Beiträge

Photo: Heinrich-Böll-Stiftung from Flrickr (CC BY-SA 2.0)

Wolfgang Schäuble kommt die Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD sehr recht. Es gibt ihm die Chance, die SPD in der Eurofrage in den kommenden Wochen an die Wand zu spielen. Das ist zumindest in dieser Frage einfacher, als wenn Sigmar Gabriel Kandidat der SPD geworden wäre. Dieser sitzt mit Schäuble am Kabinettstisch, Schulz dagegen nicht. Er ist Sinnbild des EU-Zentralismus und war der Repräsentant der Ja-Sager im EU-Parlament.

Der Taktiker Schäuble hat spätestens seit dem zweiten Griechenlandpaket 2010 nicht mehr geglaubt, dass Griechenland Willens und in der Lage ist, sich innerhalb des Euroraums von seinen Schulden nennenswert zu befreien und auf einen wirtschaftlich soliden Pfad zu kommen. Er hat dennoch alle Programme für Griechenland mitverhandelt und unterschrieben. Er ist also eindeutig mitschuldig an der verzwickten Situation des Euros, weil er sie lange hat schleifen lassen. Er wollte die Probleme innerhalb seiner Amtszeit als Finanzminister aussitzen. Seine historische Rolle als Finanzminister, der Überschüsse im Bundeshaushalt erzielt und die relative Verschuldung Deutschlands zurückführt, wollte er sich nicht durch die unbelehrbaren Sozialisten in der griechischen Regierung kaputt machen lassen.

Auch den IWF hat er lediglich für seine Taktik benutzt, Zeit zu gewinnen. Es war spätestens seit dem Inkrafttreten des ESM 2012 klar, dass der IWF nicht weiter Kredite für Griechenland bereitstellen wird. Noch unter dem Vorgänger-Mechanismus des dauerhaften Rettungsschirms ESM, der EFSF, war die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds eine zwingende Bedingung. Damals war das Argument Deutschlands, dass der IWF besondere „Expertisen“ besitze, um überschuldeten Staaten ein Reformprogramm zu verordnen. Schon das war damals schöngeredet. Wer die Beteiligung des IWFs in Staatsschuldenkrisen untersucht, kommt schnell zum Schluss, dass deren Bilanz sehr überschaubar ist. In den ersten Jahren werden die Vorgaben meist noch einigermaßen eingehalten, nach wenigen Jahren lässt jedoch die Bindungskraft immer mehr nach. So war es in Südamerika, erst recht in Afrika und eben auch in Griechenland. Es war auch eigentlich nur der Wunsch Deutschlands, dass sich der IWF beteiligt. Die Brüsseler Bürokratie und auch die Krisenstaaten wollten den IWF von Anfang an nicht, sie wollten lieber untereinander kungeln und nicht die USA indirekt mit am Tisch haben.

Der dauerhafte Schuldenschirm ESM sieht jedoch eine zwingende Beteiligung des IWF nicht mehr vor. Dieser wird in den Statuten lediglich eingeladen, sich zu beteiligen. Nur die deutsche Zustimmung 2015 zum dritten Griechenlandpaket über 86 Milliarden Euro macht die Beteiligung des IWF zur Bedingung. Diese Bedingung ist jedoch „nur“ eine Aufforderung des Bundestages an die eigene Regierung – nicht mehr und nicht weniger. Schäuble versprach damals vor dem Parlament, sich dafür einzusetzen, wohlwissend, dass die Realisierung nicht sehr wahrscheinlich ist.

Die Euro-Zone ist auf sich alleine gestellt. Die aggressiven Äußerungen aus der Trump-Administration zur EU und zum Euro lassen erkennen, dass Trump lieber die Finger in die Wunde des Euros legt, anstatt zu helfen. Er setzt wirtschaftspolitisch auf eine Schwächung der EU und des Euro, weil er sich dadurch Vorteile für sein Land erhofft. Doch die Schwächung des einen bedeutet nicht automatisch die Stärkung des anderen. Letztlich sitzen Amerika und Europa wirtschaftspolitisch in einem Boot. In Griechenland tut sich nach wie vor nichts. Während der Primärüberschuss im Haushalt schon als Trendwende verkauft wird, schrumpft selbst die Tourismusindustrie Griechenlands, obwohl eigentlich alle, wirklich alle Rahmenbedingungen für Hellas sprechen. Die unsichere Lage in der Türkei und in Nordafrika sind eigentlich ideale Voraussetzungen für den Sommerurlaub in Griechenland, und dennoch gingen die Einnahmen 2016 im Tourismus um rund sieben Prozent zum Vorjahr zurück. Ende des dritten Quartals 2016 lag die Staatsverschuldung bei 311 Mrd. Euro oder bei 177 Prozent zur Wirtschaftsleistung, trotz mehrfachem Schuldenerlass.

Es gilt, was bereits 2010 galt: Niemand kann Griechenland besser helfen als Griechenland selbst. Nur wenn die Hellenen selbst einsehen, dass es grundlegende Strukturreformen bedarf, die sie aus eigener Erkenntnis wollen und umsetzen müssen, wird sich etwas ändern. Wenn Griechenland die aufgezwungenen Reformen nur als Diktat der EU oder Deutschlands empfindet, dann fehlt die innere Einsicht. Griechenland muss selbst entscheiden, ob es im Euro bleiben will oder nicht. Eine deutsche Regierung muss aber ebenfalls selbst entscheiden, ob sie weiter Geld in ein schwarzes Loch werfen will, ohne dass sie jemals etwas davon wiedersieht. Lange Zeit wurde der Glaube verbreitet, es sei „preiswerter“, Griechenland weiter durchzufüttern, da der Zusammenhalt der Euro-Zone die Nachteile überwiegen würde. Doch Griechenland ist nur ein Symptom der Euro-Krise. Griechenland ist die Spitze des Eisbergs, dessen Ursprung mindestens 25 Jahre alt ist.

Der Maastrichter Vertrag, der letzte Woche dieses Jubiläum feiert, legte die Grundlage für die Konvergenzkriterien der öffentlichen Verschuldung der Mitgliedsstaaten. Er war ein Produkt staatlicher Ingenieurskunst. Beamte haben sich am Schreibtisch überlegt, wie die ideale EU auszusehen hat. Doch Papier ist gerade in der EU geduldig. Die Verschuldungskriterien von 60 Prozent für die Staatsverschuldung und von drei Prozent für das maximale Haushaltsdefizit waren schon das in Papier geschriebene Misstrauen in die Solidität der Mitgliedsstaaten. Es war sehr berechtigt, weil es anschließend nie funktioniert hat. Doch eigentlich braucht es diese Verschuldungskriterien nicht. Soll doch jede Regierung, jedes Parlament so viel Schulden machen können, wie sie und ihre Wähler es für richtig halten. Es braucht eigentlich nur eine Regel, auf die sich alle verständigen und die hart und entschlossen durchgesetzt werden muss: Jeder haftet für seine Schulden selbst. Daran, und nur daran macht sich die Zukunft des Euros fest.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Claire Wiseman from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Trump-Administration wirft Deutschland vor, den schwachen Euro für seine Exportindustrie auszunutzen. Diese Unterstellung, die Trumps Handelsstratege Peter Navarro formulierte, hat einen wahren Kern. Auch wenn die Kanzlerin schnell darauf hinweist, dass die EZB unabhängig sei und die Bundesregierung auf deren Politik keinen Einfluss nehme. Fakt ist: die Kanzlerin und ihr Finanzminister schauen mit wohlmeinender Miene zu. Mario Draghi, der EZB-Chef, macht für die deutsche Regierung die Drecksarbeit. Das macht er sehr gern, kommt ihm doch seit der Eurokrise und seiner Inthronisation im November 2011 eine mächtige Schlüsselrolle in Europa zu. Bis Ende 2017 wird die EZB Schulden von Staaten, Banken und Unternehmen in der Größenordnung von über 2,2 Billionen Euro aufgekauft haben.

Schon heute ist der Markt für Unternehmensanleihen und Pfandbriefen faktisch leergekauft. Bald muss sich die EZB etwas Neues einfallen lassen und die Qualität der aufgekauften Papiere immer weiter senken. Geht es so weiter, kauft sie vielleicht auch bald alte Fahrräder und gibt dafür neues Zentralbankgeld heraus. Wer weiß? Es ist eine Irrsinnsstrategie, die in dieser Form kein historisches Vorbild kennt.

Doch Mario Draghi bezweckt damit zweierlei. Zum einen will er die Finanzierungsfähigkeit der Eurostaaten erhalten, indem er den Zins am langen Ende drückt. Dies hat ein paar Jahre funktioniert. Inzwischen laufen jedoch die Renditen der Staatsanleihen in der Eurozone wieder verschärft auseinander. Der andere Zweck besteht darin, den Euro im Außenwert zu schwächen, um die Exportindustrie zu fördern. Es ist eine Art Exportsubvention der Notenbank, um die heimische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Ist der Euro gegenüber dem Dollar im Außenwert niedrig, sind die Produkte dort preiswerter. Der Preis ist bekanntlich nicht alles. Die Qualität muss auch stimmen. Dies scheint wohl für die deutsche Exportindustrie zu gelten. Der historisch hohe Überschuss Deutschlands in der Leistungsbilanz von 300 Milliarden Euro im vergangenen Jahr drückt unter anderem diese Entwicklung aus.

Innerhalb des Euroraums wird zwar in allen Ländern mit der gleichen Währung bezahlt. Wieviel davon im jeweiligen Land für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in der Eurozone zur Verfügung gestellt wird, hängt aber auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wenn die Forderungen der Bundesbank im Target-System sich inzwischen auf 754 Milliarden Euro belaufen und die Verbindlichkeiten der italienischen Notenbank 356 Milliarden Euro betragen, dann bedeutet dies nichts anderes als, dass Italien anschreiben darf, um Waren und Dienstleistungen, unter anderem aus Deutschland, bezahlen zu können. Doch anders als im Krämerladen gibt es im Target-System kein Ende, sondern der Zettel wird immer länger. Wenn man so will, ist dies letztlich auch eine Subvention des Euro-Systems für die deutsche Exportindustrie. Deutsche Unternehmen können nur so lange nach Italien, Spanien, Griechenland oder Portugal exportieren, so lange das Anschreiben auf den unendlichen Zettel der EZB möglich ist.

Stellen Sie sich das so vor: Mario Draghi sitzt in einem Ruderboot. Und auch Janet Yellen, die Präsidentin der amerikanischen Notenbank FED, sitzt in einem. Ebenso wie der Präsident der japanischen Notenbank und der chinesischen Notenbank. Doch sie sitzen nicht gemeinsam in einem Boot, sondern jeder hat ein eigenes. Sie rudern in der Geldpolitik um die Wette. Einige sind früher gestartet, haben die Zinsen zuerst gesenkt und die Schulden zuerst aufgekauft, um sich dadurch einen Vorsprung zu erpaddeln. Sie können jetzt eine kleine Pause einlegen. Andere werfen sich Anabolika in den Rachen und rudern plötzlich doppelt so schnell, um die anderen einzuholen. Es ist ein hartes Rennen, um einen Vorteil zu erzielen. Beide, die Frühstarter und die Drogenabhängigen spielen unfair. Sie manipulieren und täuschen.

Trumps Kritik ist berechtigt. Auch die Kritik Italiens an Deutschland hat einen wahren Kern. Doch die Finger, die auf Deutschland zeigen, richten sich gleichzeitig auch auf die USA und innerhalb des Euroraums auf Italien. Die Entwicklung ist eine Folge konstruktivistischer Geldpolitik. Sie folgt keinen allgemeinen Regeln, sie ist nicht regelgebunden, sondern zerstörerisch. Sie setzt Wissen über die künftige Höhe des Zinses und die wirtschaftliche Entwicklung voraus, die kein US-Präsident, keine Bundeskanzlerin und kein Notenbanker auf dieser Welt jemals haben kann. Mehr Bescheidenheit und Demut vor der Zukunft wäre daher der erste Schritt zur Besserung.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Kian from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die amerikanische Notenbank Fed hat in dieser Woche den Leitzins erhöht und verlangt von Banken künftig 0,50 bis 0,75 Prozent für Geld, das diese bei der Notenbank ausleihen wollen. Die EZB und andere wichtige Notenbanken haben ihren Leitzins nicht verändert. Das klingt unspektakulär, ist es aber nicht. Ein Auseinanderlaufen der Zinspolitik der wesentlichen Notenbanken der Welt hat gravierende Folgen. Die Zinserhöhung der Fed gegenüber den Banken und deren Erwartung kommt inzwischen auch bei den Renditen der US-Staatsanleihen an. Deren zehnjährige Anleihen rentieren derzeit über 2,2 Prozentpunkte höher als deutsche Staatsanleihen gleicher Laufzeit.

Es findet ein Run in den Dollar statt, weil Anleger dort eine höhere Rendite für ihr Geld erwarten können. Steigt die Nachfrage in den Dollar im Verhältnis zum Euro, steigt ersterer im Wert und die europäische Gemeinschaftswährung sinkt. Das ist auf den ersten Blick gut für die heimische Exportwirtschaft. Sie kann ihre Waren leichter in den Dollarraum verkaufen. Ganz anders sieht es jedoch für diejenigen aus, die Vormaterialien aus dem Dollarraum importieren müssen oder deren benötigte Rohstoffe in Dollar gehandelt werden. Wer zum Beispiel Zinn verarbeitet, ist doppelt gekniffen. Er muss den im vergangenen Jahr um 45 Prozent gestiegenen Rohstoffpreis verkraften und gleichzeitig noch den steigenden Dollarkurs. Letztlich muss er einen Preisanstieg für Zinn in Euro von 52 Prozent in Kauf nehmen. Ein Anstieg in so kurzer Zeit ist daher sehr gefährlich für die Existenz vieler Unternehmen.

Mit steigenden Rohstoffpreisen kommt über kurz oder lang auch die Inflation zurück. Produzenten werden versuchen, möglichst schnell die Rohstoffpreise auf ihre Produkte umzulegen. Das wird nicht jedem gelingen, dennoch wird dieser Prozess mittelfristig über Preissteigerungen bei den Konsumenten ankommen. Das bringt die Europäische Zentralbank in ein Dilemma. Sie will auf der einen Seite die schleppende Konjunktur in Südeuropa ankurbeln, die Finanzierungsfähigkeit der hochverschuldeten Südstaaten sichern und die Zielinflationsrate von zwei Prozent erreichen. Tritt letzteres ein, müsste sie eigentlich ebenfalls die Zinsen erhöhen. Doch dann würde das zarte Konjunkturpflänzlein in Spanien verdorren, die marode Wirtschaft in Italien, Griechenland und Portugal würde sofort in eine neue Depression verfallen. Das ist auch das Dilemma des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Hält er seine Versprechen, senkt die Unternehmenssteuern und kurbelt die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur an, dann wird das kurzfristig wohl nur über eine Erhöhung der Neuverschuldung gehen. Diese Impulse sind ebenfalls inflationsfördernd und führen zu weiteren Zinsschritten nach oben durch die US-Notenbank. Die Kredit- und damit die Geldmengenausweitung wird dadurch gedrosselt, was gleichzeitig zu einer Bremswirkung der Konjunktur führen wird. Die neue US-Regierung und ihre Notenbank verfolgen daher unterschiedliche Interessen. Wie dieser drohende Konflikt ausgehen wird, ist unklar.

Klar ist, dass der Zinsanstieg auch Folgen für die Weltwirtschaft hat. Die Kapitalflucht in den Dollar findet nicht nur von Europa aus statt, sondern von überall her. Kapital wird verstärkt auch aus den Schwellenländern abgezogen und in den USA geparkt. Viele Gläubiger in den Schwellenländern, seien es Staaten, Unternehmen oder Einzelpersonen, halten ihre Schulden in Dollar. Steigt der Dollar sprunghaft im Wert, können sich Dollar-Guthabenbesitzer freuen, die Gläubiger aber nicht. Sie müssen in nationaler Währung mehr aufwenden, um die Dollarschuld bezahlen zu können. Historisch war dies immer wieder der Grund für Staatspleiten in Lateinamerika oder Südostasien. Inzwischen ist der Schuldenberg weltweit jedoch auf einen neuen Rekordwert von 200 Billionen Dollar angestiegen.

Die ersten leichten Winde in der Weltwirtschaft zeigen, dass es im neuen Jahr daher rauer wird. Sie zeigen auch, dass es keinen leichten Ausstieg aus der historisch einmalig lange andauernden Niedrigzinsphase gibt. Das Loch, das die Notenbanken durch ihre Zinsmanipulation weltweit geschaffen haben, ist sehr tief, es zuzuschütten wird zu einem sehr schwierigen Unterfangen. Es ist so, wie der Ökonom Roland Baader es einmal gesagt hat: Was gestern verfrühstückt wurde, muss morgen nachgehungert werden.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 17. Dezember 2016.

Photo: Riccardo from Flickr (CC BY 2.0)

Lange Zeit wurde die Mär verbreitet, die Zukunft des Euro würde von Griechenland abhängen. Das war 2010 beim ersten Bail-Out so und dann auch in den Folgejahren. Scheitert der Euro in Griechenland, dann scheitert Europa, so das Credo. Heute ist klar, Griechenland ist ein Failed State, der durchgefüttert wird, aber bei dem allen Beteiligten klar ist, dass er dauerhaft am Tropf hängt, so lange er im Euro verbleibt. Seit dem Rettungsversuch Griechenlands hat sich die Krise jedoch wie ein Virus in das Zentrum Europas verbreitet. Die Mitte des Orkans ist inzwischen Italien. Italien steckt nicht erst seit dem gescheiterten Referendum vom vergangenen Sonntag in einer fundamentalen Strukturkrise. Doch das Scheitern Renzis bringt die Strukturprobleme deutlich ans Tageslicht.

Seit der Euro-Einführung 1999 hat sich die Staatsverschuldung Italiens um rund 1.000 Milliarden Euro erhöht. Nur in den Zwischenkriegsjahren war die relative Verschuldung zur Wirtschaftsleistung höher. Heute beträgt sie fast 135 Prozent. Die steigende staatliche Verschuldung geht einher mit einem Verlust von Wirtschaftskraft im Norden wie im Süden des Landes. Bis zur Einführung des Euros entwickelten sich der Norden und der Süden – natürlich von unterschiedlichen Ausgangsniveaus – im Gleichklang. Während der Norden seitdem seine Wirtschaftskraft zwar nicht steigern, aber zumindest halten konnte, verlor der Süden massiv an Wirtschaftskraft: im Vergleich zu 2001 sind es 11,2 Prozent.  Das lässt sich auch an einigen wichtigen Wirtschaftszweigen ablesen. Das produzierende Gewerbe ging gegenüber dem Hoch im Dezember 2006 um 27,8 Prozent zurück und verharrt seit über 3 Jahren auf diesem niedrigen Niveau. Die Automobilindustrie, eine der wichtigen Schlüsselindustrien Italiens, folgt einem stetigen Niedergang und produziert heute so viele Autos wie 1960. Im Vergleich zu den Hochzeiten Anfang der 1990er Jahre hat sie über 66 Prozent der Produktion eingebüßt. Auch andere Branchen wie die Stahlindustrie produzieren auf dem Mengenniveau der 1970er Jahre.

All das bleibt nicht ohne Folgen. Das Bankensystem ist durch die strukturelle Wachstumsschwäche überschuldet. Rund ein Drittel der faulen Kredite europäischer Banken sind in den Büchern der italienischen Institute. Insgesamt sind dies inzwischen über 360 Milliarden Euro, rund 200 Milliarden davon sind länger als 90 Tage im Zahlungsverzug. Über 22 Prozent aller Kredite in Italien sind damit im Feuer. Daher geht es in Italien nicht nur um die Existenz der Skandalbank, der Banca Monte dei Paschi die Siena, sondern um eine lang aufgestaute Strukturkrise des gesamten Bankensektors.

Die offizielle Arbeitslosigkeit verharrt auf fast 12 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 36 Prozent. Die tatsächlichen Zahlen liegen wahrscheinlich erheblich höher. Die Folge ist, dass die jungen Menschen das Land verlassen. Ausdruck des wirtschaftlichen Niedergangs ist der negative Target2-Saldo gegenüber anderen Ländern der Eurozone. Mit 358 Milliarden Euro ist die italienischen Notenbank in der Kreide. Wahrscheinlich ist nicht nur der wirtschaftliche Niedergang der italienischen Wirtschaft insbesondere im Export dafür verantwortlich, sondern auch eine steigende Kapitalflucht aus dem Land. Ein Indiz dafür ist der stetig ansteigende Banknotenumlauf. Seit der Einführung der Euro-Banknote 2002 ist dieser von rund 50 Milliarden Euro auf jetzt 177 Milliarden Euro gestiegen.

Umgekehrt sind die Target2-Salden auf Seiten der Deutschen Bundesbank mit 754 Milliarden Euro auf einem Allzeithoch. Auch dies drückt die Grundproblematik des Euros aus. Die Ökonomien im Euro-Club entwickeln sich immer weiter auseinander. Während Deutschland seine Industrieproduktion zum Vorkrisenjahr längst wieder erreicht hat, liegt Italien immer noch 20 Prozent darunter.

Italien wird immer mehr zum neuen Griechenland für die Euro-Zone. Derzeit rettet alleine der EZB-Präsident Mario Draghi sein Heimatland. Die Verlängerung seines Schuldenaufkaufprogrammes um weitere 540 Milliarden Euro auf dann 2.280 Milliarden Euro sichert für eine gewisse Zeit noch das niedrige Zinsniveau in Italien. Würde dies nicht geschehen, wäre Italien sofort zahlungsunfähig. Mitte der 1990er Jahre musste der italienische Staat bei 1.000 Milliarden Staatsverschuldung noch 14 Prozent Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen bezahlen, heute sind es bei 2.200 Milliarden Euro nur noch 2 Prozent.

Wahrscheinlich muss Italien den Euro aufgeben, um ihn und sich zu retten. Das wird ein äußerst schmerzhafter Prozess. Aber der Euroraum ist zu inhomogen, um dauerhaft diese divergierenden Spannungskräfte auszuhalten. Daher ist es zwingend notwendig, dass die Eurostaaten sich endlich über eine geordnetes Ausstiegsverfahren aus dem Euro verständigen. Die Zeit dafür ist knapp. Die Eurogruppe hat viele Jahre vergeudet, um etwas künstlich zusammenzuhalten, was nicht zusammenpasst. Ein weiter so darf es nicht geben.

Photo: Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Von Norbert Häring, Journalist.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat entschieden, dass die Rundfunkanstalten nicht verpflichtet sind, das gesetzliche Zahlungsmittel zur Begleichung des Rundfunkbeitrags anzunehmen. Die Urteilsbegründung ist nach meiner laienhaften und unmaßgeblichen Ansicht ein schlechter Witz. An Bundesgesetze und das EU-Recht müssen sie sich nicht halten, wenn ihnen das lästig wäre, meint das Gericht. Berufung ist zugelassen!

Sie mögen geneigt sein, mich für einen schlechten Verlierer zu halten. Aber einerseits ist ja noch nichts verloren, sondern ein höherrangiges Gericht, der Hessische Verwaltungsgerichtshof, darf entscheiden. Zum Anderen möchte ich Ihnen die Möglichkeit geben,sich selbst ein Bild von der sonderbaren Urteilsbegründung der aus drei Berufsrichtern und zwei Laien bestehenden Kammer zu bilden.

„Der Beklagte ist nicht verpflichtet, Barzahlungen des Klägers zur Tildung seiner Rundfunkbeitragsschuld anzunehmen. Er befindet sich daher nicht in Annahmeverzug.“ So lautet das Urteil. Dem „steht auch nicht der wegen Art 31 GG vorrangige §14 Abs. 1 S. 2 BbankG entgegen. Nach (diesem) sind auf Euro lautende Banknoten das einzige unbeschränkte Zahlungsmittel.“

Das Schlüsseladjektiv „gesetzliche“ im Gesetzestext wird weggelassen. Es ist zentral für die Unterscheidung zwischen dem Zahlungsmittel Giroguthaben bei Banken und dem einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel Banknoten. Giroguthaben sind ein Versprechen auf Auszahlung des gesetzlichen Zahlungsmittels. Der vom Gericht erwähnte Artikel 31 GG begründet den für unsere Argumentation zentralen Grundsatz, dass Bundesrecht entgegenstehendes Landesrecht bricht.

Dann kommt eine erste wichtige Erkenntnis. Es ist nach Ansicht eines deutschen Verwaltungsgerichts unklar, ob – wie Bundesbank und EU-Kommission meinen – ein grundsätzlicher Annahmezwang bezüglich des gesetzlichen Zahlungsmittels besteht.

Es kann offen bleiben, ob daraus – wie der Kläger meint – einfachgesetzlich bzw. unionssekundärrechtlich als geldpolitische Regelung eine grundsätzlich jedermann – und auch öffentliche Stellen – treffende Obliegenheit folgt, auf Euro lautende Banknoten zur Begleichung einer Schuld in bar anzunehmen, mit der Folge, dass andernfalls Gläubigerverzug eintritt. Alternativ kommt – wou die Kammer neigt – in Betracht, dass §14 Abs 1 S. 2 BbankG (…) lediglich die währungspolitische Aussage des §14 Abs 1 S. 1 BbankG verdeutlich, dass ausschließlich die Bundesbank das Recht zur Ausgabe von Euro-Banknoten hat.

In diesem Absatz vermute ich den Grund, warum es einen Monat dauerte, bis das Urteil ausgefertigt und zugestellt wurde. Die Richter wurden sich offenbar nicht einig, was aus §14 Abs 1. S. 1 Bundesbankgesetz folgt, und ließen diese zentrale Frage daher offen. Und jetzt kommt der schlechte Witz: Offen kann das bleiben, weil:

Denn der Anwendungsbereich des §14 Abs. 1 S 2 BbankG ist jedenfalls dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass in Massenverfahren im Abgabenrecht eine unbedingte Verpflichtung zur Annahme von Bargeld seitens des Abgabengläubigers nicht besteht. Eine Kollision mit höherrangigem Bundesrecht liegt daher im Fall des §10 Abs. 2 der Rundfunkbeitragssatzung nicht vor.

In Laiensprache übersetzt: Würde das Bundesbankgesetz einen Annahmezwang begründen, würde der nur dann gelten, wenn es für die verpflichtete öffentliche Stelle nicht lästig wäre. Weil der Bundesgesetzgeber das zwar nirgends formuliert, aber mitgedacht habe, trete auch das Problem nicht auf, dass der Landesgesetzgeber (bei der Rundfunkgesetzgebung handelt es sich um Landesrecht) und die Rundfunkanstalten keine Befugnis haben, den Regelungsgehalt von Bundesgesetzen einzuschränken oder Regelungen zu erlassen, die Bundesgesetzen widersprechen. Das Gericht meint also, wenn sich Gesetze im Lauf der Zeit als unpraktisch für Behörden erweisen, müssen sie nicht geändert werden. Man geht einfach davon auf, dass der Gesetzgeber schon so gewollt hätte, das die Regelung ignoriert wird, wenn sie sich als unpraktisch erweist. Das liest sich dann in der Urteilsbegründung weiter so: „Bei Massenverfahren im Abgabenrecht – und hierzu ist das Recht der Rundfunkbeiträge zu zählen – ist es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität angezeigt, einen rein unbaren Zahlungsverkehr zuzulassen.“

Es gibt keinen Verweis auf irgendein Urteil oder einen Gesetzeskommentar, der diese originelle Rechtsauffassung stützen würde, stattdessen die gut versteckte Einräumung:

Auch der Vergleich zu den zugestandenermaßen auf derselben Normebene eines Bundesgesetzes stehenden – steuerrechtlichen Vorschriften der §224 Abs 3 S. 1 AO (Abgabenordnung) (…) zeigt, dass in solchen abgabenrechtlichen Massenverfahren Ausnahmen von der auch baren Zahlungsmöglichkeit möglich sind und auch erforderlich sein können.

Es steht nicht in Zweifel, dass der Bundesgesetzgeber Bundesgesetze ändern und einschränken darf. Bestritten wird von uns, dass der Landesgesetzgeber das darf. Das Gericht räumt mit dem „zugestandenermaßen“ ein, dass ihm das bewusst ist, macht dann aber weiter, als wäre nichts gewesen. Es kommt nichts mehr, was das „zugestandenermaßen“ wieder aufnehmen und begründen würde, warum ein solches Recht auch Landesgesetzgebern zustehen sollte.

Ganz abgesehen davon wird die Vorschrift der Abgabenordnung verengt angeführt. Sie erlaubt den Finanzämtern nur unter der Bedingung die Kassen für Barzahlungen zu schließen, dass Kreditinstitute am Ort ermächtigt werden, Barzahlungen „gegen Quittung“ für das Finanzamt anzunehmen. „Gegen Quittung“ bedeutet, dass Bank zur Erfüllungsgehilfin des Finanzamts wird, und die Schuld mit Einzahlung bei der Bank erloschen ist. Das ist bei der Barüberweisungsmöglichkeit, auf die die Rundfunkanstalten verweisen, dezidiert nicht der Fall. Die Schuld ist erst beglichen, wenn das Geld nachweislich auf dem Konto der Rundfunkanstalt eingegangen ist. Gegen die verbreitete Praxis der Finanzämter, die Kassen zu schlissen, ohne der ausdrücklichen Verpflichtung durch die Abgabenordnung Genüge zu tun, dafür mindestens ein Kreditinstitut am Ort zur Ausstellung einer Quittung zu ermächtigen, ist mindestens ein Verfahren anhängig.

Aber mit solchen Feinheiten hält sich das Gericht nicht auf, sondern zeigt noch einmal den exzessiv praktikabilitätsorientierten Geist des Urteils, indem es darauf verweist, dass die Landesgesetzgeber ja auf Verwaltungsvereinfachung abzielten, und da könne man sie doch nicht an Bundesgesetze binden, die der Verwaltungsvereinfachung entgegenstehen:

Die Einführung des Rundfunkbeitrags anstelle der Rundfunkgebühr bezweckte gerade die Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Im Rahmen des stark typisierenden Rundfunkbeitragsrechts stünde es in diesem Zusammenhang außer Verhältnis, den Rundfunkanstalten aufzugeben, eigens für einzelne Beitragspflichtige derzeit nicht bestehende Barzahlungskassen einzuführen.

Was die Hinterlegung des geschuldeten Beitrags beim Amtsgericht angeht, urteilte das Verwaltungsgericht nicht, das diese Frage erst bei einer etwaigen Vollstreckungsabwehrklage zu behandeln wäre. Es machte aber deutlich, dass es die Hinterlegung wegen fehlenden Annahmeverzugs für unrechtmäßig hält.

Aktenzeichen: 1 K2903/15.F
Kurzfassung des Urteils

Erstmals erschienen auf dem Blog von Norbert Häring.