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Martin Schulz ist sehr stolz auf das von ihm federführend formulierte Europa-Kapitel des nun vorliegenden Koalitionsvertrags. Das kann er auch sein, trägt es doch im Wesentlichen seine Handschrift. Doch ist dieses Kapitel wirklich europafreundlich? Trägt es dazu bei, dass die EU wirtschaftlich mit anderen Regionen dieser Welt mithalten kann?

Um diese Frage zu beantworten, muss frei von Europalyrik definiert werden, was überhaupt europafreundlich ist? Was macht die Europäische Union, wie es im Koalitionsvertrag heißt, zu einem „historisch einzigartigen Friedens- und Erfolgsprojekt“? Warum schlagen sich Franzosen und Deutsche nicht mehr die Köpfe ein? Warum machen Holländer im Sauerland Urlaub und Deutsche am Ijsselmeer? Warum fahren deutsche Schüler zum Austausch nach England und englische Schüler nach Deutschland? Es sind sicherlich die schlimmen historischen Erfahrungen bis Mitte des letzten Jahrhunderts, die die Europäer zur Vernunft gebracht haben. Und es ist die Neugier auf beiden Seiten, die Kultur und die Tradition des jeweils anderen kennenzulernen. Es ist aber vor allem auch, die Förderung der Kooperation und die Nichtbehinderung durch den jeweiligen Staat. Das hat viel mit dem immer noch vorherrschenden Wirtschaftssystem, der Marktwirtschaft, zu tun. Zwar gibt es unterschiedliche Traditionen in Großbritannien, in Osteuropa, in Deutschland, in Frankreich oder in Südeuropa, aber die Europäische Union hat diese marktwirtschaftliche Ordnung bislang eher gefördert, als gehemmt. Handelsschranken wurden eher ab- als aufgebaut. Der Schutz der heimische Industrie oder von Dienstleistungsunternehmen gegenüber europäischer Wettbewerbern wurde eher ab- als aufgebaut. Und die EU-Wettbewerbskommission in Brüssel war bei der Durchsetzung des diskriminierungsfreien Zugangs zu den Märkten der jeweiligen Mitgliedsstaaten eher progressiv als defensiv.

Doch jetzt droht durch die Debatte um die EU-Entsenderichtlinie eine marktfeindliche Gegenbewegung. Diese hat ihren Ursprung zwar nicht in Deutschland und bei der SPD, sondern bei Emmanuel Macron, sie kann aber nur durch die große Koalition in Berlin tatsächlich durchgesetzt werden. Bislang galt schon, dass Unternehmen, die in einem anderen Land mit eigenen Mitarbeitern eine Dienstleistung erbringen zu den dortigen Mindestlöhnen bezahlt werden müssen. Das war bereits das Einfallstor für nationale Abschottung. Denn sämtliche Länder in der EU haben eine enorme Bürokratie aufgebaut, die es Unternehmen sehr schwer machen, in einem anderen Land Dienstleistungen zu erbringen. Denn das Land, in dem die Dienstleitung erbracht wurde, muss ja schließlich kontrollieren, ob der Mindestlohn auch bezahlt wird, ob die Arbeitszeitgesetze eingehalten werden und getrennte Toiletten vorhanden sind. Bald wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. „Das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU wollen wir in einem Sozialpakt stärken“, heißt es jetzt im Koalitionsvertrag. Das ist Eins-zu-Eins auch das Ansinnen von Macron. Doch ist das wirklich sozial? Wozu führt dieses Prinzip?

Führt es zu Wohlstand und zur Reduktion der hohen Arbeitslosigkeit in Frankreich und anderswo? Sicher nicht. Unternehmen, die in Griechenland, Portugal oder auch Slowenien beheimatet und heute in Paris, nächste Woche in Amsterdam und übernächste Woche in Tallin tätig sind, müssen den gleichen Mitarbeitern jede Woche ein anderes Gehalt bezahlen und dies gegenüber den örtlichen Behörden nachweisen. Entwickelte Länder in der EU bauen so Eintrittshürden auf, um ihre Dienstleistungsmärkte gegenüber ausländischen Anbietern abzuschotten. Es sind Handelsschranken, die die reichen gegenüber den ärmeren Ländern aufbauen und damit den Geist des Binnenmarktes untergraben. Es ist doch ein Treppenwitz, wenn die Entfaltungsmöglichkeiten in den ärmeren Ländern erst durch eine verschärfte Entsenderichtlinie gehemmt und verhindert werden und anschließend Deutschland seinen Beitrag in den EU-Haushalt großzügig erhöht, um Transferleistungen für die hohe Arbeitslosigkeit im Süden Europas zu finanzieren.

Der Denkfehler dabei ist, den Binnenmarkt wie einen statischen Kuchen zu betrachten, der immer gleich groß ist. Dabei wächst der zu verteilende Kuchen in einer Marktwirtschaft. Er wird größer, bunter und schöner. Am Ende sind die Stücke für jeden größer und besser, wenn sich beide Seiten darauf einlassen. Einlassen heißt dabei, dass dies nicht automatisch passiert, sondern dass offene Märkte Anpassungen und Veränderungen erforderlich machen, ansonsten fallen Länder ökonomisch zurück. Mangelnde Anpassung kann aber nicht durch eine Verschärfung der Entsenderichtlinie verhindert werden, sondern die Fallhöhe steigt durch das Hinausschieben nur um so mehr. Wer dies nicht erkennt, akzeptiert, dass der Kuchen klein und hässlich bleibt, vielleicht sogar noch kleiner wird.

Das muss sich die SPD vorwerfen lassen. Sie will nicht wirklich, dass der Kuchen in der EU größer wird. Sie will ihr Klientel schützen. Und die Union muss sich vorwerfen lassen, dass sie dies zulässt und sich damit am Erbe von Ludwig Erhard versündigt.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

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Die deutsche Regierung hat die Schlacht um die Sozialisierung der Einlagensicherung in der Europäischen Union längst verloren. Sparkassen und Volksbanken, aber auch Privatbanken in Deutschland und letztlich die Einleger bei diesen Banken, haften bald für die Schieflage von Banken in Griechenland, Italien oder Spanien. Lange galt die Institutssicherung der Volksbanken und Sparkassen als rote Linie in den Verhandlungen in Brüssel. Volksbanken und Sparkassen retten dabei nicht den einzelnen Sparer bei der Schieflage eines Instituts, sondern sie stützen das jeweilige Institut in Eigenregie und damit mittelbar auch dessen Einleger und Sparer. Die Logik dahinter ist, dass Sparkassen in Deutschland nicht Volksbanken und Privatbanken im eigenen Land helfen, sondern jede Sparte für sich haftet.

Aus diesem Grund stellen sich die Institute in Deutschland berechtigt die Frage, warum sie und deren Sparer für Banken und deren Sparer in Nikosia, Athen oder Palermo haften sollten, wenn dies nicht einmal im eigenen Land vorgesehen ist? Diese Frage ist sehr berechtigt, denn auf das wirtschaftliche Gebaren in den übrigen Euro-Ländern hat das Genossenschaftsmitglied der örtlichen Volksbank oder der Aktionär eines kleinen Geldhauses in Deutschland gar keinen Einfluss. Und auch der Deutsche Bundestag hat auf die nationale Gesetzgebung in Griechenland, Italien oder Spanien keinen Einfluss. Ob die Finanzaufsicht dort lax, streng oder korrupt ist, kann von hier aus nicht wirklich verändert werden.

Dem geschäftsführenden Finanzminister Peter Altmaier wird deshalb vorgeworfen, er würde die Einlagensicherung auf dem Altar der EU opfern. Das stimmt! Denn die Roadmap bis zum Sommer, die er jetzt beim Treffen der Finanzminister in Brüssel vorgeschlagen hat, ist die Fortsetzung des Rückzugsgefechts, das bereits sein Vorgänger Wolfgang Schäuble eingeleitet hat. Altmaier stellt vier Vorbedingungen für die Zustimmung Deutschlands für eine europäische Einlagensicherung auf: Notleidende Kredite sollen im Euroraum weiter abgebaut, die Insolvenzordnungen für Banken im Euro-Raum harmonisiert, Risikopuffer in den Bankbilanzen aufgebaut und der hohe Bestand an Staatsanleihen des eigenen Landes in den Bankbilanzen reduziert werden. Das ist alles richtig und vernünftig.

In Griechenland und Zypern wird fast jeder zweite Kredit nicht mehr oder nicht mehr regelmäßig bedient. Auch in Italien ist das Problem der faulen Kredite besorgniserregend hoch. Im Zweifel wird gerade dort immer wieder ein Auge zugedrückt, wenn es um die Abwicklung von Banken und die Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger der Banken geht. Wer viele faule Kredite in der Bilanz hat, muss sie irgendwann wertberichtigen und zu Lasten des Eigenkapitals abschreiben. Doch gerade das Eigenkapital der Banken ist nur mager vorhanden. Schon deshalb flüchten Banken in die Staatsanleihen, insbesondere des eigenen Landes, da hierfür, anders als bei Unternehmenskrediten, kein Eigenkapital bereitgestellt werden muss. Es ist also ein dankbares Geschäft sowohl für die überschuldeten Staaten als auch für die Banken. Erstere werden ihre Anleihen los und Zweitere müssen kein Eigenkapital für den Kauf bereitstellen. Beide sind wie siamesische Zwillinge, die sich gegenseitig brauchen. Wenn das alles nicht hilft, dann hilft die EZB, die bis Ende des Jahres für 2.500 Milliarden Euro Anleihen von Staaten, Banken und Unternehmen gekauft haben wird. Inzwischen ist der Markt dafür fast leergefegt, daher kauft die EZB bevorzugt die Anleihen, die noch verfügbar sind. Das sind die Länder, die ihre Verschuldung weiter ausweiten, also die Problemländer.

Deutschland ist auch deshalb auf dem Rückzugsgefecht, weil die europäische Einlagensicherung auch gegen Deutschland durchgesetzt werden kann. Bereits Anfang 2016 hat der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Rates die von der Europäischen Kommission gewählte Rechtsgrundlage für den Richtlinienentwurf gebilligt. Danach braucht es keine Einstimmigkeit im Europäischen Rat, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit. Es müssen mindestens 55 Prozent der Staaten also mindestens 15 bei 28 Staaten mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU zustimmen. Für eine Sperrminorität sind die Stimmen von mindestens vier Ratsmitgliedern, die mindestens 93 Stimmen im Rat aufbringen, notwendig. Dies gelingt nur, wenn sich ein Teil der bevölkerungsreichen Staaten Frankreich, Spanien oder Italien dem deutschen Widerstand anschließen. Das ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil ja gerade diese Länder die Vergemeinschaftung anstreben.

Die Regierung hat bislang versäumt, die Rechtsgrundlage generell anzuzweifeln und dafür Verbündete in der EU zu suchen. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Der nächste Schritt des Zentralismus in der EU ist daher vorbereitet. Mit dem ESM wurden erst die Schulden kollektiviert und mit der europäischen Einlagensicherung folgt bald das Sparvermögen. Sobald die neue Regierung in Berlin vereidigt ist, kann die Kommission einen Gang zulegen und muss keine Rücksicht mehr nehmen.

Erstmals veröffentlicht in Tichys Einblick.

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Was unterscheidet Donald Trumps America-First-Politik eigentlich von der Handelspolitik der Europäischen Union? Einzig das Marketing …! Beide sind protektionistisch. Beide schotten sich gegen sogenannte Billigimporte ab. Die Empörung, die sich in Deutschland gegenüber der Handelspolitik breit macht, ist verlogen. Und die amtierende Bundesregierung stimmt in den wohlfeilen Gesang ein. Gegenüber den jüngsten Strafzöllen auf Solarmodule und Waschmaschinen lässt sich die geschäftsführende Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries mit den Worten zitieren: „Die Entscheidung von Präsident Trump, Schutzzölle auf Waschmaschinen und Solaranlagen zu verhängen, sehe ich daher mit Sorge. Diese Maßnahmen könnten zu einem neuen Handelskonflikt mit China und Südkorea führen“, warnte die Wirtschaftsministerin. Wer im Glashaus sitzt, sollte die Steine liegen lassen. War es nicht die noch amtierende Bundesregierung, die gegenüber „Billigstahl“ aus China Schutzzölle durchgesetzt hat? Auf Stahl und Stahlprodukte aus China werden seitdem Zölle von bis zu 91 Prozent verlangt. Um die heimische Solarindustrie zu schützen, setzte die Regierung gegenüber China Schutzzölle von 65 Prozent durch. Geholfen hat das dem heimischen Hersteller Solarworld am Ende auch nicht. Das Unternehmen ging 2017 in die Insolvenz. Allein auf 53 Produkte fallen Schutzzölle für chinesische Produkte an: vom Bügelbrett (42 Prozent) übers Keramikgeschirr (36 Prozent) bis zu Einlagen für Ringbücher (78,8 Prozent). Da sind wohl echte Schlüsselindustrien in Deutschland betroffen. Allein an dieser Produktauswahl sieht man den Unsinn der Maßnahmen.

Und war es nicht Zypries Vorgänger im Amt, Sigmar Gabriel, der den Ausverkauf von Schlüsseltechnologien in Deutschland befürchtete und chinesische Übernahmen unter den Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung stellen wollte? So als sei es ein volkseigener Betrieb, der dort an chinesische Unternehmen verkauft wurde, und das technische Know-How ein unveräußerliches Weltkulturerbe. Das Beispiel Kuka wird da gerne angeführt. Zweifelsohne ist der Roboterhersteller aus Augsburg ein höchst eindruckvolles Technologieunternehmen. Doch es gehörte weder Sigmar Gabriel, noch der Bundesregierung oder allen Deutschen, sondern zum großen Teil den Familienunternehmen Voith aus Heidenheim und Loh aus Haiger, die das Unternehmen an die Meistbietenden verkauft haben. Jeder war eingeladen, mehr für das Unternehmen zu bieten. Es ist eine Anmaßung der Regierungen, Schlüsselindustrien zu definieren und durch Zölle schützen zu wollen. Dem amerikanischen Konsumenten ist es in der Regel völlig egal, ob die Waschmaschine aus Benton Harbor, Michigan oder Gütersloh kommt. Hauptsache sie funktioniert und wird nicht durch Zölle verteuert. Und kaum ein deutscher Konsument achtet darauf, ob sein Geschirr aus China, Berlin oder sonst wo herkommt. Es muss ihr oder ihm gefallen und einen vernünftigen Preis haben.

Schutzzölle sind der Ausdruck von Partikularinteressen einzelner zu Lasten der Konsumenten. Sie sind es, die diese ungerechtfertigten Vorteile teuer bezahlen müssen. Wohl die schönste und eindrucksvollste Beschreibung dieser Politik hat der französische Liberale Frédéric Bastiat 1846 mit seiner Glosse „Schutz der Sonne“ beschrieben.  In einer Petition an das Parlament forderten darin die Kerzenmacher den Schutz vor der Konkurrenz der Sonne. Darin heißt es: „Wir bitten sie daher, dass es ihnen gefallen möge, ein Gesetz zu erlassen, welches die Schließung der Fenster, Läden, Luken, Klappen, Vorhänge, Kutschenladen, Gucklöcher, Rouleaux, mit einem Wort aller der Öffnungen und Spalten anbefiehlt, durch welche das Sonnenlicht in die Häuser zu dringen pflegt, zum Nachteil der schönen Industriezweige, mit denen wir das Land beschenkt zu haben uns schmeicheln, das uns jetzt ohne Undankbarkeit nicht einem so ungleichen Kampfe preisgeben kann.“

Josef Schumpeter nannte Bastiat später den „brillantesten Wirtschaftsjournalisten, der je gelebt hat“.  Damit hat er zweifelsohne recht. Denn Bastiat schloss seine Glosse mit einem Aufruf an die Abgeordneten, der heute ebenso an das EU-Parlament und den Deutschen Bundestag gerichtet werden könnte: „Wählen Sie, aber verfahren Sie logisch, denn wenn Sie schon Steinkohle, Eisen, Getreide und ausländisches Gewerbe ausschließen, je mehr sich ihr Preis der Null nähert, wie konsequent würde es da sein, den ganzen Tag lang das Sonnenlicht zuzulassen, dessen Preis gleich Null ist.“

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Von Wolfgang Clement, Bundeminister für Wirtschaft und Arbeit a. D., Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen a. D., MdL a. D. und Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Dieser Aufsatz ist erstmals veröffentlicht in dem in der „Edition Prometheus“ erschienenen Buch „Freihandel – für eine gerechtere Welt„.

Mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten haben die Freihandelsgegner in Deutschland Unterstützung aus einer wohl eher unerwarteten Ecke bekommen. Das Ergebnis dürfte sie zufriedenstellen: Der neue Mann im Weißen Haus setzt auf Abschottung. Das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, besser bekannt unter seinem Kürzel TTIP, liegt vorerst auf Eis.

Dabei liegt die Betonung jedoch auf „vorerst“. Politiker und Bürger hierzulande tuen gut daran, an der Idee festzuhalten, den transatlantischen Handel auf eine neue Stufe zu heben. Denn Deutschland wäre nicht das wohlhabende Land, das es heute ist, hätte es sich in der Vergangenheit nicht (fast) immer offen für den grenzüberscheitenden Warenaustausch gezeigt. Wie so oft hilft ein Blick in die Geschichte, auch für die künftige Gestaltung dieses Landes die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Gemeinhin gelten Länder wie Großbritannien und die Niederlande als klassische Handelsnationen, doch auch Deutschland hat eine lange Tradition des Freihandels: Schon im 12. Jahrhundert schlossen sich niederdeutsche Kaufleute, die im Nord- und Ostseeraum Handel betrieben, zur Hanse zusammen und setzten sich gemeinsam für ihre Interessen ein. Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese Hanse zu einem Städtebund, der die Interessen des Freihandels auch politisch vertrat. Noch heute tragen viele deutsche Städte ihren einstigen Status als Hansestadt stolz in ihren Stadtwappen.

Der Einsatz für den Freihandel war gerade im damals zersplitterten Deutschland mit seinen etwa 400 Staaten oder Staatsgebilden und hunderten, wenn nicht tausenden von Zollgrenzen bitter nötig. Ein Umdenken begann erst Ende des 18. Jahrhunderts, als in England schon die mechanischen Webstühle ratterten. Den deutschen Reformern galt allerdings nicht nur das liberale Großbritannien als Vorbild, sondern auch der starke Zentralstaat Frankreichs. Beeindruckt von der französischen Effektivität sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der Politik schufen sie zentral regierte Territorien und schraubten die ineffiziente Kleinstaaterei zu Beginn des 19. Jahrhunderts so nach und nach zurück.

Ein bedeutender Schritt zur wirtschaftlichen Integration gelang 1834. Der Deutsche Zollverein kann in seiner doppelten Bedeutung für die ökonomische Entwicklung und die politische Einheit gar nicht hoch genug geschätzt werden: Zwar sollte er durch die Abschaffung von Binnenzöllen sowie die Einführung von einheitlichen Maßen und Münzen vor allem den Handel forcieren. Dies ging jedoch mit einer Vertiefung der administrativen und politischen Beziehungen der Mitgliedsstaaten einher. Die Strukturen des europäischen Einigungsprozesses mehr als ein Jahrhundert später waren im Zollverein schon angelegt – was zeigt, welche Kraft der Freihandelsgedanke entfalten kann.

Diese Kraft behielt in Deutschland allerdings nicht durchgängig die Oberhand. Handelsregime sind immer auch Ergebnisse innenpolitischer Prozesse, in denen sich verschiedenen Interessengruppen gegenüber stehen. Ende des 19. Jahrhunderts schlug das Pendel mit Bismarcks Schutzzollpolitik zugunsten des Protektionismus aus. Die deutsche Landwirtschaft und die Industrie wollten sich damit gegen den Import von Getreide, Roheisen und Stahl und so auch gegen den Strukturwandel stemmen.

Im Nachhinein betrachtet wäre diese politische Schützenhilfe wohl nicht nötig gewesen. Denn  die deutsche Schwerindustrie hatte – insbesondere im heutigen Nordrhein-Westfalen – bereits begonnen, das aufzubauen, was noch heute ihre Stärke ist: die Produktion von hochwertigen Investitionsgütern, von Maschinen und Anlagen. Damit schufen die Unternehmen die Grundlagen für Deutschlands bis zum heutigen Tag anhaltende Exporterfolge. Die industriellen Strukturen und die Innovationskraft der Ingenieure halfen Deutschland schließlich auch, nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder an den Weltmarkt zurückzukehren und das „Wirtschaftswunder“ möglich zu machen.

Die zweite Komponente des Nachkriegsaufschwungs war die Einbettung Deutschlands in ein sich neu ordnendes, liberal geprägtes internationales Gefüge. Unter dem Eindruck des sich anbahnenden „Kalten Krieges“ entstanden so Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und das GATT (die spätere Welthandelsorganisation), die als multilaterale Organisationen das Klein-Klein bilateraler Verhandlungen ersetzten. In Europa kam zugleich der Prozeß der politischen Einigung mehr und mehr in Gang. Auf diesem „alten“ Kontinent mit seinen vielen Völkerschaften, Staaten, Regionen  und Traditionen – dem Flickenteppich Deutschlands des frühen 19. Jahrhunderts durchaus ähnlich – haben unsere Vorväter in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tiefe der beinahe völligen Zerstörung kommend gelernt, dass der grenzüberschreitende Handel, stabile Währungen und ein verlässlicher politischer Rahmen nicht nur nötig waren, um die Kriegsschäden zu beseitigen, sondern auch, um Frieden und Wohlstand für lange Zeit zu sichern. Mehr als 70 Jahre später kann niemand ernsthaft bestreiten, dass dies in beeindruckender Weise geglückt ist.

Ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg war es, Westdeutschland nicht zu deindustrialisieren, sondern mit seiner wirtschaftlichen Stärke in die dafür offene,  liberale atlantische Welt aufzunehmen und einzubinden. Die Alliierten haben damit sowohl für die Bundesrepublik als auch für Europa eine wichtige und richtige Entscheidung getroffen. Denn Deutschland hat zum einen mit seinen Investitionsgütern zum Aufschwung der Welt beigetragen, sich zum anderen aber auch kontinuierlich für die europäische Einigung, Währungsstabilität und den Freihandel eingesetzt, indem es etwa nach dem Ende von Bretton Woods das Europäische Währungssystem und die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft voranzutreiben half.

Die Wiedervereinigung und die EU-Osterweiterung haben Deutschland sowohl geografisch als auch politisch unübersehbar in die Mitte Europas gerückt. Mit dem Euro, dem politischen Vermächtnis Helmut Kohls, ist der größte Währungsraum der Welt entstanden. So sehr man die EU für ihre ausgeuferte Bürokratie, ihre Demokratiedefizite und Bürgerferne auch kritisieren mag, so sehr ist sie doch eines der faszinierendsten und mutigsten politischen Projekte der Gegenwart. Ihre Existenz gründet in der Einsicht, dass das friedliche Zusammenleben von 500 Millionen Menschen sehr unterschiedlicher ethnischer, religiöser und  kultureller Herkünfte auf vergleichsweise engem  Raum nur auf der Grundlage gemeinsamer Werte gelingt: Dem Respekt vor der Würde des Einzelnen sowie einer staatlichen Ordnung, welche die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger achtet und gewährleistet, also ihre eigenen Grenzen kennt – kurz, die Werte des Liberalismus´ und der sozialen Marktwirtschaft.

Im Rahmen der demokratischen Willensbildung wird das Zusammenspiel von Staat und Bürgern immer wieder neu ausgehandelt. Die Stellung der Wirtschaft als wichtiger Teil der Gesellschaft und der Freihandel sind zentrale Themen dieser Auseinandersetzung. Gerade der grenzüberschreitende Handel mit Waren und Dienstleistungen wird dabei oft verkürzt betrachtet – und das nicht nur von seinen Gegnern, sondern gelegentlich auch von seinen Verfechtern, wenn sie jegliches staatliches Handeln als freiheitsgefährdenden Eingriff zu brandmarken versuchen.

Tatsächlich machen verlässliche Rahmenbedingungen sowie wie eine effektive und berechenbare Administration, eine an transparenten Leitlinien orientierte Wirtschaftspolitik und eine zweifelsfrei unabhängige Gerichtsbarkeit den freien Handel erst möglich. Ein dafür ganz offensichtliches Beispiel sind Kartellbehörden, die einschreiten, wenn die Marktmacht einzelner Unternehmen den Wettbewerb zu Lasten von Verbrauchern und der weiteren Marktteilnehmer gefährdet. Nur ein handlungsfähiges und mutiges Kartellamt garantiert Wettbewerb. Der Staat setzt mit alldem den Rahmen, der den Wettbewerb lebendig hält und ist damit als Akteur zur Gewährleistung eines wirklich freien Handels nicht wegzudenken.

Grenzüberschreitender freier Handel macht also den Staat nicht überflüssig, stellt aber die  Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt immer wieder auf die Probe. Und das kann im Binnenverhältnis durchaus auch regional-, bildungs- oder sozialpolitisch flankierende Maßnahmen erfordern. In einer Zeit globaler Veränderungen von durchaus dramatischer Tiefe und hohem Tempo – wie heute – sollte das unübersehbar sein. Die gegenwärtigen rechtspopulistischen Blähungen in den USA wie in Teilen Europas sind jedenfalls eine Warnung. Wer sie übersieht, hat schließlich die (nicht wenigen) Opfer des von der Globalisierung forcierten Strukturwandels gegen sich. Freier Handel überzeugt nur, wenn der ökonomische Fortschritt, den er unzweifelhaft mit sich bringt, mit gerechten Chancen auf den „Wohlstand für alle“ verbunden ist.

Deutschland hat als Exportnation von Weltrang ein überragendes Interesse an freien Märkten. Für uns im Herzen Europas geht es im  Ringen um die Formulierung und Realisierung liberaler Werte aber um mehr als das. Offene Märkte bedeuten eben  nicht nur einen möglichst barrierefreien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital, sondern sie bedingen auch eine staatliche Ordnung, die schwindelfrei ist und die Balance hält, wo es um die Gewährleistung der Freiheit des und der Einzelnen  auf der einen und die Sicherung des Gemeinwohls und des Zusammenhalts der Gesellschaft auf der anderen Seite geht.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Wiedervereinigung hat Deutschland diese Verantwortung mit erheblichem Engagement vor allem auf europäischer Bühne wahrgenommen. Doch die Welt von heute und morgen hat längst neue Herausforderungen bereit. Es wird deshalb immer wichtiger, dass ein sich einiges Europa im Kräftespiel um eine neue Rangordnung der bisherigen Weltmacht USA und der neuen Weltmächte mit China an der Spitze seinen Platz findet und auch selbstbewußt wahrnimmt. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, die eigene Sicherheit gewährleisten zu können, gehört unzweifelhaft dazu.

Unser Land ist unzweifelhaft eines der ökonomischen und politischen Schwergewichte in der EU. Das bedeutet mehr Verantwortung, aber sollte nicht zur Selbstüberschätzung verleiten. Den protektionistischen Tendenzen auf globaler Ebene können wir jedenfalls nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wirksam entgegentreten. Die Erfahrung jedoch, in einer wechselvollen Geschichte stets vom Freihandel profitiert zu haben, sollte uns veranlassen, kräftiger als in den zurückliegenden Monaten Flagge zu zeigen, im Innern wie nach außen. Angesichts einer  momentan zunehmenden  Zahl von Kritikern und Gegnern des Freihandels macht es viel Sinn, mit offenem Visier für die Werte einzutreten, die Frieden und  Freiheit und dauerhaft Fortschritte im Kampf gegen Armut und die großen Krankheiten auf der Welt möglich machen.

Photo: brando from Flickr (CC BY 2.0)

Im Euro-Club kommt es zum Schwur. Das Sondierungspapier von SPD und Union geht schon im ersten Kapitel auf die Wirtschafts- und Währungsunion ein und billigt mehr Geld für die EU. Viel hilft viel, sind die angehenden Koalitionäre sich wohl einig. SPD-Chef Schulz ist stolz auf das darin erreichte. Jean-Claude Juncker auch. Letzter kann es auch sein, denn er hat geschickt über Bande gespielt und mithilfe seines alten Weggefährten Schulz die CDU/CSU zu einer Überführung des ESM in Unionsrecht gezwungen. Wolfgang Schäuble hatte dies als Finanzminister immer verhindert, um das deutsche Veto-Recht im ESM nicht aufs Spiel zu setzen.

Nunmehr hat Juncker einen wichtigen Etappenerfolg erzielt. Ob dieser Etappenerfolg der erste Schritt für Änderungen an der Finanzarchitektur der Eurozone bedeutet oder nur ein Pyrrhussieg ist, wird die SPD am Wochenende auf ihrem Parteitag entscheiden. Doch auch dann ist die Messe noch nicht gelesen. Sollte die Regierungsbildung aus Union und SPD kommen, dann ist die Überführung des außerhalb des EU-Rechts angesiedelten ESM in Unionsrecht längst nicht besiegelt. Für eine Überführung ist im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die die große Koalition im Parlament nicht mehr hat.

Dennoch schicken sich derzeit viele an, auf diesen Zug aufzuspringen. Letzte Woche präsentierten prominente Professoren aus Deutschland und Frankreich ein gemeinsames Papier, wie sie sich eine Weiterentwicklung der EU vorstellen. Deren prominenteste Vertreter von deutscher Seite, Clemens Fuest vom Ifo-Institut und Marcel Fratzscher vom DIW, suchen darin gemeinsam mit 12 weiteren Ökonomen über ideologische Grenzen hinweg einen Weg aus dem Dilemma der Eurozone. Allein die Überschrift ihres Papiers weist den Weg: „Wie Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang gebracht werden können: ein konstruktiver Vorschlag zur Reform des Euroraums“. Immerhin räumen sie mit einer Lebenslüge auf. Bisher galt die Euroschuldenkrise als überwunden. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, mit der Bankenunion und dem Juncker-Fonds war man überzeugt, dass die Euro-Zone die Krise von 2010 überwunden hat und der institutionelle Rahmen weitere Überschuldungskrisen von Staaten und Banken in Europa verhindern würde.

Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, um den Währungsraum als Ganzes zu erhalten. So schreiben die Autoren um Fratzscher und Fuest richtig „die Europäische Währungsunion weist nach wie vor erhebliche Schwachstellen auf, ihre institutionelle und finanzielle Architektur ist noch immer instabil.“ Ihre Vorschläge, die sie anschließend machen, sind jedoch ein typischer fauler Kompromiss. Die französischen Ökonomen bekommen etwas mehr Risikoteilung und die deutschen Ökonomen etwas mehr Marktdisziplin zugesprochen. Ihre sechs Reformvorschläge drücken diesen Kompromiss aus. Auf der einen Seite sprechen sie sich für die Eigenkapitalunterlegung der Banken beim Kauf von Staatsanleihen aus, auf der anderen Seite wollen sie eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung erreichen. Also hier etwas mehr Markt und dort etwas mehr Verantwortungslosigkeit. Dann wollen sie die Schuldenregeln aufweichen, aber gleichzeitig die Überwachung auf eine unabhängige Institution übertragen. Weiter schlagen sie einen aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten finanzierten Schlechtwetterfonds vor, der große Konjunkturkrisen abfedern soll. Der Kompromiss ist dabei, dass er anders als der ESM keine Möglichkeit haben soll, sich an den Finanzmärkten zu refinanzieren.

Dann schlagen sie die Schaffung eines „synthetisch sicheren Wertpapiers“ vor, das durch „die Kombination aus Diversifizierung und Vorrangigkeit“ zu „Sicherheit“ führen soll. Das erinnert sehr an 2007 und davor, als Landesbanken im großen Stil in solche „synthetisch sicheren Wertpapiere“ investierten, die so gut waren, dass selbst Ratingagenturen ihnen eine Höchstnote verpassten. Da fiel es dann auch nicht auf, wenn man dazwischen einige faule Papiere versteckte, Hauptsache die Schleife drumherum war hübsch.

An diesen Vorschlägen ist nicht viel Neues, außer die der Zusammenarbeit der Beteiligten selbst. Eine neue Dimension hat dabei, dass bekannte Ordnungsökonomen wie Clemens Fuest, Isabel Schnabel und Beatrice Weder di Mauro ihren bisherigen Pfad der Vernunft verlassen. Das sollte man ihnen nicht durchgehen lassen.

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.