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Photo: Iain Farrell (CC BY-ND 2.0)

Die deutsche Regierung ist schnell dabei, den mangelnden Reformwillen der Krisenstaaten in Europa anzumahnen. Doch oftmals ist es gut, wenn man erstmal vor der eigenen Türe kehrt und nicht die gleichen Fehler macht, die die anderen in die Krise gestürzt haben. Es sind zwei wesentliche Gründe, weshalb die Südstaaten im Euro-Raum seit Jahren eine Wachstumsschwäche aufweisen. Es ist zum einen der aufgeblähte Staatsapparat, der die Ausgaben, die Bürokratie und die Staatsverschuldung in die Höhe schnellen lässt und es sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die den jeweiligen Standort für Investoren aus dem eigenen Land und von außen unattraktiv macht. Beides führt dazu, dass die Euro-Staaten in der Summe inzwischen eine öffentliche Verschuldung von über 90 Prozent ihrer gemeinsamen Wirtschaftsleistung  vorzuweisen haben. Und die Wirtschaftleistung liegt immer noch unter dem Niveau des Jahres 2007, als die Finanzkrise abrupt eintrat.

Hier ist Deutschland relativ gesehen immer noch besser dran. Die Staatsverschuldung liegt leicht über dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist niedrig und der Beschäftigungsstand hoch. Doch der Abstand schwindet. Dies hat Ursachen und diese liegen in den Rahmenbedingungen, die die Regierung, aber auch die Tarifpartner in Deutschland setzen.

Erstmalig seit vielen Jahren werden im nächsten Jahr die Sozialversicherungsbeiträge wieder auf über 40 Prozent steigen. Dies obwohl die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mit über 31 Millionen noch nie so hoch war. Eigentlich müssten sowohl die Rentenversicherung, als auch Kranken- und Pflegeversicherung gut mit den gestiegenen Einnahmen zurechtkommen.  Doch das Gegenteil ist der Fall. Ihre Beiträge steigen. Der Grund ist politisch gewollt. Neue Ausgabegesetze führen dazu. Allein zwischen 2014 und 2019 wurden Leistungserweiterungen von 87 Milliarden Euro beschlossen. Jetzt schlägt Andrea Nahles vor, die Ostrenten den Westrenten anzugleichen. Das mag alles wohl begründet und vielleicht auch sinnvoll sein. Doch bei Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung wird auf Seiten der Politik nie gefragt, ob einer Leistungserweiterung auf der einen Seite, vielleicht an einer anderen Stelle eine Leistungseinschränkung möglich und erforderlich ist. Es wird immer draufgesattelt, als fiele das Geld vom Himmel und müsste nicht erarbeitet werden.

Die deutsche Regierung mahnt in Europa auch Reformen am Arbeitsmarkt an. Die EU drängt Griechenland dazu, den Arbeitsmarkt flexibler und den gesetzlichen Mindestlohn zu reduzieren. Beides gilt als Beschäftigungshindernis für junge und unqualifizierte Arbeitskräfte. Mindestlöhne sind in diesen Ländern Eintrittsbarrieren in den Arbeitsmarkt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Portugal und Griechenland sind erschreckende Beispiele dafür. In Deutschland wurde gerade in dieser prekären Phase ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der im nächsten Jahr sogar noch erhöht wird.

Vielleicht ist es ein kluges Zeichen in der richtigen Zeit, wenn die renommierte Ludwig-Erhard-Stiftung ihren Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik in diesem Jahr an Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder verleiht. Seine Arbeitsmarktreformen sind heute noch wegweisend. Sie liegen aber auch schon 13 Jahre zurück. Deutschland darf sich auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Die Grundlage des Wohlstands von morgen wird heute geschaffen. Wer wüsste das besser als jener Ludwig Erhard, der in einer Regierungserklärung 1963 sagte: „Es gibt keine Leistungen des Staates, die sich nicht auf Verzichte des Volkes gründen.“

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 30. Juli 2016.

Die Häme über die mehrheitliche Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, ist immer noch groß. Einige Experten in Brüssel meinen gar, dass es im Herbst vorgezogene Neuwahlen in Großbritannien geben könnte und dann eine Mehrheit indirekt für den Verbleib in der EU stimmen würde. Das Referendum sei ja nicht verbindlich gewesen und könne parlamentarisch auch wieder gekippt werden. Die Brexit-Abstimmung würde ausgehen wie das Hornberger Schießen. Am Ende bliebe alles beim Alten. Bei diesen „Experten“ ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens.

Bisher hat die neue britische Regierung alles richtig gemacht. Die Tories hab eine moderate Konservative zur Premierministerin gemacht, die als Brexit-Gegnerin in ihrer neuen Rolle keinen Rückzieher machen kann. Theresa May ist zwar keine Margaret Thatcher, aber sie hat dennoch geschickt alle Flügel ihrer Partei in die Regierung eingebunden. Ihr größter Coup, Boris Johnson das Außenministerium anzudienen, zeigt ihre Cleverness. Gleichzeitig den erfahrenen David Davis zum Minister für den EU-Austritt zu benennen, war ebenfalls schlau. Diese Entscheidung nimmt Boris Johnson aus der Schusslinie der Eurokraten in Brüssel. Das auf dem Festland vielbeschworene Chaos auf der Insel hat sich relativ schnell in Luft aufgelöst. Die Briten machen jetzt in „business as usual“.

Der eilige Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union nach Artikel 50 der Europäischen Verträge findet so schnell nicht statt. Allen Aufforderungen Junckers und Schulz zum Trotz, den Austrittsantrag endlich zu stellen, sind die Briten die Herren des Verfahrens. Sie bestimmen, wann und wie der Austrittsantrag erfolgt. Theresa May hat schnell erkannt, dass sich ihre Verhandlungsposition verbessert, wenn sie nicht unmittelbar den Austrittsantrag nach Artikel 50 der Europäischen Verträge stellt, sondern sich akribisch vorbereitet. Deshalb kündigte sie jetzt an, dass Großbritannien die offiziellen Verhandlungen erst in 2017 beginnen wolle. Gleichzeitig bringt sie der EU gegenüber unmissverständlich ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, indem sie dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk mitteilt, dass Großbritannien Mitte 2017 nicht den Vorsitz des Europäischen Rates antreten wolle.

Die Ankündigung der Regierung May, bis zum Austritt aus der EU eigene Freihandelsabkommen mit wichtigen Handelspartner auf dieser Welt abzuschließen, zeigt ebenfalls die Entschlossenheit im Blick auf den Austritt. Hier wird sich zeigen, ob Großbritannien seine große Tradition als Freihandelsnation aufrechterhält. May selbst gilt nicht als brennende Anhängerin der Marktwirtschaft. Auch ob dies realistisch ist und mit den bestehenden Europäischen Verträgen vereinbar ist, muss sich zeigen. Immerhin sind die Briten ja noch EU-Mitglied und Handelsabkommen mit anderen Staaten fallen ausschließlich in die Kompetenz der EU. Aber all dies zeigt, wie entschlossen die Briten sind. Es ist das gute Recht Großbritanniens aus der EU auszutreten. Die Europäischen Verträge sehen diese Möglichkeit explizit vor. Daher wären beide Seiten gut beraten, wenn sie verbal abrüsten würden. Insbesondere wäre es wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker mäßigen würden. Der Europäische Rat ist gemeinsam mit dem austrittswilligen Land verantwortlich. Nicht Jean-Claude Juncker, als Kommissionspräsident trägt die Last der Verhandlung, sondern der Europäische Rat unter seinem Präsidenten Donald Tusk.

Sinnvolles Ergebnis wäre ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU mit einem uneingeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt und umgekehrt. Dies setzt nicht zwingend auch die Personenfreizügigkeit auf britischer Seite voraus, wie viele Eurokraten in Brüssel meinen. Es gibt keine zwingende Logik, dass ein Land akzeptieren muss, dass der Warenimport oder –export nur möglich ist, wenn jeder EU-Bürger auch nach Großbritannien einwandern darf. So wünschenswert dies auch sein mag, so klar und demokratisch darf sich ein Land auch dagegen aussprechen. Der Austausch von Waren und Dienstleistungen nutzt ja nicht nur den Briten selbst, sondern, auf Deutschland bezogen, sogar vielmehr unserer Wirtschaft und den dortigen Arbeitsplätzen. Immerhin exportieren deutsche Unternehmen Waren und Dienstleistungen im Wert von 90 Milliarden Euro auf die Insel. Es wäre doch absurd, wenn dies nicht mehr möglich wäre, nur weil die Briten deutschen Arbeitnehmern keinen unbeschränkten Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt ermöglichen. (Zumal sie selbst die negativen Folgen zu tragen haben.) Da muss man sich schon wundern, wenn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Umfrage veröffentlich wird, in der sich eine Mehrheit von 56 Prozent in der Bevölkerung und bei den „Entscheidern aus der Wirtschaft“ dafür ausspricht, dass die EU Großbritannien alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft entziehen soll. Hochmut kommt vor dem Fall. Mehr Kleingeistigkeit geht nicht!

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Justin Ennis from Flickr (CC BY 2.0)

Von Franco Debenedetti, Unternehmer, ehemaliges Mitglied des italienischen Senats und Präsident unseres Partnerinstituts „Istituto Bruno Leoni„.

Die italienische Bankenkrise bedarf gerade eines deutlichen Zwischenrufs: Das Ausmaß der Artikel und Interviews, in Zeitungen und Blogs, die sich darüber auslassen, was zu tun und was zu lassen sei, ist zu einem Punkt gekommen, an dem es nötig ist, eine Einordnung vorzunehmen.

Die widersprüchlichen Argumente

Sie reduzieren sich letztlich darauf, dass man sich einerseits die „ever closer union“ ersehnt, die Fiskalunion und die Vereinigten Staaten von Europa, während man sich andererseits dafür ausspricht, die Maastricht-Kriterien aufzuweichen und die Vorschriften der Bankenunion nicht zu befolgen. Die EU hat keine Verfassung, sie hat keine eigene politische Geschichte – sie hat nur ihre Verträge. Auf der Website der EU liest man: „Die Europäische Union basiert auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet, dass jede Tätigkeit der EU auf Verträgen beruht“. Ohne Verträge gibt es keine EU. Es ist ein Widerspruch, wenn man mehr Europa will, aber gleichzeitig das Europa von 1992 untergräbt, den ersten großen Schritt nach vorn, und auch die zwanzig Jahre später als lang ersehnten zweiten Schritt begrüßte Bankenunion.

Die kontraproduktiven Argumente

Eine Lawine … Manche argumentieren, es gebe natürlich die Banca Monte dei Paschi di Siena – aber es gebe ja auch die Deutsche Bank. Es gebe unsere Staatshilfen, aber auch die der anderen. Es wird erklärt, dass unser Problem nur Ausdruck eines viel größeren Problems sei. Und dann endet man mit dem Vorwurf an die Obrigkeiten, die unsere Forderungen beurteilen werden, unaufmerksam oder parteiisch zu sein. Faule Kredite seien etwas Anderes als Derivate; frühere Kritikpunkte hätten mit der jetzigen Situation nichts zu tun. Wenn man immer auf die Fehler der anderen hinweist, kann es sein, dass man irgendwann dazu ermahnt wird, einmal wieder auf die eigenen zu Blicken: vernichtetes Kapital, subventioniertes Wachstum, verschlechterte Kredite – es gibt genug Schwachpunkte.

Es ist kontraproduktiv, dem Brexit die Schuld zu geben: Ein Ereignis, das beweist, wie wichtig es ist, dass die Banken ausreichend Kapitalausstattung haben, um Schocks zu überstehen, kann nicht angeführt werden, um ein Auge zuzudrücken gegenüber denjenigen, die nicht ausreichend Kapital haben. Das gleiche gilt für die Umstellung von nachrangigen Anleihen in den Händen institutioneller Inverstoren in Aktien: Manch einer sagt, das könne man nicht machen, weil es den europäischen Markt für nachrangige Anleihen in Panik versetzen würde. Doch wenn das so wäre, dann würde das bedeuten, dass die Investoren nicht daran glauben, dass die Direktive je angewandt würde. Eine Einladung an die Obrigkeit, im Fall der Bank aus Siena unnachgiebig zu sein, um ganz Europa zu beweisen: wir meinen es ernst.

Die peinlichen Argumente

Manche erwarten ein Moratorium bei der Anwendung der Bail-in-Klauseln. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie die Probleme, die damit verbunden sein können, erst erkannt haben als sie nicht mehr theoretisch, sondern real waren. Dasselbe gilt auch für die Rettungen mit öffentlichem Kapital aus Deutschland (jemand sagt auch aus Großbritannien, als ob es Teil der Bankenunion wäre). Ist es ein Zeichen von Vorausschau oder auch nur Klugheit, immer stolz behauptet zu haben, man brauche das nicht?

Die fehlenden Argumente

Allenthalben hört man Beschwerden, dass den Italienern die ökonomische Bildung fehle, aber keiner spricht aus, wer in seiner Pflicht scheitert, diese zu ermöglichen. Das fängt bei der ersten Lektion an: Was für den einen eine Unterstützung ist, ist für den anderen eine Ausgabe, die von jemandem finanziert werden muss – entweder heute mit Steuern oder morgen mit den Zinszahlungen auf neue Schulden. Es scheint, dass die vier Banken (von Marche, Ferrara, Etruria, Chieti), die Ende 2015 pleite gingen, für 500 Millionen verkauft werden können? Ihre Rettung hat 1500 Millionen gekostet. Die Differenz wird den Interbanken-Fonds mit Garantien bezahlen, mithin also die Einleger in Form von geringerer Güte der Garantien. Falls es dem Fond Atlante nicht gelingen sollte, die großzügig bewerteten Bankenkredite zurückzugewinnen, dann wäre das ein Geschenk an die Bankaktionäre. Bezahlt würde das von dem Geld, das aus den Banken und Rentenkassen genommen wurde. Und die letzte Lektion lautet: Im Nachhinein führen diese Rettungen notwendigerweise in eine Situation des „moral hazard“. Sie laden Banken und Banker ein, weiterzumachen wie bisher. Schließlich bezahlt die Rechnung am Ende doch ein anderer.

„La mala educaciòn“ – Die schlechte Erziehung

Wenn der Interessenkonflikt der Regierungen nicht ans Licht gebracht wird. Sie haben in zweifacher Hinsicht ein Interesse daran, zu intervenieren und die Banken zu retten. Einerseits stoßen sie auf Zuspruch, weil sie „ein Problem gelöst“ haben und sie legen sich die Instrumente bereit, um das in Zukunft wieder zu tun. Indem sie als Kapitalgeber der Banken fungieren, gewinnen sie andererseits Gewicht im Prozess der Kreditvergabe, wenn es um Gelegenheiten der „Problemlösung“ geht, die öffentliches Interesse auf sich ziehen: sei es bei der Rettung des Stahlherstellers Ilva, beim Breitbandausbau oder beim Fonds „Atlante“. Dass die ökonomischen Interessen der „Geretteten“ gegebenenfalls nicht mit ihrem politischen Votum über ihren „Retter“ Renzi übereinstimmen, ist auch ein Widerspruch. Von allen, die wir hier gesehen haben, aber vielleicht der harmloseste.

Erstmals erschienen in der Zeitung „Il Foglio quotidiano“ und veröffentlicht auf dem Blog von Franco Debenedetti, eigene Übersetzung.

Photo: Sofi from flickr (CC BY-NC 2.0)

Die Finanzkrise ist zurück. Doch eigentlich war sie nie weg. Sie verbreitete sich nur nicht im Tageslicht, sondern unter dichtem Bodennebel. Heute sind die Probleme größer als noch vor einigen Jahren. Das werden die Heerscharen der „Retter“ vehement bestreiten. War die allgemein verortete Ursache der Krise 2007/2008 doch der „Neo-Liberalismus“ der Jahre zuvor. Diese Zeit der Deregulierung der Finanzmärkte habe den Geist aus der Flasche des Turbokapitalismus gelassen und die Übertreibungen an den Finanzmärkten entstehen lassen.

Seit 2008 kann dieser Vorwurf nicht mehr erhoben werden. Seitdem wird die Finanzwelt mit einer bis dahin nie gekannten Regulierungsfülle überzogen. Basel III, die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB, die Schaffung von Bankenstreßtests bei der EBA, der Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM, die Schaffung eines einheitlichen Bankenabwicklungsregimes und bald auch die einheitliche Einlagensicherung im Euroraum sind nur die bekanntesten Regulierungsversuche allein in unserem Währungsraum. All das sollte das Vertrauen in das Banken- und Finanzsystem erhöhen, systemische Risiken frühzeitig offenbaren und künftige Krisen verhindern. Bald eine Dekade später ist nichts davon eingetreten. Gar nichts!

Jetzt kommt die Finanzkrise mit voller Wucht zurück. Die Banken Italiens schieben 367 Milliarden Euro fauler Kredite vor sich her, was rund 20 Prozent aller Kredite ausmacht, die italienische Banken ausgereicht haben. Normal wären 2 bis 3 Prozent. Schmerzhafte Wertberichtigungen in den Bilanzen drohen, die das Eigenkapital auffressen und Banken insolvent werden lassen. Seit Jahren ist das Problem bekannt, dennoch unternahm die Regierung nichts oder zu wenig und ließ das Problem weiter ansteigen. Jetzt setzt Matteo Renzi auf die Aussetzung gerade beschlossener europäischer Regelungen, die die Gläubiger und Eigentümer erstmal zur Kasse bitten, bevor der Staat eingreift. Das erinnert sehr schnell an 2010, als beim erst besten Fall in Griechenland, die Nichtbeistandsklausel der EU-Verträge außer Kraft gesetzt wurde. Seitdem ist der Rechtsbruch nur noch ein Kavaliersdelikt. Dies alles verwundert nicht, da die Situation Italiens dramatisch ist. Die Situation der Banken in Italien ist das Spiegelbild der Entwicklung der dortigen Wirtschaft. Sie darbt auf dem Niveau der 1980er Jahre und die Industrieproduktion liegt fast 30 Prozent unter der Vorkrisenzeit des Jahres 2008.

Die mangelnde Regulierung taugt daher nicht als Krisenursache, sondern verschleppt und verstärkt das Problem. Der Blick und die Kritik müssen sich daher auf die EZB richten. Sie hat, durch ihre Zinspolitik und ihre Programme zum Aufkauf von Schulden der Staaten und Unternehmen, den Zins und damit den Seismograph zur Messung von Erdbeben beseitigt. Die EZB versprüht fortwährend süßes Gift, das, so wie einst die Sirenen vorbeifahrende Seefahrer betörten, heute alle Finanzminister, Kämmerer, Banker und Finanzvorstände geistig vernebelt. Für das Schuldenmachen von Staaten, Banken und Unternehmen gibt es faktisch keine Grenzen. Es gibt kein Morgen mehr. Alle leben im Jetzt.

Doch das dicke Ende kommt noch. Die Banken werden jetzt von zwei Seiten existentiell in die Zange genommen. Die Regulierungsdichte führt auf der einen Seite zur Oligopolisierung der Branche. Nur noch die Großen können sich die Bürokratie und Datenkrake „leisten“. Die Kleinen werden zur Fusion oder Aufgabe gezwungen. Auf der anderen Seite nimmt die Politik der EZB den Banken ihre Ertragskraft und schafft dadurch ein schwelendes systemisches Risiko. Deshalb hat der Kuratoriumsvorsitzende des think tanks Prometheus, Thomas Mayer, recht, wenn er davon spricht, dass die Probleme der italienischen Banken von heute, die Probleme der deutschen Banken von morgen sind.

Der EZB-Präsident Mario Draghi deckt die Probleme zu und schafft dadurch viel größere. Von Anbeginn an war die Finanzkrise eine Bankenkrise. Banken haben Kredite vergeben, die notleidend waren, aber nicht wertberichtigt wurden. So begann jede Krise. Sei es die Lehman-Krise in Amerika, die IKB-, Landesbanken- und HRE-Krise in Deutschland, die Bankia-Krise in Spanien und jetzt auch die Krise der italienischen Banken. Sie konnten nur durch billiges Geld der Notenbanken entstehen. Eine expansive Ausweitung der Geld- und Kreditmenge schuf eine Vermögensillusion, die nicht unendlich fortgesetzt werden konnte. Irgendwann schwindet das Vertrauen, weil Investoren nicht mehr an die Mondpreise von Immobilien- oder Unternehmenswerten glauben und sich zurückziehen. Dann bricht das Kartenhaus zusammen.

Seit 2008 versucht die EZB die Vermögensillusion durch immer größere Eingriffe in den Preismechanismus der Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten. So wird es wohl auch dieses Mal ablaufen. Wir stehen wahrscheinlich am Vorabend einer neuen Interventionsrunde der EZB, um den italienischen Banken und dem Flehen der dortigen Regierung nachzukommen. Der Brexit bietet dafür den dankbaren Vorwand.

Das alles ist nicht neu. Schon einmal hatte Mario Draghi seinem Mutterland Hilfe durch die EZB angeboten. 2011 sicherte er in einem geheimen Brief dem damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu, italienische Staatsanleihen zu kaufen, wenn Berlusconi Reformen im Land einleiten würde. Heute sind wir 5 Jahre weiter und die Probleme Italiens sind gewachsen. Die Staatsverschuldung hat mit 2.200 Milliarden Euro historische Höchststände erreicht und liegt rund 500 Milliarden Euro über dem damaligen Niveau. Auch die Target2-Salden, als Ausdruck des ökonomischen Ungleichgewichts innerhalb des Euro-Clubs, sind auf Seiten Italiens auf nunmehr fast 300 Milliarden Euro gestiegen. Gleichzeitig steigt der Bargeldumlauf in Italien und erreicht ebenfalls historische Höchststände. Auch dies ist nicht gerade Ausdruck des überschwänglichen Vertrauens in das dortige Bankensystem.

Mario Draghi beseitigt durch sein bisheriges und wohl auch künftiges Vorgehen nicht nur die Insolvenzfähigkeit von Staaten, Banken und Unternehmen, er schafft ein viel größeres Problem. Er zerrüttet den Glauben an die Herrschaft des Rechts. Mario Draghi wird daher zum Totengräber des Euro und der Europäischen Union. Er befördert durch seine Geld- und Wirtschaftspolitik unmoralisches Handeln nach dem Motto: „trocken abstimmen, aber feucht trinken“. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen.

Erstmal veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: Katrin Gilger from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Der britische Finanzminister George Osborne hat nach der Brexit-Entscheidung angekündigt, dass Großbritannien die Unternehmensteuern senken werde, um die Attraktivität des Standortes auf der Insel zu erhöhen. Schon sprechen die Ersten von Steuerdumping und einem Wettbewerb nach unten, der ruinös für die jeweiligen Staatsfinanzen sei.

Doch mit dem Vorstoß Osbornes wird ein wesentlicher Vorteil des Brexits für Großbritannien deutlich. Sie gewinnen erheblich an Souveränität hinzu. Gerade das war ein entscheidendes Argument der Brexit-Befürworter. Die bisherige Entwicklung in der EU geht seit Jahren in die entgegengesetzte Richtung. Dort hält man einen Systemwettbewerb für grundfalsch. Dort will man die Unterschiede in den Steuersystemen, in den Sozialsystemen und in der Fiskalpolitik nivellieren. Seit Jahren versucht die EU-Kommission als Vorstufe die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensteuern anzugleichen, um später mit einheitlichen Steuersätzen gänzlich die Unterschiede abzuschaffen.

Als Begründung wird dafür gerne das Bild des Rosinenpickens verwandt. Dahinter steckt der Vorwurf, dass sich hier Einzelne zu Lasten der Solidargemeinschaft bereichern würden. Auch Angela Merkel verwendet dieses gängige Bild, wenn sie den Briten zuruft: „Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden.“ Egal ob die Briten Mitglied der EU sind oder nicht, wollen sie in den Binnenmarkt exportieren, dann müssen sie die wettbewerbsfeindlichen Regeln akzeptieren, oder sie bleiben draußen vor der Tür. So die einfache Logik der Kanzlerin.

Deshalb stellt sich auch Jean-Claude Juncker nicht selbst in Frage, sondern zieht aus dem Brexit-Votum den Schluss, die Europäische Union müsse nun noch intensiver und noch schneller die Zentralisierung vorantreiben und die letzten Reste eines Wettbewerbs der Ideen beseitigen. Manche meinen schon, Juncker habe den Schuss nicht gehört. Aber vielleicht kann er auch nicht anders in seinem schwankenden Elfenbeinturm.

Doch der Wettbewerb der Systeme ist gut für alle Teilnehmer, denn Fehler werden viel früher erkannt als ohne ihn. Das Herausgreifen von Vorteilen und deren Stärkung ist ebenfalls gut und richtig. Auch hier findet ein Lernprozess aller anderen statt. Sie können sich plötzlich an den Besten orientieren und ihnen nacheifern. Plötzlich werden alle zu Rosinenpickern. Die Marktwirtschaft ist im Grunde eine Ordnung des Rosinenpickens. Jeder Unternehmer und jeder Kunde macht tagein tagaus nichts anderes, als Vorteile für sich zu suchen. Warum sollte in einer auf Freiwilligkeit basierenden Ordnung jemand von sich aus bewusst Chancen auslassen und dafür Strafen in Kauf nehmen? Gerade im Steuerrecht basiert vieles auch auf Tradition und Praktikabilität. Warum soll die Slowakei zum Beispiel unser kompliziertes Unternehmensteuerrecht übernehmen müssen? Dort gibt es eine andere Steuertradition als in Deutschland. Schon in Deutschland schaffen es die Finanzbehörden und erst Recht die Unternehmen nicht, das komplizierte Unternehmensteuerrecht zu administrieren. Wie wäre dies in der Slowakei, Rumänien oder Griechenland?

Rosinen picken ist gut und richtig. Aus dieser eigensinnigen Ordnung erwächst nämlich der Fortschritt. Denn Staaten zwingt dieser Systemwettbewerb zu Anpassungen, die sonst nie stattfinden würden. Der Systemwettbewerb diszipliniert den Staat in seinem sonst ungebremsten Wachstum. Denn anders als Unternehmen haben Regierungen und Staaten in der Regel keinen Konjunkturverlauf, der Umsätze steigen und mal wieder einbrechen lässt. Staaten und Regierungen können immer aus dem Vollen schöpfen. Ihre „Umsätze“, die Steuern, steigen von Jahr zu Jahr.

Wenn es schlecht läuft, stagnieren sie vielleicht mal, aber schon im nächsten Jahr steigen sie meist wieder. Deshalb unterliegen Regierungen und Staaten nur selten einem wirklichen Reformdruck. Und wenn dies doch mal der Fall ist, haben sich die Probleme über viele Jahre und Jahrzehnte aufgestaut und können dann häufig nicht mehr mit einfachen Korrekturen bewältigt werden. Die Situation Griechenlands, aber auch Italiens und Spaniens sind gute Beispiele dafür. Wer das Rosinenpicken verhindert, will letztlich, dass es allen gleich schlecht geht. Stattdessen ist es eine Hauptaufgabe des Wettbewerbs, zu zeigen, welche Pläne falsch sind. Osbornes Initiative für niedrige Steuern entfacht diesen Wettbewerb neu – vielleicht dann auch wieder in der Rest-EU. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.