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Gibt es nicht schon genügend Bücher zum und über den Euro und Europa? 2014 habe ich selbst eines geschrieben. Das Thema ist freilich immer noch und wieder sehr aktuell. In dieser Woche hat Jean-Claude Juncker Vorschläge für die Weiterentwicklung der Währungsunion gemacht. Emmanuel Macron hat bereits im September an der Sorbonne-Universität in Paris Reformen vorgeschlagen. ESM-Chef Klaus Regling war zuvor mit von der Partie, er schlug im Sommer einen Schlechtwetterfonds für Krisenstaaten vor, gerade so als ob die Überschuldung eine Naturkatastrophe wäre. Es war eine Vorahnung, dass Prometheus vor dieser Welle zentralistischer Vorschläge bereits im November 2015 Reformvorschläge für die EU gemacht hat. Gemeinsam mit Thomas Mayer, Stefan Kooths und Justus Haucap habe ich im Rahmen unserer Prometheus-Kampagne „Europa der Bürger“ ein Manifest für ein konföderales Europa vorgestellt. Es ist quasi ein Gegenentwurf zum Zentralismus Junckerscher Prägung.

Deshalb ist das neue Buch von Roland Vaubel eine Kaufempfehlung für all diejenigen, die kompakt einen Überblick bekommen wollen, woran es in der Europäischen Union hakt. Vaubel ist einer der besten Kenner der europäischen Politik. Als Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat im Bundeswirtschaftsministerium an und hat im Rahmen der European Constitutional Group bereits 1991 wegweisende Reformvorschläge für die damalige Europäische Gemeinschaft gemacht. Der klassisch liberale Ökonom verfolgt also die Brüsseler Politik schon sehr lange. „Das Ende der EUromatik – Neustart jetzt“ ist daher auch eine sehr kenntnisreiche Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Währung. Er beschreibt die Euro-Einführung als einen deutschen Plan, der die gemeinsame Währung als Preis für eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik vorsah. Dieser ursprüngliche Plan wurde im Zuge der Wiedervereinigung auf Druck Frankreichs wieder fallengelassen. Übrig blieb die gemeinsame Währung, die Mitterand zur Bedingung für die Zustimmung Frankreichs zur Wiedervereinigung machte.

Hart ins Gericht geht Vaubel mit den Präsidenten der EZB, insbesondere mit Mario Draghi. Während die EZB in den Europäischen Verträgen politikfern definiert und lediglich der Wahrung der Geldwertstabilität verpflichtet ist, verschoben Draghi und sein Vorgänger Jean-Claude Trichet die EZB immer stärker zu einer politischen Institution ohne jegliche Kontrolle. Vaubel belegt das mit zahlreichen Beispielen und vergleicht diese mit der politikfernen Rolle der früheren Bundesbank. Im Juni 2015 beteiligte sich Draghi am Fünf-Präsidenten-Bericht und forderte darin mehr Kompetenzen für die EU. Man stelle sich einmal vor, der Bundesbankpräsident hätte in den 1980er Jahren gemeinsam mit dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler Vorschläge für einen stärkeren Zentralismus in Deutschland gemacht. Oder der damalige Bundesbankpräsident hätte vorgeschlagen, den 1.000 DM-Schein abzuschaffen, um die Steuerhinterziehung und Bandenkriminalität zu bekämpfen. Oder die Bundesbank hätte sich an der Haushaltskontrolle der überschuldeten Bundesländer Bremen oder Saarland beteiligt, und die Umsetzung von Sparmaßnahmen überwacht. Es wäre unvorstellbar gewesen. All das geschieht aber heutzutage im Namen und in Verantwortung der Europäischen Zentralbank, obwohl Artikel 130 AEUV eindeutig regelt, dass „die Regierungen der Mitgliedsstaaten verpflichtet sind (…) nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“ Dies gilt nicht nur von Regierungen hin zur Zentralbank, sondern auch umgekehrt. Es „darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Entschlussorganen oder Einrichtungen der Union, der Regierungen der Mitgliedsstaaten einholen oder entgegenzunehmen.“

Besonders geht Vaubel richtigerweise auf die kollektiven Rechtsbrüche in der EU ein. Wo nur Mitgliedsstaaten gegen Vertragsverletzungen vorgehen können, aber diese sich in den Vertragsverletzungen einig sind, wird Recht beliebig. Die Mutter dieser kollektiven Rechtsbrüche war der Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Mai 2010. Nur Mitgliedsstaaten konnten dagegen klagen, aber keiner tat es. Seitdem kommt immer wieder ans Tageslicht, wie die nationalen Notenbanken durch eigene Liquiditätshilfen und überzogene Anleihenkäufe die Politik der EZB zusätzlich flankieren.

Die wachsende Zentralisierung sieht Vaubel in den Konstruktionsfehlern des institutionellen Aufbaus der EU. Nur die Kommission kann Gesetze vorschlagen. Das „Initiativmonopol für die Gesetzgebung“ erlaubt es der Kommission jede dezentrale Gesetzgebung der EU im Keim zu ersticken. Zum später gescheiterten Verfassungsvertrag der EU schlug 2004 die European Constitutional Group vor, das Initiativrecht von der Kommission im ersten Schritt auf den Rat und langfristig auf das Parlament der Europäischen Union zu verlagern. Auch institutionelle Änderungen bei der Besetzung der Richter des Gerichtshofs der Europäischen Union schlugen die Ökonomen um Roland Vaubel seinerzeit vor, um so die Interessen der Mitgliedsstaaten zu wahren.

Am Schluss des Buches finden sich Vorschläge, wie die Unabhängigkeit der EZB wieder hergestellt werden kann. Hier geht es Vaubel darum, dass die EZB erklärt, dass ihre Vertreter sich künftig aus politischen Gremien der EU fernhalten, und der EZB-Rat künftig darauf verzichtet, den Regierungen wirtschaftspolitische Bedingungen für geldpolitische Entscheidungen zu stellen.

Auch Vertragsänderungen gehören zu seinen Vorschlägen. Der Austritt und der Ausschluss aus dem Euro, ohne die EU verlassen zu müssen, gehören dazu. Interessant ist, dass er dabei auf eine bestehende Analogie in den EU-Verträgen verweist. Im Bereich der „strukturierten“ militärischen Zusammenarbeit (Artikel 46 Abs. 5 EUV) gibt es dieses Austrittsrecht bereits. Dort heißt es: „Wünscht ein teilnehmender Mitgliedsstaat von der ständigen strukturierten Zusammenarbeit Abstand zu nehmen, so teilt er seine Entscheidung dem Rat mit, der zur Kenntnis nimmt, dass die Teilnahme des betreffenden Mitgliedstaats beendet ist.“

Vaubel prognostiziert am Ende seines Buches eine Zunahme der Parteien, die in Frankreich, Italien und Finnland einen Austritt aus der Währungsunion fordern. Die Zunahme hängt seiner Auffassung nach mit dem zu hohen Preisniveau und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit in diesen Ländern zusammen. Er befürchtet aber, dass Deutschland dem Drängen Frankreichs und Italiens nachgibt, für die Eurozone ein gemeinsames Schatzamt und eine gemeinsame Einlagensicherung zu schaffen. Letztlich würden europäische Institutionen in die Haushaltspläne der Mitgliedsstaaten hineinregieren und das Budgetrecht der nationalen Parlamente weiter aushöhlen. Die aktuellen Reformpläne der Kommission von Mittwoch lassen diese Befürchtungen vielleicht bald Realität werden. Er plädiert in seinem überzeugenden Buch dagegen für einen Neustart. Dem kann man sich nicht deutlich genug anschließen!

Roland Vaubel: Das Ende der EUromantik – Neustart jetzt, Wiesbaden 2018.

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In der derzeitigen politischen Lage rückt plötzlich wieder das Parlament in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Sonst wird das Herz unserer Demokratie zugunsten der Regierung eher vernachlässigt. Es wird mehr auf seine Unabhängigkeit achten müssen, zumal die inzwischen sogar von ehemaligen Verfassungsrichtern in Frage gestellt wird.

Abgeordnete als Befehlsempfänger

Paul Kirchhof, der einst von Kanzler Schröder für seine sehr vernünftigen Vorschläge für eine Steuerreform als „Professor aus Heidelberg“ geschmähte ehemalige Bundesverfassungsrichter, hat dem Land schon einen Bärendienst erwiesen, indem er der Erhebung des Rundfunkbeitrags für jeden Haushalt den Weg geebnet hat. Nun hat er sich in einem Interview mit der FAZ dazu hinreißen lassen, einen Vorschlag zu machen, der an den Grundfesten unserer freiheitlichen Demokratie rüttelt. Angesichts der verfahrenen Situation bei der Koalitionsfindung empfiehlt er, „dass man die Parteien verpflichtet, vor der Wahl ihre Koalitionsaussage verbindlich zu treffen. … Dann hat derjenige, der, als Tandem oder zu dritt, die meisten Stimmen bekommen hat für seine Koalition, die Wahl gewonnen. Und der bekommt dann 50 Prozent der Sitze im Bundestag, sagen wir plus 5 oder 10, damit klare Mehrheiten da sind. Dann entscheidet der Wähler wieder mehrheitlich, wer als Mehrheit im Staat das Sagen haben soll.“

Das wäre eine eklatante Einschränkung des freien Mandats der Abgeordneten. Schon heute haben wir ein ernsthaftes Problem durch die euphemistisch als „Fraktionsdisziplin“ bezeichnete Praxis, die Abgeordneten mit Blick auf Parteiräson auf Linie zu bringen. Nötigenfalls auch noch mit dem Hinweis auf die Macht des Parteiapparats, der eine erneute Aufstellung auf der Liste oder im Wahlkreis verhindern könnte. Eine Umsetzung von Kirchhofs Vorschlag würde den Parteien noch viel mehr Macht geben. Ganz zu schweigen davon, dass das Grundgesetz in Artikel 38 sehr deutlich feststellt, dass die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Im Kirchhofschen Modell hätten sie über den Umweg der Partei, die sich festlegen muss, nur noch ein imperatives Mandat. Wie fatal das wäre, kann man in einer hervorragenden Rede nachlesen, die Verfassungsgerichts-Präsident Voßkuhle vor zwei Wochen gehalten hat, wo er darauf hinweist, das imperative Mandat sei „nicht nur offensichtlich antiparlamentarisch, sondern ermöglicht gerade einen ‚top-down‘-Regierungsstil.“

Kartoffelsuppe schlägt Machtkontrolle

Nun wäre es unfair, nur dem ehemaligen Verfassungsrichter Vorwürfe zu machen. Viele Akteure müssen sich an die Nase fassen, wenn es den Bedeutungsverlust des Parlaments zu beklagen gilt: Die Medien etwa, die sich weitaus mehr für das Handeln der Exekutive interessieren als für die Stimmen aus dem Parlament. Die Parteiführungen, die ihre eigene Machtfülle über Meinungsvielfalt und Diskurs stellen. Die Kanzlerinnen und Kanzler und alle Mitglieder der Exekutive, die das Hohe Haus oft wie einen Abstimmungsautomaten behandeln oder die „Quasselbude“ gleich ganz umgehen. Und schließlich auch die Wähler, die die Nachfrage dafür erzeugen, dass Parteien eigentlich nur noch Wahlen gewinnen, indem sie das „Spitzenpersonal“ ins Schaufenster stellen. Letztlich ist die Missachtung des Parlaments eben auch eine Folge der Sehnsucht nach der starken Frau oder dem starken Mann, der die Dinge für uns regelt.

Natürlich ist Macht faszinierend. Und die Mächtigen sind oft Gegenstand von Neugier und Faszination, von Bewunderung oder Verachtung. Während die halbe Republik an Merkels Kartoffelsuppen-Rezept interessiert ist, weiß kein Mensch, wer Michael Grosse-Brömer oder Carsten Schneider sind. Fachpolitiker im Parlament sind nur bekannt, wenn sie sich ganz penetrant in die Medien drängen. Der Philosoph Karl Popper beschrieb das Problem mit der Tatsache, dass wir immer wieder die Frage stellen: „Wer soll regieren?“ Unsere Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, die Person zu finden, die weise, kompetent, fürsorglich und stark genug ist, um ihr unser Geschick anzuvertrauen.

Wir brauchen furchtlose Abgeordnete!

Nun leben wir freilich nicht mehr in Umständen, unter denen eine solche Frage vielleicht Sinn ergeben mag, weil das Überleben des Stammes davon abhängt, dass das Führungspersonal aus den Besten besteht. Deshalb argumentiert Popper, dass wir uns in einer modernen oder wie er es nennt: offenen Gesellschaft eine andere Frage stellen müssen: „Wie können wir politische Institutionen so organisieren, dass es schlechten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzu großen Schaden anzurichten?“ Die Komplexität unserer Gesellschaft ist die Folge unserer wachsenden Fähigkeit, Entscheidungen selber fällen zu wollen und zu können – ohne auf einen Häuptling angewiesen zu sein. Friedrich August von Hayek schreibt: „Es ist ein Gesellschaftssystem, dessen Wirkungsweise nicht davon abhängt, dass wir gute Menschen finden, die es handhaben, oder davon, dass alle Menschen besser werden, als sie jetzt sind, sondern ein System, das aus allen Menschen in all ihrer Verschiedenheit und Kompliziertheit Nutzen zieht.“

Ein Ausdruck dieser Form der Entscheidungsfindung ist die Institution des Parlaments, wie es sich vor allem in Großbritannien und den USA herausgebildet hat. Es funktioniert nicht über das Prinzip der Anführerschaft, sondern des Diskurses, der gegenseitigen Kontrolle und des Interessensausgleichs. Anstatt die Parteien dazu zu zwingen, sich auf Koalitionsaussagen festzulegen, wäre der umgekehrte Weg dem Sinn des Parlaments entsprechend. Statt durchzuregieren, sollte die Exekutive wieder viel stärker gezwungen sein, bei den Abgeordneten um Unterstützung zu werben. Nicht die Abgeordneten sollten vor der Kanzlerin buckeln. Vielmehr sollten sie und ihr Kabinett als Bittsteller bei denjenigen auftreten, die den Auftrag haben, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Es wäre sehr zu wünschen, dass die Abgeordneten die derzeitige Situation nutzen, um wieder neues Selbstbewusstsein zu gewinnen und ihrer Aufgabe gerecht zu werden, indem sie furchtlos auftreten gegenüber den Mächtigen in Regierung und Parteizentralen. Denn das Herz unserer Demokratie schlägt nicht dort, sondern im Plenarsaal.

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Bislang war der Widerstand der Zeitungsverlage gegen die Ausweitung von ARD und ZDF im Netz sehr verhalten. Jetzt hat Springer-Vorstand Matthias Döpfner die Zurückhaltung aufgegeben. Das ist bemerkenswert, denn Döpfner ist auch Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, und vertritt damit die geballte Zeitungsbranche in Deutschland. Diese hat es ohnehin schwer. Sinkende Auflagen machen den Verlagen zu schaffen. Gleichzeitig treffen sie auf einen Wettbewerber, der vom Staat privilegiert wird. Diese Wettbewerbsverzerrung ist enorm. Das Beitragsaufkommen, das die Beitragszahler an ARD und ZDF abliefern müssen, liegt derzeit bei rund 8 Milliarden Euro. Deutschland leistet sich den teuersten öffentlichen Rundfunk der Welt mit über 20 Fernsehprogrammen und über 60 Radioprogramme. Das geht längst weit über die Grundversorgung hinaus, obwohl schon länger die Akzeptanz der Zuschauer dramatisch sinkt. Sie werden weniger und immer älter. Jüngere Zuschauer wandern zu Streaming-Diensten wie Netflix und Amazon Prime ab oder informieren sich im Internet und schauen Youtube-Videos.

Für die Zeitungsverlage ist die Lage besonders schwierig. Denn sie müssen nicht nur das veränderte Nutzerverhalten durch die Digitalisierung bewältigen, sondern auch den durch Zwangsbeiträge finanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern Paroli bieten. Neue Geschäftsmodelle zu etablieren, ist für die Verlage teuer, aufwendig und risikoreich. Deshalb ist es mitunter ein existenzielles Problem, dass die ARD mit ihrer kostenlosen Tagesschau-App das Geschäftsmodell vieler Medienhäuser untergräbt.

In Deutschland habe rund ein Drittel der Verlage ein Bezahlangebot im Internet, so Döpfner. In Amerika seien es zwei Drittel. Döpfner begründet diese Diskrepanz damit, dass die Zwangsbeiträge für ARD und ZDF von monatlich 17,50 Euro das Medienbudget vieler Haushalte verschlinge, und deshalb kein Geld mehr für ein Zeitungsabo oder für andere bezahlte Inhalte übrig sei. Otto-Normal-Verbraucher kann das Geld eben nur einmal ausgeben.

Diese Entwicklung, dass ARD und ZDF sich immer mehr im Internet tummeln und textliche Angebote präsentieren, ändere sich nicht, weil aus der Politik kein Gegenwind komme. Kaum ein Politiker wage es, sich mit den Öffentlich-Rechtlichen anzulegen, weil man auf deren Wohlwollen angewiesen sei. Das mag der Hauptgrund sein. Doch auch bei den Journalisten bei Zeitungen und im privatfinanzierten Fernsehen ist dieser Widerstand nur unzureichend ausgeprägt. Wahrscheinlich denken auch Journalisten daran, dass sie irgendwann einmal die Möglichkeit erhalten, die Seiten zu wechseln und zu den Öffentlich-Rechtlichen zu gehen. Das Auskommen von Journalisten bei ARD und ZDF sind attraktiv und auch die wachsenden Pensionslasten bei den Öffentlich-Rechtlichen sprechen für diese These.

War im Nachkriegsdeutschland der öffentlich-rechtliche Rundfunk zunächst eine Möglichkeit, um Meinungsvielfalt und Grundlagen für den demokratischen Rechtsstaat aufzubauen und durchzusetzen, so ist heute der wachsende Einfluss der öffentlichen Sender und ihre Verbreitung im Internet mit textlichen Inhalten eine Gefahr für ebendiese Meinungsvielfalt und damit für die Demokratie in unserem Land. Denn wenn ARD und ZDF mit ihren Beitragsmilliarden jede Marktentwicklung, jedes Geschäftsmodell und jede Idee sofort adaptieren können, und dies ohne Risiko für die Öffentlich-Rechtlichen möglich ist, dann hat kein privates Angebot dagegen eine Chance.

In seiner Rede verwendete Döpfner auch die Drohkulisse von nordkoreanischen Verhältnissen. Nach empörten Reaktionen seitens der Öffentlichen erklärte der Zeitungsverlegerverband  dazu: „Sollte sich hingegen ein Szenario durchsetzen, in dem es nur noch öffentlich-rechtliche Sender im Netz, aber keine privaten Verlage mehr gebe, dann wäre dieses Szenario, in dem es „nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz“ geben würde, „eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea“. Das ist, betonte der Verband, kein Vergleich der ARD mit Nordkorea, sondern – im Gegenteil – der Appell, ein solches Szenario zu vermeiden.“

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Am Sonntag wird der 19. Bundestag gewählt. Zeit, sich einmal wieder mit der Frage zu beschäftigen, was die Aufgabe des Parlaments in einer Demokratie sein sollte. Denn es herrschen da mancherlei Missverständnisse.

Wir wählen nicht die Regierung, sondern deren Kontrolleure

Wenn die Bürger jetzt an die Urnen treten, wird nicht der Bundeskanzler oder irgendein anderer Spitzenkandidat gewählt. Es wird auch nicht die Regierung gewählt – genauso wenig wie eine Koalition oder auch nur eine Partei (auch wenn bedauerlicherweise der Wahl-O-Mat etwas anderes suggeriert). Gewählt werden Abgeordnete: zum einen Teil als Repräsentanten der Wahlkreise und zum anderen Teil als Kandidaten, die von den Parteien für die Landeslisten aufgestellt wurden. Der Wahlkampf der Parteien lässt bisweilen einen etwas anderen Eindruck entstehen. Das ist freilich ein tief in der Geschichte der Bundesrepublik verwurzeltes Phänomen. Die meisten Wahlen in den ersten Jahren des neugegründeten Staates waren Adenauer-Wahlen. 1972 propagierte die SPD „Willy wählen“. Selbst die Grünen haben sich irgendwann dazu durchgerungen, Spitzenkandidaten zu benennen. All das hat dazu geführt, dass sich in der Bevölkerung ebenso wie in der politischen Klasse eine gravierende Veränderung im Verständnis der Aufgaben des Parlaments ergeben hat. Die Leute, die sich etwa in der Glorious Revolution oder während der kurzen deutschen Revolution von 1848 für die Rechte des Parlaments eingesetzt hatten, drehen sich im Grabe herum.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten durchaus gute Gründe dafür, an diese ehrwürdige Tradition anzuknüpfen. Schon der Erste Weltkrieg hatte mit einem unrühmlichen Kriegsermächtigungsgesetz begonnen, in dem viele Kompetenzen vom Reichstag auf die Regierung übertragen worden waren. Und erst recht saß vielen von ihnen die Erinnerung an den Beginn der NS-Diktatur im Nacken, die mit der Selbstentmachtung des Reichstags am 24. März 1933 ihren unheilvollen Anfang genommen hatte. Das Parlament sollte nicht wieder zum Jubelverein der Regierung werden. Seine Aufgabe sollte vielmehr sein, wie es schon 1659 die englischen Abgeordneten formulierten, „die Freiheit der Bürger gegen die Willkür der Regierung zu schützen“.

Gewissensentscheidungen sollten nicht die Ausnahme sein

Wenn wir unser Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen, dann wählen wir, zumindest technisch gesehen, nicht eine Partei, sondern Frau Müller oder Herrn Meyer. Es ist gut möglich, dass Frau Müller auch antritt mit dem Versprechen, ihrerseits dann eine bestimmte Person zum Kanzler zu wählen. Aber sowohl in der Tradition des Parlamentarismus als auch im Wortlaut unseres Grundgesetzes ist klar: Aufgabe der Abgeordneten ist es nicht, die Wünsche eines Parteiführers zu erfüllen oder einer Regierung zu Diensten zu sein. Sie sind auch nicht Befehlsempfänger ihrer Wähler. Ihre vornehmste und wichtigste, ja unverzichtbare, Aufgabe ist die Kontrolle der Regierung. Sie müssen dem Finanzminister auf die Finger schauen, wenn er das Scheckbuch zückt; der Innenministerin, wenn sie die Überwachung ausdehnt; und dem Verkehrsminister, wenn unter seiner Verantwortung Geld im Nirwana verschwindet.

Hierzulande – wie in vielen anderen Demokratien auch – ist der Abgeordnete oft viel zu sehr eingeschränkt. Wie aberwitzig, dass es als besondere Ausnahme, fast als huldvoller Gunsterweis, dargestellt wird, wenn die Abstimmung einmal „freigegeben“ wird. Nicht der Fraktionszwang muss sich rechtfertigen, sondern die Gewissensentscheidung steht unter Druck. Es ist der erdrückenden Macht der Parteien geschuldet, dass sich kaum ein Abgeordneter traut, konsequent seinem Gewissen zu folgen, wie es das Grundgesetz vorsieht. Die Parteien bilden in gewisser Weise die Exekutive nach. Indem sie das einzige Umfeld sind, in dem man realistischerweise an ein Parlamentsmandat kommen kann, können sie die Trennung der Staatsgewalten und mithin die Kontrollfunktion des Parlaments unterminieren.

Wächter wählen, nicht Ja-Sager

Wie wählt man denn nun richtig? Wählen Sie nicht die Regierung, sondern wählen Sie diejenigen, denen Sie am ehesten zutrauen, die Kontrollfunktion gewissenhaft auszuüben. Insofern kann es durchaus Sinn ergeben, Abgeordnete zu wählen, die wahrscheinlich in der Opposition landen werden – denn hier können sie eventuell ungehinderter kontrollieren. Eine reine Protestwahl hingegen kann oft gerade den Mächtigen in die Hände spielen. Wer sich die Arbeitsweise linker und rechter Protestparteien in Bundestag und Landtagen genauer ansieht, kann sehen, dass sie ihre eigentliche Verantwortung zugunsten von Fundamentalopposition und Effekthascherei aufgeben. Richtig wählt man, indem man eine bewusste Entscheidung trifft. Indem man sich mit den Kandidatinnen und Kandidaten auf dem Wahlzettel und den Landeslisten auseinandersetzt.

Ludwig von Mises beobachtete schon vor neunzig Jahren in seinem Buch „Liberalismus“: „Jede einzelne Partei und Parteigruppe fühlt sich ausschließlich zur Vertretung bestimmter Sonderinteressen berufen, die sie ohne alle Rücksicht durchzusetzen bestrebt ist. Aus den Staatskassen soviel als möglich den ‚Eigenen‘ zukommen zu lassen, sie durch Schutzzölle, Einwanderungsverbote, durch ‚sozialpolitische‘ Gesetze, durch Vorrechte aller Art auf Kosten der anderen Teile der Gesellschaft zu begünstigen, ist das Um und Auf ihrer Politik.“ Wir brauchen auch heute in Deutschland dringend Frauen und Männer, die sich dem entgegenstellen. Wir brauchen Menschen, die ihrem Gewissen folgen. Wir brauchen Leute, die nicht selber Teil des Systems der Macht werden, sondern dieses System scharf beobachten und ihre Stimme erheben, um die Bürger vor Willkür und Machtmissbrauch zu schützen. Deshalb sind nämlich in den letzten Jahrhunderten immer wieder die Menschen in England, Frankreich, den USA, Polen und auch hierzulande auf die Straße gegangen und haben mitunter ihr Leben riskiert. Dieses Erbe sollten wir nicht verspielen, sondern ehren, indem wir eine verantwortliche Wahl treffen.

Photo: Rene Schwietzke from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Je ungleicher die Einkommen in einem Land verteilt sind, desto umverteilungsskeptischer sind die Einkommensschwachen. Diesen zunächst wenig intuitiven Befund legt der italienischen Soziologe Renzo Carriero in einem 2016 veröffentlichten Papier vor. Andere Studien legen allerdings nahe, dass Carrieros vermeintlich paradoxe Beobachtung in der Praxis wenig Bedeutung hat. Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung wirtschaftlicher Ungleichheit. Zudem schätzen die meisten Menschen das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit und ihre eigenen Position in der Einkommensverteilung falsch ein. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Ungleiche Einkommen, gleiche Umverteilungspräferenzen

Soziologische Studien stoßen immer wieder auf ein vermeintliches Paradoxon: Menschen in Ländern mit hoher Einkommensungleichheit haben über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg relativ ähnliche Präferenzen bezüglich der Umverteilung von Einkommen über Steuern und Transfers, während die Präferenzen von Menschen in gleicheren Gesellschaften stärker divergieren. Der Befund widerspricht der Intuition einer am eigenen Wohl orientierten Präferenz zunächst. Sollten Menschen mit geringem Einkommen nicht gerade in ungleichen Gesellschaften stark für Umverteilung sein, weil sie viel zu gewinnen haben? Und sollten Menschen mit hohen Einkommen in ungleichen Gesellschaften nicht eine starke Abneigung gegen Umverteilung haben, weil sie viel zu verlieren haben?

Vermuteten Soziologen in der Vergangenheit, dass die abnehmenden Präferenzunterschiede in ungleichen Gesellschaften darauf zurückzuführen seien, dass Wohlhalbenden in Umverteilung einen Schutzmechanismus gegen soziale Unruhen und Kriminalität sähen, findet Carriero, dass der Grund für die Konvergenz von Präferenzen bei den relativ Armen liegt: Je ungleicher die Einkommensverteilung, desto schwächer sei deren Präferenz für Umverteilung.

In der deutschsprachigen Presse lud das Ergebnis von Carrieros Analyse zu pessimistischen Spekulationen ein: „Warum unterstützen Menschen eine Politik, die ihren wirtschaftlichen Interessen zu widersprechen scheint“ (Der Spiegel)? Kann es sein, dass der Egalitarismus in ungleichen Gesellschaften als „Gesinnung der Verlierer“ stigmatisiert wird (FAZ)? Macht sich dort der Mythos breit, dass jedermann sozial aufsteigen könne und Umverteilung daher unnötig sei (Die Presse)?

Kausale Interpretation unklar

Carriero spekuliert, dies könne daran liegen, dass die soziale Mobilität in ungleicheren Ländern als stärker ausgeprägt wahrgenommen wird – selbst wenn empirische Studien zeigen, dass die soziale Mobilität tatsächlich in gleicheren Gesellschaften höher ist. Möglich sei auch, dass Ungleichheit legitimierende politische Ideologien in ungleichen Gesellschaften leichter Fuß fassen und durch Medien sowie einflussreiche Interessengruppen reproduziert würden.

Wenngleich die Studie auf einem repräsentativen Datensatz beruht und für weitere Einflussfaktoren wie das Niveau der Sozialleistungen oder die ethnische Homogenität einer Gesellschaft kontrolliert, taugt Carrieros Analyse nicht zur Identifikation eines kausalen Effekts. So ist es durchaus möglich, dass die Kausalität im von ihm beobachtete Zusammenhang zwischen Ungleichheit und abnehmender Umverteilungspräferenz entgegengesetzt wirkt: Wo die Menschen über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg weniger Umverteilung wünschen, da verteilt die Politik weniger um, was sich wiederum in höherer Einkommensungleichheit manifestiert. Carrieros Studie ist auf 44 Länder Europas beschränkt, darunter vornehmlich entwickelte Demokratien. Dass die getroffenen politischen Maßnahmen in diesen mit den Präferenzen der Wähler korreliert sind, ist nicht allzu überraschend.

Ungleichheit wird überschätzt

Selbst für den Fall, dass der von Carriero vermutete Zusammenhang tatsächlich besteht, ist jedoch fraglich, wie relevant er für die wirtschaftspolitische Diskussion ist. Die meisten Menschen schätzen das Ausmaß der Einkommensungleichheit, gemessen etwa anhand des Gini-Koeffizienten, falsch ein. Judith Niehues zeigt für 24 Länder, darunter Deutschland, dass die tatsächliche Ungleichheit meist überschätzt wird.

So waren die 2009 Befragten in Deutschland im Durchschnitt der Ansicht, dass weniger als ein Drittel (30,2%) der Deutschen zur Mittelschicht gehören (mit einem Nettoeinkommen von 80 bis 150% des Medianeinkommens). In der durch relatives Armutsrisiko (60% des Medianeinkommens) definierte Gruppe sahen die Befragten ein Viertel der Bevölkerung. Tatsächlich war fast die Hälfte der Deutschen (48,1%) Teil der Mittelschicht und nur 15,6% der Bevölkerung lebten mit einem relativen Armutsrisiko.

 

 

Da individuelle Umverteilungspräferenzen auf Basis subjektiver Einschätzungen gebildet werden und der Einfluss der gemessenen Ungleichheit auf die wahrgenommene Ungleichheit sehr beschränkt ist, wird auch die Einstellung zur Umverteilung nur schwach von der tatsächlichen Ungleichheit beeinflusst.

Weshalb fand Carrieros Befund trotz dessen geringer praktischer Relevanz so viel Beachtung in den Medien? Ein Grund könnte in der weit verbreiteten Vorstellung liegen, wirtschaftliche Ungleichheit sei das zentrale Problem westlicher Gesellschaften.

Wachstum in den Fokus rücken

Die großen Garanten steigenden Wohlergehens sind seit der industriellen Revolution wettbewerblich organisierte offene Märkte, eingebettet in demokratische Systeme. In marktwirtschaftlich organisierten Demokratien lebende Menschen sind heute etwa 40mal so reich wie ihre vor drei Jahrhunderten lebenden Vorfahren. Gelänge es, das seit Beginn des Jahrtausends durchschnittlich bei nur 1% liegende jährliche Wirtschaftswachstum auf 2% zu heben, so wäre schon in etwa 35 statt 70 Jahren ein 80mal so hohes Wohlstandsniveau erreicht. Von derartig massivem Wachstum profitieren alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Umverteilung von Einkommen zwischen einzelnen Gruppen bei gegebenem niedrigerem Wachstum verliert im Vergleich zu derartigen, innerhalb einer Generation möglichen, Wohlstandssteigerungen an Wichtigkeit – selbst für die von Transfers profitierenden Mitglieder der Gesellschaft. Nicht wirtschaftliche Ungleichheit sollte daher im Fokus der Debatte stehen, sondern die Voraussetzungen für stärkeres Wachstum.

Erstmals erschienen bei IREF.