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Photo: Thomas Quine from Flickr (CC BY 2.0)

Die skandinavischen Länder üben auf viele Menschen in Deutschland eine Faszination aus. Die weite Landschaft, die Seen, der lange kalte Winter und der intensive kurze Sommer haben viele Bürger hierzulande zu Schweden-Fans gemacht. Auch politisch ist für viele Schweden ein Vorbild. Der schwedische Wohlfahrtsstaat galt in den 1970er und 1980er Jahren als Vorbild und als der gemäßigte „dritte Weg“ zwischen Kapitalismus angelsächsischer Prägung und dem Sozialismus der Sowjetunion. Der vor 30 Jahren ermordete Ministerpräsident Olaf Palme stand wie kein anderer für dieses Modell.

Mit der Bankenkrise Anfang der 1990er Jahre trat ein Umdenken ein. Schweden war eines der ersten Länder in Europa, das eine schwere Bankenkrise zu bewältigen hatte. Wie in anderen Ländern später auch, führte das Platzen einer Immobilienblase dazu, dass der schwedische Staat und seine Notenbank mit Garantien die betroffenen Banken und die Einleger schützen musste. Der Preis dafür war nicht nur ein Zurückschrauben des Wohlfahrtsstaates alter Prägung, sondern auch umfangreiche Fusionen im Bankensektor. Heute beherrschen nur vier große Banken den schwedischen Markt.

Schweden gilt auch als Vorreiter der Bargeldabschaffung. Dort kann man jeden Kaffee im Restaurant, jede Kugel Eis und sogar das Toilettenhäuschen mit seinem guten Namen bezahlen. Die Schweden seien viel fortschrittlicher und aufgeschlossener für moderne Entwicklungen, als die an antiquierten Münzen und Scheinen festhaltenden Deutschen, heißt es bei den lobbyierenden Kartenunternehmen.

Kürzlich berichtete der Deutschlandfunk in einer interessanten Reportage über die wachsende Kritik in Schweden am Zurückdrängen des Bargeldes. Darin wird ein anderes Bild über die Hintergründe und Widerstände gezeichnet. Die vier marktbeherrschenden Banken betreiben gemeinsam eine Politik, die das Bargeld diskriminiert. Für sie ist es billiger, ohne den hohen administrativen Aufwand, den der Bargeldverkehr für die Banken verursacht, zu arbeiten. Die Bürger können mangels Wettbewerb dieser Entwicklung nicht ausweichen. So betreiben die vier Banken gemeinsam eine Gesellschaft, die alle Bankautomaten in Schweden unterhält.

Häufig ist das maximale Abhebevolumen nur noch umgerechnet 100 Euro. Einige Banken nehmen gar kein Bargeld mehr an und Einzelhändler können ihr Bargeld nicht mehr am Bankautomaten oder in der Bankfiliale einzahlen. Einzelhändler werden dadurch gezwungen, auf unbare Zahlungsweise umzustellen. Gerade für ältere Menschen wird dies zum Problem, wenn sie keine Kreditkarte haben. Dann werden ihnen bei Überweisungen hohe Gebühren belastet. So kostet eine Überweisung schon mal umgerechnet 8 Euro.

Doch jetzt scheint sich der Widerstand zu formieren. Der größte schwedische Pensionärsverband hat vor einigen Wochen eine Protestnote „Bargeld wird gebraucht“ mit 140.000 Unterschriften an die Regierung überreicht. Auf Deutschland bezogen wären das immerhin 1,2 Millionen Unterschriften. Eine andere Initiative „Bargeld-Aufstand“ formiert sich ebenfalls zu Protest.

Die Schwedische Krone ist zwar alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel, dennoch wird sie im Alltag diskriminiert. Diese Tendenz ist auch in Deutschland vorherrschend. Am übernächsten Sonntag wird in Berlin gewählt. Die dortigen Bürgerämter sind überfordert, Meldedaten entgegenzunehmen. Wer dies freiwillig versucht, muss schon mal sechs Wochen auf einen Termin warten. Ob so überhaupt eine reguläre Wahl stattfinden kann, wenn die Meldedaten nicht aktuell sind? Hinzu kommt: will der Berliner die Gebühr für seinen neuen Personalausweis oder Reisepass bar bezahlen, ist dies nicht mehr möglich. Ein wenig freundliches Schild auf dem Tisch des Sachbearbeiters weist einen darauf hin: „Barzahlung nicht möglich“.

Auch wir steuern auf schwedische Verhältnisse zu. Der Staat und seine Institutionen diskriminieren das Bargeld im Alltag ebenfalls. Dabei ist die Rechtslage eindeutig. Das Bundesbankgesetz regelt in Paragraph 14, Satz 2 sehr klar: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“ Doch Theorie und Praxis klaffen auch in Deutschland auseinander. Der n-tv-Journalist Raimund Brichta hat kürzlich versucht, seine Einkommensteuer beim Finanzamt bar zu bezahlen – ohne Erfolg. Jetzt strengt er dazu eine Klage an. Der Journalist Norbert Häring hat mit Unterstützung meines Prometheus-Instituts eine Klage erwirkt, die die Barzahlung des Rundfunkbeitrages erreichen will. Die Verpflichtung des Beitragszahlers auf unbare Zahlung in der jeweiligen Satzung des Senders beruht auf Landesrecht des einzelnen Bundeslandes. Das Bundesbankgesetz ist jedoch ein Bundesgesetz, das Vorrang hat und nicht durch Landesrecht gebrochen werden kann.

Warum das alles? Bargeld sichert die Privatautonomie jedes Einzelnen und schützt den Bürger vor den Negativzinsen, die EZB-Chef Mario Draghi braucht, um die Sparer kalt und klammheimlich zu enteignen. Wehret den Anfängen!

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Markus Tacker from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Es ist wie auf der Autobahn: Befindet sich voraus ein Stau, versuchen viele, noch schnell die nächste Ausfahrt zu nehmen, um längere Wartezeiten zu vermeiden. Bei der Bankenregulierung ist es ganz genauso. Dauern Abläufe durch eine überbordende Regulierung länger, überlegen sich die Banken etwas Neues. So auch aktuell die Großbanken UBS, Deutsche Bank, Santander und BNY Mellon. Dabei hilft es, wenn man den Zeitgeist aufnimmt und auf moderne Technologien setzt. Zwar sind viele Banken, Notenbanken und Regierungen skeptisch was die private Kryptowährung Bitcoin betrifft, aber deren technisches Prinzip, die Blockchain, finden sie dennoch faszinierend und überlegen dieses Prinzip auf ihre Welt zu übertragen. Das innovative Prinzip der Blockchain setzt darauf, dass nicht eine zentrale Behörde Transaktionen überwacht. Stattdessen gewährleistet das dezentrale öffentliche Protokoll eines Netzwerkes die Sicherheit.

Doch das Bankenkonsortium denkt nicht daran, auf das bestehende Modell der Bitcoins aufzubauen, sondern sie wollen für ihre Bankenwelt eine eigene Kryptowährung, den „Utility Settlement Coin“, nutzen, um die Abwicklung von Kapitalmarkttransaktionen zu beschleunigen. Die notwendigen Kosten für die Sicherheiten, die Banken derzeit für Transaktion hinterlegen müssen, beziffert das Beratungshaus Oliver Wyman auf weltweit 65 bis 80 Milliarden Dollar. Das ist wahrlich kein Pappenstiel. Dass die Banken diese Summe reduzieren wollen, ist daher sehr naheliegend.

In der derzeitigen Bankenwelt haben diese Sicherheiten jedoch ihren Grund. Es waren die Lehren der Finanzkrise 2008, die dazu führten, dass im Rahmen von Basel III Banken ihre Kapitalmarkttransaktionen nicht mehr an öffentlichen Börsen vorbei tätigen konnten, sondern nur noch über geregelte Marktplätze. Gleichzeitig mussten sie ihre Transaktionen mit Eigenkapital unterlegen. Die langjährige Praxis, über Zweckgesellschaften in Irland Milliardentransaktionen ohne Eigenkapitalunterlegung durchzuführen, brachte das Bankensystem nicht nur in Deutschland ins Schlingern. Noch heute wirken bei uns die Pleiten der HRE, einiger Landesbanken und der IKB nach. Der Preis dafür war, dass diese Regulierungen zeitaufwendiger und teurer für die Banken wurden.

Das Bankenkonsortium hat das Thema Bitcoin und Blockchain nicht wirklich verstanden. Die Blockchain funktioniert nur deshalb bislang störungsfrei, weil sie untrennbar mit der Kryptowährung Bitcoin verbunden ist. Nur die weltweite Akzeptanz von Bitcoins, das internationale Netzwerk von vielen Nutzern, sichert das System. Das ist ein Paradigmenwechsel vom bisherigen Geldsystem. Dort benötigte man immer eine Behörde, eine Zentralbank oder eine Verordnung, die das Handeln der Marktteilnehmer überwacht oder einschränkt. Genau das ist bei Bitcoin nicht nötig. Bitcoins und die Überwachung von Transaktionen sind ohne Zentralbank und ohne staatliche Regulierung möglich.

Es sind eigentlich zwei Welten, die hier aufeinanderprallen. Die alte Welt der Regulierung durch den Staat und seine Zentralbanken, und die neue Welt, die Sicherheit ohne den Staat durch die Kontrolle der Vielen ermöglicht. Banken müssen sich daher entscheiden, was sie wollen. Es kann nicht funktionieren, wenn Banken die Blockchain-Welt übernehmen, aber nur wenige exklusiv daran teilnehmen sollen und dieses Abwicklungssystem dann von Zentralbanken überwacht wird. Wenn die Banken diesen Weg gehen, dann verfolgen sie eigentlich etwas Anderes. Sie schaffen lediglich eine neue Verrechnungseinheit, die möglicherweise auch global zur Anwendung kommt. Diese Verrechnungseinheit kann vielleicht auch Prozesse im Zusammenspiel mit einer Zentralbank vereinfachen, doch das ist etwas ganz Anderes als das, was mit der Blockchain-Technologie hinter dem Bitcoin gemeint ist.

Dass dieses Projekt der Banken überhaupt eine Chance hat, muss generell bezweifelt werden. Manche vermuten gar, dahinter stecke die Absicht, den Dollar als Weltleitwährung abzulösen. Doch aus welchem Grund sollte die amerikanische FED dies zulassen? Sie hat kein Interesse daran, dass der Dollar als Weltleitwährung infrage gestellt wird. Schon einmal hat die USA dies verhindert. Als John Maynard Keynes die Idee des Bancor, als neuer Weltleitwährung einer Nachkriegsgeldordnung bei der Konferenz in Bretton Woods vorschlug, setzte sich Amerika mit dem Dollar durch, der an Gold gebunden war. Am Ende bleibt also nur, das Regulierungsregime „Basel III“ und seine Folgeregulierungen durch ein neues, die Banken schonenderes Regime zu ersetzen. Hier gilt, wie bei jeder Stauumfahrung auf der Autobahn: häufig steht man dann wieder im Stau, weil der nächste Auffahrunfall gerade stattgefunden hat.

 

Photo: spline splinson from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Erneut sind es die Banken, die die Finanzkrise in Europa auf die Tagesordnung setzen. Dieses Mal sind es die italienischen Institute. Sie schieben faule Kredite in Höhe von 367 Milliarden Euro vor sich her, die nicht mehr oder nicht regelmäßig von den Kreditnehmern bedient werden. Das ist kein Pappenstil, sondern bedrohlich für Italien und die gesamte Eurozone. Denn dies entspricht rund 22 Prozent aller Kredite, die italienische Banken an ihre Kunden ausgereicht haben. Deutsche Banken rechnen in ihrer Kalkulation mit Ausfällen von maximal 3 Prozent. Daran sieht man, wie groß die Probleme des Bankensektors in Italien sind. Doch nicht nur in Italien. Französische Banken haben ihrerseits italienischen Banken Kredite von über 200 Milliarden Euro gewährt. Kommen die italienischen Banken in Schieflage, trifft es im gleichen Moment die französischen. Diesen Dominoeffekt fürchten die Regierungschefs und die Zentralbanker mit gutem Grund.

Bislang rechtfertigte ein solches Szenario immer staatliche Intervention. Das war bei Lehman 2008 so, und auch bei der Griechenland-Krise 2010. Immer wurde mit dem Überspringen der Krise auf andere Länder und auf das gesamte Finanzsystem argumentiert, und die Hilfe durch die Steuerzahler und die Notenbanken so gerechtfertigt. Deshalb wird es auch dieses Mal wieder so sein. Man sollte daher nicht den Beruhigungspillen glauben, die die EU-Kommission und die EZB verteilen. Sie behaupten, dass mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und dem Bankenabwicklungsregime die Stabilität eingezogen sei. Beide Systeme funktionieren im Erstfall nicht. Der ESM reicht in seinem Volumen nicht aus, und die Gläubiger und Eigentümer der Banken werden im Erstfall nicht substantiell herangezogen.

Beide Instrumente dienten nur der Marktberuhigung. Selbst dies war nur von geringem Erfolg, denn faktisch hat die Intervention der EZB nur zur vorübergehenden Beruhigung geführt. Ihre Intervention in den Schuldenmarkt ist nur ein Spiel auf Zeit. Sie kauft seit geraumer Zeit Schulden in Form von Staats- und Unternehmensanleihen auf. Das Geld, das sie dafür verwendet, hat niemand erarbeitet, sondern Mario Draghi, der EZB-Chef, geht bildlich gesprochen in den Keller und schmeißt die Druckerpresse an. Er manipuliert den Geldwert und hofft, dass es keiner merkt. Die Folge dieser Manipulation ist die Vernichtung des Zinses auf Schulden jeglicher Art, die aber gleichzeitig zur Austrocknung dieses Marktes führt. Es gibt nur noch wenige Nachfrager nach Staats- und Unternehmensanleihen, der mit Abstand größte ist die EZB. Das geht eine gewisse Zeit gut, aber funktioniert nicht auf Dauer. Der Zins ist ein zentraler Indikator in einer Marktwirtschaft. Er macht Risiken sichtbar und gibt dem Investitions- und Konsumverzicht einen Preis. Wer heute sein Geld nicht investiert oder konsumiert, sondern diesen Prozess in die Zukunft verlegt, will für diesen Verzicht einen Preis, den Zins, erwirtschaften. Gibt es diesen Zins nicht mehr, dann konsumiert jeder nur noch oder investiert in Projekte, in die er sonst nie investiert hätte. Die Marktwirtschaft wird so pervertiert. Sie wird aus ihren Grundfesten gehoben.

Wahrscheinlich wird die EZB Teile der faulen Kredite der Banken aufkaufen. Das würde zwar gegen die Europäischen Verträge und gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen, doch es gibt keinen Widerstand mehr gegen diesen fortgesetzten Rechtsbruch. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB sämtliche Segel gestrichen. Jetzt ist der Brexit vielleicht der äußere Anlass für die EZB, bei den italienischen Banken und vielleicht auch noch bei anderen einzugreifen. Die EZB handelt nur noch nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Vielfach wir in der Politik über Nachhaltigkeit diskutiert und diese eingefordert – bei der Rente, bei den Schulden und bei der Umwelt. Bei der eigenen Währung glaubt man nur an das Jetzt und Heute. Doch nur wenige Währungen können sich rühmen, wirklich nachhaltig zu sein. Die meisten Währungen sind Geschichte.

Erstmals veröffentlicht in der Fuldaer Zeitung am 16. Juli 2016.

Photo: Justin Ennis from Flickr (CC BY 2.0)

Von Franco Debenedetti, Unternehmer, ehemaliges Mitglied des italienischen Senats und Präsident unseres Partnerinstituts „Istituto Bruno Leoni„.

Die italienische Bankenkrise bedarf gerade eines deutlichen Zwischenrufs: Das Ausmaß der Artikel und Interviews, in Zeitungen und Blogs, die sich darüber auslassen, was zu tun und was zu lassen sei, ist zu einem Punkt gekommen, an dem es nötig ist, eine Einordnung vorzunehmen.

Die widersprüchlichen Argumente

Sie reduzieren sich letztlich darauf, dass man sich einerseits die „ever closer union“ ersehnt, die Fiskalunion und die Vereinigten Staaten von Europa, während man sich andererseits dafür ausspricht, die Maastricht-Kriterien aufzuweichen und die Vorschriften der Bankenunion nicht zu befolgen. Die EU hat keine Verfassung, sie hat keine eigene politische Geschichte – sie hat nur ihre Verträge. Auf der Website der EU liest man: „Die Europäische Union basiert auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet, dass jede Tätigkeit der EU auf Verträgen beruht“. Ohne Verträge gibt es keine EU. Es ist ein Widerspruch, wenn man mehr Europa will, aber gleichzeitig das Europa von 1992 untergräbt, den ersten großen Schritt nach vorn, und auch die zwanzig Jahre später als lang ersehnten zweiten Schritt begrüßte Bankenunion.

Die kontraproduktiven Argumente

Eine Lawine … Manche argumentieren, es gebe natürlich die Banca Monte dei Paschi di Siena – aber es gebe ja auch die Deutsche Bank. Es gebe unsere Staatshilfen, aber auch die der anderen. Es wird erklärt, dass unser Problem nur Ausdruck eines viel größeren Problems sei. Und dann endet man mit dem Vorwurf an die Obrigkeiten, die unsere Forderungen beurteilen werden, unaufmerksam oder parteiisch zu sein. Faule Kredite seien etwas Anderes als Derivate; frühere Kritikpunkte hätten mit der jetzigen Situation nichts zu tun. Wenn man immer auf die Fehler der anderen hinweist, kann es sein, dass man irgendwann dazu ermahnt wird, einmal wieder auf die eigenen zu Blicken: vernichtetes Kapital, subventioniertes Wachstum, verschlechterte Kredite – es gibt genug Schwachpunkte.

Es ist kontraproduktiv, dem Brexit die Schuld zu geben: Ein Ereignis, das beweist, wie wichtig es ist, dass die Banken ausreichend Kapitalausstattung haben, um Schocks zu überstehen, kann nicht angeführt werden, um ein Auge zuzudrücken gegenüber denjenigen, die nicht ausreichend Kapital haben. Das gleiche gilt für die Umstellung von nachrangigen Anleihen in den Händen institutioneller Inverstoren in Aktien: Manch einer sagt, das könne man nicht machen, weil es den europäischen Markt für nachrangige Anleihen in Panik versetzen würde. Doch wenn das so wäre, dann würde das bedeuten, dass die Investoren nicht daran glauben, dass die Direktive je angewandt würde. Eine Einladung an die Obrigkeit, im Fall der Bank aus Siena unnachgiebig zu sein, um ganz Europa zu beweisen: wir meinen es ernst.

Die peinlichen Argumente

Manche erwarten ein Moratorium bei der Anwendung der Bail-in-Klauseln. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie die Probleme, die damit verbunden sein können, erst erkannt haben als sie nicht mehr theoretisch, sondern real waren. Dasselbe gilt auch für die Rettungen mit öffentlichem Kapital aus Deutschland (jemand sagt auch aus Großbritannien, als ob es Teil der Bankenunion wäre). Ist es ein Zeichen von Vorausschau oder auch nur Klugheit, immer stolz behauptet zu haben, man brauche das nicht?

Die fehlenden Argumente

Allenthalben hört man Beschwerden, dass den Italienern die ökonomische Bildung fehle, aber keiner spricht aus, wer in seiner Pflicht scheitert, diese zu ermöglichen. Das fängt bei der ersten Lektion an: Was für den einen eine Unterstützung ist, ist für den anderen eine Ausgabe, die von jemandem finanziert werden muss – entweder heute mit Steuern oder morgen mit den Zinszahlungen auf neue Schulden. Es scheint, dass die vier Banken (von Marche, Ferrara, Etruria, Chieti), die Ende 2015 pleite gingen, für 500 Millionen verkauft werden können? Ihre Rettung hat 1500 Millionen gekostet. Die Differenz wird den Interbanken-Fonds mit Garantien bezahlen, mithin also die Einleger in Form von geringerer Güte der Garantien. Falls es dem Fond Atlante nicht gelingen sollte, die großzügig bewerteten Bankenkredite zurückzugewinnen, dann wäre das ein Geschenk an die Bankaktionäre. Bezahlt würde das von dem Geld, das aus den Banken und Rentenkassen genommen wurde. Und die letzte Lektion lautet: Im Nachhinein führen diese Rettungen notwendigerweise in eine Situation des „moral hazard“. Sie laden Banken und Banker ein, weiterzumachen wie bisher. Schließlich bezahlt die Rechnung am Ende doch ein anderer.

„La mala educaciòn“ – Die schlechte Erziehung

Wenn der Interessenkonflikt der Regierungen nicht ans Licht gebracht wird. Sie haben in zweifacher Hinsicht ein Interesse daran, zu intervenieren und die Banken zu retten. Einerseits stoßen sie auf Zuspruch, weil sie „ein Problem gelöst“ haben und sie legen sich die Instrumente bereit, um das in Zukunft wieder zu tun. Indem sie als Kapitalgeber der Banken fungieren, gewinnen sie andererseits Gewicht im Prozess der Kreditvergabe, wenn es um Gelegenheiten der „Problemlösung“ geht, die öffentliches Interesse auf sich ziehen: sei es bei der Rettung des Stahlherstellers Ilva, beim Breitbandausbau oder beim Fonds „Atlante“. Dass die ökonomischen Interessen der „Geretteten“ gegebenenfalls nicht mit ihrem politischen Votum über ihren „Retter“ Renzi übereinstimmen, ist auch ein Widerspruch. Von allen, die wir hier gesehen haben, aber vielleicht der harmloseste.

Erstmals erschienen in der Zeitung „Il Foglio quotidiano“ und veröffentlicht auf dem Blog von Franco Debenedetti, eigene Übersetzung.

Photo: Sofi from flickr (CC BY-NC 2.0)

Die Finanzkrise ist zurück. Doch eigentlich war sie nie weg. Sie verbreitete sich nur nicht im Tageslicht, sondern unter dichtem Bodennebel. Heute sind die Probleme größer als noch vor einigen Jahren. Das werden die Heerscharen der „Retter“ vehement bestreiten. War die allgemein verortete Ursache der Krise 2007/2008 doch der „Neo-Liberalismus“ der Jahre zuvor. Diese Zeit der Deregulierung der Finanzmärkte habe den Geist aus der Flasche des Turbokapitalismus gelassen und die Übertreibungen an den Finanzmärkten entstehen lassen.

Seit 2008 kann dieser Vorwurf nicht mehr erhoben werden. Seitdem wird die Finanzwelt mit einer bis dahin nie gekannten Regulierungsfülle überzogen. Basel III, die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB, die Schaffung von Bankenstreßtests bei der EBA, der Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM, die Schaffung eines einheitlichen Bankenabwicklungsregimes und bald auch die einheitliche Einlagensicherung im Euroraum sind nur die bekanntesten Regulierungsversuche allein in unserem Währungsraum. All das sollte das Vertrauen in das Banken- und Finanzsystem erhöhen, systemische Risiken frühzeitig offenbaren und künftige Krisen verhindern. Bald eine Dekade später ist nichts davon eingetreten. Gar nichts!

Jetzt kommt die Finanzkrise mit voller Wucht zurück. Die Banken Italiens schieben 367 Milliarden Euro fauler Kredite vor sich her, was rund 20 Prozent aller Kredite ausmacht, die italienische Banken ausgereicht haben. Normal wären 2 bis 3 Prozent. Schmerzhafte Wertberichtigungen in den Bilanzen drohen, die das Eigenkapital auffressen und Banken insolvent werden lassen. Seit Jahren ist das Problem bekannt, dennoch unternahm die Regierung nichts oder zu wenig und ließ das Problem weiter ansteigen. Jetzt setzt Matteo Renzi auf die Aussetzung gerade beschlossener europäischer Regelungen, die die Gläubiger und Eigentümer erstmal zur Kasse bitten, bevor der Staat eingreift. Das erinnert sehr schnell an 2010, als beim erst besten Fall in Griechenland, die Nichtbeistandsklausel der EU-Verträge außer Kraft gesetzt wurde. Seitdem ist der Rechtsbruch nur noch ein Kavaliersdelikt. Dies alles verwundert nicht, da die Situation Italiens dramatisch ist. Die Situation der Banken in Italien ist das Spiegelbild der Entwicklung der dortigen Wirtschaft. Sie darbt auf dem Niveau der 1980er Jahre und die Industrieproduktion liegt fast 30 Prozent unter der Vorkrisenzeit des Jahres 2008.

Die mangelnde Regulierung taugt daher nicht als Krisenursache, sondern verschleppt und verstärkt das Problem. Der Blick und die Kritik müssen sich daher auf die EZB richten. Sie hat, durch ihre Zinspolitik und ihre Programme zum Aufkauf von Schulden der Staaten und Unternehmen, den Zins und damit den Seismograph zur Messung von Erdbeben beseitigt. Die EZB versprüht fortwährend süßes Gift, das, so wie einst die Sirenen vorbeifahrende Seefahrer betörten, heute alle Finanzminister, Kämmerer, Banker und Finanzvorstände geistig vernebelt. Für das Schuldenmachen von Staaten, Banken und Unternehmen gibt es faktisch keine Grenzen. Es gibt kein Morgen mehr. Alle leben im Jetzt.

Doch das dicke Ende kommt noch. Die Banken werden jetzt von zwei Seiten existentiell in die Zange genommen. Die Regulierungsdichte führt auf der einen Seite zur Oligopolisierung der Branche. Nur noch die Großen können sich die Bürokratie und Datenkrake „leisten“. Die Kleinen werden zur Fusion oder Aufgabe gezwungen. Auf der anderen Seite nimmt die Politik der EZB den Banken ihre Ertragskraft und schafft dadurch ein schwelendes systemisches Risiko. Deshalb hat der Kuratoriumsvorsitzende des think tanks Prometheus, Thomas Mayer, recht, wenn er davon spricht, dass die Probleme der italienischen Banken von heute, die Probleme der deutschen Banken von morgen sind.

Der EZB-Präsident Mario Draghi deckt die Probleme zu und schafft dadurch viel größere. Von Anbeginn an war die Finanzkrise eine Bankenkrise. Banken haben Kredite vergeben, die notleidend waren, aber nicht wertberichtigt wurden. So begann jede Krise. Sei es die Lehman-Krise in Amerika, die IKB-, Landesbanken- und HRE-Krise in Deutschland, die Bankia-Krise in Spanien und jetzt auch die Krise der italienischen Banken. Sie konnten nur durch billiges Geld der Notenbanken entstehen. Eine expansive Ausweitung der Geld- und Kreditmenge schuf eine Vermögensillusion, die nicht unendlich fortgesetzt werden konnte. Irgendwann schwindet das Vertrauen, weil Investoren nicht mehr an die Mondpreise von Immobilien- oder Unternehmenswerten glauben und sich zurückziehen. Dann bricht das Kartenhaus zusammen.

Seit 2008 versucht die EZB die Vermögensillusion durch immer größere Eingriffe in den Preismechanismus der Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten. So wird es wohl auch dieses Mal ablaufen. Wir stehen wahrscheinlich am Vorabend einer neuen Interventionsrunde der EZB, um den italienischen Banken und dem Flehen der dortigen Regierung nachzukommen. Der Brexit bietet dafür den dankbaren Vorwand.

Das alles ist nicht neu. Schon einmal hatte Mario Draghi seinem Mutterland Hilfe durch die EZB angeboten. 2011 sicherte er in einem geheimen Brief dem damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu, italienische Staatsanleihen zu kaufen, wenn Berlusconi Reformen im Land einleiten würde. Heute sind wir 5 Jahre weiter und die Probleme Italiens sind gewachsen. Die Staatsverschuldung hat mit 2.200 Milliarden Euro historische Höchststände erreicht und liegt rund 500 Milliarden Euro über dem damaligen Niveau. Auch die Target2-Salden, als Ausdruck des ökonomischen Ungleichgewichts innerhalb des Euro-Clubs, sind auf Seiten Italiens auf nunmehr fast 300 Milliarden Euro gestiegen. Gleichzeitig steigt der Bargeldumlauf in Italien und erreicht ebenfalls historische Höchststände. Auch dies ist nicht gerade Ausdruck des überschwänglichen Vertrauens in das dortige Bankensystem.

Mario Draghi beseitigt durch sein bisheriges und wohl auch künftiges Vorgehen nicht nur die Insolvenzfähigkeit von Staaten, Banken und Unternehmen, er schafft ein viel größeres Problem. Er zerrüttet den Glauben an die Herrschaft des Rechts. Mario Draghi wird daher zum Totengräber des Euro und der Europäischen Union. Er befördert durch seine Geld- und Wirtschaftspolitik unmoralisches Handeln nach dem Motto: „trocken abstimmen, aber feucht trinken“. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Erstmal veröffentlicht bei Tichys Einblick.