Umverteilung innerhalb der Euro-Zone. Die im Moment noch besser dastehenden Euro-Länder sollen mit ihrer Wirtschaftskraft für die anderen geradestehen. Am Dienstag kam das Thema erneut beim Treffen der Euro-Finanzminister auf die Tagesordnung. Lediglich über einen „Aktionsplan“ zum Abbau der faulen Kredite konnten sich die Finanzminister verständigen. Insbesondere Wolfgang Schäuble passt die Bad-Bank-Diskussion derzeit nicht ins Konzept. Noch nicht!

Tatsächlich kommt das Thema nach der Bundestagswahl wieder auf die Tagesordnung. Denn ohne eine Lösung der faulen Kredite kommen die südeuropäischen Länder nicht auf die Beine. Deren Wachstumsschwäche hängt ursächlich damit zusammen. Deren Banken vergeben deshalb nicht vermehrt neue Kredite, weil sie bereits hohe Risiken in ihren Büchern haben und neue befürchten. Das lässt sie insgesamt zurückhaltender sein.

Allmählich dämmert es allen Beteiligten, dass die Politik der EZB gescheitert ist. Bislang hat die EZB geglaubt, ihre Nullzinspolitik würde die Kreditvergabe und damit auch die Konjunktur in den Südländern anregen. Doch dem maroden Bankensektor hilft das nicht weiter. Tendenziell verschärft sie eher die Situation. Denn auch für Banken in Italien und anderswo bricht das Einlagegeschäft durch Nullzinsen weg und im Kreditgeschäft sinken die Margen bei nach wie vor hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten. Lediglich die Staatskassen profitieren. Italien kann sich mehr Schulden leisten. 2.300 Milliarden Euro betragen sie aktuell. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind das inzwischen 133 Prozent, so viel wie seit den 1920er Jahren nicht mehr. Die Inflation, die die EZB mit ihrer Politik auf 2 Prozent bringen will, springt nicht an, weil das Volumen der Bankkredite in Südeuropa stagniert. Die italienischen Staatsschulden sind der Garant dafür, dass die Zinsen im Euroclub niedrig bleiben werden. Mario Draghi sitzt in der Zinsfalle.

In diesem Umfeld ist es erstaunlich, wie sich in der Euro-Schuldenkrise die Argumente verändern. Noch 2007, 2008 und 2010 hieß es, wenn Banken wie Lehman, Hypo Real Estate oder auch Länder wie Griechenland Pleite gehen, dann habe das unabsehbare Folgen. Es würde zu einem Flächenbrand führen, an dessen Ende das ganze Finanzsystem zusammenbrechen würde. Das war die Begründung für die Überwälzung der Lasten von den Eigentümern und Gläubigern auf die Steuerzahler. Anschließend hieß es: nie, nie, nie wieder dürfe der Steuerzahler für das unmoralische Handeln der Banker herangezogen werden. Die Antwort der Euro-Staaten war der Europäische Stabilitätsmechanismus, eine einheitliche Bankenaufsicht und ein Abwicklungsmechanismus für nicht mehr überlebensfähige Banken. Den ersten Lackmustest haben zumindest die italienischen Banken nicht überstanden. Mit dem Niedergang der ältesten Bank der Welt, der Monte dei Paschi di Siena, wurde bereits die obligatorische Gläubigerhaftung durch eine staatliche Beihilfe und die Verlagerung fauler Kredite in eine nationale Bad Bank umgangen.

Bei den beiden Volksbanken Veneto Banco und Banca Popolare di Vicenca musste jetzt ebenfalls der Steuerzahler in Italien geradestehen. Dieses Mal war jedoch das Argument nicht, dass die beiden Banken zu groß oder zu sehr mit anderen Instituten vernetzt seien, sondern dass sie zu klein wären und daher nicht den europäischen Regeln unterliegen würden. Was nicht passt, wird passend gemacht. Nach diesem Prinzip handelt die Europäische Union und ihre Mitglieder seit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise. Dabei ist die Lösung, Bankschulden durch staatliche Schulden zu ersetzen, nicht zielführend. Es ist „linke Tasche rechte Tasche“. Je länger die Kreditausweitung aus dem Nichts ausgeweitet wird, ohne das es dafür ein tragbares ökonomisches Fundament gibt, desto größer ist der anschließende Korrekturbedarf. Spätestens nach der Bundestagswahl wird nicht nur der Euro-Finanzminister mit einem eigenen Euro-Etat etabliert, sondern auch in einer europäischen Bad Bank die faulen Kredite entsorgen. Darüber schweigt Schäuble geflissentlich. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick

Photo: Kiefer from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In der Politik geht es häufig um Gesichtswahrung. Insbesondere die „Rettung“ Griechenlands ist dafür ein beredtes und leider bewährtes Beispiel. So auch in dieser Woche, wenn sich die Finanzminister der Euro-Gruppe treffen. Eigentlich ist die Situation so eindeutig, wie sie aussichtslos ist. Griechenland hat nach 7 Jahren „Rettung“ ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren, ohne dass es irgendwo Lichtblicke gibt. Selbst der Tourismus kommt nicht von der Stelle. Die Regierung Tsipras liegt in Umfragen inzwischen 10 Prozentpunkte hinter den Konservativen, die vor 2015 das Land regierten und auch nicht viel zustande gebracht haben. Kommt Griechenland nicht vom Fleck, kann Tsipras nicht irgendeinen Erfolg zu Hause vorweisen, wird er spätestens 2019 wieder abgewählt.

Deshalb drängt er darauf, dass der Euro-Club dem Land einen Teil seiner Schulden erlässt. Zwar hat Griechenland mit 318 Mrd Euro (2016) mehr Schulden als 2009 (301 Mrd. Euro), aber die Belastung dieser Verschuldung ist durch die Streckung der Laufzeit, der Tilgung und durch den Zinsverzicht der Gläubiger auf ein Minimum reduziert. Formal ist Griechenland zwar mit 181 Prozent zur Wirtschaftsleistung (2016) verschuldet und damit so hoch wie noch nie. Berücksichtigt man aber die Vergünstigungen bei der Laufzeit und beim Zins, so entspricht die Verschuldung Griechenlands weniger als 80 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt. Das ist weniger als Italien, was nicht verwundert. Aber es ist auch weniger als Frankreich, Österreich oder der Durchschnitt der Euro-Zone. Griechenland hat also kein Problem mit der laufenden Belastung trotz der historisch einmaligen Verschuldung. Es sind die übrigen Strukturprobleme des Landes bei der Korruptionsbekämpfung, im Arbeitsmarkt und bei der Bürokratie, die das Wachstum verhindern. Die Zinslast der Verschuldung wurde von den Gläubigern übernommen. Der faktische Schuldenschnitt ist daher längst vollzogen, er darf nur nicht so heißen und darf nicht abrupt haushaltswirksam werden.

Ein Schuldenschnitt für Griechenland wäre daher nur etwas für die Optik. Es wäre ein machtpolitischer Erfolg gegenüber den Geberstaaten, den Tsipras innenpolitisch nutzen könnte. Worüber sich der Internationale Währungsfonds und die Euro-Zone streiten, sind die weiteren Annahmen. Der IWF glaubt nicht an den prognostizierten Haushaltsüberschuss (ohne Zinsen) von 3,5 Prozent pro Jahr, den die Euro-Gruppe mit Griechenland vereinbart hat. Sie gehen lediglich von 1,5 Prozent aus. Zwar brüstet sich Tsipras mit einem Primärüberschuss von 4,3 Prozent 2016, doch ob diese Zahlen stimmen, kann vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem griechischen Statistikamt mit Fug und Recht bezweifelt werden. Sowohl die Zahlen des IWF als auch die Zahlen der EU sind problematisch. Mit dem derzeitigen Reformwillen wird Griechenland niemals auf einen dauerhaften Primärüberschuss von 3,5 Prozent kommen. Aber 1,5 Prozent sind für ein Land wie Griechenland viel zu gering und unambitioniert, als dass man darauf überhaupt eine Langfristprognose zur Sanierung eines Landes aufbauen kann.

All das vor Augen ist Wolfgang Schäuble ganz Pragmatiker. Er weiß, dass er dem Parlament das Versprechen gegeben hat, dass der IWF bei der Griechenland-Hilfe mit an Bord bleibt. Und er weiß auch, dass der IWF kein weiteres gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen will und am liebsten die Europäer mit ihrem Problem alleine lassen würde.

Daher wird jetzt nach einem typischen Kompromiss gesucht. Der IWF macht weiter bei der Überprüfung des Programms mit, zahlt aber nicht seine zugesagte Tranche. Schäuble kann zu Hause Vollzug melden und hat Zeit gewonnen bis über die kommende Bundestagswahl hinaus. Ob es dann im kommenden Jahr einen Schuldenschnitt gibt und ob der IWF dann immer noch dabei ist, wird man sehen. Wahrscheinlich setzt Schäuble dann seinen Vorschlag eines Europäischen Währungsfonds durch, den er bereits 2010 gemacht hat. Dann wäre der IWF endgültig raus. Alle wären zufrieden. Tsipras müsste nur noch mit den Europäern über einen Schuldenschnitt verhandeln, der IWF könnte sich auf andere Teile der Welt konzentrieren und Wolfgang Schäuble hätte die Klippe der Bundestagswahl überwunden. Aber nicht nur das, er hätte auch eine neues Kriseninterventionsinstrument geschaffen, das am EU-Parlament und an der EU-Kommission vorbei eingreifen kann und Deutschland eine Veto-Funktion gibt. Wahrscheinlich würde sich der EWF an den Kapitalmärkten über Anleihen finanzieren, so dass er nur mittelbar in Schäubles Haushalt einschlagen würde. Wie gesagt, Schäuble ist in jeder Hinsicht Pragmatiker. Nach dem Motto: wenn die Schulden in der Euro-Zone schon vergemeinschaftet werden, dann will er zumindest das letzte Wort haben.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.