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Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Präsident Macron hat für die Eurozone einen Fonds zur Krisenintervention vorgeschlagen. Der Fonds soll Euroländern, die zum Beispiel in eine Rezession geraten, zinsgünstige Kredite geben. Zu zahlen wäre der durchschnittliche Zins, den die Euroländer am Kapitalmarkt aufbringen müssen. Der Fonds würde daher nur von den weniger kreditwürdigen Ländern in Anspruch genommen, die am Markt einen überdurchschnittlichen Zins zahlen müssten. Dabei hängt die Kreditwürdigkeit weniger von der vorübergehenden Konjunkturlage als vom Umfang der bereits bestehenden Staatsverschuldung (relativ zum Bruttosozialprodukt) und von der Vertrauenswürdigkeit der politischen Institutionen ab.

Vergleicht man den geplanten Krisenfonds mit dem existierenden „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM), so fällt zunächst die Verwässerung der Zugangsbedingungen auf. Gemäß Art. 3 des ESM-Vertrages können Kredite nur an diejenigen ESM-Mitglieder vergeben werden, „die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen …, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Solange also zum Beispiel Frankreich nicht schwerwiegende Finanzierungsprobleme drohen, welche die Finanzstabilität der Eurozone gefährden, kommt das Land nicht an das Geld des ESM heran. Im Gegenteil, Frankreich ist Nettozahler, weil es die subventionierten ESM-Kredite an Griechenland, Zypern, Irland, Portugal und den spanischen Bankenfonds mitfinanziert. Der französische Präsident Sarkozy war 2010 bereit, diesen Preis zu zahlen, weil er unbedingt verhindern wollte, dass ein Eurostaat – zuerst Griechenland, nach diesem Präzedenzfall aber vielleicht irgendwann auch Deutschland – aus der Währungsunion austreten würde. Der ESM wird den Franzosen aber allmählich zu teuer, zumal nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen für Griechenland anstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich selbst früher oder später vom ESM billige Kredite erhalten könnte. Aber die Zugangsbedingung des neuen Krisenfonds – eine Rezession – wird Paris von Zeit zu Zeit erfüllen können. Wenn die anderen Euroländer – allen voran Deutschland – im gewichteten Durchschnitt kreditwürdiger sind, lohnt sich der französische Griff in die Krisenkasse. Vielleicht gelingt es Macron sogar, den bestehenden ESM ganz oder teilweise zum Krisenfonds für Rezessionen umzufunktionieren.

Macron will nicht nur den ESM-Vertrag, sondern auch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ändern, denn dieser lässt eine Ausnahme vom Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV nur zu, „wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets zu wahren“ (Art. 136 Abs. 3, eingefügt im März 2011). Die von Macron vorgeschlagene Vertragsänderung bedarf der Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten und könnte in einigen relativ kreditwürdigen Eurostaaten auf Widerstand stoßen.

Neben den Verteilungswirkungen des Krisenfonds ist seine Effizienz zu untersuchen. In der Vergangenheit war es so, dass der Staat in der Rezession sein Haushaltsdefizit erhöhte, indem er sich am Kapitalmarkt verschuldete. Der Weltkapitalmarkt verteilte die Schocks effizient auf die gesamte Weltwirtschaft. Demgegenüber würde der Krisenfonds die Risiken in den Euroländern konzentrieren. Das wäre weniger effizient.

Da sich das Krisenland beim Fonds billiger verschulden kann als am Markt – d. h., billiger, als seiner Kreditwürdigkeit entspricht -, erhält es zugleich einen stärkeren Anreiz sich zu verschulden. Vielleicht gibt es keynesianische Ökonomen, die das begrüßen würden. Nicht einverstanden wären Ricardianer wie Robert Barro und politische Ökonomen wie James Buchanan. Aus politisch-ökonomischer Sicht ist zu beachten, dass die Regierenden vor der Wahl nicht nur die Rezession überwinden, sondern auch einen vorübergehenden Boom – ein konjunkturelles Strohfeuer – herbeizaubern möchten. An einem solchen politischen Konjunkturzyklus sind die Bürger nicht interessiert. Die Zinssubvention des Krisenfonds vergrößert daher die Diskrepanz zwischen den Wünschen der Bürger und den Taten der Politiker.

Da die konjunkturelle Entwicklung unsicher ist, kann Macrons Krisenfonds als Versicherung gegen makroökonomische Schocks betrachtet werden. Der Schaden ist die Rezession oder Krise, die Versicherungsleistung ist die Zinssubvention. Aber in diesem Fall wird die Versicherung nur von denen in Anspruch genommen, deren Kreditwürdigkeit geringer als der Durchschnitt ist. Die überdurchschnittlich kreditwürdigen Mitgliedstaaten zahlen zwar auch Beiträge in den Fonds ein, aber sie empfangen von ihm keine Versicherungsleistungen. Das bedeutet: die relativ kreditwürdigen Mitglieder schenken den nicht so kreditwürdigen Mitgliedern Versicherungsschutz gegen wirtschaftliche Krisen. Die Versicherung ist offensichtlich nicht versicherungsmathematisch fair und daher nicht effizient. Außerdem schwächt sie den Anreiz, durch eine gute Wirtschaftspolitik Krisen zu vermeiden. Das ist der sogenannte Moral Hazard. Es ist ein Fehler zu glauben, dass sich die Menschen gegen alle Risiken versichern sollten.

Der Fonds erspart es den Regierungen der unterdurchschnittlich kreditwürdigen Krisenländer, sich zu hohen Zinsen am Kapitalmarkt zu verschulden. Mit Hilfe des Fonds können sie ihre mangelnde Kreditwürdigkeit vor dem Wahlvolk verschleiern. Er versichert die Politiker gegen das Risiko, dass das Wahlvolk erkennt, wie gering der Weltkapitalmarkt ihre Kreditwürdigkeit einschätzt.

Gefragt, ob sie sich einen Euro-Krisenfonds à la Macron vorstellen könne, bemerkte Angela Merkel jovial: „Why not?“ Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, ihre Frage zu beantworten. Ist der französische Plan raffiniert genug, um die Deutschen zu übertölpeln?

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