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Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Bundesfinanzminister Scholz schlägt vor, einen Fonds für die Arbeitslosenversicherungen der Euro-Staaten zu etablieren. Aus ihm sollen Euroländer, deren Arbeitslosenquote auf ein hohes Niveau steigt, subventionierte Kredite erhalten können. Gespeist würde der Fonds aus den Beiträgen aller Versicherten.

Wie begründet Olaf Scholz seinen Vorschlag? Es müsse vermieden werden, dass ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit ansteigt, so wie zum Beispiel Deutschland in der Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosenunterstützung kürzt. Das kommt bei seinen Parteifreunden gut an, führt aber in die Irre. Wir befinden uns nicht in den dreißiger Jahren. Seit mindestens achtzig Jahren besteht unter den Ökonomen und Wirtschaftspolitikern Einigkeit, dass es falsch ist, in der Rezession die Arbeitslosenunterstützung zu kürzen. Denn die Arbeitslosenversicherung ist ein automatischer Stabilisator der Güternachfrage. Wenn heute in einem europäischen Land  die Arbeitslosigkeit konjunkturbedingt zunimmt und die Reserven der Arbeitslosenversicherung nicht ausreichen, erhöht der Staat seine Neuverschuldung, d.h., er geht an den Kapitalmarkt. Das hat zur Folge, dass der Realzins am inländischen Kapitalmarkt steigt und Kapital aus dem Ausland zufließt. Der konjunkturelle Schock wird damit vom gesamten Weltkapitalmarkt absorbiert. Das ist eindeutig effizienter als ein Kreditmechanismus, der auf die Arbeitslosenversicherungen der Euro-Staaten beschränkt ist.

Effizient ist auch, dass sich der Staat am Kapitalmarkt nur zu Marktkonditionen verschulden kann. Die Kredite zwischen den Arbeitslosenversicherungen würden dagegen subventioniert, um den Markt zu unterbieten und um “internationale Solidarität” zu beweisen. Damit würde jedoch die effizientere Marktfinanzierung verdrängt und der Anreiz, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, geschwächt.

Wenn in einem einzelnen Land der Eurozone die Arbeitslosenquote auf ein hohes Niveau steigt, haben typischerweise die Wirtschaftspolitiker und/oder die Tarifparteien versagt. Sie haben entweder selbst einen negativen asymmetrischen Schock erzeugt oder auf einen symmetrischen, die ganze Eurozone treffenden Schock – wie zum Beispiel die Finanzmarktkrise von 2008 – schlechter als die anderen Euro-Staaten reagiert. In beiden Fällen gilt: Fehlverhalten sollte nicht mit Subventionen belohnt werden. Jeder sollte für seine eigenen Fehler haften.

Man mag einwenden, dass das Defizit-Limit des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wenn es denn eingehalten wird, einer rezessionsbedingten Neuverschuldung enge Grenzen setzt. Das Drei-Prozent-Limit wurde jedoch 1995 anhand von Simulationen für die vorangegangenen Jahrzehnte explizit so bemessen, dass genug Spielraum für das Wirken der automatischen Stabilisatoren bleibt, wenn der konjunkturbereinigte Haushalt  ausgeglichen ist. Wenn die Kredite des Fonds nicht auf die staatliche Neuverschuldung angerechnet werden, was wahrscheinlich ist, entfällt sogar das Ziel eines ausgeglichenen konjunkturbereinigten Haushalts. Denn da der Fonds einspringt, braucht der Staat für den Fall einer Rezession weniger Verschuldungsspielraum am Markt. Die Regierung kann deshalb im konjunkturneutralen Zustand ein Haushaltsdefizit riskieren. Olaf Scholz will dieses Anreizproblem dadurch lösen, dass Länder, die ein konjunkturbereinigtes Haushaltsdefizit haben, von den Krediten des Fonds ausgeschlossen würden. Darüber, ob der Haushalt im konjunkturneutralen Zustand ausgeglichen wäre, gehen die Meinungen jedoch oft weit auseinander. Häufig besteht noch nicht einmal Einigkeit darüber, welcher Zustand konjunkturneutral ist. Es käme zu ständigem Streit, was dem Ziel der Völkerverständigung widerspricht, und im Zweifel würden Kommission und Gerichtshof beide Augen zudrücken und zugunsten großzügiger Euro-Fonds-Kredite entscheiden.

Eine Simulation des Scholz-Plans für den Zeitraum 2000 bis 2016 ergab in beiden untersuchten Varianten, dass Deutschland der Hauptkreditgeber und Spanien und Griechenland die Hauptkreditnehmer gewesen wären.

Zuerst veröffentlicht unter politik.der-privatinvestor.de

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Stehen wir vor einer Rezession in Deutschland oder haben wir sie bereits? Das Wachstum in Deutschland im vierten Quartal 2018 lag bei 0,02 Prozent. Im Vorquartal bei minus 0,2 Prozent. Trotz dieser Zahlen sprechen einige Aspekte dagegen.

In weiten Teilen des Landes herrscht faktische Vollbeschäftigung. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sind seit der Deutschen Einheit noch nie so niedrig gewesen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten noch nie so hoch. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht erkennbar zurück und die Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften sinken auf ein historisch niedriges Niveau. Inzwischen hat sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Arbeitgeber suchen schier verzweifelt LKW-Fahrer, Handwerksgesellen und Facharbeiter. Im gewerblichen Bereich sind viele Ausbildungsplätze nicht besetzt. Wahrscheinlich wird dieser Mangel sich weiter verschärfen.

Die Wachstumsschwäche ist in erster Linie dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geschuldet. Aufträge können nicht mehr in der geplanten Form abgearbeitet oder neue angenommen werden. Das drückt auf Umsatz und Gewinn der Unternehmen. Weniger Gewinn bedeutet meist weniger Investitionen. Um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, muss mehr aufgewendet werden.

In diesem wirtschaftlichen Umfeld kommen Arbeitnehmer zunehmend in eine Position der Stärke. Sie können Bedingungen stellen, die viele Jahre als Hirngespinste der Gewerkschaften gegeißelt wurden. Auch die Diskussion über mehr Freizeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf rücken stärker in den Fokus. Darauf muss auch der Gesetzgeber reagieren. Nicht so sehr dadurch, dass er noch stärker in die Tarifautonomie und die Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingreift, sondern indem er mehr Freiräume zulässt.

Das Land Nordrhein-Westfalen geht am heutigen Freitag im Bundesrat einen ersten Schritt. In einem Entschließungsantrag fordert die NRW-Landesregierung eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes. Darin heißt es, dass „eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitszeitgestaltung“ erforderlich sei. Das wäre tatsächlich zu begrüßen. Heute sind das Arbeitszeitgesetz, die Arbeitsstättenverordnung und viele andere Rahmenbedingungen letztlich arbeitnehmerfeindlich. Denn sie verhindern vielfach, dass Arbeitnehmer ihre Lebensziele mit ihrer Berufstätigkeit verbinden können. Aber genau das wäre oftmals im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Denn viele Alleinerziehende wollen vielleicht mobil arbeiten, wenn das Kind in der Schule ist, und es anschließend betreuen. Abends wenn das Kind schläft, kann dann vielleicht noch 2 Stunden gearbeitet werden. Dieses lebenswirkliche Modell scheitert am Arbeitszeitgesetz. Es schreibt eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden vor und eine elfstündige Ruhezeit.

Das Arbeiten von Zuhause darf möglichst auch nicht unter dem Stichwort Telearbeit laufen, denn dann schlägt die volle Wucht der Arbeitstättenverordnung zu. Das fängt beim Mobiliar an und hört bei der Bildschirmarbeitsverordnung nicht auf. Die Fürsorgepflicht und die Verantwortung für die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeiter hat der Gesetzgeber auch für diese Arbeitsplätze definiert. Die Frage der Kommunikation mit dem Firmennetzwerk, Fragen des Datenschutzes und vieles mehr sind dabei noch gar nicht beantwortet. Fakt ist: so wird das nichts. Wer als Arbeitgeber und Arbeitnehmer diesen Umstand umgehen will, kann dies nur durch eine Vereinbarung über „mobiles Arbeit“ bewerkstelligen, also das ortsungebundene Arbeiten mit dem Laptop. Doch auch hier gilt Vorsicht an der Bahnsteigkante. Wenn der Arbeitnehmer sich mehr als 2 Stunden täglich oder 30 Tage pro Jahr an einem bestimmten Ort aufhält, dann funktioniert das flexible mobile Arbeiten nicht mehr, sondern dann handelt es sich um eine Betriebstätte mit allen Rechtsfolgen.

Will man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, dann müssen diese Regelungen der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Unternehmen dürfen nicht in die rechtliche Grauzone gedrängt werden und Arbeitnehmern muss es möglich sein, flexible Modelle mit seinem Arbeitgeber auszuhandeln. Am Ende wäre die individuelle Freiheit gestärkt. Das erfordert aber eine Umkehr im Denken. Dann ist der Arbeitnehmer nicht mehr der Schwache, Bedürftige und Hilflose, oder wie Marx sagen würde: der Entfremdete, sondern derjenige der sein Lebensglück selbst in die Hand nehmen will und kann.

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Selbstständige und Unternehmer sind nicht notwendigerweise Freunde der Marktwirtschaft. Sie sind zwar Marktakteure, aber oft wollen sie nur die Chancen des Marktes nutzen, die Risiken aber möglichst ausschließen. Neue Wettbewerber werden nicht geschätzt, sondern lieber außen vorgelassen. Oft bündeln diese Unternehmer ihre Interessen, um schlagkräftiger gegenüber der Regierung und dem Parlament auftreten zu können. Dies führt zuweilen zu überhöhten Normen und Standards, die dann als Markteintrittsbarrieren dienen. Zusätzliche Anbieter können nur noch mit hohem Aufwand mitmachen. Die Folge ist: zusätzliche Angebote bleiben aus und die Preise bleiben hoch. Die Unternehmer, die drin sind, argumentieren mit der Qualität der Leistung, die der Kunde nicht ausreichend beurteilen könne.

Nicht nur von einigen Unternehmern wird so argumentiert. Es ist auch die Sprachregelung der institutionalisierten „Verbraucherschützer“. Sie glauben, dass es eine Informationsasymmetrie gibt, die dazu führt, dass nicht beide Vertragsparteien über das gleiche Wissen verfügen. Deshalb müsse der schwächere Vertragspartner, der Verbraucher, vom Staat geschützt werden. Viele Interessenvertreter verkennen dabei, dass in einer Marktwirtschaft nie beide Seiten über gleiche Informationen verfügen können. Der so genannte Verbraucher ist auch nicht immer der Schwächere. Er verändert mit seinem Kaufverhalten ganze Branchen. Die Versandhändler Quelle und Neckermann können ein Lied davon singen. Oft ist das Argument des Verbraucherschutzes nur vorgeschoben. Den zu schützenden Unternehmen dient es dazu, sich gegen quirlige Wettbewerber besser zu behaupten, und der Regierung dazu, die Bürger an die Hand zu nehmen. Vater Staat kümmert sich schon um die kleinen Bürgerlein.

Freier Wettbewerb ist anstrengend, senkt die Margen und macht zuweilen auch die Preise kaputt. Doch das ist gut für die Kunden und Konsumenten. Sie haben eine größere Auswahl zu niedrigeren Preisen. Eines der Kernmerkmale dieses freien Wettbewerbes ist die freie Berufswahl, die seit den Stein-Hardenbergschen Reformen von 1810 erst in Preußen und später in ganz Deutschland gilt. Sie wurde nach dem verlorenen Krieg gegen Napoleon eingeführt, weil der ökonomische Druck den preußischen Staat zu umfassenden Reformen zwang.

Nicht ganz so prekär wie im frühen 19. Jahrhundert war Anfang der 2000er Jahre die ökonomische Situation in Deutschland. Dennoch plagte die damalige rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder eine hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation. Deutschland war der kranke Mann Europas. Die Agenda 2010 war die Antwort Schröders und seines Wirtschaftsministers Wolfgang Clement darauf. Vieles, was lange in der Wissenschaft und in regierungsnahen Beratergremien diskutiert und niedergeschrieben wurde, war plötzlich en vogue. Ein Thema, was über Jahrzehnte die Gemüter bewegte, war der Meisterzwang (großer Befähigungsnachweis) im Handwerk.

Handwerkskammern, Politiker und Interessenvertreter klammerten sich daran. Den Anstoß für die Änderung gab letztlich die EU. Der EuGH verwarf 2000 die damalige Handwerksordnung, da sie dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit widersprach. Seit 2004 gilt ein reduziertes Verzeichnis der Gewerbe, die als „zulassungspflichtige Handwerke“ betrieben werden können. Sie sind in Anlage A der Handwerksordnung aufgeführt. Die 41 Berufe reichen von Brunnenbauer bis Vulkaniseur. Sie kennzeichnet ihre „Gefahrgeneigtheit“ und sie weisen eine hohe „Ausbildungsleistung“ aus. Frühere meisterpflichtige Gewerke wie Fliesenleger und Rolladenbauer sind in der Anlage B erfasst und benötigen keinen Meisterbrief zur Selbstständigkeit. Die Interessenvertreter des Handwerks wollen diese wieder dem Meisterzwang aussetzen, um sie vor günstiger Konkurrenz zu schützen.

Jetzt werden zusätzliche Kriterien diskutiert, um diese Berufsfelder in die Gruppe der geschützten Gewerke aufzunehmen. Der Verbraucher- und Umweltschutz, Energieeinsparung oder der „Erhalt des Kulturgutes“ werden dabei genannt. Und wieder trommeln die Verbände und Kammern dafür. Der Wirtschaftsminister und die Koalitionsparteien sind bereits auf ihrer Seite.

Doch es wäre der falsche Schritt. Stattdessen müsste eigentlich die Liste der 41 Gewerke überprüft werden, die nach wie vor einen großen Befähigungsnachweis für die Selbständigkeit benötigen. Deren Rückgang hat der Meisterzwang nicht aufgehalten. In manchen Regionen gibt es beispielsweise keinen einzigen Fleischer mehr, der selbst schlachtet. Es wird auch nicht mehr in entsprechender Anzahl ausgebildet, da nicht nur die Anzahl der Betriebe insgesamt rückläufig ist, sondern auch das Interesse junger Menschen Fleischer zu werden schwindet. Das kann man beklagen, jedoch hat der große Befähigungsnachweis daran nichts geändert. Heute ist, auch das kann man beklagen, die Fleischverarbeitung meist ein großindustrielles Gewerbe. Die Ursache ist nicht nur der internationale Wettbewerb, sondern auch die hohen Hygiene-, Umwelt- und Dokumentationsstandards, die viele selbständige Fleischer zur Aufgabe gezwungen haben. Man sagt, Handwerk habe goldenen Boden. Das stimmt sicherlich. Wer Handwerker im Baunebengewerbe sucht, kann ein Lied davon singen. Wahrscheinlich werden junge Handwerker in dieser Branche in wenigen Jahren ein wesentlich besseres Auskommen haben als viele der Bachelorabsolventen, die derzeit an den Hochschulen ausgebildet werden.

Die Stein-Hardenbergschen Reformen machten 1810 nicht nur den Weg frei für eine Gewerbefreiheit, sondern beseitigten auch den Meisterzwang für das Handwerk. Diese Reform war einer der entscheidenden Schritte für den ökonomischen Aufstieg Deutschlands Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts. Daran sollten wir wieder anknüpfen.

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Von Matthias Still, Unternehmer und PR-Berater, Fackelträger bei Prometheus.

Schon wieder eine Woche rum und der Elektriker hat sich nicht gemeldet! „So ein Mist“, denke ich mir. Allmählich nervt es, ihm hinterher zu telefonieren und zu -mailen. Was war passiert? Vor einem halben Jahr bin ich mit der Familie umgezogen. Die Wohnung ist größer, die Gegend grüner und – hurra! – wir sind jetzt Immobilienbesitzer. Alles prima soweit. Aber es ist dann doch noch nicht alles ganz fertig. Hier und da fehlt ein passendes Möbelstück und – jetzt kommt der Elektriker ins Spiel – die Lampen im Flur neben dem Spiegel müssen noch angebracht werden. Bei einem solchen Auftrag kann der Elektriker natürlich im Anschluss keine dicke Rechnung schreiben, sondern eher eine dünne. Und weil er das weiß, meldet er sich nicht und macht erst einmal die Aufträge mit den dicken Rechnungen. Rein betriebswirtschaftlich kann ich ihm das nicht verübeln, aber die Lampen im Flur, die fehlen einfach!

So wie mir geht es derzeit vielen Tausend anderen Menschen in Deutschland, die auf die Idee kommen zu bauen, zu sanieren, zu renovieren oder einfach nur ein paar Kleinigkeiten von Handwerkern erledigen zu lassen. Denn es geht ihnen gut wie nie. Wer schrauben, hämmern oder sägen kann, wird reich. Zumindest ein bisschen. Der Grund dafür ist der Immobilien-Boom: Alle kaufen wie verrückt Häuser und Wohnungen. Und ein Grund dafür sind wiederum die niedrigen Zinsen, aber das ist ein Extra-Thema.

Weil nun derzeit alle ihr Geld in Immobilien stecken, können sich Handwerker gar nicht retten vor Aufträgen. Der Fachkräftemangel hat sie voll erwischt. Diese Erfahrung ist im Handwerk neu – bei Ingenieuren, Programmierern, Alten- oder Krankenpflegern kennt man das schon länger. Die, die schon da sind, sind ausgelastet und gute Nachwuchskräfte sind so selten wie Rohdiamanten.

Und was besonders unglücklich ist: Das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Ganz im Gegenteil! Warum das so ist, ist recht schnell erklärt: Es gibt immer mehr ältere Menschen in Deutschland und immer weniger junge. Auch wenn die Zahl der Geburten derzeit minimal nach oben geht, ändert das am Gesamttrend nichts. Zumal rund die Hälfte der Deutschen im nachwuchsproduzierfähigen Alter gar kein Interesse an Kindern hat, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung herausgefunden hat.

Die Folge davon: Es gibt schlichtweg viel zu wenig junge Menschen, die Programmierer, Ingenieure, Alten- oder Krankenpfleger werden könnten. Oder eben Handwerker. Heute ist das schon so und morgen wird sich das wohl nicht ändern. Auch die Zuwanderung durch Flüchtlinge seit 2015 dreht den Trend nicht, bestenfalls wird er verlangsamt.

Fachkräftemangel überall – und kein Ausweg. Oder? Doch! Es gibt Licht am Ende des Tunnels und zwar elektrisches Licht. Es sind die freundlich strahlenden Augen eines Roboters, die da glühen – denn genau er wird uns aus der Patsche helfen. Warum? Das wollen wir uns einmal genauer ansehen.

Wirft man das Stichwort „Digitalisierung“ in eine politische Diskussions-Runde, dann wachsen anwesenden Berufs-Pessimisten noch während der Debatte graue Haare: Oh Schreck, diese ganze Automatisierung! Und die Arbeitsplätze, die dann wegfallen! Und die ganzen Arbeitslosen! Und dann geht das alles auch noch so schnell! Schließlich ist die eine oder andere Prognose in Umlauf, die zunächst einmal ganz nüchtern besagt, dass durch die Digitalisierung in Unternehmen ein bestimmter Prozentsatz an Arbeitsplätzen verloren geht. Tja, und was ganz besonders gemein ist: Das sind nicht nur die ollen Fließband-Jobs, die da wegfallen, sondern auch hoch qualifizierte Tätigkeiten: Piloten gehören beispielsweise dazu. Sogar manch ein Richter schlottert unter seiner Robe schon wie ein Zitterrochen, denn es soll auch ihn treffen, sagt zumindest die wohl bekannteste Studie zur Digitalisierung der Arbeitswelt, „The Future of Employment“. Denn Rechtsurteile können zukünftig auch von Algorithmen getroffen werden und das sogar zuverlässiger als von Juristen.

Lässt man einmal die extremen Vorhersagen außer Acht, dann gehen Experten wie zum Beispiel das für Deutschland wichtige Forschungsinstitut IAB davon aus, dass rund 15 Prozent unserer derzeitigen Beschäftigungsverhältnisse von Robotern und anderen digitalen Arbeitskräften übernommen werden. Das macht nach derzeitigem Beschäftigungsstand rund 7 Millionen Jobs.

Und das ist auch gut so. Denn der Roboter ist damit unsere schlagkräftigste Waffe gegen den Fachkräftemangel! Das Schließen der Fachkräftelücke wird in vielen Branchen nicht mehr durch junge Berufseinsteiger zu schaffen sein. Aber durch Robotik und Künstliche Intelligenz durchaus. Schon heute haben Roboter einen beachtlichen Anteil an der industriellen Wertschöpfungskette. Der digitale Fortschritt vollzieht sich in Quantensprüngen, so dass eine Übernahme von Tätigkeiten auch in vielen anderen Wirtschaftssektoren wahrscheinlich ist. Und das hat gleich mehrere positive Effekte: Nicht nur, dass die Robos die vielen offenen Stellen besetzen. Sie sorgen auch dafür, dass Arbeitsprozesse schneller und effizienter sind: Schließlich machen die Kollegen aus Blech und Stahl keine Pausen, keinen Urlaub und sie arbeiten rund um die Uhr. Dadurch werden viele Produkte und Dienstleistungen wesentlich billiger als sie heute sind. Und das hat wiederum zur Folge, dass wir mehr Geld für andere Ausgaben zur Verfügung haben.

In der Berufswelt könnte der Siegeszug der Digitalisierung eine weitere, bislang völlig unbeachtete Folge haben: Roboter und Algorithmen sind für logisch-rationale Aufgaben ideal. Mit sozialer und emotionaler Intelligenz haben sie aber nichts am Hut. Als Erzieher im Kindergarten, als Sozialarbeiter oder Seelsorger sind sie ungeeignet. Dass die derzeit oft schlecht bezahlten Berufstätigen im sozialen Bereich oder im Bildungssektor auf Dauer nicht ersetzt werden, kann zu ihrer deutlichen Aufwertung führen.

Ein Grund mehr, warum wir uns darauf freuen können, wenn Kollege Roboter zum Job antritt.

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Die Sozialdemokraten haben zweifellos ein sehr grundsätzliches Problem. Da ist nicht nur das historisch schlechteste Ergebnis in Bayern, wo sie mit 9,7 Prozent nur noch fünftstärkste Kraft sind, sondern auch das drohende Debakel in Hessen. Dort waren sie früher staatstragend. Am übernächsten Sonntag rutscht sie vielleicht sogar hinter die Grünen unter 20 Prozent.

Das ist wahrlich dramatisch. Doch es ist nicht ungewöhnlich. Überall in Europa verlieren sozialdemokratische Parteien. In Italien waren die Sozialdemokraten 2008 noch bei 33 Prozent, bei der jüngsten Parlamentswahl mussten sie sich mit 18,7 Prozent zufrieden geben. In Frankreich waren die Sozialisten der PS 2012 noch mit 29,35 Prozent stärkste Partei. Bei der Parlamentswahl im letzten Jahr erreichten sie nur noch 7,44 Prozent. In Spanien sind die Sozialdemokraten der PSOE 2008 noch mit 43,85 Prozent ins Parlament eingezogen, 2011 waren es dann 28,76 Prozent und 2015 dann nur noch 22 Prozent. Und in Griechenland waren die Sozialdemokraten über viele Jahre die dominierende Kraft im Lande. 2003 erreichten sie noch 40,55 Prozent. 2015 marginalisierte sich die PASOK auf 6,28 Prozent. Das 21. Jahrhundert ist bislang wahrlich kein sozialdemokratisches.

Wenn jetzt Finanzminister Olaf Scholz den Einstieg in eine Arbeitslosenversicherung der EU vorschlägt, dann macht er das nicht ohne eine weitergehende Absicht. Er will sich warmlaufen für eine mögliche Kanzlerkandidatur. Das mag sich heute noch etwas lächerlich anhören, doch Sozialdemokraten sind Optimisten. Ob dieser Vorschlag ihn seinem Ziel näher bringt, lässt sich jedoch bezweifeln. Denn sein Vorschlag eines Rückversicherungssystems für die nationalen Arbeitslosenversicherungen ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer im eigenen Land. Warum sollen Arbeitnehmer in Deutschland mit ihren Arbeitnehmerbeiträgen das Arbeitslosengeld in Italien, Griechenland oder Spanien finanzieren?

Die Arbeitslosenquoten in Griechenland (20,1 Prozent), in Spanien (15,3 Prozent) und in Italien (10,8 Prozent) sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind vielmehr ein Ergebnis falscher politischer Rahmenbedingungen. Auf diese Rahmenbedingungen haben die deutsche Regierung, der Deutsche Bundestag oder die Sozialversicherungsträger in Deutschland keinen Einfluss. Warum sollen sie dann dafür geradestehen?

Früher wären sozialdemokratische Spitzenpolitiker niemals auf die Idee gekommen, für sachfremde Leistungen die Arbeitslosenversicherung zu plündern. Sie hätten sich auch nicht für eine Kollektivierung aller Risiken in Europa ausgesprochen. Sie hätten sich um die Menschen im eigenen Land gekümmert. Was der Sozialdemokratie heute abgeht, sind Aufsteigergeschichten. Und Personen, die diese Aufsteigergeschichten glaubhaft vertreten können. In den 1970er Jahren haben die Sozialdemokraten für die Durchlässigkeit in der Gesellschaft gekämpft. Im Bildungssystem sollten auch Arbeiterkinder Abitur machen und anschließend studieren können. Gerhard Schröder war dann der letzte Sozialdemokrat und glaubhafte Repräsentant dieser Aufsteigergeneration. Er stammte aus ärmlichsten Verhältnissen, machte sein Abitur über den 2. Bildungsweg, studierte anschließend und schaffte es später sogar bis zum Bundeskanzler. Mehr Aufstieg geht nicht!

Mit ihrem Abstieg hinterlassen die Sozialdemokraten im deutschen Parteienspektrum eine Lücke, die hochinteressant ist. Es handelt sich dabei nämlich um die Menschen, die etwas schaffen wollen, die aufsteigen wollen und die aus ihren Verhältnissen ausbrechen wollen. Diese Gruppe will wie in den 1970er Jahren den Bildungsaufstieg schaffen, sie will eigenen, bescheidenen Wohlstand schaffen. Sie arbeitet dafür, dass sie im Alter nicht von der Fürsorge abhängig ist und sie will ihren Kindern eine bessere Zukunft hinterlassen. Eigentlich ist es doch ein gesellschaftlicher Skandal, dass ein Normalverdiener es heute nicht mehr schafft, sein eigenes Pflegerisiko ausreichend abzusichern. Nicht mehr nur die Geringverdiener müssen daher im Alter auf staatliche Transferleistungen vertrauen, sondern auch die Normalverdiener. Diese Ziele finden im deutschen Parteienspektrum nur einen rudimentären Niederschlag. Das ist bedauerlich und gleichzeitig eine Chance für eine Partei, die die Aufsteiger in den Blick nimmt. Das erfordert nicht mehr Intervention des Staates, sondern, ganz im Gegenteil, mehr Freiräume. Aufsteigen kann man nur, wenn Hürden abgebaut werden, wenn eine Gesellschaft durchlässiger wird und wenn mehr finanzieller Spielraum beim Arbeitnehmer und beim Einzelnen bleibt. Nur dann hat dieser die Chance, seine Wünsche und Lebensziele selbstständig zu erreichen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.