Beiträge

Photo: Satish Krishnamurthy from Flickr (CC BY 2.0)

Bargeld ist gedruckte Freiheit. Wem das zu erhaben klingt, muss aktuell nur nach Indien schauen. Die dortige Regierung hat die 500- und 1.000-Rupienscheine für ungültig erklärt, um so die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Beide Scheine sind die gängigsten Noten auf dem Subkontinent. Seitdem versuchen Millionen von Bürgern, ihre alten Scheine umzutauschen und loszuwerden. Die Notenbank kommt mit der Bargeldproduktion der neuen Geldscheine nicht hinterher. Chaos und Panik herrschen.

Das indische Beispiel ist exemplarisch für das Problem unseres Geldsystems. Es basiert auf zwei Säulen: Die eine Säule ist das staatliche Geldmonopol. Das basiert auf dem Grundsatz, dass der Staat das gesetzliche Zahlungsmittel definiert und nur er Geld produzieren und in Umlauf bringen darf. Dem ist nur schwer auszuweichen. Alle Bürger sind Gefangene ihres Währungsraumes. Die Bürger sind im Alltag daher darauf angewiesen, dass sie jederzeit ihre Geldscheine für den Zahlungsverkehr verwenden können. Es gilt der Grundsatz von Treu und Glaube, dass Bargeld jederzeit umgetauscht werden kann. Der Staat sichert diesen Grundsatz mit seiner Autorität. Gibt es aus irgendeinem Grund Zweifel an der Geldversorgung, dann bricht leicht Panik aus. Bei Banken kommt es zum „Run“. Die Bürger versuchen, ihr Geld möglichst schnell in andere, noch gültige Geldschein umzutauschen oder generell Bargeld zu horten. Im Extremfall bricht das Wirtschaftssystem zusammen, bis der Staat durch eine Währungsreform mit neuem staatlichen Geld einen Neuanfang wagt.

Die zweite Säule unseres Geldsystems ist deren mangelnde Deckung mit einem realen Wert. Die Geldproduktion ist nicht an Gold, oder einen anderen Sachwert gebunden. Sondern sie wird zum einen durch die Zentralbanken als Bargeld gedruckt, deren Menge und Versorgung diese zentral plant und steuert. Und zum anderen als Giralgeld durch die Kreditvergabe der Banken dezentral produziert. Auf letzteres hat die Zentralbank nur indirekt Einfluss. Sie kann die Menge und die Qualität in der Regel nur mittelbar über ihre Geldpolitik steuern. Beides, Bar- und Giralgeld, werden aus dem Nichts produziert. Das Verhältnis Bargeld zu Giralgeld beträgt bei uns eins zu neun. Das ungleiche Verhältnis ist gleichzeitig das Problem bei einem Bankrun. Wollten alle Kunden einer Bank das Geld, das auf ihrem Konto als Giralgeld gebucht wurde, als Bargeld abheben, dann wäre diese Bargeldmenge nicht einmal ansatzweise vorhanden. Deshalb ist in einem ungedeckten Geldsystem der Bankrun das eigentliche Problem. Erkennen die Geldhalter diesen „Schwindel“, kommt es zur Panik. Der schnellste Windhund profitiert, der lahme Dackel schaut in die Röhre. Wer zuerst sein Konto leert, ist daher im Vorteil.

Will man dieses Problem angehen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten: Die aktuell vorherrschende ist die Regulierung. Banken werden streng beaufsichtigt. Deren Kreditvergabe wird bürokratisch überwacht, damit diese und die daraus entstehende Giralgeldproduktion möglichst im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung stattfinden. Überhitzungen der Wirtschaft will die Notenbank durch eine Verschärfung der Regulierung entgegenwirken. Auf eine wirtschaftliche Schwäche reagiert die Notenbank mit einer Reduktion der Regulierung. Will man einen Bankrun verhindern, dann erfordert dies eine intensive Steuerung des Prozesses. Dennoch gibt es immer wieder unvorhergesehene Ereignisse, die schwere Wirtschaft- und Finanzkrisen auslösen. Ein „schwarzer Schwan“, also ein Ereignis das unvorhergesehen von außen auf ein Finanzsystem oder einen Wirtschaftsraum einbricht, kann schon per Definition nicht vorhergesehen und daher auch nicht gesteuert werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, die autonome Geldschöpfung durch Kredite über die Geschäftsbanken zu unterbinden. Diese Idee geht auf den Ökonomen Irving Fisher zurück, der bereits Anfang des letzten Jahrhunderts ein Geldsystem vorschlug, bei dem ausschließlich die Zentralbanken die Menge des Bar- und Giralgeldes bestimmen. Banken müssen in diesem System 100 Prozent des Geldes ihrer Kreditvergabe bei der Zentralbank hinterlegen. Die Notenbank steuert direkt die Menge des Geldes. Fishers Modell ist staatstragend und setzt den Glauben an zentrale Steuerung und deren Verlässlichkeit und Regelgebundenheit voraus. In Krisenzeiten ist das jedoch nicht zu erwarten. Daher eignet es sich wohl nur als Übergangsmodell.

Eine weitere Möglichkeit ist der Geldwettbewerb. Diese Idee geht auf den Ökonomen Friedrich August von Hayek zurück. Der Wirtschaftsnobelpreisträger schlug 1976 vor, das Geld dem Wettbewerb auszusetzen – so wie Brötchen und Wurst auch. Wenn auch die private Geldproduktion zugelassen würde und jeder jederzeit schlechteres in besseres Geld tauschen könnte, würde niemand das schlechtere Geld halten wollen, sondern zusehen, dass er es möglichst schnell umtauscht. Durch den Wettbewerb würde sich evolutorisch gutes Geld entwickeln. Für manchen mag dieser Vorschlag utopisch klingen. Aber Geld ist eine private Erfindung. Der Staat hat sich im Laufe der Geschichte das Geldmonopol erst angeeignet, um leichter den Staatsapparat durch Verschuldung und Inflation finanzieren zu können. Kriege und der Hofstaat waren dadurch leichter und länger zu finanzieren.

Hayeks Idee des Geldwettbewerbs beruht auf seiner Skepsis gegenüber der zentralen Steuerung von Prozessen, an denen viele Akteure beteiligt sind. Er war überzeugt, dass niemand das umfassende Wissen von Millionen von Menschen in sich vereinen kann, wie die richtige Versorgung des Einzelnen mit Gütern aussehen kann. Deshalb kann auch niemand dies zentral planen. Es sei eine Anmaßung von Wissen, die sich der Staat hier zu eigen mache. Daraus leitete er ab: „Die Hauptaufgabe des Wettbewerbs ist es, zu zeigen welche Pläne falsch sind.“ Darin steckt auch der Gedanke, dass es in einer Wirtschaftsordnung besser ist, wenn ein Scheitern dezentral im Kleinen stattfindet als wenn ein zentraler Irrtum im Großen möglich ist, dem keiner ausweichen kann.

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

Photo: Schwabe90 from Flickr (CC BY 2.0)

Die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs war für Wolfgang Schäuble ein teurer Kompromiss. Auf 9,5 Milliarden Euro an Steuern verzichtet der Bund ab 2020 zugunsten der 16 Bundesländer. Er glaubt, es verkraften zu können. Gleichzeitig hat er den Ländern abgerungen, dass für den Betrieb und die Finanzierung der Autobahnen künftig eine privatrechtliche Gesellschaft gegründet wird. Derzeit planen, bauen und unterhalten die Länder in Auftragsverwaltung für den Bund die Autobahnen. Diese öffentlich-rechtlichen Betriebe sind schwerfällig und teuer.

Schon wird das „Schreckgespenst“ der Privatisierung an die Wand gemalt. Tatsächlich kann der Bund seine Autobahnen aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht komplett privatisieren. Die Mehrheit an dieser Autobahngesellschaft muss immer die öffentliche Hand halten. Dennoch könnte eine private Rechtsform die Grundlage für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit legen. Doch der Grund für Schäuble, dies den Ländern abzuringen, ist ein ganz anderer.

Schäuble sieht die aufkommende Existenzkrise der Lebensversicherungen in Deutschland. Die Niedrigzinspolitik der EZB führt diese an den Abgrund – und einen Schritt weiter. Sie finden keine rentierlichen Anlageformen mehr, die einen regelmäßige Ertrag bringen. Im Durchschnitt haben die Lebensversicherungen einen Garantiezins versprochen, der immer noch über 3 Prozent beträgt. Das ist mit klassischen Anleihen nicht mehr zu erwirtschaften. Gleichzeitig sind Anlagen der 90 Millionen Lebensversicherungsverträge zu über 90 Prozent in festverzinsliche Wertpapiere angelegt, deren Renditen seit Jahren dahinschmelzen wie das Eis in der Sonne.

Aus Sicht Schäubles wäre es doch gut, wenn die Lebensversicherungen auch verstärkt in die Infrastruktur investieren könnten. Dann hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Man hätte privates Kapital aktiviert, um die marode Infrastruktur in Deutschland zu modernisieren und gleichzeitig den privaten Altersvorsorgeeinrichtungen in Deutschland eine berechenbare Ertragsquelle geschaffen. Dieser Weg wird schon länger beschritten. Die Anlagevorschriften wurden vor geraumer Zeit durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) gelockert, so dass die Assekuranz leichter in die Energieinfrastruktur und demnächst auch in Autobahnen investieren kann. Jetzt reiben sich die Lebensversicherungen schon die Hände und spekulieren darauf, dass ab 2020 eine Minderheitenbeteiligung an der Autobahngesellschaft des Bundes möglich wird. Sowohl im Energiesektor, als auch bei den Autobahnen lenkt der Bund über seine Regulierung auch die Erträge der Investoren. Er könnte damit das Überleben der Energieunternehmen, aber auch der Lebensversicherungen, am langen Zügel steuern. Er führt also Investoren noch stärker in seine Abhängigkeit.

An diese „Kungelwirtschaft“ werden wir uns gewöhnen müssen. Es wird das Bild unserer Wirtschaft in den nächsten Jahren prägen. So lange die Zinsvernichtung der EZB und der anderen großen Notenbanken anhält, ist das einer der Kollateralschäden dieser Politik. Viele reden jetzt über eine mögliche Zinswende, die durch die Trump-Wahl in Amerika eingeleitet wurde. Vielleicht erhöht die FED ihren Leitzins leicht. Der generelle Trend der Notenbanken, die Zinsen zu drücken, wird aber anhalten. Würde eine generelle Zinswende bei den langfristigen Zinsen einsetzen, würde die Weltwirtschaft sofort einbrechen und die überschuldeten Staaten und Banken, unter anderem in Europa, in den Abgrund stürzen. Schäubles Autobahngesellschaft wird die Lebensversicherer und Energiekonzerne dann nicht retten können.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 19. November 2016.

Photo: Erik Drost from Flickr (CC BY 2.0)

Die wirtschaftspolitische Agenda des kommenden US-Präsidenten Donald Trump ist durchaus differenziert. Innerhalb der USA setzt er auf Steuersenkungen und Investitionen und außerhalb der USA auf Abschottung. Auf Steuersenkungen zu setzen ist durchaus vernünftig. US-Unternehmen zahlen auf der Ebene des Unternehmens 35 Prozent Körperschaftsteuer an den Bund und eine nach Bundesstaat differenzierte Ländersteuer. In New York sind dies rund 5 Prozentpunkte, so dass Unternehmen dort mit fast 40 Prozent belastet werden. Das ist ein internationaler Spitzenwert und höher als in Hochsteuerländern wie Frankreich oder Belgien. Deutschland kommt auf einen Wert von knapp 30 Prozent (Körperschaftsteuer, Soli, Gewerbesteuer). Zwar ist die Bemessungsgrundlage der Steuern auf Unternehmensgewinne von Land zu Land unterschiedlich und daher nur schwer zu vergleichen, dennoch ist die Höhe für die US-Wirtschaft und den Investitionsstandort Amerika ein psychologisches Problem.

Trump hat im Wahlkampf angekündigt, die Bundessteuer auf 15 Prozent und damit die Gesamtbelastung für Unternehmen auf 20 Prozent (New York) zu reduzieren. Er würde damit bei der Unternehmensteuer sein Land vom internationalen Schlusslicht ins fordere Mittelfeld katapultieren und gleiche Steuersätze wie Großbritannien, Finnland oder die Schweiz (Zürich) erreichen. Das war auch der Weg von Ronald Reagan Anfang der 1980er Jahre, auf den Donald Trump ausdrücklich Bezug nimmt.  Reagan wird heute von Kritikern vorgeworfen, dass seine Amtszeit und der wirtschaftliche Aufstieg Amerikas mit einem massiven Schuldenaufbau einhergegangen sei. Tatsächlich haben sich die absoluten Staatsschulden in seiner Amtszeit verzweieinhalbfacht: von 1,3 Billionen auf 3,4 Billionen Dollar. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung betrug die Verschuldung zu Beginn der Amtszeit Reagans 1981 rund 40 Prozent und 1989 60 Prozent. Mit diesen Werten würde Amerika heute gut dastehen.

Aber die Situation ist heute weitaus schlechter. Trump startet seine steuerpolitischen Visionen mit einem Schuldenstand von über 19 Billionen Dollar, einer Verschuldung zum BIP von über 106 Prozent und einem laufenden Staatsdefizit von fast 800 Milliarden Dollar in 2016.

Trump sieht die Ursache für die hohe Verschuldung und den geringen Beschäftigungsstand auch in der Stärke Chinas. Sein Vorwurf an die Asiaten ist, dass sie indirekt ihre Exportindustrie subventionieren, indem sie die chinesische Währung Renminbi abwerten und damit chinesische Exporte billiger machen. An diesem Argument ist etwas dran. Zwar verteuern sich dadurch auch die importierten Vorprodukte für China, doch in Zeiten frei manipulierbarer Währungen überwiegt der kurzfristige Vorteil. Die Antwort Trumps darauf ist, Einfuhrzölle für chinesische Waren von 45 Prozent vorzuschlagen. Wenn das käme, wäre es der Super-Gau für die Weltwirtschaft, der ein gegenseitiges Hochschaukeln von Gegenmaßnahmen zur Folge hätte.

Wahrscheinlich werden daher Zölle in dieser Größenordnung nicht kommen. Eher wird Trump verstärkt in den Abwertungswettlauf mit China eintreten. Aus seiner Sicht könnte er damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Würde er die amerikanische Notenbank FED dazu bringen, auf künftige Zinserhöhungen zu verzichten und stattdessen die Zinsen auch nominal am langen Ende niedrig zu halten, dann könnte er eine Steuerreform über neue Schulden finanzieren, die auch nominal nichts kosten. Die FED müsste dann den Weg Japans gehen, wo die dortige Notenbank die Zinsstrukturkurve über alle Laufzeiten kontrolliert. Das hätte aus Trumps Sicht sehr viel Charme, denn der größte Gläubiger von US-Staatsanleihen ist mit 2,5 Billionen Dollar die eigene Notenbank. Aber direkt danach kommt schon China mit 1,22 Billionen Dollar. China ist hier in einem Dilemma. Es kann die Anleihen nicht umfangreich auf den Markt werfen, ohne dass es an den Anleihemärkten zum Kollaps käme. Andererseits können sie gegen die Zinsmanipulation der FED nichts unternehmen. Gelänge es der FED die Zinsstruktur der Staatsanleihen über die jeweilige Laufzeit durch ihre Intervention zu steuern, dann würde China seine Exporterfolge mit einem immer weniger werthaltigen Anleihenportfolio von US-Staatsanleihen bezahlen.

Daher wird die FED unter ihrer Präsidentin Janet Yellen am 14. Dezember sicherlich nicht ihren Leitzins anheben. Stattdessen könnte nach dem Amtsantritt Trumps am 20. Januar die FED verstärkt in den Ankauf von Staatsanleihen einsteigen, um China und den Rest der Welt an der Finanzierung der Steuersenkung Trumps zu beteiligen. Die Politik Trumps unterscheidet sich nicht wesentlich von seinem Vorgänger. Dieser hat den Staatsapparat ausgeweitet und durch Zentralbankgeld finanziert. Trump senkt die Steuern, um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Amerika zu verbessern und finanziert dies wohl ebenfalls durch die eigene Notenbank. Beides ist falsch und führt zu Verwerfungen und Gegenreaktionen. Daher ist eines klar, auch unter dem US-Präsidenten Donald Trump wird der Weg in den Geldsozialismus weitergehen – nur konsequenter.

Photo: simpleinsomnia from Flickr (CC BY 2.0)

Es gehört zu den alljährlich wiederkehrenden Regierungsritualen, dass die Kanzlerin das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage im Kanzleramt entgegennimmt. Das ist meist so interessant wie die Neujahrsansprache des jeweiligen Kanzlers selbst. In der wiederkehrenden Langeweile kann es schon mal passieren, dass die alte Ansprache auch die neue ist. Dieses Gefühl hatte man zuweilen auch beim Gutachten der Wirtschaftsweisen. Seine Halbwertzeit ist meist kurz und die Positionen darin bekannt. Vier Ökonomen stützen traditionell das Gutachten, einer – der gewerkschaftsnahe Peter Bofinger – distanzierte sich immer vom Mehrheitsvotum seiner Professorenkollegen. Die Welt dreht sich anschließend weiter und abends wird es dennoch schneller dunkel.

Doch dieses Mal überschreiben die Ökonomen ihr Gutachten mit „Zeit für Reformen“. Als wenn wir uns Anfang der 2000er Jahre befänden, als die Arbeitslosigkeit der 5-Millionengrenze entgegenging, das Wirtschaftswachstum lahmte und Deutschland der kranke Mann Europas war. Der Wunsch nach „Reformen“ war damals dem Zeitgeist geschuldet, heute ist der Wunsch danach fast schon aus der Zeit gefallen. Heute wird das Wort „Reform“ mit der „Stabilisierung des Rundfunkbeitrages“ oder dem „Verbot von Versandapotheken“ verballhornt. Damals hieß der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, heute ist es Sigmar Gabriel. So ändern sich die Zeiten.

Echte Reformen jetzt wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ist daher schon ein mutiges Unterfangen, weil es gegen den Zeitgeist gerichtet ist. Der Unterschied zu damals ist aber, dass die Probleme nicht mehr nur einzelstaatlicher Natur sind. Und genau das verkennen die Sachverständigen. Es sind nicht mehr nur die Strukturprobleme des Rentenversicherungssystems in Deutschland,  Frühverrentung und Überfrachtung des Systems durch immer neue Wohltaten. Auch nicht das Steuersystem, das Bürger zu Buchhaltern des Finanzamtes degradiert. Es ist auch nicht die Verkrustung der Marktwirtschaft durch Zugangsbeschränkungen und Abschottung, die eine schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne nicht mehr zulässt, und damit neue, kreative Unternehmer verhindert. Und es ist erst recht nicht der zunehmende Paternalismus, der am Besten in der Aufforderung der Kanzlerin zum Ausdruck kommt, auf CDU-Weihnachtsfeiern auch mal ein schmissiges „Tamtatata oder Schneeflöckchen, Weißröckchen“ zu singen.

Es sind die globalen Herausforderungen, die Reformen notwendig machen. Die weltweite Geldschwemme der Notenbanken ist eine der größten Bedrohungen der Freiheit, der Marktwirtschaft und damit des Friedens. Weniges beeinflusst das Zusammenleben und das Wirtschaften auf der Welt so sehr. Und weniges kann alles so sehr zerstören. Doch darauf gehen die Professoren nur am Rande ein. Schade. Dabei führt die Manipulation der relativen Preise durch die Notenbanken zu einem Wettlauf um den schnellsten und entschiedensten Markteingriff. Doch diese Markteingriffe sind immer nur kurzfristige Vorteile, die zu Gegenreaktionen des Manipulierten führen. In diesem System wird der Manipulierte von heute zum Manipulierer von morgen.

Diese Kritik an den Notenbanken hatte bereits Ludwig von Mises Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert. In dieser Woche kam auch die Deutsche Bank zur Gruppe der Häretiker hinzu. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht? Waren es doch die Banken in Deutschland, die das goldene Kalb im Gewand der EZB anbeteten und lobpriesen. In bisher ungeahnter Schärfe haben die Deutschbanker vor den Auswirkungen der Politik der Europäischen Zentralbank gewarnt. Sie ersticke die Reformdynamik, füge den Sparern allein bis 2018 voraussichtlich zwei Billionen Euro Schaden zu und sie hindert Banken daran, notwendige Abschreibungen auf faule Kredite vornehmen zu müssen. Allein in Europa beziffert der Wirtschaftsprüfer KPMG dieses Volumen auf 1,2 Billionen Euro.

Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Den tut die Kanzlerin nicht. Sie will sich nicht von den Professoren die Butter vom Brot nehmen lassen und übt sich daher bei der Übergabe des Sachverständigengutachtens in Selbstsuggestion, indem sie ihnen zurief: “Ich denke, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen angeht.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Ralph Schulze from Flickr (CC BY 2.0)

Die Europäische Zentralbank kommt wegen ihrer Politik immer mehr in die Kritik. In dieser Woche hat selbst die Deutsche Bank einen Schwenk gemacht und EZB-Chef Mario Draghi vorgeworfen, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er ursprünglich beabsichtigt hatte. Mittlerweile dominierten die negativen Folgen. Die Reformanstrengungen in den Euro-Mitgliedstaaten würden erstickt, die Signalfunktion des Zinses gehe an den Anleihemärkten verloren, die EZB nehme immer mehr Risiken auf die eigene Bilanz, die Sparer müssten diese Politik mit Nullzinsen auf ihren Sparbüchern und in ihren Lebensversicherungen bezahlen und das Investitionskapital werde in falsche Projekte gelenkt, die dann Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten entstehen ließen.

Bislang kam diese Kritik an der EZB im Wesentlichen von den Sparkassen und Volksbanken. Sie sind besonders betroffen von der Zinsdrückerei der Notenbank. Ihre Margen brechen weg, ihr Kostenapparat ist durch die vielen Geschäftsstellen hoch und sie können nur sehr schlecht in andere Geschäftsmodelle ausweichen. Die Großbanken waren dagegen bislang eher zurückhaltend mit ihrer Kritik an der EZB, auch weil diese sie inzwischen direkt beaufsichtigt. Denjenigen zu kritisieren, der einem durch Aufsichtsmaßnahmen dann erheblich das Leben schwermachen kann, ist daher durchaus mutig. Insofern ist es wohl eher als Hilferuf zu verstehen, wenn die Deutsche Bank sich derart äußert.

Die Begründung und das Festhalten der EZB an dieser Politik ist einer falschen Annahme geschuldet. Es ist die Annahme, dass die Notenbank über die Geldpolitik Märkte stimulieren müsse, um Wachstum zu erzeugen. Traditionell geschieht dies durch die Zinspolitik der Notenbanken. Verbilligt die Zentralbank die Geldversorgung für die Banken, hofft sie, dass diese anschließend leichter Kredite vergeben und damit Investitionen und Arbeitsplätze entstehen. Doch die Pferde wollen nicht saufen. Die EZB hat den Ausleihzins faktisch beseitigt. Die Kreditvergabe der Banken im Euro-Club stockt dennoch. Die Banken halten ihr Pulver trocken. Sie haben viel zu viele faule Kredite in ihren Büchern, sodass sie erstmal keine neuen vergeben wollen. Schätzungen gehen dahin, dass fünf Prozent aller Kredite im Euroraum notleidend sind, das sind 1,2 Billionen Euro. In den Krisenländern Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind es deutlich über zehn Prozent. Das ist für einen Bankensektor eine enorme Belastung. Daher parken Banken lieber ihre Liquidität bei der Zentralbank. Diese reagierte darauf mit einem Strafzins, doch es nützt dennoch nichts. Mario Draghi befindet sich inmitten einer Interventionsspirale. Er muss immer größere Eingriffe in die Marktwirtschaft vornehmen, um einen Effekt zu erzielen oder einen negativen Effekt, der die Folge der vorigen Entscheidung war, zu heilen.

Dieses Phänomen der Interventionsspirale existiert nicht nur bei Notenbanken, sondern ist generell zentralistischen Systemen eigen. Dies hat etwas mit dem Wissen über die Entscheidungen des Einzelnen zu tun. Zentralistische Planungssysteme glauben zu wissen, was der Einzelne benötigt und wie er entscheidet. Irrt sich der oberste Planer, dann wird der Plan nachjustiert. Irrt er sich erneut, wird noch stärker eingegriffen. Die Schäden, die an anderer Stelle durch die Eingriffe entstehen, werden billigend in Kauf genommen, um das höhere Ziel zu erreichen. Zentralistische Planungssysteme sind nonzentralistischen Planungen daher unterlegen. Nonzentralistische Planung finden wir in der Marktwirtschaft. Dort entscheidet und verantwortet der Einzelne sein Handeln. Dies funktioniert deshalb so gut, weil dieser Prozess nicht zentral konstruiert ist, sondern dem natürlichen Zusammenleben entspricht.

Welche Konsumentscheidungen der Einzelne trifft, ob und wann er ein Auto kauft, abends zum Essen geht oder wie oft er in den Urlaub fährt, sind individuelle Entscheidungen, die bei jedem von uns anders sind. Und so ist es auch mit dem Unternehmer. Welche Investitionsentscheidungen, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort er trifft, ist individuell und subjektiv. Dies kann nicht zentral geplant werden. Dieses Wissen hat niemand, erst recht nicht Mario Draghi.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 5. November 2016.