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Mehr als jeder vierte französische Wähler hat bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für rechts- oder linksradikale Politiker gestimmt. Jetzt ist ein gemäßigter Sozialdemokrat die Hoffnung des Landes und des ganzen Kontinents. Dabei hat Frankreich eine bedeutende freiheitliche Tradition.

Republik und Menschenrechte, Marktwirtschaft und Freihandel

Francois Fénelon (1651-1715) war ein wichtiger Vordenker der Menschenrechte und stand im Frankreich des Sonnenkönigs für individuelle Freiheit ein. Montesquieu (1689-1755) war der Begründer der Theorie der modernen Republik und steht mithin an der Wiege aller freiheitlichen Demokratien der jüngeren Geschichte. Nicolas de Condorcet (1743-1794) trat als einer der ersten für die Gleichberechtigung der Frau ein. Jean-Baptiste Say (1767-1832) war ein mächtiger Fürsprecher unternehmerischer Freiheit. Frédéric Bastiat (1801-1850) ist das Kunststück gelungen, die Ideen der Marktwirtschaft und des Liberalismus so anschaulich darzustellen, dass seine Schriften heute noch klassische Einführungstexte sind. Alexis de Tocqueville (1805-1859) formulierte die Theorie der liberalen Zivilgesellschaft. Michel Chevalier (1806-1879) war der kongeniale Partner des großen Freihändlers Richard Cobden auf der französischen Seite. Andere im Sinne der Freiheit wohlklingende Namen sind Richard Cantillon, Turgot, Olympe de Gouges, Lafayette, Charles Comte und Charles Dunoyer.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts und vor allem im 20. Jahrhunderts versiegt diese Tradition zunehmend. In den letzten 100 Jahren stechen mit genialen Gedanken und Schriften noch Bertrand de Jouvenel (1903-1987) und vor allem Raymond Aron (1905-1983) hervor. Danach wird es leider immer dünner … Im Aufbäumen gegen den Absolutismus, Zentralismus und Bürokratismus, der das Land schon vom 17. bis ins 19. Jahrhundert durchdrang, formierte sich zunächst manch anregender und sogar global einflussreicher Widerstand. Ein Denker und ein Ereignis führten jedoch dazu, dass die Idee der Liberté gewissermaßen falsch abbog. Jean-Jacques Rousseau ersetzte den Absolutismus des Königs durch den Absolutismus des Volkswillens. Und die Französische Revolution entartete in eine radikale Tyrannei einer kleinen Gruppe, die sich fatal selbst überschätzte und die Freiheit in einem Blutmeer ertränkte.

Einer der geistigen Führer des Liberalismus des 19. Jahrhunderts

Einer der wichtigsten Kritiker dieser Entwicklung des französischen Liberalismus war der Schriftsteller und Politiker Benjamin Constant (1767-1830), den Friedrich August von Hayek als einen „der geistigen Führer des Liberalismus des 19. Jahrhunderts“ bezeichnete. Constant war ein wahrer Europäer: Geboren in der Schweiz als Abkömmling einer französischen Familie wuchs er unter anderem in den Niederlanden, Brüssel und Großbritannien auf. Er studierte in Erlangen und Edinburgh, wo der Siebzehnjährige mit zentralen Persönlichkeiten der liberalen Geistesgeschichte wie Adam Smith, David Hume und Adam Ferguson Umgang pflegte. Er war mit dem größten deutschen Liberalen jener Zeit, seinem Jahrgangsgenossen Wilhelm von Humboldt, befreundet und übersetzte die Werke Kants ins Französische.

Die Radikalisierung der Französischen Revolution betrachtete er mit zunehmender Sorge. Als die Schreckensherrschaft endete, engagierte sich der Endzwanziger publizistisch für den Aufbau einer freiheitlichen Republik. Nach anfänglicher Unterstützung wurde er auch zu einem scharfen Kritiker Napoleons und nach der Wiederherstellung der alten Monarchie 1815 war er einer der intellektuellen und politischen Führungspersönlichkeiten der liberalen Opposition. Zeit seines Lebens warnte er vor den Gefahren absoluter Herrschaft – ob in Form einer Monarchie oder Demokratie. Er war ein glühender Verfechter von Freiheit der Meinung, der Rede und der Presse. Er verteidigte Markt und Unternehmertum und sprach sich für Non-Zentralismus und Föderalismus aus. Nach seinem Tod rühmten ihn die ehemaligen Sklaven in den französischen Kolonien für seinen Einsatz zu ihrer Befreiung. In Wort und Tat, als Publizist und Politiker war er einer der Leuchttürme in der Geschichte des Liberalismus.

Das Prinzip der Freiheit braucht auch heute Verteidiger

Gegen Ende seines Lebens blickt Constant zurück: „Vierzig Jahre lang habe ich dasselbe Prinzip verteidigt: Freiheit in allen Dingen – in der Religion, der Philosophie, der Literatur, der Wirtschaft, der Politik. Und mit Freiheit meine ich den Sieg des Individuums über eine Autorität, die despotisch herrschen will, wie auch über die Massen, die für sich beanspruchen, eine Minderheit der Mehrheit untertan zu machen. Die Mehrheit hat das Recht, die Minderheit darauf zu verpflichten, die öffentliche Ordnung zu respektieren. Doch alles, was die öffentliche Ordnung nicht stört, was rein persönlich ist wie unsere Meinungen, was als Meinungsäußerung anderen keinen Schaden zufügt, alles was im Bereich der Wirtschaft einem Konkurrenten erlaubt, sich frei zu entwickeln – bei all dem handelt es sich um Ausdrucksformen des Individuums. Und es gibt keinen legitimen Grund, dies staatlicher Gewalt zu unterwerfen.“

Nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa und die westliche Welt muss man hoffen, dass diese Ideen und Ideale wieder an Bedeutung gewinnen. In einer Zeit, in der die Debatten nur noch um Fragen wie die Leitkultur oder noch mehr Umverteilung kreisen, sind die Stimmen der Freiheit besonders dringend gefragt. Frauen und Männer wie Constant und die anderen oben angeführten Persönlichkeiten haben oft unter erheblichen persönlichen Opfern die Sache der Freiheit verteidigt und vorangebracht. Sie sind das geistige Fundament, auf der unsere freiheitliche Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Marktwirtschaft und unsere offene Gesellschaft stehen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Fundament zu erweitern und darauf weiterzubauen – in Frankreich und überall. Denn, so Constant, „ohne die Freiheit gibt es für die Menschen keinen Frieden, keine persönliche Würde, kein Glück.“

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