Photo: Thorsten Krienke from Flickr

Morgen ist es wieder da: Das Tanzverbot. Ein guter Anlass, sich einmal wieder der Frage des Verhältnisses zwischen freiheitlichem Rechtsstaat und Religion zu widmen.

Vom Brauch zum Gesetz

Es gibt, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, eine ganze Reihe an Tagen, an denen Tanzveranstaltungen oder sportliche Großereignisse nicht erlaubt sind. Während vor allem die Stadtstaaten Regelungen haben, die möglichst wenig restriktiv sind, sind in traditioneller geprägten Ländern eher strenge Regeln anzutreffen. Am gravierendsten übrigens nicht etwa in Bayern, sondern in Hessen.

Entstanden sind diese Vorschriften in einer Zeit, in der Kirchen in Deutschland noch eine wesentlich gewichtigere Rolle im Leben der Bürger gespielt haben. Die allermeisten Bürger gingen vor einem Jahrhundert noch am Karfreitag in die Kirche und befolgten die Tradition, diesen Tag in Stille und Andacht zu begehen. Gerade die traditionelle Staatsnähe der evangelischen Kirchen führte dazu, dass derlei Traditionen im Zweifel auch ohne gesetzliche Grundlage mit staatlicher Autorität durchgesetzt wurden. Wenn es am Abend des Feiertages in einer Kneipe zu munter wurde, kreuzte mitunter auch mal der Schutzmann auf und sorgte für Ruhe und Ordnung. Mit der Weimarer Verfassung von 1919 wurden dann gesetzliche Feiertage eingeführt mit allen strafrechtlichen Konsequenzen.

Religion als Privatsache: Fundament moderner, freiheitlicher und offener Gesellschaften

Das sehr ambivalente Verhältnis von Staat und Religion hat in der Geschichte der Menschheit lange eine zentrale Rolle gespielt. Mal dient Religion der Legitimation von Herrschaft vom antiken Rom über die Kalifen bis zu „Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser“. Religion ist aber zugleich auch ein Hort der Machtkritik: Die Propheten im alten Israel, die Quaker im Großbritannien des 17. und 18. Jahrhunderts, der antikommunistische Widerstand in Polen, Litauen und Ungarn. Religion als Privatsache zu betrachten, ist das Fundament moderner, freiheitlicher und offener Gesellschaften. Diese Überzeugung steht am Beginn unseres Verständnisses von Toleranz, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung, ist mithin die Wurzel des Individualismus.

Ein Staat, der sich der Religion bedient, maßt sich die absolute Herrschaft über den Menschen an, er dringt bis in seinen Kopf und sein Herz vor. Er kann seine Bürger manipulieren, indem er an deren innerste und tiefste Gefühle appelliert. Und natürlich gibt es auch die umgekehrte Situation. Das führt uns ja mit entsetzlicher Brutalität gerade der „Islamische Staat“ vor Augen: Eine religiöse Bewegung, die mit den Machtmitteln weltlicher Herrschaft ausgestattet ist, wird ebenso absolutistisch und gewaltsam wie ein Staat, der Religion benutzt. Gefahr droht überall dort, wo das Emotionale und Persönliche, das sich in der jeweiligen religiösen Überzeugung ausdrückt, verbindet mit den Instrumenten der Macht. Damit Macht beschränkt und Freiheit gewahrt wird, ist es unerlässlich, dass die Ordnung eines Gemeinwesens nach abstrakten Regeln und Maßstäben abläuft.

Geschmacksfragen sind kein Fall für das Recht

Das Tanzverbot ist keine substantielle Bedrohung individueller Freiheit. Und angesichts der stetig abnehmenden Religiosität ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Einfluss von Religionsgemeinschaften eher weiter abnehmen wird. Dennoch ist es natürlich eine Freiheitseinschränkung für viele Menschen, die mit abstrakten Regeln nicht vereinbar ist. Sie kommt lediglich dem Geschmack oder den Überzeugungen des religiösen Teils der Bevölkerung entgegen. Ähnlich übrigens wie die staatliche Ehe.

Man könnte durchaus die abstrakte Regel des Rechts auf freie Religionsausübung so auslegen, dass während eines Karfreitagsgottesdienstes kein Techno Rave unmittelbar vor der Kirche stattfinden sollte. So wie man keine Grillpartys auf dem Friedhof veranstaltet. Das Tanzverbot geht freilich weit darüber hinaus. Es verpflichtet alle Bürger darauf, den Geschmack und die Überzeugung eines Teiles der Bevölkerung zum eigenen Verhaltensmaßstab zu machen. Das ist im Übrigen nicht nur unvereinbar mit einem freiheitlichen Rechtsstaat, sondern trägt auch nicht gerade zum Sympathiegewinn für die Kirchen bei.

Das Verhältnis von Staat und Religion wieder auf den Prüfstand stellen

Es würde den Vertretern der verschiedenen Kirchen in Deutschland sehr gut zu Gesichte stehen, wenn sie sich auch für eine Aufhebung des Tanzverbots am Karfreitag und anderen kirchlichen Feiertagen einsetzen würden. Ganz im Sinne dessen, was Papst Benedikt XVI. vor fünf Jahren in Freiburg sagte: „Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“

Es ist, gerade auch angesichts der Bedrohung durch einen politisierten Islam, höchste Zeit, das Verhältnis von Religion und Staat auf eine solide Basis zu stellen, die konsistent ist mit dem freiheitlichen Rechtsstaat. So wenig dieser einen Menschen an seiner Religionsausübung hindern darf, so wenig darf er auch religiöse Überzeugungen durchsetzen. Tanzverbote, staatliche Definitionen von Ehe, staatlich geförderter Religionsunterricht und ähnliche Maßnahmen gehören auf den Prüfstand und in die öffentliche Debatte.

Tanz am Kreuz statt Tanz gegen das Kreuz

Den gläubigen Christen, denen die Heiligkeit des Karfreitags am Herzen lieg, mag ein Lied des englischen Dichters Sydney Carter zu ein wenig Tanztoleranz verhelfen, der Jesus diese Worte in den Mund legt:

I danced on a Friday when the world turned black.
It’s hard to dance with the devil on your back.
They buried my body they thought I was gone,
But I am the dance, and the dance goes on.

Dance, dance wherever you may be.
I am the Lord of the dance, said he.
And I lead you all wherever you may be,
And I lead you all in the dance said he.

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