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Photo: Jean-Pierre Dalberá from Flickr (CC BY 2.0)

Friedrich August von Hayek gibt tiefe und zeitlose Anregungen, welchen Wert ein Projekt wie die Europäische Union auf der einen Seite haben kann, aber gleichzeitig auch, welche Gefahren eine solche Gemeinschaft birgt, wenn sie auf den falschen Prinzipien beruht.

In dem Aufsatz „Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse“ von 1939 schreibt Hayek im Kontext des aufkommenden Zweiten Weltkrieges von den Gefahren des nationalistischen Protektionismus, der schlussendlich in den Krieg zwischen den Völkern münden kann. Seine Lösung für die Zukunft ist eine ökonomische Union der europäischen Länder, welche als Hauptzweck die Sicherung des Friedens und die Förderung von Wohlstand durch einen gemeinsamen Binnenmarkt hat. Nicht nur der Optimismus Hayeks in solch dunkler Stunde, sondern auch die Übereinstimmungen zwischen seiner Vision für die europäischen Nationalstaaten und den tatsächlichen Leitlinien der Römischen Verträge sind erstaunlich. So schreibt er:

„Es wird mit Recht als einer der großen Vorteile eines Bundesstaates angesehen, dass in ihm die Hindernisse für die Bewegung von Menschen, Gütern und Kapital zwischen den Staaten wegfallen und die Schaffung gemeinsamer Gesetze eines einheitlichen Geldwesens und gemeinsame Regulierung des Verkehrs möglich wird. Die materiellen Vorteile, die die Schaffung eines so großen Wirtschaftsgebietes mit sich bringt, können kaum überschätzt werden.“

In vielerlei Hinsicht dürfte die Europäische Union, zumindest in ihren Anfängen, somit in den Augen Hayeks ein Erfolgsprojekt gewesen sein. Und auch heute sollten wir trotz aller Schwierigkeiten und gerechtfertigter Kritik an der Europäischen Union nicht die Errungenschaften der Römischen Verträge vergessen, welche weiterhin das Fundament der Europäischen Union bilden: Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und die Personenfreizügigkeit.

Hayek skizziert allerdings nicht nur die Vorzüge einer Europäischen Union, sondern auch die damit verbundenen Probleme. So warnt er im letzten Kapitel „Ausblick auf die internationale Ordnung“ seines 1944 erschienen Klassikers „Der Weg zur Knechtschaft“ vor den Gefahren einer länderübergreifenden Wirtschaftsunion, welche er fünf Jahre vorher noch so wohlwollend beschrieben hatte. Selbst wenn nationaler Protektionismus in einer Europäischen Union überwunden würde, so sei Planwirtschaft auf einer internationalen Ebene ein noch viel größeres Übel. „Die Probleme der bewussten Lenkung des Wirtschaftsprozesses nehmen notgedrungen ein noch größeres Ausmaß an, wenn dasselbe auf internationaler Grundlage versucht wird.“

Eine politische Union kann zudem schnell zur Gefahr für alle Freiheiten werden, denn „je geringer die Übereinstimmung in den Anschauungen ist, umso mehr wird man sich auf Gewalt und Zwang verlassen müssen.“

Es gibt eine Reihe von Trends in der Europäischen Union, die als eine solche Bedrohung der freiheitlichen Ordnung gesehen werden müssen: Die Kommission, der Rat und das Parlament mischen sich in viele Einzelfragen ein und fühlen sich dafür zuständig. Unveräußerliche Bürgerrechte werden bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beschränkt, die Dezentralität der Marktwirtschaft wird durch eine zunehmende zentrale Investitionslenkung ersetzt, der Binnenmarkt wird durch die Verschärfung der Entsenderichtlinie untergraben und die Altersvorsorge der Bürger wird durch den Geldsozialismus der EZB bedroht. Seit Jahren versucht die EU-Kommission, die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensteuern anzugleichen, um dann später mit einheitlichen Steuersätzen gänzlich die Unterschiede abzuschaffen. Selbst die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union dienen im Zweifel oft dem Machtzuwachs der Institutionen der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedsstaaten.

Dieser Weg, der letztlich in die Unfreiheit und Knechtschaft zu führen droht, dient einem höheren Ziel: der Vollendung des europäischen Superstaates. Es sind diese kollektivistischen Ideen, die den Gründungsmythos der europäischen Einigung gefährden und letztlich zerstören.

Will man hingegen ein Europa der Vielfalt und der Freiheit, welches Hayek wie auch den europäischen Gründervätern vorschwebte, dann braucht es einen institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert. Und es braucht klare Regeln, die allgemein, abstrakt und für alle gleich sind, damit sie nicht umgangen oder interpretiert werden können.

Dazu gehört auch, dass die EU Abschied vom Dogma einer „ever closer union“ nimmt und stattdessen das Prinzip der Subsidiarität wieder in den Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft stellen muss. Es muss freiwillige vertiefte Zusammenarbeit dort geben, wo ein Konsens erzielt werden kann. Dieser Konsens muss nicht für alle Zeiten gelten, sondern Mitgliedsstaaten müssen ein Recht erhalten, Kompetenzen zurückzufordern. Die Union muss flexibel und vielfältig sein. Als monolithischer Einheitsblock würde sie sich auf das Abstellgleis der Geschichte begeben, unfähig zur Anpassung, unfähig zur Entwicklung.

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

Photo: Markus Reinhardt from Flickr (CC BY 2.0)

Im 17. Jahrhundert öffnete das kleine Altona in Hamburgs Norden seine Grenzen für Verfolgte aus ganz Europa. Diese durften sich nur um die Straße „Große Freiheit“ herum ansiedeln, wurden dafür aber von der örtlichen Bevölkerung akzeptiert und machten Altona reich und groß. Die neue Regierung könnte manches von diesem Vorbild lernen.

Rotlichtviertel, Beatles, durchfeierte Nächte. Wer heute den Namen „Große Freiheit“ hört, verbindet unwillkürlich Ausschweifung und Freizügigkeit mit dieser Straße im Zentrum des bekannten Hamburger Party-Viertels St. Pauli. Abzweigend von der Reeperbahn zieht die Große Freiheit mit Beatles-Platz, Dollhouse und 99-Cent Bar allnächtlich Scharen von Touristen und jungen Hamburgern an. Heute steht sie für die Freiheit zum Exzess und zur, zumindest nächtlichen, Abweichung von der Alltagsnorm. Tatsächlich ist die Große Freiheit seit ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert ein Projekt der einer Einwanderungspolitik mit Augenmaß, die auch heute als Vorbild für das Einwanderungsland Deutschland dienen kann.

Der Aufstieg Altonas zum liberalen Vorreiter Europas

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war das kleine Altona („all zu nah“) ein kleines ärmliches Dorf außerhalb der Stadtmauern der reichen Handelsstadt Hamburg. Die Herren Altonas, die Grafen von Schauenburg, residierten westlich des fernen Hannover und hatten daher vordergründig nur ein Interesse: Mit ihrem Altonaer Besitz möglichst reichen Ertrag zu erwirtschaften. Um Bürger und Kaufkraft anzuziehen, erlaubten sie daher aus religiösen Gründen Verfolgten, sich in Altona niederzulassen. Diesem Ruf folgten Mennoniten, Katholiken und Juden aus ganz Europa.

Die neuen Nachbarn waren bei den alteingesessenen Altonaern jedoch nicht sonderlich beliebt. Die Altonaer fürchteten neue Konkurrenz für ihre ohnehin stets durch das nahe Hamburg gefährdeten Geschäfte. Die zur Ausübung eines Gewerbes auch in Altona notwendige Zunftmitgliedschaft blieb den Einwanderern verwehrt. Da aber arbeitslose Einwanderer keinen Ertrag erwirtschaften, nahm sich der Schauenburger Landesherr des Problems an.

Seine Lösung: Er schuf eine frühe Form der Sonderbewirtschaftungszone, indem er aus zwei bereits existierenden Straßen das neue Viertel „Freiheit“ formte. In der „Großen Freiheit“ und der „Kleinen Freiheit“ durften sich die Einwanderer von nun an niederlassen, ihre Religionen praktizieren und, gegen eine Abgabe, ihr Handwerk ausüben. Die alten Altonaer mussten nicht mehr befürchten, ein fremdes Gotteshaus oder gar wirtschaftliche Konkurrenz direkt vor die Nase gesetzt zu bekommen. Auch mag es ihrem Gerechtigkeitsempfinden entgegenkommen sein, dass die Einwanderer eine besondere Gebühr zur Ausübung ihres Handwerks zahlen mussten.

Akzeptanz mag nicht auf der Stelle in Toleranz umgeschlagen sein, doch der Grundstein war gelegt: In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich Altona zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung, und erlangte als nach Kopenhagen zweitgrößte Stadt des Königreichs Dänemark auch wirtschaftlich und politisch große Bedeutung. Das Wappen, das anderes als jenes des großen Nachbarn ein geöffnetes und nicht ein geschlossenes Stadttor zeigt, sollte bis zur Eingemeindung Altonas im Jahr 1937 das Leitbild dieser weltoffenen und toleranten Stadt prägen. Noch heute findet sich auf der Großen Freiheit inmitten von Nachtclubs und Bars die katholische St. Josephs-Kirche und zeugt von den einst fünf Gotteshäusern religiöser Minderheiten, die hier Zuflucht fanden.

Schlüsselloch-Lösungen statt Abschottung

Was ist die Moral von der Geschicht? Anstatt aus Sorge vor der Reaktion der einheimischen Bevölkerung den Zuzug von Migranten pauschal zu unterbinden, wählte der Schauenburger Landesherr einen wesentlich intelligenteren Weg. Im Grunde hätten sich die Altonaer über den Zuzug neuer Kunden freuen können. Doch Vorbehalte gegenüber den anderen Glaubensrichtungen und die Angst vor ökonomischen Verlusten schürten Ablehnung und Missgunst. Deshalb begrenzte der Landesherr die Rechte der Migranten, indem er ihre Niederlassungsfreiheit einschränkte und „unzünftiges“ Gewerbe nur gegen Gebühr in einem abgegrenzten Bereich gestattete. Eine solche Vorgehensweise wird als „Schlüsselloch-Lösung“ bezeichnet. Schlüsselloch-Lösungen zielen auf eingrenzbare Probleme (in diesem Fall die mangelnde Akzeptanz der Altonaer) innerhalb eines größeren Politikfelds (hier die Einwanderungspolitik).

Auf dieser Weise schuf der Landesherr eine Lösung, von der beide Seiten profitieren konnten. Die Altonaer akzeptierten ihre neuen Nachbarn und legten damit den Grundstein für den Aufstieg der Stadt. Die Verfolgten fanden ein neues Zuhause und mussten im Gegenzug eine relativ geringfügige Benachteiligung gegenüber den Einheimischen in Kauf nehmen. Viel wichtiger war: Sie erhielten die Chance auf ein neues Leben und wirtschaftliche Betätigung an einem sicheren Ort.

Altona im 21. Jahrhundert

Es mag nicht unbedingt intuitiv erscheinen, doch wenn sich Union, FDP und Grüne am Ende auf eine Koalition einigen können, könnte es zu solchen Schlüsselloch-Lösungen im Bereich der Einwanderungspolitik kommen. Die Koalitionäre nehmen dabei unterschiedliche Rollen ein. Die Union stellt die Akzeptanzprobleme in den Vordergrund und propagiert Beschränkungen. Grüne und FDP betonen humanitäre Argumente und die ökonomischen Vorteile der Freizügigkeit. Die von der Union geforderten jährlichen Quoten könnten dabei ebenso eine Lösung sein wie die Begrenzung von Sozialleistungen für Einwanderer. Auch eine Besteuerung von Migranten beispielsweise über einen Lohnsteueraufschlag könnte erheblich zur Akzeptanz beitragen.

Aufgrund der großen Vorbehalte innerhalb der Bevölkerung bleibt eine zunehmende Personenfreizügigkeit, auch über die EU hinaus, immer eine gewisse Herausforderung. Selbst wenn die Geschichte zeigt, dass die Vorteile in der Regel überwiegen, muss der Weg dorthin immer mit Augenmaß, Klugheit und Respekt vor der Bevölkerung genommen werden – so wie damals die Grafen von Schauenburg. Gelingt es, Sorgen der Bevölkerung mit Schlüsselloch-Lösungen gezielt auszuräumen, könnte Deutschland ein erfolgreiches Einwanderungsland werden wie einst das kleine Örtchen Altona, das heute noch nicht nur für Wohlstand und Erfolg steht, sondern vor allem für das große Ziel unserer westlichen Gesellschaften: Die individuelle Freiheit, die eben für den Besucher des Dollhouse genauso gilt wie für den des katholischen Gottesdienstes.

Photo: houstondwiPhotos mp from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Obwohl es für die Bürger wünschenswert wäre, dass Länder und Gemeinden die volle Kontrolle über ihre Einnahmen und Ausgaben haben, nahm die Mischfinanzierung der Ausgaben von Ländern und Gemeinden in den letzten Jahrzehnten zu. Dabei hätte die Stärkung der Steuersetzungskompetenzen der unteren föderalen Ebenen für die Bürger viele Vorteile.

In der Kommunalpolitik geht es manchmal hoch her. Die Entscheidung über den Bau einer Umgehungsstraße, die Renovierung des örtlichen Spaßbades oder die Zusammenlegung von Gemeinden hat schon so manches idyllische Dorf im Westerwald in Aufruhr versetzt. Der kundige Kommunalpolitiker hat in der Regel noch einen Trumpf in der Hand, um die Lage zu beruhigen: Wenn die Straße gebaut, das Spaßbad renoviert oder zwei Nachbargemeinden miteinander fusionieren, dann gibt es einen Zuschuss vom Land, dem Bund oder der EU.

Obwohl es für die Bürger wünschenswert wäre, dass Länder und Gemeinden die volle Kontrolle über ihre Einnahmen und Ausgaben haben, nahm die Mischfinanzierung der Ausgaben von Ländern und Gemeinden in den letzten Jahrzehnten zu.

Weniger steuerliche Verantwortung bei Ländern und Gemeinden

Die Länder und Gemeinden büßten seit der Gründung der BRD an Eigenständigkeit ein. Bereits 1955 übertrugen die Länder ihre Kompetenz zur Erhebung der Einkommensteuer an den Bund. Die „Große Finanzreform“ von 1969 hat bis heute große Auswirkungen auf die Beziehungen des Bundes zu den Ländern und Gemeinden. Mit der Finanzreform wurden Einkommen-, Umsatz- und Körperschaftsteuer zu Gemeinschaftssteuern. Die Einnahmen aus den Gemeinschaftssteuern werden unter Bund, Ländern und Gemeinden verteilt.

Bis zur Finanzreform 1969 finanzierten sich die Gemeinden nur durch Steuern, deren Erhebung ausschließlich in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Für die Finanzierung zusätzlicher Ausgaben mussten Politiker entweder die Steuern erhöhen oder neue Schulden machen.

Im Jahr nach der „Großen Finanzreform“ fiel der Anteil der eigenen Steuern am Gesamtsteueraufkommen der Gemeinden (blaue Linie) auf ca. 86 %. In den darauffolgenden Jahren verringerte sich der Anteil der Gemeindesteuern an den Gesamteinnahmen der Gemeinden weiter. Auch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer 1998 machte die Gemeinden stärker von den Einnahmen aus Gemeinschaftssteuern abhängig – in diesem Fall aus Einnahmen der Umsatzsteuer. Im Jahr 2015 lag der Anteil der Gemeindesteuern an den Gesamteinnahmen der Gemeinden bei knapp 65 %.

 

 

Während sich die Zusammensetzung der Gemeindeeinnahmen stark veränderte, blieb der Anteil der Einnahmen der Gemeinden an den Gesamteinnahmen des Staates (rote Linie) nahezu konstant: Im Jahr 2015 betrug er knapp 14 %, ebenso viel wie im Jahre 1950.

Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Finanzen der Länder festzustellen. Hier lag der Anteil der eigenen Steuereinnahmen an den Gesamteinnahmen der Länder schon vor der „Großen Finanzreform“ deutlich niedriger als bei den Gemeinden, aber der relative Rückgang des Anteils der Einnahmen aus eigenen Steuern war noch stärker.

Gut ein Viertel der Einnahmen der Länder stammten 1969 aus selbst erhobenen Steuern (blaue Linie). Im Jahr 2015 waren es nur noch 7,5 %. Der relative Anteil der Einnahmen der Länder an den Gesamteinnahmen des Staates (rote Linie) ist von ca. 34,5 % im Jahr 1950 auf knapp 40 % im Jahr 2015 gestiegen. Ein höherer Anteil der Staatseinnahmen wird zwar heute von den Ländern ausgegeben, aber ein geringerer Anteil durch eigene Landessteuern erhoben.

 

 

Stärkere Verflechtung: Weniger Transparenz und Verantwortlichkeit

Hohe Defizite und mangelnde Mittel für wichtige Projekte werden auf der Ebene nachgelagerter Gebietskörperschaften oft mit unzureichender Mittelzuweisung aus den gemeinsamen Steuern begründet. Anders als Beschwerden über zu geringe Mittel vermuten lassen, kann weniger Steuersetzungskompetenz für Kommunal- und Landespolitiker durchaus attraktiv sein.

Aus der Sicht eines Politikers ist die Ausweitung staatlicher Ausgaben ein erfolgversprechendes Mittel, um die Chancen der eigenen Wiederwahl zu erhöhen. Dagegen stößt die Erhebung von Steuern bei Bürgern meist auf wenig Gegenliebe. Von zusätzlichen Staatsausgaben können potentielle Wähler profitieren. Steuern hingegen sind für sie eine Last. Für Politiker ist es somit attraktiv, potentiellen Wählern zusätzliche Leistungen in Aussicht zu stellen, ohne ihnen zugleich die Rechnung dafür vorlegen zu müssen. So profitieren sie von der intransparenten Finanzierung staatlicher Ausgaben.

Politiker können zudem ein Interesse daran haben, Entscheidungsgewalt an andere staatliche Ebenen und Organisationen zu delegieren, um Verantwortung abzutreten. Für Politiker ist es attraktiv, andere für die Höhe der Steuerbelastung verantwortlich machen zu können, während sie wenig Möglichkeiten haben, ihren Verdienst an der Ausgestaltung steuerlicher Details gegenüber Wählern positiv in den Vordergrund zu stellen, wenn sie Steuersetzungskompetenzen haben.

Mehr Subsidiarität wagen!

Die Schweiz ist ein gutes Beispiel für gelebte Subsidiarität – die Kantone haben erhebliche Steuersetzungskompetenzen. Rund 90 % der Einnahmen der Schweizer Kantone gehen auf Steuern zurück, deren Höhe die Kantone selbst bestimmen.

Die Stärkung der Steuersetzungskompetenzen der unteren föderalen Ebenen, wie den Ländern und den Gemeinden, hat für die Bürger — anders als für Regional- und Kommunalpolitiker — viele Vorteile. Die Bürger können das Handeln gewählter Politiker besser nachvollziehen. Dies stärkt die demokratische Kontrolle und Einzelinteressen können nur schwerlich auf Kosten der Allgemeinheit durchgesetzt werden. Zudem können Bürger die tatsächlichen Kosten staatlicher Aktivitäten besser einschätzen, da sie mit höheren Schulden oder höheren Steuern konfrontiert werden, wenn ein regionales Projekt ausufert oder die Kosten während der Realisierung aus dem Runder laufen.

Wird Subsidiarität gelebt und nicht nur in Sonntagsreden gepriesen, sind die Bürger außerdem im Stande, mit ihren Füßen abzustimmen. Sie können einer Region mit einem enttäuschenden Staatswesen den Rücken zukehren und sich in einer attraktiveren Region niederlassen, in der die staatlichen Leistungen nicht nur besser, sondern auch andere sein können. Politiker haben in einer solchen Situation einen zusätzlichen Anreiz, die Kosten und Nutzen von Projekten für ihre Bürger vollumfänglich in Betracht zu ziehen.

Einnahmen und Ausgaben gehören zusammen

Die Stärkung der Steuersetzungskompetenzen von Ländern und Gemeinden wäre wünschenswert. Der französische Ökonom Fréderic Bastiat schrieb:
„Der Staat ist die große Fiktion, mittelst deren alle Welt leben will auf Kosten von aller Welt.“
Je undurchsichtiger ein Staat organisiert ist, desto mehr scheint Bastiat recht zu haben. Wir sollten uns von der Fiktion lösen, dass wir auf Kosten Anderer unsere Schwimmbäder sanieren und unsere Umgehungsstraßen bauen können. Regionale staatliche Projekte und Leistungen sollten aus Einnahmen der regionalen Gebietskörperschaften finanziert werden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: antheap from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Vom wilden Kurdistan bis an die Sonnenstrände Kataloniens steht Sezession derzeit einmal wieder hoch im Kurs. Die Gratwanderung zwischen Unabhängigkeitsstreben und Neo-Nationalismus ist dabei gefährlich. Freunde der Freiheit müssen darauf Antworten finden.

Nicht „die oder wir“, sondern „Zwang oder Freiheit“

Wäre das schottische Referendum vor drei Jahren positiv ausgegangen, hätte Schottland sicherlich einen deutlichen Links-Schwenk vorgenommen (was jetzt freilich das gesamte Land unter May und Corbyn ohnehin tut). Die Befürworter des katalonischen Referendums befinden sich in einem Dauerkonflikt mit Verfassung und Rechtsstaat und kooperieren mit Linksextremen. Und die Bevölkerungsminderheiten in den kurdischen Gebieten des Irak fürchten sich davor, in einem kurdischen Staat marginalisiert, unterdrückt und vertrieben zu werden. Durch die Sezession entstünden also keineswegs lauter paradiesische Zustände. Die erste Erkenntnis, die man mitnehmen sollte, lautet: Das Streben nach Unabhängigkeit von einer größeren Einheit geht durchaus nicht immer einher mit einem umfassenden Freiheitsdrang. Selten fallen die Vertreter der Unabhängigkeitsbewegungen auf durch das Versprechen, die individuelle und ökonomische Freiheit zu stärken. Viel gewichtiger ist in der Regel das Argument, dann mehr Geld zur Verfügung zu haben, um es mit den eigenen Leuten zu teilen.

Nun soll hier wahrlich nicht eine Lanze für Länderfinanzausgleiche und Solidarzahlungen gebrochen werden. Tatsächlich könnte man wohl mancherlei Absetzbewegungen eindämmen, wenn man nicht innerhalb von Staaten und Staatenverbünden die große Umverteilungsmaschine in Gang setzen würde. Es sollte aber klar sein, dass Sezessionen an sich noch nicht unbedingt etwas Gutes sein müssen, sondern häufig auch von Nationalisten und Sozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Der Ökonom Ludwig von Mises, der den Zerfall des mitteleuropäischen Vielvölkerstaates in nationalistische und autoritäre kleinere Staaten miterlebt hatte, warnte 1927 unmissverständlich: „Es handelt sich nicht um das Selbstbestimmungsrecht einer national geschlossenen Einheit, sondern es handelt sich darum, dass die Bewohner eines jeden Gebietes darüber zu entscheiden haben, welchem Staatsverband sie angehören wollen.“ Mit anderen Worten: Nicht die angebliche gemeinsame Volkszugehörigkeit von Kurden oder Katalanen sollte das entscheidende Argument für die Trennung sein, sondern die Abwehr von Übergriffen und Willkür einer Zentralregierung. Für den Liberalen ist die Frage, auf die es ankommt, nicht „die oder wir“, sondern „Zwang oder Freiheit“.

Kooperation statt Abschottung

Wenn das Ergebnis einer Sezession das Entstehen eines mächtigen und ausgabenfreudigen kleineren Staates ist, der darüber hinaus wegen seiner geringeren Größe noch mehr Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Bürger hat, war die politische Entscheidung kein Gewinn für die Sache der Freiheit, sondern ein Rückschlag. Gleichwohl bleibt natürlich die kleine Einheit für den Freund der Freiheit in vielerlei Hinsicht eine ganz entscheidende Referenzgröße. Die Kleinstaaterei ist für ihn nicht unbedingt ein Schimpfwort, sondern eher ein positives Ziel – allerdings nur dann, wenn die Betonung nicht auf Staat liegt, sondern auf klein. Kleinstaaterei kann eben auch Abschottung bedeuten. Das widerspricht aber dem liberalen Verständnis von zwischenmenschlicher Ordnung. Denn, wie Mises formuliert, „als letztes Ideal schwebt immer der Gedanke einer vollständigen Kooperation der ganzen Menschheit vor … Das Denken des Liberalen hat immer das Ganze der Menschheit im Auge, … es endet nicht an den Grenzen des Dorfes, der Landschaft, des Staates und des Erdteils. Es ist ein kosmopolitisches … Denken, das alle Menschen und die ganze Erde umspannt.“

Die Kleinstaaterei der Neo-Nationalisten, die sich von anderen abschotten wollen, ist davon nicht gedeckt. Wohl aber die Kleinstaaterei der Freunde der Freiheit, die die kleinen Einheiten bevorzugen, weil sie flexibler sind und besser auf konkrete Fragen reagieren können; weil sie sich im Wettbewerb mit anderen bewähren müssen und daran wachsen können; weil sie mitunter besser kontrolliert werden können und Verantwortlichkeiten klarer zuzuordnen sind. Es gibt Modelle der kleinen Einheiten, die zukunftsweisend sind – von den baltischen Staaten bis zu den Private Cities, die hier auf unserem Blog schon häufiger von Titus Gebel vorgestellt wurden. Dies sind Modelle, die Liberale aus vollem Herzen unterstützen können. Einfach unbedacht jeder Sezessionsbewegung zuzujubeln, kann jedoch dazu führen, dass man Feinde der freien und offenen Gesellschaft unterstützt.

Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik

Die Gefühle und Wünsche der Menschen in Katalonien und Kurdistan, im Kosovo und vielleicht auch auf der Krim sind natürlich oft bestimmt von einem echten Streben nach Selbständigkeit, und nicht nur vom Streben nach einer Vorzugsrolle bei der großen Umverteilung oder von dumpfem Neo-Nationalismus. Gerade die Drohungen Erdogans gegenüber den irakischen Kurden und die Gewaltexzesse der spanischen Polizei in Katalonien lassen Verständnis aufkommen für das Bedürfnis, jetzt erst recht auf eigene Füße zu kommen. Sowohl die EU als auch Institutionen, die das Völkerrecht schreiben und sprechen, sind dringend aufgerufen, für solche Situationen zufriedenstellende Lösungen zu finden. Schwelende Dauerkonflikte können Länder auf Dauer in ihrer Gesamtheit zerrütten. Für den Irak etwa wäre ein freundschaftlicher Nachbar Kurdistan wahrscheinlich auf Dauer besser als ein Unruheherd im eigenen Land. Und gerade innerhalb der EU, wo Grenzen ohnehin marginalisiert sind, dürften die Beziehungen zwischen Katalonien und Spanien kaum große Unterschiede zum status quo aufweisen – außer, dass weniger Gelder vom einen ins andere fließen.

Und die Liberalen allenthalben sind aufgerufen, für sich selbst ein konsistentes und gut vermittelbares Konzept von gelingender Kleinstaaterei zu formulieren. Sonst werden sie sich, wenn sie dieses Anliegen formulieren, viel zu oft in der unangenehmen Gesellschaft von Sozialisten und Nationalisten wiederfinden. Es gibt spannende Denkansätze wie etwa den Polyzentrismus, zu dem junge Wissenschaftler wie Julian F. Müller und David Thunder forschen. Hier richtet sich dann auch der Fokus weg vom Staat – wer wüsste schließlich besser als Liberale, dass er bei weitem nicht die einzige Organisationsform für uns Menschen sein muss? Das oberste Ziel muss stets die individuelle Freiheit sein und im Zusammenhang damit möglichst große Freiheitsräume für Gruppen von Menschen, die untereinander kooperieren. Wenn Sezession das Mittel der Wahl ist, um dieses Ziel zu erreichen, dann kann man die Bestrebung durchaus unterstützen. Aber letztlich zählt, dass es nicht auf die Größe ankommt, sondern auf die Technik. Und deshalb sind kleine zentralistische Staaten oft nicht die bessere Lösung im Vergleich mit größeren, aber insgesamt freiheitlicheren.

Photo: EU2017EE Estonian Presidency from Flickr (CC BY 2.0)

Emmanuel Macron ist ein mutiger Mann. Nicht erst seit der Gründung seiner Bewegung „En Marche!“ im April 2016 zeigt der französische Präsident, dass er vorangehen will. Seine Rede an der Sorbonne am Dienstag unterstreicht dies auch. Macron zu fassen ist dabei nicht so einfach. Das unterscheidet ihn vom EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Der repräsentiert die alte EU, die sich nicht hinterfragt, sondern die notwendigen Korrekturen hinausschiebt und einfach weitermacht wie bisher, nur schneller und entschiedener.

Juncker geht es lediglich um mehr Macht zu Lasten der Mitgliedsstaaten und ihrer Regierungen. Dabei er hat die Bodenhaftung längst verloren. Denn niemand kommt derzeit ernsthaft auf die Idee, den Schengenraum in Richtung Balkan zu erweitern. Niemand kommt derzeit auf die Idee, alle EU-Länder in den Euro zu nötigen. Fast niemand, außer Jean-Claude Juncker. Er ist die personifizierte Glaubwürdigkeitskrise der Union. Dabei wären jetzt mutige Reformen angezeigt. Diese müssen aber nicht zu einem plumpen weiteren Zentralismus in Richtung Brüssel führen, sondern einer intelligenten Agenda folgen.

Diese muss lauten, Europas Vielfalt ist seine Stärke. Dabei gilt: es gibt Bereiche, die auf europäischer Ebene eventuell besser geregelt und entschieden werden können als in den Mitgliedsstaaten. Und, es gibt Bereiche, die wesentlich besser vor Ort abschließend entschieden werden können – oft sogar noch unter der Ebene der Mitgliedsstaaten. Dabei ist jeder Organisation die Tendenz zu mehr Zentralismus inhärent. Die Machtverteilung durch einen Ordnungsrahmen ist daher in jedem politischen System notwendig. Auch in Deutschland gibt es bekanntlich immer stärkere Zentralismus-Bestrebungen. Die Kommunen spüren das zugunsten der Länder, und die Länder zugunsten des Bundes. Warum soll es auf EU-Ebene wesentlich anders sein?

Dennoch ist die Machtverteilung in der EU nicht so resilient gegen weitere Verschiebungen wie bei uns oder in vielen Mitgliedsstaaten. Die Ursache liegt in der mangenden Legitimation der EU und seiner Organe. Es gibt Defizite in der Demokratie, beim Rechtsstaat und bei der marktwirtschaftlichen Ordnung: Nicht jede Stimme zählt bei der Wahl zum EU-Parlament gleich. Parteien haben keine einheitlichen Wahlvorschläge, das EU-Parlament kontrolliert die Kommission nicht wirklich. Und eine europäische Öffentlichkeit in Form von Medien existiert nur rudimentär.

Macrons Vorschläge zielen zum Teil darauf, dies zu ändern. Das ist sehr begrüßenswert. Aber leider springt er in vielen Bereichen zu kurz, in anderen zu lang und in wieder anderen gar nicht. Gut ist, die Außengrenzen des Schengenraums gemeinsam zu sichern und dies auch gemeinsam zu finanzieren. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, den gemeinsamen Markt und die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen innerhalb dieses Marktes zu erhalten und auszubauen.

Auch über die rechtliche Ermöglichung gemeinsamer länderübergreifende Parteilisten zur Wahl zum EU-Parlament könnte man nachdenken. Die Reduzierung der EU-Kommission auf 15 Mitglieder ist ohnehin sinnvoll. Ein solider Ordnungsrahmen für den europäischen Energiemarkt ist eh überfällig, die Subvention der Landwirtschaft ohnehin antiquiert und eine stärkere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sind ebenfalls wichtig Impulse, die Macron gesetzt hat.

Doch ist es wirklich sinnvoll, den Zivilschutz auf europäischer Ebene zu bündeln, um Naturkatastrophen zu bekämpfen? Wäre es nicht sinnvoll, Organisationen in den Regionen und den Mitgliedssaaten dafür aufzubauen? In Deutschland haben sich die meist ehrenamtlichen Feuerwehren und das Technische Hilfswerk doch bewährt. Und ist es wirklich sinnvoll eine einheitliche Unternehmensteuer zu haben? Ja, das Argument mit Google und Amazon ist immer wieder dankbar. Doch ist es sinnvoll, dass die Slowakei das deutsche Körperschaftsteuerrecht übernimmt oder unsere Gewerbesteuer? Nein, es würde kleine und mittlere Unternehmen in vielen Staaten Europas überfordern. Wachstumsschwäche wäre die Folge, wo eigentlich Wachstumsimpulse notwendig wären. Ganz abgesehen davon, dass im Bereich von Steuern Wettbewerb auch für eine Disziplinierung staatlicher Behörden und der Politik sorgen kann. Auch die immer wiederkehrende Diskussion um die Finanztransaktionsteuer ist in diesen Debatten so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau. Erst vor kurzem hat Macron selbst den Versuch einiger EU-Staaten ausgebremst, weil er keine falschen Signale für den Finanzstandort Paris aussenden wollte, um Finanzdienstleister von London an die Seine zu locken.

Kreide gefressen hat der junge Präsident auch bei seiner Forderung nach einem Euro-Budget und einem Euro-Parlament. Doch seine Absicht ist auch hier klar: Er will einen neuen Umverteilungsmechanismus schaffen. Während in Deutschland der Länderfinanzausgleich richtigerweise abgeschafft wurde, soll er jetzt auf Euro-Ebene wiederkommen. Die Einlagensicherung soll deutsche Sparer für Bankenschieflagen in Spanien, Italien und anderswo haften lassen. Die hohe Arbeitslosigkeit soll durch eine europäische Arbeitslosenversicherung bekämpft werden. Zentralismus ist nicht immer die Lösung, sondern sehr häufig das Problem. Immer dann, wenn Risiko und Verantwortung auseinanderfallen, kommt es zu Mitnahmeeffekten, Umverteilung und Missbrauch. Man muss Macron dankbar für seine Vorschläge sein, denn dadurch hat er die Debatte eröffnet. Bis zum 55. Jubiläums des Elysée-Vertrages am 22. Januar ist noch genügend Zeit, darauf mit einem Vorschlag eines Europas der Vielfalt in Freundschaft zu antworten.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.